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Der neue Sonnenwinkel
– 3 –

Eine Affäre in der Idylle?

Bei den Rückerts hängt auf einmal der Haussegen schief

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-914-6

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Für die Arbeiten an Hecken, Bäumen und für das Rasenmähen beschäftigten die Auerbachs einen Gärtner, für alle anderen Arbeiten war Inge Auerbach zuständig. Und das ließ sie sich auch nicht nehmen. Sie liebte es, in ihrem wunderschönen Garten herumzuwerkeln, hatte dabei tatkräftige Unterstützung durch ihre Tochter Bambi, die niemand Pamela nannte, wie sie eigentlich hieß. Selbst in der Schule wurde sie Bambi genannt, und ihr eigentlicher Name stand nur auf den Zeugnissen.

Schade, dass Bambi in der Schule war. Heute war das Unkrautzupfen im Vorgarten dran, und das war ein schier hoffnungsloser Kampf.

Das Unkraut war immer der Sieger, und es wuchs schneller, als man hingucken konnte.

Inge war emsig bei der Arbeit, und sie war ganz stolz auf sich, schon so viel geschafft zu haben.

Es war ein wunderschöner Tag, und über dem Sonnenwinkel lag dieser unglaubliche Frieden, den Inge so sehr liebte. Manchmal konnte man wirklich das Gefühl haben, in einem eigenen Universum zu leben.

Es war nicht so, dass es hier und da keine Probleme gab. Es wäre töricht, so etwas anzunehmen. In all den wunderschönen Häusern lebten Menschen, die nicht alle gleich gestrickt waren. Es hatte hier und da Trennungen gegeben, Menschen, die weggezogen waren, auch schon mal Streit unter Nachbarn.

Doch wenn man die Zeitung aufschlug und las, was überall auf der Welt so los war, dann konnte man den Sonnenwinkel als ein Paradies, eine Stätte des Friedens bezeichnen.

Inge Auerbach blickte auf, als sich sehr rasant ein Auto näherte, vor der Auerbachschen Villa vorfuhr mit quietschenden Reifen. Es gab eine Vollbremsung, und obwohl es sehr viel Platz gab, mindestens drei Autos hätten in der Einfahrt parken können, parkte dieses Auto schräg, beinahe quer.

Inge Auerbach kam aus dem Staunen nicht heraus.

Rosmarie Rückert war angekommen, die Schwiegermutter ihrer Kinder.

Zwei Dinge waren verwirrend. Rosmarie kam niemals unangemeldet einfach so vorbei, und sie war eine disziplinierte Frau, die normalerweise nie auf diese Weise parken würde.

Was war mit Rosmarie los? Die stieg aus ihrem Auto, Inge starrte sie an, ließ vor lauter Schreck ihre Harke fallen.

Wie sah Rosmarie denn aus? Ihre Make-up war verwischt, Wimperntusche war verlaufen, hatte schwarze Spuren auf dem ganzen Gesicht hinterlassen.

Nun machte Inge Auerbach sich aber wirklich ernsthafte Sorgen. Ein schrecklicher Gedanke tauchte in ihr auf. Ob Heinz etwas passiert war?

Aber nein, diesen Gedanken verwarf sie so schnell, wie er ihr gekommen war. Wäre mit Heinz Rückert etwas passiert, dann hätte Rosmarie allenfalls, wenn überhaupt, angerufen, aber sie wäre doch nicht vorbeigekommen.

Nein, es musste etwas anderes sein.

Sie ging auf die vollkommen gebrochen erscheinende Frau zu, begrüßte sie, um dann die Frage zu stellen: »Rosmarie, was ist geschehen?«

Rosmarie antwortete nicht sofort, sondern begann zu weinen, und die Tränen richteten auf ihrem Gesicht ein noch größeres Chaos an.

Es war schrecklich anzusehen, vor allem, wenn man wusste, welchen Wert Rosmarie Rückert auf ihr Äußeres legte. Sie würde normalerweise ungekämmt nicht einmal bis zum Gartenzaun gehen.

Mitleidig legte Inge ihrer Besucherin einen Arm um die Schulter und sagte fürsorglich: »So, komm erst mal ins Haus, und dann koche ich uns einen Kaffee, dabei lässt es sich besser reden. Und um zu reden …, deswegen bist du doch hergekommen, oder?«

Rosmarie nickte und ließ sich beinahe willenlos ins Haus führen.

Sie fühlte sich immer noch ganz elend. Doch es war gut, hier zu sein. Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen, zu den Auerbachs, eigentlich zu Inge Auerbach, zu fahren.

Sollte sie Rosmarie sagen, dass sie aussah wie ein In­dianer auf dem Kriegspfad?, überlegte Inge, während sie ins Haus gingen.

Normalerweise ja, aber nicht bei Rosmarie. Die würde erst einmal zusammenbrechen, und was immer sie so aus der Spur gebracht hatte, das wäre ein Schäufelchen obendrauf.

Sie selbst liebte es ja, an ihrem großen, blank gescheuerten Küchentisch zu sitzen, doch das war nichts für Rosmarie.

Das Biedermeier-Zimmer?

Nein, es war kein offizieller Besuch. Sie führte Rosmarie einfach auf die Terrasse, dort gab es gemütliche Korbsessel, und in einen von denen schob sie Rosmarie, konnte in die Küche gehen, um den Kaffee zu kochen, und sie hatte dabei ihre Besucherin im Blick.

Hatte Rosmarie überhaupt mitbekommen, dass sie jetzt Kaffee kochen wollte?

Sie starrte vor sich hin, die Tränen rollten weiter.

Inge besaß viel Fantasie, doch sie hatte nicht die geringste Idee von dem, was da vorgefallen sein konnte. Eine Familienangelegenheit konnte es ja wohl nicht sein, dann wäre sie zu ihren Kindern gefahren, oder die wären zu ihr gekommen.

Es machte keinen Sinn, sich in Mutmaßungen zu ergehen, sie musste warten, bis Rosmarie bereit war zu sprechen.

Inge hatte sich nicht für Kaffee, sondern einen doppelten Espresso entschieden, denn den brauchte sie jetzt auch.

Sie hatte die Tassen kaum auf dem hübschen Gartentisch abgestellt, als Rosmarie mit dumpfer Stimme sagte: »Heinz betrügt mich mit einem jungen Ding …, sie könnte seine Tochter sein.«

Inge musste sich erst einmal setzen.

Was hatte Rosmarie da gesagt?

Das war so ungeheuerlich, dass sie es nicht glauben konnte. Heinz Rückert und eine andere? Der betuliche, auf Regeln bedachte Notar und eine Geliebte?

Nein, das war unmöglich.

Nachdem sie sich von ihrer Überraschung, man konnte beinahe sagen von ihrem Schock, erholt hatte, sagte Inge ganz entschieden: »Rosmarie, das ist unmöglich. Wie kommst du bloß auf einen so absurden Gedanken?«

Erst einmal erfolgte ein neues, wehes Schluchzen, dann stammelte sie: »Weil ich es gesehen habe …, mit eigenen Augen … Heinz und diese Frau lachend, in …, in … inniger Umarmung.«

Inge glaubte es noch immer nicht.

»Du musst dich geirrt haben, bestimmt war es ein Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Heinz hatte. Dein Mann würde dich doch niemals betrügen.«

Inge verkniff sich ein: Weil er dazu viel zu bequem und viel zu spießig ist.

Zum ersten Mal kam so etwas wie ein bisschen Leben in die zusammengesunkene Gestalt. Sie richtete sich ein wenig auf.

»Inge, ich wollte es zuerst auch nicht wahrhaben, doch es stimmt. Es war Heinz, ich bin schließlich lange genug mit ihm verheiratet, um zu wissen, wie er aussieht, wie er sich bewegt. Außerdem trug er den dunkelblauen Anzug, den ich ihm heute Morgen sogar herausgelegt habe.«

Dann erzählte sie die ganze Geschichte von dem unvorgesehenen Geschäftstermin, der Umleitung, die sie in einen anderen Stadtteil geführt hatte.

»Und dann ist er mit ihr auch noch in ein Juweliergeschäft gegangen, das bedeutet, dass das schon länger läuft. Warum habe ich das denn nicht bemerkt?«

Inge wollte es noch immer nicht so richtig glauben, weil sie Heinz Rückert halt kannte und ihn ganz anders einschätzte. Aber es sprach schon einiges gegen ihn. Die Vertrautheit, die Umarmung, so ging man nicht mit Geschäftspartnern um, und mit denen suchte man auch keinen Juwelier auf.

Arme Rosmarie! Mehr fiel ihr im ersten Moment nicht ein.

Die Rückerts waren in Hohenborn wer, hatten immer ein Leben nach außen geführt. Für die Leute hatten sie diese pompöse Villa gebaut, um dafür bewundert und beneidet zu werden.

Es war unvorstellbar, dass jemand wie Heinz Rückert das für eine Affäre aufs Spiel setzte.

Andererseits gab es genug Beispiele von Männern, die, weil sie sich im sogenannten zweiten Frühling wähnten, alles aufs Spiel setzten, weil sie ihren Verstand ausschalteten.

Was erwartete Rosmarie jetzt von ihr? Dass sie gemeinsam mit ihr gegen Heinz wetterte? Das würde sie nicht tun, sie würde loyal bleiben.

Natürlich würde sie für Rosmarie da sein, die wirklich zum Gotterbarmen aussah. Dass sie überhaupt hierhergekommen war, um ihr das anzuvertrauen, war ein sehr großer Vertrauensbeweis. Die Rückerts sprachen nur über das, womit sie glänzen, womit sie sich profilieren konnten.

Und dann mit einem Problem zu den Auerbachs zu gehen? Man war durch die Heirat der Kinder miteinander verbandelt, man war sogar oberflächlich miteinander befreundet, verstand sich gut, aber wegen der Kinder und Enkelkinder konkurrierte man miteinander. Zumindest taten das die Rückerts, insbesondere Rosmarie.

Und nun war sie ausgerechnet zu ihr gekommen, vollkommen aufgelöst.

Rosmarie musste am Ende ihrer Kraft sein, sonst hätte sie das niemals getan, sie hätte niemanden hinter diese bröckelnde Fassade blicken lassen.

Inge blickte ihr Gegenüber an, dieses Häufchen Elend mit dem verschmierten Make-up, der zerlaufenen Wimperntusche.

Selbst Rosmaries sonst tadellose Frisur war aus den Fugen geraten, und die teure Seidenbluse war aus dem Rock gerutscht. Inge war sich nicht sicher.

Sollte es tatsächlich zutreffen, dass Heinz auf einer anderen Wiese graste?

Er würde mit dieser Affäre alles durcheinanderbringen, weil eben die beiden Familien durch die Heiraten ihrer Kinder miteinander so eng waren. Würde er das riskieren? Er, der eher vorsichtige Mann, der nur in die Vollen ging, wenn es um Geld und materielle Werte ging.

Was würden Ricky und Fabian und Stella und Jörg dazu sagen?

»Du musst mit ihm reden, Rosmarie, er muss dir Rede und Antwort stehen. Sonst müssen es die Kinder erfahren, und Heinz muss ihnen sagen, ob er eine Affäre hat. So etwas betrifft schließlich die ganze Familie.«

Davon wollte Rosmarie überhaupt nichts wissen, sie nahm den Rest der ihr noch verbliebenen Energie zusammen, um das abzulehnen. Da steckte sie doch wirklich lieber den Kopf in den Sand und hielt eine trügerische Fassade aufrecht. Auch wenn es sie innerlich zerriss, würde sie den Mund halten und hoffen, die Affäre ginge irgendwann vorüber, oder er würde klammheimlich mit dieser Frau weitermachen. Und dann konnte sie nur darauf hoffen, dass die nicht darauf bestand, diese Geschichte legalisieren zu wollen.

Dieser Gedanke war so schrecklich, dass Rosmarie eine Gänsehaut bekam. Inge beugte sich zu ihr hinüber, nahm ihre eiskalte Hand und streichelte sie beruhigend.

Die Rückerts hatten einfach nicht gelernt, Konflikte offen auszutragen und wie Erwachsene damit umzugehen. Was unangenehm war, wurde unter den Tisch gekehrt.

Nun hatte diese scheinbar heile Welt nicht nur Risse bekommen, nein, sie schien ihnen, ganz besonders Rosmarie, die unvermittelt mit einer für sie schrecklichen Wahrheit konfrontiert worden war, um die Ohren zu fliegen.

Arme, arme Rosmarie!

Sie würde sie so gern verstehen, aber sie konnte nur erahnen, was in ihr vorging.

Zum Glück war bei ihnen, den Auerbachs, alles anders. Sie gingen offen mit allem um, sprachen es aus. Und wenn Werner und sie sich stritten wie die Kesselflicker, doch das dauerte nicht an. Sie vertrugen sich schnell wieder.

Nein, bei ihnen sah es anders aus.

Nicht alles …

Leider gab es einen dicken Schönheitsfleck …, die Adoption! Sie hatten es versäumt, verdrängt, vergessen …, sie waren zu feige gewesen, ihre Jüngste, Bambi, eigentlich Pamela, darüber aufzuklären, dass sie nach dem Tod ihrer Eltern von den Auerbachs adoptiert worden war und als Einjährige als der Sonnenschein der Familie in ihr Leben geschneit war.

Nun, am Wochenende würden sie es Bambi endlich sagen. Und deswegen brauchte sie sich deswegen jetzt keine Gedanken zu machen.

Rosmarie brauchte Hilfe und Trost.

Inge wusste, dass es keinen Sinn machte, sie zu bitten, etwas zu tun. Da würde Rosmarie direkt wieder dichtmachen.

Sie konnte nichts weiter machen, als das recht angeschlagene Ego ihres Gegenübers wieder ein wenig aufzubauen.

Werner kam auf die Terrasse hinaus, blieb erstaunt stehen, als er die unverhoffte Besucherin sah, wollte auf sie zugehen, um sie freudig zu begrüßen, als Inge ihm Zeichen gab, deutliche Zeichen, wieder zu verschwinden.

Das verstand er zwar nicht so ganz, doch da er wusste, dass seine Frau so etwas nicht ohne Grund tat, zog er sich wieder zurück.

Zum Glück hatte Rosmarie von diesem Zwischenfall nichts mitbekommen, und es gelang Inge tatsächlich, sie wieder ein wenig aufzubauen und ihr Mut zuzusprechen.

Rosmarie entschuldigte und bedankte sich zugleich, dann erhob sie sich, um zu gehen. In dem Zustand?

Das konnte Inge nicht zulassen. Diskret wies sie ihre Besucherin darauf hin, dass es doch wohl besser sei, ins Badezimmer zu gehen und sich ein wenig herzurichten.

Rosmarie verstand nicht ganz. Da musste Inge ein wenig deutlicher werden: »Dein Make-up ist etwas verwischt, und ich denke …«

Inge kam nicht dazu, ihren Satz zu vollenden, Rosmarie stürmte davon mit einem entsetzten Gesichtsausdruck, der auch nicht hatte schlimmer sein können, als ihr Mann aufgeflogen war.

Tja, so war sie halt, die Rosmarie. Die würde, nicht entsprechend gestylt, keinen Fuß vor die Tür setzen.

Rosmarie kam und kam nicht zurück. Inge begann sich bereits Sorgen zu machen. Gerade, als sie einmal nachschauen wollte, öffnete sich die Badezimmertür. Rosmarie kam heraus, völlig ungeschminkt.

»Ich sehe schrecklich aus, so kann ich überhaupt nicht unter die Leute gehen. Wie schade, dass du kein Make-up besitzt, und ich konnte ja nicht ahnen, was auf mich zukommen würde.«

Inge fand, dass die Schwiegermutter ihrer Kinder ungeschminkt sehr viel hübscher aussah. Da sah man wenigstens etwas von ihrem Gesicht, das sie sonst zukleisterte.

Sie versuchte es ihr zu sagen, doch Rosmarie wollte es ihr nicht glauben. Sie hatte ein festumrissenes Bild von ihrer Welt, die ihr Äußeres mit einschloss.

»Hoffentlich sieht mich keiner«, jammerte sie, »was sollen die Leute denn von mir denken?«

Inge verkniff sich ein Lächeln.

Rosmarie war auf dem Weg der Besserung, wenn ihr das jetzt wichtig war. Wichtiger als das, was die Leute wohl sagen und denken würden, wenn sie erführen, dass Heinz Rückert ein Fremdgänger war.

Doch eigentlich war das typisch für Rosmarie, das fehlende Make-up konnten die Leute sehen, das wirkliche Problem, das war nicht sichtbar, noch nicht, das konnte man vertuschen.

Was sollte es, Inge Auerbach würde diese Denkweise niemals verstehen.

Sie begleitete ihre Besucherin zur Tür, sprach ihr nochmals Mut und Kraft zu.