Das
Goethe-
Institut
Eine Geschichte von
1951 bis heute
von Carola Lentz und
Marie-Christin Gabriel
Klett-Cotta
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
© 2021 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH,
gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg
unter Verwendung einer Abbildung von © Keren Kuenberg
Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen
Kartenerstellung: Katrin Soschinski Kartografie. Made with Natural Earth
Anpassung der Karten: Rose Pistola GmbH, München
Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-608-98470-5
E-Book ISBN 978-3-608-11700-4
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der Buchumschlag zeigt Studentinnen in einem Gebäude der Obafemi Awolowo Universität im nigerianischen Ile-Ife(1), dessen Campus in den 1960er Jahren von Arieh Sharon(1) entworfen wurde, einem der israelischen Architekten der »Weißen Stadt« von Tel Aviv(1). Sharon hatte am Dessauer Bauhaus bei Walter Gropius(1) und Hannes Meyer(1) studiert, war Anfang der 1930er Jahre nach Israel(1) zurückgekehrt und plante dann an verschiedenen Orten der Welt öffentliche Bauwerke. Mit ihrer offenen Architektur sind die Gebäude in Ile-Ife bestens an das tropische Klima angepasst und laden zu Kommunikation ein. Sharon nahm auch lokale ästhetische Elemente auf und lud Yoruba-Künstler ein, die Betonwände zu bemalen. Die Studierenden und Lehrenden seien stolz auf die Architektur, berichtet der Architekturhistoriker Zvi Efrat(1), der über den Campus einen Film gedreht hat.[1] »Arieh Sharon wird hier … nicht als Kolonisierer gesehen«, meint auch Bayo Amole(1), Professor für Architektur an der Universität von Ile-Ife. »Was haben wir hier: ein Israeli, der in Deutschland(1) studiert hat, der in Afrika gearbeitet hat. Das sagt etwas über die Universalität der Welt – aber es erzählt auch etwas über die Universität als einem universellen Ort.«[2]
Foto und Interviews entstanden 2018 im Rahmen des Ausstellungsprojekts »Bauhaus Imaginista«, das das Goethe-Institut in Kooperation mit der Bauhaus Kooperation Berlin(1) Dessau(1) Weimar(1) und dem Berliner Haus der Kulturen der Welt anlässlich des einhundertjährigen Jubiläums des Bauhauses organisierte. Das Projekt umfasste Recherchen, Ausstellungen und Veranstaltungen in elf Ländern auf vier verschiedenen Kontinenten und beleuchtete »die internationale und transkulturelle Vernetzung des Bauhauses in der Welt«.[3] Für die Kuratorin Marion von Osten(1) war das Bauhaus von vornherein kein »deutscher Exportartikel«, sondern ein europäisches und »globales Projekt«; es stehe »symbolisch für Gesellschaften, die sich gegen Nationalismen und gegen Kolonialismus wenden«.[4] Die Ausstellungen zum Bauhaus-Jubiläum haben transnationale Verflechtungen nicht nur erforscht, sondern durch weltweite, miteinander verbundene Einzelprojekte auch selbst erweitert. Das ist typisch für die Kulturarbeit des Goethe-Instituts seit der Jahrtausendwende, die den Austausch zwischen Künstlerinnen, Intellektuellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in der ganzen Welt fördern will.[5] Dabei geht es um kulturelle Koproduktion, um das Sichtbarmachen unterschiedlicher Perspektiven auf globale Themen, um die kritische Reflektion von Kolonialismus und Erinnerungspolitik, um Frauenrechte und die Anerkennung indigener Minderheiten, um die Auseinandersetzung mit illiberalen Regimen und demokratischen Bewegungen und vieles mehr. Darin spiegelt sich die zunehmende Verflechtung Deutschlands(2) mit Europa(1) und der Welt und insbesondere auch mit dem globalen Süden.
Dieses Buch möchte einige historische Stationen auf dem Weg des Goethe-Instituts hin zu diesem Selbstverständnis abschreiten. Fokussierte seine Arbeit anfangs auf die Förderung der deutschen Sprache im Ausland und den Export »deutscher« Kultur, agiert das Goethe-Institut heute, in 98 Ländern mit insgesamt 158 Instituten, nicht nur als weltweiter Anbieter von Sprachkursen, sondern auch als globales Netzwerk lokaler und regionaler kultureller und zivilgesellschaftlicher Initiativen.
Die Geschichte des Instituts seit seiner Gründung 1951 – wie auch seine Vorgeschichte unter der Deutschen Akademie in der Weimarer Republik(1) und im Nationalsozialismus – ist ein Spiegel der jüngeren Geschichte Deutschlands(3) und seiner Außenpolitik, der Entwicklungen in Europa(2) und der Umbrüche in der Welt. Zugleich legt das Goethe-Institut nicht nur Zeugnis ab von Deutschlands(4) sich wandelnden Selbstverständnissen, vielmehr hat es auch durch seine Arbeit und weltweiten Kontakte aktiv daran mitgewirkt. Dass die westdeutsche Regierung die Auswärtige Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg in die Hände von sogenannten Mittlerorganisationen legte – unabhängigen, meist als Verein verfassten Organisationen –, spiegelt den Wunsch der jungen Bundesrepublik(1), eine Zäsur zur nationalsozialistischen staatlichen Vereinnahmung der Kulturpolitik zu markieren. Dass das Goethe-Institut einige Jahre nach seiner Gründung vom Auswärtigen Amt finanziell gefördert wurde und sein Netzwerk rasch expandierte, war der Teilung Deutschlands(5) und dem Kalten Krieg geschuldet; die junge Demokratie wollte und sollte sich vom Nationalsozialismus abgrenzen, durch Kulturexport Freunde in aller Welt gewinnen und zugleich ihre Überlegenheit gegenüber dem Sozialismus demonstrieren. Das galt auch für viele andere in dieser Zeit gegründete westdeutsche Kultureinrichtungen, wie etwa die Berliner Festspiele oder die Documenta, und ebenso für das wiedergegründete Institut für Auslandsbeziehungen und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Im Zuge der gesellschaftskritischen Bewegungen in Westdeutschland(1) Ende der 1960er Jahre wollte das Goethe-Institut ein anderes Deutschlandbild vermitteln, was nicht von allen politischen Akteuren gutgeheißen wurde; die damit verbundenen Konflikte wiederum führten zu Neuerungen in der Auswärtigen Kulturpolitik. Das Ende des Kalten Kriegs, die deutsche Wiedervereinigung und die Entstehung einer multipolaren Welt sind prägende jüngere Entwicklungen, die sich im Goethe-Institut in der Hinwendung zu multilateraler Zusammenarbeit und in der neuen Rolle als globaler Netzwerker niederschlagen. Sich mit der Geschichte des Goethe-Instituts zu beschäftigen, heißt also auch: einen besonderen Blick, aus einer kulturpolitischen Perspektive, auf die Geschichte der Bundesrepublik(2) im Kontext globaler Transformationen zu werfen.
Ich selbst entwickelte Interesse für das Thema im Zuge meiner Vorbereitung auf mein neues Amt als Präsidentin des Goethe-Instituts – eine Zeit, die sich mit Blick auf die ethnologische Ritualtheorie als »liminale Phase« beschreiben lässt, als Schwellenzustand, den Menschen beim Übergang von einer zu einer anderen sozialen Ordnung oder einem neuen Lebensabschnitt durchlaufen. Durch meine Pensionierung im Herbst 2019 schied ich aus dem aktiven Dienst an der Mainzer Universität aus (auch wenn ich ihr als Seniorforschungsprofessorin verbunden bleibe) und war ein gutes Jahr lang noch nicht in die Pflichten des neuen Amts eingebunden. Ethnologen wie Arnold van Gennep(1) und Victor Turner(1) haben eine solche liminale Phase als eine Zeit der Mehrdeutigkeit charakterisiert, als Phase des »betwixt and between« mit, so jedenfalls Turner, besonderer Freiheit.[6] Für mich bot die Übergangszeit Raum für die forscherische Neugier, die sich nicht zuletzt am anstehenden Jubiläum des Goethe-Instituts entzündete, auf das ich als Ethnologin, die intensiv zu afrikanischen Unabhängigkeitsjubiläen geforscht hat, bald aufmerksam wurde.
Schafft es nicht einen unlösbaren Rollenkonflikt, dass ich als Autorin dieses Buches seit November 2020 Präsidentin des Goethe-Instituts bin? Denn meine Koautorin Marie-Christin Gabriel(1) und ich wollen mit diesem Buch keine Festschrift vorlegen, die die Errungenschaften des Instituts unkritisch bejubelt, sondern uns auch Spannungen, Brüchen, uneingelösten Versprechen und offenen Zukunftsfragen zuwenden. Kann eine Präsidentin die hierfür notwendige Distanz herstellen? Was mir diese Herausforderung erleichtert hat, ist neben der erwähnten Verortung in der »liminalen Phase« auch eine generationelle Distanz. Ich bin die erste in der Nachkriegszeit geborene Präsidentin und die erste, die jünger ist als das Institut selbst. Die Zeitläufte, in denen 1932 ein »erstes« Goethe-Institut in der Deutschen Akademie eingerichtet und dann 1951 das heutige Goethe-Institut (wieder) gegründet wurde, sind mir vermutlich noch fremder als meinen Vorgängern. Außerdem konnte ich mit einer Koautorin zusammenarbeiten, deren generationelle Distanz zum Institut noch größer ist als meine. Marie-Christin Gabriel(2), 1986 geboren, und ich haben also zwei biografisch unterschiedlich geprägte Perspektiven in das Buchprojekt eingebracht. Auch meine Koautorin ist Ethnologin, und ihre Erfahrungen mit Organisationsanalyse, biografischen Methoden, der Auswertung von Zeitzeugenberichten und kritischem Quellenstudium kamen den Recherchen für dieses Buch zugute. Als neue, jüngere Mitarbeiterin des Goethe-Instituts konnte sie zudem unseren Gesprächspartnerinnen in einer anderen Rolle als ich Fragen stellen; umgekehrt gingen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr gegenüber vermutlich unbefangener ins Gespräch, als sie es mit der designierten und dann amtierenden Präsidentin getan hätten.
Ethnologen arbeiten mit einem »befremdenden« Blick, um selbstverständlich scheinende Wirklichkeiten zu befragen. Für meine Erkundung der Geschichte des Goethe-Instituts kam mir hier meine persönlich-biografische Distanz zur Organisation zu Hilfe. Bis mein Amtsvorgänger Klaus-Dieter Lehmann(1) mich im Sommer 2019 fragte, ob ich mir vorstellen könnte, seine Nachfolge anzutreten, hatte ich kaum Berührung mit dem Institut. Der erste Kontakt ergab sich 2006, als meine ghanaische Familie die Präsentation meines Buches über die Geschichte Nordghanas im Goethe-Institut in Accra(1) organisierte. Danach besuchte ich regelmäßig Veranstaltungen des Hauses und fand besonders die Ausstellungen westafrikanischer Künstler, die dort gezeigt wurden, beeindruckend. Zwei Werke von Mohamed Tamekloe(1), die ich bei einer Vernissage erwarb, hängen bis heute in meinem Mainzer Arbeitszimmer. Es sind Collagen, die halb zerstörte Reste von Ahnenfiguren aus Holz und Stofffetzen sowie imaginär-archaische Schriftzeichen auf einem leuchtend indigo-blauen und lehmfarbigen Grund zeigen. Der togolesische Künstler hat seine Werke mit Le grand voyant (Der große Sehende) betitelt. »Die pseudo-ritualistischen Texte und Objekte«, so erläutert er im Katalog, »evozieren eine frühere Wirklichkeit, genauer: eine konstruierte Vergangenheit, die wir alle zu erfassen versuchen. …[Es] ist notwendig, unsere Reise bis hier und heute zu bilanzieren und zu fragen, wohin uns das alles führt.«
Diese künstlerische Auseinandersetzung mit Erinnerung und Vergangenheit mit Blick auf die Zukunft hat mich in vielen meiner Forschungsprojekte inspiriert. Und man könnte Tamekloes(2) Erläuterungen auch als Programm unserer Erkundung des Goethe-Instituts lesen. Wir konnten die Geschichte dieser komplexen Organisation zum Teil auf der Basis von vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten und eigenen Berichten des Goethe-Instituts relativ gesichert rekonstruieren.[7] Doch für manche unserer Fragen fanden wir nur fragmentarische Erinnerungen und lückenhafte Quellen oder ein ganzes Konzert unterschiedlicher Stimmen. Und wie Tamekloe geht es uns um eine Reflexion der bisherigen Entwicklung als Grundlage für das Nachdenken über aktuelle Herausforderungen und Visionen für die Zukunft.
Die zurückgelegte Wegstrecke zu bilanzieren und über Zukunftsvisionen nachzudenken: Dazu bieten speziell Jubiläen Anlass. Wie ist das Goethe-Institut bisher mit seiner Geschichte umgegangen, und wie hat es frühere Jubiläen gefeiert? In den ersten Jahren nach seiner Gründung 1951 berief sich das Institut auf die Tradition der Deutschen Akademie, der in der Weimarer Republik(2) und während des Nationalsozialismus größten deutschen Kulturinstitution im Ausland, die 1932 ein Goethe-Institut zur Ausbildung ausländischer Deutschlehrer eingerichtet hatte. Viele Gründungsmitglieder und Mitarbeiter des nach dem Zweiten Weltkrieg (wieder) gegründeten Goethe-Instituts waren ehemalige Akademiemitglieder und hoben die Kontinuität zur Akademie stolz hervor. 1957 feierten sie sogar das fünfundzwanzigjährige Jubiläum des Goethe-Instituts; 1961 wurde neben dem zehnjährigen Bestehen des »neuen« auch des dreißigjährigen Bestehens des »alten« Goethe-Instituts gedacht.[8] Die Erinnerung an die Vergangenheit war lückenhaft und geschönt; man blendete die Zeit des Nationalsozialismus aus und berief sich ausschließlich auf die »gute« Akademie von 1925 bis 1933. Mit der Zeit rückte der Kontinuitätsgedanke allerdings zunehmend in den Hintergrund. Das »neue« Goethe-Institut konnte allmählich eigene Erfolge vorweisen und hatte sich als Kultureinrichtung etabliert, so dass es nicht mehr der Anknüpfung an die Vorgängerorganisation zur Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung bedurfte.[9] Dass die Deutsche Akademie »vergessen« wurde, war aber auch der wachsenden gesellschaftlichen Kritik an bundesrepublikanischen Kontinuitäten zum Nationalsozialismus geschuldet, die eine erinnerungspolitische Abgrenzung ratsam erschienen ließ.
Als eines der ersten größeren Jubiläen wurde 1976 das fünfundzwanzigjährige Bestehen des Goethe-Instituts gefeiert. Im Institutsjahrbuch von 1974 schickte Werner Ross(1), damals Generalsekretär des Instituts, diesem Anlass einen kritischen Rückblick voraus: auf die personelle Kontinuität zur Deutschen Akademie, die »sehr andersgeartete Vorgängerin des Goethe-Instituts«; auf die »tastende Unsicherheit« des Instituts während seiner Wachstumsphase in den 1950er und 1960er Jahren; auf die Erweiterung des Sprachinstituts um die Kulturarbeit als »viele neue Probleme bergendes Arbeitsgebiet«; und – in Anspielung auf politische Konflikte um das Deutschlandbild – auf die »aufsehenerregenden Grenzfälle« in der Kulturarbeit, die zeigten, »dass Kulturpolitik zugleich ein Stück Außenpolitik ist, und damit deren Vorsichten und Rücksichten unterworfen«.[10]
Doch es dauerte noch einige Jahre, bis die Institutsgeschichte mehr Aufmerksamkeit erhielt. Der langjährige Generalsekretär Horst Harnischfeger(1) (1976–1996) findet es nicht erstaunlich, dass die historische Dokumentation im Institutsalltag tendenziell unterging: »Der Rückblick ist Nebensache. Die entscheidende Aufgabe des Goethe-Instituts ist, die Kommunikation in der Welt aufrechtzuerhalten. Da bleibt wenig Zeit und Energie, um sich selbst zu betrachten.«[11] Doch Harnischfeger befürchtete schon früh in seiner Amtszeit, dass mit der Pensionierung der Mitarbeiter der ersten Stunde das Wissen über die Institutsgeschichte verloren gehen könnte.[12] Darum bat er den langjährigen Leiter des Pressereferats Bernhard Wittek(1) um die Dokumentation der ersten fünfundzwanzig Jahre der Institutsgeschichte. Das Buch Und das in Goethes Namen, das schließlich 2006 erschien, war ein erstes größeres Projekt des Goethe-Instituts zur Reflexion über die eigene Geschichte. Besonders Harnischfegers Vorwort ging nun auch dezidiert kritisch darauf ein, dass »die Wurzeln des Goethe-Instituts … in dem eher konservativen, auf die Ausdehnung des nationalen Einflusses Deutschlands(6) gerichteten Geist der zwanziger Jahre [liegen]«.[13] Und es benannte Ambivalenzen, die die Arbeit des Goethe-Instituts prägten, insbesondere die »Fahrt zwischen der Scylla einer nationalstaatsbezogenen Interessenpolitik und der Charybdis eines völlig sachbezogenen offenen, toleranten Kulturaustauschs, zwischen … einer Hörigkeit gegenüber der jeweiligen Bundesregierung und … einer nicht mehr subventionierten freien Organisation der Zivilgesellschaft«.[14] Harnischfegers Gedanke, durch Kenntnis der Geschichte »ein Bewusstsein zu entwickeln für die grundlegenden Ambivalenzen, mit denen auch das zukünftige Goethe-Institut zu kämpfen haben wird«,[15] ist ein Leitgedanke unseres Buches.
Das fünfzigjährige Bestehen, das 2001 begangen wurde, fiel in eine Zeit, in der das Goethe-Institut eine finanzielle Krise erlitt. Deshalb bot es kaum Anlass zum Jubeln, lud aber zur Reflexion ein und wurde trotz allem gebührend gefeiert. So gab es eine Ausstellung am Deutschen Historischen Museum in Berlin(2) mit dem Titel Murnau, Manila, Minsk, zu der auch ein gleichnamiger Sammelband erschien.[16] Dieser enthielt neben umfangreichem Bildmaterial Erinnerungen von Künstlern, die mit dem Goethe-Institut zusammengearbeitet hatten, wissenschaftliche Essays zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik, aber auch Texte von Mitarbeiterinnen sowie Ehemaligen, die teils anekdotisch, teils mit kritisch-distanziertem Blick über die Arbeit des Goethe-Instituts reflektierten. Auf das konstante Leitmotiv der Institutsgeschichte wies etwa der damalige Präsident des Goethe-Instituts Hilmar Hoffmann(1) hin: die Rückgewinnung der kulturellen Anerkennung Deutschlands(7) nach der Katastrophe von Krieg und nationalsozialistischer Herrschaft.[17] Der damalige Generalsekretär Martin Schumacher(1) und sein designierter Nachfolger Joachim-Felix Leonhard(1) wiederum unterstrichen unter dem Titel »Was sich ändert, bleibt« die Wandlungsfähigkeit des Instituts und erwarteten, dass »ein deutsches Kulturinstitut mit weltweitem Aktionsradius … in Zukunft immer stärker als europäische Institution auftreten« werde.[18] Ein Beitrag des Historikers Eckard Michels(1) diskutierte nun auch ausführlich die Vorgeschichte des Instituts samt seiner nationalsozialistischen Vereinnahmung und die Anfänge in der Nachkriegszeit.[19] Weitere Beiträge fragten etwa nach der Rolle von Frauen in Führungspositionen am Goethe-Institut.[20]
Auch das sechzigste Jubiläum bot mit dem Film Planet Goethe. Sechzig Jahre Goethe-Institut, einer Sonderbeilage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und einem Band mit Reportagen, Bildern und Gesprächen ebenso anschauliche wie kritische Rückblicke von Akteuren und Partnern auf wesentliche Stationen in der Institutsgeschichte. Die Webseite, die eigens zum sechzigsten Jubiläum eingerichtet wurde, präsentierte unter anderem auch Erinnerungen von Mitarbeiterinnen und Ehemaligen an besondere Ereignisse und Herausforderungen der weltweiten Arbeit.[21]
Alle diese Projekte waren wichtige Wegmarken in der Herausbildung eines Institutionsgedächtnisses, und sie boten für unser Projekt wichtige Quellen und Inspiration. Doch nicht nur Institutsjubiläen luden zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ein; es gab auch andere Momente, die eine Reflexion insbesondere der nationalsozialistischen Vergangenheit der Deutschen Akademie anstießen oder vielmehr hätten anstoßen können. Als in den 1990er Jahren die Zentrale des Goethe-Instituts in einen Neubau in der Dachauer Straße umzog, löste die neue Institutsadresse eine heftige Debatte im Institut und bei seinen Partnern aus. So drohten manche jüdische Partner, nie wieder ein Goethe-Institut zu betreten, sollte die Zentrale in der Dachauer Straße bleiben.[22] Einige Mitarbeiterinnen des Goethe-Instituts drängten deshalb zu einem erneuten Umzug; schließlich wurde mit einem »eleganten Trick« die neue Adresse umgangen, indem man eine Zeitlang den Straßennamen am Hintereingang des Gebäudes als Postanschrift angab: Helene-Weber-Allee.[23] Doch der Vorstand entschied schließlich, dass man sich zur Adresse Dachauer Straße ebenso bekennen müsse wie zur deutschen Geschichte. Eine breitere Auseinandersetzung mit der eigenen Institutsgeschichte und den personellen Kontinuitäten der Nachkriegszeit – noch 1961 wurde zum Beispiel der ehemalige SS-Obersturmführer im Reichssicherheitshauptamt Hans Egon Holthusen(1) Leiter des Goethe-Instituts in New York(1) – löste die Debatte um die Institutsadresse allerdings nicht aus.
Generell hatte und hat, von den erwähnten Anlässen abgesehen, die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte einen geringen Stellenwert in der Arbeit des Goethe-Instituts. Einige Ältere in der Mitarbeiterschaft und im Kreis der Ehemaligen haben noch lebhafte Erinnerungen an ihre eigenen Erfahrungen im Institut und an ihre Vorgänger und tauschen sich gelegentlich darüber aus. Doch fürchten sie, dass solche persönlichen Erinnerungen mit den Generationswechseln zu verschwinden drohen. Fragten wir Mitarbeiterinnen nach der Erinnerungspolitik des Instituts, lautete die Antwort meist, es gebe keine, zumindest fehle eine systematische Dokumentation, auf die man zurückgreifen könne, wenn man ältere Entwicklungen rekonstruieren oder sich über frühere Praktiken und Politiken informieren wolle. Mit diesem Buch möchten wir darum auch zu einem vertieften Interesse an der Institutsgeschichte beitragen, nicht nur innerhalb der Mitarbeiterschaft, sondern auch im Kreis der Partner und derjenigen, die sich allgemein für Auswärtige Kulturpolitik interessieren.
Eine Frage, die uns in der Auseinandersetzung mit der Institutsgeschichte umtrieb, war: Wie kommt es zu Innovationen? Die Notwendigkeit für Veränderungen resultiert zwar oft aus den sich wandelnden Herausforderungen der deutschen Innen- und Außenpolitik, globaler Umbrüche und institutsinterner organisatorischer Dynamiken. Doch neue Projektideen, Arbeitsweisen und Organisationsmuster, so unsere Erkenntnis, entspringen ebenso häufig oder sogar häufiger den vielfältigen Initiativen der Institutsmitarbeiter und der Kreativität lokaler Partnerinnen. Entsandte Mitarbeiterinnen, die regelmäßig zu neuen Einsatzorten aufbrechen, bringen ihre Erfahrungen und Kompetenzen in immer neue Kontexte ein. Aus dem Austausch mit den lokalen Kollegen und regionalen kulturellen Szenen entstehen wiederum neue Ideen und Modelle, die dann auf eine transnationale Reise gehen und von anderen Kolleginnen weiterentwickelt werden. Auch in der Zentrale in München hinterlassen diese Innovationen ihre Spuren und ermutigen zur Reorganisation von Bisherigem. Zugleich setzt man sich auch hier immer wieder kritisch mit etablierten Praktiken auseinander, und aus dem Gedankenaustausch mit den verschiedenen Fachbeiräten und den Mitgliedern des Vereins, der das Institut trägt, entstehen neue Ideen. Diese Ideen fließen in die Arbeit des Instituts ebenso ein und »reisen« wiederum um die Welt. Das Goethe-Institut reflektiert gesellschaftspolitische Veränderungen also nicht nur, sondern gestaltet sie auch mit. Beide Gestaltungskräfte, die politischen Umbrüche und die Kreativität der Mitarbeiterinnen und ihrer lokalen Partner, wollen wir in diesem Buch beleuchten.
Zwei theoretische Modelle waren für uns hierbei hilfreich. Zum einen das Konzept der »reisenden Modelle«,[24] das die »Wanderung« von lokal oder in einem Organisationszentrum entwickelten Ideen fokussiert, die an anderen Orten kreativ adaptiert und weiterentwickelt werden und mit neuen Elementen weiter auf die Reise gehen. Zum anderen die Unterscheidung zwischen drei Ebenen der Auswärtigen Kulturpolitik, wie sie der Ethnologe Jens Adam(1) vorschlägt: erstens den Diskursen, also Reden und offiziellen Dokumenten zur Auswärtigen Kulturpolitik; zweitens den Infrastrukturen, das heißt Organisationen, Strukturen und Programmen, die Auswärtige Kulturpolitik umsetzen; und schließlich die Ebene von Projekten und Arbeitspraxen, also der tagtäglichen Vermittlungsarbeit vor Ort.[25] Manchmal werden Neuerungen durch offizielle Diskurse angeregt, etwa durch Grundsatzpapiere zur Auswärtigen Kulturpolitik, die dann Einzug in die Arbeitspraxis finden; häufiger entstehen Impulse für Veränderungen aber aus der Arbeit mit Partnern vor Ort, verändern dann die organisatorischen Strukturen und stoßen schließlich neue Diskurse über Auswärtige Kulturpolitik an. Unser Buch bietet für all diese Veränderungspfade Beispiele.
Unser Interesse galt darüber hinaus den grundlegenden Spannungsfeldern, in denen sich die Arbeit des Goethe-Instituts bewegte und bewegt. Wie gestaltet sich das Verhältnis eines privatrechtlichen Vereins zur Regierung und zur staatlichen Bürokratie? Welche Rolle spielt Auswärtige Kulturpolitik, die in erster Linie nationalstaatlich gerahmt ist, in einer Welt transnationaler Verflechtungen mit asymmetrischen Machtbeziehungen? Wie schlägt sich die zunehmend multilaterale Arbeit des Goethe-Instituts im Deutschlandbild, das es vermittelt, nieder? Wie positionierte sich das Goethe-Institut zu unterschiedlichen Zeitpunkten im europäischen Kontext – in einem Bezugsrahmen, der für das Goethe-Institut von Anfang an und auch schon für die Deutsche Akademie relevant war? Wie ist die Arbeit des Goethe-Instituts in Deutschland(8) und im Ausland, und allgemeiner, wie sind Innen und Außen in der Kulturpolitik miteinander verflochten?
Diese und weitere Fragen verweisen auf die vielfältigen Balanceakte, die das Goethe-Institut im Lauf seiner Geschichte bewältigen musste. Die widersprüchlichen Anforderungen, denen es – entsprechend seinem Selbstverständnis und manchmal gegenläufiger bundespolitischer Erwartungen – gerecht werden sollte, haben sich nicht aufgelöst, sondern mussten und müssen immer wieder neu bearbeitet werden. Unsere Erzählung von Wandel, Innovation und herausfordernden Gemengelagen thematisiert durchaus auch Fehlschläge und Desiderate. Doch im Kern erzählen wir die Erfolgsgeschichte einer Organisation. Die fortwährende kritische Selbstreflexion des Instituts, seine Wandlungsfähigkeit, sein kreativer Umgang mit Herausforderungen und das Engagement seiner Mitarbeiterinnen im Lauf der vergangenen sieben Dekaden sind beeindruckend. Letzteren, den Mitarbeitenden, schenken wir in unserem Buch besondere Aufmerksamkeit.
Denn, so unsere Überzeugung, das Goethe-Institut ist nicht nur eine Organisation, die von der Zeitgeschichte geprägt wird und diese mitprägt, sondern die vor allem auch durch ihr Personal lebt. Nicht »das Goethe-Institut« agiert, sondern es sind seine Tausende Mitarbeiterinnen: die Entsandten in der Rotation, die rund alle fünf Jahre an einen neuen Einsatzort kommen; die Mitarbeiter mit lokalen Verträgen in den Gastländern, mit oft ebenso kosmopolitischen Lebensläufen, die aber stationär über längere Zeit an einem Institut arbeiten; die Mitarbeiterinnen in den verschiedenen Abteilungen in der Münchener Zentrale und an den Instituten im Inland; die vielen Projektmitarbeiter und Honorarkräfte, die auch einen wichtigen Teil der Arbeit bewältigen. Ihnen wollen wir durch einzelne, exemplarische Stimmen in diesem Buch Gehör verschaffen.
Doch wie sollten wir unter den aktuell über 4000 am Goethe-Institut Beschäftigten und den vielen ehemaligen Mitarbeiterinnen auswählen? Diese Herausforderung verstärkte sich durch den straffen Zeitrahmen des Buchprojekts noch zusätzlich: Der Plan, das Buch innerhalb von nur zehn Monaten rechtzeitig zum siebzigjährigen Jubiläum im Herbst 2021 fertigzustellen, war ohnehin ambitioniert. Dazu kam, dass die Coronapandemie die Recherche in mancher Hinsicht einschränkte. Zwar konnten viele Gesprächspartnerinnen per Videokonferenz vom Schreibtisch im Institut oder von zu Hause aus interviewt werden. Doch fehlten das Mehr an atmosphärischem Kontext und die für eine ethnologische Forschung unverzichtbaren unverhofften Einblicke, die eine Präsenzforschung ermöglicht und die dann oft erst den Impuls zu intensiverem Nachfragen bieten. Doch selbst mit mehr Zeit und der Möglichkeit, einzelne Institute zu besuchen und ihre Teams kennenzulernen, hätten wir eine strenge Auswahl für unsere Recherche vornehmen müssen. Siebzig Jahre Organisationsgeschichte mit Tausenden von Mitarbeiterinnen und mehr als hundertfünfzig Standorten lassen sich nur in fragmentarischen Ausschnitten erfassen. Insofern eröffnet unser Buch Einsichten, die durch künftige Forschungen zu ergänzen wären.
Marie-Christin Gabriel(3) hat fünfundzwanzig berufsbiografisch angelegte Interviews, Carola Lentz(1) zahlreiche eher informelle Gespräche geführt. Unsere Gesprächspartnerinnen waren ehemalige Generalsekretäre und der amtierende Generalsekretär, Instituts- und Regionalleiterinnen, Mitarbeiter in der Zentrale in München, in den unterschiedlichen Abteilungen, aber auch lokale Mitarbeiterinnen an den Auslandsinstituten. Manche standen und stehen im öffentlichen Rampenlicht, andere agierten und agieren eher im Verborgenen. Alle wirkten und wirken sie an der Geschichte des Instituts mit.
Der Zufall spielte sicher ebenso eine Rolle bei unserer Auswahl von Gesprächspartnern wie das Schneeballprinzip, wenn uns die ersten Interviewten auf andere Kolleginnen hinwiesen, mit denen wir auch noch unbedingt sprechen sollten. Unsere Auswahl von Stimmen war dann zum einen auch von unserem Interesse angeleitet, unterschiedliche Generationen und Mitarbeiter in unterschiedlichen Funktionen und mit verschiedener Herkunft zu Wort kommen zu lassen. Wir wollten für die einzelnen Phasen der Institutsgeschichte Typisches erfassen und uns einen möglichst facettenreichen Überblick über die verschiedenen Aufgabenbereiche verschaffen. Zum anderen aber ging es uns auch um individuelle Kreativität und die Frage, wie besondere historische Momente von einzelnen Personen erfahren wurden und erinnert werden.
Wir haben mit nur relativ wenigen externen Kooperationspartnern oder Teilnehmerinnen an Institutsaktivitäten gesprochen, und man könnte fragen, ob wir damit nicht Gefahr laufen, ein kritikloses Bild des Instituts aus seiner Innensicht zu zeichnen. Fragen rund um die Wirkung von Auswärtiger Kulturpolitik und wie sie sich evaluieren lässt, sind ein wichtiges eigenständiges Thema, dem wir hier aber nicht gerecht werden können.[26] Doch hatten wir keineswegs den Eindruck, dass unsere Gesprächspartner unkritisch gegenüber ihrer eigenen Organisation waren, im Gegenteil: Wir haben viel differenzierte Selbstkritik gehört. Manchmal schien der kritische Blick ehemaliger Mitarbeiterinnen einer gewissen Verklärung der eigenen idealistischen Sturm-und-Drang-Phase geschuldet, wie sie in biografischen Interviews nicht selten vorkommt. Doch meist wurden uns nüchtern kritische und distanzierte Analysen von Herausforderungen und Leistungen, aber auch Desideraten der Institutsarbeit präsentiert. Insgesamt, so hoffen wir, machen wir unterschiedliche Perspektiven von Menschen aus verschiedenen Generationen, mit unterschiedlichen Hintergründen und diversen Erfahrungen sichtbar.[27]
Die Kapitelfolge orientiert sich im Großen und Ganzen an der Chronologie der bundesrepublikanischen Geschichte; Zäsuren setzen wir dort, wo weltpolitische oder innenpolitische Umbrüche Neuorientierungen im Institut angestoßen haben. Natürlich gibt es auch Kontinuitäten, und nicht immer sind die Übergänge von einer zur nächsten Phase klar auf ein einzelnes Jahr zu datieren oder gar mit einem einzigen Ereignis in Verbindung zu bringen. Dass nicht nur die »große« Politik, sondern vor allem auch die Arbeit und Kreativität der Mitarbeiterinnen die Institutsgeschichte vorangetrieben haben, spiegelt sich im Aufbau der Kapitel. Auf einen Überblick über die großen politischen Entwicklungslinien und die Veränderungen am Institut folgt jeweils ein Abschnitt, in dem einzelne Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausführlich zu Wort kommen (eine Ausnahme stellt das erste Kapitel dar, das einen Zeitraum behandelt, zu dem sich keine Zeitzeugen fanden). Ihre spezifischen Erfahrungen stehen exemplarisch für einige der Themen und Herausforderungen, die in der jeweiligen Periode besonders relevant waren. Zugleich zeigen diese skizzierten Mitarbeiterbiografien, dass Impulse für Neuerungen immer wieder aus der »Peripherie« des weltweiten Institutsnetzwerks kamen und kommen und dann mit den Mitarbeiterinnen an neue Einsatzorte und in die Münchener Zentrale getragen werden.
Nicht zuletzt aufgrund dieser durch die Welt reisenden Ideen, die die Arbeit des Goethe-Instituts prägen, greifen wir bei unseren Kapiteltiteln Metaphern von Schiffen und Seefahrt auf. Damit wollen wir aber nicht ein Bild des Goethe-Instituts als einer neo-kolonialen Unternehmung aufrufen, die in ihrer siebzigjährigen Geschichte immer neue Anlaufstationen jenseits des »Heimathafens« in München(1) gebaut hat. Zwar harrt die Frage, wie sich die Gründung von Goethe-Instituten speziell in den unabhängig gewordenen, ehemaligen europäischen (und auch deutschen) Kolonien in den 1950er und 1960er Jahren gestaltete, noch der kritischen Aufarbeitung. Doch eins scheint sicher: Auch wenn das Goethe-Institut deutsche Orchester, Dichter, bildende Künstlerinnen oder Filmemacher in die Welt schickte und heute noch schickt, ging es von Anfang an nicht nur um Kulturexport, sondern auch um Begegnungen und Austausch mit lokalen Künstlerinnen und Intellektuellen. Noch bevor dies später als programmatische Leitlinie formuliert wurde, ging die Bewegung von künstlerischer und sprachlicher Kreativität nie nur von Deutschland(9) aus hinaus in die Welt, sondern immer auch umgekehrt. Von den Instituten in aller Welt gelangten immer auch Erfahrungen und kulturelle Schätze nach Deutschland. Viele Filmschaffende, Musikerinnen, Dichter und Theatermacherinnen schlossen durch das Goethe-Institut internationale Freundschaften, die ihre Arbeit bereicherten und ihnen neue Horizonte und neue Perspektiven auf die Welt und das eigene Land eröffneten.
Insofern schien uns die Metaphorik der Seefahrt passend. Sie fasst auch, so meinten jedenfalls einige unserer Gesprächspartner, die persönlichen Erfahrungen der entsandten Mitarbeiterinnen ganz treffend zusammen. Als Institutsleiterin in ein neues Land zu gehen, so der Tenor, komme durchaus einer Entdeckungsreise gleich. Außerdem nutzt das Goethe-Institut in seiner symbolisch-bildlichen Selbstdarstellung eine Weltkarte, mit darin markierten Standorten der Institute, ähnlich wie sie auch im Vorsatz in diesem Buch abgebildet ist. Auch diese »Goethe-Weltkarte« transportiert durchaus Assoziationen von Häfen. Das Goethe-Institut arbeitet seit Langem dezentralisiert; es gleicht, um im Bild zu bleiben, einer Flotte, die gemeinsam mit fremden Schiffsverbänden auf verschiedenen Meeren unterwegs ist und den Kompass stets neu kalibriert. Dabei kommt es manchmal zu Irrfahrten und Turbulenzen, und die einzelnen Schiffe verfolgen mitunter unterschiedliche Kursrichtungen; in jedem Fall aber treffen Menschen aufeinander, tauschen sich aus und inspirieren sich gegenseitig.
Das ist auch die zentrale Botschaft, die wir mit unserem Buch vermitteln wollen: Die Menschen, die diese Organisation gestalten, sind deren entscheidende Ressource. Von den lokalen Instituten und ihren kulturellen Netzwerken in aller Welt gehen wichtige Impulse aus; dort werden Ideen geboren, die sich verbreiten, sich an neue Kontexte anpassen, Strukturveränderungen anregen und politische Herausforderungen kreativ bearbeiten helfen. Ebenso wichtig sind die Mitarbeiterinnen in der Zentrale des Goethe-Instituts, die in den unterschiedlichen Abteilungen überhaupt erst die notwendigen Rahmenbedingungen für die Arbeit an den Instituten schaffen. Unseren Eindruck vom Goethe-Institut als einem durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lebenden, wandlungsfähigen Organismus wollen wir den Leserinnen dieses Buches nahebringen, wenn wir sie nun auf eine Reise durch die vergangenen sieben Jahrzehnte mitnehmen.
1
Die Anfänge des Instituts
Die Geburtsstunde des Goethe-Instituts wird heute gemeinhin auf die Gründungssitzung des »Goethe-Instituts zur Förderung ausländischer Deutschlehrer e. V.« am 9. August 1951 datiert. Das war nicht immer so. So feierte der Verein 1957 sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen und berief sich dabei auf die Traditionslinie zum 1932 gegründeten Goethe-Institut der Deutschen Akademie,[1] einer der größten Organisationen der Auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands(10) in der Weimarer Republik(3) und im Nationalsozialismus. Die Deutsche Akademie – 1925 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München(2) mit dem Ziel eingerichtet, die deutsche Kultur zu erforschen und in die Welt zu tragen – spielt heute im institutionellen Gedächtnis des Goethe-Instituts kaum eine Rolle. Doch war sie wegweisend für die Gründung des neuen Goethe-Instituts. An sie anzuknüpfen, erlaubte den Gründungsvätern des Goethe-Instituts (Gründungsmütter gab es kaum), auf vorhandene Erfahrungen und Netzwerke aufzubauen. Allerdings war das Erbe der Vorgängerorganisation, die unter dem nationalsozialistischen Regime ihre Hochphase erlebt hatte, auch schweres Gepäck. Aus heutiger Sicht gibt es zwischen der Deutschen Akademie und dem 1951 gegründeten Goethe-Institut überraschende Parallelen und Kontinuitäten.
Die Gründung der Deutschen Akademie wurde 1923 von Lothar Freiherr von Ritter zu Groenesteyn(1) angeregt, der als Gesandter in Paris(1) die erfolgreiche Kulturpolitik der »Grande Nation« kennengelernt hatte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland(11) setzte sich der gebürtige Bayer für die Einrichtung eines deutschen Kulturinstituts nach französischem Vorbild ein, das im Ausland für die deutsche »Kulturnation« werben sollte. Das, so seine Überlegung, könne einen Beitrag dazu leisten, Deutschlands(12) Ansehen in der Welt nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Vertrag von Versailles wiederherzustellen. Es sollte auch zu dem beitragen, was man heute als interne Nationenbildung bezeichnen würde – in Groenesteyns Worten: Ein deutsches Kulturinstitut könne »auch den Deutschen selbst ein stärkeres einheitliches kulturelles Bewusstsein vermitteln« und die »als Folge des Ersten Weltkrieges mehr denn je innerlich zerrissene Nation … einen«.[2]
Groenesteyns(2) Idee wurde von Professoren der Münchener Universität umgesetzt, darunter Georg Pfeilschifter(1), Kirchenhistoriker und Rektor der Universität, der der erste Präsident der Deutschen Akademie war. 1924 wurde die »Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums/Deutsche Akademie« in das Münchener Vereinsregister eingetragen und bezog Räumlichkeiten in der Residenz am Odeonsplatz(3); die offizielle Gründungsfeier fand am 5. Mai 1925 statt. Zwei wichtige Mitarbeiter der ersten Stunde waren Franz Thierfelder(1), ab 1925 Pressereferent und ab 1929 Generalsekretär der Deutschen Akademie, und Richard Fehn(1), ab 1932 Hauptgeschäftsführer. Beide sollten später auch bei der Gründung des Goethe-Instituts 1951 federführend sein.[3]
Die Deutsche Akademie wurde von einem Präsidium, einer Geschäftsstelle und einem beratenden Senat mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Kultur geleitet; eine wissenschaftliche Abteilung forschte und publizierte über das Deutschtum; eine praktische Abteilung sollte die Kenntnisse im In- und Ausland verbreiten, vor allem – entgegen Groenesteyns(3) ursprünglicher Idee – unter im Ausland lebenden Deutschen. Die Aktivitäten der Akademie waren breit aufgestellt, ohne klares Aufgabenprofil, und es mangelte an einer effizienten Öffentlichkeitsarbeit und folglich an finanzieller Unterstützung. Die Akademiemitglieder bestanden zunächst auf finanzielle Unabhängigkeit, sahen sich aber schließlich doch gezwungen, staatliche Gelder und Unterstützung aus der Wirtschaft zu suchen. Allerdings konkurrierte die Deutsche Akademie dabei mit anderen Organisationen mit ähnlichem Tätigkeitsfeld, wie etwa dem Deutschen Ausland-Institut (heute Institut für Auslandsbeziehungen).[4]
Um der Akademie mit einem Alleinstellungsmerkmal Gelder zu sichern, forcierte Thierfelder(2) ab 1928/29 eine Neuausrichtung: Die Akademie sollte fortan primär Nicht-Deutsche adressieren und sich auf die Spracharbeit konzentrieren, die bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Es gab kaum deutsche Organisationen, die Spracharbeit im Ausland betrieben, und folglich bot sich dieses Feld als vielversprechende Nische an.[5] Der neue Schwerpunkt der Deutschen Akademie war richtungsweisend, und Thierfelder(3) suchte dafür die Kooperation mit dem Auswärtigen Amt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Auswärtige Amt zur Förderung des damals sogenannten Auslanddeutschtums mit nicht-staatlichen Einrichtungen zusammengearbeitet, nicht zuletzt, weil das Kostenersparnisse bedeutete. Vereine sicherten auch eine relative Konstanz im Personal, die im Rotationsdienst beschäftigte Diplomaten nicht bieten konnten. Und schließlich versprach man sich von der relativen Staatsferne mehr Empfänglichkeit aufseiten der Gastländer für die Angebote rund um das Deutschtum. Thierfelder war erfolgreich: Das Auswärtige Amt, an der »Wiederherstellung der deutschen Großmachtstellung« interessiert, bot ihm zunächst unter der Voraussetzung der Geheimhaltung die Kooperation an und erklärte sich bereit, die Arbeit der Akademie zu bezuschussen.[6]
Damit schritt der Ausbau der Spracharbeit an der Deutschen Akademie voran. 1930 veranstaltete die Akademie erstmals Fortbildungen für Deutschlehrer aus Ländern des Balkans. Ab 1931 wurden erste Sprachinstitute im Ausland, sogenannte Lektorate, eröffnet – ebenfalls vor allem in den Balkanstaaten –, die auch ein überschaubares Kulturprogramm anboten. Die regionale Schwerpunktsetzung auf die Balkanregion entsprach dem Kurs des Auswärtigen Amts. Der Balkan hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg als Region gegolten, in der sich Deutschland(13)[7]