4. Die Scheidungsanwältin

»Mach dir schon mal Sorgen, Erklärung folgt.« Groucho Marx an seinen Bruder Chico

Einige Wochen nach der Trennung, auf dem Höhepunkt dieses Festivals of Darkness, hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, meinen neuen Lebensabschnitt wenigstens formell wieder in die Hand zu nehmen. Ich gedachte, meine Angst und meine Entzugserscheinungen fortan durch originellere Maßnahmen als das ewige Geheule, Gerede und Getrinke zu bändigen. Juristischer Beistand würde meine armen Nerven beruhigen, so hoffte ich.

Der erste Versuch führte mich in einen dieser typischen Berliner Hinterhöfe in gentrifiziertem Terrain, wo man auf engstem Raum alles findet, was man in Trennungszeiten so braucht. Eine Bar. Ein Kosmetik- und ein Fitnessstudio. Mehrere Therapeutinnen. Eine Wahrsagerin. Ein Sushi-Restaurant. Und die Kanzlei der schönsten Anwältin für Familienrecht, die ich kenne. Ich kenne zwar nur diese eine, aber sie ist wirklich schön.

Dass ihr Büro im ersten Hof ziemlich direkt an den Eingang des kleinen Tantra-Studios mit dem wunderbaren Namen Mandelmilch & Safran grenzt, nahm ich als Zeichen des Himmels, dass es ein Leben nach der Scheidung gab. Ob da wirklich (Mandel-)Milch und Honig flossen, müsste sich natürlich erst herausstellen. Meine Zukunftsvorstellungen waren noch zu verheult, als dass ich mir irgendetwas Konkretes hätte ausmalen können, aber immerhin hatte ich es geschafft, einen Termin per Mail zu vereinbaren. Also … bei der Anwältin, nicht bei den Tantras.

Immer schön eins nach dem anderen, dachte ich mir.

Ich war Lulu K. schon vor Jahren auf einem Sommerfest bei Freunden begegnet. Klug, warmherzig und absolut uneitel, schien sie das genaue Gegenteil der meisten mir bekannten männlichen Anwälte zu sein. Wir hatten im Gras an der Havel gesessen und über Kunst, Kinder und Liebe geredet. Der Weißwein war kühl, das Wetter lau, die Nachtigallen in Hochform und die Zukunft noch so leuchtend wie das Abendrot. Nach Mitternacht war ich so begeistert von meiner neuen Bekanntschaft, dass ich sie fragte: »Möchtest du dereinst, wenn es einmal so weit ist, meine Scheidungsanwältin sein?« Sie hatte lachend zugesagt, und ich hatte fast bedauert, zu glücklich verheiratet zu sein, als dass ich ihre Dienste jemals würde in Anspruch nehmen müssen.

Womit wir nun an der Stelle angelangt wären, da ein zweifelhaft gekleidetes Nummerngirl den Schriftzug »Five years later« durch das Bild trägt …

Jetzt, ziemlich genau fünf Jahre später, klebte das böse Sch-Wort – das Trio Scheitern-Scheiße-Scheidung – in meinem Kopf und drängelte sich vor jeden klaren Gedanken. Ich wollte diesem bürokratischen Vorgang gegenüber gewappnet sein, hatte jedoch nicht die geringste Ahnung, wie das aussehen könnte. Hauptsache vorbereitet auf den Beginn dieses ungewollten juristischen Verfahrens. Die Vorstellung, dass die gemeinsame Zeit mit meinem Mann mit einem weiteren Sch-Wort, nämlich Schriftsatz, enden würde, quälte mich fast obsessiv.

Das kindlich-magische Denken, eine gute Fee, Muttergottes oder meinetwegen auch Balu der Bär könnten dem Lauf der Dinge noch eine andere Richtung geben, hatte von mir Besitz ergriffen. Auch deswegen erinnerte ich mich an Lulu K.

Am Abend vor meinem ersten offiziellen Termin mit ihr fand eines der von Jola organisierten Ulrike-muss-gefüttert-werden-Mottotreffen statt. Inzwischen hatte ich nämlich sieben Kilo abgenommen. Zwischen Hauptgang und Dessert kamen wir auf unsere persönlichen Erfahrungen mit Anwälten zu sprechen. Meine hatte ich bis dato fast ausschließlich aus der Fernsehserie Liebling Kreuzberg bezogen, in der der Held meiner DDR-Kindheit, Manfred Krug, den einzigen mir bekannten herzlichen Vertreter seiner Zunft verkörperte. »Ich mach dir Manne klar!«, krakeelte eine Freundin, die Regisseurin beim Fernsehen ist. »Der ist zwar alt und lernt die Texte nicht, aber mit Spickzetteln wird’s gehen. Den Rest erledigt er mit Charme!«

Wir malten uns aus, den alten Haudegen singend und schauspielernd für mich vor den Kadi ziehen zu lassen. Mit seinem Old-School-Style könnte er jedes Ungemach, jede gegnerische Ignoranz oder gar Gemeinheit von mir fernhalten und das Formelle mühelos wuppen. Nach dem Scheidungstermin würde er mich auf einen Kaffee einladen, der dann ganz langsam in ein oder mehrere Biere übergehen würde. Am Ende des Abends stünde die entzückende, schüchtern gestellte Frage, ob wir uns denn nicht auch einmal gänzlich privat usw. Hach!

Die Serie würde »Verknallt in den Anwalt« heißen und selbstverständlich vollkommen glücklich für mich ausgehen. Stundenlang und immer wilder fabulierten wir herum, bis Jola energisch wurde und mit großer Geste ausrief: »Schluss jetzt mit dem Thema! Denkt doch an die Kinder!«

Mit diesem albernen Plot im Kopf erschien ich tags darauf in Lulus Kanzlei. Der Kontrast zu unserer ersten Begegnung an jenem Sommerabend am Wasser hätte größer nicht sein können. Statt heller Kleider trugen wir beide dunkle Blazer, statt Crémant gab es Espresso, und an die Stelle des heiteren Geplauders war der Satz getreten, den wohl mehr oder weniger alle sagen, die an diesem Ort landen: »Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal hier sitzen würde.«

Angesichts einer Scheidungsrate von nahezu fünfzig Prozent in deutschen Großstädten fällt dieser fromme Glaube eindeutig in den Verantwortungsbereich von Balu dem Bären. Denn Warum ich? ist die doofe kleine Schwester der entscheidenden Frage: Warum ausgerechnet ich nicht? Weil ich an Wunder glaube? Weil mich Feen beschützen? Weil ich eine Therapeutenausbildung habe und mir so richtig was auf meine Menschenkenntnis einbilde? Oder weil mein Mann und ich weit über vierzig waren, als wir uns kennenlernten, und meinten, wir wüssten, wie eine Beziehung zu führen sei?

Lulu lächelte mich an, ich versuchte mich an einer ähnlichen Mimik, kämpfte aber doch nur wieder mit den Tränen. »Da bin ich. Erinnerst du dich an das Sommerfest?« Natürlich tat sie das. Und ich war auch ganz gewiss nicht die einzige Mandantschaft, die sich im Laufe der Jahre aus ihrem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis ergeben hatte.


Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.