Der Naturwissenschaftler Dipl.-Math. Klaus-Dieter Sedlacek, Jahrgang 1948, studierte in Stuttgart neben Mathematik und Informatik auch Physik. Nach fünfundzwanzig Jahren Berufspraxis in der eigenen Firma widmet er sich nun seinen privaten Forschungsvorhaben und veröffentlicht die Ergebnisse in allgemein verständlicher Form. Darüber hinaus ist er der Herausgeber mehrerer Buchreihen unter anderem der Reihen „Wissenschaftliche Bibliothek“ und „Wissenschaft gemeinverständlich“.

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Originalausgabe

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7431-2224-6

Inhaltsverzeichnis

  1. Archimedes
  2. Nikolaus Kopernikus
  3. Galileo Galilei
  4. Johannes Kepler
  5. Christiaan Huygens
  6. Isaac Newton
  7. Michael Faraday
  8. Robert Mayer
  9. Hermann von Helmholtz
  10. Albert Einstein

Archimedes, Domenico Fetti, 1620, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden

I. Archimedes

Der Forscher Archimedes kann schon im modernen Sinne Naturforscher genannt werden. In seinen Händen wurde die Mathematik zur mächtigen Waffe, mittelst welcher er die stereometrischen Verhältnisse der Körper, sowie einzelner mechanischer Probleme erforschte.

Archimedes wurde zu Syrakus auf Sizilien geboren um das Jahr 287 v. Chr. Er war ein Verwandter von Hiero II., dem Beherrscher von Syrakus. Leider ist es sehr wenig, was wir von dem Leben des außerordentlichen Mannes wissen. Einzelne Bemerkungen und Anekdoten, ferner die ausführlicheren Mitteilungen über ihn finden wir in der Beschreibung der Belagerung von Syrakus durch die Römer. Unsere Quellen über die Biografie des Archimedes sind bloß Plutarchos in der Biografie des Marcellus, Polybios in seiner Geschichte), Livius und Vitruvius in seinem Werke „Über die Baukunst“ (De architectura). Des Archimedes eigene Werke hingegen bieten auch nicht den kleinsten Anhalt zu einer Biografie ihres Verfassers. Wenn nun die Schriftsteller des Altertums über die Lebensverhältnisse des Archimedes nichts zu berichten wissen, so erzählen sie doch in kurzen Bemerkungen und Geschichtchen so manches, was zur Charakterisierung unseres Gelehrten dient, wiewohl man es denselben Allen anmerkt, dass sie mit einer gewissen Geflissenheit ihren Helden als Ausbund der gelehrten Zerstreutheit und Unbeholfenheit darstellen. Es wird unter anderem von Archimedes erzählt, derselbe sei so zerstreut gewesen und habe sich derart in seine geometrischen Untersuchungen vertiefen können, dass man ihn an die Erfüllung der notwendigsten Lebensbedürfnisse erinnern musste.

Dem Archimedes wird die Erfindung des nach ihm benannten Flaschenzuges oder Polyspaetes zugeschrieben. Plutarch in der Biografie des Marcellus erzählt, dass der Erfinder in jugendlich überströmendem Gefühl seiner geistigen Kraft in den Ausruf ausgebrochen wäre: „Gebt mir einen festen Punkt und ich werde die Erde aus ihren Angeln heben.“ Hierοn wollte sehen, wie man mit einer kleinen Kraft eine große Last bewältigen könne, wie dies Archimedes behauptete. Zu diesem Berufe wurde nun eine von des Königs großen Triremen mit Menschen und toter Last schwer beladen, worauf er dieselbe vermittelst seines Flaschenzuges mit leichter Mühe an das Ufer zog. Als hieraus der König die große Geschicklichkeit und Erfindungsgabe des Archimedes im Konstruieren von verschiedenen Mechanismen erkannte, betraute er denselben mit der Anfertigung verschiedener Kriegsmaschinen, besonders solcher, welche zur Verteidigung der Stadt im Falle einer Belagerung dienen möchten. Diese Vorrichtungen waren alle des Archimedes Erfindung oder beruhten zum Mindesten auf wesentlichen Verbesserungen schon vorhandener Maschinen. Hieron II. war ein kluger und umsichtiger Fürst, seine lange Regierung verfloss ohne irgendwie nennenswerte Kämpfe und so wurden die Maschinen des Archimedes während dieser Zeit nicht in Anspruch genommen. Trotzdem sollte der Verfertiger derselben noch in die Lage kommen, die letzten Jahre seines Lebens der Verteidigung seiner Vaterstadt zu widmen.

Archimedes galt im Altertum als einer der ingeniösesten Geometer. Ihm verdankt man die angenäherte Flächenberechnung der Kreisfläche und der Länge der Peripherie, ferner die Bestimmung des Volumenverhältnisses zwischen einer Kugel und dem dieselbe einschließenden Zylinder. Letztere Entdeckung schätzte er selbst so hoch, dass er seine Freunde und Verwandten bat, nichts auf sein Grab zu setzen, als den Zylinder, der die Kugel einschließt, und die Verhältnisangabe von dem Raumüberschuss des einschließenden Körpers zu dem eingeschlossenen.

Am verbreitetsten ist wohl jene Erzählung, welche angibt, wie Archimedes das hydrostatische Grundgesetz, das seinen Namen trägt, entdeckt haben soll, jenes. Gesetz, dem zufolge jeder in Flüssigkeit getauchte Körper von seinem Gewichte so viel verliert, als die von ihm verdrängte Flüssigkeit wiegt. Wir finden diese Erzählung in des Vitruviins Werk „'Über die Baukunst (De architectura lib. 9, Vorwort 9—12): „Als nämlich Hiero, nachdem er zu königlicher Macht erhoben worden, „für seine glücklichen Taten einen goldenen Kranz, den er gelobt hatte, „in irgendeinem Heiligtum weihen wollte, ließ er diesen gegen Arbeitslohn anfertigen und wog das dazu nötige Gold dem Unternehmer genau vor. Dieser überlieferte seiner Zeit das zur vollen Zufriedenheit „des· Königs gefertigte Werk, und auch das Gewicht des Kranzes schien „genau zu entsprechen. Als aber später Anzeige gemacht wurde, es sei 9 Unzen Gold unterschlagen und dafür bei der Herstellung des Kranzes ebenso viel Silber beigemischt worden, da beauftragte Hiero, aufgebracht darüber, hintergangen worden zu sein, ohne einen Weg finden zu können, jene Unterschlagung zu erweisen, den Archimedes, die Ausfindigmachung eines solchen Überführungsweges auf sich zu nehmen. Dieser, damit eifrig beschäftigt, kam nun zufällig in ein Bad, und als er dort in der Wanne hinabstieg, bemerkte er, dass das Wasser in gleichem Maße über die Wanne austrete, in welchem er seinen Körper mehr und mehr in dieselbe niederließ. Sobald er nun auf den Grund dieser Erscheinung gekommen war, verweilte er nicht länger, sondern sprang von Freude getrieben aus der Wanne, und nackend seinem Hause zulaufend, zeigte er mit lauter Stimme an, er habe gefunden, was er suche. Denn im Laufe rief derselbe auf Griechisch aus: Ich habe es gefunden!“

„Dann soll er, von jener Entdeckung ausgehend, zwei Klumpen von demselben Gewicht, wie sie der Kranz hatte, den einen von Gold, „den andern von Silber zusammengestellt haben. Nachdem er dies getan, füllte er ein weites Gefäß bis an den obersten Rand mit Wasser „und senkte dann den Silberklumpen hinein, worauf das Wasser in gleichem Maße herausfloss, als der Klumpen allmählich in das Gefäß gebaucht wurde. Nachdem dann der Klumpen wieder herausgenommen „war, füllte er das Wasser um so viel, als es weniger geworden war, „das neu Zugegebene mit einem Sextar (= Pfundhorn, Messbecher) messend, wieder auf, sodass es „in gleicher Weise, wie früher, mit dem Rande in gleiche Höhe kam. „So fand er daraus, welches Gewicht Silber einem bestimmten Volumen „Wasser entspräche. Nachdem er dies erforscht hatte, senkte er den „Goldklumpen in ähnlicher Weise in das volle Gefäß, und als er auch „diesen herausgenommen, fand er, nachdem er das fehlende Wasser auf „dieselbe Weise vermittelst eines Hohlmaßes nachgefüllt hatte, dass „nun von dem Wasser nicht so viel abgeflossen war, sondern um so viel „weniger, als ein Goldklumpen von gewissem Gewicht ein minder großes „Volumen hat, als ein Silberklumpen von demselben Gewicht. Nachdem er hierauf das Gefäß abermals gefüllt und den Kranz selbst „in das Wasser gesenkt hatte, fand er, dass mehr Wasser bei dem „Kranze, als bei dem gleich wiegenden Goldklumpen abfloss, und entzifferte „so aus dem, was mehr bei dem Kranze, als bei dem Klumpen abfloss, die Beimischung des Silbers zum Golde und machte die Unterschlagung „des Unternehmers offenbar“.1

Wir bringen die ganze Stelle aus Vitruvius in der treuherzigen Erzählung des alten Römers, da sie sich auf die Entdeckung eines allgemeinen hydrostatischen Gesetzes bezieht. Das Gesetz selbst oder vielmehr Probleme, welche auf dieses Gesetz fuhren, sind in der Abhandlung des Autors: „Von schwimmenden Körpern“ enthalten.

Zu den mechanischen Erfindungen des Archimedes werden die (Archimedische) Wasserschraube, der Flaschenzug sowie eine künstliche Vorrichtung gerechnet, welche die Bewegung der Himmelskörper veranschaulichte. Die Schrift, in welcher sich die Beschreibung dieses Apparates befand, ist leider spurlos verloren gegangen. Noch größere Bewunderung erregten jene Maschinen, mittelst welcher Archimedes seine

Vaterstadt gegen die belagernden Römer lange Zeit zu schützen imstande war.

Archimedische Schraube

Da Archimedes in der Geschichte der Belagerung der Stadt eine so hervorragende Rolle spielt, indem er dieselbe durch die Anwendung seiner Verteidigungsmittel ungemein in die Länge zog, so scheint es angemessen, die Geschichte dieser Belagerung, welche unserem Gelehrten ebenfalls das Leben kostete, etwas ausführlicher zu erzählen. Wir folgen hierbei im Allgemeinen der Erzählung des Polybios und Plutarchos2.

Es war zur Zeit des zweiten Punischen Krieges, Hannibal stand mit seinem Heere auf italischem Boden. Die Römer wählten den Marcellus zum zweiten Male zum Konsul, worauf dieser nach Sizilien ging, um zu verhüten, dass die Karthager auf dieser den Römern so wichtigen Insel den römischen Einfluss gänzlich untergrüben. Die wichtigste Stadt der ganzen Insel war Syrakus. Der jüngere Hiero, des Archimedes Freund und Anverwandter, der treue Bundesgenosse Borns, war nach 64-jähriger glücklicher Regierung gestorben. Da der Thronerbe Gelon schon vor seinem Vater gestorben war, folgte der Enkel des Fürsten: Hieronymus in der Regierung. Dieser trat offen zur Partei der Karthager über, seiner grausamen Regierung wegen wurde er jedoch schon nach 13-monatiger Herrschaftsdauer ermordet. Nach seinem Tode rissen anarchische Zustände ein, bis zur Ankunft des Marcellus. Diese Zustände wurden besonders von Hippokrates genährt, welcher trotz seiner syrakusischen Abstammung, da er in Karthago geboren, zu den Karthagern hielt. Hannibal hatte ihn als Gesandten zu Hieronymus geschickt, um diesen Fürsten den Römer n abtrünnig zu machen. Nach der Ermordung des Königs blieb Hippokrates in Syrakus und bemühte sich, die Herrschaft an sich zu reißen. Er ließ sich zum Befehlshaber der Syrakuser wählen, zog jedoch durch sein ungeschicktes, grausames Benehmen Marcellus als Feind vor die Mauern der Stadt, und zwar dadurch, dass er bei Leontini eine große Anzahl von Römern ermorden ließ. Marcellus nahm hierauf Leontini mit Sturm, ließ jedoch deren Einwohnern kein Leid widerfahren. Hippokrates eilte nun nach Syrakus und schüchterte durch seine lügenhafte Erzählung, dass Marcellus die ganze wehrfähige Bevölkerung des befreundeten Leontini über die Klinge habe springen lassen, die Syrakuser dermaßen ein, dass sie den Hippokrates baten, den Oberbefehl zu übernehmen und dieser somit die Stadt vollständig in seine Gewalt bekam. Nachdem es nun Marcellus ruhig nicht ansehen konnte, dass die mächtigste Stadt Siziliens in die Hände der Karthager gerate, zog er mit seinem Feldherrnkollegen Appius Claudius unter die Mauern der Stadt und begann die Belagerung zu Wasser und zu Lande.

Nachdem das römische Heer mit allem Belagerungsmaterial wohl versehen war, glaubte man die Belagerung in kurzer Zeit zu Ende fuhren zu können. Man hatte dabei jedoch nicht auf Archimedes gedacht, der nun mit der ganzen Wucht seines gewaltigen Geistes sich zur Verteidigung seiner Vaterstadt aufraffte und durch die mannigfaltigsten Mechanismen die Belagerer von den Mauern fernzuhalten verstand.

Appius zog mit 60 Fünfruderern gegen die unmittelbar in das Meer sich senkenden Mauern der „Achradina“ genannten Vorstadt heran. Von diesen wurden aus acht Schiffen durch Verkettung je zweier vier sogenannte „Sambyken“ (so genannt wegen ihrer Gestalt, die an ein „Sambyka“ benanntes Musikinstrument erinnert) hergestellt. Diese Sambyken bestanden aus einer aufrichtbaren breiten Leiter, welche auf dem durch Verankerung zweier Schiffe gebildeten Doppelschiffe lag und plötzlich aufgerichtet den Soldaten das Besteigen der Stadtmauer ermöglichte. In ähnlicher Weise, mit den Belagerungswerkzeugen jener Zeit bewaffnet, näherte sich Marcellus der Stadt von der Landseite her.

„Im Besitz so beträchtlicher Streitkräfte zu Wasser und zu Land „hätten die Römer, wenn der alte Mann (Archimedes) in Syrakus nicht „gewesen wäre, bald der Stadt sich bemächtigen können; da nun aber „der eine auf dem Platz war, so getrauten sie sich nicht einmal, einen „Versuch auf die Stadt zu machen, wenigstens nicht auf einem Wege, „auf dem ihnen Archimedes entgegentreten konnte.“ Mit diesen Worten deutet Polybios (lib. VIII., 9, a) an, weshalb die Römer ihr Ziel nicht erreichen konnten.

Archimedes verteidigte die Mauern der Stadt vermittelst seiner Maschinen mit solcher Geschicklichkeit und Energie, dass die Römer nach jedem Sturm mit großen Verlusten abziehen mussten. Unsere Gewährsmänner Plutarch und Polybios finden kaum genug Worte, um alle die verschiedenen Maschinen anzuführen und zu rühmen, welche Archimedes ersann, um den Feind von den Mauern der Stadt fernzuhalten. Für jede Entfernung berechnete Wurfmaschinen und Schleuder (Katapulte, Ballisten und Skorpione) trieben die römischen Soldaten zurück. Die Schiffe wurden durch vertikal wirkende Widderbalken in den Grund gebohrt oder durch „eiserne Hände“ aus dem Wasser gehoben, im Kreis gedreht und an den Felsen der Achradina zerschellt. Nach der Behauptung des Plutarch hätte Archimedes mit seinen Maschinen Steinblöcke von 10 Talenten Gewicht (circa 12 Ztr.) auf große Entfernung fortgeschleudert.

Als schließlich die Römer nach einem versuchten nächtlichen Sturm ebenfalls blutig zurückgeschlagen worden, verbreitete sich eine derartige Panik im Heer der Belagerer, dass ein jedes Tauende, das irgendwo über die Mauer herabhing und jedes vorstehende Balkenstück die Flucht der Angreifenden veranlasst, da sie glaubten, Archimedes lasse eine seiner Höllenmaschinen spielen.

Marcellus nahm sein Missgeschick mit guter Miene hin, als er sagte, Archimedes habe die römischen Schiffe mit Meerwasser getränkt und die Sambyken geohrfeigt nach Hause geschickt. Seinen Ingenieuren gegenüber aber äußerte er sich: Wollen wir nicht aufhören, gegen diesen mathematischen Briareus Krieg zu führen? Der setzt sich nur ganz ruhig ans Meer und überragt die hundertarmigen Riesen der Sage weit, — so viele Schüsse tut er auf einmal gegen uns! Schließlich sah Marcellus ein, dass er sich der Stadt nur durch Aushungern bemächtigen werde können, er schnitt daher jede Zufuhr ab und zog — ein Beobachtungskorps zurücklassend — mit dem übrigen Teil des Heeres zur Niederwerfung des Widerstandes gegen die römische Macht in den andern Städten der Insel aus. So dauerte die Belagerung von Syrakus nach einigen Quellen 8 Monate, nach anderen sogar 3 Jahre. Endlich wurde die Stadt durch eine Kriegslist eingenommen. Als die Syrakuser nämlich ein drei Tage währendes Artemisfest feierten, vergaßen sie — übermäßigem Weingenuss sich hingebend — die Sorge um die genügende Bewachung der Mauern und so gelang es den Römern, denen der Zustand der Stadt verraten worden, die Mauern zu ersteigen und einen Teil von Syrakus (die Vorstädte Tyche und Neapolis) in ihre Hände zu bekommen. Das Gros des Heeres zog nun durch das prächtige Hexapylon (das sechsthörige) in die eroberten Stadtteile ein. Die Achradina, die eigentliche Stadt, fiel nach Livius erst viel später in die Hände der Römer. Marcellus hatte die Misshandlung und Tötung der Bewohner der Stadt seinem Heer streng verboten, jedoch die durch so viele Verluste und den hartnäckigen Widerstand erbitterte Soldateska war nicht zurückzuhalten und es folgte nun Gemetzel und Plünderung, bei welcher eine solche Menge von Wertgegenständen in die Hände der Soldaten fiel, welche nicht geringer gewesen sein soll, als später in Karthago. Bloß der königliche Schatz wurde für das römische Aerar gerettet. — Am tiefsten jedoch beklagte Marcellus die Ermordung des Archimedes. Wir finden bei Plutarch drei verschiedene Versionen über das gewaltsame Ende desselben. Nach der ersten hatte der Gelehrte von dem Lärm des Sturmes und der Überrumpelung der Stadt nichts gehört und sann in der Stille seiner Behausung einem geometrischen Problem nach. Plötzlich stand ein römischer Krieger vor ihm, der ihn barsch aufforderte, ihm zum römischen Befehlshaber zu folgen. Archimedes bat den Soldaten, sich zu gedulden, bis er die Aufgabe gelöst habe, dieser geriet über die Weigerung des Gelehrten in Wut und stieß ihn nieder. — Nach der zweiten Version stand der Soldat schon mit dem Vorsatz zu töten vor dem Gelehrten, Archimedes bat ihn nur so lange seiner zu schonen, bis er die Aufgabe gelöst habe; allein der Soldat stieß ihn nieder. — Nach der dritten Version wollte Archimedes sich mit einem Kistchen, in dem einige seiner astronomischen Instrumente wie Sonnenuhren, Quadranten, Kugeln u. s. w. waren, eben zu dem römischen Befehlshaber verfügen, als ihm einige römische Krieger begegneten, die in dem Wahn, das Kistchen enthalte Goldgegenstände, ihn deshalb gleich niederstießen.

Alle diese Erzählungen der Ermordung des Archimedes sind als historische Anekdoten zu nehmen und tragen so wie die übrigen den Charakter des pikanten Schlusses an sich, der alle ähnlichen Erzählungen der alten Schriftsteller kennzeichnet, wodurch gewöhnlich die hervorragende Eigenschaft einer Person — in unserem Fall die Zerstreutheit und Exzentrizität — bis zur Übertreibung hervorgehoben wird. Tatsache ist bloß, dass Archimedes im Jahr 212 v. Chr. bei der Einnahme der Stadt Syrakus um das Leben kam.

Marcellus war tief betrübt über den Tod des Archimedes, er suchte die Verwandten desselben auf und überhäufte sie mit Gunstbezeugungen, auch errichtete er ihm ein Grabmal, das später Cicero, als Quästor von Sizilien, in vernachlässigtem Zustand, mit Unkraut bewachsen, auffand. Derselbe ließ das Grab wieder in guten Zustand setzen. — Es erübrigt hier noch einer sehr verbreiteten Sage Erwähnung zu tun, da diese den Namen unseres Gelehrten mit einer wichtigen optischen Erfindung in Zusammenhang bringt. Es wird nämlich erzählt, Archimedes habe die römischen Schiffe mit Brennspiegeln in Brand gesteckt. Diese Nachricht stammt schon aus dem Altertum. Lukianos in seinem „Hippias“ und Galenos erzählen zuerst, dass Archimedes die römische Flotte in Brand gesteckt habe. Bei diesen Schriftstellern wird von Brennspiegeln noch keine Erwähnung getan, sondern es ist bloß von „pyria“, d. h. Zündstoff die Rede, allerdings spricht Galenos hiervon in solcher Weise, dass man schwer an etwas anderes, als an Hohlspiegel denken kann. Die Belagerung von Syrakus wurde — wie wir weiter oben gesehen haben — von Polybios, Plutarch und Livius ziemlich ausführlich beschrieben. Der erste der drei Schriftsteller, Polybios, wurde einige Jahre nach dem Ereignis geboren, zu seiner Zeit konnten die Vorgänge, welche dasselbe begleiteten, noch in guter Erinnerung sein und doch erwähnt er mit keinem Worte etwas vom Anzünden der Schiffe, Lukianos und Galenos dagegen lebten um vierhundert Jahre später und scheint schon deshalb ihre Erzählung etwas verdächtig.

Der Erste, der in bestimmter Weise von Hohlspiegeln spricht, ist Anthemios im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung unter Kaiser Justinian I. In seiner Schrift: „Mechanische Paradoxien“, welche als Fragment existiert, zieht er es in Zweifel, dass man auf Bogen Schussweite vermittelst eines Hohlspiegels zünden könne, damit er jedoch den Ruhm des Archimedes nicht verkürze, ist er geneigt zu glauben, dass dieser das behauptete Resultat durch Kombinierung mehrerer ebener Spiegel erzielt habe. Er beschreibt hierauf sehr ausführlich eine solche Spiegelvorrichtung und bestimmt sogar die Zahl der dazu notwendigen Spiegel. Noch aus viel späterer Zeit, aus dem 12. Jahrhundert, stammen die Nachrichten von Zonaras, Eustathios und Tzetzes. Zonaras beschreibt die Belagerung von Syrakus durch Marcellus und setzt hinzu, dass diese nicht so lange gedauert haben würde, wenn Archimedes die Stadt mit seinen Maschinen nicht verteidigt hätte. Die Letzteren schleuderten Felsblöcke auf die Schiffe, ja sie hoben sie sogar aus dem Wasser, um dieselben dann durchschüttelt wieder zurückfallen zu lassen. Schließlich habe Archimedes die Schiffe der Römer dadurch in Brand gesteckt, dass er „Spiegel gegen die Sonne hielt und mit diesen die Strahlen auffing, vermöge ihrer Dichtigkeit und ihrer Glätte entzündeten diese die Luft, wodurch eine große Hitze entstand, welche auf die Schiffe geworfen diese anzündete.“

Derselbe Zonaras erzählt noch, dass Proklos Konstantinopel in ähnlicher Weise verteidigt haben soll, wie einst Archimedes Syrakus verteidigte. Nach dieser Erzählung hätte Proklos während der Regierung des Anastasios (491 —518 nach Chr.) die Flotte des Vitalianus, die Konstantinopel belagerte, mittelst Hohlspiegel verbrannt. Seiner Angabe zufolge habe er dem Beispiel des Archimedes folgend Brennspiegel angewendet, indem er diese an die Stadtmauern den Schiffen gegenüber aufgehängt habe. Als dann die Sonnenstrahlen auf den Spiegel fielen, da schoss gleich dem Blitz ein Lichtstrahl aus diesem hervor und verbrannte die feindlichen Schiffe.

In gleicher Weise schreibt Tzetzes und beruft sich auf mehrere andere Schriftsteller. Wenn wir jedoch alle diese Nachrichten miteinander vergleichen, so müssen wir zu dem Schluss kommen, dass Archimedes die Brennspiegel nicht gekannt, oder wenigstens dieselben bei der Belagerung von Syrakus nicht angewendet habe. Am beredtsten spricht hierfür das Schweigen der zeitgenössischen Geschichtsschreiber. Hierzu kommt jedoch noch die Unmöglichkeit, mittelst eines Hohlspiegels auf größere, einige Fuß überschreitende Entfernung zu zünden; ließ Archimedes hingegen die Schiffe bis unmittelbar an die Mauer kommen, dann war es wohl bequemer und wohl auch radikaler, Brände in dieselben zu werfen. Es ist nun wohl möglich mit einer Reihe von nebeneinandergestellten Spiegeln auf größere Entfernung zu zünden, jedoch ist dies Verfahren unsicher und zeitraubend und schon aus diesem Grund höchst unglaubwürdig.

Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass die Bewunderung, welche das gesamte Altertum für den Archimedes, den größten Mechaniker des Altertums, hegte, seinen Ausdruck in der Erfindung und für glaubwürdig halten solcher komplizierter Prozeduren fand, vermittelst welcher derselbe seine Vaterstadt verteidigte. Wahr mag bloß sein, dass er vermittelst seiner Wurfmaschinen Brände in die herannahenden Schiffe warf und dadurch dieselben in Brand steckte, wodurch diese Übertreibung entstanden sein mochte.

Der einzige Kommentator des Archimedes im Altertum ist Eutokios von Askalon, der zur Zeit des Kaisers Justinian im 6. Jahrhundert unserer·Zeitrechnung lebte. Eutokios schrieb jedoch bloß zu den Schriften des Verfassers „Über das Gleichgewicht der Ebenen“, „Über Kugel und Zylinder“ und „Über die Ausmessung des Kreises“ einen Kommentar.

Die auf uns gekommenen Schriften des Archimedes sind die folgenden:

  1. Vom Gleichgewicht der Ebenen oder von den Schwerpunkten derselben. I. Buch.
  2. Die Quadratur der Parabel.
  3. Vom Gleichgewicht der Ebenen. II. Buch.
  4. Von der Kugel und dem Zylinder.
  5. Kreismessung.
  6. Von den Schneckenlinien.
  7. Von den Konoiden und Sphäroiden.
  8. Sandkörnerzahl.
  9. Von schwimmenden Körpern. Buch I. u. II.
  10. Wahlsätze.

Alle diese Abhandlungen, mit Ausnahme der im griechischen Originaltext nicht mehr vorhandenen zwei Bücher „von den schwimmenden Körpern“ sind in dorischem Dialekt geschrieben.

Außer diesen werden Archimedes noch die folgenden Abhandlungen zugeschrieben, welche jedoch sämtlich apokryph zu sein scheinen. Lemnata (Assumta), bloß in lateinischer Übersetzung vorhanden und zuletzt durch Borelli 1661 herausgegeben, ferner „Methode, um Gold und Silber in ihren Legierungen zu erkennen, „Über die Helix“, „Über die Bewegung großer Schiffe“, „Vom Trispast“ u. s. f.

Die Werke des Archimedes in griechischer Sprache wurden bei der Einnahme von Konstantinopel aufgefunden, von wo sie nach Italien gelangten. Zuerst erschienen sie in der Baseler Ausgabe mit lateinischer Übersetzung, herausgegeben von Thomas Geschauff (Venatorius). Die Pariser Ausgabe von David Rivault (Rivaldus) aus dem Jahr 1615 enthält außer der Biografie des Archimedes noch Versuche zur Herstellung der verloren gegangenen Abhandlungen dieses Autors.

In deutscher Sprache erschienen die Werke des Archimedes unter dem folgenden Titel: Archimedes von Syrakus vorhandene Werke. Aus dem Griechischen übersetzt und mit erläuternden und kritischen Anmerkungen begleitet von Ernst Nizze. Stralsund 1824. 4°. Eine ältere deutsche Übersetzung ist die folgende: Des unvergleichlichen Archimedes Kunstbücher, oder heutigen Tages befindliche Schriften aus dem Griechischen ins Hochdeutsche übersetzt und erläutert von Christoph Sturm. Nürnberg 1670.

Was wir im Altertum an wissenschaftlicher Mechanik finden, das ist zum größten Teil in des Archimedes Werken enthalten. Allerdings ist diese Mechanik höchst primitiv und einseitig. Er kennt bloß die Statik und beweist alle seine Sätze auf streng statische Weise. Doch ist ein ungeheurer Unterschied zwischen seiner Art der Behandlung mechanischer Probleme und der des Aristoteles. Während dieser in seinen mechanischen Problemen oder auch anderswo in seinen Schriften, wo er sich mit mechanischen Fragen beschäftigt, die Lösung der Probleme gewöhnlich vermittelst ganz fremder, mit dem Gegenstand kaum in sehr lockerem Zusammenhang befindlichen Faktoren zu bewerkstelligen sucht, ist die Methode des Archimedes eine streng sachliche, welche ihre Behelfe stets aus einfachen, geometrischen Betrachtungen und aus einigen als Axiome aufgestellten mechanischen Sätzen nimmt. Dabei ist jedoch die heutige Methode der Statik unserem griechischen Gelehrten unbekannt. Derlei Sätze, wie der vom Kräfteparallelogramm oder aber das Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten, welche in ihrer weiteren Verfolgung zur Dynamik führen, sind ihm ganz unbekannt. Die antike Statik, wie wir sie bei Archimedes finden, besteht bloß aus zwei Theorien, der des Schwerpunktes, in welcher der Momentensatz enthalten ist und jener des Gleichgewichtes in einer Flüssigkeit schwimmender Körper. Von den übrigen mechanischen Kenntnissen des Archimedes, z. B. über das Gleichgewicht an den mechanischen Potenzen, wissen wir absolut nichts zu sagen, da unter seinen Abhandlungen sich über diesen Gegenstand nichts findet. Übrigens folgt daraus, dass Archimedes verschiedene Maschinen konstruierte, gar nicht, dass er auch deren Theorie gekannt habe.

Unter den Abhandlungen des Archimedes beschäftigen sich nur zwei mit mechanischen Problemen. Die erste ist die Abhandlung: „Vom Gleichgewicht der Ebenen oder von den Schwerpunkten derselben.“ Diese geht von den als Axiom hingestellten Sätzen aus: „Gleichschwere Größen in gleichen Entfernungen wirkend sind im Gleichgewicht; gleichschwere Größen in ungleichen Entfernungen wirkend sind nicht im Gleichgewicht; sondern die an der längeren Entfernung wirkende sinkt.“

„Wenn einer schweren Größe, die mit einer andern in gewissen „Entfernungen im Gleichgewichte ist, etwas zugefügt wird, so bleiben „sie nicht mehr im Gleichgewicht; sondern diejenige sinkt, der etwas „zugelegt worden.“

„Gleicherweise, wenn von der einen dieser schweren Größen etwas weggenommen wird, so bleiben sie nicht mehr im Gleichgewicht, sondern diejenige sinkt, von welcher nichts weggenommen ist.“

„Wenn gleiche und ähnliche Figuren aufeinander gepasst sind, „so treffen auch deren Schwerpunkte aufeinander.

„Die Schwerpunkte ungleicher, jedoch ähnlicher ebener Figuren „liegen ähnlich.“

„Wenn Größen in gewissen Entfernungen im Gleichgewicht sind, „so sind ihnen gleiche in denselben Entfernungen auch im Gleichgewicht.“ „Der Schwerpunkt einer jeden Figur, deren Umfang nach einer „Gegend hohl ist, muss innerhalb der Figur liegen.“

Der Verfasser setzt stillschweigend gleichartige Ebenen voraus, deren Gewicht ihrer Größe proportional ist.

Es folgen nun die zu beweisenden Sätze, die eine Kette von wohlgefügten, ineinandergreifenden Wahrheiten bilden. Der sechste Satz des ersten Buches lautet, wie folgt: „Kommensurable Größen sind im Gleichgewicht, wenn sie ihren Entfernungen umgekehrt proportioniert sind“, das ist nun nichts anders, als der bekannte Hebelsatz, das als Satz von den statischen Momenten bekannte archimedische Prinzip. Der folgende 7. Satz dehnt das Gesetz auf nicht kommensurable Größen aus. Die übrigen Sätze beschäftigen sich mit der Bestimmung der Schwerpunkte ebener Figuren. Im zweiten Buche über denselben Gegenstand haben die Untersuchungen einen rein mathematischen Charakter.

Die zweite mechanische Abhandlung des Archimedes, die über die schwimmenden oder vielmehr eingetauchten Körper, ist nur aus einer verderbten arabischen Übersetzung bekannt. Eine Übersetzung ist von Commandinus und führt den Titel: Archimedis de iis, quae vehuntur in aqua, libri duo, a Federico Commandino Urbinate, in pristinum nitorem restituti, et Commentariis illustrati. Bononiae 1565, 4°. Der Herausgeber klagt, dass die Übersetzung schlecht sei, auch habe der Übersetzer einen schlechten verderbten Codex gebraucht. Der Titel ist der historisch nachgewiesene3. Es leidet jedoch keinen Zweifel, dass die Originalabhandlung vollständiger war. Diese Abhandlung, welche ebenfalls aus zwei Büchern besteht, geht aus dem folgenden axiomartigen Satze aus: „Man setze als „wesentliche Eigenschaft einer Flüssigkeit voraus, dass bei gleichförmiger „und lückenloser Lage ihrer Teile der minder gedrückte durch den „mehr gedrückten in die Höhe getrieben werde. Jeder Teil derselben „aber wird von der nach senkrechter Richtung über ihm befindlichen „Flüssigkeit gedrückt, wenn diese im Sinken begriffen ist, oder doch von „einer andern gedrückt wird.“

Der fünfte Satz des ersten Buches sagt aus, dass jeder feste Körper, welcher leichter als die Flüssigkeit ist, in welche er eingetaucht wird, so tief sinkt, dass die Masse der Flüssigkeit, welche so groß ist als der eingesunkene Teil, ebenso viel wiegt, wie der ganze Körper. Dem siebenten Satze zufolge sinken solche feste Körper, welche schwerer sind als die Flüssigkeit, in dieser unter und verlieren hierbei so viel von ihrem Gewichte, als das Gewicht der von dem Körper verdrängten Flüssigkeitsmasse beträgt. Die gesamten anderen Teile der Abhandlung beziehen sich auf schwimmende Körper, welche die Gestalt eines Kugelabschnittes oder eines paraboloidischen Konoides haben.

Zur Zeit des Archimedes überragten die mathematischen Kenntnisse um ein Beträchtliches die mechanische Vorstellungsfähigkeit, hieraus erklärt sich der streng mathematische Charakter auch der mechanischen Abhandlungen unseres Gelehrten, sodass der mechanische Teil der Aufgabe als Nebensache und als Hauptsache die geometrische Lösung betrachtet wird. Unsere Zeit ist längst in das entgegengesetzte Extrem verfallen. Die Mechanik hat die einfachsten Bewegungserscheinungen der mathematischen Behandlung zugänglich gemacht und dadurch eine erschöpfende Darstellung derselben erzielt; bei nur einigermaßen komplizierten Aufgaben jedoch versagt bald das mathematische Rüstzeug, da unsere Mechanik, wenigstens was die Aufgaben betrifft, welche sie zu stellen (nicht gleichzeitig zu lösen) imstande ist, den Zustand der Mathematik um Bedeutendes überflügelt. Die heutige Mathematik kann in keiner Weise Schritt halten mit der Entwicklung der Mechanik und der theoretischen Physik, wodurch sie in deren Wachstumsprozess hemmend eingreift.

Wenn wir abschließend die Verdienste des Archimedes um die mechanische Wissenschaft würdigen, so können wir dieses kurz in Folgendem darlegen. Archimedes, so gut wie Aristoteles hat sich mit mechanischen Fragen beschäftigt, beide haben, wenn man den Maßstab ihres Zeitalters anlegt, tiefe Einsicht in das Wesen der mechanischen Grundprinzipien an den Tag gelegt. Nun kann es allerdings keinem Zweifel unterliegen, dass die Arbeiten des Archimedes, des großen griechischen Geometers, an Bedeutung die einschlägigen Arbeiten des Stagiriten weit überragen, jedoch so viel ist ebenfalls gewiss, dass beide Forscher des Altertums sich mit mechanischen Problemen nicht der Natur der Sache wegen beschäftigten, sondern dass beide in erster Linie einen fremden Zweck hiermit verbanden. Während Aristoteles „Aporien“, d. i. Schwierigkeiten, lösen wollte und in den mechanischen Fragen prächtige Aufgaben für die dialektischen Haarspaltereien fand, behandelt Archimedes hundert Jahre später seine mechanischen Arbeiten streng mathematisch und man sieht auf den ersten Blick, dass auch er in denselben nicht das mechanische Interesse sucht, sondern lediglich das mathematische; ihm bieten jene mechanischen Fragen gewisse „mathematische Aporien“, mit deren Lösung sich der Mathematiker von Syrakus mit besonderer Leidenschaft zu beschäftigen schien. Für die Auffassung des Altertums und gewiss auch zum Teil des Archimedes ist eine Stelle aus des Plutarchos oft zitiertem „Marcellus“ charakteristisch: „Das „Meiste“ — was nämlich des Archimedes Maschinerien betrifft — „war „bei ihm nur entstanden als Nebenbeschäftigung einer spielenden Mathematik, wobei zuerst der König Hiero selbst einen gewissen Ehrgeiz befriedigte, indem er dem Archimedes zuredete, doch einen Teil seiner Wissenschaft aus der bloßen Welt des Geistes in die materielle Welt zu übertragen und seine Theorien irgendwie durch eine enge Verbindung „mit praktischen Bedürfnissen zur sinnlichen Anschauung zu bringen. Eudoxos und Archytas waren die Ersten gewesen, welche diese ebenso beliebt als berühmt gewordene Mechanik aufbrachten, indem sie dadurch ihrer abstrakten Mathematik eine niedliche Ornamentierung gaben. Problemen, bei denen sich nicht leicht eine Nachweisung durch Wissenschaft oder Zeichnung geben ließ, wurde von ihnen durch mechanische Versinnlichung nachgeholfen. Aber Platon eiferte nun mit großem Unwillen gegen sie, weil sie den Vorzug der Mathematik vernichteten und verderbten, sofern diese jetzt aus „dem Gebiet des Unkörperlichen, Geistigen in das der Sinne weit entlaufe und sich leider aufs Neue mit Körpern abgeben müsse, die an sich schon so viele lästige Handwerksarbeit erforderten. So fiel denn „die Mechanik aufs Entschiedenste wieder von der Mathematik aus4.

Die Werke des Archimedes sind in höchst defektem Zustand auf uns gekommen. Abhandlung für Abhandlung bildet bloß eine Reihe von Sätzen, eröffnet von einer kurzen Einleitung: „Archimedes grüßt den Dositheus,“ an den er nun, nach dem Tode seines Freundes, des Mathematikers Konon, seine geometrischen Entdeckungen sendet; mit einigen dürftigen Worten werden menschliche Verhältnisse berührt, um dann im nächsten Augenblick in medias res in die Behauptung und den Beweis der behaupteten Sätze einzugehen. Vergebens suchen wir jene Stellen in seinen Werken, welche uns den geringsten Einblick in das Wesen des Autors gestatten und uns denselben menschlich näher bringen würden. Die einzige Abhandlung, die wenigstens zum Teil eine Ausnahme bildet, ist der „Psammites“, die Sandkornrechnung, in welcher er berechnet, dass, wenn die Entfernung der Fixsternsphäre (nach seiner Berechnung) 108 Erddurchmesser und der Erddurchmesser 1 Million Stadien beträgt, die Anzahl der Sandkörner, welche diesen Raum ausfüllt, kleiner ist als 100 mit einem Gefolge von 61 Nullen. Archimedes war übrigens ein Anhänger der geozentrischen Weltanschauung.

Von den Maschinen des Archimedes war schon oben die Rede; den Berichten der alten Schriftsteller zufolge, hätte er über vierzig neue Mechanismen und hydraulische Vorrichtungen erfunden und ausgeführt. Hier sind zu erwähnen: der Flaschenzug (und zwar der Potenzialflaschenzug), die endlose Schraube und die (archimedische) Wasserschraube. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er auch das erste Aräometer konstruiert habe, eine Erfindung, welche von anderen auch der Philosophin von Alexandria, Hypatia zugeeignet wird.

Archimedes wurde vom gesamten Altertum als das bedeutendste mathematische Genie seiner Zeit betrachtet und ist es jedenfalls von Interesse, die Stimme eines Schriftstellers aus dem Altertum über ihn zu hören. Plutarch schreibt von ihm das Folgende: „Übrigens besaß Archimedes ein solches Genie, eine solche Tiefe der Seele, „einen solchen Reichtum von theoretischer Wissenschaft, dass er über alles, was ihm doch Namen und Ehre eines nicht bloß menschlichen, sondern übermenschlichen Verständnisses eingetragen hatte, keine schriftstellerische Arbeit hinterlassen wollte, sondern jeden mechanischen Geschäftsbetrieb, überhaupt jede Kunst, die sich mit dem Bedürfnisse berührte, nur für eine niedrige Handwerkssache an sah“. Jedenfalls können wir behaupten, dass Archimedes einer der genialsten Denker des Altertums gewesen sei.

Nikolaus Kopernikus


1 Des Vitruvius Zehn Bücher über die Architektur. Übersetzt von Dr. Franz Reber. Stuttgart 1865. — M. Vitruvius Pollio lebte zur Zeit des Jul. Cäsar und des Augustus. Er stammte aus Verona (?). Cäsar und Augustus verwendeten ihn als Ingenieur zur Konstruktion von Kriegsmaschinen, letzterer übertrug ihm die Leitung des Bauwesens. Später genoss er eine ausreichende Pension, so dass er alle Zeit der Abfassung seines Werkes widmen konnte. Aus Dankbarkeit dedizierte er sein Werk „Über Architektur“ dem Kaiser selbst. Das Buch besteht aus 10 Abteilungen und handelt von Gebäuden, Wasserleitungen, Maschinen etc. — Die Meinung des Chr. F. L. Schultz, als sei das Werk des Vitruvius eine spätere Kompilation, entbehrt jeder Begründung.

2 Polybios Geschichte. Übersetzt von Haakh. Stuttgart 1868. 8. Buch, Cap. 5—9. — Plutarchos: Marcellus 14—19.

3 Von Strabo, Pappos und Vitruvius unter diesem Titel angegeben.

4 Plutarch. In Marcello 14.

II. Nikolaus Kopernikus

Wer philosophieren will, muss freien Geistes sein.

Frühzeitig musste der gestirnte Himmel die Aufmerksamkeit des aufrecht auf die Erde gestellten Menschen fesseln. Die Licht und Wärme spendende Sonne, der mild glänzende Mond mit seinen wechselnden Gestalten, das Heer der unzähligen funkelnden Sterne verknüpfte er durch Mythe und Dichtung mit seinem Hoffen und Wünschen, mit seinem Bangen und Fürchten, mit seinem Sehnen und Lieben. Hinaus über das Endliche in das Unendliche fühlte er sich gehoben und entrückt durch das dort Geschaute. Frei konnte hier die Fantasie in nie gehemmtem Fluge ihre Schwingen entfalten. Frei, nicht zügellos! Als das Aufmerken begann, sich in ein Beobachten zu wandeln, offenbarte sich eine wunderbare Ordnung nach Maß und Zahl. Die musikalische Harmonie, dieses Zusammenschmelzen einer Menge einzelner Töne zum Einklang, zu einem einheitlichen Gesamteindruck, fand dort ein erhabenes Ebenbild, vielleicht ihr Urbild! Die von der Einbildungskraft befruchtete wissenschaftliche Betrachtung bemühte sich, in Wesen und Sinn dieser himmlischen Harmonie einzudringen; als eine seltsame Mischung zunächst von fantastischen Spekulationen und nüchterner, geduldiger und ausdauernder Verfolgung und Messung der Bewegungen am Firmament entstand die Astronomie. Aus ihrem Ursprung wird ohne Weiteres verständlich, dass in den ältesten Zeiten ihre Vertreter gleichzeitig die Priester des Volkes waren. Diese Personalunion blieb auch noch im Mittelalter vielfach bestehen; die Berechnung des Festkalenders, der sogenannte Computus, namentlich die Bestimmung des Ostertermins, gehörte zu den Obliegenheiten des Klerus, in den seiner Heranbildung dienenden Klosterschulen wurde daher die Astronomie in eingehender Weise betrieben.

Die für die Ordnung priesterlicher Verrichtungen wie für die Regelung des gesamten bürgerlichen Geschäfts- und Verkehrslebens gleichwichtige Aufgabe genauer Zeitbestimmungen und der Herstellung von Kalendern nötigte die Astronomen zu gewissen Vorausberechnungen, z. B. des Eintretens bestimmter Stellungen der Sonne unter den Fixsternen oder des Neumondes und Vollmondes. Hier ergab sich nun aber eine große Schwierigkeit. Gerade der Lauf jener beiden für uns hervorragend wichtigen Gestirne lässt den immer gleichförmigen Gang der, die Grundlage aller Zeitmessung bildenden, Drehung des Fixsternhimmels vermissen, und als noch viel regelloser stellt sich auf den ersten Anblick die Bewegung der Planeten dar. Da aber doch auch in diesem scheinbar unregelmäßigen Verhalten eine periodische Wiederkehr der Erscheinungen durch die Beobachtungen mit Sicherheit festzustellen war, hatte die Entdeckung einer festen Regel und damit die Möglichkeit der Voraussage aller Vorgänge von vornherein die Wahrscheinlichkeit für sich.

Unter den hierauf gerichteten Versuchen des Altertums ist das Weltsystem des Claudius Ptolemäus (150 n. Ehr.), das im ganzen Mittelalter herrschend blieb, zu besonderer Berühmtheit gelangt. Er dachte sich, wie die Mehrzahl seiner Vorgänger, die Erde im Mittelpunkt des Weltalls. Aus der geringeren oder größeren Umlaufszeit von Sonne und Mond und der damals bekannten fünf Planeten wurde auf ihren kleineren oder größeren Abstand von der Erde geschlossen; demgemäß stellte sich Ptolemäus innerhalb einer Sphäre des Fixsternhimmels sieben Sphären vor, auf denen sich, von der Erde nach außen hin gerechnet, Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn bewegen sollten, und zwar so, dass jeder Planet einerseits an der allgemeinen täglichen Bewegung des ganzen Himmels von Ost nach West teilnehme, zugleich aber noch einer besonderen eigenen Bewegung in entgegengesetzter Richtung von West nach Ost unterworfen sei. Die auf dieser Grundlage fußenden Vorausberechnungen wichen aber oft ganz erheblich von den Ergebnissen der wirklichen Beobachtungen ab. Man gibt eine wissenschaftliche Hypothese nicht sofort auf, weil sich einzelne Erscheinungen ihr nicht fügen; man sucht vielmehr durch Abändern und Ergänzen die zugrunde liegende Annahme in Übereinstimmung mit der Erfahrung zu bringen. Erst wenn die fortschreitende Vermehrung und Verfeinerung der Beobachtungsergebnisse zu immer neuen Hilfshypothesen zwingt, lässt sich die zumeist konservativ gesinnte Wissenschaft zur Aufgabe des alten Baues und zur Aufführung eines neuen geneigt finden. Auch das ptolemäische System musste sich zahlreiche An- und Einbauten gefallen lassen, ehe man die Notwendigkeit begriff, es zu verlassen. Eine nach unserer heutigen Einsicht vorgefasste Meinung, die aber in jener Zeit als unerschütterliche Grundwahrheit, als Axiom galt, beherrschte alle diese Konstruktionen. Die eine Hälfte dieser Ansicht haben wir in unserem Trägheitsgesetze festgehalten, dass nämlich jeder Körper im Zustande gleichförmiger Bewegung beharre, wenn er nicht durch äußere Ursachen gezwungen wird, diesen Zustand aufzugeben, die andere haben wir in eben diesem Gesetz durch den Zusatz beseitigt, dass eine solche Bewegung stets geradlinig erfolge. Dem Altertum erschien unter Führung des Aristoteles als die eigentlich natürliche, einem Körper von selbst zukommende und gleichzeitig vollkommenste Bewegung die Kreisbewegung mit gleichförmiger Geschwindigkeit, und das Bestreben der Wissenschaft richtete sich dementsprechend damals darauf, die beobachteten Abweichungen des Planetenlaufs auf dieses Bewegungsideal zurückzuführen. Um die Ungleichförmigkeiten in der Bewegung z. B. der Sonne von solchem Standpunkt aus zu erklären, nahmen die Nachfolger des Ptolemäus eine exzentrische Stellung der Erde in der Kreisbahn der Sonne an. Gleiche von der Sonne zurückgelegte Bogen müssten dann von der Erde aus bei Sonnennähe (Perigäum) unter größerem Gesichtswinkel erscheinen als bei Sonnenferne (Apogäum). Die verwickelten Bahnen und Geschwindigkeiten der Planeten ließen sich in Kreisbewegungen mit gleichförmiger Geschwindigkeit zerlegen, indem man voraussetzte, dass der Planet eine Kreisbahn (den Epizykel) zurücklege, deren Mittelpunkt auf einem zweiten Kreise fortschreite. Die Ergebnisse der immer mehr vervollkommneten Beobachtungsmethoden zwangen indessen zu einer weitergehenden Zerlegung der dem Auge sich darbietenden Bewegungen, immer größer wurde die Anzahl der Krücken, mit denen sich diese Epizyklentheorie mühsam auf den Beinen erhielt. Sie zog nur noch Kraft aus dem ihr zugrunde liegenden Prinzip, aus der immerhin noch großen Ungenauigkeit der Beobachtungsergebnisse und nicht zum wenigsten aus der von den Griechen überkommenen mangelhaften begrifflichen Durcharbeitung der Erfahrung. Es waren wohl, um mit Kants Kritik der reinen Vernunft zu reden, Anschauungen da, aber ohne Begriffe und daher blind, es fehlte auch nicht an Begriffen, aber sie waren ohne Anschauung und daher leer. Die Griechen und ihre nächsten Nachfolger begnügten sich, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, mit dem, was uns, als bewusste Forderung für die Darstellung der Mechanik in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von dem großen Physiker Kirchhoff ausgesprochen, fast wie ein atavistischer Rückschlag erscheint, — mit der bloßen Beschreibung der Wirklichkeit; dem Warum schenkten sie keine oder nur eine ganz oberflächliche Aufmerksamkeit. Ihr reicher Besitz an fein durchdachten Begriffen entstammte fast ausschließlich ihrem eigenen regen Innenleben und erwies sich infolgedessen als unzureichend zur Erfassung der Außenwelt. Erst der Anbruch der Neuzeit brachte mit der Herausbildung der Erfahrungsbegriffe, zunächst namentlich des Kraftbegriffes, in dieser Beziehung einen gründlichen Umschwung hervor.

Dass die Vertreter der Epizyklenlehre, wenigstens gegen Ausgang des Mittelalters, nicht daran dachten, für ihre Hypothese irgendwelche reale Existenz in Anspruch zu nehmen, geht recht deutlich aus der von Osiander dem Hauptwerk des Kopernikus auf eigene Faust beigegebenen und durchaus nicht im Sinne von Kopernikus gehaltenen Vorrede hervor. Dort heißt es: „Genugsam bekannt ist ja, dass die Astronomie die Ursache der anscheinend ungleichmäßigen Bewegungen nicht kennt. Wenn die Wissenschaft aber dergleichen hypothetisch ersinnt — und sie hat solche Hypothesen wirklich in großer Zahl ersonnen —, so ersinnt sie dieselben keineswegs mit dem Ansprüche, irgendjemand zu überreden, dass die Sache sich wirklich so verhalte; es soll eben nur eine richtige Grundlage für die Rechnung aufgestellt werden.“ Und noch einmal am Schluss: „Übrigens möge niemand in betreff der Hypothesen Gewissheit von der Astronomie erwarten. Sie vermag diese nicht zu geben. Wer das, was zu einem anderen Zweck ersonnen ist, für Wahrheit nimmt, dürfte wohl unwissender von dieser Wissenschaft fortgehen, als er zu ihr gekommen ist.“

Aber wenn auch der mathematische Verstand allenfalls bereit war, sich weiter mit den exzentrischen Kreisen und Epizykeln abzufinden, und zu behelfen, so sträubte sich das gesunde Gefühl für Einfachheit und Schönheit immer mehr, auf diesem Weg weiter zu schreiten. Unwillkürlich drängen sich beim Blick auf die Herkulesarbeit der scharfsinnigen Rechner Goethes Verse auf die Lippen: „Weh! weh! Du hast sie zerstört die schöne Welt, mit mächtiger Faust; sie stürzt, sie zerfällt! Ein Halbgott hat sie zerschlagen! Wir tragen die Trümmer in Nichts hinüber, und klagen über die verlorene Schöne. Mächtiger der Erdensöhne, prächtiger baue sie wieder auf!“

Nikolaus Kopernikus (geb. zu Thorn 1473, gestorben zu Frauenburg 1543) wurde der Baumeister eines neuen Kosmos. Zu hervorragender Begabung, die nimmer rastendem Fleiß die schönsten Früchte schenkte, gesellte sich für Kopernikus eine seltene Gunst der äußeren Lebensverhältnisse, der zeitlichen und örtlichen Beziehungen, in die ihn das Schicksal hineingestellt hatte. Er war der Sohn einer wohlhabenden Familie; sein Onkel Lucas von Watzelrode, der mit großer Treue für den früh des Vaters beraubten Knaben sorgte, herrschte als Bischof fast wie ein souveräner Fürst in Ermland, die nächsten Verwandten gehörten zu den regierenden Geschlechtern in den reichen Weichselstädten. Der Kampf mit der Not des Lebens blieb ihm durchaus erspart; eine vorübergehende Geldverlegenheit auf der Universität Bologna wird genau dieselben Ursachen gehabt haben wie ähnliche Zustände bei Musensöhnen unserer Tage, denen ein guter Wechsel nicht fehlt. Durch die einflussreiche Verwendung des Onkels Bischof erhielt Kopernikus bereits 1497 ein erledigtes ermländisches Kanonikat, dessen Besitz ihn aller Zukunftssorgen enthob, ihm nur geringe amtliche Pflichten auferlegte, dabei aber doch einen nahen Verkehr mit den geistig regen Mitgliedern des ermländischen Hochstiftes und einen tiefen Einblick wie persönliches Eingreifen in die sozialen und staatlichen Verhältnisse Ermlands, ja selbst in die umfassende Politik der größeren Nachbarstaaten vermittelte.