Sophokles: König Ödipus

 

 

Sophokles

König Ödipus

 

 

 

Sophokles: König Ödipus

 

Übersetzt von Karl Wilhelm Ferdinand Solger

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Rudolf Jettmar, Ödipus und die Sphinx (Ausschnitt), 1932

 

ISBN 978-3-8430-5704-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-1541-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-1542-4 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden zwischen 430 und 425 v. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von K.W.F. Solger.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Griechische Tragiker: Aischylos, Sophokles, Euripides. Hg. v. Wolf Hartmut Friedrich, übers. v. J. G. Droysen (Aischylos), K. W. F. Solger (Sophokles), J. A. Hartung (Euripides), München: Winkler, 1958.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Personen

 

Ödipus

 

Iokaste

 

Kreon

 

Teiresias

 

Ein Priester

 

Ein Bote

 

Ein Hirt des Laïos

 

Ein Diener

 

Chor thebanischer Greise[396]

 

Vor dem königlichen Palast zu Theben. Um den Altar sitzt das Volk nebst den Priestern mit Ölzweigen in den Händen. Ödipus tritt aus dem Palast.

 

ÖDIPUS.

O Kinder, ihr des alten Kadmos neu Geschlecht,

Zu welcher Zuflucht kamet ihr dahergeschreckt,

Geziert mit Ölgezweigen Hilfeflehender?

Die Stadt erfüllt auch überall Rauchopferduft

Und auch mit Paianstönen rings Wehklagelaut.

Was nicht von Boten auszuforschen würdigend,

Ich, teure Kinder, selber mich hierherbegab,

In allem Volke rühmlich Ödipus genannt.

Du aber, Alter, rede, weil du würdig bist,

Ihr Wort zu führen; wessenhalb erschienet ihr?

Was fürchtend, was begehrend? weil ich sicher euch

In allem beistehn will und wär unfühlend auch,

Ohn innges Mitleid solches Flehn mita anzuschaun.

PRIESTER.

O meiner Landschaft Oberherrscher, Ödipus,

Du siehst, ein jeglich Alter sitzt, herzugedrängt,

Um deinen Altar: jene, die sehr weit annoch

Nicht fliegen mögen, diese schwer von Alter schon,

Die Priester, ich, Zeus' Diener; hier der Jünglinge

Auswahl; und Scharen andrer Zweigumschlungener

Umsitzen Pallas' Doppelhäuser dort und hier

Den ganzen Marktplatz, dort Ismenos' Seherherd.

Es schwankt die Stadt ja, siehst du selbst, schon allzusehr

Im Wogenaufruhr; vorzutauchen strebet sie

Aus Tiefen blutger Wogen schon umsonst das Haupt,

Hinschwindend stets mit jedem Keim der Erdenfrucht,

Hinschwindend auf den Triften, mit der Weiber auch

Fruchtlosem Kreißen; und dazu jagt stürmend noch

Die Stadt verhaßter Seuche feuerheißer Gott,

Der Kadmos' Wohnung leeret und verschwenderisch

Mit Klag und Wehschrein Hades' schwarzes Haus erfüllt.

Drum, zwar den Göttern nimmer gleich dich achtend, stehn[397]

Ich selbst und hier die Kinder deinem Herde nah,

Jedoch der Männer Ersten bei des Lebens Gang

Dich schätzend oder gottgesandten Fügungen,

Der, her zu Kadmos' Stadt gelangt, uns löste bald

Der grimmen Sängrin lange dargereichten Zins;

Und das, von niemand unser je belehrt dazu

Noch vorbereitet; nein, mit Götterhilf allein,

So sagt und glaubt man, hast du uns emporgelenkt.

Auch nun vor allen, Ödipus' gewaltig Haupt,

Umflehen dich nur diese Zufluchtsuchenden,

Uns Hilfe schnell zu finden, sei sie angezeigt

Durch Götterausspruch oder durch der Menschen Rat.

Denn stets Erfahrungsreichen lebt am meisten ja

In günstgem Schicksal, seh ich, auf ihr Ratbeschluß.

Auf, aller Menschen Bester, heb empor die Stadt,

Auf, sorge treulich; denn es preist zwar dieses Land

Dich schon Erretter für den vorgen Heldenmut.

Doch deiner Herrschaft denken einst wir nimmermehr,

Erst aufgerichtet, aber dann zurückgestürzt.

Nein, unzerrüttbar stelle nun die Stadt empor.

Mit guter Schicksalsvögel Zeichen gabst du erst

Uns Heil und Rettung; zeige nun dich wieder so.

Denn willst du herrschen, wie du tust, ob diesem Land,

Ist's schöner wahrlich menschenreich als ausgeleert.

Denn nichts gewißlich wäre Schiff noch feste Burg,

Geleert von Mannschaft, innen öd und unbewohnt.

ÖDIPUS.

O arme Kinder, wohlbekannt, nicht unbekannt

Ist euer Flehn mir alles. Wohl erkenn ich, daß

Ihr alle kranket, aber doch, ihr Kranken, ist

Der Euren niemand, welcher gleich mir selber krankt.

Denn euer Unheil trifft ja doch den einzelnen

Allein an sich nur, keinen sonst; und mein Gemüt,

Zugleich beseufzt es diese Stadt und mich und dich.

Drum nicht vom Schlafe weckt ihr mich Entschlummerten;

Vielmehr vernehmet, daß ich viel euch weinte schon

Und viele Pfade schon im Geist umher betrat;

Und ein Errettungsmittel, das ich ausgespäht,[398]

Versucht ich endlich. Denn Menoikeus' edler Sohn,

Mein eigner Schwager, Kreon, ward zum pythischen

Thron Phoibos' abgesendet, daß er forsche, wie

Wort oder Handlung diese Stadt befreien kann;

Auch sorg ich schon um diesen, zähl ich, seit er ging,

Der Zeiten Ablauf. Denn er weilt um vieles schon

Über die Vermutung länger, als sein Weg verlangt.

Doch wenn er ankommt, schnöde wär ich dann gesinnt,

Nicht gleich erfüllend, was der Gott andeuten mag.

PRIESTER.

Zum Glücke sprachst du wahrlich; denn schon winken ja,

Daß Kreon herwärts schreite, dort mir jene zu.

 

Kreon tritt auf.

 

ÖDIPUS.

O Fürst Apollon, mög er doch mit solchem Heil

Beglückend annahn, wie erfreut sein Auge glänzt!

PRIESTER.

Froh, nach dem Anschein, kommt er. Nicht umwände sonst

Sein Haupt bekränzend voller Lorbeerzweige Frucht.

ÖDIPUS.

Bald wissen wir's. Denn schon zu hören naht er uns.

O Herrscher, Blutsfreund, sprich, Menoikeus' edler Sohn,

Welch heilgen Ausspruch Gottes bringst du kommend uns?

KREON.

Heilvollen. Denn auch Mühbeladnes, mein ich, wenn

Zum Heil es nur sich endet, sei vollkommen gut.

ÖDIPUS.

Wie aber lautet's? Denn ich nahm nicht dreisten Mut

Noch banges Ahnen aus dem jetzt gesagten Wort.

KREON.

Wofern im Beisein dieser du's vernehmen willst,

So sprech ich; oder geh auch dort mit dir hinein.

ÖDIPUS.

Vor allen ruf es. Denn ich fühl um diese mehr

Der Leiden als um meines eignen Hauptes Heil.

KREON.

So sag ich alles, was der Gott mir kundgetan.

Es hieß der König Phoibos unzweideutig uns,

Der Stadt Befleckung, hier im Land ernährt, hinaus-

Zujagen, nicht zu pflegen Unaussühnliches.

ÖDIPUS.

Durch welche Säubrung? Welcher Art sei dieses Weh?

KREON.

Es landverjagend oder auch mit Morde Mord

Abstrafend; Blutschuld sei es, was dies Land bestürmt.

ÖDIPUS.

Den Todesunfall welchen Mannes deutet dies?[399]

KREON.

Es war, o König, dieser Stadt Anführer uns

Einst, ehe du dies Land erhobest, Laios.

ÖDIPUS.

Dies hört ich oftmals; denn ich sah nicht jenen mehr.

KREON.

Ob dessen Tode leget zweifellos der Gott

Uns auf, die Mörder durch das Schwert zu züchtigen.

ÖDIPUS.

Wo aber sind sie? Wer vermag hervorzuspähn

Der alten Untat schwerlich unterschiedne Spur?

KREON.

Im Lande, sprach er. Doch Gesuchtes läßt allein

Sich finden; stets entfliehet Unbeachtetes.

ÖDIPUS.

In seiner Wohnung oder auf dem Lande fiel

Oder in der Fremd in Mörderhände Laios?

KREON.

Den Gott zu fragen, zog er, wie er sprach, und ist

Seit dieser Abfahrt nimmermehr zurückgekehrt.

ÖDIPUS.

Kein Abgesandter, kein Genosse seiner Fahrt

Ersah's, von dem man forschend dies erkundigte?

KREON.

Sie fielen außer einem, der, aus Furcht entflohn,

Vom ganzen Vorgang eins zu sagen wußt allein.

ÖDIPUS.

Und was? Zu vielem spüret eins vielleicht den Weg,

Wird unsrer Hoffnung kleiner Halt nur dargereicht.

KREON.