Mein Bruder, der heißt Jonas, und ich, ich heiße Mia-Maria, und unsere kleine Schwester, die heißt Lotta. Sie ist erst etwas über drei Jahre, die Lotta. Papa sagt, als noch keine Kinder im Haus waren, da war es ganz ruhig. Aber später war immer solch ein Krach. Mein Bruder wurde vor mir geboren. Und Papa sagt, der Krach im Haus habe beinahe gleich angefangen, als Jonas so groß war, dass er mit der Klapper gegen den Bettrand hauen konnte, sonntagmorgens, wenn Papa schlafen wollte. Und dann hat Jonas mehr und mehr Krach gemacht.
Dann kam ich und dann kam Lotta.
Wir wohnen in einem gelben Haus in einer kleinen Straße, die heißt Krugmacherstraße.
»Möglich, dass in alter Zeit Krugmacher in dieser Straße gewohnt haben, aber heutzutage wohnen hier nur Krachmacher«, sagt Papa. »Ich denke, wir taufen die Straße um und nennen sie die Krachmacherstraße«, sagt er.
Lotta ist böse, weil sie nicht so groß ist wie Jonas und ich. Jonas und ich dürfen ganz allein bis zum Marktplatz gehen, aber Lotta darf das nicht. Jonas und ich gehen samstags auf den Markt und kaufen Bonbons bei den Marktfrauen, die dort stehen. Aber wir bringen Lotta auch Bonbons mit; das müssen wir nämlich. Einmal an einem Samstag regnete es so furchtbar, dass wir fast nicht auf den Markt gehen konnten. Aber wir nahmen Papas großen Regenschirm und gingen trotzdem und wir kauften uns rote Bonbons. Als wir nach Hause gingen, da gingen wir unterm Regenschirm und aßen Bonbons, und das machte Spaß.
Aber Lotta konnte nicht einmal auf den Hof rausgehen, nur weil es so furchtbar regnete.
»Wozu muss es regnen?«, fragte Lotta.
»Damit Korn und Kartoffeln wachsen können und wir was zu essen bekommen«, sagte Mama.
»Wozu muss es denn auf dem Markt regnen?«, fragte Jonas. »Ist es wegen der Bonbons, damit die wachsen können?«
Da hat Mama nur gelacht.
Als wir abends im Bett waren, sagte Jonas zu mir: »Du, Mia-Maria, wenn wir zu Großvater und Großmutter fahren, dann wollen wir nicht Mohrrüben auf unser Gartenbeet säen, sondern Bonbons, das ist viel besser.«
»Ja, obwohl Mohrrüben besser für die Zähne sind«, sagte ich. »Aber wir können sie mit meiner kleinen grünen Gießkanne begießen, die Bonbons, meine ich.«
Ich wurde so vergnügt, als mir meine kleine grüne Gießkanne einfiel, die ich bei Großvater und Großmutter auf dem Lande habe. Sie steht auf einem Wandbrett im Keller. Wir sind immer bei Großvater und Großmutter, wenn Sommer ist.
Könnt ihr raten, was Lotta einmal bei Großvater und Großmutter auf dem Lande gemacht hat?
Hinter der Scheune ist ein großer Dunghaufen, wo Onkel Johannson Dung holt und ihn aufs Feld streut, damit alles gut wachsen kann.
»Wozu muss man Dung haben?«, fragte Lotta.
Und da sagte Papa, alles wächst so gut, wenn Dung drauf kommt.
»Und Regen muss auch kommen«, sagte Lotta, denn ihr fiel wohl ein, was Mama gesagt hatte, als es an dem Samstag neulich regnete.
»Ganz recht«, sagte Papa.
Nachmittags fing es an zu regnen.
»Hat einer von euch Lotta gesehen?«, fragte Papa.
Aber wir hatten Lotta eine ganze Weile nicht gesehen und wir gingen los und suchten sie. Erst suchten wir überall drinnen im Haus und in allen Wandschränken, aber da war keine Lotta. Und Papa wurde unruhiger – er hatte nämlich Mama versprochen, auf sie aufzupassen. Schließlich gingen wir raus und suchten, Jonas und Papa und ich, in der Scheune und auf dem Heuboden und überall.
Aber dann gingen wir hinter die Scheune, und stellt euch vor, da stand Lotta mitten im Regen und mitten auf dem Dunghaufen, und sie war durch und durch nass.
»Aber liebe kleine Lotta, warum stehst du denn da?«, fragte Papa.
Da weinte Lotta und sagte:
»Weil ich wachsen will und so groß werden will wie Jonas und Mia-Maria!«
Oh, wie ist sie doch noch klein und dumm, die Lotta!
Jonas und ich, wir spielen und wir spielen und wir spielen, ganze Tage lang. Ja, Lotta darf auch mitspielen, wenn wir etwas spielen, wobei sie mitmachen kann. Aber manchmal, da spielen wir
Seeräuber, und dann ist Lotta nur im Weg. Sie fällt nämlich bloß vom Tisch runter, den wir als Schiff nehmen. Aber sie schreit und will trotzdem mitspielen. Neulich, als wir Seeräuber spielten und Lotta uns nicht in Ruhe ließ, da sagte Jonas:
»Weißt du, was man tut, wenn man Seeräuber spielt, Lotta?«
»Man steht auf dem Tisch und hopst und ist Seeräuber«, sagte Lotta.
»Ja, aber es gibt noch eine andere Art und die ist viel besser«, sagte Jonas. »Man liegt unterm Bett auf dem Fußboden ganz, ganz still.«
»Warum denn?«, fragte Lotta.
»Ja, man liegt da und ist ein Seeräuber und dann sagt man die ganze Zeit leise: ›Mehr Essen, mehr Essen, mehr Essen.‹ Das machen die Seeräuber so«, sagte Jonas.
Endlich glaubte Lotta, dass die Seeräuber es so machen, und sie kroch unter ihr Bett und fing an und sagte:
»Mehr Essen, mehr Essen, mehr Essen.«
Und Jonas und ich kletterten auf den Kinderzimmertisch und segelten aufs Meer hinaus – ja, das haben wir natürlich nur gespielt.
Lotta lag die ganze Zeit unter ihrem Bett und sagte: »Mehr Essen«, und es machte uns fast mehr Spaß, sie anzugucken, als Seeräuber zu sein.
»Wie lange liegen Seeräuber unter ihrem Bett und sagen ›Mehr Essen‹?«, fragte Lotta schließlich.
»Bis es Weihnachten wird«, sagte Jonas.
Da kroch Lotta hervor und stand vom Fußboden auf und sagte:
»Ich will kein Seeräuber sein. Die sind ja dumm.«