Gedämpftes Klopfen weckte Rebecca aus einem unruhigen Schlummer. Das musste Arwin sein. Sofort war sie hellwach. Lil war bereits auf und öffnete die Tür. Schweigend folgten sie dem Wirt, der sich für sein Volumen erstaunlich leise bewegte. Er führte sie die Treppe hinab, durch die Schankstube nach hinten in die Küche und von dort eine Steintreppe hinunter in den Keller. Vor einem der Weinregale, an der hintersten Wand, blieb er stehen und griff zielsicher zwischen die Flaschen. Knirschend setzte sich das Regal in Bewegung und legte eine sechseinhalb Fuß hohe Öffnung frei. Kälte strömte aus dem Durchgang, zupfte sanft an den Spinnweben und brachte den Geruch modriger Erde mit sich. Rebecca rümpfte die Nase. Arwin zog zwei Fackeln aus einer Wandhalterung und hielt die pechgetränkten Enden an die Flamme der Kerze. Sofort vergrößerte sich der Lichtschein und drängte die Dunkelheit ein gutes Stück zurück. Flackernde Schatten tanzten über die Felswände und eine schmale Steintreppe wurde sichtbar. Arwin reichte Lil eine der Fackeln, dann verschwand er im Durchgang.
»Sei vorsichtig, Mädel«, hallte es aus der Öffnung. »Die Stufen sind tückisch und wurden schon manchem zum Verhängnis.«
Wunderbar. Eine Hand an der rauen Felswand liegend, stieg Rebecca Stufe um Stufe hinab. Bereits nach wenigen Fuß fühlte sie die Finger nicht mehr. Das feuchte Gestein strahlte eine Kälte aus, wie der Schnee im Winter, doch sie wagte es nicht, die Hand fortzunehmen, aus Angst, den Halt zu verlieren. Die Gefahr, hier auszurutschen und sich das Genick zu brechen, schwebte wie ein drohendes Unheil über jedem ihrer Tritte. Endlich nahm die Treppe ein Ende und Rebecca stand in einem Gewölbe. Sie zog den Umhang enger und schob die schmerzenden Finger unter die Achseln. Von hier gingen zwei Tunnel ab. Arwin führte sie in den kleineren der beiden. Im Gänsemarsch wanderten sie schweigend durch die feuchte Dunkelheit. Schon bald verlor sie jedwedes Zeitgefühl. Dumpf hallten die Schritte vom Gestein und der Gang schien enger und enger zu werden, während die Luft zusehends dünner wurde und ihre Lungen nicht mehr ausreichend versorgte. Das hier war eine Gruft und sie lebendig darin begraben.
Plötzlich endete der Tunnel. Weder eine Abzweigung noch ein Ausgang lag vor ihnen. Nur massives Gestein. O nein. Arwin hatte sich doch nicht verlaufen? Allerdings machte der Wirt nicht den Eindruck, als wäre er beunruhigt. Seelenruhig bückte er sich nach einem größeren Stein, hob ihn auf und klopfte rhythmisch gegen die Wand. Ein Zittern ging durch den Felsen und ließ die Erde unter Rebeccas Füßen beben. Ein unangenehmes Knirschen folgte. Der Fels rumpelte unendlich langsam zur Seite und gab den Blick in eine gewaltige Tropfsteinhöhle frei. Nach der Enge des Tunnels war die weitläufige Größe der Höhle befreiend. Überall wuchsen abstruse Steingebilde von der Decke, während andere sich vom Boden in die Höhe reckten. Manche spitzer als die Eiszapfen, die im Winter von den Dachkanten ihres Heimes hingen. Andere wiederum trafen sich in der Mitte und bildeten eine bizarre Säule. Von überallher erklang leises Tröpfeln. Durch ein Loch in der Decke fiel ein Lichtstreifen und erhellte die Höhle. In der Mitte leuchtete ein See in tiefem Türkis und dort, wo die morgendlich einfallenden Sonnenstrahlen die Wasseroberfläche trafen, glitzerte er geheimnisvoll. Am hinteren Höhlenende verjüngte sich der See zu einem Fluss, der in den einzig anderen Tunnel mündete.
Ein Zwerg, dessen graumelierter Bart ihm bis zu den Knien reichte, schob sich ins Blickfeld.
»Molik, wie geht es dir?«, rief Lil erfreut.
»Bestens«, kam die knappe Antwort.
»Also, ihr zwei Hübschen, ich muss zurück. Ich wünsche euch viel Glück.« Arwin zog zuerst Lil, dann Rebecca in eine Umarmung. Dem Zwerg winkte er kurz zu, bevor er in dem Tunnel verschwand, aus dem sie zuvorgekommen waren.
Molik schloss die Öffnung, dann führte er sie zum See, an dessen Ufer ein kleines Boot lag. Während Lil einstieg, starrte Rebecca das hölzerne Gefährt an. Was sollte das darstellen, eine Nussschale?
»Komm schon«, forderte Lil sie auf.
Das konnte ihre Tante nicht ernst meinen. Diesem schwankenden Etwas sollte sie vertrauen? Lil klopfte ungeduldig auf den Platz neben sich. Widerwillig kletterte Rebecca zu ihr und ließ sich auf dem schmalen Brett nieder. Molik stieß das Boot ab und hüpfte mit einem Satz hinein. Das brachte es besorgniserregend zum Schwanken. Rebecca krallte die Finger um das Holz der Umrandung. Allmählich wurden die Schaukelbewegungen sanfter und Rebecca entspannte sich ein wenig. Mit gleichmäßigen Ruderschlägen steuerte Molik auf den Tunnel zu. Sie hatten bereits etliche Fuß hinter sich gelassen, als die Decke immer niedriger wurde. Kurz bevor sie sich die Köpfe stoßen konnten, glitt das Boot hinaus ins Freie. Wenig später pflügte die Spitze des Bugs knirschend über Kies. Molik sprang an Land und zog sie noch ein gutes Stück weiter aufs Ufer, dann nahm er ein Horn vom Gürtel und blies zweimal hinein. Der Ton prallte zwischen dem Felsgestein hin und her, kletterte stetig höher, erreichte schließlich die Bergspitze, rollte darüber hinweg und verhallte.
»Was jetzt?« Fragend blickte Rebecca zu Lil.
»Jetzt warten wir auf unseren weiteren Transport. Den Molik mit dem Horn gerufen hat. Denn zu Fuß würde es zu lange dauern.«
»Und woher wollen die wissen, wie viele wir sind?«
»Auch das hat Molik ihnen mit dem Horn verraten. Pro Ton eine Person, die transportiert werden soll.«
Rebeccas Blick glitt übers Gestein. Plötzlich traten zwei Gestalten hinter einem Felsen hervor. Sie zuckte zusammen. Heiliger Drache! Bergtrolle. Die standen im Ruf, gefährlich zu sein, und genau so wirkten sie auch. Zweieinhalb Mannslängen voll bepackt mit gewaltigen Muskelbergen. Die Haut in Grautönen und zerklüftet wie Gestein. Gekleidet waren sie in grün-braune Tuniken, die eine Handbreit überm Knie endeten. Ein breiter Strick schlang sich um ihre Hüften, an dem jeweils eine riesige Holzkeule baumelte. Rebeccas Handflächen wurden feucht, während ihr Puls sich mit jedem Schritt, den die Bergtrolle näherkamen, beschleunigte. Vielleicht sollten sie besser die Flucht ergreifen. Sie warf einen Blick über die Schulter zum Boot. Es war weg. Rebecca wirbelte herum und entdeckte es schon fast an der Öffnung zum Tunnel. Das durfte nicht wahr sein. Molik ließ sie einfach im Stich.
»Hallo, Freunde, schön, euch zu sehen«, rief Lil in diesem Moment.
»Gleichfalls«, kam die Antwort mit einer Stimme, die an aufeinander reibende Steine erinnerte.
Das sollte doch nicht etwa ihr weiterer Transport sein? Anscheinend schon. Denn soeben gingen die beiden Bergtrolle auf die Knie, während der Sprecher mit dem Daumen nach hinten auf seinen Rücken zeigte und: »Aufsteigen, bitte«, sagte.
Das war ein Scherz. Sie sollte da hinaufklettern? Lil machte es sich bereits in dem Sitz, den die Bergtrolle auf dem Rücken trugen, bequem.
»Mach schon, wir haben nicht ewig Zeit.« Lil unterstrich ihre Worte mit einem auffordernden Wedeln der Hand.
Zögernd nahm Rebecca auf dem Polster Platz und legte den Gurt um. Schon erhob sich der Bergtroll und setzte sich in Bewegung. In den folgenden Stunden wurde Rebecca ordentlich durchgerüttelt. Als der Tag sich seinem Ende zuneigte, hielten die Bergtrolle an und ließen sie absteigen. Einer der beiden entlockte einer Pfeife eine knappe Tonfolge. Die Felswand vor ihnen erzitterte. Es knackte und knirschte. Dann erschien ein senkrechter Riss, der immer größer wurde, bis ein Spalt entstand, in dem ein Zwerg mit karottenroten Haaren auftauchte. Er nickte ihnen knapp zu, drehte sich um und verschwand wieder. Mit einer Kopfbewegung forderte Lil Rebecca auf, dem Zwerg zu folgen.
Auf der anderen Seite breitete sich ein riesiger, kreisrunder Talkessel aus. Saftiges Grün bedeckte den Boden. Sträucher und Bäume wuchsen an mehreren Stellen und in der Ferne glitzerte das klare Blau eines Bergbaches. Überall standen Zelte und dazwischen brannten Lagerfeuer. Kinder rannten umher, spielten Fangen oder schlugen epische Schlachten mit Holzstöcken. Hinter Rebecca schloss sich die Spalte und versperrte den einzigen Ausgang, den es gab. Der Zwerg führte sie in die Mitte des Zeltplatzes. Mit der flachen Hand schlug er gegen die Plane eines runden Zeltes und rief: »Periklas, Lil ist hier.«
Die Plane schwang zur Seite und ein gertenschlanker Lichtelf kam zum Vorschein. Sein flachsblondes Haar leuchtete golden in der untergehenden Sonne.
»Lil, wie schön. Ich war in Sorge, du könntest dem Feind in die Hände gefallen sein.«
Feind? Heiliges Drachenei, das hier war ein Rebellenlager. Und Tante Lil war … eine Rebellin. Kein Wunder, dass Vater sich mit ihr gestritten hatte. Er hatte sich stets bemüht, den Konflikt zwischen Dunkelelfen und Lichtelfen zu ignorieren. Er war der Meinung, sich einzumischen brachte nur Leid und war völlig sinnlos.
»Periklas.« Lil ergriff die dargebotene Hand. »Nein. Aber Veit.«
»Sie haben Veit?«
Das klang ehrlich entsetzt, fast, als berührte Vaters Schicksal den Lichtelf persönlich. Aber das war unmöglich. Er kannte Vater überhaupt nicht.
Lil nickte. »Und nicht irgendwer, sondern die rechte Hand des Herrschers höchstpersönlich hat ihn.«
»Lord Hartron, bist du sicher?«
»Ja, ich sah ihn vom Fenster aus.«
»Drachendreck!«
»Wir müssen ihn so schnell wie möglich befreien.«
»Du hast Glück. Morgen früh bricht eine Gruppe Männer auf. König Tumbik und Janusch, das Oberhaupt der Riesen, befinden sich ebenfalls in Lord Hartrons Fängen.«
»Was wohl bedeutet, mein Vater ist nicht das primäre Ziel der Männer, nicht wahr?«
Periklas’ türkisfarbene Augen hefteten sich auf Rebecca.
»Entschuldige mein Versäumnis«, sagte Lil. »Darf ich dir meine Nichte Rebecca vorstellen? Rebecca, das ist Periklas, Anführer der Rebellen.«
»Milady«, grüßte Periklas mit einer Verbeugung. »Habt keine Sorge, soeben hat sich das primäre Ziel der Männer erweitert.«
Rebecca runzelte die Stirn. Was sollte die Anrede und die Ehrerbietung? Sie war nicht von Adel. »Ich glaube, du verwechselst mich mit jemandem.«
Periklas’ Blick schnellte zu Lil. »Sie hat keine Ahnung?«
Lil schüttelte den Kopf. »Veit war dagegen. Rebecca wäre nicht mal hier, hätte Lord Hartron ihn nicht verschleppt.«
»Wovon, bei allen dreizehn Höllenpforten, sprecht ihr?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Kind.«
»Verdammt, Tante Lil! Ich denke doch, dass ich ein Recht darauf habe, zu erfahren, was hier gespielt wird.«
Lils Schultern sackten nach unten. »Ich habe deinem Vater mein Wort gegeben. Obwohl ich ganz deiner Meinung bin. Dennoch …« Lil hob resigniert die Arme.
»Nun, dann werde ich es Euch verraten, Milady. Ich gab Eurem Vater niemals ein solches Versprechen. Aber nicht hier. Lasst uns ins Zelt gehen. Bei einem Glas Wein spricht es sich besser.«
Periklas hielt ihnen die Plane zur Seite, damit sie eintreten konnten, und Rebecca folgte Lil ins Zelt. Was immer sie im Inneren erwartet hatte, auf keinen Fall einen solchen Luxus und Komfort. Mehrere dicke Teppiche bedeckten den Boden. In der Mitte des Zeltes prunkte ein schwerer Eichentisch, umgeben von sechs gepolsterten Stühlen. Eine passende Anrichte, versehen mit aufwendigen Verzierungen, befand sich auf der rechten Seite. Gleich daneben entdeckte Rebecca ein kleines Weinregal und in der Ecke stand ein Sekretär, auf dem kreuz und quer Karten und Schriftrollen sowie erlesene Bücher lagen. Die gegenüberliegende Ecke wurde durch mehrere Bahnen Stoff abgeteilt, vermutlich handelte es sich um Periklas’ Schlafstätte. Vier kupferne Kohlebecken verströmten eine behagliche Wärme.
»Nehmt Platz.« Periklas trat zur Anrichte, nahm drei Gläser, füllte Wein ein und reichte jedem eins, dann setzte er sich Rebecca gegenüber. »Nun denn, erlaubt mir zuerst eine Frage. Was wisst Ihr über die Herrscher Tarakonas, Milady?«
»Ich dachte, du wolltest mir verraten, was mein Vater mir nicht sagen wollte. Und keinen Geschichtsunterricht abhalten.«
»Milady, bitte. Es vermittelt mir einen Eindruck davon, wie weit ich ausholen muss.«
Rebecca seufzte. »Also gut. Normalerweise wird Tarakona von zwei Herrschern regiert. Jeweils einen aus dem Dunkelelfenhaus Umbra und einen aus dem Lichtelfenhaus Lumen.«
»Genau. Mit fünf Jahren erhalten die Thronanwärter ein Drachenei. Sofern der Anwärter würdig ist, schlüpft der Drache. Bei Antritt ihrer Amtsperiode verschmelzen beide Drachen zu einem einzigen Drachen mit zwei Köpfen.«
»Ja, das weiß ich. Diese Verbindung stellt das Gleichgewicht zwischen Licht und Finsternis sicher.«
Periklas nickte. »Dann wisst Ihr sicher auch, dass immer nur ein Nachkomme in den Herrscherhäusern zur Welt gebracht wird?«
»Ja. Das heißt, normalerweise. Immerhin hatte der letzte Dunkelelfenherrscher Taladir einen Zwillingsbruder.«
»Stimmt. Es wurde als ein böses Omen gedeutet, dass im Dunkelelfenhaus Umbra Zwillinge zur Welt kamen. Aber die Herrscher taten es als Aberglaube ab und benannten den Älteren der Zwillinge zum Anwärter. Alles lief gut und die Stimmen im Volk, die Unheil vorhersagten, verstummten allmählich. Bis zu jenem Tag, an dem Taladir seine zukünftige Braut vorstellte. Einen Menschen. Als sich wenig später auch die Lichtelfenherrscherin Iridis in einen Menschen verliebte, war das Volk endgültig entsetzt. Die zukünftigen Herrscher beider Häuser wären nicht mehr reinen Blutes, sondern Halbelfen. Doch das kümmerte weder Iridis noch Taladir. Sie schlugen sämtliche Warnungen in den Wind.« Periklas griff nach dem Glas und hob es an die Lippen, um einen Schluck zu trinken, dann stellte er es zurück. »Als sich im Lichtelfenhaus kein Erbe einstellen wollte, wurden die Gegenstimmen immer lauter. Taladirs Bruder Skandis kam das sehr gelegen. Er schürte die Empörung im Volk, und als die Drachenzeremonie von Taladirs Sohn fehlschlug, nutzte Skandis seine Chance zum Aufstand. Er tötete seinen Bruder und dessen Frau. Mit Sicherheit hätte er auch die Lichtelfenherrscherin und ihren Mann umgebracht, wäre ihnen nicht mithilfe der Drachen die Flucht gelungen.«
O Mann. Wollte der Lichtelf ihr eine Geschichtsauffrischung erteilen oder endlich mal mit der Sprache herausrücken? »Nun, ich glaube, das ist jedem ausreichend bekannt. Aber was hat das mit dem zu tun, was Vater mir verheimlicht?«
»Geduld, Milady, Geduld. Soweit der offizielle Teil. Was niemand wusste, der Mann der Lichtelfenherrscherin hatte eine ältere Schwester und zu ihr flohen die beiden. Ein Jahr nach ihrer Flucht bekamen sie eine Tochter. Kurz darauf traf die Lichtelfenherrscherin ihren Kommandanten. In seinem Gefolge befanden sich etliche, die Skandis wieder vom Thron stoßen wollten. Die Herrscherin übernahm die Führung und die Rebellengruppe wuchs. Vier Jahre sammelten sie ihre Kräfte, dann schlugen sie zu … und verloren. Iridis fiel in der Schlacht, ihr Mann jedoch überlebte. Er sollte das Kommando übernehmen und neue Kräfte sammeln, um erneut zu versuchen, Skandis zu entmachten. Doch er weigerte sich. Er wollte von all dem nichts mehr wissen und auf keinen Fall das Leben seiner Tochter riskieren, so verließ er die Rebellen und tauchte unter. Er nahm den Namen seiner Schwester an und nannte sich fortan Veit Silvam.«
Rebecca blinzelte, versuchte Luft in die Lunge zu pumpen, während Kälte durch die Adern kroch. Sie krallte sich an der Tischplatte fest. Die Welt drehte sich. Nichts ließ sich fokussieren, alles verschwamm. Das war nicht wahr. Das konnte nicht wahr sein. Das hieße ja, Vater wäre Vizeherrscher. Die zweitmächtigste Position Tarakonas. Nein. Er war ein einfacher Mann, der Ställe ausmistete, Gemüse anbaute, Zäune reparierte, Kälber auf die Welt brachte. Sie hatte sich bestimmt verhört.
»Rebecca.«
Nur allmählich schälte sich ihr Name dumpf aus dem Rauschen in den Ohren.
»Rebecca, Kind.«
Sie wandte den Kopf. Langsam manifestierte sich das Gesicht ihrer Tante. »Unmöglich«, flüsterte sie. »Tante Lil, sag Periklas, er irrt.«
Tante Lils Hände legten sich auf ihre Schultern und drehten sie ganz zu sich um. »Kleines, es ist wahr. Ich wollte damals nicht an den Hof und deshalb bat ich deinen Vater, meine Existenz geheim zu halten. Wer hätte ahnen können, dass es einmal von Nutzen sein würde. Niemand. Dein Vater schnitt sich das Haar ganz kurz und ließ sich einen Vollbart stehen. Aus Veit Lumenor, dem Vizeherrscher, wurde Veit Silvam, der Einsiedler. Ich fand seine Entscheidung gut, entgegen Periklas, der alles daransetzte, Veit umzustimmen. Doch so konntest du in Sicherheit aufwachsen, da nur eine Handvoll Personen von deiner Existenz wussten. Doch jetzt bist du erwachsen und es wird Zeit, dein Erbe anzutreten.«
Was? Nein! Unmöglich. Rebecca hatte doch überhaupt keine Ahnung von Politik, Strategien oder wie man etwas führte, außer einem Haushalt. »Ich … ich muss mit Vater reden.«
»Natürlich, Milady«, sagte Periklas sanft. »Doch bitte denkt darüber nach, Euren rechtmäßigen Platz einzunehmen. Euer Volk braucht Euch.« Periklas stand auf. »Ich werde Euch beide jetzt allein lassen. Ihr schlaft heute Nacht hier.« Er verbeugte sich, dann verließ er das Zelt.