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»Untertanentreue ist ein so schönes Gefühl!

Und es ist ein so wahrhaft deutsches Gefühl!«

(Heinrich Heine, »Harzreise« 1824/26)

»Tief wurzelt der Knecht im Deutschen.«

(Kurt Tucholsky unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel in der »Weltbühne« vom 14.4.1925)

»Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen unmündig bleibt. Es ist so bequem, unmündig zu sein.«

(Immanuel Kant, »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« von 1784)

Josef Kraus

Der
deutsche
Untertan

Vom Denken
entwöhnt

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© 2021 LMV, ein Imprint der Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sabine Schröder

Umschlagmotiv: iStock

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-7844-8392-4

www.langenmueller.de

Inhalt

Ein literarisch-philosophisch-politisch-psychologisches Vorwort

Teil I: Der brave Deutsche

1. Die Deutschen – untertan oder einfach nur unausgegoren?

2. Nationalallergie und Autophobie

3. Deutsche Neurosen – ein Fall für die Couch?

Teil II: Alte und neue linke Autoritarismen

4. Das gefühlige neue Gouvernantentum

5. Der »Kampf gegen Rechts«: Antifaschismus

6. Zweierlei Maß: Antirassismus

7. Schöne eine Welt: Globalismus, Universalismus, Kosmopolitismus, Europäismus

8. Die »edle Lüge«: Multikulturalismus

9. Von der Nächsten- zur Fernstenliebe: Humanitarismus und Moralismus

10. Militant friedlich: Pazifismus

11. Der rosa Marxismus: Genderismus

12. Der Basis-Ismus: Egalitarismus

13. Die stillgelegte Gesellschaft: Neue Autoritarismen durch Klima und Corona?

14. Linke Autoritarismen als Ersatzreligionen

15. Islamophilismus – Die Lust an tausendundeiner Unterwerfung

Teil III: Das Arsenal des Gefügigmachens

16. Die Diktate der Political Correctness

17. Gott* und Professx: Linke Sprachbarbareien

18. Methoden der Umerziehung: Nudge und NLP

19. Auf dem Scheiterhaufen: Cancel Culture

20. Gute und böse Ängste: Phobokratie

21. Von Judas bis Käßmann: Denunziation

Teil IV: Die Akteure des Untertanengeistes

22. Kirchen und Glaubensgemeinschaften zwischen Thron und Altar

23. Transmissionsriemen der Regierenden: Die Apportiermedien

24. Dem Zeitgeist unterworfen: Akklamationswissenschaften

25. »Links schwenkt, Marsch!«: Das Autokratie-System Merkel

Teil V: Immunisierung gegen Obrigkeitsgehabe und Untertanengeist

26. Freiheit und Eigenverantwortung!

27. Rationalität statt Haltung und Hypertoleranz!

28. Wir brauchen gebildete Eliten!

29. Wir brauchen konservative Intellektuelle!

30. Bildung! Bildung! Geschichte! Geschichte!

Nachwort: Vom Untertan zum Drachenbezwinger – Bürger, holt Euch Eure Souveränität zurück!

Danksagung

Anmerkungen

Ein literarisch-philosophischpolitisch-psychologisches Vorwort

Werden die Deutschen drei Jahrzehnte nach der einzigen erfolgreichen Revolution, die sie zustande brachten, nämlich der von 1989/1990, wieder zu einem Volk von Untertanen? Möchten sie dies gar? Der Verdacht liegt nahe, denn viele scheinen vergessen zu haben, dass die Befehlsempfänger des Volkes die Regierenden sind und nicht umgekehrt. Die Menschen dieses Landes sind freie Bürger, denen man nicht nach Lust und Laune qua Exekutive und medialem Einhämmern Freiheiten gewähren oder entziehen sowie Gebote oder Verbote verpassen kann. Nein, damit erodieren das Grundgesetz, die parlamentarische Demokratie, die Gewaltenteilung und der Rechtsstaat.

Wir sind mittendrin in dieser Erosion und mittendrin in einer (Selbst-)Delegitimierung des Staates. Zugleich sollen wir den Kakao austrinken, durch den man uns zuvor volkspädagogisch gezogen hat und den wir als Steuer- und Zwangsgebührenzahler auch noch am Laufen halten. Eine »Von Feigheit paralysierte Kleptokratie« nennt Peter Sloterdijk Deutschland.1 Damit meint er eine »Staats-Kleptokratie«, die den Bürgern qua semi-sozialistischem Steuersystem das Geld aus der Tasche zieht und damit ein paralysierendes System der Unterwürfigkeit fördert. Das Ergebnis sei eine wie in einem Desinfektionsbad durchsterilisierte und homogenisierte Öffentlichkeit. Ja, kleptoman ist dieses System, es klaut den Bürgern aber nicht nur das Geld aus der Tasche, sondern mittlerweile auch peu a peu Freiheiten. Gegen all dies als Staatsbürger anzugehen ist eine Frage der Selbstachtung. Und es ist eine Frage der Selbstreflexion eines ganzen Volkes.

Bei der Reflexion über »Untertanengeist« und »Denken«, über Obrigkeitsgläubigkeit und Mündigkeit kommt man an Heinrich Manns »Diederich Heßling« und an Immanuel Kant nicht vorbei. Um beider Gedankengut geht es in diesem Buch. Heinrich Mann trug den Namen, ja das Prinzip »Untertan« bei, Immanuel Kant die Aufforderung zum skeptisch-kritischen Denken. Aber das vorliegende Buch soll weder eine literaturanalytische Betrachtung des Mann’schen Romans noch eine Interpretation des aufklärerischen Werkes von Kant sein. Dennoch sollen beide wenigstens zu Beginn ihre Würdigung erfahren.

Heinrich Mann: »Der Untertan«

Heinrich Mann (1871 – 1950), der ältere Bruder von Thomas Mann, hatte mit den Arbeiten am »Untertan« 1906 begonnen, 1914 beendete er die Arbeit daran. Diese großartige Karikatur des deutschen Untertanen hat zu tun mit seinem Essay »Geist und Tat« von 1910/11. Dort hatte er geschrieben: »Der Faust- und Autoritätsmensch muss der Feind sein. Ein Intellektueller, der sich an die Herrenkaste heranmacht, begeht Verrat am Geist.« 1911 hatte sich Mann zudem mit seinem Essay »Der Reichstag« mit dem Stereotyp des Parlamentariers und des gut situierten Bürgers auseinandergesetzt. Der »Bürger« war für Mann der »widerwärtig interessante Typus des imperialistischen Untertanen, des Chauvinisten ohne Mitverantwortung, des in der Masse verschwindenden Machtanbeters, des Autoritätsgläubigen wider besseres Wissen und politischen Selbstkasteiers«.

Als Motto hatte Heinrich Mann für seinen »Untertan« vorgesehen, aber nicht verwirklicht: »Dies Volk ist hoffnungslos.« Nicht veröffentlicht wurde auch der ursprünglich geplante Untertitel »Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.« Wie schon im »Professor Unrat« (1904) spießt Heinrich Mann erneut als »Grundlagen des Staates« auf: »eine einflussreiche Kirche, ein handfester Säbel, strikter Gehorsam und starre Sitten«.

Was erfahren wir über den »Untertan«, die groteske Hauptfigur Diederich Heßling (ursprünglich: Hänfling)? Er wächst in Berlin auf und erfährt als Heranwachsender Demütigungen durch Stärkere. Die Kompensation dieser Demütigungen prägen seine Karriere: demütig-subaltern nach oben, tretend nach unten. Als Student schließt er sich der nationalkonservativen Korporation Neuteutonia an. Um den Militärdienst drückt er sich durch Vorspiegelung eines Fußleidens. Er heiratet reich und wird in der preußischen Provinzstadt Netzing Mehrheitsaktionär einer Papierfabrik.

Bald entwickelt er sich zum Stammtischpolterer. Militärs und Adligen gegenüber kuscht er, die eigene Familie und seine Angestellten unterdrückt er. Gegen Proletarier ereifert er sich. Als Opportunist, Intrigant, Denunziant und subalterner Gefolgsmann des Regierungspräsidenten von Wulckow bringt er es zum Stadtrat und zum Ordensträger. Dieser Orden wird ihm überreicht bei der Einweihung eines Ehrenmals für Wilhelm I. In seiner Festrede zur Einweihung des Denkmals charakterisiert Heßling das »deutsche Wesen« als »Verehrung der Macht, der von Gott geweihten Macht, gegen die man nichts machen kann«. Durch Duckmäusertum und seine eiserne Kaisertreue bringt er es zum funktionierenden Rädchen im Obrigkeitsstaat.

Heßlings Identifikation mit dem Kaiser hatte bereits beim Studenten Diederich eingesetzt, als er den Kaiser im Jahr 1892 am Brandenburger Tor erlebte: »Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen … Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen … Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen, in einer Sphäre der begeisterten Raserei … Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche … ritt die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! … Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie leben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben!« Die Szene endet peinlich für Diederich, als er den Kaiser zu Fuß begleiten will: Er gleitet aus und setzt sich »mit Wucht in einen Tümpel, die Beine in der Luft, umspritzt von Schmutzwasser. Da lachte der Kaiser.«2 Der Kaiser – den Heßling ehrfurchtsvoll die »persönlichste Persönlichkeit« genannt hatte!

Immanuel Kant

Der große Königsberger (1724 – 1804) hat drei »Kritiken« hinterlassen: »Kritik der reinen Vernunft«, (1781), »Kritik der praktischen Vernunft«, (1788) und »Kritik der Urteilskraft«, (1790). Wir halten hier nur fest, dass Kant mit diesen Schriften einem erkenntnistheoretischen Kritizismus, Empirismus und Skeptizismus das Wort redet und sich gegen eine Metaphysik wendet, die sich als Wissenschaft gibt.

Beschränken wir uns auf Kants im Original zwölfseitigen Essay »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« von 1784 und geben die zwei weltberühmten Eingangspassagen wieder. »A u f k l ä r u n g ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.«

Und: »Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurtheilt, u. s. w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Theil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen allein zu gehen.«

Insgesamt 14-mal kommt auf den zwölf Seiten der Begriff »unmündig«/«Unmündigkeit« vor. Unter anderem ist oft sehr bildhaft die Rede von der »zur Natur gewordenen Unmündigkeit« des Menschen, von den »Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit« und vom »Joch der Unmündigkeit«.

Mut machen zum Widerspruch

Und der deutsche Michel heute? Er hat sich politisch korrekt akklimatisiert, er merkt nicht mehr, dass die Umstände immer seltsamer, ja bedrohlicher werden. Das Alarmsystem funktioniert nicht mehr. Es geht ihm wie dem »boiled frog«,3 dem Frosch, der das mehr und mehr erhitzte Wasser, in dem er hockt, nicht mehr registriert, bis er gegart ist.

Der deutsche Michel verhält sich genauso, er macht zu großen Teilen alles mit, was ihm verpasst wird und womit man ihn umpampert: die permanente Preisgabe nationaler Souveränität; die schleichende Umwandlung der Demokratie in eine Demokratur; der (Selbst-)Hass gegen alles Deutsche, gepaart mit deutschem Sündenstolz; der Weg in eine EU-Schulden- und Transferunion; der Schein-Heiligenschein der Parteien Grüne/Bündnis 90 und Die Linke; die schleichende Umwandlung des Bundestages und der Landtage in Akklamations-Volkskammern; die Abwertung aller Lebenserfahrung als eine Gesinnung »alter weißer Männer«; die Pathologisierung Andersdenkender (als islamo-/xeno/-afro-/homo-/transphob); die Diskreditierung aller Positionen einen Millimeter rechts von Merkel als »rrrächts«; das Anbiedern der Politik an pubertäres Gehabe; der fortschreitende Verlust des antitotalitären Grundkonsenses; die staatliche Alimentierung von Antifa-Kräften; Toleranz gegenüber Intoleranz; Parallel-Gesellschaften; die Duldung massenhaften Asylmissbrauchs; die fortschreitende Islamisierung der Republik durch deren geduldete Schariaisierung; die Schändung christlicher Symbole; das Beschweigen von Straftaten und die Bagatellisierung von Gewalttaten von »Flüchtlingen« als Einzelfälle psychisch Auffälliger; die Laisser-faire-Rechtsprechung; die Sorgen jüdischer Mitbürger um Hab und Gut, Leib und Leben; der Verfall der Bundeswehr; die 100 000-fache Tötung ungeborenen Lebens; das Hofieren von 0,2-Prozent-Minderheiten; der Verfall des Bildungswesens; die permanente Herrschaft des Unrechts (Grenzöffnung, Schulschwänzerei); der Öko-/CO2-/Klima-Populismus; die Zerstörung von Kulturlandschaften durch Windräder; der Verzicht auf die weltweit sichersten Atomkraftwerke; die Zerstörung wichtiger Industriezweige (zum Beispiel Automobilindustrie); die explodierenden Energiepreise; die Enteignung des Ersparten durch eine Nullzinspolitik; die Besetzung politischer und medialer Spitzenämter mit Nieten; die zwangsgebührenfinanzierte Indoktrination; die klammheimliche Zensur in den neuen Medien …

Darum geht es in diesem Buch: um kritisches Wahrnehmen versus Eingelulltsein, um Mündigkeit versus Unmündigkeit. Und um drängende Fragen: Ist der Deutsche dabei, mit neuen (oder alten) Ismen und Ideologien, mit neuen Zivil- und Ersatzreligionen in eine subaltern prä-aufklärerische Epoche zurückzufallen? Hin zu neuen Autoritarismen, zu neuen totalitären Fantasiereichen? Befinden wir uns inmitten eines neuen illiberalen Zeitalters, in dem Debatten mit flachen Plattitüden (etymologisch: Wortfladen) wie »Zivilgesellschaft«, mit naiven Vorstellungen von Humanitarismus und Moralismus, mit unreflektiert praktizierten Ritualen wie »Zeichen setzen«, »Gesicht zeigen«, »Aufstand der Anständigen« eine vermeintliche, sehr selektive Wachsamkeit prägen?

Man will und soll »woke«, empathisch, sensibel, engagiert, authentisch sein und schreitet doch nur dahin auf vorgegebenen Wegen des Denkens sowie gewisser Haltungen und Gesinnungen, die »in« sind. Aber man hält sich in dieser Zeit des um sich greifenden postheroischen Konformismus für einen Helden, wenn man das »Nie wieder!« oder das »Wehret den Anfängen!« fehlerfrei buchstabieren kann.

Selbst Teile der Geisteswissenschaften wandeln auf diesen Pfaden; sie wurden – in den Worten von Norbert Bolz – zu »Treibhäusern der Weltfremdheit«4 – bewohnt von »Gefälligkeitswissenschaftlern«5, die sich als Claqueure des Angesagten gefallen. Ja, wenn sie doch nur das wären. Oft sind sie zu Apportierwissenschaften geworden, die – um im Bild zu bleiben – jedes Stöckchen, das ihnen der Mainstream hinwirft, artig hechelnd apportieren. Eine Kontaktschuld nach rechts wollen sie schon gar nicht eingehen, deshalb praktizieren sie eifrigst die Unkultur der »Cancel Culture« und des »No-Platforming« gegen jedermann, der auch nur einen Millimeter rechts neben einer mittlerweile links gestrickten CDU/CSU steht.

Mit Mündigkeit, Aufgeklärtheit und Kritikfähigkeit im Kant’schen Sinne hat so etwas wenig zu tun, eher mit »Heerdenmoral« (Nietzsche) und ideologischer »Knechtschaft« (von Hayek). Oder mit Orwell’schem »MiniWahr« (zweideutige Abkürzung für »Ministerium für Wahrheit«). Gleichwohl wird ständig vom »mündigen« Bürger schwadroniert. Aber die Verwendung des Begriffs Mündigkeit ist missbräuchlich, ja eine »Lügenvokabel, die immer gebraucht wird, wenn es darum geht, die Bevormundung der Wähler zu bemänteln.« Die Regierenden seien nämlich der Überzeugung, der Bundesbürger sei »ein zu Unvernunft und Lasterhaftigkeit neigendes Wesen, das vor sich selbst von einer väterlichen Obrigkeit beschützt werden muss«. Diese Sätze hat mit Johannes Gross 1989 ein Publizist geschrieben, wie wir ihn heute schmerzlich vermissen.6 Wie recht er hatte: Nicht einmal einen Bundespräsidenten dürfen wir selber wählen.

Wer eigentlich ist der Souverän?

Hat das Volk einfach nur die Regierung und die Meinungsbildner, die es verdient? Nein, es darf nicht sein, was Kurt Tucholsky meinte: »Eine Regierung ist nicht der Ausdruck des Volkswillens, sondern der Ausdruck dessen, was ein Volk erträgt.« Und es ist gottlob nicht möglich, was Bertolt Brecht den Regierenden empfahl: »Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?« Auf dass sich nicht am Ende die Spaltungen, die dieses Land ohnehin horizontal bis hinein in Familien, Kollegien und Freundeskreis prägen, noch mehr auch als vertikale Spaltungen zwischen »denen da oben« und »denen da unten« darstellen.

Es geht um eine Abkehr des Souveräns von herrschenden politischen und medialen Autoritäten mithilfe eigenen Nachdenkens – des Nach-Denkens, nicht des vielfach geadelten, visionären Vordenkens! Das vorliegende Buch möchte einen Beitrag dazu leisten. Es möchte den Blick in die Entstehungsgeschichte von Ideologien richten und auf diese Weise Ideologiekritik und Skeptizismus vermitteln. Und es möchte Mut zum mündigen Widerspruch machen im Sinne Kurt Tucholskys: »Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!«

Teil I:
Der brave Deutsche