Jean de La Fontaine: Fabeln

 

 

Jean de La Fontaine

Fabeln

 

 

 

Jean de La Fontaine: Fabeln

 

Übersetzt von Theodor Etzel

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Abraham van Strij, Zwei Ziegen im Hof, um 1800

 

ISBN 978-3-8430-6213-8

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7584-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7585-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck von Buch 1–6: Paris (Barbin) 1668. Buch 1–12: Paris (Thierry, Barbin) 1678–1694. Hier in der Übers. v. Theodor Etzel.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Lafontaine, Jean de: Fabeln. Übers. v. Theodor Etzel, Berlin: Propyläen-Verlag, 1923.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Die Grille und die Ameise

Die Grille musizierte

Die ganze Sommerzeit –

Und kam in Not und Leid,

Als nun der Nord regierte.

Sie hatte nicht ein Stückchen

Von Würmchen oder Mückchen,

Und Hunger klagend ging sie hin

Zur Ameis, ihrer Nachbarin,

Und bat sie voller Sorgen,

Ihr etwas Korn zu borgen.

»Mir bangt um meine Existenz«,

So sprach sie; »kommt der neue Lenz,

Dann zahl ich alles dir zurück

Und füge noch ein gutes Stück

Als Zinsen bei.« Die Ameis leiht

Nicht gern; sie liebt die Sparsamkeit.

Sie sagte zu der Borgerin:

»Wie brachtest du den Sommer hin?«

»Ich habe Tag und Nacht

Mit Singen mich ergötzt.«

»Du hast Musik gemacht?

Wie hübsch! So tanze jetzt!«

 

Der Rabe und der Fuchs

Herr Rabe auf dem Baume hockt,

Im Schnabel einen Käs.

Herr Fuchs, vom Dufte angelockt,

Ruft seinem Witz gemäß:

»Ah, Herr Baron von Rabe,

Wie hübsch Ihr seid, wie stolz Ihr seid!

Entspricht auch des Gesanges Gabe

Dem schönen schwarzen Feierkleid,

Seid Ihr der Phönix-Vogel unter allen!«

Der Rabe hört's mit höchstem Wohlgefallen,

Läßt gleich auch seine schöne Stimme schallen.

Da rollt aus dem Rabenschnabel der Fraß

Dem Fuchs ins Maul, der unten saß.

Der lachte: »Dank für die Bescherung!

Von mir nimm dafür die Belehrung:

Ein Schmeichler lebt von dem, der auf ihn hört.

Die Lehre ist gewiß den Käse wert.«

Der Rabe saß verdutzt und schwor:

Das käm ihm nicht noch einmal vor.

 

Der Frosch, der gross sein will wie ein Ochse

Ein Frosch sah einen Ochsen gehen.

Wie stattlich war der anzusehen!

Er, der nicht größer als ein Ei, war neidisch drauf,

Er spreizt sich, bläht mit Macht sich auf,

Um gleich zu sein dem großen Tier,

Und rief: »Ihr Brüder achtet und vergleicht!

Wie, bin ich nun so weit? Ach, sagt es mir!« –

»Nein!« – »Aber jetzt?« – »Was denkst du dir!« –

»Und jetzt?« – »Noch lange nicht erreicht!« –

Das Fröschlein hat sich furchtbar aufgeblasen,

Es platzte und verschied im grünen Rasen.

 

Die Welt bevölkern viele solcher dummen Leute:

Jedweder Bürger möchte baun wie große Herrn,

Der kleine Fürst – er hält Gesandte heute,

Das kleinste Gräflein prunkt mit Pagen gern.

 

Die zwei Maultiere

Ein Maultier, dessen Last ein Sack voll Hafer war

Zog einst mit einem andern Maultier über Feld,

Das größre Werte trug: in bar

Ein hübsches Sümmchen Steuergeld.

So vornehm schritt dies Tier daher,

Als ob es hochgeadelt wär,

Und ließ voll Stolz sein Glöckchen klingen.

Nicht lange wandern sie, da springen

Verwegne Räuber vor; das Geld ist ihr Begehr,

Und während man den Hafer unbeachtet läßt,

Hält man des Fiskus Maultier fest.

Da das sich trotzig wehrt, so sticht man auf es ein;

Es sinkt und seufzt in Todespein:

»Ich sterbe. Unverdient Geschick!

Und den Gefährten läßt man ungeschoren traben.

O Gott, ist das gerecht?«

»Freund«, rief das andre Tier zurück,

»Es ist nicht immer gut, ein hohes Amt zu haben.

Wärst du, wie ich, nur eines Müllers Knecht –

Gewiß, es ging dir nicht so schlecht!«

 

Der Wolf und der Hund

Ein Wolf war nichts als Haut und Knochen,

Die treuen Hunde waren schuld daran.

Wie er nun einst so matt des Wegs gekrochen,

Traf er die schönste, stärkste Dogge an,

Die sich vom Herrenhof verlaufen hatte.

Der Hund war solch ein fester, wohlgenährter Klotz,

Daß neben ihm der Wolf nur eine hagre Latte.

So gern der's auch getan, so schien's ihm leider Gotts

Höchst ungeraten, diesen Burschen anzuspringen,

Denn solch ein Gegner war so leicht nicht zu verschlingen.

So also sprach voll Demut unser Wolf ihn an

Mit Komplimenten über seine Wohlgestalt.

Da sprach der Hund: »Mein schöner Herr, liegt Euch daran,

So fett zu sein wie ich, nun, so verlaßt den Wald,

In dem nur arme Schlucker lungern.

Ihr lebt ja nur, um zu verhungern,

Habt Tag und Nacht nicht Ruh und nichts zu schnabulieren;

Folgt mir, Ihr werdet ein vergnügtres Leben führen.«

Da sprach der Wolf: »Was hätte ich dafür zu leisten?«

Der Hund: »Fast nichts! Nur Leute zu verjagen,

Die Bettelsäcke oder Stöcke tragen,

Dem Hausgesind zu schmeicheln, und am meisten

Dem Herrn. Als Sold bekommt Ihr schöne Rester,

Hühner- und Taubenknochen – ja, mein Bester! –

Und manches Kosewörtchen obendrein.«

Der Wolf glaubt schon im Paradies zu sein.

Er weint vor Glück und will den Hund begleiten.

Da sieht am Hundehals er eine Stell,[9]

Wo abgeschabt erscheint das schöne Fell.

»Was ist das?« fragt er. – »Nichts!« – »Wieso?« – »Ach, Kleinigkeiten!« –

»Nun was denn?« – Drauf der Hund:

»Das Halsband meiner Kette rieb mich wund.« –

»Wie? Was? In Ketten dienet Ihr?

Lauft nicht, wohin Ihr wollt?« –

»Nicht immer. Doch was tut's?« – »Es tut so viel, daß mir

Die Lust vergeht nach Eurem schönen Sold.

Ich ging nicht mit um eine ganze Kuh!«

Und Meister Wolf hat sich getrollt

Und läuft noch immerzu.[10]

 

Der Quersack

Jupiter sprach: »Mag jeder, der da lebt,

Erscheinen, um zu Füßen meiner Allmacht hier

Zu äußern, ob ihm etwas widerstrebt

An seiner Form, die er erhielt von mir;

Man mag es offen sagen,

Ich helfe ab den Klagen.

Dir, Affe, sei zuerst das Wort beschieden.

Sieh alle an, vergleiche die Gestalten

Mit deiner, sage mir: bist du zufrieden?«

»O ja! Ich darf mich für vollkommen halten.

Ich habe zwei Paar Füße, wie die andern auch,

Mein Bild ist gut. Doch scheint mir, daß mein Bruder Bär

Durchaus verpfuscht ist! Folgt er meinem Rat, der Gauch,

So läßt er nie sich malen.« Kam der Bär daher;

Man glaubte: um sich zu beklagen.

Nein, weit gefehlt! Er lobte seinen Körper sehr,

Doch hörte man ihn dies vom Elefanten sagen:

Zu kärglich sei sein Schwanz, sein Ohr zu lang und breit,

Er sei zu massig, viel zu schwer.

Der Elefant trat vor voll Selbstgefälligkeit,

Und er, der Weise, kramte aus demselben Sack:

Frau Walfisch sei zu dick, durchaus nicht sein Geschmack.

Die Ameis sprach, die Käsemilbe sei ein Zwerg,

Sie hielt sich neben ihr für einen ganzen Berg.

Jupiter hieß sie alle weiterwandern,

Da alle nur für andre sich beklagten.

Am höchsten in der Tollheit aber ragten[11]

Die unsrer Art hervor: Luchs gegenüber andern

Und Maulwurf vor sich selbst, glaubt gut sich jedermann,

Doch häßlich sind die Nächsten, die durchaus nichts taugen:

Sich sieht man mit ganz andern Augen

Als seinen lieben Nachbar an.

 

Als Quersackträger läßt uns Gott durchs Leben wandern.

Ich kenne keinen, den ich hiervon sauber wasche:

Für eigne Mängel dient des Quersacks Hintertasche,

Die vordre ist gefüllt mit Fehlern all der andern.[12]

 

Die Stadtratte und die Feldratte

Es lud einmal die städtische Ratte

Die Ratte aus dem Felde ein

Zu einem Braten, den sie hatte.

Fettammern waren's, zart und fein.

 

Auf einem Perserteppich prangte

Die Tafel, überreich gedeckt.

Was ihren Appetit anlangte –

Gewiß hat's beiden wohlgeschmeckt.

 

Ein Festmahl war es, ohne Frage,

Nichts fehlte, was das Herz begehrt,

Doch plötzlich wurde das Gelage

Im besten Zuge jäh gestört.

 

Ein Lärm von draußen, welch ein Schrecken!

Es poltert an des Saales Tür.

Stadtratte lief, sich zu verstecken,

Und ihre Freundin folgte ihr.

 

Der Lärm erlosch. Als erste wagte

Sich keck hervor die aus der Stadt,

Die tröstlich zu der Bäurin sagte:

»Komm her und esse dich nun satt.«

 

Da sprach die andre: »Meine Beste,

Komm morgen hin zu mir hinaus.

Recht üppig zwar sind deine Feste,

Doch sieh, ich mache mir nichts draus.

 

Bei mir wird alles glatt sich fügen,

Ist einfach auch mein ländlich Brot.

Leb wohl!« – Wie arm ist ein Vergnügen,

Das immer eine Angst bedroht!

 

Der Wolf und das Lamm

Das Recht des Stärkern ist am meisten wert.

Hört, wie es diese Fabel lehrt.

 

Ein Lämmchen löschte in der Flut

Des klaren Quells des Durstes Glut.

Da lag – o böses Ungemach! –

Ein Räuber an demselben Bach,

Ein wilder Wolf, mit leerem Bauch.

Der rief voll Gier und Wut:

»Wer lehrte dich so kühnen Brauch,

Zu trüben meinen Trank?

Wer Frevel treibt, der sühnt es auch!«

Das Lämmchen zitterte und sank

Demütig in die Knie.

»Sire«, sprach es, »Sire, bedenken Sie,

Daß ich weit unterhalb von Ihrem Platze trank,

Und da die Wellen talwärts gehn,

Blieb dort, wo Eure Majestät geruhn zu stehn,

Das Wasser ungetrübt und blank.«

»Du trübst es doch!« rief streng das wilde Tier.

»Auch weiß ich, daß vor Jahresfrist du mir

Viel Übles nachgeredet hast.« – »Vor einem Jahr?«

Entgegnete das Lamm, »eh ich geboren war?

Ich trink noch heute an der Mutter, Sire!«

»So war's ein Bruder denn von dir.«

»Ich habe keinen.« – »Nun, so war's aus deinem Bunde

Ein andrer – wie ihr immer schimpflich von mir denkt,

Ihr, eure Hirten, eure Hunde.[14]

Man sagte mir’s. Und weil ihr mich gekränkt,

Ihr, die ihr sämtlich Bösewichter,

So muß ich Rache üben alsobald.«

Er griff das Lamm und schleppte es zum Wald

Und fraß es – ohne Recht und Richter.[15]

 

Der Drache mit mehreren Köpfen und der Drache mit mehreren Schwänzen

Einst zog, wie ein Histörchen uns berichtet

(Und ist's nicht wahr, so ist's doch gut erdichtet),

Des Sultans Abgesandter, der beim Kaiser war,

Des Sultans Macht der kaiserlichen vor.

Die Worte trafen eines Deutschen Ohr,

Der fand des Türken Meinung anfechtbar.

Er sagte: »Unser Herrscher hat Vasallen,

Die reich und mächtig sind wie er;

Jeder von ihnen könnte nach Gefallen

Besolden ein gewaltig Heer.«

Des Sultans Untertan, ein kluger Mann,

Entgegnete: »Gewiß, wohl hörte ich,

Daß jeder Kurfürst Truppen rüsten kann.

An einen Traum gemahnte dieses mich.

Ich war an sicherm Ort, als jenseits hoher Hecken

Die hundert Köpfe einer Hydra drohten.

Mich überfiel ein kalter Schrecken,

Ich zählte mich schon zu den Toten,

Doch kam ich mit dem Schrecken fort;

Der Drache konnte keine Öffnung finden,

Um durch die hohe Hecke dort

Die vielen Köpfe glatt hindurchzuwinden.

Noch sann ich nach dem Abenteuer,

Da zeigte sich am selben Ort

Ein andres Ungeheuer;

Das hatte nur ein einzig Haupt,

Doch mehr als einen Schwanz am Leibe.

Entsetzlich kam es angeschnaubt –

Unmöglich, daß ich's Euch beschreibe.[16]

Der Kopf schlüpft mühlos durch mit Brust und Bauch,

Und hinterher die Schwänze alle auch;

Nichts hindert sie, leicht ist's vollbracht,

Da eins dem andern Platz gemacht.

Und seht – dies ist der Sache Kern –

So steht's mit Eurem, so mit unserm Herrn.«[17]

 

Der Holzsammler und der Tod

Ein armer Greis, der aus dem Wald

Mit einem Reisigbündel kam

Und müd den Weg nach Hause nahm,

Macht bald, erlahmt, am Wege halt.

Ihn drückt die Last der Jahre schwer,

Und auch die Last auf seinem Rücken

Scheint heute mächtig ihn zu drücken.

Er stellt sie ab, er kann nicht mehr!

Wie plagt ihn doch das Leben sehr,

Wie wenig Freude hat für ihn die Welt!

Ist einer auf dem Erdenrund, der mehr

An Sorgen hat und weniger an Geld?

Kein Brot, doch Weib und Kind und Steuerzahlen,

Die Gläubiger, dazu die harte Fron;

Viel Arbeit und geringer Lohn –

Wer kann ein schwärzer Bild sich malen?

Er ruft den Tod. – Der eilt sofort herbei

Und fragt ihn, was er wolle.

Der andre bittet, daß er ihm behilflich sei,

Ihm aufzuladen seine Reisigrolle.

 

Der Tod kommt schnell, um uns zu heilen,

Doch lassen wir's nur, wie es ist!

Zum Sterben mag sich keiner eilen,

Viel lieber plagt er sich noch eine Frist.

 

Der ältliche Mann mit seinen zwei Geliebten

Ein mäßig alter Mann,

Der schon ein Graukopf war.

Gedachte, eh die Zeit entrann,

Zu freien. Da er Krösus war,

So bot sich ihm die Auswahl dar;

Er konnte unter allen

Sich umsehn nach Gefallen.

Doch will er sich nicht übereilen,

Denn gut zu wählen, ist nicht leicht.

Zwei Witwen fesseln ihn zu gleichen Teilen,

So liebt er beide denn einstweilen

Und wartet, welche wohl der andern weicht.

Die eine war noch grün;

Die andre hatte ihre Reife längst erreicht,

Doch wußte sie geschickt sich zu bemühn,

Das aufzufrischen, was das Alter schon gebleicht.

Die beiden schneiden unserm Mann die Cour,

Sie plaudern, lachen, schmeicheln

Und lieben ihm den Kopf zu streicheln,

Als ordneten sie die Frisur.

Doch wenn der Alten Hand

Ihm durch die Haare fuhr,

So trachtete sie nur,

Die schwarzen, die sie fand,

Ihm heimlich auszuziehn,

Damit der Ehe-Spekulant

Besser zu ihr zu passen schien.

Die Junge zupft das weiße Haar.

So eifrig trieb's das Witwenpaar,

Daß Graukopf bald ein Kahlkopf war.[19]

Und nun erkannte er den Streich.

Da sagte er: »Ich danke euch,

Ihr Schönen, die ihr mich so gut geschoren.

Ich habe mehr gewonnen als verloren:

Ich denke nicht mehr an die liebe Ehe,

Denn die ich nähme, sänne, wie ich sehe,

Nach ihrer, nicht nach meiner Art zu leben;

Und daran mag ein andrer sich gewöhnen!

Ich bin euch sehr verpflichtet, meine Schönen,

Für diese Warnung, die ihr selbst gegeben!«[20]

 

Der Fuchs und der Storch

Gevatter Fuchs, der Knauser, scheute nicht

Die Kosten, Nachbar Storch ein Gastmahl zu spendieren.

Das Mahl war karg: als einziges Gericht

Ließ klare Brühe unser Schelm servieren –

Und diese gar in einem flachen Teller.

Der Storch mit seinem langen Schnabel sticht

Umsonst hinein, doch schleckte um so schneller

Der Fuchs mit breitem Maul das Ganze auf.

Um sich zu revanchieren,

Bat kurze Zeit darauf

Der Storch den Fuchs, bei ihm nun zu soupieren.

Der sprach: »Ich komme gern,

Zu speisen bei so liebem Herrn.«

Er eilte zur gegebnen Zeit

Zur Storchenwohnung, pries die Liebenswürdigkeit

Des Freundes, labte sich entzückt

Am Duft des Fleisches, das zerstückt

Und fein gekocht – so ganz, wie er's am liebsten mag,

Zunächst noch abseits lag.

Er war mit gutem Appetit beglückt,

Der Füchsen selten fehlen soll.

Doch ach, wie war das jammervoll:

Man trug das Mahl in einer engen Flasche auf!

Die Mündung war nicht weiter als ein Büchsenlauf.

Der Storchenschnabel tauchte leicht hinein ins Glas,

Des Gastes Schnauze aber brauchte andres Maß.

Mit leerem Magen zog der Herr nach Haus,

Mit eingekniffnem Schwanz und schlappen Ohren;[21]

Er sah beschämter als ein Füchslein aus,

Dem keck ein Huhn den Pelz geschoren.

 

Merkt's euch, Betrüger all auf Erden:

Auch ihr sollt so betrogen werden![22]

 

Der Knabe und der Schulmeister

Wie sinnlos Narren oftmals schwatzen, statt zu handeln,

Das zeigt uns diese Fabel gut.

 

Ein Junge, dem's gefiel, am Uferrand zu wandeln,

Glitt in des Stromes tiefe Flut.

Der Himmel wollte, daß dort eine Weide stand,

An deren Ruten sich das Kind mit schneller Hand

Festklammerte; es schwebte zwischen Tod und Leben.

Der Unschuld Engel wollte weiter, daß soeben

Ein Mensch, ein Schulmeister, des nächsten Weges kam

Und unsres Knaben lauten Hilferuf vernahm.

Er blickte hin und sah das Kind im Wasser schweben

Und fing sogleich mit ernstem Ton zu schelten an:

»Du kleiner Affenpinscher, was hast du getan!

Da siehst du nun, wohin dich deine Dummheit führt.

Mehr Prügel hätten dir, du Schlingel, wohl gebührt.

Bedauernswerte Eltern solcher schlimmen Knaben,

Was müssen sie mit ihnen doch für Sorgen haben!

Mein Gott, wie sind sie hart geplagt

Durch solcher Bengel Unverstand!«

Nachdem er dies und mehr gesagt,

Zog endlich er das Kind ans Land.

 

Den Schulmeister könnt ich mit vielen Namen nennen.

Der Schwätzer, Nörgler und Pedant –

Sie alle mögen sich in seinem Bild erkennen,

Und riesengroß ist ihr Bestand,

So zahlreich wie der Ufersand.[23]

In allen Lagen suchen sie nach Mitteln,

Uns ihre Zunge gründlich auszuschütteln.

Erst, Freundchen, ziehe mich aus der Gefahr –

Und, bitte, später dann den Kommentar![24]

 

Der Hahn und die Perle

Ein Hahn, der eine Perle fand,

Trug diesen edlen Gegenstand

Zum nächsten Juwelier.

»Sie mag«, so sprach er, »kostbar sein,

Doch wär ein Körnchen, noch so klein,

Bei weitem lieber mir.«

 

Ein Stutzer erbt ein Manuskript.

Zum nächsten Buchverleger wippt

Er hin und spricht: »Seht hier,

Das Ding da scheint von Wert zu sein,

Doch wär ein Batzen, noch so klein,

Bei weitem lieber mir.«

 

Die Hornissen und die Bienen

In seinem Werk stellt sich der Künstler dar.

 

Hornissen stritten einst mit einer Bienenschar

Um ein paar herrenlose Honigwaben.

Ein jeder meinte Recht zu haben,

Die Waben in Besitz zu nehmen.

So muß man endlich sich bequemen,

Als Schiedsrichter die Wespe zu befragen.

Ein Richterspruch indes war schwer:

Die Zeugen konnten nur das eine sagen,

Daß längliche beflügelte Insekten

Einst eifrig schaffend in den Waben steckten;

Gewiß, sie glichen wohl den Bienen sehr,

Doch ach, die vorgenannten Zeichen

Sind bei Hornissen fast die gleichen.

Die Wespe nun, um in die Sache Licht zu tragen,

Beschloß, ein Volk Ameisen zu befragen;

Umsonst: der Fall war nicht zu schlichten.

Da rief ein Bienchen in besorgtem Ton:

»Sechs Monde hängt die Sache schon,

Doch ist kein Fortschritt zu berichten.

Der Honig wird uns noch verderben,

Ein schneller Spruch tut not, sonst frißt

Den süßen Stoff der Bär mit seinen Erben;

Drum laßt das unnütz viele Fragen,

Das Wortewägen und das Hin und Her,

Da ein viel beßres Mittel ist,

Den Streitfall endlich auszutragen:

Laßt uns und auch den Gegner Waben bauen!

Gewiß ist die Entscheidung dann nicht schwer,

Denn wessen Zellen jenen ähnlich schauen,[26]

Die hier in Frage stehn, der ist im Recht.«

Da wehrten die Hornissen sich nicht schlecht,

Und ihre Weigrung zeigte klar,

Welche Partei im Unrecht war.

Der Honig wurde unverweilt

Den klugen Bienen zugeteilt.