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Stefan Brönnle
Heiliger Raum

Stefan Brönnle

HEILIGER
RAUM

Sakrale Architektur und die
Schaffung »Heiliger Räume« heute

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1. Auflage 2010

Inhalt

Einführung

Der heilige Raum

Räume des Inneren und des Äußeren

Mythologische Grundlagen sakraler Architektur

Vom Himmelsraum zum gebauten Raum

Der heilige Baum

Das heilige Wasser

Der heilige Stein

Der Körper Gottes

Der dreifache Körper des Göttlichen

Die heilige Mitte

Mitte des Menschen - Mitte der Welt

Mitte und Peripherie

Die Mitte im Sakralbau

Die Weltenachse

Die Weltenachse im Sakralbau

Der Weltenberg

Bis zum Himmel hoch: der Turm

Die rituelle Weltenachse

Die Achse

Die Ausrichtung im Sakralbau

Die Himmelsrichtung

Die Ortskraft

Mythologische Weltbilder und ihre formale Symbolik

Die Einflüsse auf die christliche Sakralarchitektur

1 + 2 = 3 Die Symbolik der Zahl

Sakrale Technologie

Die Kraft des Ortes: die Plazierung

Geomantisch genutzte Ortsphänomene

Wasseradern
Geologische Verwerfungen und Quarzbänder
Gitternetze
Leylinien und Drachenlinien
Einstrahlpunkte
Der geistige Fokus

Elemente des Sakralbaus und geomantische Phänomene

Das Allerheiligste: Chor und Vierung
Die Achse
Die Kanzel
Der Lettner
Säulen
Zentralbauten
Der Turm
Das Portal

Das Sanktuar

Die gebaute Umhegung

Die rituelle Umhegung

Der göttliche Hauch: Das Numen reliquiarum

Von Wetzsteinen und Kratzrillen

Die numinose Stelle

Die Orientierung

Richtungsqualitäten

Sternenräume – Seelenräume

Die Rhythmen der Natur und ihre geistig-seelische Wirkung
Grundlagen zum Verständnis räumlicher Orientierung
Die Ekliptik
Die Präzession
Der Tierkreis
Aufgangspunkte am Horizont
Sternenmythen und Raumbezug
Beispiele sakral-astraler Orientierungen
Malta
Stonehenge
Newgrange
Cuzco
Chichén Itza und Uxmal
Die Nazca-Ebene
Astrale Landschaftstempel in Europa
Die Ausrichtung im Christentum

Heilige Geometrie: Die Proportionierung

Das Ortsmaß

Vom Gnomon und der Sonnenbarke

Omphalos und stehende Wellen

Global Scaling

Die Wirksamkeit der Maße

Ausklang: Heilige Räume schaffen

1. Finden Sie Ihr Gestaltungsziel

2. Finden Sie den Platz

3. Schaffen Sie ein Sanktuar

4. Finden Sie das rechte Maß

5. Finden Sie die richtige Proportion

6. Richten Sie sich innerlich und äußerlich aus

7. Finden Sie passende Materialien, Farben und Klänge

8. Nutzen Sie Katalysatoren

9. Finden Sie ein Symbol

10. Finden Sie den richtigen Zeitpunkt

11. Weihen Sie den Ort

Anhang

Adressen

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Einführung

Der Heilige Raum

Räume umgeben uns – überall. Dies mag wie eine Binsenweisheit klingen, doch ist sich der Mensch dessen selten bewußt. Es ist uns einfach zu selbstverständlich. Doch sind der Raum und das Raumgefühl nicht immer gleich. Im Gegenteil: Jedes Zimmer wirkt anders auf uns, auch wenn wir die Augen schließen. Die Wände geben einen bestimmten Raum vor. So schafft die Grenze erst Raum. Dieser Umstand führte in der Schaffung sakraler Bauten zur sakralen Umhegung, zum Sanktuar. Aber auch der »offene Raum«, die Landschaft, hat solche Grenzen. Sie werden durch die Topographie ebenso definiert wie durch die raumbildenden Qualitäten einzelner Objekte. So schafft ein einzelner großer Baum in einer Ebene einen spür- und erlebbaren Raum um sich, der fast eine Art Gravitation besitzt. Trampelpfade über solche Ebenen werden, auch wenn sie ganz woanders hinführen, stets ein wenig zum Raum eines solchen Baumes »hingezogen« – ein sichtbar gewordenes Zeichen für das Bewegungsverhalten von Mensch und Tier.

Je nach Landschaftstypus sind die Landschaftsräume mal größer, mal kleiner. Und die Qualität dieser Räume ist spürbar verschieden. Ebenen lassen den Himmel erfahrbar werden, sind von »kosmischer Qualität«, Schluchten dagegen lassen uns die Erde erfahren und sind daher eher von »chthonischer (= unterweltlicher) Qualität«.

Obgleich Räume von sich aus bestimmte Qualitäten besitzen, haben Tier und Mensch auch stets das Bedürfnis, Räume zu schaffen, die ihrem innersten Wesen entsprechen. Dieses Bedürfnis drückt sich beim Menschen auch verbal aus. Das Verb »räumen« meint »Raum bilden« oder »Platz schaffen«. Im Sinne von »roden« z. B. wurde durch die Räumung im Wald ein Raum geschaffen. So birgt der Raum in sich Freiheit und Grenze zugleich. Die dem Verb »räumen« zugrunde liegende indoeuropäische Wurzel »reu-« hat eine Verbindung zum tocharischen* »ru-«, was soviel wie »öffnen« bedeutet.

Besondere Räume haben die Fähigkeit, in uns und in der Landschaft etwas zu öffnen. Es sind heilige, heil-machende, ganz-machende Räume, die natürlich (von der Erde geboren) oder künstlich (vom Menschen erschaffen) oder ein wenig von beidem sind. Obgleich, oder besser weil die heilige Grenze, das Sanktuar, sie umschließt und begrenzt, sind solche heiligen Räume befähigt, uns zu öffnen und Freiheit zu geben. Das Bedürfnis des Menschen, solche Räume zu erschaffen, die ihn öffnen, die ihm gestatten, dem Numinosen, dem Göttlichen, nahe zu sein, ist sicher so alt wie die Menschheit selbst. Es sind materielle Räume ebenso wie geistig-seelische Räume.

Räume des Inneren und des Äußeren

So birgt jeder äußerliche, jeder materielle Raum (insofern man ausgerechnet beim Raum überhaupt von »materiell« sprechen darf, ist er doch gerade nicht-materiell, ungefüllt und offen) einen inneren Raum. Jede Form hat eine Qualität. Oder wie Laotse es ausdrückte:

Dreißig Speichen enden in einer Nabe;

doch erst das Loch in der Nabe

wirkt des Rades Brauchbarkeit.

Ton knetend bildet man Gefäße;

doch erst ihr Hohlraum

gibt ihnen Brauchbarkeit.

Mauern, von Fenstern und Türen durchbrochen,

bilden Räume;

doch erst die Leere des Raums

gibt ihnen Brauchbarkeit.

So gibt das Stoffliche zwar Eignung,

das Unstoffliche aber erst den Wert.

Laotse, Tao Te King 11,

nach einer Übers. von Rudolf Backofen

Und an anderer Stelle:

Das Wesen erschaut,

wer wunschlos zum Herzen der Dinge strebt;

Gestalten nur sieht,

wer begehrlich am Sinnlichen klebt.

Wesen und Gestalt sind nur begrifflich gespalten,

geheimnisvoll bleibt ihrer Einheit Grund.

Diese Einheit ist das Geheimnis der Geheimnisse,

zu allem Unergründlichen das Tor.

Tao Te King 1

Form und Inhalt gehören zusammen. Sie erschaffen ein Tor in andere Welten, sie räumen einen Weg zu innersten Erfahrungen. Äußerer Raum schafft inneren Raum, und innerer Raum erschafft äußeren. Getrieben von dem Bedürfnis, diesem inneren Raum Ausdruck zu geben, erschuf der Mensch so grandiose Bauwerke wie die Kathedrale von Chartres, die Tempelanlage von Angkor Wat, die unzähligen Tempelanlagen von Malta, Stonehenge oder die Tempel von Abu Simbel. In ihnen öffnen sich innere Räume der Erfahrung, Räume des eigenen Wesens. Wenn innerer Raum und äußerer Raum zusammenklingen, entsteht, wie Laotse es formulierte, das »Unergründliche«, das Dao (Tao).

So sind Kirchen und Kapellen, die Tempelruinen vergangener Kulturen und Epochen viel mehr als museale Relikte und Touristenattraktionen. Es sind heilige Räume, durch die der Mensch sich bemühte, dem Wesen der Existenz selbst näherzukommen, jeweils geprägt durch die Weltsicht der jeweiligen Kultur und Epoche. Natürlich steht nicht jedes dieser Bauwerke noch heute mit uns in Resonanz. Wir haben zum Teil andere Weltsichten entwickelt, andere spirituelle Bedürfnisse und Existenzmotivationen. Darum dürfen wir nicht erwarten, daß für uns jedes sakrale Bauwerk gleich wirkt. Manche haben ihre Wirkung vielleicht sogar verloren oder werden sie in ein paar Jahrhunderten wiedererlangen. Doch so unterschiedlich die Motive der Erbauer und die Wirkung der Bauten im einzelnen gewesen sein mögen, es sind doch alles sakrale Bauten, in denen ein Gleichklang von inneren Räumen unserer Seele und dem äußeren Raum des materiellen Lebens erzeugt werden sollte. Dieser Urimpuls fand seinen Ausdruck in bestimmten Bauprinzipien, die sich im Ort, im Aufbau, der Symbolik, der Orientierung, dem Maß und der Proportion ausdrückten. Diese Urprinzipien sind, so möchte ich vielleicht etwas vermessen behaupten, bei allen sakralen Bauten und heiligen Räumen gleich, egal aus welcher Kultur sie entstammen.

Die Vermittlung dieser Grundprinzipien der sakralen Geomantie* und der genutzten Techniken ist Inhalt dieses Buches. Sie führen, so hoffe ich, den Leser zu einem tiefen Verständnis heiliger Räume und regen nicht zuletzt dazu an, auch selbst wieder einen heiligen Raum zu erschaffen.

* Die ausgestorbene tocharische Sprache gehört zur indogermanischen Sprachfamilie und wurde in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends im Tarimbecken im heutigen Uigurischen autonomen Gebiet Xinjiang im äußersten Nordwesten Chinas gesprochen

* Geomantie ist die Kunst, Lebensräume nach den Bedürfnissen der menschlichen Seele im Einklang mit der Ortskraft zu gestalten. Das Wort setzt sich aus »Geo« = Erde und »Mantik« = Interpretationskunst zusammen. Durch die Mantiken (aus griech. mantheia = Wahrsagung) versucht der Mensch auf verschiedenste Art (heute z. B. durch physikalische Messungen, Radiästhesie, Form- und Symbolinterpretation und innerer Wahrnehmung) das innere Wesen eines Raumes, eines Ortes, ja der Erde selbst zu erfahren.

Mythologische Grundlagen sakraler Architektur

Vom Himmelsraum zum gebauten Raum

Noch bevor es gebaute Tempel gab, erlebte der Mensch den Raum der Landschaft. In den Elementen erfuhr er die Kraft des Göttlichen. Er nahm die Bewegungen des Himmelsgewölbes wahr, den Wechsel der Jahreszeiten der Erde, der mit ihnen in Übereinstimmung war. Er sah die Veränderungen der Pflanzen im Zyklus des Werdens und Vergehens und das Verhalten der Tiere. Und er erkannte den Wechsel des Wassers, die Zeiten, in denen mehr oder weniger Regen fiel, in denen Flüsse anschwollen und Tümpel austrockneten. Die Elemente der Landschaft wurden zu Symbolträgern des heiligen Lebens auf der Erde. Diese Elemente sind die Pflanzen, das Wasser und der Stein. Heilige Orte zeichnen sich überproportional häufig durch die Kulmination dieser drei Elemente aus, und sie fanden ihren Weg in die Symbolsprache der Tempel verschiedenster Kulturen. Beim Bau der ersten heiligen Räume waren Wasser, Stein und Pflanze präsent. Durch ihre, wenn auch später oft nur noch symbolische Präsenz im sakralen Raum war sich der Mensch des Segens der Erde gewiß. Die Erde, die Große Göttin, mußte auch präsent sein, wenn der Mensch sich eigene heilige Räume erschuf. So schrieb Seneca (Epist. 41,3):

Erblickst du einen Hain von dichtstehenden, alten, über die gewöhnliche Höhe aufragenden Bäumen, wo die Masse des über- und durcheinander sich erstreckenden Gezweiges den Anblick des Himmels ausschließt, dann gibt der riesige Baumwuchs, das Geheimnis des Ortes und die Bewunderung des im offenen Feldes so dichten und zusammenhängenden Schattendunkels dir das Gefühl von der Gegenwart einer Gottheit. Und wenn eine Grotte mit tief ausgefressenem Felsgestein sich in einen Berg hinein erstreckt, keine künstliche, sondern durch natürliche Ursachen zu solcher Weite ausgehöhlt, so wird sie dein Gemüt mit der Ahnung von etwas Höherem ergreifen. Wir verehren die Ursprünge großer Flüsse; wo ein gewaltiger Strom plötzlich aus dem Abgrund hervorbricht, stehen Altäre, heiße Quellen haben ihren Gottesdienst, und manche Seen werden wegen ihres dunklen oder unermeßlich tiefen Wassers für heilig gehalten.

Der heilige Baum

Ein Ausdruck der Lebendigkeit der Erde sind die Pflanzen. Sie wachsen, gedeihen, tragen Frucht, sterben und ziehen sich in die Erde zurück, um daraus neu geboren zu werden. So wurde die Pflanze, allen voran natürlich der Baum, zu einem Ausdruck für das Leben und letztendlich für die Göttlichkeit selbst. Zahllose Verehrungen heiliger Bäume künden davon: Gott erschien Moses als brennender Dornbusch (2. Mose, 3,2) und unter einer Eiche erfährt Abraham, daß er Stammvater eines großen Volkes werden soll (1. Mose 12, 6-8). Die Ägypter hielten die Feige Sykomore für den Sitz von Göttern. Im Schintoismus gilt der Sakakistrauch als heilig, und unter einem Baum erfuhr Buddha die Erleuchtung.

Vornehmlich tritt uns der Baum in drei Aspekten entgegen:

• als Symbol des Lebens, des Werdens und Vergehens

• als menschengleiches Wesen

• als axis mundi (Weltenachse)*

Als Lebensbaum steht der Baum mitten im Paradies. Im Frühjahr verkörpern früh treibende Pflanzen wie die Weide die Kraft der Natur und der Wiedergeburt. Man schmückt sie oder schlägt mit ihnen das Vieh, um ihre Fruchtbarkeit zu übertragen. Auch der Maibaum ist ein solches Lebens- und Fruchtbarkeitssymbol.

Als menschengleiches Wesen wird der Baum zur »Wurzel« der Menschheit selbst: In der Edda entstehen der Mann aus einer Esche und die Frau aus einer Ulme, auch bei den Sioux-Indianern werden die Menschen aus Bäumen erschaffen und im mixtekischen Mexiko entsteht das erste Menschenpaar aus einem gespaltenen Baum. So schreibt C. G. Jung in »Der philosophische Baum«: »Der Baum ist sozusagen eine Wandlungsform des Menschen, indem er einerseits aus dem Urmenschen hervorgeht und andererseits zum Menschen wird.«

Als axis mundi, als Himmel, Erde und Unterwelt verbindende Weltenachse, erleben wir den Baum im germanischen Weltenbaum Yggdrasil oder in der Bhagavad Gita als »Umgekehrten Baum«, der im Geistigen wurzelt. Für die Azteken ist die Krone des Weltenbaumes die Milchstraße, und die Tartaren stellten sich den Weltenbaum als Birke vor.

In der sakralen Architektur wird der Baum buchstäblich zur tragenden Säule. In der Gotik werden die Säulen – einem Buchenhallenwald ähnelnd – wie der Weltenbaum zu Trägern des (Himmels-)Gewölbes. Das christliche Kreuz wird selbst zum Lebensbaum. Im Kloster Zwettl im österreichischen Waldviertel ist das Kreuz, der Gründungslegende des Klosters folgend, als Eichenbaum mit Blättern ausgestaltet. Der Sage nach habe hier mitten im Winter eine grüne Eiche gestanden. Das christliche Auferstehungssymbol vermischt sich mit dem alten Symbol des Lebensbaumes.

In der Michaelskirche in Bamberg ist das Gewölbe über und über mit Pflanzen bemalt. Jede Pflanze steht dabei in einem genauen symbolischen Bezug zum Ort, an dem sie sich befindet. So ist das Gewölbe des Chores in vier Felder geteilt. Im Westen des Chores steht die Pampelmuse, deren früherer Name »Adamsapfel« war, und im Osten die Passionsblume, die den Opfertod Christi symbolisiert. So ist im Chor über die Symbolik der Pflanzen der Weg von Adam, dem ersten Menschen, zu Jesus, dem Erlöser, nachgezeichnet. Da sich die Pflanzen am Gewölbe befinden, sind sie symbolisch gesehen »himmlische Pflanzen«, die ähnlich wie der »Umgekehrte Baum« in der Bhagavad Gita ein geistiges Prinzip auf die Erde bringen. Hier stehen die Pflanzen als menschengleiches Wesen (z. B. Adam oder Christus) und als Weltenachse im sakralen Raum. Am häufigsten finden wir jedoch den Baum als Archetyp der Weltenachse oder Weltensäule (axis mundi) im heiligen Raum wieder. Hier steht sie meist in Bezug zur Mitte. Dazu unten mehr.

Das heilige Wasser

80 % aller Wallfahrtsstätten Österreichs sollen einer Angabe zufolge an Orten mit heiligen Quellen und Wassern liegen.* Im Zentrum des Paradieses steht nicht nur ein Baum. Hier entspringen auch dem Mythos zufolge die vier großen Ströme Geon, Phison, Euphrat und Tigris. Und auch der Weltenbaum Yggdrasil besitzt an seinen Wurzeln den heiligen Urdarbrunnen. Die Symbolik des Wassers ist dabei geprägt von seiner Eigenschaft, Stoffe lösen zu können und in sich aufzunehmen, sowie natürlich durch die Grundlage unserer Existenz: Menschen bestehen bis zu 80 % aus Wasser. So zeigt sich das Wasser wiederum in drei Symbolkomplexen:

• das Wasser der Reinigung

• das Wasser als Sitz von Göttern und Geistern

• das Wasser als Fruchtbarkeitssymbol

Daß das Wasser mit Fruchtbarkeit in Beziehung steht, ist offensichtlich. Erst wenn in einer Gegend Wasser verfügbar war, konnte sich der Mensch dort niederlassen. Zu Ostern, dem christlichen Auferstehungsund dem alten Fruchtbarkeitsfest der Göttin Ostara, werden in Süddeutschland Brunnen mit Eiern (ebenfalls Auferstehungs- und Fruchtbarkeitssymbole!) und Blumen geschmückt. Frau Holle hütet am Grunde des Frau Holle-Teichs auf dem Hohen Meißner bei Eschwege die ungeborenen Kinder und schenkt sie Frauen, die darum bitten. Auch der Brunnen auf der Löwenburg bei Bad Honnef oder das Wasser des Queckbrunnens bei Dresden sollen reichen Kindersegen bescheren.

Mit dem Wasser verbundene Reinigungsriten gibt es zahlreiche, seien es die Waschungen im heiligen Ganges, der schintoistische Reinigungsritus Misogi, die Reinigungen der eleusischen Weihungen im saronischen Golf, die Totenwaschungen in zahlreichen Kulturen oder letztendlich auch die christliche Taufe, die von der »Erbsünde« befreit.

Doch Wasser löst nicht nur, es trägt auch Kräfte in sich. Properz verdankte so seine Inspiration dem Wasser der Aganippe, das Wasser der Musen in Delphi sollte poetische und prophetische Kräfte verleihen. Im Wasser wohnten Gottheiten wie die erwähnte Frau Holle (ein Abbild der Großen Göttin), der römische Quellgott Fons oder die keltische Göttin Sulis, die z. B. in Bath/Südengland von den Römern als »Sulis Minerva« verehrt wurde.

Da das Wasser in zahllosen religiösen Reinigungs- und Weiheriten eine Rolle spielt, ist es bei nahezu jedem Sakralbau präsent. Der Dom von Paderborn soll auf 80 (!) Quellen ruhen und die Kathedrale von Chartres auf 40. Im Weihwasser- und Taufbecken ist es in jeder christlichen Kirche präsent. Auch in islamischen Moscheen gehört es mit zur rituellen Gestaltung des Sakralbaues. Die im Wasser gelöste, innewohnende göttliche Kraft soll sich auf den spirituell Suchenden übertragen. In St. Wolfgang bei Dorfen ist die alte Quelle, die der Heilige Wolfgang höchstselbst aus der Erde »geschlagen« haben soll, noch heute unter dem Altar vorhanden, und das Wasser kann dort geschöpft werden (Abbildung 1).

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Abb. 1: Quelle am Altar der St. Wolfgangskirche

Der heilige Stein

So wie die Kraft des Wassers die Wandlung und die Fähigkeit der Stofflösung ist, so ist der Stein nach menschlichem Maß ewig. Der Stein, oder gar der Berg, wird zum Wohnsitz des Ewigen. Der Adams Peak auf Sri Lanka ist der heilige Berg von Christen, Moslems, Hinduisten und Buddhisten dieses Landes. Eine schalenförmige Vertiefung in Form eines Fußes gilt den Christen als Fußabdruck des heiligen Thomas, den Moslems als Fußabdruck Adams, den Hinduisten als Fußabdruck Shivas und den Buddhisten als Fußabdruck Buddhas. Der Heiligenberg bei Heidelberg war Kultstätte der Kelten, Römer, Germanen, Christen… und zuletzt der Nationalsozialisten.

Der Berg ist der Thron, die Höhle die Gebärmutter der Großen Göttin, und patriarchale Götter wie Zeus, Dionysos, Mithras und Christus werden in ihr geboren. Die drei Symbolgruppen dieses Ewigkeitsprinzips des Steines sind:

• der Stein als Zeiger der Zeit

• der Stein als Sitz und Träger göttlicher Kräfte

• der Stein als axis mundi.

Weil der Stein (oder Berg) selbst »ewig« ist, ist er befähigt, die Vergänglichkeit der Zeit zu zeigen. Er wird zum Uhrzeit- und Kalendersystem. Berge werden z. B. »Mittagsberg«, »Elfer-«, »Zwölfer-« oder »Einerkogel« genannt, weil über ihnen zu dieser Zeit die Sonne steht. Über den Elsässer Bergen »Großer Belchen«, »Kleiner Belchen« und »Elsässer Belchen« zwischen Basel, Colmar und Freiburg können Sonnenvisuren zu den Wintersonnwenden und Tag- und Nachtgleichen vorgenommen werden. Belchen ist abgeleitet von Belenus, einem keltischen Lichtgott. Ebenso können in der gleichen Gegend über Berge mit Namen »Blauen« Mondvisuren vorgenommen werden. Steine wurden als »Zeugnissteine« aufgestellt. Steine werden zu Zeugen eines Vertragsabschlusses zwischen Laban und seinen Brüdern (1. Mose 31, 44-50).

In Steinen werden göttliche Wesen verehrt wie z. B. im »Fraubillenstein« auf dem Ferschweiler Plateau bei Trier. Ebenso galt der Lapis niger, der Schwarze Stein, als Sitz der Göttin Kybele. Er wurde von den Römern auf dem Grab des Romulus plaziert. Die Griechen nannten solch »beseelte Steine« »Baitylia«. Es ist dem semitischen »Bethel« (=Haus Gottes) verwandt.

In steilaufragenden Kegelbergen mit Michaelskirche wie z. B. Rocher d Aiguille in Le Puy wird der Fels zur Weltenachse, zur axis mundi. Ebenso wie bei den »aus Licht geborenen« (= natürlichen) Lingams der Hindus oder die mythischen Weltenberge im Zentrum der Welt: der Berg Meru (Indien), der Haraberezaiti (Iran) oder der Gerezim (Palästina).

Der Sakralbau übernimmt diese Symbolik. Der Steinkreis von Stonehenge ist ein perfekter Kalender, mit dem sogar Sonnenfinsternisse vorausgesagt werden konnten. Der »Heelstone« fungierte als Marker für den Sonnenaufgang zur Sommersonnwende. In den ägyptischen Pyramiden klingt der Weltenberg an, sie sollen für die Seelen eine Leiter in den Himmel sein. So zeigt die Hieroglyphe für »aufsteigen« ein Zikkurat, eine Stufenpyramide. In indianischen Schwitzhütten bildet eine Linie aus Steinen, die vom heiligen Feuer zur Mitte der Schwitzhütte führt, eine heilige Zone, die nicht übertreten werden darf. Steine sind hier eine inhärente Weltenachse, die die Mitte des sakralen Baues mit dem Feuer (Spirit) verbindet. Und natürlich wird der Stein im christlichen Sakralbau zum Allerheiligsten, zum Altar.

So findet sich das heilige Wasser, der heilige Baum und Stein im Sakralbau wieder. Die äußere Gestalt zeigt den Makrokosmos, die innere Gestalt die Symbolik, den Mikrokosmos. Im Sakralbau ist das Reinigende und Lösende und die Fruchtbarkeit (Wasser) ebenso präsent wie das Ewige, das die Verbindung zum Göttlichen schafft (Stein) und das Menschlich-Vergängliche mit der Hoffnung auf Auferstehung (Pflanze, Baum).

* Mehr zur Symbolik von Baum, Wasser und Stein entnehmen Sie bitte meinem Buch Landschaften der Seele

* Hans Haid: Mythos und Kult in den Alpen, Rosenheimer, Rosenheim 1990

Der Körper Gottes

Baum, Stein und Wasser verkörpern den Körper der Erde, der Großen Göttin. Ihre gemeinsame Präsenz im heiligen Raum läßt diesen zum Körper der Göttin werden.

Mit zu den frühesten sakralen Räumen gehören Höhlen. Hier befindet sich der Mensch im Bauch von Mutter Erde. Eine der frühesten Raumerfahrungen des individuellen Menschen ist die schützende Gebärmutter der Mutter. In der Höhle wird diese pränatale Urerfahrung für den Menschen erneut erfahrbar. Oft wurden auch Höhlen genutzt, die nur kriechend erreichbar waren, so kam zur Raumerfahrung die kinästhetische Erfahrung des Geburtsprozesses noch hinzu. Der Mensch gebar sich sozusagen rückwärts in den Leib der Erde hinein (in der Religionspsychologie bekannt als »regressus ad uterum«), in einen Zustand vor der Schöpfung, einen paradiesischen Urzustand. Hier, in diesem Geistraum vollzogene Rituale mußten natürlich bis in die geschaffene Welt zurückwirken. Sie setzten sozusagen an den geistigen Wurzeln der Materie an. So findet man unzählige Felszeichnungen und Ritzungen in den Höhlen der Ile de France, den Höhlen von Lascaux und der »cueva de las manos« (Argentinien), Zeugnisse der rituellen Zwiesprache des Menschen mit der Göttin selbst, in deren Leib er sich befand (Abbildung 2). Im Feng Shui, der chinesischen Geomantie, wird dieses Bedürfnis, in den pränatalen Urzustand zurückzukehren, im sogenannten Yin-Feng-Shui, dem Feng Shui der Grabbauten, offensichtlich: Man baute Gräber dort in der Landschaft, wo sie nach der Forminterpretation im Leib der Göttin ruhten. Den Toten verhieß eine solche Nähe zum Göttlichen die Wiederauferstehung, ähnlich wie im Christentum Gräber um Kirchen herum angelegt werden. Natürlich ist dies im patriarchal durchdrungenen Feng Shui heute wohl niemandem mehr bewußt. Heute werden die Bergformen als »Drache«, »Tiger«, »Schildkröte« und »Phoenix« benannt. Doch die Bildersprache aus einem chinesischen Feng Shui Buch ist eindeutig. Man suchte die Rückkehr in den Leib der Erde, die Rückkehr in den Körper der Großen Göttin (Abbildung 3 a – b). Dies kam einem Akt der Befruchtung und der späteren Wiedergeburt gleich.

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Abb. 2: Handabdrücke als Ausdruck des beseelten Raumes. Cueva de las manos (Argentinien)

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Abb. 3: Aus einem chinesischen Feng Shui Buch: Die optimale Landschaftsgeomantie leitet sich direkt vom weiblichen Geschlechtsorgan ab – Ausdruck der Großen Göttin Erde selbst.

In Fortsetzung dieses symbolisch-mythologischen Bedürfnisses stellen sich frühe Tempelanlagen in ihrem Grundriß als Körper der Göttin dar (Abbildung 4). Die Verehrung des Göttlich-Weiblichen, der Grossen Göttin, hat auf der Insel Malta eine Tradition, die ebenso lang ist, wie die Besiedelung der Insel selbst. Im Neolithikum herrschen auf Malta in der Gestaltung von Keramiken die Farben Schwarz, Weiß und Rot vor. In der Ghar Dalam Phase (5000 - 4500 v. Chr) bestehen die Tongefäße aus schwarzen Außenflächen, durch die weiße Zickzacklinien – Symbole des Wassers – fließen. Die weiße Färbung entsteht durch das Eingeben von Gipskristallen in eine Paste aus Ton. In der wenig später folgenden »Roten Skorba«-Phase (4400 - 4100 v. Chr.) ist Rot die vorherrschende Farbe der Gefäße.

Schwarz, weiß und rot ist ein Symbol der zyklischen Dreiheit der Göttin. Rot, die Farbe der Fruchtbarkeit, des Blutes, der Kraft und der Erde; Weiß, die Farbe der kosmischen Ganzheit, der Geistigkeit und des Himmels; und Schwarz, die Farbe der unteren Erde, der chthonischen Wandlung, des Todes und der Wiedergeburt (der Unterwelt). Bis heute weisen in Malta die Kirchen – insbesondere die Johanniterkirchen wie St. John s Cocathedral in Valletta, die St. Peter & Paul Cathedral in Mdina oder die Mariä Himmelfahrt Kathedrale in Rabat/Gozo – in ihrer Innenausstattung die Färbung auf: schwarzer, weißer und roter Marmor!

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Abb. 4: Der Tempel als Körper des Göttlichen: Die etwa fünf- bis sechstausend Jahre alten Tempelanlagen auf Malta gleichen in ihrer Gestalt den hier gefundenen Göttinnenstatuetten der »Fat Ladies«.

Im Neolithikum erfährt die Große Göttin auch auf Malta Verehrung, zunächst in Kulthöhlen wie Ghar Dalam oder Latnija. Alles ist durchdrungen von ihrer Präsenz.

Die sogenannte Tempelzeit dauerte etwa von 4100 bis 2500 v. Chr. Benannt wurde die Zeit nach den megalithischen Tempelanlagen, für die Malta so berühmt ist. Eine eigenständige Kultur baute auf dem kaum 315 Quadratkilometer großen Inselgebiet Maltas – je nach Zählart – etwa 20 bis 30 Tempel und Tempelanlagen. Sie stellen die älteste freistehende Steinarchitektur der Welt dar – bis zu 2000 Jahre älter als Stonehenge und 1000 Jahre älter als die großen Pyramiden Ägyptens.

Die typische Form der Tempel besteht aus drei bis sechs Apsiden, die durch einen zentralen Eingang betreten werden. Meist wurden zwei bis drei Tempel in einem Tempelkomplex zusammen gebaut. Die Tempelkomplexe wiederum bilden Gruppierungen (Cluster), die relativ nahe beieinander liegen und aus zwei bis drei Tempelkomplexen bestehen. Die Tempelcluster wurden vermutlich von unterschiedlichen Clans oder Stämmen erbaut. Die Form der maltesischen Tempel erinnert dabei stark an die Göttinnen-Statuetten, die mit ausladendem Brust- und Beckenbereich sitzend (später stehend) dargestellt wurden (sogenannte »Fat-Ladies«). Einige Archäologen sehen darin eine Zufälligkeit. Doch ist die Praxis, den menschlichen, oder vielmehr den göttlichen Körper als Form für den Sakralbau zu wählen, weit verbreitet, wie ich noch weiter zeigen werde. Es ist daher nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß das Gottesbild für die Tempelform maßgeblich war.

Freilich war die Form nur von innen heraus erfahrbar, da die Tempel, wie gefundene Tempelmodelle zeigen und auch Restfarben beweisen, überdacht waren und durch Steinhaufen in den Zwischenräumen gefüllt waren. D. h. man »sah« die Göttin nicht, man erlebte sie im Betreten des Tempels. Der Eingang war dabei der Geburtskanal, die Vulva. Man betrat wie zuvor in der Landschaft im umgekehrten Geburtsprozeß den Körper der Göttin. Im Innern waren zumindest einige Tempel mit rotem Ocker ausgemalt, Symbol der Wiedergeburt und Fruchtbarkeit. Noch spannender ist die landschaftliche Lage der Tempel. Alle Tempel befinden sich nahe bei (zur Tempelzeit) gutem, fruchtbarem Ackerland, und alle befinden sich auf der höchsten Erhebung der näheren Umgebung – meist nicht unmittelbar auf dem Gipfel, sondern eher in Hanglage. Die Tempel weisen dabei mit ihrem Eingang Richtung Tal. Die »Göttin«, die in der Tempelform präsent ist, präsentiert ihre Vulva dem Tal. Sie »gebiert« die Fruchtbarkeit!

Auch hier ist wiederum ein Zusammenhang mit Quellen zu beobachten. Selten befinden die Tempel sich weiter als 500 Meter von heute existierenden Quellen entfernt, oft in unmittelbarer Nähe zu ihnen.

Noch offensichtlicher wird der Tempel als Körper der Göttin in der »Doppelgöttin« von Xaghra: Zwei Matronen (Abbildung 5) sitzen auf einer Art Bank, die dem Bett der berühmten Schlafenden aus dem Hypogäum ähnelt. Röcke bedecken ihre breiten Hüften. Die »Faltenwürfe« darauf sind U-Formen mit Doppelstrichen, Symbole für Schwangerschaft. Zu ihren Füßen Eiformen, ebenfalls Symbole der Fruchtbarkeit und Wiedergeburt. Die linke Matrone hält eine Figurine in den Händen, die den gefundenen »Fat-Ladies« ähnelt, die rechte ein Gefäß. Der Kopf der rechten Matrone fehlt. Zahlreiche Statuetten wurden ohne Kopf gefunden. Nicht etwa weil er abgebrochen und verloren war. Vielmehr zeigen die Statuetten Vertiefungen für Köpfe, die wohl mit einem Stift befestigt werden konnten. Die Löcher dazu sind noch sichtbar. Offenbar konnte man die Köpfe je nach Ritualgebrauch auswechseln, bzw. hinzufügen oder weglassen.

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Abb. 5: Sogenannte »Doppelgöttin« von Xaghra/Gozo

Die linke Figur der »Xaghra-Doppelgöttin« symbolisiert so die Fruchtbarkeit und das Leben. Der vorhandene Kopf steht für Individualität, die nur die körperliche Existenz schenkt. Die Figurine in ihren Händen ist ein Symbol der Körperlichkeit. Die rechte Figur ist kopflos. Was sie individuell macht (das Leben, die Körperlichkeit) ist verschwunden. In den Händen hält sie ein leeres Gefäß, Symbol des Nicht-Materiellen, einer Urne gleich. Sie steht für den Tod, für das Jenseits. Leben und Tod teilen sich eine Bank.

Auch im berühmten Hagar Qim wurden Nischen gefunden, die noch Teile von Abdrücken zweier nebeneinander plazierter Göttinnenstatuen aufweisen: die Doppelgöttin Tod und Leben. Dieses Prinzip der Doppelgöttin findet sich nun auch im Tempelbau wieder. Überproportional häufig wurden zwei Tempel unmittelbar nebeneinander gebaut, manchmal ein dritter etwas abseits. Bei den Tempelanlagen von Ggantija, Skorba und Ta Hagrat besitzt der linke Tempel eine »Kopfapsis«, der rechte jedoch nicht. Wie bei der Doppelgöttin von Xaghra, die nahe dem Tempel von Ggantija gefunden wurde, stellen sich die Tempel als ein Göttinnenpaar dar, die möglicherweise Tod und Leben verkörpern. Wir werden später noch sehen, daß auch in der Ausrichtung der Tempel dieses Polaritätsprinzip eine große Rolle spielt.

Wir erkennen an diesem Beispiel frühester Tempelarchitektur, daß die verehrte Gottheit (hier die Göttin) in ihrer symbolischen Körperform die Form des Tempels vorgab.

Wenden wir unseren Blick nach Indien. Hier haben bis heute Bauprinzipien und Mythen überlebt, die auch in Europa einst wohl in ähnlicher Form ausgeübt wurden. Der indische Mythos sagt:

Irgendwann einmal entdeckten die Götter etwas, das sich zwischen Himmel und Erde zu schieben drohte, um sie so zu trennen. Sie erkannten es, stürzten sich darauf und erfaßten es. Sie warfen es mit dem Gesicht nach unten auf die Erde. Und sie nannten es Vastu Purusha.

Dieser Mythos ist der Urmythos der menschlichen Bewußtwerdung und des menschlichen Gestaltungsaktes schlechthin: Der Mensch erkennt ein »Etwas«, das unabhängig von ihm existiert. Dieses »Etwas« droht Himmel und Erde, Geist und Materie, zu trennen und den Menschen so aus dem paradiesischen Zustand auszuschließen. Um dies zu verhindern und diese Verbindung aufrechtzuerhalten, wird es »erfaßt«, »begriffen« und in Raum und Zeit fixiert. Die Namensgebung schließlich gewährleistet die (magische) Kontrolle über das numinose »Etwas«.

Das Vastu-Purusha-Mandala (Abbildung 6)Padas