An meinem neunten Geburtstag wurde ich ein Monster. Bloß wusste ich es da noch nicht.
Ich heiße Frank Stein, und als es passierte, feierte ich gerade in unserem Garten.
Meine Familie wohnte in einem langweiligen kleinen Haus in einer langweiligen kleinen Stadt namens Yrred. Ich hatte nie irgendwelche richtigen Geheimnisse gehabt. Das lag vielleicht daran, dass ich keine Freunde hatte, mit denen ich geheime Sachen machen konnte.
Ich versuchte mich damit zu trösten, dass es ja Bücher gab. Sie waren fast wie Freunde. Vielleicht sogar besser. Im wirklichen Leben geschahen niemals so spannende Dinge wie in Büchern. Zumindest glaubte ich das bis zu meinem neunten Geburtstag.
Meine Mama Mari hatte eine riesige und ziemlich hässliche Blechtorte gebacken und Ballons in den Bäumen aufgehängt. Mein Papa Kjelle hatte Spiele vorbereitet, die er selbst als Kind gemocht hatte. Sackhüpfen zum Beispiel.
»Das wird ein Spaß, Frank«, sagte er immer wieder. »Meinst du nicht auch?«
Ich stimmte ihm zu, damit er nicht traurig wurde.
Dabei erinnerten die Spiele viel zu sehr an Sport und konnten mir deshalb gar nicht gefallen. Papa vergisst gern, dass nicht alle wie er und Oliver sind und Sport für das Tollste und Wichtigste überhaupt halten.
Oliver ist mein kleiner Bruder und der nervigste Mensch überhaupt.
Wie sich herausstellte, brauchte ich diese Spiele dann aber doch nicht zu spielen. Fast niemand kam zu meiner Geburtstagsfeier. Nur Mama und Papa und Oliver. Und Alice, die ältere Dame, die im Haus nebenan wohnte, und ihr Hund Uffe. Aber keiner aus meiner Klasse, obwohl Mama Einladungen an alle geschickt hatte. Die Säcke blieben auf dem Rasen liegen, leer und unbenutzt.
Am anstrengendsten fand ich, dass Mama und Papa so ein Mitleid mit mir hatten und sich viel zu doll Mühe gaben, es zu verbergen.
Mama sagte die ganze Zeit: »Alle wären bestimmt gern gekommen, aber es ist ja so schwierig im Sommer, wenn die Leute verreist sind, bla, bla, bla.« Als ob ich das geglaubt hätte.
Und Oliver grinste und verdrehte die Augen, denn er verstand natürlich auch, was los war. Er hatte haufenweise Freunde. Sie riefen jeden Tag an, schauten vorbei, klopften an unsere Tür und wollten, dass er zum Spielen rauskam.
Alice saß schweigend auf ihrem Stuhl und lächelte mich an, als wüsste sie genau, wie es mir ging. Das tat sie oft. Dieses Lächeln ließ mich denken, wie lieb ich Alice hatte. Aber das behielt ich für mich. Irgendwie fand ich es peinlich, so etwas zu sagen. Wir waren ja nicht verwandt oder so, sie wohnte einfach nur zufällig im Nachbarhaus.
Ihr Hund Uffe war fröhlich wie immer. Alice sagte oft, Uffe sei der schlechteste Wachhund der Welt, und da hatte sie sicher recht. Uffe mochte nämlich jeden. Er rannte auf alle zu und warf sich vor ihnen auf den Rücken, um am Bauch gekrault zu werden.
Ich wusste nicht, welche Rasse Uffe war. Jedenfalls war er unheimlich flauschig. Er hatte so dickes Fell, dass man die Finger ewig tief in den weichen Zotteln vergraben konnte. Es heißt, alle Hunde stammen vom Wolf ab, aber wenn man Uffe ansah, fiel es sehr schwer, das zu glauben.
Ich fragte Alice, ob ich ihm ein bisschen von der Torte geben dürfe, und das durfte ich. Ich nahm ein ziemlich großes Stück auf die Hand und hielt es ihm hin. Uffe war so aufgeregt, dass er mir versehentlich in den Finger biss. Doch nur ein einziger Tropfen Blut kam heraus. Er wurde zu einem roten Fleck, der in der Sahne verlief, aber ich spürte es nicht mal. Alice sah trotzdem sehr beunruhigt aus.
»Nichts passiert«, sagte ich. »Ehrlich nicht.«
Vor allem tat mir Uffe leid. Er wollte mich nicht beißen, das wusste ich. Seine Ohren hingen nach unten, und er senkte den Kopf. Er schien sich wirklich zu schämen.
Ich bekam ein Pflaster, und dann hatte ich die Sache auch schon wieder vergessen. Da wusste ich noch nicht, dass sich mein Leben total verändert hatte. Ich ahnte noch nichts von der geheimen Welt, die ich schon bald entdecken würde.
Ich dachte oft an Monster, bevor ich selbst eines wurde.
Ich hatte sehr, sehr große Angst vor der Dunkelheit. Vor Gewittern hatte ich keine Angst, aber ich hasste den Wind. Besonders, wenn es klang, als streiche er um unser Haus und versuche, einen Weg herein zu finden. Er heulte im Schornstein und ließ die Fenster knarzen, als wollten sie zerspringen, und die Baumwipfel draußen bogen sich vor und zurück, als wären sie lebendig.
Ich ließ immer die Nachttischlampe brennen, doch das Licht reichte nicht bis ganz in die Ecke mit dem großen Kleiderschrank. Wenn ich dorthin schaute, dachte ich, etwas würde sich im Schatten regen. Jemand hätte im Schrank die Tür einen winzigen Spaltbreit geöffnet. Vielleicht ein Vampir mit frisch gespitzten Zähnen oder ein Gespenst, so schauerlich, dass es mich allein durch seinen Anblick zu Tode erschrecken konnte.
Manchmal war ich überzeugt, ein Monster würde unter dem Bett lauern und hervorkriechen, sobald ich eingeschlafen war, um mir Arme und Beine abzunagen, falls sie unter der Decke hervorlugten. Oder ich schaute zum Fenster, voller Angst, ein entsetzliches, verfaultes Gesicht zu sehen, das durch die Scheibe hereinstarrte. Direkt zu mir. Und sich dabei hungrig die Lippen leckte.
Ich hasste die Dunkelheit und die Nacht aus tiefster Seele. Ich begriff nicht, wozu sie gut waren.