Dem Geheimnis des Niger auf der Spur
Herausgegeben von Heinrich Pleticha
Mungo Park
Einführung
Mungo Parks erste Reise im Inneren von Afrika
Erster Abschnitt
Zweiter Abschnitt
Dritter Abschnitt
Vierter Abschnitt
Fünfter Abschnitt
Sechster Abschnitt
Siebter Abschnitt
Achter Abschnitt
Neunter Abschnitt
Zehnter Abschnitt
Elfter Abschnitt
Zwölfter Abschnitt
Dreizehnter Abschnitt
Vierzehnter Abschnitt
Fünfzehnter Abschnitt
Sechzehnter Abschnitt
Siebzehnter Abschnitt
Achtzehnter Abschnitt
Neunzehnter Abschnitt
Zwanzigster Abschnitt
Einundzwanzigster Abschnitt
Zweiundzwanzigster Abschnitt
Dreiundzwanzigster Abschnitt
Mungo Parks zweite Reise im Inneren von Afrika
Erster Abschnitt
Zweiter Abschnitt
Dritter Abschnitt
Vierter Abschnitt
Fünfter Abschnitt
Das Tagebuch Isaakos
Amadi Fatoumas Bericht
Fortsetzung von Isaakos Tagebuch
Anhang
Worterklärungen
Quellenverzeichnis
Köcher und Pfeil eines Bambarra-Häuptlings
Im Jahre 1788 wurde in London die »British Association for promoting the discovery of the interior parts of Africa« gegründet. Diese »British African Association«, auf Deutsch »Afrikanische Gesellschaft«, wie man sie allgemein kurz nannte, hatte nichts mit den zahlreichen Handelsgesellschaften dieser Zeit zu tun. Sie wollte, wie die Gründungsakte betont, die Zivilisation der Eingeborenen heben und den Sklavenhandel bekämpfen, vor allem aber die Erforschung Innerafrikas vorantreiben.
Bis zu diesem Zeitpunkt war von Afrika so wenig bekannt, dass es nicht nur wegen seiner Bewohner mit Recht der »dunkle Erdteil« genannt werden durfte. Die Fahrten der portugiesischen Entdecker hatten in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts wenigstens die Küsten erschlossen und ein verhältnismäßig klares Bild der Umrisse des Erdteils erbracht. Gelegentlich waren Händler und Missionare ein Stück in das Innere vorgedrungen. So hatte beispielsweise schon 1613 der Jesuit Pedro Paez den Tanasee in Äthiopien als den Quellsee des Blauen Nils entdeckt. Aber solche Reisen bildeten Ausnahmen. Auch Nachrichten arabischer Händler über Innerafrika gelangten an die Küste, erbrachten aber nur ungenaue Vorstellungen, sodass schon Jonathan Swift (1667–1745), der geniale Autor von »Gullivers Reisen«, über die Karten Afrikas spötteln konnte:
»Geographers in Afric maps
With savage pictures fill their gaps
And over inhabitable downs
Place elephants, for want of towns.«
(Das heißt: »Die Geografen füllen auf den Karten Afrikas ihre Lücken mit wilden Zeichnungen und malen in unbewohnbare Flächen aus Mangel an Städten Elefanten ein.«) Erst 1749 fasste der französische Kartograf Bourguignon d’Anville (1697–1782) die Kenntnisse seiner Zeit in einer für die damaligen Verhältnisse gründlichen, wissenschaftlich fundierten Karte zusammen. Die riesigen weißen Flecken im Innern konnte er dabei allerdings auch nicht ausmerzen.
Glücklicherweise waren die Mitglieder der »African Association« keine Fantasten, sondern gingen bei ihren Planungen sehr methodisch vor und setzten von vornherein einige Schwerpunkte, zu denen vor allem die Erforschung des Nigers gehörte. Hier mochte nicht zuletzt das Interesse an der geheimnisumwobenen Handelsmetropole Timbuktu mitspielen. Nachrichten über Größe, Macht und Reichtum dieser Stadt, der alten Residenz der Songhai-Herrscher, waren längst nach Europa gedrungen, bisher hatte sie aber noch kein Weißer erreicht. Man wusste nur, dass sie an einem großen, nach Osten fließenden Strom lag, der entweder in einem See – dem nur vage bekannten Tschadsee – mündete oder einen Nebenfluss des Nils bildete. Zwar war schon seit dem 16. Jahrhundert das Mündungsdelta des Nigers bekannt, ob und wie aber dieser Fluss mit dem Stromsystem des Sudans zusammenhing, wusste niemand zu sagen.
Die ersten vier Expeditionen der »African Association« nach Innerafrika scheiterten. Der britische Major Houghton, der den Lauf des Nigers erforschen und nach Möglichkeit bis Timbuktu vordringen sollte, war unterwegs ermordet worden. Deshalb übertrugen die Herren in London diese Aufgabe nun dem erst zweiundzwanzigjährigen schottischen Arzt Mungo Park.
Park war am 10. September 1771 als siebtes Kind eines Packers in Powlshiels bei Selkirk in Schottland geboren worden. Nach dem Medizinstudium in Edinburgh war er 1792/93 als Schiffschirurg nach Sumatra gereist und nach seiner Rückkehr in die Dienste der »African Association« getreten. Nach sorgfältigsten Vorbereitungen und Studien in London reiste er schließlich am 22. Mai 1795 von Portsmouth aus mit dem Handelsschiff »Endeavour« an den Gambia und erreichte am 21. Juni den kleinen Hafen Dschillifrih. Hier setzt sein Reisebericht ein, in dem er ausführlich alle Erlebnisse bis zum Juni 1797 schildert.
Am Weihnachtstag des gleichen Jahres traf er wieder in London ein, wo seine Rückkehr eine Sensation bildete. Die Londoner Gesellschaft riss sich geradezu um ihn, doch zeigte er sich sehr zurückhaltend und wortkarg. »Er benimmt sich wie ein Negerkönig«, warf ihm eine seiner zahlreichen Gastgeberinnen vor.
Mungo Parks erste Reise 1795–1797
Schon im Sommer des folgenden Jahres überreichte er der »African Association« seinen ersten Rechenschaftsbericht, den er dann zusammen mit Brian Edwards, dem Sekretär der »African Association« ausarbeitete. Man ist verschiedentlich der Frage nachgegangen, welchem der beiden Männer die größeren schriftstellerischen Verdienste an den ungemein lebendigen und farbigen Schilderungen zukommen. Edwards selbst hob hervor, dass Park nach anfänglichen Schwierigkeiten ein beachtenswertes schriftstellerisches Talent entwickelt habe. Die weitgehend unbearbeiteten Aufzeichnungen der zweiten Reise lassen daran allerdings wieder Zweifel aufkommen; denn selbst in diesen einfachen Niederschriften hätte sich dieses Talent doch wenigstens einigermaßen äußern müssen. An den großartigen Leistungen Parks mindern solche Fragen nichts, ebenso wenig an dem Vergnügen, das die Lektüre seines Buches bereitet, das 1799 erschien und dessen erste Auflage in Höhe von 1500 Exemplaren innerhalb einer Woche verkauft war.
Deutlich zeigte sich, dass mit Park nicht nur eine neue Epoche in der Erforschung Afrikas begonnen hatte, sondern dass er auch der Reiseliteratur neue Impulse gab. Gewiss war er noch in starkem Maße dem Denken der Aufklärungszeit verhaftet, wenn er sich etwa mit Problemen der Zivilisierung der Negervölker auseinandersetzt. Seine Auffassung, dass die Farbigen Barbaren seien, solange sie dem Heidentum verfallen bleiben, spiegelt sogar das alte Denken der spanischen Konquistadoren des 16. Jahrhunderts, das im Grundsätzlichen von jenen anderen europäischen Nationen übernommen wurde, die eine Rechtfertigung ihres Kolonialismus suchten.
Aber er zeigt auch schon Verständnis für den Afrikaner, lehnt Pauschalurteile über ihre allgemeine Trägheit ab und sucht eine Erklärung dafür aus den klimatischen Verhältnissen zu geben. Die Habgier mancher Farbiger, unter der er so schwer zu leiden hatte, entschuldigt er aus der vergleichbaren Haltung ärmerer Bevölkerungsschichten in England. Mitfühlend beschreibt er die Trauer einer Mutter um den getöteten Sohn oder den Schmerz einer jungen Sklavin, die überraschend verkauft wird.
Sein besonderes Interesse gilt zwar naturwissenschaftlichen Problemen, doch liefert er auch gute ethnologische Beiträge. Wichtig – und im Allgemeinen viel zu wenig beachtet – sind seine Beobachtungen zum innerafrikanischen Sklavenhandel. Hier geht er sogar auf die historischen Ursprünge ein, analysiert die verschiedenen Arten der Sklaverei und ermöglicht Einblicke in die Bevölkerungsschichten. Sein Bericht über den Weg einer Sklavenkarawane aus dem Innern an die Küste gehört zusammen mit den späteren Schilderungen seines Landsmannes David Livingstone (1813–1873) zu den erschütterndsten und zugleich wichtigsten Aussagen eines europäischen Augenzeugen über die afrikanische Sklaverei. Wenig Beachtung dagegen schenkte er, wie seine Vorgänger und wie viele spätere Forscher, historischen Fragen. Immerhin bereiste er Gebiete, die im Mittelalter zu afrikanischen Großreichen gehörten. Noch konnten nicht alle Spuren der Vergangenheit ausgelöscht sein, doch scheinen sie ihn nicht interessiert zu haben. Am wichtigsten waren natürlich die geografischen Ergebnisse seiner Reise, so knapp sie sich auch in wenigen Worten zusammenfassen lassen. Er hatte nachweisen können, dass kein Zusammenhang zwischen den Stromgebieten der westwärts gerichteten Flüsse Senegal und Gambia und dem nach Osten fließenden Niger bestand. Die Breite des Stromes, den er von Sego aus noch etwa hundertzwanzig Kilometer abwärts verfolgte, ließ darüber hinaus den Schluss zu, dass kein Zusammenhang mit dem Nil bestand.
Mit der Veröffentlichung des Reiseberichts sah Park seine Aufgabe als erfüllt an. Kurz nach Erscheinen des Buches heiratete er im Sommer 1799 und ließ sich für die nächsten Jahre in Schottland nieder. Die Einnahmen aus seinem Buch und das Honorar der »African Association« ermöglichten ihm ein sorgenfreies Leben, und so ist es durchaus verständlich, dass er Vorschläge der britischen Regierung ablehnte, sich als Arzt in der Kolonie Neu-Südwales niederzulassen. 1801 übernahm er eine bescheidene Landpraxis in Peebles/Schottland.
Im gleichen Jahr schrieb ihm Sir Joseph Banks, der Präsident der »African Association«, dass diese zusammen mit der Regierung eine neue Forschungsreise an den Niger ausrichten wolle und man beabsichtige, ihm die Leitung zu übertragen. Die Verhandlungen zogen sich noch bis 1803 hin. Obgleich ihm einige Nachbarn, unter ihnen der große schottische Dichter Walter Scott (1771–1832), abrieten, entschloss er sich doch, das Angebot anzunehmen. Die Vorbereitungen waren diesmal dank der persönlichen Erfahrungen Parks ungemein gründlich. Sein Schwager Alexander Anderson und der Zeichner George Scott sollten ihn zusammen mit einigen Schiffszimmerleuten und Handwerkern von England aus begleiten. Am 30. Januar 1805 schifften sie sich in Portsmouth ein und erreichten sieben Wochen später die afrikanische Westküste. In den Briefen, die Park von unterwegs an seine Familie und an Mitglieder der »African Association« schrieb, zeigte er sich ungemein zuversichtlich. Er hatte nach wie vor alle gut gemeinten Warnungen zurückgewiesen, glaubte fest an den Erfolg seines Unternehmens. Wieder wollte er den Weg ostwärts vom Senegal bis nach Sego am Niger wählen, dort mit den ihn begleitenden Handwerkern ein größeres Boot zimmern und dem Strom flussabwärts bis zur Mündung folgen. Zum Schutz des ganzen Unternehmens sollte ihn ein Trupp Kolonialsoldaten begleiten.
Diese auf Weisung des Kolonialministeriums abkommandierte Schar bestand aus Leutnant Martyn und fünfunddreißig altgedienten Soldaten des Afrikanischen Korps, die in Kaye (bei Kisania) zu ihm stießen. Man scheint ihm von vornherein nicht die besten Leute gegeben zu haben, denn nur so sind die so rasch einsetzenden Verluste überhaupt zu erklären. Überhaupt stand das ganze Unternehmen unter einem denkbar unglücklichen Stern, doch lag ein erheblicher Teil der Schuld bei Park selbst. Er hätte aufgrund seiner Erfahrungen erst die bevorstehende Regenzeit abwarten und den Aufbruch in das Innere um sechs Monate verschieben müssen. In seinem übertriebenen Optimismus unterschätzte er aber die Schwierigkeiten und überschätzte wohl auch das Leistungsvermögen und den Gesundheitszustand seiner europäischen Begleiter.
Die Karawane, die am 27. April 1805 von Kaye aufbrach, bestand aus Park, Anderson, Scott und vier Schiffszimmerleuten, Leutnant Martyn mit seinen fünfunddreißig Soldaten und einem Mandingoführer namens Isaako. Das umfangreiche Gepäck war auf zweiundvierzig Esel verladen.
Mögen die Aufzeichnungen über die nun folgende Reise kaum mit den farbigen Schilderungen des ersten Reiseberichts konkurrieren können, so sind sie doch das erschütternde Dokument eines fehlgeplanten Unternehmens. Während der bald nach dem Abmarsch ausgebrochenen Regenzeit mit ihren schweren tropischen Gewittern erkrankten die meisten Leute und starben unterwegs. Die scheinbare Gefühllosigkeit Parks, mit der er diese Todesfälle registriert und über sie hinweggeht, lässt sich wohl nur aus den ungeheuren Anstrengungen erklären, die er aufwenden musste, um die Karawane wenigstens einigermaßen zusammenzuhalten und weiterzuführen. Immerhin war es die erste größere Forschungsexpedition dieser Art, und Park hatte keine Erfahrungen im Führen einer Gruppe. Noch siebzig Jahre später musste Henry Morton Stanley (1841–1904) bei seinen Expeditionen durch den Kongo-Urwald mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen, weil auch er die Kräfte und die Energie seiner europäischen Begleiter überschätzte.
Als die Karawane nach knapp vier Monaten, sieben Wochen später als ursprünglich vorgesehen, am 19. August den Niger erreichte, lebten nur noch Park, Anderson, Scott, Martyn und sieben Soldaten, fast alle mehr oder weniger krank. Angesichts dieser Tatsache befremdet die Notiz Parks in seinem Tagebuch: »Es gewährte mir aber doch eine gewisse Genugtuung, feststellen zu können, dass ich einen Trupp Europäer samt vielem Gepäck über eine Strecke von mehr als fünfhundert Meilen geführt und dabei immer gute Beziehungen mit den Eingeborenen gehalten hatte.« Kein Wort der Klage über die hohen Ausfälle!
Während Park zusammen mit einem Soldaten aus mehreren Eingeborenenbooten ein flusstüchtiges Fahrzeug zusammenzimmerte, starben auch Anderson und Scott sowie weitere vier Soldaten. Bis zum 15. November waren alle Vorbereitungen abgeschlossen. Die Reise sollte am folgenden Tag beginnen, doch scheint sie sich noch etwas verzögert zu haben, denn der letzte Brief an seine Frau, den er den Tagebuchaufzeichnungen beifügte, trägt das Datum des Neunzehnten. Darin schrieb er: »Ich befürchte, dass Du aus weiblicher Furcht und der Ängstlichkeit einer Gattin Dir meine Lage viel schlimmer denkst, als sie wirklich ist. Es ist freilich wahr, meine geliebten Freunde, Anderson und Scott, haben beide von dieser Welt Abschied genommen; und der größte Teil der Soldaten ist während der Regenzeit auf der Reise gestorben; aber, glaube mir, ich selbst befinde mich recht wohl. Der Regen ist nunmehr völlig vorüber, und die gesunde Jahreszeit hat angefangen, sodass nichts von Krankheit zu fürchten ist; auch habe ich noch immer Macht genug, mich auf der Fahrt den Fluss hinab vor jedem Anfall zu schützen.
Wir haben alle unsere Sachen bereits eingeschifft und werden in dem Augenblick, wo ich diesen Brief geendigt habe, absegeln. Ich bin nicht willens, irgendwo anzuhalten oder zu landen, bis wir die Seeküste erreicht haben, was ungefähr gegen Ende Januar geschehen wird. Wir schiffen uns dann auf dem ersten nach England gehenden Fahrzeug ein. … Ich halte es nicht für unmöglich, dass ich noch eher in England sein werde, als Du dies erhältst. Sei überzeugt, dass ich mich glücklich fühle, wieder heimwärts zu fahren. Diesen Morgen wurde der Verkehr mit den Eingeborenen eingestellt, und jetzt zieht man die Segel auf zur Abreise nach der Küste.«
Das waren die letzten Zeilen aus der Hand des Forschers. Seine Briefe und das Tagebuch wurden von Isaako an die Küste gebracht und von da nach England geschickt. Dann hörte man nichts mehr.
Erst im Lauf des Jahres 1806 kamen Gerüchte aus dem Innern, wonach Park und seine Begleiter unterwegs ermordet worden seien. Der britische Gouverneur von Senegal beauftragte nun Isaako mit Nachforschungen am Niger. Dieser brach Anfang 1810 auf und kehrte nach zwanzig Monaten im Herbst 1811 an die Küste zurück. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen übergab er in einem arabisch geschriebenen Tagebuch. Obgleich er mit der Aussage von Parks letztem Eingeborenenführer Amadi Fatouma einen Augenzeugenbericht vom Tod des Forschers und seiner letzten Begleiter liefert, bleiben doch Fragen und Zweifel offen. Merkwürdig erscheint vor allem die Behauptung, Park habe erklärt, nicht mehr in das Gebiet von Yaour zurückkehren zu können. Demnach hätte ja Amadi eigens einen Boten zu dem auf dem Schiff wartenden Park schicken müssen, um diese Auskunft einzuholen, die in ihrer Art nicht den sonstigen Äußerungen des Forschers entspricht. Ausgerechnet davon die Ermordung abhängig zu machen, erscheint widersprüchlich. Ebenso unwahrscheinlich ist die Behauptung, dass sich im Boot nur noch eine Art Gürtel befunden habe, den der Eingeborene eigens nach achtmonatiger Reise zurückgebracht habe. Hier trägt Isaako wieder zu stark auf, dramatisiert eine Kleinigkeit, um entweder von wichtigeren Dingen abzulenken oder um die Tatsache zu verschleiern, dass er in Wirklichkeit gar nichts erfahren hatte.
In England verzögerte sich die Veröffentlichung der Tagebuchaufzeichnungen unverhältnismäßig lange. Sie erschienen erst 1815 unter dem Titel »The Journal of a Mission to the Interior of Africa«. Das brennende Interesse weiter Kreise an den Reisen und Schicksalen des Forschers hatte allerdings einen deutschen Verleger nicht ruhen lassen. Schon 1807, zu einem Zeitpunkt, an dem noch keine Einzelheiten über das Ende Parks bekannt waren, erschien in Hamburg ein Buch mit dem Titel »Mungo Parks neueste und letzte Reise ins Innere von Afrika nebst dem Tode dieses merkwürdigen Reisenden aus seinem Tagebuche und den Relazionen seiner übrig gebliebenen Gefährten niedergelegt bei der Afrikanischen Gesellschaft zu London. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Harry Wilkens. Vollständige Übersetzung«.
Mungo Parks erster (– – –) und zweiter (– – –) Reiseweg, 1795/97 bzw. 1805/06
Bis zum heutigen Tag immer wieder unter der Mungo-Park-Literatur zitiert, ist es in Wirklichkeit nur ein übler Trick eines geschäftstüchtigen Verlegers. Ob tatsächlich ein englisches Original dazu existiert, konnte nicht festgestellt werden. Da aber keines im Britischen Museum vorhanden ist, scheint vielmehr ein deutscher Autor die Nachrichten vom Tod des Forschers auf seine Weise ausgenutzt zu haben. In einer Zeit, in der selbst gebildete Kreise so gut wie nichts von Afrika wussten, konstruierte er eine Reise, die Park angeblich vom Sudan aus nach Äthiopien führte. Dafür schlachtete er ungeniert das kurz zuvor erschienene große Reisewerk von James Bruce (1730–1794) aus. Im letzten Viertel des Buches sprang er, wieder zeitgenössisches Material benutzend, an die afrikanische Westküste hinüber, um schließlich Park von der Goldküste aus irgendwo im Innern verschwinden zu lassen:
»Ich beschloss, weiter nordöstlich zu gehen. Nach einem Marsche von zehn Tagen hörte der fruchtbare Boden wieder auf, und eine schreckliche Wüste mit Flugsand dehnte sich vor unseren Augen. Meine Begleiter murrten und machten mir die bittersten Vorwürfe, die ich diesmal nicht ablehnen konnte. Man sprach von zu großen Aufopferungen und dass es unmöglich der Wille der afrikanischen Gesellschaft sei, Menschen hier in Wüsteneien zu schicken und verhungern zu lassen. Alles Zureden half nichts, und ich beschloss, mit einem Beispiel, das in solchen Fällen die beste Wirkung tut, voranzugehen.
Wohlan! sagte ich, ich kann euch nicht zwingen, mit mir zu gehen, aber ebenso wenig sollt ihr’s vermögen, mich zu zwingen, euch zu folgen. Ich habe meine erste Reise einsam und unter tausend Gefahren gemacht – auch jetzt komme ich zurück und bringe euch gute Nachricht. Wohlan, so könnt ihr folgen, wo nicht – so kehrt zurück.
Wir beredeten ihn vergebens, bei uns zu bleiben. Er eilte allein und im größten Zorne von uns. Bald verschwand er aus unseren Augen.
Zwei Tage hatten wir gewartet, als einige Neger uns begegneten, welche die uns wohlbekannten Kleider trugen. Sie konnten uns keine Auskunft geben, woher sie die Kleider bekommen hätten. Aber uns ward es mit einem Male deutlich genug: Mungo Park sei beraubt, wohl gar erschlagen. Weit konnte er nicht von uns sein. Wir brachen auf, und schon am Ende der ersten Tagereise fanden wir seine blutige Leiche in einem Felsentale. Er war von allen Kleidungsstücken beraubt und allen Anzeichen nach mit Keulen vor den Kopf geschlagen, denn seine Hirnschale war bei genauer Untersuchung zerschmettert. Wir begruben ihn sehr tief im Sand, und um seinen Körper keinen weiteren Misshandlungen auszusetzen, ebneten wir den Boden, sodass keine Spur vom Grabe sichtbar war. Spätere Nachrichten bestätigten unsere Vermutung. Ein König, dem er vorher vorgestellt worden war und der ihm alles in seinem Lande zeigen ließ, hatte ihn meuchelmörderisch umbringen lassen. Wir zogen nun wieder zurück nach unseren Faktoreien und kehrten mit dem nächsten Schiff nach England, da unsere Reise geendigt war.«
Die »African Association« setzte auch nach dem tragischen Ende der Expedition ihre Bemühungen um die Lösung des Nigerrätsels fort. Wenn die Angaben Isaakos und Amadis zutrafen, war das Boot etwa elfhundert Kilometer an Timbuktu vorbei flussabwärts gelangt. Wir wissen heute, dass damit nur noch achthundert Kilometer bis zur Flussmündung fehlten! Nach mehreren erfolglosen Unternehmen gelang es den Engländern Dixon Denham (1786–1828) und Hugh Clapperton (1788–1827), von Tripolis aus quer durch die Sahara bis in den Zentralsudan vorzustoßen und Sokoto, die Hauptstadt der Fulbe, zu erreichen. 1824 kehrten sie durch die Wüste wieder nach Norden zurück. Da zwischen den beiden Forschern ein Streit über den Lauf des Nigers entbrannte, ging Clapperton sogleich wieder nach Afrika und zog mit seinem Diener Richard Lander (1804–1834) von der Guineaküste aus nordwärts an den Niger und weiter nach Sokoto, wo er an der Ruhr starb. Damit war eine Verbindung der nördlichen und südlichen Reiseroute hergestellt. Das Werk vollendete dann der fünfundzwanzigjährige Lander, der 1830 erneut von der Guineaküste aus bis an den Niger vorstieß und ihn ungefähr an der Stelle erreichte, wo Mungo Park umgekommen sein muss. Von da aus fuhr er flussabwärts bis zur Mündung.
Unsere Ausgabe vereint die Berichte über beide Reisen sowie Ausschnitte aus den Aufzeichnungen des Mandingoführers Isaako. Sie geht auf die ersten deutschen Übersetzungen von 1799 und 1821 zurück. Bei der teilweise vom englischen Original abweichenden Namensschreibung wurde die deutsche Form gewählt. Die Texte sind nur leicht gestrafft und sprachlich geringfügig modernisiert.
Nicht aufgenommen wurden im 1. Teil ein Kapitel mit Nachrichten über die Küstenvölker (ursprünglich Abschnitt 2), einige überholte Aufzählungen afrikanischer Völkerschaften, ein Kapitel über die Sahara und ihre Tiere (ursprünglich Abschnitt 12) und einige Hinweise auf die Vorstellungen der Mandingos von der Erdgestalt. Im 2. Teil sind einige Aufzählungen von Geschenken, geografische Ortsbestimmungen, eine Beschreibung des Verfahrens der Indigo-Färberei und die Aufzählung der Stationen von Sego nach Miniana am Schluss des Tagebuches gestrichen.
HEINRICH PLETICHA
Faksimile des Titelblattes der deutschen Erstausgabe von Mungo Parks erstem Reisebericht
VERANLASSUNG ZUR REISE.
DER VERFASSER SCHIFFT SICH NACH AFRIKA EIN.
SEINE ANKUNFT UND AUFENTHALT IN
PISANIA BEI DR. LAIDLEY.
ABREISE VON DA IN DAS INNERE DES LANDES.
Als ich im Jahre 1793 aus Ost-Indien nach London zurückkam, suchte die Afrikanische Gesellschaft jemanden, der zur Erforschung Innerafrikas eine Reise den Gambia aufwärts versuchen sollte. Dies war mir eine erwünschte Nachricht; denn ich wollte gern ein so unbekanntes Land wie Afrika näher erforschen und den Charakter und die Lebensweise seiner Bewohner durch eigene Erfahrung kennenlernen. Ich bat also den Präsidenten der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, Sir Banks, der zugleich einer der Kommissare der Afrikanischen Gesellschaft war, dass er mich für dieses Unternehmen vorschlagen wolle. Zwar war Captain Houghton als mein unmittelbarer Vorgänger auf eben dem Weg, den ich jetzt einschlagen sollte, wahrscheinlich verunglückt. Er war nämlich von Fort Goree aus, wo er das Kommando führte, auf Veranlassung und Kosten der Gesellschaft zu dem jetzt mir vorgeschriebenen Zweck den Gambia hinaufgesegelt, doch hatte man schon lange keine Nachricht mehr von ihm erhalten, also war er vermutlich von dem ungesunden Klima hinweggerafft oder vielleicht gar von Eingeborenen ermordet worden. Allein dadurch ließ ich mich nicht abschrecken. Ich wusste, dass ich Beschwerlichkeiten aller Art ertragen konnte, und hoffte, dass mich meine Jugend und feste Gesundheit vor den Einwirkungen des Klimas schützen würden. Die Gesellschaft gab eine ansehnliche Besoldung an, die mir genügte, ohne dass ich wegen einer künftigen Belohnung im Voraus etwas festsetzte. Sollte ich auf meiner Reise umkommen, dachte ich, so sterben eben meine Erwartungen und Hoffnungen mit mir. Gelänge es mir aber, meine Landsleute mit der Geografie Innerafrikas bekannter zu machen und ihrer Betriebsamkeit durch bisher unbekannte Handelswege eine neue Quelle des Reichtums zu erschließen, so wusste ich, dass ich in den Händen ehrliebender Männer war, die mir den wohlverdienten Lohn meiner gelungenen Bemühungen nicht vorenthalten würden. Da die Gesellschaft mich mit den nötigen Kenntnissen für eine solche Reise hinreichend ausgerüstet fand und auch die Erkundigungen, die sie über mich einzog, zu meinem Vorteil ausfielen, so nahm sie mich in Dienst und verfuhr gegen mich in allen Stücken so zuvorkommend und freigebig, wie ich es nur wünschen konnte.
Ursprünglich war die Rede davon, dass ich bis nach Senegambia mit Herrn Willis reisen sollte, der dort zum Konsul ernannt worden war und mir in dieser Eigenschaft hätte nützlich werden können. Allein diese Aussicht wurde dadurch vereitelt, dass die Regierung die Konsulstelle einzog. Indes ersetzte mir die Vorsorge der Gesellschaft den von dieser Seite erhofften Vorteil auf andere Weise.
Der Sekretär der Gesellschaft, der verstorbene Henry Beaufoy, war so gütig, mir ein Empfehlungsschreiben an Dr. Laidley zu geben, der schon mehrere Jahre bei einer englischen Faktorei an den Ufern des Gambias lebte. Auch versah er mich mit einem Kreditbrief von zweihundert Pfund Sterling. Nachdem auf diese Weise alles eingeleitet war, begab ich mich an Bord der Brigg »Endeavour«, auf der ich die Überfahrt machen wollte. Es war ein kleines Schiff, das vom Kapitän Richard Wyath kommandiert wurde und Wachs und Elfenbein am Gambia einzuhandeln pflegte.
Meine Instruktion war einfach und bestimmt. Ich sollte bei meiner Ankunft in Afrika entweder durch Bambuk oder auf einem anderen bequemeren Weg bis zum Niger vorstoßen, dann den Lauf und womöglich den Ursprung und das Ende dieses Flusses erforschen und mein Möglichstes tun, die dort liegenden Orte zu besichtigen, besonders die Städte Timbuktu und Hussa. Dann sollte ich entweder auf dem Gambia oder auf irgendeinem anderen Wege, der mir meiner Lage und meinem Plane nach dazu am bequemsten erscheinen würde, nach Europa zurückkehren.
Am 22. Mai 1795 segelten wir von Portsmouth ab. Am 4. Juni erblickten wir die Gebirge von Afrika und gingen am 21. des gleichen Monats nach einer angenehmen Reise von dreißig Tagen bei Dschillifrih vor Anker. Dies ist eine Stadt am nördlichen Ufer des Gambias gegenüber der Jamesinsel, wo die Engländer vormals eine kleine Festung hatten.
Europäische Station an der westafrikanischen Küste und Sklavenschiff
Das Königreich Bara, in dem Dschillifrih liegt, ist überaus fruchtbar. Die Einwohner handeln vor allem aber mit Salz. Sie schiffen diese Ware in Booten den Fluss hinauf bis nach Barraconda und bringen indianisches Korn, Baumwollzeug, Elefantenzähne, ein wenig Goldstaub und andere Dinge mehr wieder dafür zurück. Die große Zahl der Boote und die vielen Leute, die beständig zu diesem Handel benötigt werden, lassen den König von Bara für die Europäer wichtiger sein als irgendeinen anderen Regenten in der Nachbarschaft des Flusses. Dieser Umstand ist wohl schuld daran, dass es sich dieser anmaßt, von allen Nationen, die hier handeln, hohe Eingangszölle zu erheben. Für jedes Schiff, es sei groß oder klein, müssen beinahe zwanzig Pfund Sterling erlegt werden. Dieser Zoll wird gewöhnlich vom Gouverneur von Dschillifrih selbst eingefordert. Bei diesem Geschäft hat er stets ein ansehnliches Gefolge von Eingeborenen bei sich, unter denen sich auch stets einige finden, die infolge des häufigen Umgangs mit Engländern etwas Englisch gelernt haben. Sie sind bei dieser Gelegenheit äußerst beschwerlich und betteln mit solcher Zudringlichkeit um alles, was ihnen in die Augen fällt, dass die Kaufleute gezwungen sind, ihnen alles zu geben, was sie nur verlangen, um sie wieder loszuwerden.
Am 23. fuhren wir von Dschillifrih zwei englische Meilen weiter nach Wintain, einer am südlichen Ufer des Flusses an einer Bucht gelegenen kleinen Stadt, die wegen ihres starken Handels mit Wachs von den Europäern häufig besucht wird. Das Wachs wird von den Felupen in den Wäldern gesammelt und hier zum Verkauf gebracht. Sie sind ein wildes, ungeselliges Volk, das einen Landstrich bewohnt, in dem außerordentlich viel Reis gedeiht. Die Kaufleute, die auf dem Gambia und auf dem Casamance Handel treiben, pflegen sich daher in diesem Land mit Reis, mit Ziegen und Federvieh zu versorgen, weil hier alles billig zu haben ist. Den Honig, den die Felupen sammeln, verbrauchen sie größtenteils selbst. Sie machen nämlich ein stark berauschendes Getränk daraus, fast wie unseren englischen Met.
Bei dem Handel mit den Europäern bedienen sich die Felupen gewöhnlich eines Maklers vom Volk der Mandingo, der etwas Englisch spricht und mit dem Verkehr auf dem Fluss Bescheid weiß. Dieser Makler schließt den Handel, gibt aber mit Vorwissen des Europäers den Felupen nur einen Teil der Zahlung, den Rest, der daher mit Recht das Truggeld heißt, lässt er sich erst auszahlen, wenn der Felupe schon wieder abgereist ist, und behält ihn für seine Mühe.
Am 26. verließen wir Wintain und setzten unsere Reise auf dem Fluss fort. Während der Ebbe gingen wir jedes Mal vor Anker, oft ließen wir uns auch von einem vorausgeschickten Ruderboot ziehen. Der Fluss ist tief und trüb, die Ufer sind mit undurchdringlichem Dickicht bewachsen, und das ganze umliegende Land scheint flach und sumpfig zu sein. Der Gambia ist sehr fischreich. Einige seiner Fischarten schmecken überaus gut, aber so wie ich mich erinnere, ist keine davon in Europa bekannt. An der Mündung gibt es viele Haifische und höher hinauf Krokodile und Flusspferde.
Am sechsten Tag nach unserer Abreise von Wintain erreichten wir Dschonkakonda, einen ansehnlichen Handelsplatz, wo unser Schiff einen Teil seiner Ladung einnehmen sollte. Am folgenden Morgen kamen die europäischen Kaufleute von den verschiedenen Faktoreien, um ihre Briefe in Empfang zu nehmen und sich nach Art und Wert der Ladung zu erkundigen. Der Kapitän schickte sogleich einen Boten an Dr. Laidley, um ihm von meiner Ankunft Nachricht zu geben. Dieser traf am nächsten Morgen in Dschonkakonda ein. Ich übergab ihm den Brief des Herrn Beaufoy, und er lud mich sogleich gastfrei ein, so lange in seinem Hause zu wohnen, bis ich eine Gelegenheit fände, meine Reise fortzusetzen. Dieses Anerbieten nahm ich dankbar an. Der Doktor verschaffte mir ein Pferd und einen Führer, sodass wir schon am 5. Juli von Dschonkakonda aufbrechen konnten und noch am gleichen Vormittag um elf Uhr bei der Wohnung meines Wirts ankamen.
Pisania ist ein kleines Dorf, das im Gebiet des Königs Jany liegt. Es besteht bloß aus einer englischen Faktorei und wurde auch nur von Engländern und deren schwarzen Sklaven bewohnt. Es liegt am Ufer des Gambias, sechzehn englische Meilen von Dschonkakonda entfernt. Bei meiner Ankunft wohnten außer dem Doktor nur noch zwei Weiße da, die Brüder Ainsley, aber diese drei Personen hatten eine zahlreiche schwarze Dienerschaft. Die kleine Siedlung stand unter dem Schutz des Königs, und die Europäer wurden von den Eingeborenen so geachtet und geehrt, dass sie alles zur Genüge hatten, was ihnen das Land bot. Auch ging der größte Teil des Handels mit Sklaven, Waffen, Elfenbein und Gold durch ihre Hände.
Da ich für einige Zeit bequem hierbleiben konnte, bemühte ich mich, die Mandingo-Sprache zu lernen, weil diese fast in ganz Afrika gesprochen wird und ich nicht hoffen konnte, ohne sie eine richtige Kenntnis vom Land und seinen Bewohnern zu erwerben. Dr. Laidley, der durch einen langen Aufenthalt im Land und durch den beständigen Umgang mit den Eingeborenen die Sprache meisterhaft beherrschte, stand mir beim Erlernen bei. Gleichzeitig suchte ich auch Erkundigungen über die Gegend einzuziehen, die ich besuchen wollte. Man verwies mich deshalb an die Slatihs. Dies sind schwarze freie Kaufleute, die in diesem Teil von Afrika im großen Ansehen stehen und aus dem Innern des Landes Negersklaven zum Verkauf bringen. Ich merkte bald, dass ich mich auf ihre Nachrichten eben nicht sehr verlassen konnte; denn einer widersprach immer wieder dem andern gerade in den wichtigsten Dingen, und keiner schien es gern zu sehen, dass ich meinen Weg weiter fortsetzen wollte. Diese Umstände vergrößerten aber nur meine Begierde, durch eigene Beobachtungen zur Wahrheit zu gelangen.
So verstrich mir die Zeit auf eine angenehme Weise, und schon schmeichelte ich mir, der Hoffnung, dem Fieber, dem fast jeder Europäer bei seinem ersten Besuch unter einem heißen Himmelsstrich ausgesetzt ist, entgangen zu sein. Unvorsichtigerweise aber setzte ich mich am 31. Juli dem Nachttau aus, als ich eine Mondfinsternis beobachten wollte, um die Länge des Orts zu bestimmen. Am anderen Morgen befiel mich ein böses Fieber, und ich erkrankte so schwer, dass ich den größten Teil des Augusts im Haus verbleiben musste. Meine Genesung schritt nur langsam vorwärts, indes nutzte ich jede kleine Zwischenzeit, in der es mir besser ging, um auszugehen und mich mit den Produkten des Landes bekannt zu machen. Auf einem dieser Streifzüge, an einem heißen Tag, wagte ich mich weiter als gewöhnlich und bekam von Neuem das Fieber, sodass ich bis zum 10. September das Bett hüten musste. Bei diesem Rückfall war jedoch die Krankheit nicht so heftig wie zuvor, und nach drei Wochen war ich imstande, meine botanischen Spaziergänge von Neuem vorzunehmen, wenn es das Wetter erlaubte. Regnete es aber, so zeichnete ich Pflanzen in meinem Zimmer. Die Sorgfalt und Aufmerksamkeit Dr. Laidleys halfen mir, die Krankheit leichter zu ertragen. Seine Gesellschaft und seine Unterhaltung verkürzten die langweiligen Stunden der trüben Jahreszeit, in der es in Strömen regnet, erstickende Hitze am Tag zu Boden drückt und des Nachts das Gequake der Frösche, deren Anzahl hier alle Einbildungskraft übersteigt, und das durchdringende Geschrei der Goldwölfe oder das tiefe Heulen der Hyänen den Schlaf des Fremdlings verscheuchen oder das Getöse des fürchterlichsten Donners ihn immer wieder aufweckt, ein Getöse, von dem man keinen Begriff haben kann, wenn man es nicht selbst gehört hat.
Die ungeheuere Ebene des Landes ist mit Wäldern bedeckt, die einen ermüdenden und einförmigen Anblick bieten. Wenn auch die Natur den Einwohnern die Schönheiten einer romantischen Landschaft versagt, so hat sie ihnen doch mit freigebiger Hand den reicheren Segen des Überflusses und der Fruchtbarkeit gespendet; denn auch ohne sonderliche Bestellung trägt der Boden doch reichlich. Die Wiesen geben vortreffliche Weiden für die Herden, und der Gambia liefert wohlschmeckende Fische. Getreide und Reis werden in großen Mengen angebaut, auch haben die Eingeborenen in Städten und Dörfern bei ihren Wohnungen Gärten, in denen sie Zwiebeln, Jamswurzeln, verschiedene Kürbisarten, Wassermelonen, Erdnüsse und einige andere Küchengewächse anbauen. In der Nähe der Städte sah ich auch kleine Felder mit Baumwolle und Indigo angepflanzt. Aus Ersterem stellen sie ein Tuch her, und mit Letzterem geben sie ihm eine schöne blaue Farbe.
Wenn sie das Korn für die Speisen bereiten, stampfen sie es in einem großen hölzernen Mörser so lange, bis es aus den Hülsen fällt. Dann lassen sie es durch den Wind von der Spreu säubern und stampfen es dann im gleichen Mörser wieder zu Mehl. Am Gambia machen sie daraus eine Art von Pudding, der Kuskus heißt und folgendermaßen bereitet wird: Zuerst feuchten sie das Mehl an, rütteln es in einem großen Kürbis, bis es in kleinen Kügelchen zusammenklebt wie Sago, dann schütten sie es in einen irdenen Topf, dessen Boden voll kleiner Löcher ist. Dieser Topf wird nun entweder mit einem Teig aus Mehl und Wasser oder mit Kuhmist auf einen anderen festgeklebt und so aufs Feuer gesetzt. In dem unteren Gefäß ist gewöhnlich Fleisch und Wasser, dessen Dünste durch den durchlöcherten Boden des oberen Gefäßes dringen und so den Kuskus locker und gar machen. In allen Gegenden, die ich durchreist habe, war dies ein Lieblingsgericht. Man sagte mir, dass diese Art der Mehlzubereitung auch an der Küste der Barbarei allgemein üblich sei und das Gericht dort ebenfalls Kuskus heiße, wahrscheinlich haben also die Neger diese Zubereitung samt dem Namen von den Mauren gelernt.
Man macht hier aus Mehl noch eine andere Art von Pudding, den Miling. Auch bereiten sie den Reis auf zwei oder drei verschiedene Arten. Die niedere Volksklasse bekommt nur selten Fleisch, ist aber nicht völlig von seinem Genuss ausgeschlossen.
An Haustieren findet man hier, was wir in Europa haben. Schweine gibt es in den Wäldern. Man isst sie aber nicht gern. Vermutlich ist der entschiedene Abscheu, den die Mohammedaner gegen dieses Tier hegen, auch auf die Heiden übergegangen. Federvieh gibt es überall und in verschiedenen Arten. Das Perlhuhn und das rote Rebhuhn findet man sehr häufig auf den Feldern, und in den Wäldern hält sich eine Art von kleiner Antilope auf, deren Fleisch mit Recht für sehr schmackhaft gilt.
An wilden Tieren kommen im Mandingo-Land häufig Hyänen, der Panther und der Elefant vor. Es ist sonderbar, dass in keiner Gegend dieses großen Weltteils die Eingeborenen die Kunst der Inder besitzen, dieses starke und lenksame Tier zu zähmen und zum Dienst der Menschen zu nutzen. Wenn ich einigen Eingeborenen erzählte, dass man das in östlichen Ländern könne, so lachten sie mich geradezu aus und riefen einmal übers andere: »Topaupo Fonnio – Lüge eines Weisen!« Die Neger schießen den Elefanten besonders wegen der Zähne, die sie dann gegen andere Dinge bei den Elfenbeinhändlern verkaufen. Das Fleisch essen sie und finden es köstlich.
Das gewöhnliche Lasttier in allen Teilen von Afrika ist der Esel. Zum Ackerbau aber wird nirgends ein Tier verwendet. Deshalb ist auch der Pflug völlig unbekannt. Die Feldarbeit verrichten gewöhnlich Sklaven mit der Hacke.
Am 6. Oktober hatte das Wasser des Gambias seinen höchsten Stand erreicht, nämlich fünfzehn Fuß über dem Zeichen der gewöhnlichen Flut. Dann begann es allmählich zu fallen, erst langsam, bald aber sehr schnell, oft sank es in vierundzwanzig Stunden um mehr als zwölf Zoll. Anfang November hatte der Fluss wieder seine gewöhnliche Höhe und auch wiederum Ebbe und Flut. Zugleich war die Luft weniger feucht, sodass ich mich allmählich erholte und an meine Abreise denken konnte. Die beste Jahreszeit zum Reisen kam, die Ernte war vorüber, Lebensmittel gab es genügend und billig. Dr. Laidley machte um diese Zeit eine Geschäftsreise nach Dschonkakonda. Ich bat ihn, mir durch seinen Einfluss bei den Slathis oder Sklavenhändlern eine Gelegenheit zu verschaffen, in Gesellschaft und unter dem Schutz der nächsten Koffle (oder Karawane), die von Gambia nach dem Innern des Landes ginge, die Reise anzutreten. Zugleich trug ich ihm auf, mir ein Pferd und zwei Esel zu kaufen. Nach wenigen Tagen kam Laidley nach Pisania zurück und sagte mir, dass während der trockenen Jahreszeit gewiss eine Koffle nach dem Innern des Landes abgehen würde. Weil aber mehrere Kaufleute ihre Waren noch nicht beisammen hätten, lasse sich noch nicht der genaue Zeitpunkt sagen.
Weil mir nun die Slatihs und das andere Volk, aus dem die Karawane bestand, völlig unbekannt waren, sie auch meinem Plan feindlich gegenüberstanden und überhaupt nichts weniger als geneigt schienen, sich mit mir in irgendetwas einzulassen, auch die Zeit der Abreise noch sehr ungewiss war, entschloss ich mich, die gute Jahreszeit zu nutzen und mich ohne sie auf den Weg zu machen. Dr. Laidley pflichtete mir bei und versprach, nach Möglichkeit dafür zu sorgen, dass ich bequem und sicher reisen könne. Der Entschluss war gefasst, und ich bereitete die Abreise vor.
DER VERFASSER REIST VON PISANIA AB
UND ERREICHT DSCHINDI.
ER GEHT WEITER NACH MEDINA, DER
HAUPTSTADT VON WULLI.
UNTERREDUNG MIT DEM KÖNIG. AMULETTE.
ER KOMMT NACH KOBRA.
BESCHREIBUNG DES MUMBO JUMBO.
ER KOMMT NACH KUDSCHAR UND ERREICHT
TALLIKA IM KÖNIGREICH BONDU.
Am 2. Dezember 1795 verließ ich die freundliche Wohnung Dr. Laidleys. Glücklicherweise hatte ich einen Negerbedienten namens Johnson, der Englisch und Mandingo sprach. Er stammte aus diesem Teil Afrikas, war in seiner Jugend als Sklave nach Jamaika gekommen, hatte dort seine Freiheit erhalten, war mit seinem Herrn nach England gegangen, wo er sich mehrere Jahre aufhielt, und endlich nach seinem Vaterland zurückgekehrt. Dr. Laidley empfahl ihn mir, und ich mietete ihn als Dolmetscher für monatlich fünfzehn Barren, wovon er zehn und seine zurückbleibende Frau fünf erhielt.
Dr. Laidley gab mir auch einen seiner Negerjungen namens Demba mit, einen lebhaften Burschen, der die Mandingo-Sprache redete und bei unserer Rückkehr seine Freiheit erhalten sollte, wenn er mir treu dienen und sich gut aufführen würde. Ich besorgte mir ein Pferd, ein kleines, aber lebhaftes Tier, das mich sieben Pfund zehn Schilling kostete, und zwei Esel für meine beiden Begleiter. An Gepäck nahm ich so wenig wie möglich mit, nur Lebensmittel für zwei Tage, etwas Korallen, Bernstein und Tabak, um mir neuen Mundvorrat zu verschaffen. Etwas Wäsche, die unentbehrlichsten Kleidungsstücke, einen Sonnenschirm, einen Taschensextanten, einen Kompass und ein Thermometer, zwei Vogelflinten, zwei Paar Pistolen und einige andere Kleinigkeiten.
Ein freier Mann, ein Mohammedaner namens Madibu, der nach dem Königreich Bambarra reiste, zwei Slatihs, die nach Bondu gingen, und ein Neger namens Tami aus Kasson, ebenfalls ein Mohammedaner, der mehrere Jahre Dr. Laidley als Schmied gedient hatte und jetzt mit seinen Ersparnissen in seine Geburtsstadt zurückkehrte, boten mir ihre Dienste an, so weit unsere Reise uns miteinander führen werde. Sie gingen alle zu Fuß und trieben ihre Esel vor sich her.
So hatte ich nicht weniger als sechs Begleiter, in deren Augen ich ein bedeutender Mann war; denn man hatte ihnen angekündigt, dass ihre glückliche Rückkehr in die Gegenden am Gambia lediglich von meinem Wohlergehen abhinge. Dr. Laidley und die Herren Ainsley waren so gütig, mich die ersten zwei Tagereisen mit einem Teil ihrer Bedienten zu begleiten. Ich glaube gewiss, sie befürchteten, dass sie mich nie wiedersehen würden.
Nachdem wir über den Walli-krik, einen Arm des Gambias, gesetzt hatten, erreichten wir noch am gleichen Tag Dschindi und stiegen im Haus einer schwarzen Frau ab, die vormals die Geliebte eines weißen Handelsmannes gewesen war und deshalb vorzugsweise Seniora genannt wurde. Am Abend spazierten wir nach einem benachbarten Dorf, das einem der reichsten Slatihs namens Jemaffu Mamandu gehörte. Wir trafen ihn zu Hause, und er fühlte sich durch unseren Besuch so geehrt, dass er uns ein schönes Rind schenkte, das gleich geschlachtet und teilweise für unser Abendbrot zubereitet wurde. Die Neger essen gewöhnlich sehr spät. Um uns nun während der Zubereitung des Abendessens die Zeit zu vertreiben, forderte man einen Mandingo auf, einige lustige Geschichten zu erzählen, die wir auch drei Stunden lang mit anhörten. Diese Erzählungen sind den arabischen ähnlich, nur sind sie mehr scherzhafter Art. Ich teile hier im Auszug eine mit.
»Vor mehreren Jahren wurden die Einwohner von Dumasansa, einer Stadt am Gambia, sehr von einem Löwen geplagt, der jede Nacht ihre Herden anfiel. Wütend über die ewige Plage, beschloss das Volk, Jagd auf das Raubtier zu machen. Sie zogen aus, den Feind zu suchen, und fanden ihn im Dickicht verborgen. Sie feuerten sogleich auf ihn und waren glücklich genug, ihn so stark zu verwunden, dass ihn die Kraft verließ, als er auf sie losspringen wollte. Er sank zwar zurück, zeigte aber doch so viel Stärke, dass sich ihm niemand zu nähern wagte. Man beratschlagte, wie man sich seiner lebendig bemächtigen könne, weil es der sicherste Beweis der Tapferkeit sei und ihnen zugleich einen ansehnlichen Verdienst eintragen würde, wenn sie das Tier nach der Küste brächten und es den Europäern verkauften. Ein alter Mann schlug vor, das Sparrenwerk eines Hausdachs abzunehmen und es über den Löwen zu werfen. Sollte er auf sie losspringen, während sie sich ihm näherten, so dürften sie nur das Dach über sich herabfallen lassen und durch die Öffnungen feuern.
Dieser Vorschlag wurde angenommen. Die Löwenjäger hoben ein Hüttendach ab und zogen mutig damit zu Felde. Jeder hatte in der einen Hand ein Schießgewehr und trug auf der anderen Schulter das Dach. So näherten sie sich dem Feind, der aber wieder Kräfte gesammelt hatte und so grimmig aussah, dass es die Jäger für klüger hielten, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen, und sich mit dem Dach zudeckten. Unglücklicherweise war der Löwe aber zu schnell. Während sie das Dach niederließen, machte er einen Sprung und war mit seinen Verfolgern im gleichen Käfig gefangen. Zum Entsetzen und Jammer der Dumasanser verzehrte das Tier einen nach dem andern. Noch jetzt ist es in jener Gegend gefährlich, diese Geschichte zu erzählen; denn die Einwohner haben sich dadurch in der ganzen Nachbarschaft zum Gelächter gemacht, und mit nichts kann man sie so aufbringen, als wenn man sie auffordert, einen Löwen lebendig zu fangen.«
Am 3. Dezember nahm ich um ein Uhr nachmittags von Dr. Laidley und den Herren Ainsley Abschied und ritt langsamen Schrittes in den Wald hinein. Ein grenzenloser Wald lag vor mir, und zwar in einem Land, dessen Einwohner so roh sind, dass ein Weißer meistens zum Gegenstand der Neugier oder der Raubsucht wird. Die Freunde, denen du eben Lebewohl gesagt hast, sind wahrscheinlich die letzten Europäer, die du gesehen hast, dachte ich. Von nun an bist du vielleicht auf immer aus der Gesellschaft der Christen ausgeschlossen. Solche Gedanken trübten meine Seele, und ich mochte vielleicht drei Meilen im tiefen Nachdenken geritten sein, als ich in meinen Träumereien durch einen Haufen Volks gestört wurde, das auf uns zulief, die Esel anhielt und uns andeutete, dass wir nach Peckaba gehen und uns bei dem König von Wulli melden oder den gewöhnlichen Zoll hier auf der Stelle erlegen müssten. Vergebens suchte ich ihnen begreiflich zu machen, dass ich unmöglich Abgaben entrichten könne, da ich gar nicht in Handelsgeschäften reiste. Sie erwiderten, alle Reisenden müssten dem König ein Geschenk machen; wenn ich das nicht wolle, so dürfe ich nicht weiterreisen. Da sie zahlreicher als wir und überdies sehr laut waren, hielt ich es für das Klügste nachzugeben, und reichte ihnen vier Barren Tabak für den König, worauf sie mich meines Weges ziehen ließen. Bei Sonnenuntergang kam ich in ein Dorf nahe bei Kutacunda und blieb dort über Nacht.
Am Morgen des 4. Dezember kamen wir durch Kutacunda und wurden in der Nähe in einem kleinen Dorf angehalten, um dem König von Wulli Zoll zu entrichten. Die folgende Nacht ruhten wir in dem Dorf Tabajang, und am nächsten Mittag, dem 5. Dezember, erreichten wir Medina, die Hauptstadt des Gebietes von Wulli. Das ganze Land zeigt hier leicht ansteigende Hügel mit großen Waldungen. In den dazwischen liegenden Tälern befinden sich die Städte. Bei jeder Stadt ist hinreichend Land angebaut, um die Einwohner zu ernähren. Der Boden ist sehr fruchtbar. In den Tälern werden vornehmlich Baumwolle, Tabak und allerhand Küchengewächse erzeugt, die Hügel aber werden mit Korn besät. Bloß gegen die Gipfel hin deuten kurzes Gesträuch und roter Eisenstein die Grenze der Fruchtbarkeit an.