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Ludwig Nohl

Wagner

Eine Musikerbiografie

Ludwig Nohl

Wagner

Eine Musikerbiografie

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
1. Auflage, ISBN 978-3-962817-39-8

null-papier.de/686

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Inhaltsverzeichnis

Vor­wort

1. Die ers­te Ju­gend­zeit.

2. Sturm und Drang.

3. Re­vo­lu­ti­on in Le­ben und Kunst.

4. Die Ver­ban­nung.

5. Mün­chen.

6. »Bay­reuth«.

7. Der »Par­si­fal«.

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»Auf, ihr Brü­der, ehrt die Lie­der!
Sie sind gleich den gu­ten Ta­ten.
Wer kann bes­ser als der Dich­ter
Dem ver­irr­ten Freun­de ra­ten?«

Goe­the.

Vorwort

Schon un­se­re Meis­ter Haydn, Mo­zart, Beetho­ven hat­ten ihre Kunst über ihre Vor­gän­ger da­durch er­wei­tert, dass sie sich stets mehr den Be­we­gun­gen des Le­bens an­schlos­sen. Und wie­der­um mit ih­rem Schaf­fen selbst ga­ben sie die­sem Le­ben ih­rer Na­ti­on und der Mensch­heit ver­tief­te­ren Ge­halt, der so­gar zu­letzt wie­der an das Höchs­te an­knüpf­te, was wir be­sit­zen, die Re­li­gi­on. Die­ser Spur folg­te nun kein Künst­ler mit mehr durch­drin­gen­der Kraft als Richard Wa­gner, und er konn­te dies, weil bei glei­cher geis­ti­gen Be­ga­bung ei­ner­seits die Grund­la­ge sei­ner Bil­dung brei­ter und tiefer war als bei un­se­ren elas­ti­schen Meis­tern, an­de­rer­seits die Be­we­gung un­se­res Le­bens ge­ra­de wäh­rend sei­ner lan­gen Schaf­fens­zeit im­mer kräf­ti­ger und man­nig­fal­ti­ger wur­de, weil die Ide­en un­se­rer Dich­ter und Den­ker mehr und mehr zur Tat und Wahr­heit in un­se­rem Da­sein ge­die­hen. Wa­gners Ent­wick­lung ist eine eben­so si­cher ru­hig fort­schrei­ten­de wie die­je­ni­ge je­ner drei Klas­si­ker, und alle Kämp­fe, so hef­tig sie manch­mal auch wa­ren, klär­ten ihm selbst nur den Weg zu je­nem ho­hen Zie­le, an dem wir selbst heu­te mit ihm ste­hen und eine freie Ent­fal­tung al­ler un­se­rer Kräf­te vor uns se­hen. Die­ses Ziel heißt die Um­fas­sung al­les Kunst­ver­mö­gens zu dem großen Ge­samt­kunst­wer­ke des mu­si­ka­li­schen Dra­mas, in dem sich die All­be­we­gung un­se­res mensch­li­chen Da­seins bis zu ih­rer höchs­ten Ent­fal­tung im Idea­le dar­stellt. Und da die­ses mu­si­ka­li­sche Dra­ma ge­schicht­lich auf der Oper be­ruht, so sind die Meis­ter, die sich na­tur­ge­mäß mit R. Wa­gner zu ei­nem zwei­ten Drei­ge­stirn un­se­rer Kunst einen, der Be­grün­der der deut­schen Oper, C. M. von We­ber, und der Re­for­ma­tor der al­ten Oper, Chri­stof Wi­li­bald Gluck. Da­her wird uns die Dar­stel­lung der Ent­wick­lung un­se­res jüngs­ten Meis­ters eben­so­wohl aus jene äl­te­ren hin­wei­sen wie die Er­kennt­nis von dem, was er selbst uns ist, von selbst er­ge­ben.

1. Die erste Jugendzeit.

(1813–1831)

»Ich be­schloss Mu­si­ker zu wer­den.«

Wa­gner.

*

Richard Wil­helm Wa­gner ist am 22. Mai 1813 in Leip­zig ge­bo­ren. Sein Va­ter lei­te­te da­mals die Po­li­zei­ver­wal­tung, die durch die end­lo­sen Trup­pen­be­we­gun­gen der fran­zö­si­schen Krie­ge von be­son­de­rer Be­deu­tung war. Der­sel­be er­lag denn auch bald dar­auf der Epi­de­mie, wel­che un­ter den durch­zie­hen­den Ar­meen aus­ge­bro­chen war. Die Mut­ter, eine Frau von fei­ne­rem geis­ti­gen We­sen, hei­ra­te­te dar­auf den hoch­be­gab­ten Schau­spie­ler Lud­wig Geyer, wel­cher ein ver­trau­ter Freund des Hau­ses ge­we­sen war, und zog mit ihm nach Dres­den, wo er am Hof­thea­ter an­ge­stellt und sehr an­ge­se­hen war. Hier hat denn Wa­gner sei­ne Kind­heit und ers­te Ju­gend ver­lebt. Ne­ben der großen pa­trio­ti­schen Er­he­bung wa­ren künst­le­ri­sche Ein­drücke das ers­te, was ihn tiefer an­reg­te. Schon der Va­ter hat­te an den thea­tra­li­schen Lieb­ha­be­rei­en des da­ma­li­gen Leip­zig re­gen An­teil ge­nom­men und jetzt ge­hör­te die Fa­mi­lie ja ganz der prak­ti­schen Kunst an. Ein Bru­der Al­bert und die Schwes­ter Ro­sa­lie gin­gen spä­ter zum Thea­ter über, und zwei an­de­re Schwes­tern pfleg­ten eif­rig des Kla­vier­spie­les. Richard selbst be­frie­dig­te die kin­der­haf­te Nei­gung zum Ko­mö­die­spie­len nur auf dem Zim­mer und sein Kla­vier­spiel be­schränk­te sich auf das Nach­klim­pern von Me­lo­di­en, die ihm ins Ohr ge­fal­len wa­ren. So hör­te ihn der Va­ter in der Krank­heit, die auch ihn bald dar­auf be­fiel, das Lied­chen »Üb’ im­mer Treu und Red­lich­keit« und den da­mals ganz neu­en »Jung­fern­kranz« aus dem Frei­schütz spie­len und der Kna­be wie­der hör­te ihn ganz lei­se die Mut­ter fra­gen: »Soll­te er viel­leicht Ta­lent zur Mu­sik ha­ben?« Er hat­te ihn frü­her zum Ma­ler be­stimmt, da er selbst ein eben­so gu­ter Por­trät­ma­ler wie Schau­spie­ler war. Jetzt starb er, ehe der Kna­be sie­ben Jah­re alt war, und hin­ter­ließ dem­sel­ben nur die Mit­tei­lung der Mut­ter, er habe et­was aus ihm ma­chen wol­len. Wa­gner er­in­ner­te sich bei der ers­ten Skiz­zie­rung sei­nes Le­bens, die er im Jah­re 1842 schrieb, dass er auf die­sen Auss­pruch des Va­ters sich lan­ge et­was ein­ge­bil­det habe, und je­den­falls war es ihm ein An­trieb zum Hö­he­ren.

Sei­ne Nei­gung ging aber zu­nächst nicht auf die Kunst, er woll­te viel­mehr stu­die­ren und kam so auf die be­rühm­te Kreuz­schu­le. Mu­sik ward nur so ne­ben­bei be­trie­ben. Zwar ein Haus­leh­rer muss­te ihm auch Kla­vier­stun­den ge­ben, al­lein wie beim Zeich­nen wi­der­te ihn hier das Er­ler­nen des Tech­ni­schen bald an und er zog vor, nach dem Ge­hö­re zu spie­len, wo­bei er sich die Ou­ver­tü­re zum Frei­schütz ein­stu­dier­te. Der Leh­rer hör­te dies und mein­te, es wer­de nichts aus ihm wer­den. Fin­ger­satz und Läu­fe er­lern­te er da­bei frei­lich nicht, aber eine aus der ei­gens­ten Emp­fin­dung stam­men­de Be­to­nung, wie sie kaum je ein Künst­ler be­ses­sen hat. Die Ou­ver­tü­re zur Zau­ber­flö­te lern­te er schon da­mals lie­ben, der Don Juan da­ge­gen blieb ihm noch un­zu­gäng­lich.

Al­lein al­les dies war nur große Ne­ben­sa­che. Grie­chisch, La­tei­nisch, My­tho­lo­gie und alte Ge­schich­te fes­sel­ten den re­gen Geist des Kna­ben und zwar so sehr, dass sein Leh­rer ihm mit Ernst das Stu­di­um der Phi­lo­lo­gie zu­wies. Wie er die Mu­sik nach­spiel­te, ver­such­te er jetzt die Dich­tung nach­zuah­men. Ein Ge­dicht auf einen ge­stor­be­nen Mit­schü­ler er­hielt so­gar den Preis, je­doch muss­te viel Schwulst dar­aus ent­fernt wer­den. Der Über­schwang der Fan­ta­sie und Emp­fin­dung kün­dig­te sich auch hier in frü­her Ju­gend an. Nun woll­te er, elf Jah­re alt, Dich­ter wer­den! Ein säch­si­scher Poet Apel bil­de­te die grie­chi­schen Trau­er­spie­le nach, warum soll­te nicht er das­sel­be kön­nen? Die ers­ten zwölf Bü­cher der Odys­see hat­te er schon über­setzt und Ro­meos Mo­no­log so­gar me­trisch nach­ge­bil­det, nach­dem er, bloß um Sha­ke­s­pea­re ge­nau ken­nen zu ler­nen, für sich auch Eng­lisch er­lernt hat­te. So be­herrsch­te er früh die Spra­che, die »für uns dich­tet und denkt«, und Sha­ke­s­pea­re blieb sein nächs­tes Vor­bild. Ein großes Trau­er­spiel, un­ge­fähr aus Ham­let und Lear zu­sam­men­ge­setzt, ward jetzt ent­wor­fen, und wenn dar­in al­lein zwei­und­vier­zig Men­schen star­ben und er sich we­gen Man­gels an Per­so­nen am Schlus­se ge­nö­tigt sah, de­ren Geis­ter wie­der­kom­men zu las­sen, so er­ken­nen wir auch hier nur das Über­maß der an­ge­bo­re­nen Kraft.

Ein Gu­tes hat­te die­ser un­ge­heu­er­li­che Dich­tungs­ver­such: er führ­te ihn zur Mu­sik, und an ih­rem dä­mo­ni­schen Erns­te lern­te er selbst erst den Ernst der Kunst be­grei­fen, die ihm im Ge­gen­satz zu sei­ner Wis­sen­schaft bis da­hin noch so we­nig als ernst galt, dass ihm un­ter an­de­ren: der Don Juan we­gen sei­nes ita­lie­ni­schen Tex­tes läp­pisch und das »ge­schmink­te Ko­mö­di­an­ten­tum« wi­der­lich er­schie­nen war. Er hat­te in der glei­chen Zeit den Frei­schütz ken­nen ge­lernt und wenn er We­ber an ih­rem Hau­se vor­bei­ge­hen sah, be­trach­te­te er ihn stets mit hei­li­ger Scheu. Die Wei­sen, die sei­nem Ju­gen­d­emp­fin­den schon durch die pa­trio­ti­sche Er­re­gung je­ner ers­ten Tage un­se­res wie­der­er­ste­hen­den Va­ter­lan­des nahe stan­den, be­zau­ber­ten ihn und er­füll­ten ihn mit schwär­me­ri­schem Erns­te. »Nicht Kai­ser und nicht Kö­nig, aber so da­ste­hen und di­ri­gie­ren!« rief es in ihm, als er We­ber mit sei­nem Frei­schütz die Ge­mü­ter an jene Me­lo­di­en ban­nen sah. Jetzt kam er mit der Fa­mi­lie nach Leip­zig zu­rück. Hat­te er über sei­nem großen Trau­er­spiel, das ihn vol­le zwei Jah­re be­schäf­tig­te, die Stu­di­en ver­säumt? Man ver­setz­te ihn auf der Ni­co­lai­schu­le nach Ter­tia zu­rück und er ver­lor dar­über alle Freu­de am Ler­nen. Dazu trat jetzt zum ers­ten Male auch der vol­le Geist der Mu­sik in sei­nen An­schau­ungs­kreis: er hör­te in den Ge­wand­haus­kon­zer­ten Beetho­vens Sym­pho­ni­en. »Ihr Ein­druck auf mich war all­ge­wal­tig«, sagt er von die­ser tie­fen See­len­er­fah­rung sei­nes 15. Le­bens­jah­res, die umso ein­dring­li­cher war, als er ver­nahm, dass der große Meis­ter das Jahr zu­vor in der trau­rigs­ten Wel­t­ab­ge­schie­den­heit ge­stor­ben sei. »Ich weiß nicht, wozu man mich ei­gent­lich be­stimmt hat­te«, lässt er noch nach Jah­ren in sei­ner No­vel­le »Eine Pil­ger­fahrt zu Beetho­ven« einen jun­gen Mu­si­ker sa­gen, »nur ent­sin­ne ich mich, dass ich ei­nes Abends eine Beetho­ven­sche Sym­pho­nie hör­te, dass ich dar­auf Fie­ber be­kam, krank wur­de, und als ich wie­der ge­ne­sen, Mu­si­ker ge­wor­den war.«

In der Schu­le war er faul und lü­der­lich ge­wor­den, nur sein Trau­er­spiel lag ihm noch am Her­zen, aber die­ser Beetho­ven be­stimm­te ihn jetzt auch lei­den­schaft­lich zur Mu­sik. Ja das An­hö­ren der Eg­mont-Mu­sik be­geis­ter­te ihn so, dass er um al­les in der Welt sein Trau­er­spiel nicht an­ders als mit ei­ner sol­chen Mu­sik »vom Sta­pel lau­fen las­sen« woll­te. Sie zu schrei­ben trau­te er sich ohne Be­den­ken zu, hielt es aber doch für gut, sich zu­vor über ei­ni­ge Re­geln die­ser Kunst auf­zu­klä­ren. Um dies im Flu­ge zu tun, lieh er sich auf acht Tage eine leicht­fass­li­che Ge­ne­ral­bass­leh­re. Das Stu­di­um trug wohl nicht so schnel­le Früch­te wie er ge­hofft, aber die Schwie­rig­kei­ten reiz­ten sei­nen leb­haf­ten und ener­gi­schen Geist. »Ich be­schloss Mu­si­ker zu wer­den«, er­zählt er.

So hat­ten sich sei­nes In­nern in frü­her Ju­gend zwei mäch­ti­ge Ge­wal­ten un­se­res mo­der­nen Da­seins be­mäch­tigt, die all­ge­mei­ne Geis­tes­bil­dung und die Mu­sik. Es sieg­te zu­nächst die letz­te­re, aber in der Form, die jene eben­falls ein­schließt, in der Dar­stel­lung ei­ner poe­ti­schen Idee, wie sie zu­erst völ­lig Beetho­vens Sym­pho­nie zum Aus­druck ge­bracht hat­te. Hö­ren wir also, wie die­se et­was ei­gen­mäch­tig wol­len­de Art den stür­mi­schen jun­gen Geist auf die ei­gent­li­che Bahn sei­ner Ent­wick­lung ge­bracht hat.

Der­wei­len war sein »großes Trau­er­spiel« von der Fa­mi­lie ent­deckt wor­den. Sie ge­riet in große Be­trüb­nis, weil da­mit die Ver­nach­läs­si­gung der Schul­stu­di­en ans Licht kam. Dass er sich be­reits zur Mu­sik in­ner­lich be­ru­fen fühl­te, ver­schwieg er un­ter sol­chen Um­stan­den frei­lich, blieb aber heim­lich den Kom­po­si­ti­ons­ver­su­chen treu. Be­zeich­nen­der­wei­se ließ ihn da­bei nie­mals der dich­te­ri­sche Nach­ah­mungs­trieb los, ord­ne­te sich je­doch dem mu­si­ka­li­schen un­ter, ja ward nur zur Be­frie­di­gung des letz­te­ren her­bei­ge­zo­gen, so sehr be­herrsch­te ihn noch das Be­son­de­re der Mu­sik­kom­po­si­ti­on. Beetho­vens Pas­to­ral­sym­pho­nie zum Bei­spiel be­stimm­te ihn ein­mal zu ei­nem Schä­fer­spie­le, das in sei­ner dra­ma­ti­schen An­la­ge wie­der durch Goe­thes Sing­spiel »Die Lau­ne des Ver­lieb­ten« an­ge­regt war, und er schrieb da­bei Mu­sik und Ver­se zu­gleich, so­dass die Hand­lung und die Si­tua­tio­nen ganz aus dem Mu­sik- und Ver­se­ma­chen her­vor­gin­gen. Eben­so aber reiz­ten ihn die vor­han­de­nen For­men der Mu­sik zur Nach­ah­mung, es ent­stan­den da­mals auch eine So­na­te, ein Streich­quar­tett und eine Arie.

Die­se Wer­ke mö­gen wohl der Form­bil­dung nach ohne Ta­del, wer­den aber eben­so ohne ei­gen­ar­ti­gen Ge­halt ge­we­sen sein. Sein Geist war noch in an­de­ren Din­gen um­fan­gen als in dem wirk­li­chen Poe­sie­we­sen der Mu­sik. Gleich­wohl glaub­te er sich un­ter dem Schut­ze sol­cher Leis­tun­gen auch bei der Fa­mi­lie als Mu­si­ker mel­den zu kön­nen. Doch nahm die­se sol­che Kom­po­si­ti­ons­ver­su­che umso mehr nur als eine flüch­ti­ge Lei­den­schaft wie an­de­re, als er ja nicht ein­mal ein In­stru­ment in ge­nü­gen­der Wei­se spiel­te, um sich auch als prak­ti­schen Mu­si­ker si­cher und fest zu be­tä­ti­gen. Dazu trat jetzt eine selt­sa­me Gä­rung und Ver­wir­rung in den jun­gen Sinn, der schon so man­cher­lei Be­deu­ten­des und fast al­les zu glei­cher Zeit in sich auf­ge­nom­men hat­te. Die da­mals herr­schen­den Ro­man­ti­ker, be­son­ders der mys­ti­sche Th. A. Hofs­mann, der selbst Dich­ter und Mu­si­ker zu­gleich war und ne­ben den schöns­ten poe­ti­schen Aus­le­gun­gen der Wer­ke Glucks, Mo­zarts, Beetho­vens die aus­schwei­fends­ten Fan­tasi­en über Mu­sik ge­schrie­ben hat, wirr­ten ihm die poe­ti­schen Ide­en und die mu­si­ka­li­schen Aus­drucks­mit­tel in der tolls­ten Wei­se durch­ein­an­der. Es war für den kaum sech­zehn­jäh­ri­gen Jüng­ling Ge­fahr um den ge­sun­den Ver­stand zu kom­men. »Am Tage, im Halb­schla­fe, hat­te ich Vi­sio­nen, in de­nen mir Grund­ton, Terz und Quin­te leib­haf­tig er­schie­nen und mir ihre wich­ti­ge Be­deu­tung of­fen­bar­ten; was ich dar­über auf­schrieb, starr­te von Un­sinn«, sagt er selbst.

Da war es denn hohe Zeit, dass Set­zung der gä­ren­den Ele­men­te und Klä­rung ein­trat. In der Tat wur­de ihm jetzt die­se mu­si­ka­li­sche Spra­che, de­ren Halb­ver­ständ­nis ihn zu sol­chen Ge­sich­ten und Fan­tasi­en brach­te, auf ih­ren wah­ren Be­stand, auf ihre ge­ge­be­nen Ge­set­ze und Re­geln zu­rück­ge­führt. Ein tüch­ti­ger Mu­si­ker, der spä­te­re Al­ten­bur­ger Or­ga­nist Mül­ler, ließ ihm die selt­sa­men Ge­stal­ten und Ge­wal­ten sei­ner über­reiz­ten Ein­bil­dung zu ein­fa­chen mu­si­ka­li­schen In­ter­val­len und Ak­kor­den ver­schwe­ben und brach­te so eine fes­te Grund­la­ge der Er­kennt­nis auch in die­se mu­si­ka­li­schen Be­geis­te­run­gen und Fan­tasi­en. Doch war der Un­ter­richt noch im Prak­ti­schen er­folg­los. Der jun­ge Brau­se­kopf und Schwär­mer blieb in die­sem Stu­di­um un­or­dent­lich und nach­läs­sig. Sei­ne geis­ti­ge An­schau­ung und Er­re­gung ging schon zu weit, um sich leicht auf das ru­hi­ge Er­ler­nen ei­ner tro­ckenen Tech­nik zu­rück­ban­nen zu las­sen, und war doch noch nicht ei­gen­ar­tig mäch­tig ge­nug, um zu sol­cher not­wen­di­gen An­eig­nung der Mit­tel auch in der Kunst sich selbst zu­sam­men­zu­fas­sen.

Eine der großen Ou­ver­tü­ren für Or­che­s­ter, die er, statt erst die Mu­sik als selbst­stän­di­ge Spra­che zu er­ler­nen, da­mals zu schrei­ben vor­zog, nennt er selbst den »Cul­mi­na­ti­ons­punkt sei­ner Un­sin­nig­kei­ten«. Und doch war et­was in die­ser Kom­po­si­ti­on in B­dur, was bei ih­rer Auf­füh­rung im Leip­zi­ger Ge­wand­hau­se ei­nem aus­ge­bil­de­ten Mu­si­ker wie dem spä­te­ren Ber­li­ner Ober­hof­ka­pell­meis­ter Hein­rich Dorn, sei­nem da­ma­li­gen Freun­de, Ach­tung ab­nö­tig­te: es war dies das­je­ni­ge, was Wa­gner von sich und sei­ner geis­ti­gen Bil­dung her auch in der Mu­sik such­te und gab, die poe­ti­sche Idee, die ei­ner Kom­po­si­ti­on den si­che­ren Wurf ei­nes in­ner­lich und or­ga­nisch Ge­stal­te­ten gibt. So konn­te er den jun­gen Au­tor, des­sen Werk al­ler­dings von Sei­ten des Pub­li­kums statt güns­ti­ger Auf­nah­me Un­wil­len und Hei­ter­keit ge­fun­den hat­te, auf­rich­tig mit der Zu­kunft trös­ten.

Zu­nächst ver­setz­te auch ihn die her­ein­bre­chen­de fran­zö­si­sche Ju­li­re­vo­lu­ti­on von 1830 in die größ­te Er­re­gung und er woll­te so­gar eine po­li­ti­sche Ou­ver­tü­re schrei­ben. Eben­so lenk­ten die fan­tas­ti­schen Aus­schwei­fun­gen der Uni­ver­si­tät, die er der­wei­len be­schrit­ten hat­te, um sich durch das Stu­di­um all­ge­mein geis­ti­ger Fä­cher all­sei­tig für den Be­ruf als Mu­si­ker aus­zu­bil­den, sei­nen Sinn noch eine Wei­le von dem Erns­te des­sel­ben ab. Dann aber ließ ihn zu sei­nem und der Kunst Hei­le die Vor­se­hung einen Mann fin­den, der sei­nem nach sol­chem Stur­me umso hef­ti­ger er­wa­chen­den Dran­ge nach Ord­nung und Re­gel in sei­nem Mu­sik­stu­di­um eben­so ernst wie freund­lich ent­ge­gen­kam: Theo­dor Wein­lig, seit 1823 Can­tor der Leip­zi­ger Tho­mas­schu­le, also im Geist und Kön­nen des großen Se­bas­ti­an Bach auf­ge­wach­sen. Die­ser be­saß die Ei­gen­schaft des gu­ten Leh­rers, gleich­sam spie­lend in die Ge­heim­nis­se sei­ner Sa­che ein­zu­füh­ren. In we­ni­ger als ei­nem Jah­re wuss­te der jun­ge Stu­dio­sus die schwie­rigs­ten Auf­ga­ben des Kon­tra­punk­tes mit Si­cher­heit und Leich­tig­keit zu lö­sen und ward als zur wirk­li­chen Selbst­stän­dig­keit in sei­ner Kunst er­zo­gen von sei­nem Leh­rer ent­las­sen. »Frau Char­lot­te Wein­lig, der Wit­we sei­nes un­ver­ge­ss­li­chen Leh­rers«, lau­tet denn auch die Wid­mung sei­nes »Lie­bes­ma­les der Apos­tel«, der ein­zi­gen ora­to­ri­en­mä­ßi­gen Ar­beit, die Wa­gner ge­schaf­fen hat. Aus je­ner Zeit rüh­ren auch eine So­na­te und eine Po­lo­nai­se her, die fern je­dem Schwulst ein­fach na­tür­li­chen mu­si­ka­li­schen Satz ha­ben. Mehr aber gilt es uns, dass Wa­gner da­mals auch Mo­zart in­nig er­ken­nen und lie­ben lern­te, es war dies die Bahn, auf wel­cher er spä­ter über Beetho­ven hin­aus den mäch­ti­gen Leip­zi­ger Can­tor fin­den soll­te, der durch sei­ne Kunst die Tie­fen un­se­res wah­ren Le­bens eben­so für im­mer er­schlos­sen wie ge­hei­ligt hat.

Zu­nächst war es jetzt Beetho­ven, des­sen Kunst sich ihm auf der si­che­ren Grund­la­ge ei­ge­nen Kön­nens auch si­cher er­schloss und der ihn dann völ­lig zum Kom­po­nis­ten mach­te. »Ich zweifle, dass es zu ir­gend­wel­cher Zeit einen jun­gen Ton­set­zer ge­ge­ben hat, der mit Beetho­vens Wer­ken ver­trau­ter ge­we­sen wäre, als der da­mals acht­zehn­jäh­ri­ge Wa­gner«, sagt H. Dorn von je­ner Zeit. Und er selbst er­zählt in sei­nem »Deut­schen Mu­si­ker in Pa­ris«: »Ich kann­te kei­ne Lust mehr, als mich so ganz in die Tie­fe die­ses Ge­ni­us zu ver­sen­ken, bis ich mir ein­bil­de­te, ein Teil des­sel­ben ge­wor­den zu sein.« Er schrieb sich des Meis­ters Ou­ver­tü­ren ab und eben­so die Neun­te Sym­pho­nie, die ihn eben­so in to­ben­des Schluch­zen wie in höchs­te Schwär­me­rei ver­setz­te. Eben­so er­kann­te er jetzt völ­lig Mo­zart, zu­mal die Ju­pi­ter­sym­pho­nie. »Er hat den va­ter­län­di­schen Geist mit sei­ner Rein­heit des Ge­fühls und Keusch­heit der Ein­ge­bung als das hei­li­ge Erb­teil be­trach­tet, mit dem der Deut­sche, wo er auch sei und in wel­cher Spra­che er auch rede, ge­wiss ist, die an­ge­stamm­te Grö­ße und Ho­heit zu be­wah­ren«, ur­teilt er we­nig Jah­re spä­ter in Pa­ris über Mo­zart. »Klar­heit und Kraft war mein Be­stre­ben«, sagt er von die­ser Ju­gen­de­po­che, und eine Ou­ver­tü­re und eine Sym­pho­nie be­kun­de­ten bald, dass er die Vor­bil­der wirk­lich er­fasst hat­te. Zwan­zig Jah­re ei­ge­ner Frucht­bar­keit in die­ser ho­hen Schu­le der Kunst und er soll­te auch de­ren ei­ge­nes letz­tes Vor­bild, den großen Se­bas­ti­an Bach, in­nig er­ken­nen ler­nen und auf die­sem tiefs­ten Grun­de der Mu­sik das er­ha­be­ne Ge­bäu­de ei­ner deut­schen Kunst er­rich­ten, die un­se­ren Geist in all sei­nen Fä­hig­kei­ten und Idea­len um­fasst und uns end­lich auch ein voll­stän­di­ges Na­tio­naldra­ma be­grün­det hat.

Die Schu­lung war vor­über: jetzt ge­sch­ah, mit nichts be­waff­net als mit sei­nem Wol­len und Kön­nen, küh­nen und si­che­ren Schwun­ges der Sprung ins Le­ben. Wol­len und Kön­nen soll­ten sich an sei­nen Kämp­fen und Lei­den eben­so er­pro­ben wie stäh­len. Mit den ers­ten dau­ern­den Erobe­run­gen der­sel­ben fin­den wir ihn wie­der.

2. Sturm und Drang.

(1832–1841)

»Der Gott, der mir im Bu­sen wohnt.
Er kann nach au­ßen nichts be­we­gen!«

Goethe.

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Man weiß aus Beetho­vens Le­ben, was da­mals Wien für die Mu­sik be­deu­te­te. Im Som­mer 1832 mach­te sich Wa­gner zum Be­su­che dort­hin auf, fand sich aber stark ent­täuscht: »Zam­pa«1 und Strauß’­sche Pot­pour­ris dar­aus um­tön­ten ihn al­ler Or­ten. Er soll­te die Kai­ser­stadt erst spät und als ruhm­ge­krön­ter Meis­ter wie­der­se­hen. Die Vo­r­ort­schaft in Mu­sik und Oper war an Pa­ris über­ge­gan­gen. In Prag da­ge­gen führ­te das Kon­ser­va­to­ri­um sei­ne Sym­pho­nie auf. Doch konn­te er auch hier er­fah­ren, wie we­nig das Reich sei­nes Beetho­ven be­reits be­gon­nen hat­te.

In Leip­zig brach­te man dann im Win­ter eben­falls die Sym­pho­nie. »Es ist eine ke­cke dreis­te Ener­gie der Ge­dan­ken, ein stür­mi­scher küh­ner Schritt und doch eine so jung­fräu­li­che Nai­ve­tät in der Emp­fäng­nis der Grund­mo­ti­ve, dass ich große Hoff­nun­gen auf den Ver­fas­ser set­ze«, schrieb H. Lau­be, den Wa­gner kurz zu­vor ken­nen ge­lernt, und wir er­se­hen auch hier die Sturm­be­we­gung der Zeit, die von da an für uns nicht mehr ins Ste­hen kam und uns heu­te die Ein­heit der Na­ti­on und der Kunst ge­schaf­fen hat. Bur­schen­schaf­ter, St. Si­mo­nist, Welt­ver­bes­se­rer, dies war nach des jun­gen Künst­lers Sinn. Das »Jun­ge Eu­ro­pa«, in dem Lau­be die frei­en Ge­dan­ken des neu­en Jahr­hun­derts, Lie­bes­rausch und jede Art Le­bens­ge­nuss pre­dig­te, spuk­te ihm in al­len Glie­dern, und Hei­nes Schrif­ten wie vor al­lem der wol­lüs­tig wei­che Ar­ding­hel­lo von Hein­se er­höh­ten die­ses er­reg­te Sin­nen­da­sein.

Einst­wei­len war je­doch die bes­se­re Na­tur noch sieg­reich in ihm, Beetho­ven und We­ber blie­ben sei­ne gu­ten Ge­ni­en. Er kom­po­nier­te 1833 nach ih­rem Vor­bil­de eine Oper »Die Feen«, und der Text zeigt die durch Ernst ge­weih­te Grund­rich­tung sei­nes We­sens. Eine Fee liebt einen Sterb­li­chen, kann aber selbst die Men­sch­lich­keit nur un­ter der Be­din­gung ge­win­nen, dass der Ge­lieb­te sie, möge sie sich auch noch so böse und grau­sam zei­gen, nicht un­gläu­big ver­sto­ße. Sie ver­wan­delt sich nun in einen Stein und wird durch des Ge­lieb­ten seh­nen­den Ge­sang ent­zau­bert. Die­ser selbst aber wird, gleich je­nem un­be­ding­ten Glau­ben an den ge­lieb­ten Ge­gen­stand ein be­deut­sa­mer Zug der idea­len Auf­fas­sung Wa­gners vom We­sen der Lie­be, dann eben­falls in die un­s­terb­li­che Won­ne der Feen­welt aus­ge­nom­men. Zur Auf­füh­rung ist das Werk nie ge­kom­men. Bel­li­ni, Adam und Ge­nos­sen be­herrsch­ten die Büh­ne auch in Deutsch­land. Nun kam zu die­ser Ent­täu­schung der un­ge­mei­ne Er­folg, den die für Wa­gner so hoch­be­deut­sam ge­wor­de­ne große Schrö­der-De­vri­ent so­gar und ge­ra­de in die­sen leich­ten Opern, vor al­lein als Ro­meo hat­te. Dann das pri­ckeln­de Ele­ment die­ser Fran­zo­sen und Ita­lie­ner, ge­gen wel­che die da­mals be­gin­nen­de deut­sche Ka­pell­meis­ter­mu­sik quä­lend lang­wei­lig er­schi­en, er selbst, der Ein­und­zwan­zig­jäh­ri­ge zu je­der Art Tat und Ge­nuss be­reit, – warum soll­te nicht er, der sich so sehr nach Er­folg sehn­te, eben­falls die­se Bahn be­schrei­ten? Beetho­ven er­schi­en ihm als der Schluss­stein ei­ner großen Epo­che, jetzt muss­te et­was Neu­es, an­de­res kom­men. Die Frucht die­ses Sie­dens und Über­ko­chens war »Das Lie­bes­ver­bot oder die No­vi­ze von Pa­ler­mo«, die ers­te Oper von ihm, die zur Auf­füh­rung ge­lang­te.

Der Stoff war aus Sha­ke­s­pea­res »Maß für Maß«, des­sen Ernst je­doch so recht im Sin­ne des »Jun­gen Eu­ro­pa« um­ge­mo­delt wur­de, so­dass die freie Sinn­lich­keit den Sieg be­hielt. Isa­bel­la, eine No­vi­ze, fleht bei dem pu­ri­ta­ni­schen Statt­hal­ter für das Le­ben ih­res Bru­ders, der ein Lie­bes­ver­bre­chen be­gan­gen. Die­ser macht die Be­gna­di­gung von ih­rer Lie­bes­ge­währ ab­hän­gig. Ein jun­ger Mann, der sie liebt, er­regt wie Ma­sa­ni­el­lo in der »Stum­men« im Car­ne­val eine Re­vo­lu­ti­on und weiß den Statt­hal­ter zu ent­lar­ven, wor­auf er Isa­bel­las Hand er­hält. Den Geist die­ser wil­den Car­ne­vals­freu­de be­zeich­net der Vers des ein­zi­gen Chor­lie­des, das von die­ser Oper ge­druckt ist:


»Wer sich nicht freut bei uns­rer Lust,
Dem stoßt das Mes­ser in die Brust!«

So wa­ren hier zwei grund­ver­schie­de­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­