Für Siegfried

Text: Ingeborg Bauer

Fotos: Siegfried und Ingeborg Bauer

Layout: Ingeborg Bauer

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© 2016 Ingeborg Bauer

Herstellung und Verlag BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-743-12081-5

Inhaltsverzeichnis

AUGEN BLICKE

Augenblicke, das Wort enthält den Begriff der Augen, im Blick das Sehen. Der Blick fällt auf etwas, kann aber auch bewusst auf etwas gerichtet sein. Augen sind, soweit wir es überblicken können, von außerordentlicher Bedeutung, seit der Mensch versucht, den Menschen darzustellen, sich ein Bild von ihm zu machen. Mit dem Auge erobert der Mensch die Welt, das innere Auge schafft Vorstellungen, Visionen, führt den Menschen schon früh über die reale, die materielle Welt hinaus in eine Transzendenz. Hat er einmal die Fragen nach dem Woher und Wohin gestellt, ist er sich seines Soseins, seiner Identität bewusst geworden, so steht er dem eigenen Ungenügen, den Grenzen seines Menschseins gegenüber. Es ist wohl zu allen Zeiten das Auge gewesen, das der Mensch als das wichtigste Organ der Erkenntnis betrachtet hat.

Unter „Augenblicke der Menschheit“ wollte ich in einem ersten Teil die entscheidenden Momente in der Geschichte des Homo sapiens verstehen, wesentliche Übergänge in der Entwicklung. Allerdings ist schon in der Bronzezeit im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds nicht zu übersehen, dass die Augen in der figurativen Kunst eine betonte Hervorhebung erfahren, so dass mit den ‚Augenblicken der Menschheit’ auch die Augen selbst als wesentliche Momente in der Darstellung des Menschen fungieren. Die etwa 300 Votivgaben, die im Augentempel von Tell Braq (ca. 3500 – 3300 v.Chr.) im Nordosten Syriens gefunden wurden, belegen das. Seit Tell Braq ist die gesteigerte Hervorhebung der Augen, die auch die Aufnahme eines Kontaktes zwischen Mensch und Gottheit signalisiert haben mag, - erkennen und erkannt werden -, ein wesentliches Charakteristikum der Kunst des Zweistromlands und des Nahen Ostens.

Dies setzt sich im Laufe der Antike fort. Auch in der Bibel spielen das Auge und das Sehen eine bedeutende Rolle. Die wichtigste Wortwurzel für „sehen“ (r’ah) kommt allein 1300mal vor, die für „hören“ etwa 1160mal. Das Wort für Auge (‚ajín) ist 866mal belegt, das Wort für Ohr nur 187mal. Damit wäre bewiesen, dass auch im Bereich der Schriftlichkeit, der Literatur, das Auge und der Sehsinn eine herausragende Bedeutung haben.1

Teil II beschäftigt sich mit der Kultur Europas, wo Gesicht und Augen weiterhin und vor allem im Porträt eine große Rolle spielen. Es ist die Renaissance, die dem Einzelnen ein Gesicht gibt. Es ist bekannt, dass Leonardo da Vinci ein ganz besonderes Interesse am menschlichen Antlitz zeigte. Er studierte den Schädel und ließ den Sehnerv in drei fiktive Geheimkammern münden. Die erste Kammer versammelte in verdichteter Form alle Sinne. Für den Meister sitzt direkt hinter dem Auge die Seele des Menschen. Die zweite Kammer beherbergt den Intellekt, die dritte die Erinnerung. Der Wissenschaftler Leonardo sah im Auge die wesentliche Möglichkeit, den Menschen als solchen und die Welt im weitesten Sinne zu ergründen.

Mit dem Porträt verwandt ist die Maske, hinter der der Einzelne verschwindet, das Auge verlustig geht, zur Leerstelle wird. Dem Sich-Verbergen hinter einer Maske, einem anderen, fremden Gesicht, können unterschiedliche Motivationen zu Grunde liegen. Der Einzelne kann sein Gesicht hinter einem Allgemeinen, Typischen verdecken. Hierzu gehört die Theatermaske der Griechen und Römer. Der Schauspieler verschwindet hinter einer künstlichen Figur. In der Commedia dell’ Arte bezeichnet die Maske den Typus. In Karneval und Fasching verbirgt sich der Mensch hinter der Maske, die ihm Anonymität gewährt. Auch für den Kriminellen ist die Gesichtsmaske Versteck. Die Masken der afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Ureinwohner machen den Träger zum Schamanen, rücken die Maske in einen transzendenten Bereich, der mit Göttern und Ahnen in Kontakt treten möchte. Ähnliche Funktionen hatten vermutlich die Urmütter der Frühzeit, die Idole der Bronzezeit. Sie sollten Schutz bieten, Übel abwehren, apotropäische Wirkung zeigen.

Der erste Eindruck, den wir von einem Menschen haben, geschieht in der Regel durch den Augenkontakt. In der Renaissance wird das Gesicht eines Menschen, der nicht mehr in den Kanon des Christentums gehört oder Teil der Mythologie ist, zum Thema. Damit gewinnt das Auge an individueller Bedeutung, wird zum wesentlichen Bestandteil des Charakters einer Person. Am Beginn dieser Entwicklung steht die Profildarstellung, die in den alten Kulturen schon von Bedeutung ist. Freilich gehört zum Porträt immer auch der ganze Mensch, für den das Auge allerdings von herausragender Bedeutung ist. Darum nehmen meine Beobachtungen immer wieder die Darstellung des ganzen Körpers auf.

In Teil III wird es um die Weiterentwicklung von Gesicht und Maske, der unterschiedlichen Darstellung des Kopfes in der Moderne gehen, die zum Teil anknüpft an frühe Kulturen, um sie ins 20. und 21. Jahrhundert zu transformieren. Zum andern führt sie in der Folge von Kubismus und Surrealismus zu einer Zerlegung, zu einer Auflösung bis zum Verschwinden. Reisen, Schauen, Lesen und über das Erfahrene reflektieren – so ergeben sich persönliche Schwerpunkte. Die Beschäftigung damit macht ein Ordnen der Eindrücke unerlässlich.


1 Silvia Schroer/Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel (Darmstadt 22005) S.94

Das Porträt

Das Gesicht spiegelt das Leben eines Menschen wieder, so möchte man glauben, obwohl jedes Porträt, wie jeder Mensch, Teil eines Geheimnisses bleibt. Doch ermöglicht ein Porträt in gewisser Hinsicht eine gesellschaftliche und psychologische Einordnung. Falten dienen der altersabhängigen Darstellung, tragen aber auch zu einer phänotypischen Charakterisierung bei. Bringen wir der Person Sympathie entgegen oder entwickeln wir eine Antipathie? Hat die Person etwas Dominantes? Der Porträtmaler seit der Renaissance versucht eine solche Einordnung. Im Allgemeinen wird er dazu eine direkte Konfrontation mit dem zu Porträtierenden suchen. Die Mimik, die Lebendigkeit eines Gesichts, ist dabei hilfreich. Vor Jahren sah ich auf der Documenta in Kassel Fotografien einzelner Personen, danach Videoclips derselben Personen, die ohne willentliche Bewegung einfach dastanden. Und doch war der Eindruck des Videos in jedem Falle aussagekräftiger, weil das Gesicht durch eine minimale Bewegung etwas von sich preisgab, das in der Statik des Fotos nicht so deutlich wurde. Nach dem ‚Facial Action Coding System’ (FACS), auf Deutsch ‚Gesichtsbewegungs-Kodierungssystem’ unterscheiden Psychologen 44 unterschiedliche Bewegungen der Gesichtsmuskeln, wobei der obere Teil des Gesichts zu zwölf Bewegungen fähig ist, der untere zu 32. Auf dieser Basis lässt sich offenbar der mimische Ausdruck objektiv beschreiben und automatisch – etwa mit der Kamera – erfassen. Das gilt auch für die sechs wesentlichen menschlichen Emotionen: Freude, Trauer, Wut, Angst, Ekel und Überraschung. Dabei bleibt allerdings die Ursache für die jeweilige Empfindung im Dunkeln und damit eine Einordnung in das Gesamtbild einer Person offen.2

Hegel schreibt in seiner „Ästhetik“, dass ein Porträt Ausdruck des individuellen und geistigen Charakters sein müsse. Modell und Bildnis stehen im traditionellen Porträt in einer Ähnlichkeitsrelation. Allerdings wird ein Künstler stets eine gewisse Unabhängigkeit von der reinen Abbildung des Äußeren bewahren. Porträtieren bedeutet, etwas in ein Bild umwandeln, etwas ersinnen, entwerfen, eine Fiktion erstellen und schließt eine Ebene dahinter mit ein. Ein Bildnis von einem Menschen geht über ihn hinaus, macht, wenn es gelungen ist, etwas sichtbar, das nicht unmittelbar im Äußeren wahrnehmbar ist: es transzendiert.

Und dies ist die Ursache für die religiös motivierte, die abergläubische Dimensionen annehmende Furcht davor, sich abbilden zu lassen. Es ist die Angst, durch eine bildliche oder sprachliche Fixierung an Substanz zu verlieren, festgelegt zu sein, Fesseln angelegt zu bekommen. Im Extremfall führt das zum bösen Blick, zu afrikanischen Voodoo-Techniken. Aber das biblische „Du sollst dir kein Bildnis machen“ ist nicht auf den christlichen Gott beschränkt, sondern findet sich auch im Tagebuch eines Max Frisch, der es in seinen Romanen thematisiert.

Porträtkunst erlebt ihre Blüte in der Renaissance. Mit dem Emporkommen des Bürgertums tritt das Individuum selbstbewusst ins Zentrum. Porträts werden zu Darstellungen von Macht, die von Einzelpersonen in Auftrag gegeben und finanziert werden, um Führungspositionen zu bekräftigen. Porträts können nun auch bestimmte Tugenden verkörpern und so symbolischen Wert gewinnen.

Zunächst ist die Profildarstellung bestimmend. Vor allem Frauen wurden im Profil dargestellt. Auf diese Weise wurde die Intimität des direkten Blickes vermieden. Auch auf den Wänden der altägyptischen Totenkammern erscheinen die Gesichter des Verstorbenen und seiner Familie im Profil. Der Betrachter aber blickt ihm direkt ins Auge. Denn obwohl das Gesicht im Profil gezeigt wird, werden Schulterpartie und Auge frontal dargestellt. Auch im Bereich des Zweistromlands wird so verfahren. Die Vasenmaler des alten Griechenland erzählen ihre Geschichten, indem sie die Protagonisten im Profil zeichnen. Auch das spricht für den Einfluss Ägyptens und des Orients auf die Völker der Ägäis und darüber hinaus auf die Moderne.

Die ägyptischen Mumienporträts zur Zeit der römischen Herrschaft allerdings sind Büstenporträts in Frontalansicht, was sich aus der Funktion ergibt: der Verstorbene ist auf den Rücken gebettet. Hier haben wir es zumindest teilweise mit Porträts zu tun, die Abbildcharakter haben. Aber schon zwischen dem 16. und 11. Jahrhundert v.Chr. ist die Porträtkunst in Ägypten im Schwange. Die erste als Modell gearbeitete Porträtbüste, die wir kennen, entsteht um 1400 v.Chr., die der Nofretete. Danach kommt die Totenmaske des Tutanchamun, die wohl keine dem Toten abgenommene Maske darstellt, sondern einem zeit- und kulturtypischen Idealantlitz entspricht.

Die griechische Kunst schafft in erster Linie Idealporträts. Im Hellenismus erhalten Münzen die Aufdrucke der Herrscher im Profil. Bei den Römern gibt es dann die Totenmasken, wie wir sie in den ägyptische Mumienporträts haben. Aus ihnen entwickelt sich das Porträt losgelöst von der Funktion als Sargschmuck. An den Kaiserbildern kann man keinen Alterungsprozess erkennen. Es handelt sich also in erster Linie um an einen Typus gebundene Idealporträts. Allerdings kennt die römische Spätzeit durchaus das realistische Porträt, das nicht vor der Grenze zum Hässlichen zurückschreckt.

Römische Kopien griechische Originale; rechts der stoische Philosoph Chrysippos, ca, 288-208 v.Chr.

Durch das Christentum erhält das Porträt zumindest teilweise eine religiöse Konnotation. Im 12. Jh. beginnt der Siegeszug des ‚volto santo’,3 des Mandylion, das von Byzanz über Ravenna in den Westen gelangt, wo es sich rasch ausbreitet. Auf diesem Wege kommt die Ikonenmalerei in den Westen. Ikonen folgen einem festgelegten Kanon, wollen nicht Abbild sein, sondern Sinnbild. Der überdimensionale Pantokrator blickt den Gläubigen an, wo immer er steht. Von Gott selber darf der Mensch sich kein Bildnis machen, wohl aber von seinem Sohn. Sein Gesicht folgt einer bestimmten Idee, einem bestimmten Ideal, dem Mandylion.4

Im Mittelalter sind auf das Individuum bezogene Porträts, abgesehen von den Herrschenden, eher selten. Erst mit der Renaissance tritt der Einzelne als abbildwürdig in den Mittelpunkt. Jetzt ist es auch der Bankier und der Kaufmann, der Porträts in Auftrag gibt. Indem das Bürgertum an Selbstbewusstsein gewinnt, lässt es sich wohl mit dem Gedanken an ein Fortleben in der Erinnerung der Nachfahren abbilden, wobei eine Idealisierung nicht auszuschließen ist. Das säkularisierte Porträt wirft nun die Frage nach der Identität, nach der Individualität auf, nach der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit des Menschen. Die Frage, wie sich Inneres im Äußeren darstellen lasse, stellt sich und wird unterschiedlich angegangen. Auch in Mitteleuropa setzt sich dieser Trend zum Porträt durch. Man denke nur an die vielen Selbstporträts von Malern wie Albrecht Dürer und Rembrandt. Das Selbstporträt dient einerseits der Selbstwahrnehmung, ist aber zugleich auch Spiegelbild der Gesellschaft, beschäftigt sich mit Status und Außenseiterpositionen. In der Renaissance wird das Ich zum Thema der Kunst. Im 20. Jahrhundert übernimmt die Photographie weitgehend die Aufgabe des Malers.

Rainer Malkowski bemerkt kritisch über Porträts und Selbstporträts im Besonderen, dass die Komplexität der dargestellten Person immer auf der Strecke bleibe, also nie völlig zur Darstellung gelange. Darüber hinaus seien Selbstporträts weniger eine individuelle Seelenauskunft über den Maler als vielmehr ein Widerschein des Lebensrätsels.5

Zurück zu den Ursprüngen: Das Porträt als Profil findet sich früh schon auf Münzen, wo es Herrscherpersönlichkeiten abbildet. Dabei ist die Abbildung meist Fiktion, Zeichen, kaum mimetische Darstellung, Abbild. Das Porträt erstellt eine Fiktion, die seine Wahrheit ausmacht. Fiktion und Figur sind sprachlich gleicher Herkunft und haben im Grunde fast dieselbe Bedeutung. Das Porträt ist eine Fiktion, d.h. eine Figuration, eine Modellierung (fingo, fictum) und Inszenierung.6

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