Deutscher Novellenschatz
BAND 14
Deutscher Novellenschatz, Band 14
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849661229
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Der Träumer. 1
Die Tante. 33
Ansas und Grita. 94
August Kopisch.
Im fünften Bande unseres Novellenschatzes haben wir unter dem Titel „Ein Karnevalsfest auf Ischia“ eine Novelle von August Kopisch (geb. 1799, gest. 1853) mitgeteilt, über deren Entstehung in Prutz' deutschem Museum 1854, II, S. 498, von dem Freunde des Dichters, August Kahlert, folgende Notizen gegeben werden, die hier nachträglich ihre Stelle finden mögen.
„Das erste Auftreten der Cholera hatte, wie in ganz Europa, so auch in Breslau die schrecklichsten Verwüstungen angerichtet; namentlich sah sich die Stadt mit der Sorge für eine große Zahl armer Waisen beladen, zu deren Bestem dann die literarische Abteilung des Breslauer Künstlervereines ihre Archive veröffentlichte. Kopisch steuerte sehr reichlich dazu bei, und zwar nicht bloß Gedichte, sondern auch eine Novelle, mit der er sogleich ein gewisses Aufsehen erregte. Dieselbe trägt die Überschrift: "Ein Karnevalsfest auf Ischia", und ist von dem gesamten damals in Deutschland beliebten Erzählungsgenre so himmelweit verschieden, dass die Kritik überall stutzte, aber nur, um gleich darauf ihre lauteste Anerkennung auszusprechen. Abgesehen von ihrer Keuschheit erinnert sie auf das Lebhafteste an Boccaccio; die Vortragsweise ist fast patriarchalisch, das Colorit von durchaus lokaler Färbung.
„Der Erfolg, den diese Erstlingsarbeit des Dichters auf dem Felde der Erzählung fand, veranlasste K. Büchner den Verfasser um eine Novelle ähnlicher Gattung für sein "Deutsches Taschenbuch" anzugehen. Kopisch schrieb in Folge dieser Aufforderung eine zweite Erzählung "der Träumer". Das Bestreben, die naive, durchaus anschauliche, von aller sentimentalen oder reflektierenden Beimischung freie Erzählungsweise der älteren Italiener bei uns einzuführen, ist auch hier dasselbe. Dagegen blieb der Erfolg hinter dem früheren zurück. Teils war die Zeitrichtung ernster geworden, teils hatte auch manches kritische Wort den Dichter eingeschüchtert; genug, als später eine ähnliche Aufforderung an ihn gerichtet ward, erklärte er, keine Novelle mehr schreiben zu wollen; die Leute verständen diese Gattung nicht mehr“.
Wer beide Erzählungen unbefangen vergleicht, wird dem Erfolge und seiner kritischen Stimme allerdings Recht geben müssen. Zunächst fällt eine Gleichartigkeit in Stoff und Behandlung auf, wie sie selbst bei Kindern desselben Vaters ungewöhnlich ist. Nicht nur dass Farbe und Ton, der liebenswürdige barock-phantastische Humor, endlich die Auflösung alles Übermuts in gemütvollen Ernst und strenge poetische Gerechtigkeit beiden Geschwistern gemeinsam sind: in beiden dreht sich die Verwicklung um festliche Veranstaltungen der seltsamsten Art, um einen abenteuerlichen Mummenschanz, der schließlich auf die humoristische Züchtigung der Philister und die Krönung des bescheidenen Verdienstes hinausläuft. In beiden wird mit besonderer Gründlichkeit gezecht und geschmaust und eine Art Schlaraffentraum verwirklicht, so dass man hier das Wehen desselben Geistes zu fühlen glaubt, dem der „Geist der Kochkunst“ seine Entstehung verdankte. Ja, so weit geht die Übereinstimmung, dass beide Male der Held der Geschichte auf eigene Hand nicht zum Ziele gelangt wäre, wenn nicht befreundete Mächte weder Zeit noch Mühe, weder Aufwand noch Witz gescheut hätten, um der Tugend zum Siege zu verhelfen.
Es ist deshalb zu begreifen, wenn auch wohl nicht ganz zu billigen, dass die Herausgeber der sämtlichen Werke des Dichters von beiden Erzählungen nur Eine aufzunehmen für gut fanden, um nicht dicht nebeneinander zwei Werke zu stellen, die fast wie Variationen desselben Themas aussehen. Sie gaben dem „Fest der Kahlköpfe“ den Vorzug, den diese Arbeit auch in unseren Augen verdient. Gleichwohl würde „der Träumer“, wenn er uns allein überliefert wäre, unter den deutschen Novellen, die des Aufbewahrens wert scheinen, unbestritten seinen Platz in Anspruch nehmen dürfen, abgesehen von dem Interesse, das es einer psychologischen Ästhetik gewähren muss, die dichtende Phantasie in einem so merkwürdigen Falle zu belauschen, bei dem Versuche nämlich, ein Lieblingsmotiv neu zu gestalten und durch Verdoppelung und Häufung gewisser charakteristischer Züge und Erhöhung des phantastischen Elements die erste Fassung zu überbieten. Wenn dies nicht glücken konnte, so ist doch des Schönen und Merkwürdigen auch hier so viel enthalten, dass die zurückgesetzte Dichtung uns eine nachträgliche „Rettung“ aus der Verschollenheit jenes alten Taschenbuches wohl zu verdienen schien.
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