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© Sina Blackwood - Geschichtenzauber Edition Februar 2021

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Umschlaggestaltung: Sina Blackwood

Layout: Sina Blackwood

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783753468785

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit heute lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Rettet Asgard!

Es ist einige Jahre her, dass Atlan und Tarronn die Urteile an Apophis, Loki und Sachmet vollstreckt haben, da erreicht sie ein neuer Hilferuf der Asen, der ziemlich mysteriös klingt. Wieder geht es um den Apfelbaum der Idun und um das Überleben des ganzen Volkes.

Ron, Mitglied der Stammbesetzung des Raumgleiters, nahm Haltung an, als er Horus das merkwürdige Hologramm überreichte, welches er soeben im Nachrichtenspeicher entdeckt hatte. „Absender unbekannt. Groben Schätzungen zufolge aber aus der Asgard-Region.“

Der Commander drehte den Würfel unschlüssig zwischen den Fingern, weitere Informationen werde man ihm erst entlocken, wenn man ihn öffnete. „Er fühlt sich merkwürdig an“, murmelte er mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Ron machte eine überraschte Handbewegung. Die Nachricht war auf die übliche neutrale Weise in den Behälter eingespeichert worden.

Da bat Horus auch schon: „Benachrichtige Imset und Sobek. Bitte sie, hierher zu kommen.“

Ron eilte davon. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, wenn Horus nicht telepathieren wollte. Kaum war er weg, codierte Horus den Behälter, schloss ihn in einem Energiefeld ein und wartete ungeduldig auf das Eintreffen seines Sohnes und seines Enkels. Von Ron gewarnt, näherten sich die beiden auch auf herkömmliche Weise, zu Fuß, statt sich zu teleportieren.

„Hast du nicht Urlaub?“, schmunzelte Imset, seinen Vater herzlich umarmend, dessen Gleiter erst vor wenigen Minuten auf Dafa gelandet war.

Auch Sobek tauschte mit seinem Großvater eine feste Umarmung, spürte aber sofort, dass Horus völlig aus dem inneren Gleichgewicht war.

„Ja, eigentlich hatte ich vor, mit Darina am Strand zu faulenzen oder mit den Drachen zu fliegen, aber irgendjemand scheint etwas dagegen zu haben. Wir bekamen eine seltsame Nachricht, die mir Übelkeit verursacht, obwohl ich sie noch nicht einmal geöffnet habe.“

„Was?“

„Wie?“

Die beiden schauten Horus sichtlich verwirrt an.

Er hob den Quader aus dem Energiefeld. „Folgt mir in den Meteoritenraum!“

Dort verwandelten sich Imset und Sobek sofort in Drakonat, um jede Energiesequenz aufspüren zu können, die man technisch nicht hatte entschlüsseln können. Horus schloss den Kreis um den geöffneten Quader, indem er jedem Drakonat eine Hand reichte. Rauschen, Kratzen, Knattern, Kreischen, hin und wieder etwas, das wie ein Wort klang. Die Bilder dazu glichen einem wabernden Nebel in Grau und Grün.

Beim fünften Versuch ließ Horus beide los, presste seine Hände fest an die Schläfen und murmelte: „Das ist Idun. Der Apfelbaum wird von etwas heimgesucht, das seine Früchte verändert.“

„Ich habe noch Caiphas verstanden“, fügte Sobek hinzu, Horus‘ Worte bestätigend.

Imset nickte. „Wenn ich nicht völlig daneben liege, dann hat Odin davon gegessen und terrorisiert jetzt den halben Planeten.“

„Ich habe ich also nicht geirrt“, murmelte Horus, mit einem Unterton, der trotz alle Besorgnis zufrieden lang. „Wann fliegen wir los?“

Imset schüttelte fassungslos den Kopf. „So spontan kenne ich dich doch gar nicht!“

Sobek legte Imset die Hand auf den Arm. „Er hat seine Gründe.“

„Aha, ein Großvater-Enkel-Geheimnis.“ Imset kniff ein Auge zu. „Dann will ich nicht weiter bohren und lieber die Frauen auf ein Abenteuer mit unbestimmtem Ausgang vorbereiten.“

„Ich glaube, das trifft den Nagel mitten auf den Kopf“, brummte Horus.

Welche Paare nach Asgard fliegen sollten, musste nicht diskutiert werden. Es betraf die anwesenden Herren mit ihren Partnerinnen. Leon, der Schlangenmagier, und Ariel, der zweite Heiler der Atlan, waren ebenfalls unabdingbar für ein gutes Gelingen und natürlich Month, der, als Kriegsgott und Befehlshaber einer Splitter-Vernichtungs-Aktion im Nordmeer, über einschlägige Erfahrungen verfügte.

„Wollt ihr nicht lieber meinen Vater mitnehmen?“, fragte Ariel ungläubig, als er den Auftrag erhielt.

„Nein“, schmunzelte Sobek, „Leon schwört auf deine Fähigkeiten und das allein genügt uns.“

„Ich fühle mich geehrt“, murmelte Ariel erfreut und strahlte über das ganze Gesicht, als Month zufrieden sagte: „Schön, dass du auch mit von der Partie bist.“

Solon und Talos, die ältesten atlanischen Magier, sollten die Verbindung mit König Osiris halten, um für den Notfall Zugriff auf einen Raumgleiter zu bekommen.

Im Augenblick stellte Horus nachdenklich fest, dass es in den Kabinen eng werden könnte. Schließlich telepathierte er mit Osiris und Jamal, um ein größeres Schiff mit mehr Bewaffnung zu erhalten.

„Es wird in einer Stunde Dafa erreichen“, versprach Osiris und fügte wie nebenbei hinzu: „In den freien Laderaum würde sogar Chima passen.“

„Danke für den Tipp!“, rief Horus, sich die Hände reibend.

Die drei Drakon hielten sich in der Nähe des Landeplatzes auf, um nötigenfalls Lasten zu heben oder andere Bitten entgegenzunehmen.

Sobek näherte sich Drakos, nachdem er sich mit den Magiern abgesprochen hatte. „Gestattest du uns, Chima mitzunehmen? Wir können schlagkräftige Hilfe gebrauchen, die gegen herkömmliche Waffen gefeit ist, ohne sich extra verwandeln zu müssen.“

„Weiß sie schon davon?“, stellte der riesige schwarze Drache die Gegenfragen.

„Nein, ich wollte erst deine Meinung hören.“

„Sehr gut.“ Drakos winkte Chima heran. „Du wirst morgen mit nach Asgard fliegen und jedem Befehl gehorchen! Es könnte um Leben und Tod gehen.“

Das junge Weibchen zuckte freudig erschreckt zusammen. „Ich schwöre, dass ich jedem Wink folgen werde!“ Dann senkte es den Kopf.

Drakos ahnte, was in ihr vorging. Er legte ihr seine Schwinge über den Rücken. „Wir werden uns alle gut um Borsti kümmern.“

„Danke“, flüsterte sie. „Ich bin bereit für den Kampf.“

Ja, Drakos hatte die Kralle genau in die Wunde gelegt. Borsti, ihr treues Kuschelschwein, brauchte vielleicht etwas Trost, wenn sie unterwegs war. Wie schwer es da erst den Gefährtinnen von Ariel und Month fallen musste, die Männer zu verabschieden!

Siri stupste Chima mit der Nase an. „Ich bin stolz auf dich! Sei sehr vorsichtig, wenn du einen Splitter direkt berühren musst. Er wird versuchen, dich zu manipulieren. Lass es nicht zu. Er hat dir nichts zu befehlen. Du bist eine Drakon.“

Chima nickte sehr ernst. „Ich werde mich von der Kraft der Quelle leiten lassen, wann immer ich Hilfe brauche. Denn ich bin nicht nur eine Drakon, ich bin auch eine Hüterin der Magie.“

„So wirst du alles schaffen, was du willst“, bekräftigte Drakos zufrieden. „Ich hoffe sehr, dass es für Odin nicht zu spät ist. Grüß ihn von uns, wenn er wieder der Alte ist.“

Chima schaute zum Bereich vor dem Landeplatz. Das ganze Volk war gekommen, um ihnen auf Wiedersehen zu sagen. Soeben materialisierten sich Isis und Osiris, die beide das junge Drachenweibchen zwischen den Hörnern kraulten und flüsterten: „Denke immer daran, du bist eine Drakon, eines der mächtigsten Wesen in unserer Galaxie.“

Sobek führte Chima durch die breite Ladeluke zu jenem Lager, das für den Flug ihr Aufenthaltsort sein werde. Die Passage dahin war eng, aber Chima quetschte sich problemlos hindurch. „Wirst du klarkommen?“

„Aber sicher. Mein Vater hat den Flug von der Erde hierher überlebt, da werde ich es wohl ein paar Tage aushalten können.“

„Wir werden dich ja auch alle besuchen kommen und Futter mitbringen“, versprach Sobek.

„Lieber nichts mitbringen! Dann kann es nämlich passieren, dass ich Häufchen machen muss“, grinste Chima.

Sobek lachte herzlich. „Na, damit werden wir schon fertig werden. Es sind doch genug Leute an Bord, die sich mit Magie auskennen.“

„Auch wieder wahr“, schmunzelte die Drakon.

Als Sobek gegangen war, blieb sie auf dem Fleck hocken, um sich auf die ungewohnte Situation einzustimmen. Es war schließlich das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich in einem völlig geschlossenen Raum befand. „Gefangen sein, ist doof“, murmelte sie nach wenigen Minuten und freute sich, dass es ja nur vorübergehend war.

Wir starten jetzt, hörte sie Sobeks telepathische Stimme und fühlte, wie der Gleiter abhob.

Fliegen, ohne selbst die Flügel zu bewegen, schoss es Chima durch den Kopf. Da klopfte es und Month kam herein. Er trug ein großes flaches Gerät in der Hand, das sich als Monitor entpuppte.

„Ich denke mir, du willst auch gern sehen, was draußen geschieht und durch welche Regionen wir fliegen“, erklärte er. „Wohin soll ich ihn hängen?“

„Am besten da, gleich neben die Tür. Die habe ich aus meiner Ecke immer im Blick.“ Sie kam vorsichtig heran, um zu schauen und zu staunen. „Das kenne ich nur aus Hologrammen“, flüsterte sie und freute sich, dass Month eine Weile blieb, um ihr diverse Dinge zu erklären, die ihr vor die Augen kamen.

Imset erschien gegen Mittag, um synthetischen Fisch und Früchte zu bringen. Auch er beantwortete unzählige Fragen, die Chimas Weltraumbeobachtungen aufgeworfen hatten. Es dauerte eine ganze Weile, bis er merkte, dass da ja vorher gar kein Monitor gewesen war.

„Hat mir Month gebracht“, verriet Chima stolz.

„Dann muss es wohl der aus seiner Kabine sein“, überlegte Imset laut.

So war es auch, wie Month freimütig gestand. „Ich kann doch überall mit auf die Schirme schauen. Es fasziniert mich wie am ersten Tag, dass es die sanften Riesen wieder gibt. Da ist es mir einfach ein Bedürfnis, Chima im Rahmen der Möglichkeiten an allem teilhaben zu lassen.“

Sobek blinzelte Zaid zu, welcher der Stolz auf ihren Papa deutlich aus dem Gesicht strahlte. Ihr Sohn Leon, der Schlangenmagier, steckte oft stundenlang mit Großvater Month in den Bibliotheken in Osiris‘ Palast, um alles über das vom Caiphas verseuchte Gebiet im Nordmeer zu erfahren. Die beiden tüftelten ganz offiziell mit den Drakon an einer Lösung des Problems. Ihr gesammeltes Wissen werde auf Asgard sicher von gewaltigem Nutzen sein.

Auf der Brücke hatten Horus und Ariel Dienst, die Frauen beschäftigten sich mit Handarbeiten, die Männer lasen oder schliefen, je nachdem, wann sie die Cockpit-Crew ablösen mussten. Erster Pilot des Fluges war Tamu, Darina für die Kommunikation zuständig.

„Ich kann machen, was ich will, es ist kein Kontakt zu Asgard möglich“, seufzte sie. „Wobei es nicht der Splitter zu sein scheint, der dabei das Problem ist. Die gesamte dortige Technik macht den Eindruck, abgeschaltet zu sein.“

„Würde mich nicht wundern, wenn Odin im Caiphas-Wahn ganz Gladsheim lahmgelegt hat“, pflichtete Horus bei. „Ich bin heilfroh, dass er zwar ein Gott, aber kein Magier ist. Kaum auszudenken, was dann passieren würde.“

„Es ist so schon schlimm genug“, meinte auch Ariel, der seit einer halben Stunde auffallend nachdenklich wirkte.

Horus fragte beim Mittagessen schließlich nach und bekam zur Antwort: „Ihr erinnert euch doch sicher an den Tag, als Leon vom Caiphas-Staubpartikel getroffen wurde und sich aufzulösen begann.“

Nicken in der Runde.

„Warum löste er sich auf, wenn dieser verdammte Planetenmüll doch in der gleichen Frequenz sendet, die Leons natürliche Biofrequenz ist, wie wir inzwischen alle wissen? Ich kriege das nicht in meinen Kopf und muss gerade jetzt ständig daran denken. Er müsste sie doch eigentlich verstärken, statt sie aufzuheben.“

„Das ist ja das Gefährliche“, erwiderte Month. „Der Caiphas reagiert nie so, wie man es erwartet. Du weißt ja selbst, dass er sich auch jeglicher physikalischer Regeln entzieht. Manchmal habe ich das dumpfe Gefühl, er sei ein Verbund winziger Lebewesen, statt totes Material.“

Es wurde schlagartig still, alle starrten Month an, nur Leon nickte kaum merklich. „Jaaaaa, der Gedanke hat was! Er gefällt mir ausnehmend gut, oder schlecht, je nachdem, wie man die Sache betrachten will. Was sagte Siri beim Abschied zu Chima? ‚Sei sehr vorsichtig, wenn du einen Splitter direkt berühren musst. Er wird versuchen, dich zu manipulieren. Lass es nicht zu. Er hat dir nichts zu befehlen.‘

Ich bin überzeugt, dass ganz tief in den Drakon ein Wissen schlummert, von dem sie selbst vielleicht nicht einmal etwas ahnen. Drakos hat sich ja auch einmal verplappert, dass man einen Teil seiner Erinnerungen gelöscht haben musste. Wer und wozu? Re war es mit Sicherheit nicht. Der hätte so was gar nicht nötig.“

„Du scheinst einen Verdacht zu haben“, hakte Imset nach.

„In der Tat. Ich denke an eine Sorte Schicksalsgötter, die inzwischen gemerkt hat, dass man uns nur minimal manipulieren kann.“

Keiner antwortete verbal, aber es war ihnen anzusehen, dass sie eine schwarzhaarige Dame vermuteten, die hin und wieder die Gestalt einer Kobra annahm. Ganz bewusst gab man nun der Unterhaltung eine andere Richtung und Leon stand schließlich auf, um Chima etwas Obst zu bringen. Month schloss sich ihm an, worauf die anderen nur einen langen Blick miteinander wechselten.

Leon klopfte, öffnete die Tür und trat mit Month ein.

Chima wachte auf, gähnte herzhaft und sagte: „Schön, dass ihr kommt. Ich habe völlig albernes Zeug geträumt und brauche dringend nette Gesellschaft.“

„Worum ging es?“, fragte Leon teilnahmsvoll.

„Um Schlangen. Wenn sie mir nicht gerade in die Zunge beißen, können sie mir nichts anhaben“, erklärte Chima, „mir ging aber das Gezischel aufs Gemüt. Je mehr ich mich bemühte, es zu ignorieren, umso lauter wurde es. Dann kamt ihr.“ Sie wollte noch etwas sagen, als etwas geschah, das Leon nur von Uräus und Merit-Amun kannte und von dem Month nur Berichte gehört hatte: Chimas Gestalt begann zu flimmern, dann stülpte sich eine Energie darüber, die einer gigantischen Schlange durchaus ähnlich sah. Im selben Moment leuchtete das blaue Dreieck auf Chimas Stirn auf, der Spuk verschwand und alle drei konnten telepathisch hören: Das hast du sehr gut gemacht. Chima kippte mit einem fast menschlichen Seufzer um. Die Männer sprangen hinzu, um ihr Luft zuzufächeln und sie tröstend zu streicheln.

„Ich glaube. Mir platzt gleich der Schädel“, klagte das Drachenweibchen, dankbar nach Month und Leon fassend.

Sie nahmen es ihr nicht übel, etwas fester gedrückt zu werden. Denn Merit-Amun brauchte auch stets ein paar Sekunden, um sich wieder völlig im Griff zu haben.

„Was war das?“, staunte Month. „Wer war die Schlange und was hat sie vertrieben?“

„Es ist kompliziert“, begann Chima. „Ich habe es ja selber nicht gesehen, nur gespürt. Zuerst war es, als nähme Uräus von mir Besitz, um einen ihrer gefürchteten Sprüche kundzutun. Dann umwickelte mich eine Energie, die ich noch nie gefühlt habe. So stelle ich mir die Würgeschlangen vor, von denen die Erdenbewohner und Cheiron manchmal erzählen. Ich habe ihr verboten, mich zu belästigen und mir vorgestellt, ich befreite mich, indem ich sie mit meinen Krallen zerriss. Da verschwand sie auch schon und die heilige Kobra aus der Quelle der Magie hat zu mir gesprochen. Das war alles.“

„Das hast du sehr gut gemacht!“, lobten Month und Leon synchron, worauf Chima rief: „Genau das hat sie auch gesagt!“

„Wir haben es sogar gehört“, verriet Leon. „Und ich kann dir auch mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass dich wirklich eine Würgeschlange heimgesucht hat, nämlich Midgard, den der fremdgesteuerte Odin wohl freigelassen haben muss.“

„Das ist doch der, den du mit Zaid fertig gemacht hast“, schnappte Chima.

„Richtig. Genau der ist es. Nun bin ich doppelt froh, dass du mitgeflogen bist. Du bist die Einzige, die ihm kräftemäßig Paroli bieten kann, sowohl körperlich als auch mental.“ Leon streichelte Chima zwischen den Hörnern, ohne ihre Stirn zu berühren, wo noch immer das blaue Dreieck zu erahnen war.

„Könntest du mir von jenem Kampf eine Hologramm in den Monitor einspeisen? Dann weiß ich zu gegebener Zeit vielleicht, wo er Schwachstellen hat“, bat Chima.

„Geht klar!“ Leon blinzelte vergnügt. „Du sollst alles bekommen, was irgendwie mit dem Schuft zusammenhängt, damit du dich auf jede Gemeinheit einstellen kannst.“

Horus ließ sich sogar die Datenbank des Palastes übertragen, auf dass die Drakon bestens informiert war, wenn man auf Asgard landete.

Der Flug verlief ruhig und so saß immer jemand mit im Lager, der sich ebenfalls weiterbilden wollte, was die Midgard-Schlange betraf. Den siegreichen Kampf schaute sich Chima dabei mehrfach an. Es tat gut, zu wissen, dass auch jemand eine Chance haben konnte, der kein Drakonat war. Man musste nur perfekt zusammenarbeiten. Sie prägte sich besonders das menschliche Gesicht der Midgard-Schlange ein, da bestand die größte Gefahr, in eine Falle geführt zu werden.

„Gibt es den auch in anderen Erscheinungsformen?“, fragte sie irgendwann.

„Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Month, der in grauer Vorzeit schon reichlich mit dem missratenen Sohn des Gottes der Lüge in Kontakt gekommen war.

„Mir schwirrt der Schädel“, stöhnte Chima. „So viele Bosheiten am Stück hauen doch den stärksten Drachen um!“

„Ich habe etwas, das dich sicher wieder ins Gleichgewicht bringen wird“, prophezeite Neri, noch einen Hologrammwürfel aus den Falten ihres Gewandes ziehend.

Schon nach den ersten Bildern war klar, dass sie recht behalten sollte: Es waren die lustigen Streiche von Borsti und der Hundebande, die sich alle mit anschauten, die gerade frei hatten. Chima rieb dankbar ihren Kopf an Neris Schulter.

Month hatte als nächster Dienst auf der Brücke. Er genoss es besonder, im Auftrag der Atlan agieren zu dürfen. Seit er mit Mona zusammenlebte, fühlte er sich einfach fantastisch. Er war ein Gott unter Göttern, deren Stand die atlanischen Magier eindeutig hatten, die alle nur zum Wohl der Gemeinschaft wirkten. Etwas, das er bei Quetzalcoatl auf der Erde schmerzlich vermisst hatte. Dessen Brutalität und Selbstbeweihräucherung waren ständig an der Tagesordnung gewesen und hatten Month den Spaß an allem vergällt.

„Du lächelst so“, stellte Imset mit fragendem Blick fest.

Month blinzelte vergnügt. „Ich habe gerade wieder festgestellt, dass ich glücklich bin, dem unheilbaren Atla-Virus erlegen zu sein.“

„Das sagen Isis und Osiris auch immer“, kicherte Imset.

Im nächsten Augenblick schrillte der Alarm. Month Finger eilten über den Touchscreen des Kommandopults. „Man schießt mit Laserkanonen auf uns! Alle Schilde hoch!“

Sein Befehl wurde im Bruchteil einer Sekunde in die Tat umgesetzt. Odin spielte offenbar komplett verrückt.

„Thor werden die Haare zu Berge stehen“, prophezeite Imset. „Falls ihn sein Vater nicht schon eliminiert oder eingekerkert hat.“

„Ich glaube nicht daran“, warf Neri ein. „Er hat bei uns zu viele seiner magischen Fähigkeiten perfektioniert. Er wird sich in den Wäldern oder Sümpfen verstecken und die Verbindung mit Idun halten. Vielleicht beschützt er im Augenblick sogar den Baum.“

„Das klingt auch für mich wahrscheinlicher“, pflichtete Sobek bei.

„Achtung!“ Month fasste nach Zaid und Darina, während Sobek Neri schützte. Im gleichen Atemzug schlug eine Energiesalve in die Schilde, welche das ganze Raumschiff erzittern ließ. „Ausweichen ist schwer möglich. Wir sind schon in der Atmosphäre“, fügte er erklärend hinzu, weil nicht alle den Monitor im Auge behalten hatten.

Die Drakonat fassten sich an den Händen, um eine magische Hülle um den Gleiter zu erzeugen.

Das violette Leuchten drang mehrere Meter über die Schutzschilde hinaus. Neri überlief ein eiskalter Schauer, Zaid gab einen unterdrückten Laut von sich. Bei Frauen waren im Nu bei ihren Gefährten und schlangen ihnen von hinten die Arme um den Körper, weil nur Liebe die Magie des Bösen vertreiben konnte.

„Caiphas“, flüsterte Horus mit tonloser Stimme.

Month nickte düster.

Sekunden später endete der magische Angriff, nur das Bombardement mit Laserstrahlen ging weiter. Es hörte erst auf, als der Gleiter direkt vor Iduns Haus in das schützende Blätterdach des Waldes eintauchte.

Von den üblichen Bewachern Iduns war nichts zu sehen und die Hüterin der Äpfel selber öffnete nur die Tür einen spaltbreit, um einladend zu winken.

Imset und Sobek verwandelten sich in Drakonat, bevor Horus das Schott entriegelte. Sie teleportierten sich auch in das Häuschen am Waldrand, statt hinüber zu laufen. Sicherheit war oberstes Gebot. Im Gleiter klebten die anderen buchstäblich vor den Monitoren. Leon hatte sich zu Chima begeben, die ihre verständliche Aufregung nur mühsam niederrang. Bisher waren alle Kämpfe, die sie erlebt hatte, Training gewesen. Nun befand sie sich mitten in einem Ernstfall und noch dazu in völlig fremden Terrain. Sie war dankbar, dass sich Leon auch jetzt die Zeit für sie nahm.

Idun stieß einen Jubelschrei aus, als sich die Drakonat in ihrem Wohnraum materialisierten. Sie fiel ihnen sogar, entgegen ihrer sonstigen würdevollen Zurückhaltung, um den Hals und küsste sie auf beide Wangen. Ihr Gatte Bragi stand daneben und hob mit einem Grinsen die Schultern. Auf jeden wäre er eifersüchtig gewesen, nur nicht auf Imset und Sobek.

„Ich habe nicht erwartet, dass euch meine Nachricht erreicht!“, rief Idun hocherfreut, den Gleiter vor ihrem Fenster mit liebevollem Blick betrachtend. „Nicht einmal die eigenen Leute können miteinander kommunizieren, wenn sie mehr als Rufweite voneinander getrennt sind. Hier tobt der absolute Ausnahmezustand.“

„Kommt mit rüber zu uns“, schlug Imset vor. „Wir sind abhörsicher verpackt.“

„Gute Idee!“ Sie nahm die dargebotene Hand, um sich teleportieren zu lassen. Sobek folgte ihnen mit Bragi.

Die Begrüßung im Gleiter war so herzlich, dass Idun ganz wohlig zumute wurde. „Ich glaube fest daran, dass alles wieder gut wird“, seufzte sie.

„Folgt mir bitte in den Frachtraum“, schmunzelte Horus. „Da sitzt nämlich noch jemand aus unserem Team, der nicht ins Cockpit kommen kann, aber ein Recht darauf hat, an unserer Beratung teilzunehmen.“

Idun und Bragi schauten verdattert in die Runde, hatten aber keine Einwände, den ungewöhnlichen Ort aufzusuchen. Sie mussten beide schmunzeln, als sie Chima gewahrten, die ganz aufgeregt mit dem Schwanz wedelte, wie es die Hunde der Atlan machten, wenn sie sich besonders freuten. Die junge Drakon war natürlich ein handfester Grund, das Gespräch zu verlagern. Idun erwischte sich auch immer wieder dabei, ihre Fingerspitzen über den elastischen und doch beinahe unzerstörbaren Panzer des Drachenweibchens gleiten zu lassen. Chima genoss die Streicheleinheiten sehr, lauschte aber trotzdem aufmerksam den Ausführungen der beiden Asen.

„Ich hätte wetten sollen!“, rief Neri, als Idun berichtete, dass Thor unter Lebensgefahr den Baum bewache.

Den Sohn Odins warnten die Raben Hugin und Munin, die aus Gladsheim geflohen waren, weil sie den Caiphas spüren konnten, als er sich der Festung näherte. Odin hatte ihre Bedenken, dem Stein gegenüber, mit einer Handbewegung fortgewischt und war nicht willens gewesen, die Burg zu verlassen. Zwei Tage später stand er voll unter dem Bann des Boten des Bösen und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Als Thor am zehnten Tag Midgard durch die Gegend schleichen sah, war ihm endgültig klar, dass der Stein den Geist seines Vaters vergiftet hatte. Denn die Schlange sollte mindestens für 100 Jahre im Kerker der Burg gefangen bleiben. So hatte es der Rat der Asen beschlossen. Zwei Wochen später hatte Odin nach Thor schicken lassen, der sich, Böses ahnend, in den Sümpfen verbarg. Als Thor nicht erschien, erklärte ihn Odin zu vogelfrei und es gab genügend Häscher beim Fußvolk, die, wie der König, unter dem Bann der schwarzen Magie standen und Jagd auf ihn machten.

„Dann begannen die Blätter des Apfelbaumes zu verwelken“, setzte Idun ihren Bericht fort. „Bragi ist tagelang durch die Gegend geritten und hat versucht, Thor zu finden oder Heimdall, der immer noch wie vom Erdboden verschluckt ist.“

„In Gladsheim habt ihr aber nicht nachgesehen“, ließ Month fallen.

„Wo denkst du hin?!“, rief Bragi. „Dort wird jetzt zuerst geschossen und dann gefragt! Aber ich denke auch, dass ihn Odin eingekerkert hat.“

„Es kommt ja noch viel schlimmer“, erzählte Idun. „Seit einiger Zeit reiten die schwarzmagisch infiltrierten Asen sogar mit Laserwaffen herum, statt mit den traditionellen Schwertern und Äxten, die eigentlich der ganze Stolz unserer Männer sind.“

„Fusion“, stieß Imset düster hervor.

Idun wurde blass. „Geht es nicht auch anders?“

Alle schüttelten die Köpfe und Sobek erwiderte: „Wir haben unter diesen Umständen keine Wahl, wenn wir euch helfen und überleben wollen.“

„Auf wen können wir sonst noch zählen?“, fragte Horus.

Bragi kniff die Augen zusammen. „Auf Forseti und Sif. Zu allen anderen besteht keinerlei Kontakt und wir wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist.“

„Nicht gerade üppig“, murmelte Leon. „Ich hätte einen Vorschlag.“ Er wandte sich an Chima: „Vertraust du mir?“

„Wie mir selbst“, lautete die prompte Antwort.

„Danke!“ Leon kraulte die Drakon zwischen den Hörnern. „Ich möchte mit Chima verschmelzen. Denn ich vertraue ihr und der Quelle unserer Magie.“ Das blaue Leuchten auf Chimas Stirn stimmte nicht nur ihn zuversichtlich.

„Ihr macht den Anfang“, sagte Imset kurz, nachdem er einen Blick mit Sobek gewechselt hatte. „Ziehen wir uns zur Tür zurück, denn keiner weiß, was für ein Mischwesen entstehen wird.“

Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich so über dich bestimme, hörte die Drakon Leons telepathische Stimme und wisperte gleicher Art zurück: Es ist eine große Ehre, die mir zuteilwird.

Leon stellte sich vor Chima, legte seine Stirn an ihre und seine Arme um ihren Nacken.

Chima fühlte einen angenehmen Wärmestrom durch ihre Adern fließen, dann kribbelte der ganze Körper. Optisch passierte erst einmal gar nichts. Plötzlich schien sie zu wachsen.

„Oha“, flüsterte Zaid. „Das ist ja noch grandioser, als das, was aus ihm und mir geworden war.“

„Nicht von schlechten Eltern“, staunte Sobek.

Endlich spürte auch Chima, was sich alles verändert hatte. Der gemeinsame Körper war langgestreckt und geradezu gigantisch. Er füllte, eng zusammengerollt, fast den ganzen Raum aus. Leons Kobraleib war auf fast zwanzig Meter angewachsen, trug Chimas Drachenpanzerung, ihre Flügel und irisierte in metallisch schimmernden Pastelltönen. „Wir haben einen giftigen Biss, können fliegen und Feuer speien“, hörten die anderen deutlich aus dem Zischen der geflügelten Schlange heraus. „Wir sind Chion!“

Staunend nahmen alle die Rollenverteilung zur Kenntnis, wonach sich Leon der jungen und unerfahrenen Drakon gleichstellte.

„Wir raufen uns zusammen“, kicherte die geflügelte Schlange mit Leons Stimme und ließ ein winziges Flämmchen aus ihrem Rachen züngeln. „Jetzt sind die anderen Schuppentiere dran.“

Die Asen, aber auch Ariel und Month, schauten der Fusion der beiden Paare genau so verblüfft zu, wie jener von Leon und Chima, hatten sie es doch bisher nur aus den Erzählungen der anderen gehört.

Sobek und Zaid verschmolzen zuerst zu einem Drakonat, dann folgten Imset und Neri. Man konnte Zabek und Neset jedoch an der Augenfarbe unterscheiden, was ohne die Verschmelzung völlig unmöglich gewesen war. Auch ihre Namen deuteten an, dass die Frauen in absoluter Lebensgefahr das Sagen hatten.

„Zuerst werden wir den Hain des Apfelbaumes aufsuchen“, legte Neset fest. „Wir brauchen dringend mehr Informationen, mit denen uns sicher Thor versorgen kann, falls er sich uns zu erkennen gibt. Ihr beide solltet lieber bei uns im Gleiter bleiben, ehe ihr den Rachegelüsten Odins zum Opfer fallt. Er wird sicher eins und eins zusammenzählen und sich den richtigen Reim auf unsere Landung machen können.“

Bragi musste nicht erst fragen, denn Idun willigte sofort ein. Sie hatte wenig Lust, zwischen die Fronten zu geraten, wenn die Drachenwesen mit Odin zusammentrafen. Sie bat die drei aber: „Lasst Asgard heil, wenn es sich irgendwie einrichten lässt.“

„Wir sind dann mal weg“, erklärte Neset mit seiner vibrierenden Drakonatstimme und öffnete die Ladeluke. Er und Zabek schritten voraus. Chion brauchte einen Moment, um sich durch die Öffnung zu quetschen, weil die Flügel überall hängen blieben, legte sie sie auch noch so eng an den Körper. Draußen richtete sich die imposante geflügelte Schlange auf und konnte locker über die Baumwipfel spähen.

„Das wird Midgard gar nicht gefallen“, grinste Horus. „Das letzte Treffen mit Leon und Zaid wird er noch nicht vergessen haben.“

Idun spitzte genüsslich die Lippen. „Ich gönne es ihm von ganzem Herzen.“ Bragi schmunzelte still in sich hinein. Er hatte tausend Gründe, Midgard in den Hintern zu treten.

Indes führte Zabek die beiden anderen absolut zielsicher zum heiligen Hain der goldenen Äpfel. Iduns Baum sah schon auf den ersten Blick krank aus. Die Früchte waren mickrig und neue Blüten konnte man an zehn Fingern abzählen.

„Er ist hier“, zischte Chion, am Rand der Lichtung verharrend.

Auch die Drakonat hielten sich unter den Kronen der letzten Bäume auf, während sie allerdings telepathisch nach Thor riefen.

Der meldete sich erstaunlich schnell, forderte aber, dass er sich mit nur einem der Drachenmänner am anderen Ende der Lichtung treffen wolle, was ihm auch sofort zugesagt wurde. Neset machte sich auf den Weg, indem er ganz offen den freien Platz überquerte.

„Keinen Schritt weiter!“ Thor hob die Waffen, als er gewahrte, dass der Drakonat keine bernsteingelben Augen hatte. „Wer bist du?“

„Neset, die Verschmelzung von Neri und Imset.“

„Dann kennst du doch sicher mein kleines Geheimnis?“

Neset lachte. „Ja klar. Es heißt Riva und hat Sehnsucht nach dir. Es wird langsam Zeit, dass du deinen Dienst für die Gemeinschaft antrittst.“

Thor steckte das Schwert in die Scheide. „Das überzeugt mich.“ Er trat auf Neset zu, schaute ihm tief in die Augen und riss ihn sofort in seine Arme. „Bin ich froh, dass ihr da seid! Da drüben steht sicher die Verschmelzung aus Sobek und Zaid. Aber wer ist die wundersame geflügelte Schlange? Quetzalcoatl ist es nicht. Den kenne ich.“

„Das ist Chion“, verriet Neset blinzelnd.

Thor schüttelte den Kopf. „Den kenne ich definitiv nicht. Von welchem Planeten stammt er?“

„Von Tarronn. Man nennt die beiden auch Chima und Leon“, blinzelte der Drakonat.

„Nein!“

„Doch!“ Neset winkte hinüber und die beiden Drachenwesen näherten sich Seite an Seite.

„So, so Chion. Ich hätte eher gedacht, dass Chima mal mit Borsti eins wird“, witzelte Thor.

„Der war für unsere Zwecke nicht giftig genug“, zischte die Schlange amüsiert. Dann berichtete sie, dass Idun und Bragi im Gleiter in Sicherheit seien.

„Das höre ich gern“, murmelte Thor. „Odin hat sich in Gladsheim verschanzt. Von da schickt er Überfallkommandos aus und lässt alle, die dabei erwischt werden, den verhängten Hausarrest nicht einzuhalten, in die Kerker verschleppen.“

„Das dürfte ja so beinahe jeden einmal treffen, weil irgendwann die Vorräte alle sind“, sinnierte Zabek.

„Er hat überdies verfügt, Sleipnir abzuschießen. Der hat sich nämlich zusammen mit den Raben aus der Gefahrenzone gerettet und gilt nun, wie auch ich, als vogelfrei.“ Thor knirschte mit den Zähnen.

„Weißt du, wo er steckt?“

„Ja, aber ich sag’s nicht.“

Zabek schmunzelte. „Gut, dann weiß ich, dass er wirklich ein sicheres Versteck gefunden hat. Wenn ich mir so den Baum anschaue, weiß ich auch, dass er als solches sicher ist. Ihm bekommt nur die Nähe des Caiphassplitters nicht. Wir sollten das Ding eliminieren, ehe es irreparablen Schaden anrichtet – an Baum und Planeten, nebst allem, was darauf ist.“

„Falls du etwas für uns tun kannst, lassen wir es dich wissen.“ Neset klopfte Thor auf die Schulter. „Pass gut auf dich auf!“

„Ich werde es versuchen.“ Thor schaute zu, wie sich die drei Mischwesen bereit machten, sich nach Gladsheim zu telepathieren. Als sie verschwunden waren, huschte er fast lautlos durch den Wald, um Sleipnir, das Lieblingspferd Odins, von der Ankunft der Atlan zu unterrichten. Bei diesem Gedanken musste er grinsen, denn die meisten der Ankömmlinge waren der Abstammung nach Tarronn, nur fühlten sie sich inzwischen als Atlan, mit denen sie lebten.

Im Raumschiff war alles auf Abwehr und Überwachung geschaltet. Horus und Month standen bereit, die drei drachenschuppigen Geheimwaffen zu unterstützen. Die hatten sich soeben vor den Toren der Hightech-Festung materialisiert und wurden im Bruchteil eines Wimpernschlags unter Laserbeschuss genommen. Ohne Erfolg, weil alle drei Kraftfelder erzeugten, welche die Wirkung der gebündelten Energie aufhoben.

„Nicht gerade gastfreundlich“, grinste Neset. „Knipsen wir die Dinger aus, ehe Unbeteiligte zu Schaden kommen.“

Odin quollen fast die Augen aus den Höhlen, was die Monitore in den nächsten Minuten übertrugen. Das geflügelte Monster, welches die Drachenmänner bei sich hatten, zermalmte Stein und Metall einfach mit den Zähnen. Als es eine Kamera erspähte, rülpste es genüsslich, wobei es wie versehentlich ein Flämmchen züngeln ließ. „Das nächste Mal bitte mit ordentlicher Soße“, zischte es und biss das Gerät einfach aus der Mauer.

Dann konnte Odin mitverfolgen, wie es seinen Weg durch den Schlund des Giganten nahm und sich langsam in der Magensäure zu zersetzen begann. Das ging schneller, als der Notstromakku leer war.

Neset und Zabek wechselten belustigte Blicke. Chima und Leon passten genauso perfekt zusammen, wie Imset und Safi oder Sobek und Maris.

„Ahhhhhhhh!“ Chion krümmte sich.

„Hast du dir den Magen verdorben? Du hättest die Kamera lieber ausspucken sollen“, meinte Neset.

„Nein“, zischte Chion. „Es ist der Caiphas. Er ruft mich. Ihr wisst doch, dass er in Leons Biofrequenz sendet!“

„Wirst du ihm standhalten?“, fragte Zabek beunruhigt.

„Aber ja. Es schmerzt nur sehr in den empfindlichen Drachensinnesorganen“, erklärte Chion. „Wir sollten uns beeilen, ihn unschädlich zu machen, es ist ziemlich nervig, wenn der Schädel wie eine Glocke dröhnt.“

„Holen wir uns Odin und quetschen heraus, wo er das Ding versteckt hält“, rief Zabek angriffslustig.

„Gemach, gemach!“, dämpfte ihn Neset. „Die Einzige, deren Schwachpunkte er nicht kennt, ist Chion. Wir müssen sicher sein, nicht in eine Falle zu laufen.“

Sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Offenbar hatte Odin irgendwie doch erfahren, mit wem oder was er es bei Chion zu tun hatte. Möglicherweise hatte ihn der Splitter direkt mit der Nase auf den Punkt gedrückt, denn als sie die Sicherheitstüren gesprengt, alle Bewacher außer Gefecht gesetzt und sich zur Kommandozentrale vorgearbeitet hatten, kniete Odin mit gezogenem Dolch auf einem angstvoll quiekenden Eber.

„Borsti!“

Odin lachte böse. „Kommt ruhig näher. Borsti ist ja doch nur ein Schwein. Noch einen Schritt und er ist Futter für die Wölfe! Verschwindet und ich lasse ihn leben!“

Der Knick im Ohr, die Ohrmarke, alles stimmte. Und es war auch kein Trugbild, wie man deutlich riechen konnte. Die Drakonat hielten sich zurück. Ganz anders Chion – sie richtete sich auf, soweit es die Decke des Raumes hergab. „Lass die Mätzchen! Wie tief bist du gesunken, dass du dich an einem Schwein vergreifst, um Eindruck zu schinden. Wenn es wenigstens ein wilder Eber wäre! Nein, ein zahmes Hausschwein muss es sein.“ Chion glitt noch ein Stück näher.

Odin stach zu, spürte aber im gleichen Moment die Giftzähne der Schlange in seine gepanzerte Schulter fahren. Mit ungläubig aufgerissen Augen kippte er um.

Neset stürzte herbei. „Borsti!“

Chion begann zu lachen. „Das ist nicht Borsti, obwohl er ihm ziemlich ähnlich sieht und sogar der Schwanz genauso geringelt ist, wie bei ihm.“

Neset deutete anklagend auf die Ohrmarke.

„Falsche Seite, mein Lieber“, zischte Chion. „Wenn man schon etwas kopiert, sollte man es richtig machen. Schick den Braten zum Gleiter, sie können ihn einlagern, bis zur großen Party. Aber warne sie vor, nicht, dass sie für den falschen Borsti eine Trauerfeier ausrichten wollen.“

Neset teleportierte sich mitsamt Odin und totem Schwein gleich selber zum Schiff und war Sekunden später wieder da. „Chion, du hattest recht. Sie sind auch auf den Bluff reingefallen. Ariel kümmert sich um Odin, der nun im Meteoritenraum vor sich hin schmort.“

„Ich habe ihm kein Gift injiziert“, verriet Chion. „Ich will ihn ja schließlich nicht umbringen. Der Schock hat ihn umgeworfen, weil meine Zähne durch seinen Panzer gingen, wie ein glühendes Messer durch Butter.“

„Das hat Ariel auch gleich vermutet!“, lachte Neset. „Der hat sofort gemerkt, dass es ein trockener Biss war.“

„Er ist gut“, lobte Chion. „Aber lasst uns endlich nach dem Caiphas suchen, ehe mich Ariel auch noch behandeln muss.“ Sie richtete sich wieder auf und pendelte mit dem Kopf, um die Richtung der unseligen Energie zu bestimmen. „Da lang!“ Chion brach mit Gewalt die nächste Tür auf.

Ein paar Männer fuchtelten wild mit ihren Schwertern, obwohl sie garantiert volle Hosen hatten, als die Gigantin auftauchte. Chion spie eine Flammengarbe auf das Metall und lachte herzlich, wie rasch alle die Waffen von sich warfen.

Neset riss die Arme hoch und machte „Buhhhh!“, worauf der Haufen wild davon stob.

Zabek schüttelte nur den Kopf. „Ich habe echt mit mehr Widerstand gerechnet.“

„Mir geht das auch alles zu glatt“, bemerkte Neset. „Irgendwo lauert bestimmt das dicke Ende und nicht unbedingt gleich in Form des Splitters.“

„Ja, es schleicht da draußen zwischen den Bäumen herum und ist ziemlich dick“, bemerkte Chion.

„Schau an, schau an, die Midgard-Schlange“, schmunzelte Neset. „Dann scheint der Splitter ja doch irgendwo in Gladsheim zu stecken und der Fiesling da draußen will ihn sich greifen. Teilen wir uns auf! Ich gehe ein bisschen Stress machen und ihr sucht den Caiphas“, schlug er vor. „Chion findet ihn doch schneller, als wenn wir Drakonat blindlings nach der Nadel im Heuhaufen stochern.“ Weil keiner Einwände hatte, teleportierte er sich hinaus, um direkt vor dem Kopf der Schlange zu erscheinen.

Mit der Unverfrorenheit der Atlan hatte Lokis Sohn natürlich nicht gerechnet. Er war davon ausgegangen, dass man sie erst eine Weile provozieren müsse, ehe sie zuschlügen. Und bis dahin, wollte er sie in die Sümpfe gelockt haben, um sie zu ertränken. Jetzt wäre er froh gewesen, irgendeine Art kühles Nass zu spüren, denn Neset heizte ihm ohne Vorwarnung mit der Drachenflamme ein, dass die Schlangenhaut in der Hitze zu schrumpfen begann und Midgard, schmerzgeplagt, seine menschliche Gestalt annehmen musste. Als er allerdings versuchte, sein Heil in der Flucht zu finden, spie Neset auch noch eine Feuergarbe ins Unterholz.

Er pulte Midgard, schwer verletzt, aus dem Gestrüpp und brachte ihn zum Gleiter, wo Ariel die Hände überm Kopf zusammenschlug. „Das riecht nach richtig viel Arbeit!“

„Wirklich? Ich finde, es stinkt nach versengtem Haar und verbranntem Fleisch“, grinste Neset und beamte sich zurück nach Gladsheim.

Horus und Month lachten Tränen. Sie hätten zu gern gewusst, was die anderen beiden Mischwesen gerade trieben.

Zabek war zielstrebig in jene Richtung gegangen, wo der Hochsicherheitstrakt der Verliese begann. Beinahe hinter jeder Ecke lauerten ein paar schwer bewaffnete Männer, denen der Caiphas buchstäblich das Denken ausgetrieben hatte. Hin und wieder blieb dem Drakonat nichts weiter übrig, als die Angreifer zu pulverisieren. Er schätzte sich glücklich, dass sich unter diesen keine Asen befunden hatten.

„Ich kann nur hoffen, dass wir sie in Freiheit oder im Kerker wiederfinden“, sprach Sobeks Geist Zaid an.

„Nach meinem Bauchgefühl, sind sie hier“, erwiderte sie.

„Oh je. Nach meinem Bauchgefühl ist schon lange die Mittagsstunde vorbei“, erklärte Sobek.

Zaid lachte. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, mein Lieber.“

„Zu Befehl!“

Zabek schlug wie nebenbei einen weiteren Angreifer bewusstlos, um endlich an die ersehnten Öffnungsmechanismen der Türen gelangen zu können. „Aha! Odin hat einen neuen Code programmiert. Den muss ich halt auf meine Art entschlüsseln ...“ Er zerlegte die Tür innerhalb weniger Minuten in ihre Einzelteile, die rotglühend zu Boden fielen, Feueralarm und die Sprinkleranlage auslösten. „Bäh, kaltes Wasser!“ Zabek schüttelte sich lachend, wohl wissend, dass hier in der Hauptsache Zaids Gefühle rebellierten.

Er wandte sich nach links, um die erste Kerkertür zu inspizieren. Zu. „Na ja, machen wir es halt auf die brutale Tour.“ Und laut, damit es die Insassen hören konnten: „Weg von den Türen!“ Dann trat er die gepanzerten Pforten mit Brachialgewalt auf. Eine nach der anderen, ohne nach den Insassen zu schauen. Als sich Lärm und Staub gelegt hatten, tauchten aus drei Zellen Inhaftierte auf – Heimdall, Uller und Forseti.

Zabek riss die Augen auf. „Ich dachte, ihr wärt in Sicherheit!“

„Bis gestern waren wir das“, erklärte Heimdall. „Verdammt gutes Gefühl, dich zu sehen! Aber was ist mit deinen Augen?“

„Ich bin Zabek, also die Verschmelzung von Zaid und Sobek. Da ist mit ungewöhnlicher Augenfarbe zu rechnen“, schmunzelte der Drakonat. „Lasst uns rasch in die Zellen schauen!“

Der Anblick der anderen Gefangenen ließ den Drakonat die Augenbrauen zusammenziehen. Die meisten lagen apathisch und zu Skeletten abgemagert auf den Betten, ohne auf die Retter zu reagieren. Es fiel sogar Forseti schwer, Frigg, die Gattin Odins wiederzuerkennen.

Sie zeigte kaum noch Lebenszeichen und Zabek teleportierte sich mit ihr auf die Brücke des Raumschiffs, wo im Bruchteil eines Wimpernschlags Ariel erschien, der Horus und Month um eine kleine Energiespende für die Todgeweihte bat. Idun schüttelte fassungslos den Kopf und hielt Friggs Hand, während die beiden Männer einen sanften Energietransfer versuchten.

„Richtet im Lager ein Lazarett ein, ich bringe Euch noch 15 weitere von Odins Todeskandidaten!“, rief Zabek, um seinen Worten Taten folgen zu lassen.

Die wenigen dienstfreien Besatzungsmitglieder beeilten sich, Notliegen aus allem zu zaubern, was die Depots hergaben. Weil Bragi überall mit anpackte, konnten sie mit Zabek Schritt halten. Jedes Mal, wenn er zwei ausgemergelte Körper zum Gleiter brachte, hielten sie genau die zwei Betten bereit.

Friggs Zustand stellte sich als so kritisch heraus, dass Horus Zabek und Neset zum Raumschiff bat, weil sich niemand einen Rat wusste.

Die beiden Drakonat pumpten Frigg regelrecht mit Energie voll, ohne die erwünschte Wirkung zu erzielen. Einzig ihr Herzschlag wurde etwas kräftiger.

„Sie braucht vielleicht nur einen Apfel“, klagte Idun mit Tränen in den Augen. „Sie alle müssen einen essen, um überleben zu können.“

„Das sehen wir auch so“, murmelten die Drakonat völlig synchron.

Da war Neset schon verschwunden, um Thor seine Aufwartung zu machen. Neset redete nicht erst lange herum. Er zeigte Thor das Hologramm von Friggs Zustand, worauf der Ase eigenhändig 16 der winzigen, schrumpeligen Äpfel pflückte, um sie an Neset zu übergeben.

„Bitte beeile dich!“, rief er noch, als die Gestalt des Drakonat bereits zerfloss, um im Labor des Raumschiffs wiederzuerscheinen.

Month prüfte sofort den größten Apfel. „Er ist unverseucht!“

Neset schnappte sich die Frucht, beamte sich zu Frigg und schlug Idun vor: „Ich würde ihn, so es seine Wirkung nicht zerstört, zerdrücken, um ihn Frigg einzuflößen.“

„Tu es! Wir haben keine andere Wahl.“ Idun reichte ihm ein Schälchen, damit nicht ein Tropfen der wertvollen Flüssigkeit verloren gehen konnte.

Month checkte inzwischen auch die anderen Äpfel. Nur einen, der merkwürdige Energien enthielt, schloss er in einem Kraftfeld ein. Zwei Asen mussten sich also vorerst eine Frucht teilen. Aber das war sehr viel besser, als gar kein Stück zu bekommen.

Imset führte Frigg Energie zu. Idun begann, ihr in winzigen Mengen den Apfelbrei zu verabreichen. Kaum benetzte der erste Tropfen Friggs Lippen, kam Leben in den regungslosen Körper. Sie versuchte, den Mund zu öffnen, und es war deutlich zu hören, wie sie die Luft einsog, um den Duft des goldenen Apfels zu genießen.

„Es wird alles wieder gut“, versprach Neset und Idun nickte dazu. „Wenn es Probleme geben sollte, lass nach mir rufen“, legte er ihr ans Herz. „Ich muss los, damit der Spuk bald ein gutes Ende nimmt.“ Auf der Brücke erkundigte er sich nach Odin.

„Den haben wir ruhig gestellt“, erklärte Month, auf sein wertvolles Gerät zeigend, mit dem man Caiphas-Energien orten und sogar ähnliche Schwingungen erzeugen konnte. Es genügte Neset, zu wissen, dass Odin im Augenblick weder sich noch anderen Schaden zufügen konnte. Er hob zum Abschied die Hand und beamte sich nach Gladsheim.

Uller, Heimdall und Forseti verschnürten dort soeben die ausgeknockten Söldner ihres manipulierten Königs mit starken Seilen. Es war ja kein ausbruchsicherer Raum mehr vorhanden, nachdem sich die Mischwesen wenig zimperlich mit den Türen befasst hatten. Aber das konnte man reparieren. Um die drei Asen aus der Schusslinie zu haben, erteilte Neset sofort den entsprechenden Auftrag, mit dem Hinweis, keine Räume zu betreten, die funktionierende Türen hatten. Daran hielten sich die Männer auch. Sie holten, statt in die Lager zu gehen, lieber Baumstämme, und brachten von außen altertümliche Fallverriegelungen an.

Neset ortete inzwischen die Auren von Zabek und Chion, denen er sich zielstrebig näherte. Beide verweilten vor der Kuppel des Kraftwerks, das den ganzen Planeten mit Energie versorgte und sahen ziemlich ratlos aus.