Die Kurfürstenklinik 38 – Kein Platz für Stefanie?

Die Kurfürstenklinik –38–

Kein Platz für Stefanie?

Ein Schatten fällt auf seine große Liebe

Roman von Nina Kayser-Darius

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-441-7

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»Phantastique!« rief Marie-Claude Villeneuve und klatschte begeistert in die Hände. »Adrian«, sie sagte das mit einem reizenden französischen Akzent, »das ist das schönste ’otel, das isch je gese’en ’abe!«

»Ja, das King’s Palace ist Berlins ganzer Stolz«, stimmte Dr. Adrian Winter, jüngster Chefarzt der Kurfürsten-Klinik und zugleich Leiter der dortigen Notaufnahme, ihr bereitwillig zu. »Es ist architektonisch wirklich bemerkenswert.«

»Können wir ’ineinge’en, bitte?«

Wenn sie ihn so ansah, dachte er, hatte sie ein wenig Ähnlichkeit mit Stefanie Wagner, jener Frau, die sein Herz gestohlen hatte und der er sich doch nicht zu nähern wagte.

Wäre er zu einer sympathischen französischen Kollegin ganz ehrlich gewesen, dann hätte er ihr gestehen müssen, warum er ihr unbedingt das Hotel King’s Palace hatte zeigen wollen: Es ging ihm gar nicht so sehr darum, ihr das gelungene Gebäude zu zeigen, sondern er hoffte auf eine zufällige Begegnung mit Stefanie Wagner, die dort offiziell als Direktionsassistentin arbeitete, in Wirklichkeit aber die heimliche Hotelchefin war.

Marie-Claude war blond wie Stefanie, aber sie trug die Haare fast glatt und kaum schulterlang, während Stefanie blonde lange Locken hatte – und natürlich, bei diesem Gedanken seufzte Adrian unhörbar, waren Marie-Claudes Augen nicht aufregend fliederfarben wie Stefanies, sondern strahlend blau. Seine Kollegin war zweifellos sehr attraktiv, aber bei ihm war es nun einmal so, daß er jede Frau sofort mit Stefanie Wagner verglich und das alle dabei unweigerlich den Kürzeren zogen.

»Sicher gehen wir hinein!« beantwortete er endlich Marie-Claudes Frage. »Es gibt eine über­aus elegante Bar dort, wo man hervorragend Kaffee trinken kann – anderes natürlich auch, aber ich möchte um diese Zeit noch keinen Alkohol trinken.«

»Isch auch nischt«, versicherte seine Begleiterin, die sich interessiert umsah, als sie nun das großzügige Foyer des Hotels betraten. »Ein bißchen wie in Pari’!« schwärmte sie.

Adrian lächelte. Ja, man konnte schon an Paris denken, wenn man das Hotel betrat. Er nahm Marie-Claudes Arm und steuerte mit ihr die Bar an, während er sich zugleich suchend umsah, doch keine Stefanie war zu sehen. Sie saß natürlich viel in ihrem Büro, aber oft lief sie auch im Hotel herum – weil sie manchmal an drei Orten gleichzeitig hätte sein müssen, um es allen recht zu machen. Er hatte jedenfalls schon mehrmals Glück gehabt mit seinen Überraschungsbesuchen im Hotel. Fast immer hatten sie einander getroffen, ohne daß er an ihre Bürotür hatte klopfen müssen.

Warum er dagegen eine solche Abneigung hatte, wußte er selbst nicht genau. Aber es war ihm tatsächlich lieber, wenn ihre Begegnungen zumindest zufällig wirkten, auch wenn sie es natürlich nicht waren. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, in diesem exklusiven Hotel einen Kaffee zu trinken, wenn er damit nicht die Hoffnung auf ein Gespräch mit Stefanie Wagner verbunden hätte.

»Isch danke Ihnen sehr, Adrian«, sagte Marie-Claude mit leuchtenden Augen, als sie Platz genommen hatten. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, misch ’ier’erzuführen.«

»Es ist mir ein Vergnügen, Marie-Claude«, versicherte Adrian. »Das mache ich gern, wirklich. Außerdem muß Ihnen ja jemand die Stadt zeigen – solange Sie hier sind.«

»Isch bin froh, daß isch in der Notaufnahme arbeiten kann für eine Weile«, erwiderte sie, plötzlich ernst geworden. »Isch lerne viel bei Ihnen.«

»Hoffentlich«, meinte er lächelnd. »Wir sind immer froh, wenn wir AiPler haben.«

Sie runzelte die Stirn. »Was ist das? Was sagten Sie? A-i…«

Er lachte. »AiP ist die Abkürzung für ›Arzt im Praktikum‹ – also das, was Sie jetzt sind.«

»Das wußte ich nischt.«

»Ärzte im Praktikum sind für uns in der Notaufnahme von unschätzbarem Wert«, erklärte Adrian. »Weil wir immer zuwenig Personal haben, wissen Sie? Aber unser Verwaltungsdirektor versucht uns dann wenigstens dadurch zu helfen, daß er uns gelegentlich AiPler schickt.«

»Ach, so ist das.« Marie-Claude nickte, während sie sich in dem eleganten Raum umsah. Sie war eine typische Pariserin, die sich in der großzügigen Umgebung des Hotels sofort wohl fühlte. »Nochmals vielen Dank, daß Sie sich um misch kümmern, Adrian. Isch weiß das zu…« Sie suchte einen Augenblick nach dem richtigen Wort, dann hatte sie es gefunden und sagte: »… zu schätzen.« Ihr Deutsch war ausgezeichnet, und der leichte Akzent, mit dem sie es sprach, wurden von allen als sehr charmant empfunden.

Adrian lächelte in sich hinein. Er wußte, daß sein Kollege Bernd Schäfer sich nur zu gern um die zierliche Französin gekümmert hätte – Bernd und die Frauen, das war ein unerschöpfliches Thema, denn er verliebte sich eigentlich ständig, allerdings immer vergeblich.

Na ja, dachte Adrian selbstkritisch, während er sich unauffällig umsah, ob Stefanie nicht doch irgendwo auftauchte, ich sollte mich mal lieber an die eigene Nase fassen. Ich habe mich schließlich auch in eine Frau verliebt, die mit einem anderen zusammen ist. Ziemlich sicher jedenfalls…

»Adrian?«

Er fuhr auf und lächelte entschuldigend. »Tut mir leid, Marie-Claude, ich habe gerade an etwas denken müssen.«

Sie lachte vergnügt. »An eine Frau, stimmt’s?«

Er sah sie verblüfft an. »Wie kommen Sie darauf?«

»Dafür ’abe isch einen Blick«, antwortete sie, während sie mit leicht schräg geneigtem Kopf darauf wartete, daß sie seine Frage beantwortete.

Er nickte. »Ja, es stimmt. Wie steht es denn mit Ihnen? Haben Sie den Mann Ihres Herzens in Paris zurückgelassen?«

»Nein, es gibt keinen«, antwortete sie zu seiner Überraschung. »Isch ’atte dafür keine Zeit, wissen Sie? Das Studium war sehr… anstrengend.« Wieder lachte sie. »Vielleicht isch finde ’ier einen Mann – in Berlin.«

Gut, daß Bernd das nicht wußte, dachte Adrian. Er würde sich sonst bestimmt noch heftiger um die attraktive Kollegin bemühen, und das konnte eigentlich nur in einer neuerlichen Enttäuschung für den schwergewichtigen Assistenzarzt enden. Oder hatte er am Ende Vorurteile?

»Wie muß er denn sein, der Mann Ihrer Träume?« erkundigte er sich ernsthaft.

Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Acht bis zehn Jahre älter als isch, dunkel’aarig, mit dunklen Augen und gut ausse’end – gebildet, ’umorvoll und charmant. Und reisch darf er auch sein. Außerdem muß er natürlich französisch sprechen und Frankreisch lieben.«

Adrian lachte aus ganzem Herzen. »So einen finden Sie nie, Marie-Claude!« rief er aus. »Den müssen Sie sich erst backen.«

Ihr verwirrtes Gesicht zeigte ihm, daß ihr dieser Ausdruck nicht geläufig war, und so versuchte er ihn ihr zu erklären.

Als sie ihn verstanden hatte, lachte sie auch. Sie waren ein schönes Paar, die beiden – und sie wurden, was sie nicht wußten, aufmerksam beobachtet. Denn es gab einige Angestellte im Hotel, die durchaus bemerkt hatten, daß Stefanie Wagners Augen immer ganz besonders strahlten, wenn dieser junge Arzt auftauchte.

Was aber tat der Mann nun hier mit einer anderen Frau, mit der er sich ganz offensichtlich blendend verstand? Man konnte nur hoffen, daß Frau Wagner noch eine Zeitlang in ihrem Büro blieb…

*

Christian Baron von Trenkenstein warf den Hörer auf die Gabel und rief ärgerlich aus: »Immer noch keinerlei Nachricht, ich kann es wirklich nicht fassen! Aber meine Mutter kann doch in Berlin nicht so einfach verschwunden sein, verdammt noch mal! Gerade jetzt, wo wir dabei sind, ein Gutachten über ihren Geisteszustand anfertigen zu lassen…«

Dr. Heraldus, der Anwalt des Barons, neigte ein wenig den Kopf, als er sagte: »Vielleicht hat sie das mitbekommen, Baron von Trenkenstein. Wäre es nicht möglich, daß sie deshalb… verschwunden ist?«

Der Baron sprang auf und lief wie ein gefangenes Raubtier in dem großen Salon umher, in dem diese Besprechung stattfand. Er war ein stattlicher Mann von einundfünfzig Jahren, bereits zweimal geschieden, noch immer ohne Kinder – der einzige Sohn seiner Eltern.

Er würde der zukünftige Schloßherr auf Trenkenstein im Holsteinischen sein, der Herr über riesige Ländereien, während sich seine jüngere Schwester mit einer – allerdings überaus ansehnlichen – Summe Geldes würde begnügen müssen. So jedenfalls war es in der Vergangenheit immer gewesen: die ältesten Söhne erbten Schloß und Land, die jüngeren Söhne und Töchter bekamen Geld.

Dem Antritt des Erbes stand in diesem Fall allerdings die betagte Mutter der beiden Geschwister entgegen, die sich bislang beharrlich geweigert hatte, ihrem Sohn die Geschäfte zu übergeben. Sie war geistig noch sehr rege – trotz eines leichten Schlaganfalls vor einem halben Jahr, von dem sie jedoch fast vollständig wieder genesen war. Noch immer hielt sie die Macht über Schloß Trenkenstein und den gesamten Besitz in Händen.

Ihre engen Freunde wußten, daß das Verhältnis zwischen den Generationen zerrüttet war. Die alte Baronin hing mehr an einem ihrer Neffen, dem Patensohn ihres verstorbenen Mannes, als an ihrem Sohn und Tochter. Vor ein paar Wochen nun war sie achtzig geworden, und nicht nur ihre Kinder drängten sie, eine Entscheidung wegen des Erbes zu treffen, sondern auch ihre Freunde – letztere allerdings, weil sie sich große Sorgen um die Gesundheit der alten Baronin machten.

Ihre Kinder aber beschränkten sich seit dem Schlaganfall nicht mehr darauf zu drängen, sondern sie hatten beschlossen, sich ihr Erbe notfalls mit Gewalt zu nehmen: Sie wollten die Mutter entmündigen lassen, und hatten bereits den Arzt der Familie und den Anwalt Dr. Heraldus auf ihre Seite gezogen, denen im Falle eines Erfolgs reicher Lohn winkte…

Auf die Frage des Antwalts rief der Baron nun ärgerlich: »Was für ein Unsinn! Natürlich hat sie nichts davon mitbekommen – sie hat ja in letzter Zeit ihre Räume kaum noch verlassen. Und meine Schwester und ich sprechen nur sehr vorsichtig über diese Dinge.«

Der Anwalt räusperte sich. Er war nicht weniger stattlich als der Baron, allerdings ein paar Jahre jünger. »Ihre Frau Mutter wird von den meisten ihrer Angestellten nicht nur geschätzt, sondern hoch verehrt, Baron von Trenkenstein. Bitte vergessen Sie das nicht. Ich halte es für durchaus möglich, daß jemand vom Personal der Baronin ein paar Informationen hat zukommen lassen.«

Der Baron starrte den Anwalt an wie jemanden von einem anderen Stern. »Das glaube ich nicht!« stieß er schließlich hervor. »Niemand würde das wagen. Ich bin der zukünftige Schloß­herr, wer würde sich mit mir anlegen wollen?«

»Niemand«, räumte der Anwalt bereitwillig ein, »aber wenn Sie gar nicht herausfinden, wer Ihre Mutter informiert hat, dann können Sie auch niemanden zur Rechenschaft ziehen.«

Der Baron ließ sich das eine Weile durch den Kopf gehen. »Ich glaube es nicht«, sagte er schließlich entschieden. »Es muß etwas passiert sein. Meine Mutter war auf dem Weg nach Berlin, ins Hotel King’s Palace, wo sie immer absteigt, wenn sie dort ist. Es war nicht allzu schwierig, das herauszufinden, obwohl sie uns über ihre Reisepläne wieder einmal nur sehr oberflächlich informiert hat. Aber sie ist nie im Hotel angekommen – und jetzt ist sie spurlos verschwunden, das ist der Stand der Dinge.«

»Wie lange schon?« erkundigte sich Dr. Heraldus.

»Drei Tage«, antwortete Baron von Trenkenstein.

Der Anwalt hob überrascht den Kopf. »So lange schon? Und dann haben Sie mich jetzt erst angerufen? Das kann für unser Vorhaben sehr wichtig sein!«

»Ich habe es ja nicht sofort erfahren«, verteidigte sich der Baron. »Sie kennen doch meine Mutter. Ich wußte nicht einmal genau, wann sie abreisen wollte.«