Impressum

© 2018 Monika Buttler, Hamburg

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Rechte für diese Ausgabe:

elbaol verlag hamburg

www.elbaol-verlag-hamburg.de

Covermotiv:

E. Balsewitsch-Oldach (Frauenprofile: vecteezy)

Umschlaggestaltung, Druck, Herstellung u. Auslieferung: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-939771-65-4

Inhaltsverzeichnis

  1. Aushalten lasse ich mich nicht
  2. Der Mann gehört mir!
  3. Bitte suche mich nicht!
  4. Dein Dank kam zu spät
  5. Dann musst du auf mich verzichten
  6. Ende einer Einladung
  7. Du suchst doch nur eine Pflegerin
  8. Sie ist eben eine Nutte
  9. Das war deine letzte Lüge
  10. Du lässt mich nicht mehr atmen
  11. Ich bin nicht deine Chauffeuse
  12. Das ist ja nicht gerade viel
  13. Diesen Verrat verzeihe ich nicht
  14. Dann wäre sie jetzt ja tot
  15. Du hast nicht genug getrauert
  16. Er oder ich – entscheide dich!
  17. Dein Geiz wird dich noch umbringen!
  18. Sie war nur eine Zugabe
  19. Ich bin viel kränker als du
  20. Der Schrank war nur geliehen!
  21. Ich habe sie geopfert
  22. Du bist jetzt auf einem anderen Trip
  23. Nie würde ich im Hochhaus wohnen
  24. Du hast mich ruiniert
  25. Nun sind wir Konkurrentinnen
  26. Damit hast du auch mich beleidigt
  27. Ihr Geheimnis nahm sie mit

Alle Personen und ihre Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

FÜR PIPA

Vorwort

Freundschaft: nur ein Wort, eine Illusion? Oder wertvollster Kitt unserer Sozialbeziehungen? Freundschaft ist wichtiger als Liebe, sagten mir viele Frauen, die ich befragte. Kein Wunder: Jede dritte Ehe wird heute geschieden, Familien lösen sich auf, die Zahl der Single-Haushalte nimmt zu. Je mehr die „Blutsbande“ an Bedeutung verlieren, desto stärker rückt die Wahlverwandtschaft ins Blickfeld einer individualisierten Gesellschaft. Freundschaft gilt als existenzielle Medizin gegen die Einsamkeit von immer älter werdenden Menschen. Umso erstaunlicher, dass sie, sogar nach Jahrzehnten, plötzlich und für immer enden kann. Warum das so ist, zeigen beispielhaft die 27 Geschichten in diesem Buch. Ich habe sie erlebt oder mir erzählen lassen. Frauen machen miteinander Schluss, aus Gründen, die ebenso banal wie skurril, erschütternd oder tragisch sind. Für mich ein Ansporn, die kostbare Pflanze Freundschaft noch geduldiger und intensiver zu pflegen.

Wenn die Lampe einer Freundschaft mächtig leuchtet,
versäume nicht, Öl nachzugießen,
sonst könnte sie einmal ausgebrannt sein.“

F. J. Romay

Man erkauft sich weder seinen Freund
noch seine Geliebte

Rousseau

1 – Aushalten lasse ich mich nicht

Als Carolin in Hartz IV gefallen war, und „fallen“ war das passende Wort, da war ihr immer öfter der Gedanke gekommen, ob sich so etwas Fragiles wie Freundschaft unter diesen Umständen würde halten können. Nicht zu reden davon, dass jemand zu einer Gescheiterten einen Neukontakt suchen würde. Doch genau das hatte damals Alexa getan. Die bekanntermaßen reiche Alexa hatte sich für die arme Carolin interessiert. Warum?, hatte sie sich gefragt. Die Bezeichnung „reich“ war vielleicht etwas übertrieben, sie sollte „wohlhabend“ sagen, aber in der Sache hatte das keinen Unterschied gemacht.

Sie war Alexa auf der Einweihungsparty für die neue Küche ihrer langjährigen Freundin Marion begegnet. Zur Perfektion der eigentlich schon perfekten Einrichtung aus grauem Granit, Edelstahl und weißem Hochglanzlack hatte Marion sie, die gelernte Stylistin, um „ein bisschen dekoratives Finish“ gebeten, ein kleiner, angenehmer Mitleidsauftrag, der ihr Sozialhilfe-Dasein einen Monat lang erhellt hatte.

Das war vier Jahre her ... Sie erinnerte sich: Unter dem dänischblauen Küchenhimmel schoben sich rund dreißig Menschen umeinander, balancierten Antipasti-Teller und schäumend gefüllte Gläser vor sich her. Carolin hatte eine etwa fünfzigjährige Blondine im Blick. Makellos gerundete, dabei trainierte Figur, sie trug zwei T-Shirts übereinander und auf gebräunter Haut ein Silberkreuz. Mit metallisch hoher Stimme sprach sie auf eine kleine Kraushaarige hinunter.

„Nur Apple! Einmal von der ästhetischen Optik her, und dann – “ Es folgten kurze, dozierende Salven über Computerbegriffe, die Carolin zwar nicht begriff, aber höchst beeindruckend fand.

Ein paar Minuten später standen sie und die Trainierte sich kauend mit ihren Tellern gegenüber.

„Ich bin Alexa Herzog.“

„Carolin Küster.“

„Ich weiß. Ich hab gehört, Sie haben Marions Küche gemacht. Kompliment! Dieses klare Dekor, dazu wenige nostalgische Akzente – “

„Danke.“ Carolin sah in graue, ausführlich musternde Augen und streckte ihre Einssiebzig auf Maximalhöhe. Klar, jetzt prüfte ihr Gegenüber gerade, ob sie, Carolin, ihrer Profession auch mit dem eigenen Kleiderstyling gerecht wurde. Arm, aber sexy, dachte sie ironisch. Nein, im Ernst: Mit ihrem kreativen Outfit würde sie noch Jahrzehnte Hartz IV-Leben bestreiten können. Schwarz, immer wieder Schwarz. Mal aufgepeppt mit einem kiloschweren Metallgürtel, mal mit schulterlangen Ohrgehängen oder mit lila Halbhandschuhen.

Die Haare, selbst gefärbt mit Henna vom Discounter, stutzte ihr Marion auf eine praktische, sensationell wirkende Ultrakürze. Sie aß jetzt für vier Euro bei einem türkischen Steh-Restaurant, Gurken in Joghurt, Hackbällchen, Krautsalat und Co., eine gesunde Sache, die überdies schlank hielt.

Zu den Hübschen, dachte sie, gehört diese Alexa Herzog nicht. Der Kopf wie eine umgedrehte Birne, aber in der Birne, da schien sie einiges drin zu haben. Auf eine spröde-intellektuelle Art war sie irgendwie anziehend.

„Woher kennen Sie denn Marion?“, fragte Carolin.

„Ich bin ihre Vermieterin.“ Alexa Herzog lächelte, einen Hauch Befriedigung um die Mundwinkel. „Ja, das überrascht Sie wahrscheinlich. Aber mir gehören etliche Häuser in dieser Straße, die Wohnungen habe ich alle vermietet.“

Geld, dachte Carolin. Mengen von selbsttätig fließendem Geld. Aber man sah es der Frau nicht an. Keine Brillanten am Finger, keine Cartier am Handgelenk. Turnschuhe am Fuß, immerhin Sneaker mit Silberstreifen.

„Und – was tun Sie so – am Tag?“

„Ich verwalte die Wohnungen. Aber“ – Alexa Herzog spießte nachdrücklich ein Tomatenviertel auf – „das ist nicht interessant. Ich hab gehört, Sie malen auch ...“

„Malen ... Nun, ja. Es ist eine komplizierte Schichttechnik.

Schwer zu beschreiben, muss man gesehen haben.“

„Das nehme ich als Angebot. Wann darf ich in Ihr Atelier kommen?“

Ob Alexa Herzog über sie Bescheid wusste? Und wenn ja, wieso interessierte sie sich für eine Hartz IV-Empfängerin?

Verdammt noch mal, Carolin, was denkst du denn da ... Das war doch genau jene Falle der Selbstverachtung, in die sie alle liefen, die plötzlich arbeitslos Gewordenen. Nein, dieses erbärmliche Spiel würde sie nicht mitspielen. „Selbstbewusstsein hat damit zu tun, für wen man sich hält“, hatte sie irgendwo gelesen. Na, also. Sie durfte von sich eine Menge halten. Der neuen Bekannten würde sie einen Kaffee anbieten, mehr lag nicht drin. Getreu ihrem Motto: Wenn nichts da ist, wird auch nichts ausgegeben. So einfach war das.

Als hätte sie alles genauso erwartet, erschien Alexa Herzog nicht nur mit einer Tortenschachtel, sondern packte aus ihrem silberfarbenen Rucksack auch noch eine mit Bändern umkränzte Flasche Wein aus.

„Danke, sehr großzügig.“ Carolin stellte die Präsente ab. „Ich kann leider generell nur Wasser aus der Leitung offerieren.“

„Die Quelle des Lebens.“ Alexa Herzog hängte ihre Jacke à la Motorradbraut an die Garderobe. „Ach, das ist doch alles gar nicht wichtig. Wir sind schließlich beieinander, um uns geistig auszutauschen.“

Leicht gesagt, dachte Carolin, wenn Geld überhaupt kein Thema ist. Immerhin genoss sie mit neu erwachten Sinnen die Zitronentorte, dann gingen sie in das kleine Atelier hinüber.

„Die Bilder sind von einer unglaublichen Magie.“ Alexa Herzog variierte den Abstand zur Wand, mal ein Detail, mal das Ganze in den Blick nehmend. ,,Als seien sie wie aus einem Traum heraus entstanden. Ich sehe da eine geradezu lebensgefährliche Intensität und Verletzlichkeit.“

Carolin fühlte sich erröten. „Ja“, brachte sie hervor. „Das kann man so sagen.“

Alexa Herzog hob ihr Weinglas und stieß mit ihr an. Auf das Werk und überhaupt. „Sagen wir doch du.“

„Gern“, hörte Carolin sich antworten. Sie wurde sich bewusst, dass ein seltsamer Magnetismus zwischen ihnen flirrte. Alexas Analysen und ihr Verständnis für die technischen Feinheiten waren bestechend, gleichzeitig erzählte sie etwas von – Engeln.

„Das Spirituelle in deinen Bildern erlebe ich ganz konkret.

Engel sprechen zu mir.“

„Hmm. Dafür fehlt mir persönlich ein Empfangsorgan. Und was machst du dann?“

„Ich wandle die Zwiesprache in Gedichte um. Die hab ich in meinem Computer gespeichert.“

„Das klingt spannend. Darf ich sie lesen?“

„Klar.“ Alexa sah sich suchend um. „Hast du einen Computer?“

„Schon.“ Carolin deutete in eine Ecke. „Das Gerät ist aber alt und nicht internetfähig.“

„Kein Problem. Ich bring dir eins vorbei.“ Alexas Augen belebten sich, als würde sie selbst beschenkt. „Second hand, aber noch total in Ordnung.“

„Ja, warum nicht?“ Carolin lächelte generös. Gebrauchen können und brauchen war zweierlei.

Zwei Tage später trug ihr Alexa einen Computer ins Haus.

„Danke“, sagte Carolin. „Im Januar bekomm ich wahrscheinlich einen Ein-Euro-Job, dann kann ich mir die Flatrate leisten.“

„Kein Problem. Das machen wir jetzt. Die Flatrate zahl ich für dich.“

Sie hatte abgelehnt und war auf fast unwilliges Erstaunen gestoßen. „Kein Problem“ – für wen denn, bitte? Für Alexa nicht, vielleicht aber für sie. Natürlich musste ein Mensch etwas annehmen können, das gehörte zur Lebenskunst. Aber in welcher Dosierung? Carolin war irritiert, dass Alexa sie in den folgenden Monaten immer öfter bat, gemeinsam mit ihr Veranstaltungen zu besuchen und sie so aus ihrem selbstbescheidenen Dasein riss. Einem Dasein, an das sie sich fast gewöhnt hatte. Sie hatte für sich eine neue Art von Würde entdeckt, verbunden mit dem kreativen Ehrgeiz, nahezu nichts mehr benötigen zu müssen.

„Komm mit mir in die Turner-Ausstellung“, sagte Alexa in diesem immer leicht fordernden Ton. „Als Künstlerin wirst du dir das nicht entgehen lassen.“

„Den Eintritt kann ich nicht – “

„Das übernehme ich. Ist doch nicht wichtig, wer bezahlt.“

„Gut, einverstanden.“ Vielleicht war es wirklich nicht wichtig, dachte sie sekundenkurz. Warum eigentlich zog ihre Freundin nicht mit Leuten los, die genauso betucht waren wie sie selbst? Auf den kleinen, eher intimen Partys war sie zwar auch Normalverdienern begegnet, zum Beispiel einem Werbeleiter und einer Diplom-Psychologin, aber ein paar andere gehörten offenbar nur dazu, um von Alexa materielle Wohltaten zu empfangen. Der arbeitslosen Sportwissenschaftlerin finanzierte sie die Monatskarte, und die schwächelnde Webdesignerin durfte zu grandioser Entlohnung Computerarbeiten ausführen, die sie selbst viel besser gekonnt hätte. Dafür bewunderte die Dame Alexas Engel-Gedichte ...

Ach, ich sollte nicht so bissig sein, dachte Carolin, ich profitiere schließlich auch von ihr. „Soziale Teilhabe“, nannte man das.

„Du brauchst natürlich nichts mitzubringen“, sagte Alexa.

Carolin überreichte bei jeder Einladung eine einzige langstielige Rose.

Alexa holte sie mit ihrem Mercedes ab, einem Modell der Superklasse. Carolin hatte einen Führerschein, aber längst kein Auto mehr. Sie genoss wieder das wiegeweiche Fahrgefühl und streichelte mit Blicken das Edelholz der Armaturen.

„Hat mir mein Vater überlassen“, hatte Alexa bei der ersten Fahrt erklärt.

Nach den erfüllenden, aber auch erschöpfenden Stunden in der Turner-Ausstellung meldete sich bei ihrer Freundin der Hunger. Und auch bei ihr, obwohl sie in letzter Zeit der Meinung war, dass man bei geringen Essmengen wesentlich besser denken könne.

Alexa ließ den Motor an. „Und jetzt fahren wir ins Elysée zum Essen.“

„Das kann ich nicht bezah – “

„Aber Caro, du musst doch nicht jedes Mal von Geld anfangen. Das ist mein Part. Du gibst mir dafür Nachhilfe in Kunst.“

Im Restaurant bestellte sich Alexa eine Pasta mit Lachs und Austernpilzen.

„Für mich bitte das Gleiche.“ Carolin sagte es automatisch wie eine Floskel. Schamvoll eingeprägt hatte sich ihr die Restaurant-Einladung eines Freundes, bei der eine Bekannte, wie sie Hartz IV-Empfängerin, ein Hummergericht geordert hatte. Das teuerste Gericht auf der Karte.

Jetzt, im Elysée, überfiel sie die heiße Gier der Entbehrung.

Trotzdem aß sie mit souveräner Langsamkeit. Nein, ein Dessert wolle sie nicht nehmen.

Seit zwei Jahren war sie mit Alexa befreundet. Carolin dachte von Zeit zu Zeit darüber nach, was sie selbst in die Beziehung einbrachte. War es nicht sonderbar, dass man jedes Geben ins Materielle umrechnete? Mit Alexa verbrachte sie viel Zeit in deren Ferienhäuschen an der Schlei. Hier, enthoben den täglichen Konfrontationen mit einem Leben aus Preisen und Kosten, spürte Carolin eine fast zeitlose Zufriedenheit.

Sie sprachen entspannt über Banales und Tiefsinniges, werkelten vor sich hin, pausierten bei einem Kirschkuchen. Carolin arbeitete sich an solchen Tagen in eine steinschwere Müdigkeit hinein. Sie summierte für sich, was sie hier bereits geschafft hatte: Gartenmöbel gestrichen, Dachschäden repariert und sogar einen Teich angelegt.

Alexa streckte ihre Beine in die Sonne. „Caro, du übertreibst.

Kein Mensch hat gesagt, dass du hier arbeiten sollst.“

„Ich tue das aber gern. Wenn ich etwas kann, dann mit meinen Händen. Künstler sind Handwerker.“

„Du machst dich noch kaputt. Dafür kann ich doch Leute engagieren.“

„Ja, ja. Geld spielt keine Rolle, das kennen wir.“ Carolin zog die Gummihandschuhe aus. „Lob mich lieber mal...“

Zwei Jahre später. Das Amt hatte sie von „Maßnahme“ zu „Maßnahme“ geschleust. Heimbewohnern Kaffee einschenken und so. Lächerlich. Immerhin blieb ihr viel Zeit, um an ihren Bildern zu basteln.

„Marion bezahlt mir die Malutensilien“, erzählte Carolin ihrer Freundin.

,,Ah ja, tut sie das.“ Alexas schmale Lippen wurden noch schmaler.

Eifersucht, konstatierte Carolin. Die Konkurrenz der Helfenden. Sie amüsierte sich bei dem Gedanken, dass sie ihre Gönnerinnen gegeneinander ausspielen könnte. Ihr finanzieller Status ließe sich so in ungeahnte Höhen schrauben.

,,Alexa überschüttet mich ständig mit Geschenken“, hatte kürzlich eine auch nicht gerade üppig lebende Bekannte zu ihr gesagt. „Es ist ein Schrei nach Liebe.“

Alexa rief bei Carolin an. „Hast du gestern den Afrika–Film auf 3sat gesehen?“

„Nein, mein Fernseher ist kaputt. Schon seit Wochen.“

„Kein Problem. Ich hab noch einen astrein funktionierenden im Keller. Bring ich dir morgen vorbei. Okay?“

Carolin zögerte kurz. Eigentlich vermisste sie das Fernsehen nicht mehr. „Schön. Komm auf einen Kaffee zu mir. Ich freu mich.“

Alexa erschien mit einem Kuchenpaket. Am Kaffeetisch schlug sie sich gegen die Stirn. „Mist noch mal, ich hab den Fernseher vergessen! Ich versteh gar nicht – “

„Nun lass doch. So wichtig ist es ja nicht.“

„Nicht wichtig?“ Alexas Metallstimme kippte ins Schrille.

„Ich schleppe hier ständig Sachen für dich an, Kaffeemaschinen, Computer, erklär dir noch alles, weil du technikmäßig Analphabetin bist, und dann – “

Je länger Carolin in das immer röter werdende Gesicht blickte, desto mehr gefror sie. „Die Wahrheit ist, dass du mich bedrängst“, erwiderte sie kühl. „Ich fühle mich mittlerweile wie in einem Belagerungszustand.“

„Du hast das alles sehr gern genommen.“

„Habe ich nicht. Du hast nur die Signale nie verstanden. Ich sag dir eins: Aushalten lasse ich mich nicht.“

„Ich sag dir auch was, Carolin Küster: So arm du bist, so arrogant bist du. Mich siehst du nicht wieder.“

Carolin antwortete nicht. Sollte die andere das letzte Wort und den Triumph der Verlassenden haben. Ein kleiner Preis für ihre ersehnte Freiheit.

Aufatmend kehrte sie den restlichen Kuchen zusammen und warf ihn in den Mülleimer.

Freundschaftsdauer: vier Jahre

Menschen sind zuweilen ebenso
eifersüchtig in der Freundschaft
wie in der Liebe. Das zeugt mehr
von einer neidischen als von einer
zärtlichen Gemütsart

Adolph Freiherr von Knigge

2 – Der Mann gehört mir!

Greta nahm sich ein zweites Stück Nusstorte.

„Ich hab einen neuen Mann“, platzte es aus ihr heraus. „Du wirst dich wundern.“ Auf ihrem Gesicht lag erwartungsvoller Triumph, es schien, als habe sie bis zu dieser Mitteilung den Atem angehalten.

Simone sah ihre Freundin zweifelnd an. Gut, Greta bekam mit ihren fünfzig Jahren stets genügend Internet–Angebote.

Aber bisher hatte ihr an einem Mann noch nie etwas gepasst: Der eine hatte fünf Haustiere, der andere war Kettenraucher, der dritte wollte mit ihr auswandern. Die Männer hatten durchaus Interesse gezeigt, obwohl sie optisch nicht gerade viel hergab. Sie gehörte zu diesem Typ mittelalter Frauen, die einem ununterscheidbar wie Klone überall in Massen begegneten: matronig dick geworden, diverse Lagen Knitterleinen als Gegenmittel, der Haarton der einer gescheiterten Blondine.

Simone strich sich unbewusst über die Hüften. Sie war das schlanke Gegenstück, und so sollte es auch bleiben.

„Ich dachte, du hast das Kapitel Männer abgehakt.“

„In gewisser Hinsicht ja. Aber das hier ist etwas ganz Anderes. Mir ist es noch nie so gut gegangen.“

„Was macht er? Wie sieht er aus?“

„Immer mit der Ruhe, meine Liebe.“ Greta ließ die Torte im Mund zergehen. „Ich werde dir Viktor einfach vorstellen.“

Simone saß in ihrem Reisebüro über Abrechnungen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Sie war beunruhigt. Greta und ein Mann? In letzter Zeit war ihre Freundin eher zur trägen Tortentante mutiert, Tendenz: Essen ist der Sex des Alters.

Zudem waren sie doch inzwischen der Ansicht, dass es sich ohne die anstrengende Spezies Mann viel angenehmer lebte, ein Zustand, den sie schon mehr als vier Jahre mit Erfolg praktizierten. Sie und Greta, vereint in einer entspannenden Gemeinschaft mit festen Ritualen. Wenn die nun in Gefahr geriet? Ihre wunderbare Behaglichkeit, bedroht von einem Mann? Das durfte nicht passieren. Sie musste an Freundinnen denken, bei denen die eine ein Kind bekommen hatte und die andere kinderlos geblieben war. Immer war die Freundschaft beschädigt worden.

Sie hatte Greta bei einem Sprachkurs kennen gelernt. Italienisch. Beide hatten sich versichert, dass Italien überhaupt das Größte sei. Die Sprache – definitiv schöner als Französisch – , die Oper, die Landschaft, das Essen. Und ein Latin Lover als erotische Beilage sei auch nicht zu verachten.

Einmal im Monat hatten sie ihren Jour fixe. Italienisch essen gehen, jedes Mal in einem anderen Restaurant. Ein heiliger Termin, der von niemandem durchkreuzt werden durfte.

Und garantiert ein Dauerunternehmen, schließlich war das Reservoir an Italienern in Hamburg unerschöpflich. Außerdem gingen sie häufig in die Staatsoper, die bekanntesten Verdi– und Puccini-Arien konnten sie auswendig.

Simone hatte formal noch einen Ehemann, von dem sie aber keinen Gebrauch machte. Er lehrte an der Uni Lüneburg Psychologie und Pädagogik.

„Das ist ein Witz“, hatte Simone zu Greta gesagt. „Im Umgang mit mir hat sein Studium jedenfalls keine Früchte getragen. Entweder ist er ausgeflippt, hat geschrien ,Du hast Pferdescheiße im Hirn’, oder er saß muffig schweigend herum.“

„Wie ich dich kenne, hast du dir das nicht gefallen lassen.“

„Natürlich nicht. Ich habe zurückgeschlagen, ihn als ,Versager’ bezeichnet.“

„Die Ehe – ein Höllentrip“, konstatierte Greta, die noch nie geheiratet hatte.

„Stimmt. Ich denk noch mit Grauen an die Party, die wir hatten. Ich habe mich aus Spaß mit einigen Gästen auf Italienisch unterhalten. Gut, er konnte natürlich nicht mithalten, sein Wortschatz beschränkt sich auf ,si, si’ und ,un momento’. Trotzdem, diese Reaktion: Der ist beleidigt aufgestanden und aus der Wohnung gerauscht!“

Folgerichtig habe sie dafür gesorgt, erklärte Simone, dass der „Fehlgriff“ auszog und in Lüneburg blieb.

Was Männer betrifft, so hatte es einige Gastspiele gegeben, aber spätestens nach dem Frühstück hatten die Herren gehen müssen. Der Sonntagsbrunch gehörte Greta.

„Seltsam, dass sich Frauen ohne Mann amputiert fühlen“, sinnierte Simone. „Ich für meinen Teil vertrage Männer nur als Fastfood.“

„Die heiße Terrine“, kicherte Greta. „Dafür brezelst du dich aber ganz schön auf. Prall siehst du aus. Hat dir Dr. von Brück schon wieder Hyaluron gespritzt?“

„Hat er.“ Simone befühlte ihre Wangen. „Tu ich aber für mich und nicht für Männer.“

So wirkte ihr Spitzmaus-Gesicht unter den hochgesteckten blonden Haaren doch gleich viel weniger spitz. Und dank Kraftsport würde sie immer in ihre bestickten Eng-Jeans passen. Der Mensch konnte sich selbst formen. Was Greta offensichtlich nicht wollte. Ein Körper wie zerlaufener Teig.

„Komm zu mir nach Hause“, sagte Greta, „dann stelle ich dir meine Neuerwerbung vor.“

„So weit seid ihr schon?“ Simone schwankte zwischen Neugier und Neid.

„Ich glaube, das ist nicht der richtige Ausdruck. Also: Sonnabend, 18 Uhr, natürlich zum Essen.“

Simone mochte Gretas Wohnung. Der typische Altbau: Stuck und Parkett, Antiquitäten, kombiniert mit Glas und Chrom.

Accessoires wie venezianische Masken oder eine Schaufensterpuppe verrieten einen individuellen, ästhetisch sicheren Geschmack.

Als sie eintrat, wogte ihr der akustische Herzschmerz von „Tosca“ entgegen.

„Wir haben ,Tosca’ gehört“, sagte Greta. Es klang nach einem Alibi.

Im Wohnraum sprang ein Mann auf und beugte sich über Simones Hand. Wie entzückend altmodisch, dachte sie. Beinahe wäre ihr ein „Oh!“ entwischt. Dieses zirka fünfzigjährige Wesen in Anthrazitgrau war ja zum Seufzen schön: antikes Edelprofil, maßvoll athletische Gestalt und die Augen ... Der Mann hatte etwas zu viel gelebt.

Respekt, meine liebe Greta. Die Musik war jetzt leise gestellt.

Sie sprachen über Opern.

„Ohne die italienische Oper könnte ich nicht existieren!“ Simone hatte es intuitiv gesagt, sie wunderte sich selbst über ihre Emphase.

„Hach, dann sind wir schon drei, die es nicht können.“ Der Mann, der Viktor Ulmer hieß, wechselte mit gespreizten Fingern zwischen Zigarette und Weinglas.

„Vittorio, gieß mir noch einen ein!“ Greta stieß ihm mit Tunnelblick ihr Glas entgegen.

„Aber, gern, Bellissima. Und Sie, Simone?“

Simone kaute noch an dem affigen „Vittorio“ herum, dann nickte sie. Ein Schuss Beschwipstheit würde ihr stehen. Was fand eigentlich dieser geschmeidige Apoll an Greta? An deren fast verzweifelt bemühter Erotik?

Jetzt sollte es endlich etwas zu essen geben. Immerhin hatten Gretas Kochkünste Sterne-Niveau.

„Vittorio, bello, gibt’s jetzt was zu essen?“, fragte Greta mit schmollender Kleinmädchenstimme.

Simone hielt im Trinken inne. Was denn – hatte ihre Freundin etwa nicht selbst gekocht?

Aber da tänzelte ihr Neuer bereits zur Küche. „Subito, subito.

Was heißt ,essen’? Ich werde mit euch ein kulinarisches Hochamt zelebrieren. Kommt, ihr könnt mir assistieren.“

Simone erhob sich sofort, angezogen von unwiderstehlichen Knoblauchdüften und getrieben, dem Beziehungsgeheimnis zwischen den beiden auf die Spur zu kommen. Greta folgte ihr im Schlurfschritt.

Viktor hatte eine blendend weiße Schürze angelegt. „Habe ich mitgebracht“, erklärte er. „Und ein paar neue Spültücher.

Verzeih, Darling, aber ich kann nur arbeiten, wenn alles hundertprozentig picobello ist.“

„Ist ja gut, mein Herzi. Bist du mit dem Geld ausgekommen?“

„Natürlich, komme ich doch immer.“

Simone verbot sich, diese Antwort auszuspinnen. Ihre gut gestellte Beamten-Freundin ließ kochen, so what. Das Essen jedenfalls war das versprochene Glanzlicht. Austernpilze mit Scampi im Frisésalatnest, Lammkeule an Rosmarinjus, Limettenmousse.

„Himm-lisch!“ Viktor Ulmer schloss selbstbegeistert die Augen.

„Himm-lisch!“, wiederholte Simone.

„Sagen wir du? Vittorio!“ Sein schwankendes Glas kam auf sie zu.

„Simone.“ Ihre Gläser klangen aneinander. In ihr leichtes Berauschtsein schnitt Gretas Beobachterblick. Sollte die doch gucken. Sie tauschte mit Vittorio den Bruderschaftskuss.

Er hatte sich ziemlich zugedröhnt verabschiedet. Simone war noch geblieben und hatte sich mit einem Kaffee ernüchtert.

„Ein sympathischer Mensch. Ist er schwul?“

„Ja, natürlich. Und das ist auch gut so.“

Simone lachte los. „Meine Liebe – jetzt hast du dich ganz wunderbar geoutet.“

„Ja, und? Der Zweck heiligt die Mittel. Nein, im Ernst: Ich fühle mich wie neu geboren.“ Greta breitete weltumfassend die Arme aus. „Er verwöhnt mich, er begleitet mich, wir unterhalten uns. Ich habe einen Mann! Ist das nicht genial?“

„Wenn er dir gut tut. Wo hast du ihn eigentlich aufgegabelt?“

„Was heißt aufgegabelt? Vittorio ist mein Nachbar, er wohnt zwei Stockwerke höher.“

Interessant, interessant, dachte Simone. Sie würde nachher auf das Klingelschild achten. „Hat er einen Mann an seiner Seite?“

„Nicht mehr. Vittorio verarbeitet das gerade. Er ist jetzt in der zweiten, der resignativen Trauerphase. Er ist wahn-sinnig empfindsam, deshalb verstehen wir uns ja auch so gut.“

Gretas zufriedenes Lächeln ging in ein Gähnen über. Simone bestellte sich ein Taxi.

Greta hatte Recht: Ein Homo war die geniale Männerlösung. Ende des Geschlechterkampfs, nur noch gemeinsames Genießen. Ob Greta ihr diesen Apoll mal ausleihen würde? Eher nicht, sagte ihr Bauchgefühl. Die hielt doch recht zickig die Krallen über ihn. Trotzdem gab es weiterhin Zu-Dritt-Treffen. Denn Greta liebte es, ihr „ihren Mann“ mit Stolz zu präsentieren, und schließlich war sie, Simone, ja die Freundin.

Es war an einem dieser von Alkohol erfüllten Abende gewesen. Wieder bei Greta. Die allseitige Trunkenheit hatte unter Klatsch-und-Tratsch-Geschichten ihren heiteren Gipfel erreicht und war in ein erschöpftes Schweigen gekippt. Simone betrachtete Viktor, wie er mit elegant gekreuzten Beinen und gebeugten Schultern durstig in sich hinein rauchte. Armer melancholischer Nachtvogel, dachte sie, ich werde dich erlösen.

„Vittorio, Lieber, du hast doch CDs mitgebracht.“

Sein Schattengesicht leuchtete auf. „Tango! Finnischer Tango!“

Er legte eine CD ein. Mollklänge überschwemmten den Raum, sie trafen Simone so sehr ins Herz, dass sie wie gezogen aufstand und in Viktors Arme glitt. Sie tanzten, und es war ihr, als hätten sie es schon immer getan, sie und Viktor, verschmolzen zu einem einzigen Wesen. Sie schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. Ja, auch er schien verzückt, hingegeben an die selbstverständliche Harmonie ihrer Bewegungen.

„Simone, du tanzt göttlich!“ Viktor schob sie mit langen Schritten über den Parkettboden.

„Und du erst! Ach – Tan-go!“

Diese traurige Süße. Es könnte immer so weiter gehen. Da fiel ihr Blick auf Greta. Das Gesicht ihrer Freundin spiegelte eine kaum beherrschte Grimmigkeit wider. Erschrocken hielt Simone fast inne. Nein, kein dritter Tanz, entschied sie. Sie löste sich und ließ sich in einen Sessel fallen.

„Komm, bella, jetzt bist du dran.“ Viktor wiegte auf der Stelle und streckte seine Hände Greta entgegen.

Die erhob sich, zögernd im Kampf zwischen Hemmung und Lust. Schon bei den ersten Sehnsuchtstakten verstolperte sie sich. Simone sah hin und wieder weg. Nein, die packte es nicht. Nicht umsonst hatte sie, Simone, eine Tango-Schule besucht, um diese Fast-Vollendung zu erreichen.

Der Schmelz der reichen finnischen Vokale klang aus.

„Greta-bella, das üben wir noch“, tröstete Viktor.

Ein lähmender Single-Sonntag. So einen wie Viktor müsste sie haben, dachte Simone. Aber wo kriegte frau einen angenehmen Homo her? War es vielleicht genau so schwer, wie einen Normalo zu finden?

Simone rief bei Viktor an. „Wollen wir uns heute Vormittag an der Alster auslüften?“

„Gern, bellissima. Bin subito bei dir.“

Kurz darauf flanierten sie unter dichten Spaziergänger-Gruppen am Ufer entlang. Plötzlich zuckte Simone zusammen.

Hinter einer Weide tauchte Greta vor ihnen auf - und hatte sie mit Viktor gesehen. Schnell lenkte sie seinen Blick auf ein paar Schwäne. Greta ging weiter. In ihren Augen lag purer Hass.

Am Abend kam Gretas Anruf. Ohne Umschweife legte sie los. „Das war ja wohl das Allerletzte, Vittorio hinter meinem Rücken abzuschleppen. Ich merk schon lange, dass du dazwischenfunkst. Deshalb sage ich es dir ein für alle Mal: Der Mann gehört mir!“

„Was heißt denn gehören?“, erwiderte Simone schwach.

„Ich diskutiere nicht mit dir. Für mich bist du gestorben. Für immer.“

„Du kannst deinen Homo geschenkt haben!“

Beide legten gleichzeitig auf.

Freundschaftsdauer: fünf Jahre

Freundschaft existiert nur im Kopf.
Deshalb ist sie meistens abwesend.

Unbekannt

3 – Bitte suche mich nicht!

Wenn Maren von ihrer verlorenen Freundin sprach, gebrauchte sie das Wort ,Funkstille’. Das klang nach Abbruch, in dem noch ein Rest von Hoffnung schwang. Als könne etwas noch einmal beginnen. Funkstille, sie hatte das nachgeschlagen, ist ein Wort aus der Schifffahrt. Es beschreibt die Einstellung des Funkverkehrs, um den Empfang von Notsignalen sicherzustellen. Aber würde sie je ein Signal von Ilka erhalten? Ein Notsignal sicher nicht, dafür war ihre Freundin zu stolz.

Eigentlich passte dieses Ende. Von Anfang an war Ilka für sie ein Mysterium gewesen. Der personifizierte Dauerreiz, um hinter ein Geheimnis zu kommen, das vielleicht keines war oder nur in schillernder Leere bestand.

Vor sieben Jahren hatten sie sich kennengelernt, in Ilkas Boutique. Maren liebte die Entdeckungsschätze der Gebrauchtmode, und als sie das Schild las, Second hand – First class, war sie zögernd über die Schwelle getreten.