Heide Bergmann
Urban
Gardening
mit Kindern
Nachhaltige Garten-Projekte für die Kita
Naturräume in der Stadt
1.Urban Gardening – gemeinschaftlich gärtnern
1.1Der Start einer Bewegung
1.2Nachhaltiger Lebensstil
1.3Naturräume erhalten
1.4Selbstversorgung in der Stadt
2.Urban Gardening mit Kindern
2.1Bildungsziele und Kompetenzen
2.2Die Welt nachhaltig gestalten
2.3Mit begrenztem Platz improvisieren
2.4Mit Gefahren umgehen lernen
2.5Lust aufs Gärtnern wecken
3.Einfach anfangen! Projekte für die Kita
3.1Wie wachsen Pflanzen?
3.2Der Boden
3.3Pflanzenanzucht auf der Fensterbank
3.4Gemüse anbauen
3.5Samengärtnern und Vielfalt erhalten
3.6Kartoffeln im Sack
3.7Gärtnern im Hochbeet
3.8Beete im Außengelände
3.9Der Naschgarten
3.10Ernten und Verarbeiten
3.11Kräuter anbauen und ernten
3.12Kompost
3.13Insekten fördern
3.14Samenbomben basteln
4.Gartenprojekte planen und umsetzen
4.1Projektplanung
4.2Projektverlauf
4.3Projektabschluss
4.4Unterstützer und Unterstützerinnen
4.5Mittelbeschaffung
5.Praxisbeispiel: Interview mit einer Kita
Serviceteil — Hilfen, Bezugsadressen & Literatur
Bildnachweis
Dank
Autorinnenvita
Nicht alle Pflanzen eignen sich zum Verzehr. Pädagogische Fachkräfte tragen darum die Verantwortung, sich vor dem Gärtnern genau darüber zu informieren, welche Pflanzen(-teile) für Kinder giftig sind. Für Unfälle oder gesundheitliche Schäden übernehmen Verlag und Autorin keine Haftung.
Hatten Sie in Ihrer Kindheit einen Opa oder eine Oma mit Schrebergarten? Wo Blumen blühten, Gemüsebeete gediehen, Hecken wuchsen und ein alter Apfelbaum stand? Einen Ort, wo man sich frei und zugleich aufgehoben fühlte? Erinnerungen an Erde zwischen den Fingern, den Duft frischer Karotten, bunte Blumensträuße und von der Brombeerhecke zerkratzte Haut. Darüber der Himmel, ein paar Vögel und ab und zu ein brummendes Insekt. Nachmittage wie diese fühlten sich an, als ob sie nie enden würden. Solche Kindheits-Erlebnisse mit Pflanzen und Tieren prägen sich tief ein und bleiben ein Leben lang erhalten.
Heute sind freie Naturräume zum Spielen und Entdecken für Kinder rar geworden, besonders in Städten. Gärten fallen Baumaßnahmen zum Opfer, Natur wird zunehmend begrenzt. Will man sie erleben, muss man sie oft mit dem Auto oder Bus gezielt aufsuchen. Das macht ein spontanes Naturerleben unmöglich. Kinder- und Jugendstudien sprechen auch darum seit einigen Jahren von einer fortschreitenden Entfremdung der Kinder von der Natur. Danach halten sich Kinder mehr in Innenräumen auf, beschäftigen sich am Computer oder chatten mit Freunden und Freundinnen. Der unmittelbare, sinnliche Bezug zu Wald, Wiese oder Feld droht verloren zu gehen. Nicht nur geraten Nahrungspflanzen, die bei uns wachsen und reifen, in Vergessenheit, auch der Wechsel der Jahreszeiten wird kaum wahrgenommen. Dabei sind das Draußensein und die Begegnungen mit der Natur unverzichtbar für eine gesunde Entwicklung von Kindern. Sie stärken das Selbstwertgefühl, geben Mut und Zuversicht. Schließlich wecken das Unvorhergesehene, das Chaos, aber auch die natürliche Ordnung in einem Garten die Neugierde der Kinder, die schnell beginnen, allerlei Fragen stellen.
Urban Gardening ist eine Gegenbewegung zur Naturentfremdung. Die Natur soll wieder mehr Raum in den Städten erhalten und Nahrungsmittel aus Eigenanbau sind gefragt. In einer zunehmend virtualisierten Welt wollen die Menschen sich wieder direkt und unmittelbar mit den Grundlagen des Lebens befassen. Darum löst bei immer mehr Menschen der Kontakt mit Erde die Bildschirme am Feierabend ab.
In meiner Tätigkeit in der Freiburger Ökostation leitete ich eine Vielzahl von Kindergruppen beim Gärtnern und Naturentdecken an. Im „Grünen Klassenzimmer“ säten und ernteten wir, schnitten Kräuter, entdeckten Marienkäfer und manchmal eine Blindschleiche im Kompost. Natürlich durfte jedes Kind sich ein Pflänzchen eintopfen und nach Hause mitnehmen. Beim Abschied strahlten die Kinder. Die Beschäftigung mit Erde und Pflanzen tat ihnen sichtlich gut.
Aus diesen Erfahrungen ist vieles in das Buch eingeflossen. Die Projektvorschläge verstehen sich als Anregung, um in der Kita zu gärtnern. Dabei soll genug Raum für eigene Entdeckungen bleiben, für den kindlichen Impuls, etwas Eigenes zu erfinden. Urban Gardening bietet einen unerschöpflichen Fundus an Ideen und spielerischen Anbau-Varianten. Was liegt näher, als das mit Kindern umzusetzen? „Einfach anfangen!“ lautet das Motto des Urban Gardening. Frech und kreativ und was zur Umgebung und zur Kindergruppe passt. Auch ohne Vorkenntnisse. Experimentieren Sie, machen Sie Erfahrungen und entdecken Sie gemeinsam mit den Kindern Neues!
Heide Bergmann
„Eine andere Welt ist pflanzbar!“ Das Motto, das sich auf einem Transparent in einem urbanen Gemeinschaftsgarten findet, steht für neues Gärtnern, genannt Urban Gardening. Seit über 20 Jahren boomt die Bewegung, die ursprünglich aus den USA und Lateinamerika stammt, wo sie als Strategie gegen Armut und soziale Benachteiligung entstand. Heute greifen Stadtbewohner und -bewohnerinnen in Europa zu Spaten, Hacke, Rechen und Samentütchen, säen Gemüse und Salate auf öffentlichen Flächen oder pflanzen Obstbäume in Parks. Nachbarschafts- und Mietergruppen errichten Gemeinschaftsgärten, bauen Hochbeete in Hinterhöfen oder bepflanzen Balkone und Dächer. Alte Gefäße, Säcke, Kisten oder Paletten werden recycelt, mit Erde gefüllt und für vertikale Gärten genutzt.
Typisch für Urban Gardening ist das gemeinschaftliche Tun, das soziale Miteinander außerhalb von Institutionen. Gemeinsam wird geerntet, gekocht und gefeiert. Bundesweit sind derzeit 750 Gartenprojekte bekannt, Tendenz steigend. Dabei könnte die Bewegung kaum vielfältiger sein: Stadtteilgärten, Guerilla-Gardening-Aktionen, Nachbarschaftsgärten, Garten-Coops, Permakulturprojekte, Tafelgärten, interkulturelle Gärten, selbstverwaltete öffentliche Parks und Projekte wie „die Essbare Stadt“ machen den urbanen Raum grün.
Urban Gardening hat das Gärtnern gründlich umgekrempelt. Eigenes Gemüse zu ziehen ist Ausdruck eines neuen urbanen Lebensstils. Die moderne Bewegung möchte der vorgefertigten Warenwelt, dem übertriebenen Konsum mit seinem Raubbau an Ressourcen etwas entgegensetzen. Mit Hacke, Gießkanne und manchmal spektakulären Aktionen, wie dem Bepflanzen von Parkplätzen, erobert man sich die Stadt zurück, definiert den öffentlichen Raum neu. Einfach, unkompliziert und verblüffend effektiv sind diese neuen Gärten. Urbane Gärtner und Gärtnerinnen arrangieren sich mit dem Vorhandenen, arbeiten mit dem, was da ist. Wenn der Untergrund sich als ungeeignet oder mit Schadstoffen belastet erweist, besorgt man sich Erde aus dem kommunalen Kompostwerk. Altes vom Sperrmüll wird wiederverwertet, Regenwasser wird aufgefangen und Bioabfall wandert auf den Kompost, wo er sich zu wertvollem Humus zersetzt. So lassen sich Ressourcen, Energie und CO2 einsparen. Die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln trägt dadurch zum Klimaschutz bei. Die Soziologin Christa Müller beschreibt die urbanen Gärten so: „Der Garten ist weit mehr als ein Ort des Säens und Erntens. Gemüsebau ist auch Ausgangspunkt politischen Handelns für die, die den ungehinderten und ungenierten Zugriff auf die Ressourcen der Welt in Frage stellen. Sie gärtnern, um praktisch zu zeigen, wie es besser laufen könnte mit der Lebensmittelproduktion. Ihr Motto: Sie fangen schon mal an“ (Müller 2011, S. 25).
Wer sich so mitten in der Stadt engagiert, weist sichtbar auf Missstände hin, z. B. auf den Verlust von Natur und den Rückgang der Artenvielfalt. Immer mehr innerstädtische Naturräume gehen verloren, Boden wird versiegelt. Autos, Mülleimer und Streusalz im Winter setzen den Wurzeln der Bäume zu. Dabei versorgen uns Bäume mit wertvollem Sauerstoff und kühler Luft. Je weniger Grün vorhanden ist, desto mehr heizen sich die Städte auf. Außerdem gehen Lebensräume für Pflanzenarten, Insekten und Vögel verloren.
Menschen, die ihr Wohnumfeld grün und ökologisch gestalten und etwa mit einer Baumpatenschaft Verantwortung übernehmen, können so ganz gezielt die Lebensqualität in ihrem Wohnviertel verbessern. Auch immer mehr Kommunen erkennen den Mehrwert dieses bürgerschaftlichen Engagements und unterstützen es mit Pflanzen, Saatgut und Fachberatung. Einige Städte haben Urban Gardening sogar zu ihrem Markenzeichen gemacht, wie z. B. Andernach, „die Essbare Stadt“. Da die Kommune Grünflächen im Zentrum der historischen Altstadt zur Verfügung stellt, kultivieren Bewohner und Bewohnerinnen dort Gemüse, das von allen geerntet werden darf.
Statt Obst und Gemüse aus dem Supermarkt zu kaufen, das zu jeder Jahreszeit in gleicher Form angeboten wird, setzen Gärtner und Gärtnerinnen auf Selbstversorgung, auf frische Nahrungsmittel aus unmittelbarer Nähe. Denn von ihnen wissen sie, wie sie produziert wurden. Tomaten aus Holland, in Plastik eingeschweißte Gurken aus Andalusien, Kartoffeln aus Ägypten oder Äpfel aus Neuseeland haben weite Handelswege hinter sich, d. h. viel Energie verbraucht und Treibhausgase verursacht. Zudem sind viele davon mit Pestiziden belastet. Brauchen wir wirklich Erdbeeren im Winter? Immer mehr Menschen beißen lieber in einen Apfel von einer Streuobstwiese, die sie zusammen mit einer Umweltgruppe betreuen. Über die eigene Ernährung selbst zu bestimmen, ist ein wichtiges Anliegen der Urban-Gardening-Szene. Auch alte Obst- und Gemüsesorten, die fast in Vergessenheit geraten sind, kommen dadurch wieder auf den Speiseplan. Da sie besonders robust, aromatisch und samenecht sind, lohnt es sich, ihren Samen zu gewinnen, vermehren, weiterzugeben und eigene lokale Sorten zu züchten.
Biodiversität – unsere Lebensgrundlage
Je größer die biologische Vielfalt, desto stabiler sind die ökologischen Systeme. Alles ist miteinander vernetzt, eines hängt vom anderen ab. Auch der Mensch ist Teil dieses Netzes. Biodiversität bzw. biologische Vielfalt beinhaltet drei Ebenen:
•die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten
•die Vielfalt von Lebensräumen und Ökosystemen
•die genetische Vielfalt innerhalb einer Art (durch Auslese oder Züchtung entstehen unzählige Varianten oder Sorten einer Art)
Dadurch trägt man nicht nur dazu bei, den Genpool unterschiedlicher Nahrungspflanzen zu bewahren, sondern macht sich vom Pflanzen- und Samenmarkt unabhängig. Urban Gardening als politische Bewegung geht somit auch gegen Agrarkonzerne vor, die ihre Monopolmacht auf dem Saatgutmarkt behaupten wollen.
Nicht zuletzt ist Urban Gardening für seine lebendige, soziale Vielfalt bekannt. Teilen, tauschen, verschenken, solidarisch handeln sind Leitmotive der Bewegung. Die unterschiedlichsten Gruppen kommen hier zusammen, organisieren sich selbst und bestimmen gemeinsam. Sie tauschen Erfahrungen und teilen sich die Früchte der Arbeit. In den interkulturellen Gärten arbeiten beispielsweise Menschen aus bis zu 20 unterschiedlichen Nationen zusammen und leben beste, soziale Integration. Inzwischen haben sich die Quartiergärten vielerorts zu Bildungszentren oder kleinen Volkshochschulen entwickelt. Dort bringen Teilnehmende nicht nur Werkzeug, Samen und Pflanzen mit ein, sondern auch ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. Vorträge, Praxiskurse, Pflanzentauschmärkte, Theater oder Kochkurse sind darum feste Bestandteile der grünen Begegnungsstätten. Durch florierende Gärten haben sich ganze Wohnviertel verwandelt, sind attraktiver und lebendiger geworden, wie z. B. der Prinzessinnengarten in Berlin seit Jahren zeigt.
Familien mit Kindern beteiligen sich besonders gerne an den urbanen Gärten. Kinder erleben hautnah, woher die Nahrung kommt, wie Gemüse und Beeren wachsen und wann sie reif sind. Urban Gardening ist praktischer Naturschutz und gelebte Nachhaltigkeit. Viele Themen der Zukunft werden hier fantasievoll und kreativ angepackt. So bietet das neue Gärtnern auch pädagogischen Fachkräften zahlreiche Anregungen, wie sie Nachhaltigkeit für Kita-Kinder praktisch und anschaulich erlebbar machen können.
Urban Gardening mit Kindern bietet vielfältige Anknüpfungspunkte, um Kompetenzen und Fähigkeiten zu fördern. Im Kontakt mit Erde, Pflanzen und Tieren können folgende Bildungsziele Leitmotiv sein:
Kinder erleben im Garten die natürliche Umgebung ganz unmittelbar: der Duft feuchter Erde, ein Marienkäfer, der über die Hand krabbelt, der Wind, der um die Nase weht. Während Kinder sich draußen aufhalten, beobachten sie das Keimen, Wachsen und Reifen von Gemüse und Obst und spüren die Veränderungen der Jahreszeiten. Sie lernen Achtsamkeit und Wertschätzung der Natur. Manche Kinder verlieren ihre Scheu, einen Regenwurm auf die Hand zu nehmen oder Erde anzufassen. Und was man in der Kindheit kennen und lieben gelernt hat, wird man später auch schützen.
Beim Urban Gardening kommen Kinder in Bewegung. Durch den Umgang mit Hacke, Rechen, Handschaufel, beim Graben in der Erde und beim Säen von feinen Samenkörnchen werden Grob- und Feinmotorik gefördert. Wenn sie sich einer Herausforderung stellen, wie etwa Steine oder Bretter schleppen, eine Pflanzgrube ausheben oder mit einem kindgerechten Messer beim Gemüseschneiden und -zubereiten helfen, erfahren die Kinder ihren Körper.