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Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Mein beschlossener Tod

Kap. 01 - Romulus

Kap. 02 - Das Wäldchen

Kap. 03 - Die Hundeschule

Kap. 04 - Die Spitzmaus im Garten

Kap. 05 - Geplanter ‚Schulwechsel’ und Romulus’ Kampf ums Überleben

Kap. 06 - Romulus’ Rückkehr aus der Tierklinik

Kap. 07 - Die ‚neue’ Schule für Jagdhunde

Kap. 08 - Trainingsstunden

Kap. 09 - Das Verschwinden von Romulus

Kap. 10 - Artemis und Diana

Kap. 11 - Mein neuer Freund

Kap. 12 - Nachwuchs

Kap. 13 - Der Umzug

Kap. 14 - Wolf

Kap. 15 - Die „RHBF“

Kap. 16 - Der erste „RHBF“ - Einsatz

Kap. 17 - Wolf, Chico, die „RHBF“ und ich

Kap. 18 - Der Tag ‚X’

Kap. 19 - Gefangen

Kap. 20 - Wieder daheim

Kap. 21 - Die Ermittlungen

Kap. 22 - Die ‚Neuen’

Kap. 23 - Der Wechsel

Kap. 24 - Terry

Kap. 25 - Beim Tierarzt

Kap. 26 - Das Ende

Nachwort

Über den Autor Wilhelm Eugen Mayr

 

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Copyright by: Wilhelm Eugen Mayr

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2020

Umschlaggrafik: Frank Fiedler (Copyright by Frank Fiedler)

Portrait-Foto/Backcover: Stefan Gerding (Copyright by Stefan Gerding)

ISBN: 9783957538345

 

 

 

Widmung

 

Widmen

möchte ich den Roman

in ganz besonderer Weise

meiner Familie,

insbesondere meinen Kindern,

aber auch allen Freunden und Bekannten,

die sich über all die Jahre hinweg so liebevoll

um unsere Hündin ‚Natascha‘,

die mich zu diesem Roman inspiriert hat,

gekümmert haben.

 

 

 

 

 

 

Danken

 

möchte ich an dieser Stelle

aber zugleich

meiner lieben Frau Hildegard,

die mir erneut während meiner Arbeit am Roman geduldig den Rücken freigehalten hat.

 

Vorwort

 

     Wie lässt sich eine Tier-Geschichte so wirklichkeitsnah wie möglich wiedergeben, eine Geschichte, die bewegt und aufrüttelt, ohne dass sie eher unpersönlich von einem Erzähler vorgetragen wird und den Zauber des Fiktiven einbüßt?

     Ich habe mir lange darüber den Kopf zerbrochen, denn einerseits soll die Geschichte spannend sein, sie soll andererseits aber auch zugleich jeden Leser ganz persönlich berühren, um ihn für das Thema ‚Tierschutz‘ einzunehmen. Zwar soll sie einer Fabel ähnlich sein, selbst aber nicht als Fabel gestaltet werden. Ja – wie lässt sich das alles ‚unter einen Hut‘ bringen?

     Da kam mir die rettende Idee: Wie wäre es, wenn die handelnden Personen die Tiere selbst sein würden, wenn sie quasi menschliche Züge erhielten und selbst über sich und ihre Erlebnisse sprächen? Der Gedanke ließ mich nicht mehr los, und ich entwarf ein Konzept, in dem die Protagonistin eine Jagdhündin war, die ihr Leben erzählt, bevor sie aufgrund ihres hohen Alters und ihrer permanenten Schmerzen eingeschläfert und somit von ihren Leiden erlöst wird. Mehr und mehr nahmen die Skizzen hierzu Formen an, bis ich – tagebuchähnlich – die Protagonistin ihr durchaus aufregendes Leben in Ich-Form erzählen ließ …

 

 

Mein beschlossener Tod

 

     Da lag ich nun auf dem kalten Behandlungstisch der Tierarztpraxis. Noch schlug mein Herz. Aber ich wusste: In kurzer Zeit würde es nicht mehr schlagen. Er – ich meine Eugen, mein Herrchen – hatte mich noch einmal untersuchen lassen und den Tierarzt gefragt, ob nicht doch noch etwas zu machen sei, um mich am Leben zu erhalten. Es hatte eine kurze Diskussion zwischen den beiden gegeben. „Wissen Sie“, hatte der Tierarzt gesagt, „über 17 Jahre – das ist doch – weiß Gott – ein fast methusalemisches Hundealter! Und wenn sie sich jetzt nur noch quält, ständig Schmerzen hat, ihr Wasser nicht mehr bei sich behalten kann … Es ist doch eine Erlösung für das Tier und letztlich für Sie und Ihre Familie sicherlich auch …“

     So war das also: Erlösung für alle Beteiligten.

     Er strich mir sanft über den Kopf und kraulte mich hinter den Ohren. Er wusste genau, wo ich seine Hand, seine Finger am liebsten spürte – noch. Denn es sollte wohl das Letzte sein, was ich von ihm spüren würde. Wenn ich das richtig verstanden hatte, sollte ich zuerst eine Betäubungsspritze bekommen und danach eine Giftspritze. Aus. Das war’s. So einfach war das. Hätte ich als Jagdhund nicht besser einen Jagdunfall haben können? Das wäre doch viel artgerechter gewesen als so eine Todesspritze. Ich dachte nach und noch einmal lief – wie in einem Zeitrafferfilm – mein Leben oder zumindest ein Teil davon an meinem inneren Auge vorbei …

 

    

 

Kap. 01 - Romulus

 

     Das ist unfassbar, an was man alles denken muss, wenn man ein Ziel vor Augen hat, das man unbedingt erreichen will. Ich war zusammen mit acht anderen kleinen Münsterländern auf die Welt gekommen, hatte überwiegend braunes Fell, was bei meiner Rasse eher eine Ausnahme darstellt, dazu aber wunderschöne, dunkelbraune Augen, mit denen ich schon jetzt all denen, die zur Besichtigung oder sogar zu einem möglichen Ankauf von einem von uns vorbeikamen, den Kopf verdrehte.

     Eines Tages – ich war noch nicht ganz vier Monate alt – kam ein junges Pärchen vorbei. Ich glaube, dieses hätte uns am liebsten alle auf einmal gekauft – so liebevoll widmete es sich jedem Einzelnen meiner Geschwister und natürlich auch mir. Die Begeisterung von ihr war nur sehr schwer zu bremsen. Er ging dagegen ein wenig sachlicher an einen möglichen Kauf heran, prüfte meine Geschwister der Reihe nach und ließ dann einen Teller mit etwas Futter aufstellen. Auf diese Art der Prüfung hatte mich meine Mutter schon rechtzeitig vorbereitet: „Wenn da Familien mit Kindern kommen – meide sie. Kinder können grausam sein. Für sie bist du nur ein Spielzeug, mehr nicht. Also: Friss nicht, falls sie dir Futter hinstellen. Stell dich desinteressiert und eher krank. Kommt jemand, von dem du hörst, dass er dich für die Jagd haben will – geh ihm aus dem Weg. Für ihn wirst du als Sklave abgerichtet und Tiere, die er bereits erschossen oder angeschossen hat, musst du für ihn aufspüren und apportieren, notfalls sogar aus Flüssen und Seen.“

     Natürlich konnte ich mir damals weder etwas unter Sklaven noch unter Flüssen oder gar Seen vorstellen. Aber so, wie es meine Mutter zu mir sagte, klang es recht bedrohlich. „Für wen soll ich mich denn dann überhaupt interessieren?“, wollte ich wissen.

     „Nun“, sagte meine Mutter, „wenn jemand kommt, liebevoll auf dich einredet, dich sanft streichelt und dir dann Futter hinstellen lässt, dann ist das mit Sicherheit ein Hundeliebhaber, dem du dich anvertrauen kannst. Stürz dich dann sofort auf das Futter und zeig ihm, dass du gut fressen kannst und kerngesund bist. Das wird ihm mit Sicherheit imponieren, und wenn du Glück hast, nimmt er dich. Dann bist du bei ihm ganz sicher gut aufgehoben.“

     Das besagte junge Pärchen fand ich ganz sympathisch. Während sie alle meine Geschwister kraulte, auf den Arm nahm, wieder absetzte und von einem Entzückungsschrei in den nächsten fiel, schien er sich ziemlich rasch besonders für mich zu interessieren, hielt mich kurz hoch, um mich von allen Seiten genau in Augenschein zu nehmen, kraulte mich hinter den Ohren und ließ dann den besagten Teller mit Futter aufstellen und beobachtete mich scharf.

     ‚Okay’, dachte ich, ‚der scheint ganz in Ordnung zu sein. Dann wollen wir ihm doch mal zeigen, was es heißt, gesunden Appetit zu haben.’ Ich drängte mich durch meine Geschwister, die mich inzwischen etwas neugierig umringt hatten, hindurch und marschierte schnurstracks auf den Teller zu und verschlang im Eiltempo das darauf liegende Futter, noch ehe meine Geschwister überhaupt den Geruch der Fleischhappen wahrgenommen hatten.

     „Du, den nehmen wir, der ist gesund, frisst sofort, ist durchsetzungsfähig und obendrein auch sehr hübsch“, hörte ich ihn sagen.

     Sie kauerte sich neben mir nieder und betrachtete mich neugierig. Dann näherte sie sich mit ihrer rechten Hand meinem Kopf.

     ‚Nur nicht zu schnell einwickeln lassen’, schoss es mir durch den Kopf, ‚das hatte mir meine Mutter eingeschärft.’ Also knurrte ich ein wenig, um gefährlich zu wirken. Das fanden die beiden wohl nur komisch und lustig zugleich und lachten mich tüchtig aus. Auslachen – das ging aber gar nicht, das musste ich mir nicht gefallen lassen! Also schnappte ich kurz entschlossen nach ihrer Hand.

     „Wow – der wehrt sich sogar! Toll!“, vernahm ich seine Stimme. „Das spricht erst recht für ihn.“

     „Du weißt aber schon, dass ‚er’ eine ‚sie’ ist, eine kleine Hündin, oder?“, sagte sie.

     „Na ja: Der Hund, die Hündin“, antwortete er. „Wir wissen ja, um wen es geht.“

     „Es stört Sie jetzt nicht weiter, dass die Hündin dunkelbraun ist und nur eine kleine weiße Zeichnung vorne am Hals hat? Ich meine, die meisten, die einen Kleinen Münsterländer kaufen wollen, möchten ja einen typisch braunweiß gefleckten Hund haben, sodass man gleich sieht, dass es sich um einen Rassehund handelt“, mischte sich mein bisheriger Besitzer ein.

     „Ach was“, erwiderte er. „Dann haben wir eben einen ganz besonderen Münsterländer.“

     Ich richtete mich stolz ganz hoch auf, soweit mir das möglich war.

     „Man könnte meinen, die Kleine habe dich verstanden“, sagte sie zu ihm.

     „Kluges Mädchen“, nickte er zustimmend und streichelte mich.

     „Da wäre dann noch eine Kleinigkeit“, schaltete sich mein bisheriger Besitzer wieder ein. „Sie haben ja gesehen, dass der Wurf, aus dem diese kleine Hündin stammt, sehr groß ist. Wenn Sie Papiere haben möchten, also einen Stammbaumnachweis, um eventuell später selbst zu züchten – immerhin werden beide Elternteile jagdlich geführt –, dann müsste ich die Hündin als eine von sechs Welpen eintragen. Das würde allerdings für Sie richtig teuer werden.“

     „Was bedeutet das?“, wollte er wissen.

     „Nun – ohne Papiere lasse ich Ihnen die Kleine für 120 DM, mit Papieren müssten Sie schon 1.200 DM hinblättern.“

     „Dann fällt die Entscheidung ja nicht so schwer“, lachte er. „Wir brauchen die Papiere nicht. – Nun hätte ich aber auch noch eine Frage: Wir möchten jetzt noch für 14 Tage verreisen. Wäre es möglich, dass die Kleine noch so lange hierbleiben kann? Wir bezahlen natürlich schon jetzt gleich die 120 DM, und Sie würden sie dann solange für uns hierbehalten und quasi für uns reservieren, also auch nicht weiterverkaufen, bis wir sie dann in exakt 18 Tagen hier bei Ihnen abholen können. Wäre das möglich?“

     „Selbstverständlich. Gehen wir noch kurz ins Haus. Ich mache die Unterlagen fertig …“

     Das war ja interessant: Ich sollte noch fast drei Wochen hier bei meiner Mutter und bei meinen Geschwistern bleiben, war aber eigentlich schon verkauft. Ich kam mir schon ein wenig wie eine Ware bei einem Händler vor. Andererseits aber schien mir das Pärchen, dem ich fortan gehören sollte, recht sympathisch und tierlieb zu sein, sodass ich bereit war, über alles andere großzügig hinwegzusehen.

     Die 18 Tage gingen schneller vorüber, als ich gedacht hatte. Pünktlich erschien das Pärchen, um mich abzuholen. Meine Mutter hatte man in einen Zwinger gebracht, damit sie sich nicht mehr mit ihren Zähnen einmischen konnte, um meine Mitnahme zu verhindern, wie sie es bei einigen meiner inzwischen gleichfalls verkauften und schon abgeholten Geschwister versucht hatte. Ich wurde in einem gepolsterten Pappkarton auf den Rücksitz des Autos gesetzt. Neben mir nahm sie Platz und am Steuer er. Und los ging es – wie ich gedacht hatte: in mein neues Zuhause.

     Umso überraschter war ich, als der Wagen nach nicht allzu langer Zeit angehalten wurde und er ausstieg und für eine kurze Weile in einem großen Haus verschwand. Als er zurückkam, hatte er eine große Papiertüte in der Hand, in der irgendetwas Lebendiges zu sein schien. Er öffnete die hintere Tür und übergab ihr die Tüte. Neugierig hatte ich mich aufgerichtet und auf die Hinterbeine gestellt, um über den Rand des Kartons hinweg besser sehen zu können, was denn in der Tüte so Geheimnisvolles verborgen war. Da sah ich zunächst zwei kleine Pfötchen und wenig später ein kleines Katzenköpfchen aus der Tüte herausschauen. Kaum hatte das kleine Kätzchen mich entdeckt, da begann es zu fauchen und machte mit den kleinen Pfötchen einige Versuche, mich zu erreichen und mit den ausgefahrenen Krallen zu verletzen. Erschrocken ging ich erst einmal in Deckung, ehe ich erneut vorsichtig über den Kartonrand hinweg das giftige Kätzchen ins Visier nahm.

     „Das wird wohl noch eine Weile dauern, bevor die beiden sich verstehen“, hörte ich ihn sagen.

     „Hast du schon mal über Namen für die beiden nachgedacht?“, fragte sie ihn.

     „Nein, noch nicht“, hörte ich ihn erwidern. „Wie wäre es, wenn jeder von uns eines der beiden benennen würde?“

     Sie schien darüber nachzudenken. „Okay – du den Kater und ich die Hündin“, sagte sie schließlich.

     „Dann heißt der kleine Tiger ab heute Romulus“, sagte er, und es klang beinahe etwas feierlich. „Wie Romulus der Gründer von Rom war, so soll er der Mitbegründer unseres neuen, kleinen Tierreichs sein.“

     Sie schien ein wenig zu lachen. „Gut, gut, du Möchtegernhistoriker, dann setze ich mit meiner Namensfindung auf Kontrast: ‚Natascha’ scheint mir angemessen zu sein, die Koseform für Natalja.“

     „Dann hätten wir also Rom und Moskau unter ein gemeinsames Dach gebracht – große Weltpolitik im Kleinen. Das finde ich gut.“

     Dann war das also geklärt: Ich hieß ab sofort Natascha – wie ich das fand, schien nicht weiter zu interessieren – und das unfreundliche, kleine Raubtier würde in Zukunft auf den Namen ‚Romulus’ hören. Nun fehlten nur noch die Namen unserer beiden neuen Besitzer. Ich beschloss, nun den europäischen Gedanken entsprechend zu erweitern und nannte für mich ab sofort sie ganz britisch ‚Mary’ und ihn ganz französisch ‚Eugen’ (sprich: Oeschän). Zwar ahnten beide nichts von meiner Namensgebung, aber das war ja auch nicht weiter wichtig. Hauptsache: Ich konnte jetzt das etwas unpräzise Sie und Er aufgeben.

     Es dauerte eine ganze Weile, ehe Eugen den Wagen in eine Einfahrt hineinsteuerte und neben einem Weg, der aus Steinplatten bestand und in der Verlängerung zur Eingangstreppe eines freistehenden Hauses führte, anhielt. „So – Endstation“, sagte er, „wir sind da. Hier ist künftig euer neues Zuhause. Und“ – fügte er hinzu, „ich hoffe doch wohl ganz stark, dass ihr euch gut vertragt.“ Damit gab er Mary ein Zeichen, Karton und Tüte in kleinem Abstand voneinander auf der Wiese neben dem Haus abzusetzen. Offenbar wollten die beiden prüfen, ob wir uns tatsächlich vertragen würden.

     Ich stützte mich mit den beiden Vorderpfoten am Rand des Kartons ab, was zur Folge hatte, dass der Karton, der jetzt ja nicht mehr von Mary gehalten wurde, umkippte und ich nach ein paar vorsichtigen Schritten auf dem Rasen stand. Das Gras war allemal besser als das Innere des Kartons, auch wenn es mich ein wenig in der Nase kitzelte, als ich versuchte, die neuen Gerüche in mich aufzunehmen, während ich die Schnauze ganz dicht am Boden hielt. So bemerkte ich auch erst viel zu spät, dass das Monster aus der Tüte direkt fauchend vor mir stand, das Fell aufgeplustert, den Rücken ganz hochgeschoben wie eine Brücke und ein Schwanz, der durch seine aufgestellten Haare mindestens doppelt so dick wirkte, wie er in Wirklichkeit war.

     Ich schaute mich ein wenig hilfesuchend nach Mary und Eugen um.

     „Lass sie mal, da muss sie jetzt selber durch. Die beiden werden sich schon noch aneinander gewöhnen“, hörte ich Eugen sagen.

     ‚Na toll’, dachte ich, ‚und wenn mich das Monster jetzt verprügelt?’ Ich bellte den kleinen Romulus mit meiner kindlichen Stimme an, was dazu führte, dass er zunächst erst einmal erschrocken zurücksprang. ‚Aha’, dachte ich, ‚das geht ja ganz einfach. Wenn er mich anfaucht, brauche ich nur zu bellen, und schon zieht er sich zurück.’

     Romulus brachte sich erneut in Stellung, indem er sich quer zu mir hinstellte, sich wieder aufplusterte, um mich einzuschüchtern. Dazu hatte er sein kleines Maul aufgerissen und fauchte mich böse an.

     Dieses Spielchen wiederholte sich noch mehrmals, ohne dass es mir eine größere Annäherung ermöglicht hätte. Da griff Mary ein. „Ich glaube, das ist im Moment noch eine viel zu große Stresssituation. Wir sollten ein wenig mithelfen, die beiden zusammenzubringen. Nur so werden sie rasch merken können, dass sie sich nicht voreinander fürchten müssen. Eugen nickte und fasste mich mit beiden Händen links und rechts an, um mich vorsichtig an Romulus heranzubringen, der ganz ähnlich von Mary gehalten wurde. Zwar fauchte der kleine Kerl noch immer, ließ mich aber doch so nah an sich heran, dass ich an ihm herumschnuppern konnte, um mir seinen Körpergeruch einzuprägen. Dann hielt mich Eugen ihm ebenfalls buchstäblich unter die Nase, was ich zunächst nicht unbedingt allzu prickelnd fand. Aber immerhin hatte das Fauchen aufgehört, die Krallen waren nicht mehr ausgefahren und dank der beruhigend wirkenden Stimme, mit der Mary auf Romulus einsprach, durften wir uns nun kurz darauf auch direkt anschauen und uns schließlich sogar mit unseren Nasen anstupsen, ohne dass gleich wieder das Theater mit dem Fauchen und Bellen von vorne begann.

     „Das ist doch schon mal ein guter Erfolg“, ließ sich Eugen vernehmen. „Jetzt können wir es ja noch einmal probieren und die beiden einander gegenüber ins Gras setzen.“ Prompt setze er mich im Gras ab und Mary tat das Gleiche mit Romulus. Ich ging vorsichtig auf ihn zu, jederzeit bereit, mich wegzuducken, sollte er wieder auf die Idee kommen, mich mit ausgefahrenen Krallen zu verprügeln. Aber nichts dergleichen geschah. Ich legte mich flach auf den Bauch, die Vorderpfoten weit nach vorn gestreckt, die Hinterpfoten sicherheitshalber angewinkelt, um im Notfall doch noch aufspringen zu können, und schaute ihn freundlich an. Und tatsächlich: Romulus stakste vorsichtig auf mich zu, beschnupperte mich von vorn nach hinten und versuchte, meinen Schwanz an die Seite zu schieben, um mich auch dort besser mit der Nase wahrnehmen zu können. Ich versuchte nun, durch eine kleine Drehung, dasselbe auch bei ihm zu machen und wedelte gleichzeitig mit meinem Schwanz zum Zeichen, dass ich das in friedlicher Absicht tun wollte. Für einen kurzen Moment richtete er sich wieder mit einem leichten Fauchen auf, begann aber dann doch recht schnell, mit meinem Schwanz zu spielen, indem er versuchte, ihn mit seinen kleinen Tatzen zu fangen und festzuhalten. Das fand ich nun wiederum äußerst lustig, ich sprang auf die Beine und versuchte so zum einen, ihm meinen Schwanz als Spielzeug wegzunehmen, zum anderen aber auch, um zugleich nun meinerseits seinen Schwanz zu fangen. Daraus entwickelte sich ein interessantes Spiel: Jeder von uns beiden versuchte, hinter den jeweils anderen zu gelangen, um dessen Schwanz zu fassen. Schließlich sauste Romulus unerwartet davon und versuchte, auf einen nahegelegenen Obstbaum zu klettern. Zwar hatte ich ihm direkt nachgesetzt, aber klettern konnte ich nun mal gar nicht, und so musste ich bellend kapitulieren. Ich hörte Mary und Eugen laut lachen. Irritiert stellte ich mein Bellen ein, legte mich flach auf den Bauch, wobei ich meine Schnauze etwas verlegen auf meine Vorderpfoten absenkte. Romulus nutze den Augenblick aus, sprang vom Baum herab und stürzte sich auf meinen Rücken. Seine Scheu vor mir war mit einem Mal ganz verschwunden und ich spürte, dass das der Beginn einer großen Freundschaft werden würde.

 

Kap. 02 - Das Wäldchen

    

     Es dauerte eine kleine Weile, bis wir uns einigermaßen eingelebt hatten. Ich hatte ein richtiges Schlafkörbchen bekommen, in dem ich mich auf Anhieb wohlfühlte. Für Romulus gab es gleichfalls ein Körbchen, das allerdings etwas kleiner ausgefallen war. Nun ja, ich war ja auch etwas größer als er, und so schien mir das auch nur eine logische Konsequenz zu sein.

     Nicht ganz so sah es Romulus, der sein Körbchen zunächst nicht annehmen wollte, sondern sich einfach in meinem Körbchen an mich kuschelte. Ich kann jetzt nicht unbedingt sagen, dass mir das unangenehm war, aber eigentlich ging es mir um das Prinzip. Und so versuchte ich, ihn aus meiner Schlafstätte hinauszudrängen. Romulus schien diesen dabei zwangsläufig entstehenden Körperkontakt zu genießen, denn er hielt kräftig dagegen. Dabei drang ein Geräusch an meine Ohren, das recht gefährlich klang. Ich begann zu knurren, um anzuzeigen, dass hier eine Grenze bereits überschritten war. Auch Romulus knurrte, wie ich meinte. Erst nach und nach begriff ich aber, dass sein Knurren – die Menschen nannten es Schnurren – Wohlbehagen ausdrückte, während mein Knurren, das ganz ähnlich klang, Gefährlichkeit vermitteln sollte. Wir sprachen also offensichtlich eine unterschiedliche Sprache, die wir erst einmal vom jeweils anderen lernen mussten, um Missverständnisse zu vermeiden.

     Ganz ähnlich verhielt es sich auch mit unserer sehr unterschiedlichen Körpersprache, wie ich schon beim gestrigen Spielen bemerkt hatte: Wenn Romulus seinen Schwanz hin und her bewegte, mit ihm gleichsam ‚wedelte’, so war das keineswegs ein Wedeln, wie ich es von uns Hunden her kannte. Wenn wir wedelten, so war das eine freundliche und friedliche Sympathiekundgebung im Sinne von: ‚Hallo, ich mag dich, ich finde dich nett und möchte mit dir spielen.’ Romulus dagegen und vermutlich auch die anderen Katzen bewegten ihren Schwanz oder besser: Sie peitschten mit ihrem Schwanz hin und her, kurz bevor sie zum Angriff übergingen. Auch diesbezüglich gab es also rasch Missverständnisse, aus denen ich aber schnell lernte: Nachdem ich von Romulus aufgrund dieses Missverständnisses etliche ‚Ohrfeigen’ erhalten hatte, habe ich auch das verstanden: Wenn zwei Tiere mit dem Schwanz wedeln, muss das nicht dasselbe bedeuten, schon gar nicht bei einer Katze und einem Hund.

     Wir lernten erstaunlich schnell voneinander. Faszinierend war für mich auch die Tatsache, dass Romulus mich immer wieder einholte, wenn wir fangen spielten. Eigentlich war ich ja der Jagdhund und er nur ein Kater. Dennoch schaffte er es immer wieder, mich zu fangen bzw. im Laufen umzuschubsen. Ich legte mich auf den Bauch, schnappte nach Luft und überlegte immer wieder, wie das möglich sein konnte, bis ich endlich begriff, dass unsere Art, jemanden zu jagen, ganz unterschiedlich war. Während ich mit der Nase ganz dicht am Boden dem Geruch folgte, den seine Spur automatisch hinterließ, verfolgte mich Romulus mit den Augen. So sah er, wenn ich einen Haken schlug und kürzte ganz einfach die Strecke ab, indem er nicht exakt meiner Spur folgte, sondern den Haken gar nicht erst mitmachte. Während ich beispielsweise also geradeaus und dann scharf nach links abbog, lief Romulus, sobald er meine Abbiegeabsicht bemerkte, direkt schräg nach links und verkürzte so den Abstand zu mir. Nachdem das drei- bis viermal so geschehen war, hatte er mich natürlich.

     Ich beschloss, dieses ‚Verfahren’ bei dem nächsten Verfolgungsspiel gleichfalls auszuprobieren, und siehe da: Schon nach drei Haken hatte ich ihn. ‚Pfiffig’, dachte ich, ‚der kleine Kerl ist wirklich pfiffig. Ich kann vielleicht noch einiges von ihm lernen.’

     Die Tage und Wochen gingen dahin und der Sommer ging langsam zu Ende. Mit Mary und Eugen hatten wir inzwischen die nähere Umgebung außerhalb des Gartens erkundet, Nachbarn, vor allem Nachbarkinder kennengelernt, die uns ach so ‚niedlich’ und ‚putzig’ fanden, was Romulus durchaus mit seinem lauten Schnurren wohlwollend zur Kenntnis nahm, während mir das eher unangenehm war. Natürlich erduldete ich das auch freundlich. Doch ehrlich gesagt ging es mir eher um die Belohnung dabei: ein Stückchen Fleisch, Wurst oder Ähnliches. Das war es mir dann doch wohl wert.

     Eines Tages gingen wir ein Stückchen weiter vom Haus weg, ich angeleint, Romulus ohne Leine neben mir, was ich im Übrigen eigentlich ungerecht fand. Nach etwa fünfhundert Metern betraten wir einen in meinen Augen riesigen Wald, wie ich noch nie zuvor einen zu sehen bekommen hatte. Erstaunt setzte ich mich hin und auch Romulus hielt an, drehte sich um und rieb sich schnurrend an mir. Eugen löste die Leine und setzte seinen Weg fort. Natürlich erwartete er, dass wir ihm sofort folgten. Als ich noch immer sitzen blieb, pfiff er laut, und das bedeutete: ‚Komm – aber sofort! Widerstand ist zwecklos!’ Nun ja, da half kein Sitzstreik, da musste ich wohl oder übel gehorchen, wenn ich ihn nicht unnötig verärgern wollte. Also setzte ich mich wieder in Bewegung, dicht gefolgt von Romulus, und betrat neugierig an der Seite von Eugen den Wald.

     Keine Sonnenstrahlen vermochten die Baumkronen zu durchdringen – es kam mir vor wie im Dämmerlicht unseres Hausflures. Aber die Gerüche – himmlisch! So viel Unterschiedliches war mir bislang noch nie unter die Nase gekommen. Während ich das Laub mit der Nase am Boden durchstöberte, sprang Romulus eher ziellos darüber hinweg. Obwohl ich mein Hauptaugenmerk auf das Laub unter meiner Nase gerichtet hielt, entging mir nicht, wie Romulus etwas seitlich von mir herumtollte. Da sah ich ihn auf einmal mit allen Vieren gleichzeitig steil nach oben in die Luft springen, als wollte er irgendjemandem oder etwas ausweichen. Neugierig hob ich die Schnauze hoch und trottete in seine Richtung. Da nahm ich unmittelbar vor mir einen mir bislang fremden Geruch wahr. Und während ich noch überlegte, woher dieser kommen mochte, bewegte sich vor mir etwas im Laub. Instinktiv machte ich einen Satz darauf zu und hatte unter meinen Pfoten ein kleines Etwas, das quiekte und sich gegen mich zu wehren versuchte.

     Eugen