Foto: © Vivian J. Rheinheimer
Monika Maron, 1941 in Berlin geboren, ist eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Sie wuchs in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik nach Hamburg und lebt seit 1993 wieder in Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, darunter Flugasche, Animal triste, Endmoränen, Ach Glück, Zwischenspiel, Munin oder Chaos im Kopf und Artur Lanz, außerdem mehrere Essaybände, darunter Krähengekrächz und die Reportage Bitterfelder Bogen. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Kleist-Preis (1992), der Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg (2003), der Deutsche Nationalpreis (2009), der Lessing-Preis des Freistaats Sachsen (2011) und der Ida-Dehmel-Literaturpreis (2017).
Momo starb ein paar Tage vor Weihnachten. Im Frühjahr hatten wir gehofft, er würde noch zwei Jahre leben, dann wäre er fünfzehn geworden. Im Sommer, als er mit dem rechten Hinterbein schon leicht hinkte, dachten wir, er könnte es noch bis zum nächsten Sommer schaffen. Aber dann ging alles sehr schnell. Am Ende stolperte er fast bei jedem Schritt, auf dem Parkett rutschten ihm die Beine weg, und das Leid in seinem Hundegesicht war herzzerreißend. Ich ahnte, dass ich den richtigen Tag für Momos Tod nicht finden würde. Nur nicht zu früh, aber als ich es endlich entschieden hatte, dachte ich, es war vielleicht schon zu spät.
Ich litt mit ihm, ich trauerte um ihn, und gleichzeitig suchte ich nach einem neuen Hund. Manche Menschen finden es herzlos, einen Hund gleich durch einen anderen zu ersetzen, weil sie in dem Hund vor allem ein Objekt ihrer Liebe sehen wie in einem geliebten Menschen, den man schließlich auch nicht innerhalb von Wochen oder sogar Tagen durch die Anschaffung eines anderen Menschen ersetzen kann. Natürlich habe auch ich Momo geliebt als den einzigartigen, ganz besonderen Hund, der er war. Gleichzeitig war er aber ein Vertreter aller Hunde, auch aller Tiere, eine Art Institution. Und wenn der Vertreter einer Institution stirbt, der Papst oder ein Staatspräsident oder ein Parteivorsitzender, dann muss er auch sofort ersetzt werden, weil sonst ein ganzes Gefüge in Unordnung geraten kann. In diesem Fall war das Gefüge, das in Unordnung geraten konnte, mein eigenes Leben. Ich brauche ein Wesen um mich herum, das nichts anderes ist als Leben, das nichts weiß vom Aufstieg und Niedergang Roms, vom Dreißigjährigen Krieg und von der Shoah, nichts von Platon, Joyce und Kafka, nicht einmal von Konrad Lorenz; ein Lebewesen, das sich nicht für die neuesten Nachrichten interessiert und dem das Wort Zukunft nichts bedeutet. Zwischen dem Hund und mir geht es nur um das Elementare, um die Nahrung, die Gemeinsamkeit und um Liebe. Es ist das Bündnis von zwei Kreaturen mit dem einzigen Zweck, einander Freude und Beistand zu sein. Den Hund verstehen bedeutet auch, das Tier in mir zu verstehen. Und abgesehen von diesem ideellen Aspekt des Zusammenlebens gab es auch noch den ganz profanen, die vom Hund bestimmte Ordnung eines Tages. Momo war tot, niemand zwang mich, auf die Straße zu gehen, niemand stand pünktlich um halb eins vor mir mit forderndem Blick, weil es Essenszeit war, kein Momo stupste mich, weil er gestreichelt werden wollte. Ich saß verloren in meiner Wohnung und fragte mich, was ich hier eigentlich soll. Mein Hund war gestorben und hatte mich in die Einsamkeit entlassen. Ich brauchte einen neuen Hund.
Als Bruno, mein Hund vor Momo, gerade gestorben war, habe ich auch mit verheulten Augen im Internet unter dem Stichwort Riesenschnauzermischling nach einem Nachfolger gesucht. Damals hatte ich Glück. »Sieht aus wie ein Riesenschnauzer, ist aber keiner« stand da über einen Hund, der schon auf einer Berliner Pflegestelle auf mich wartete und fünf Tage nach Brunos Tod bei mir einzog.
Auf einen ähnlich glücklichen Zufall hoffte ich auch diesmal. Ein bisschen kleiner als seine beiden Vorgänger sollte der neue Hund sein, und diesmal kein Rüde, ein Tribut an mein Alter und die vermutlich irgendwann schwindende Kraft. Ich suchte wie immer unter dem Stichwort »Schnauzermischling«, keinen Welpen, aber auch nicht zu alt, nicht zu groß, aber auch nicht zu klein. Zwei, die mir gefielen, waren schon vergeben. Ich verbrachte die Tage im Internet und suchte meinen 19511941