Till Burgwächter
Dio digitale
Die Zukunft des Heavy Metal
Burgwächter, Till: Dio digitale. Die Zukunft des Heavy Metal. Hamburg, Charles Verlag 2021
1. Auflage 2021
ePub-eBook: ISBN 978-3-948486-42-6
Dieses Buch ist auch als Buch erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.
ISBN: 978-3-948486-40-2
Lektorat: Björn Bedey, Hamburg
Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers, Hamburg
Umschlagmotiv: © Ali Toons
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Der Charles Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg _______________________________
© Charles Verlag, Hamburg 2021
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Vorwort
Im Planwagen mit Alice Cooper
Sodom(y) und Kaffeeklatsch
Allein im Wald mit Darkthrone
Dio digitale
Rotting Christ zum Frühstück
Eleganter Reiten mit Black Label Society
„Venom’sche Zellteilung
Cannibal Corsa
Besser baggern mit Iron Savior
Steel Panther und das gemischte Doppel im Dolmetschen
Brüssel, Berlin, Pell(worm)
Stempeln gehen für Paradise Lost
Tote Vögel und Black Crowes
„Helloween: »Save Us« (1988)
Cranium: »S.R.T.« (1998)
King Diamond: »Help!!!« (2000)
Overkill: »Bastard Nation« (1994)
Iron Maiden: »Be Quick or Be Dead« (1992)
Diamond Head: »Helpless« (1980)
Paradise Lost: »Joys of the Emptiness« (1993)
The Black Crowes: »Remedy« (1992)
Papa Roach: »Last Resort« (2000)
Armored Saint: »Symbol of Salvation« (1991)
Bloodbath und das Schweinesanatorium
In den Archiven mit Riot
Klein-Ozzy und das Bällebad
Evocation und Invocation
Einstein versus Motörhead
Briefmarken sammeln mit Kurdt Kobain
Midnight im Supermarkt
Rammstein und die wunden Babypöter
Cirith Ungol und der Haferschleim
Weihnachtsbiff und Ostersatyr
Wo Doro Pesch und die Scorpions noch gefeiert werden
Metal Quiz
Antworten
Freunde der dicken E-Saite,
seit Jahrzehnten feiert ein stetig wachsender Mob langhaariger Randgestalten die beste Musik der Welt, den Heavy Metal. Wissenschaftlich anerkanntes Geburtsdatum des Genres ist der 13. Februar 1970, an diesem Tag erschien das unbetitelte Debüt einer Combo namens Black Sabbath. Mit dem aus dieser Warte betrachtet eigentlich auch unbetitelten Opener »Black Sabbath«, der von unheilvollen Glockenschlägen und typischem englischem Schmuddelwetter eingeleitet wird und in eines der markantesten Gitarrenriffs aller Zeiten mündet, ist der Höllenhund in der Welt und will auch nicht mehr weichen. Klar, Bands wie Led Zeppelin, Blue Cheer oder Deep Purple waren noch ein paar Minuten früher dran, sie werden, neben anderen, auch gerne als Wegbereiter und Vorarbeiter bezeichnet. Aber die Verbindung von Ozzys nölendem Gesang, Iommis finsteren Riffs und dem okkulten Image (das der Band größtenteils von der Plattenfirma aufgedrückt wurde) entwickelte sich zur Blaupause für eine ganze Bewegung. Die hat sich musikalisch über die Dekaden zum Teil sehr weit vom Original entfernt, aber am Ende des Tages können sich auch heute noch alle auf Black Sabbath einigen, selbst wenn auf deren Debüt von acht Songs gleich zwei Coverversionen zu finden waren. Die Urväter der Pommesgabel befanden sich bei der Erweckung dieser einzigartigen Szene also nicht gerade in einem Kreativrausch. Und das obwohl es in dieser Zeit an Rauschzuständen sicher nicht gemangelt hat.
Wie erwähnt hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein wahrer Rummelplatz verschiedener Spielarten und Variationen des Heavy Metal herausgebildet, von zart bis hart, von christlich bis satanisch, von simpel bis anspruchsvoll, von Haarspray bis Porngrind, von gut bis schlecht ist alles zu haben. Ganze Generationen waren und sind es gewohnt, sich aus diesem reichhaltigen Angebot zu bedienen. Hier mal eine thrashige Zuckerwatte naschen, dort mal eine doomige Runde mit dem Ketten- (und Leder-) karussell drehen, und der Liebsten an der Bude zwischendurch noch schnell eine Rose Tattoo schießen. Alles ganz normal.
Doch diese Freiheit und Vielfalt ist aus vielerlei Gründen bedroht. Die elenden Streaming-Plattformen gönnen den Künstlern, ohne die sie keine milliardenschweren, börsennotierten Monsterfirmen wären, sondern nur ein käsiger Programmierer, der mit 30 noch in seinem Kinderzimmer hockt, nicht mal den Dreck unter den Fingernägeln. Nachwachsende Generationen verlernen nicht nur den Wert von Musik und real existierenden Tonträgern zu schätzen, sie lernen erst gar keine gute Musik kennen. Kanye »Mr. President« West und Ikke Hüftgold stehen in den Playlisten der verschiedenen Anbieter ganz oben und verstellen den Blick auf die wahren Künstler, die mit jährlichen Abrechnungen von ein paar Euro fuffzig abgespeist werden.
Auf die sowieso sterbenden Dinosauriermedien wie Radio oder Fernsehen können wir auch nicht zählen, die haben seit jeher eine Abneigung gegen elektrisch verzerrte Gitarren. Während die Volksmusikanten gefühlt seit 100 Jahren jeden zweiten Tag aus dem Apparat rausgrinsen, wurde der Heavy Metal selbst in kommerziellen Hochphasen nahezu komplett ignoriert oder diskreditiert. Jetzt, wo die Senderchefs merken, dass sie mit ihren Konzepten endgültig den Bach runtergehen, bringen öffentliche Bedürfnisanstalten wie 3sat oder Arte plötzlich Live-Mitschnitte von Festivals und Dokumentationen über Motörhead und Co. Zu spät, ihr Eierköppe! Erfreut euch an Archivaufnahmen vom »Blauen Bock« und der sexy Hornbrille eines Eduard Zimmermann, aber zieht uns nicht mit in den Abgrund.
Und wo wir gerade beim leidigen Problem mit der Verwesung sind. »Black Sabbath« wurde an einem einzigen Tag im November 1969 aufgenommen. Logisch, dass die Protagonisten und ihre Nachfolger über 50 Jahre später nicht mehr durchgehend taufrisch aus der Wäsche gucken. Ronnie James Dio? Schon 2010 gestorben. Lemmy von Motörhead? Seit 2015 im Land, wo Jacky und Cola fließen. Slayer? Iron Maiden? Judas Priest? Kiss? Black Sabbath? Alle entweder eingemottet oder kurz davor, die finale Pommesgabel ins Publikum zu werfen. So viele sind schon unwiderruflich von uns gegangen, in den nächsten Monaten und Jahren werden zwangsläufig viele weitere folgen. Ist die Metal-Szene, die ihren Urgesteinen wie keine zweite die Stange hält, darauf wirklich vorbereitet?
»Dio digitale« widmet sich diesen und anderen Problemen und zeigt Wege auf, den Super-GAU zu verhindern. Deshalb ziehen wir bei Dio den Stecker des Beamers, klettern mit Alice Cooper auf den Planwagen und cruisen durch die Lüneburger Heide, schauen uns mit den Scorpions und Metallica in unterirdischen Laboren um (Nein, keine Echsenwesen!), lüften die Kapuze aktuell angesagter Bands wie Uada und MGŁA, machen einen Ölwechsel beim Cannibal Corsa, zeigen potentiellen Begattungspartnern mitten in der Nacht unsere Plattensammlung, drehen mit Grave Digger eine Serie fürs Privatfernsehen (oder Netflix), legen uns für Motörhead mit Albert Einstein an und tun überhaupt alles, um den Heavy Metal irgendwie zu retten.
Der Autor dieser Zeilen handelt dabei keineswegs nur aus reiner Nächstenliebe. Mit dem Baujahr 1975 im Pass habe ich eine Welt ohne Heavy Metal gar nicht kennen gelernt. Wann immer ich Trost, Inspiration oder Ablenkung suchte war da eine verzerrte Gitarre zu der irgendjemand rumgrölte. Das kann ja nicht einfach so verschwinden. Erst waren es die Bonanza-Räder, dann Telefone mit Wählscheibe und irgendwann die D-Mark, bald auch noch das Bargeld als solches. Irgendwann ist mal Schluss! Ein paar verlässliche Konstanten muss es im Leben doch geben, Bier und Fußball scheinen einigermaßen sicher zu sein. Deshalb muss meine und unser aller Kraft darauf verwendet werden, den Heavy Metal über die nächsten 20, 50 und 100 Jahre am Leben zu erhalten. Sonst wird dieses Jammertal, das wir uns »Heimatplanet« zu nennen angewöhnt haben, noch trostloser. Da braucht es dann auch keine finale Klimakatastrophe mehr, da ist dann eh nur noch kulturelles Brachland.
Werfen wir also einen Blick in die metallische Zukunft, rühmen wir die vergangenen Großtaten (von denen es unbestritten sehr viele gab) und feiern wir die Gegenwart der besten Musik der Welt. Solange es sie noch gibt!
Till Burgwächter
»Der Pessimist ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst«, sagte der Politiker Theodor Heuss einmal, immerhin der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Und fürwahr, an diesem Satz ist was dran. Kaum jemand verbreitet so schlechte Laune wie ein Mensch, dessen Glas immer nur halbvoll ist und in dem zusätzlich eine halbtote Fliege schwimmt.
Und jetzt überlegen wir doch mal, welche Gestalten uns von den Covern der Metal-Magazine und aus dem Internet heraus anschauen. Würde man im Lexikon unter dem Begriff »Piesepampel« nachschlagen, es müsste sich dort ein Foto von Alice Cooper finden. Aber auch Johann Hegg von Amon Amarth, Alissa White-Gluz von Arch Enemy, Nick Holmes von Paradise Lost oder Tom Angelripper von Sodom glotzen immer so, als hätte man ihnen gerade die Leberwurst vom Brot gelutscht. Von den ganzen skandinavischen Kalkfressen fangen wir lieber gar nicht erst an. So verwundert es nicht, dass Außenstehende Probleme haben, so etwas wie Sympathie für unsere geliebten Protagonisten zu entwickeln. Deshalb wäre eine umfangreiche Typberatung eine Möglichkeit, mehr Menschen den Zugang zur Metal-Szene zu erleichtern und damit kommerziell wieder richtig durchzustarten.
Bleiben wir einfachheitshalber bei Alice Cooper als Beispiel. Ein Gesicht wie ein Reaktorunfall, schwarz gefärbte Flusen auf der Rübe, Klamotten aus der Geisterbahn und ein Make-up, das sich nicht mal Lady Gaga ins Gesicht klatschen würde. Das muss doch auch ein bisschen lebensbejahender und freundlicher gehen. Beginnen wir mit den Klamotten. Gut, wenn ein über 70 Jahre alter Mann es bis jetzt noch nicht gelernt hat, sich nicht wie eine verwitterte Vogelscheuche zu kleiden, wird er es wohl niemals lernen. Aber dafür sind wir ja da. Die schwarze Lederhose kommt auf den Müll, dafür steckt Herr Cooper nun altersgemäß in einer grauen Schlupfhose. Mit diesem Spitzenmodell sieht der Mann über 70 seriös aus und kann sich überall blicken lassen. Ob auf den Fluren einer Reha-Klinik, beim sonntäglichen Bummel durch den Kurgarten oder beim Eis essen mit den Urenkeln, diese Hose ist ein Allrounder. Das weiße Rüschenhemd mit bis zum Bauchnabel aufgerissener Vorderseite verwendet Mutti Cooper ab sofort als Putzlappen, an seine Stelle tritt ein längsgestreiftes Hemd in beige und taubenblau, mit züchtigem Kentkragen und durchgehender Knopfleiste. Ja, so sieht ein Mann im Spätherbst seines Lebens aus.
Um den Look zu vervollständigen lassen wir die Farbe aus den Haaren herauswachsen, das ist heute einfach nicht mehr angesagt. Die Fusseln werden auf ein altersgerechtes Maß getrimmt, den Hubschrauberlandeplatz auf dem Schädel verdecken wir mit einer schicken Ballonmütze in Beige. Jetzt noch ein paar Pantoffeln unter die Hufen geschnallt, fertig ist der freundliche Rentner von nebenan, der sich zwar über die spielenden Kinder im Hof aufregt oder die Falschparker vor dem Haus aufschreibt, dafür den Nachbarinnen über 60 aber auch galant die Tür aufhält. The Coop würde so ganz neue Käuferschichten für den Heavy Metal erschließen. Schlangen von kreischenden Silberzwiebeln in geblümten Blusen und Lavendelduft auf der knitterigen Haut stünden auf Teneriffa, in Bad Harzburg oder Florida vor Plattengeschäften, um Alben ihres neuen Traummannes zu erstehen. Der Seniorenteller in den Restaurants würde Alice-Teller heißen (inklusive einer Portion »Billion Dollar Babykartoffeln«), es gäbe geführte Bus- und Butterfahrten zu den schönsten Orten dieser Welt, zum Beispiel in Thermalbäder oder mit dem Planwagen durch die Lüneburger Heide. Als Überraschungsgast tritt jedes Mal Alice Cooper auf, er verschenkt Rosen, bietet einen niedrigprozentigen Kirschlikör mit dem Namen »Poison« an, und zum Schluss bekommt jede Ausflugsteilnehmerin ein Foto mit dem Meister plus zwei Dosen Blutwurst. Heino hat genau so ein Vermögen gemacht.
Natürlich müssten auch die Texte und Cover von Cooper und anderen Bands ein wenig freundlicher gestaltet werden, um das neugierige Klientel nicht gleich wieder zu verscheuchen. Knarrenheinz, das Maskottchen von Sodom, wird zum ungleich romantischeren Kandelaber-Kalle, statt der Gasmaske trägt der jugendliche Endsechziger ein Lächeln im Gesicht. Aus »Agent Orange« wird »Agent Pink«, um nebenbei vielleicht noch ein paar elfjährige Mädels als Fans zu gewinnen, die 1993 eingetrümmerte Version von Udo Jürgens Kuchentheken-Klopfer »Aber bitte mit Sahne!« kann so bleiben. Da Sodom ja eh eine gewisse Affinität zum Schlager besitzen (Auftritte mit Roberto Blanco, Onkel Tom als solcher), dürfte die Transformation in eine Rentnergang nicht schwer fallen. Wenn Herr Angelripper dann noch mal zum Friseur geht und seinen alten Schlagzeuger Bobby Schottkowski zurückholt (der guckt immer so treuherzig wie ein altersschwacher Basset Hound), dürften neben den Schülerinnen und Pensionären auch Hundefreunde das Portemonnaie zücken.
Aus »Years Of Aggression« von den Suicidal Angels wird »Years of Asmathic Attacks«, «Fate of Norns” von Amon Amarth wird zu «Fate of Nurses”. Das merkt kein Mensch. Dazu kommt Sepulturas Nicht-Meisterwerk »The Rolator Between Head and Hands Must Be the Heart”, bei dem sich eine ausgewachsene Schwerhörigkeit als Vorteil erweist. Tankards «One Foot in the Grave”, Slayers «Hell Awaits”, Kreators «Endless Pain” und »Tempo of the Damned« von Exodus brauchen nur neue Cover, die Titel passen bereits perfekt. Vielleicht irgendwas mit Segelbooten oder Pferden, das ist wenig verfänglich. Die Motörhead-Alben »Bomber«, »1916« und »March ör Die« können sogar komplett so bleiben wie sie sind, die älteren Herren werden sich in ihrem Ohrensessel zurücklehnen und in Kindheitserinnerungen schwelgen. Man muss sie halt nur darauf bringen.
Zum Schluss unserer kleinen Typberatung, um Heavy Metal für den gewöhnlichen Menschen attraktiver wirken zu lassen, kümmern wir uns um ein ganz großes Problem: die Farbe Schwarz. Ist ja gut, Schwarz ist gar keine Farbe, sondern die Abwesenheit von Licht, aber das spielt an dieser Stelle keine Rolle. Fakt ist, dass viele Menschen Schwarz als Farbe betrachten und selbige mit negativen Dingen in Verbindung bringen: Tod, Trauer, Verwesung, Angst, und Isolation. Dazu gibt es Schwarzmärkte, Schwarzarbeit, Schwarzgeld, schwarze Magie und Schwarzkümmelöl, alles Dinge, die nicht gerade nach purer Heiterkeit klingen. Vantablack, das schwärzeste Schwarz der Welt, saugt einem sogar regelrecht die verbliebene Lebensfreude aus den Pupillen. Also weg damit, Lederjacken, Hosen, Stiefel und Band-Shirts können auch in anderen Farben schneidig aussehen. Es müssen ja nicht gleich Sonnengelb oder Schweinchenrosa sein. Auch Saftbraun und Feldgrau fallen raus, das weckt möglicherweise unschöne Assoziationen.
Aber wie wäre es denn mit Braunschweiger Grün? Dieser im 18. Jahrhundert entwickelte Ton ist eine dunkelgrüne, fast schwarz wirkende Metallfarbe, die in alle Welt importiert wurde und die Grundlage für das edle British Racing Green bildet. Noch mal: Eine grüne (Umweltgedanke), aber doch wieder sehr dunkle (Heavy) Metallfarbe, die weltweit beliebt ist und sogar noch den Elitegedanken fördert. Denn was ist elitärer als klassische englische Rennautos? Eigentlich perfekt, warum ist da noch niemand drauf gekommen? Zur Not würden aber auch Eisenfarbe, Schwefelgelb oder Fleischocker infrage kommen. Hauptsache es geht mal ein bisschen bunter und fröhlicher zu.
Jeder professionelle Sportverein hat einen (oder eine), jede Partei, jeder Automobilkonzern sowieso. Der DFB beschäftigt einen solchen Menschen, Greenpeace, die IG Metall, die Polizei und Universitäten können gar nicht ohne. Selbst der lokale Energieversorger, diese kleine, miese Abzockerbude, beschäftigt so jemanden, um die nächste unverschämte Strompreiserhöhung irgendwie zu rechtfertigen. Die Rede ist von Pressesprechern, die je nach Nachrichtenlage täglich, wöchentlich oder monatlich das Journalistenpack zu Kaffee und Kuchen laden, um irgendetwas zu verkünden.
In der Regel waren diese Gestalten früher selber mal Journalisten oder Lektoren in einem Verlag, haben aber keinen Bock mehr auf einen hektischen Alltag und verdingen sich bis zur nahenden Frühverrentung lieber auf so einem Posten. Wichtig ist nur, dass sie Sätze unfallfrei von Zetteln ablesen können und im Anzug (oder Hosenanzug) eine einigermaßen passable Figur machen. Wenn die Kameras eingeschaltet sind, setzen sie ihr schleimigstes Grinsen auf, auch wenn sie in den folgenden Minuten den bevorstehenden Weltuntergang bekanntgeben müssen. Am Ende ihres Auftritts blaffen sie noch ein »Keine weiteren Fragen« in die Runde, obwohl sogar der Praktikant vom örtlichen Wochenendblatt eingenickt ist und verschwinden mit der Grandezza einer spanischen Königstochter aus dem 14. Jahrhundert durch irgendeine rückwärtig gelegene Tür.
Der bekannteste Pressesprecher Deutschlands dürfte Steffen Seibert sein, der trotz seines fortgeschrittenen Alters die Anordnungen von Mutti Merkel mit einem verschmitzen Jungencharme serviert und auch dann nicht die Fassung verliert, wenn seine Chefin, selbst ja auch ein wandelnder Hosenanzug, mal wieder »brutto« mit »netto« verwechselt oder munter deutsches Kriegsgerät in Krisenregionen verscherbelt. Seibert guckt bei solchen Verkündigungen, als wolle er sagen: »Die Mama meint das doch gar nicht so, die is eigentlich ne ganz liebe.« Das Konzept ging auf, Merkel hielt sich länger im Bundeskanzleramt als jede Frau vor ihr, was bei Licht betrachtet aber auch nicht so schwer war.
Die Beschäftigung eines Pressesprechers dient in erster Linie sowieso nicht dazu, etwas Bedeutendes zu verkünden, denn dafür gibt es das Internet. Wichtig ist, dass er überhaupt verkündet. Und wenn es die neuen Sonderangebote beim Edeka um die Ecke sind, Hauptsache es haben sich ein paar Journalisten versammelt. Die wollen hier in erster Linie gratis Kaffee und vielleicht ein Stück trockenen Zuckerkuchen abgreifen, aber ganz ohne Story können sie auch nicht wieder gehen. Berufsethos und so. Also schreiben sie irgendeinen Artikel oder zumindest eine kleine Meldung, in der der Name des Unternehmens auftaucht. Schon ist der Laden im Gespräch und musste dafür nicht mal eine teure Werbeanzeige schalten. Anders als im anonymen Netz dient die menschliche Begegnung als Schmiermittel, um sich gegenseitig die Pfoten zu reinigen.
Genau diese Art der Aufmerksamkeitserheischung würde auch den Heavy Metal nach vorne bringen. Und der Plan ist einfach umzusetzen: In jedem relevanten Metal-Land wird ein Pressesprecher ernannt, der einmal im Monat vor das Schmierfinkenpack tritt, um die neuesten Entwicklungen zu kommentieren, neue Alben anzupreisen und Live-Termine zu verkünden. In Deutschland wäre Tom »Onkel« Angelripper von Sodom eine gute Wahl für den Job. Der Mann ist definitiv unterhaltsam, sieht nach Metal aus, und sein Dialekt ist nicht so schlimm, als dass man ihn nicht verstehen würde. Gut, statt gerösteter Bohnen würde Diebels Alt durch die Kaffeemaschine gluckern, der Kuchen gegen Bratwürste ausgetauscht, aber das dürfte bei den meisten Schreiberlingen auf Zustimmung stoßen. Die seltsame Zuneigung des Herrn Engelsschänder zum Fußballclub Schalke 04 mag zwar ein paar Punkte in Sachen Glaubwürdigkeit und Zurechnungsfähigkeit kosten, aber was soll’s. Ein paar Meldungen über gestorbene Helden, ausgetauschte Musiker und geplante Alben in die Runde geworfen, garniert mit ein paar launigen Sprüchen aus seinem reichhaltigen Portfolio als Sodom-Boss (»Die Frontbeleuchtung ist zu heiß«, »Wir sind keine satanische Band mehr« etc.), fertig ist der Lack.