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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74094-611-1
Sophie Petzold stand in der Küche und löffelte Milchpulver in eine Rührschüssel. Sie goss kochendes Wasser dazu. Rührte mit dem Schneebesen um, dass die Milch zu allen Seiten spritzte. Ein Piepton ließ sie innehalten. Sie griff nach dem Mobiltelefon auf der Arbeitsplatte. Wie Farbkleckse prangten die Milchspritzer auf dem Display.
»Mist.« Sie wischte es an der Hose ab. Erst dann warf sie einen Blick darauf. Eine Nachricht von Jakob. Schon die vierte an diesem Morgen. Dabei war es gerade einmal sieben Uhr. »Das kann doch nicht wahr sein! So funktioniert das nicht!«, zischte sie. Ohne die Nachricht zu lesen, steckte sie das Handy in die Hosentasche und angelte die Babyflaschen vom Regal. Schritte tappten durch den Flur.
»Guten Morgen!«
»Morgen.« Sie würdigte ihren Freund Matthias kaum eines Blickes. Nach dem Streit vom vergangenen Abend gab es keinen Grund, freundlich zu sein.
Gurgelnd lief die Milch in die Flaschen.
»Kann ich helfen?«
Sophie verdrehte die Augen. Sie griff nach den Verschlüssen und wollte sie zuschrauben. Wieder einmal fehlten die Verschlussplättchen der Deckel.
»Was funktioniert so nicht?«, fragte Matthias weiter.
Ein Glück, dass er Sophies Rücken ansah. Sonst hätte er bemerkt, dass sie die Gesichtsfarbe wechselte. Sophie starrte auf den Deckel in ihrer Hand. In das Loch in der Mitte.
»Die Deckel für die Fläschchen. Warum sind die nie mit den Verschlussplättchen zusammen?«, schimpfte sie.
Matthias hob die Hände.
»Tut mir leid. Damit habe ich ausnahmsweise einmal nichts zu tun.« Er öffnete die Schublade unter dem Besteckkasten. »Da liegen sie doch.«
Sophie fuhr herum. Starrte abwechselnd in die Schublade und auf ihren Freund.
»Danke.« Sie nahm die Plättchen heraus, steckte sie in die Deckel und schraubte die Flaschen zu.
Matthias Weigand stand noch immer da und sah seine Freundin an.
»Was ist denn eigentlich los mit dir? Ärgerst du dich immer noch über unseren Streit?«
»Was erwartest du von mir? Dass plötzlich wieder eitel Sonnenschein herrschst? Bis du den nächsten Streit vom Zaun brichst wegen deiner dämlichen Eifersucht. Nein, danke, darauf habe ich keine Lust mehr.« Sie packte vier Flaschen auf einmal. Rauschte an ihm vorbei in Richtung Kühlschrank.
Matthias sah ihr nach. Was sollte er dazu sagen? Irgendwie hatte Sophie ja recht. Auf der anderen Seite war er nicht allein schuld an der Situation. Hätte sich der Vater von Sophies Tochter Lea an die Vereinbarung gehalten, wäre alles in schönster Ordnung gewesen. Aber diese Diskussion hatten sie inzwischen schon so oft geführt, dass jedes weitere Wort sinnlos war.
»Und wie soll es jetzt mit uns weitergehen?«, stellte er die Frage, vor der er sich am allermeisten fürchtete.
Dieser Blick von Sophie, während sie über eine Antwort nachdachte! Hätte er doch nur darin lesen können. Doch ihre Miene war verschlossen. Undurchdringlich wie eine mittelalterliche Stadtmauer.
»Matthias, ich … «, begann sie zögernd, als Lea im Nebenzimmer anfing zu krähen.
Gleichzeitig klingelte Dr. Weigands Telefon. Ein Notfall in der Klinik.
»Ich muss los!«, erklärte er und steckte das Handy wieder in die Tasche. Selten hatte er sich mehr über einen Anruf gefreut als über diesen. »Wir reden später darüber.« Er wollte Sophie küssen.
Sie drehte den Kopf weg. Seine Lippen trafen nur ihre Wange und ein Stück ihres Ohrs.
*
Noch bevor Felicitas Norden die Küche betrat, wusste sie, was sie erwartete. Kaffeeduft und Zeitungsrascheln verrieten ihren Mann.
»Es gibt doch nichts Schöneres, als sich morgens an den gedeckten Frühstückstisch zu setzen«, seufzte sie glücklich und kletterte auf den Hocker neben Daniel.
Er faltete die Zeitung zusammen, dass die eben gelesene Seite oben lag.
»Und ich dachte immer, das Schönste für dich wäre, mich zu sehen.«
»So lange, wie wir schon zusammen sind?« Fees Augen blitzten vor Vergnügen. »Kann es sein, dass du ziemlich hohe Ansprüche hast?«
»Die höchsten. Sonst wäre ich nicht mit dir zusammen«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Fee konnte nicht anders. Sie beugte sich zu ihrem Mann und küsste ihn. Ihre Lippen ruhten an den seinen. Ihre Augen forschten in seinem Gesicht. Dieses Zucken um seine Mundwinkel, was hatte es zu bedeuten?
»Du führst doch was im Schilde!«
»Wie kommst du denn auf so etwas?«
»Diesen Gesichtsausdruck kenne ich. Und dieses wunderschöne Kompliment …« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, da steckt etwas dahinter.«
Daniel schnitt eine Grimasse.
»Schade, dass du mich so gut kennst.« Er griff nach der Zeitung und reichte Fee den Artikel, schenkte ihr Kaffee ein, während sie die Schlagzeile überflog.
»Tennis-As Daniela Haile plant Comeback bei Wohltätigkeitsturnier!« Felicitas sah hoch. »Dann hat sie ihre Alkohol-Sucht wirklich überwunden?« Als vielseitig interessierter Mensch erinnerte sie sich an den kometenhaften Aufstieg der talentierten Tennisspielerin. Fast noch besser waren ihr aber die negativen Schlagzeilen in Erinnerung geblieben. Jedes verlorene Spiel von Daniela Haile war von den Medien zerpflückt, ihre Fehler haarklein anaylsiert, das vorzeitige Aus prophezeit worden. Wie viele andere Profisportler auch hatte Dani dem Druck nicht standgehalten. Drogenmissbrauch war keine Seltenheit unter extrem erfolgreichen Menschen. Egal, ob es sich um Leistungssportler, Musikstars oder Schauspieler handelte. Der immerwährende Druck, die Jagd nach dem nächsten Sieg, dem nächsten Hit, dem nächsten Kassenschlager forderte seinen Tribut. Dani hatte nach einem verlorenen Spiel getrunken, um überhaupt schlafen zu können, wie sie in einem Interview verraten hatte.
»Laut diesem Artikel hat ihr früherer Freund und jetziger Ehemann Abel dazu beigetragen, dass sie den Boden unter den Füßen nicht komplett verloren hat. Nach einem Entzug scheint sie wieder fit zu sein«, berichtete Daniel. »Wir können uns übrigens persönlich davon überzeugen.«
Felicitas sah ihrem Mann nach, wie er die Küche durchquerte und verschwand. Einen Schluck Kaffee und einen Bissen Brot später kehrte er zurück und legte zwei Tickets neben sie auf den Tresen.
»Was ist das?« Felicitas putzte sich die Finger an der Serviette ab.
»Tickets für das Wohltätigkeitsturnier. Die hatte ich völlig vergessen. Bis mir dieser Artikel in die Hände gefallen ist.«
»Von wem hast du die Eintrittskarten?«
»Dani hat sich bereit erklärt, eine Anti-Alkohol-Kampagne zu unterstützen. Für diesen Zweck wird ein Werbe-Spot gedreht. Die Regisseurin Rita Herbst ist eine meiner Patientinnen. Sie hat mir die Karten geschenkt als Dankeschön für eine gelungene Behandlung.«
»Soso, ein Geschenk von Frau Herbst. Wenn das so ist, gehen wir selbstverständlich hin«, erwiderte Felicitas und leerte ihren Kaffee. Höchste Zeit, in die Klinik aufzubrechen. »Schon allein deshalb, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.«
Daniel lachte.
»Immer noch eifersüchtig? So lange, wie wir schon zusammen sind?«
»Jetzt erst recht.« Fee küsste ihn, dass er gute Lust bekam, wieder ins Schlafzimmer zurückzukehren. Leider war das an diesem Morgen keine Option. »Schließlich weiß ich, was ich an dir habe.«
*
»Hey, Leute! Erkennt ihr mich noch? Mein Name ist Daniela Haile. Vor ein paar Monaten war ich noch eure Dani. Damals habt ihr mich angefeuert, mit mir jeden Sieg gefeiert. Bis ihr erfahren habt, dass ich diese Siege nicht aus eigener Kraft errungen habe.« Dani lächelte in die Kamera. Wie ging es doch gleich weiter? Was hatte sie sich auf ihrem Zettel aufgeschrieben?
»Schnitt!« Die Stimme der Regisseurin hallte durch die Tennishalle. »Schluss! So geht das nicht.«
Danis Mann Abel Haile fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht.
»Ein Fernsehstar wird sie jedenfalls nicht«, bemerkte der Trainer Peter Marx, der neben ihm stand.
»Weil sie kaum Anweisungen bekommen hat«, bemerkte Abel. »Noch nicht einmal einen Text. Dabei ist das alles andere als leicht, sich nach so einem Absturz vor die Kamera zu stellen und offen darüber zu sprechen.«
»Warum helfen Sie ihr nicht?« Schon zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit fuhr sich Marx mit der Hand durch das Haar.
Abel lächelte.
»Wir sind erst seit ein paar Monaten verheiratet. Ich will nicht den Eindruck erwecken, alles besser zu wissen.«
»Dank Ihnen hat Dani ihre Probleme in den Griff bekommen. Nutzen Sie Ihren Einfluss! Es ist nur zu Danis Besten.«
Abel bemerkte, dass der Trainer den Mund verzog.
»Stimmt was nicht?«
»Alles in Ordnung. Und jetzt gehen Sie schon!«, verlangte der Trainer und sah dem Ehemann nach, wie er sich an der Kamera vorbei schlängelte und auf das Netz zuging. Die Gelegenheit war günstig. Peter schielte nach links und rechts. Blitzschnell verschwand seine Hand in der Sakkotasche. Er zog sie wieder heraus und ließ eine Pille im Mund verschwinden.
Abel trat inzwischen zu seiner Frau. Er nickte Rita Herbst zu, ehe er sich Dani zuwandte.
»Gibt es Probleme mit deinem Text?«
»Ich bin Sportlerin, keine Schauspielerin.«
»Das erwartet auch niemand. Sei einfach du selbst.« Abel lächelte. »So kennen und lieben dich die Menschen. Sie wissen, dass du getrunken hast. Aber sie wissen auch, dass du aufgehört hast. Sag ihnen, warum du das getan hast.«
»Ich wollte am Leben bleiben. Und meinen Fans und mir nicht länger etwas vormachen.«
Abel strahlte.
»Und jetzt bist du zurück, um beim Wohltätigkeitsturnier den Beweis anzutreten, dass es sich gelohnt hat.« Er kam sich vor wie einer der Verkäufer, die in einer Fußgängerzone den besten Gemüsehobel der Welt anpriesen. »Du hast es geschafft, diesem Sumpf zu entkommen. Darauf kannst du stolz sein. Das, und nur das allein musst du den Menschen sagen.« Er dachte kurz nach, musterte den Tennisschläger in Danis Hand. »Vielleicht sollte der Anti-Alkohol-Spot mit einem Aufschlag beginnen. Um den Leuten deine Kraft und Überzeugung zu zeigen.«
Dani lächelte. Sie sah hinüber zu Rita. Auch die machte einen zufriedenen Eindruck.
»Gute Idee. Ich sage gleich den anderen Bescheid.« Sie machte sich auf den Rückweg, um ihr Team über die Planänderung zu berichten.
Abel und Dani standen noch kurz zusammen. Sie sahen hinüber zu Peter.