Laotse: Tao Te King. Das Buch vom Sinn und Leben
Übersetzt von Richard Wilhelm
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
ISBN 978-3-8430-5861-2
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-1535-6 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-1536-3 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden um 400 v. Chr. Hier in der Übersetzung von Richard Wilhelm.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Übersetzt und mit einem Kommentar von Richard Wilhelm, Düsseldorf/Köln: Eugen Diederichs Verlag, 1952.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Was wir von dem Verfasser der vorliegenden Aphorismensammlung historisch Beglaubigtes wissen, geht sehr eng zusammen. Es ist so wenig, daß die Kritik, die auf dem Gebiet der Sinologie noch in den Anfangsstadien der Schärfe ist, vielfach gar nichts mehr davon bemerkte und ihm samt seinem Werk im Gebiet der Mythenbildung den Platz anwies. Der Autor selbst würde seiner ganzen Art nach auch dagegen wenig einzuwenden haben. Auf Berühmtheit hat er nie Wert gelegt, und er hat es verstanden, sich vor den Augen der Welt gut zu verbergen, sowohl zu seinen Lebzeiten als auch nach seinem Tode. »Sein Streben war, sich selbst zu verbergen und ohne Namen zu bleiben« ist das Urteil des chinesischen Geschichtsschreibers Sï Ma Tsiën (163-85 v. Chr.) über ihn. Diesem Geschichtsschreiber verdanken wir die wesentlichen Daten über sein Leben, mit denen wir uns abzufinden haben. Der Name Laotse, unter dem er in Europa bekannt ist, ist gar kein Eigenname, sondern ein Appellativum und wird am besten übersetzt mit »der Alte«1. Er hatte den Geschlechtsnamen Li, der an Häufigkeit in China den deutschen Namen Maier noch übertrifft; sein Jugendname war Erl (Ohr), sein Gelehrtenname war Be Yang (Graf Sonne), nach dem Tode erhielt er den Namen Dan, bzw. Lao Dan (wörtlich: altes Langohr, sinngemäß übersetzt: alter Lehrer). Er stammt wohl aus der heutigen Provinz Honan, der südlichsten der sogenannten Nordprovinzen, und mag wohl ein halbes Jahrhundert älter gewesen sein als Kung, so daß seine Geburt auf das Ende des 7. vorchristlichen Jahrhunderts fällt. Im Lauf der Zeit hatte er am kaiserlichen Hof, der damals in Loyang (in der heutigen Provinz Honan) war, ein Amt als Archivar bekleidet. Damals sei es gewesen, daß Kung bei seiner Reise an den Kaiserhof mit ihm zusammengetroffen sei. Über dieses Zusammentreffen der beiden Heroen ist in der chinesischen Literatur viel die Rede. Außer in dem erwähnten historischen Werk wird auch in dem Werk Li Gi, das der konfuzianischen Schule entstammt, ferner in den – allerdings ziemlich späten – »konfuzianischen Schulgesprächen« (Gia Yü), sowie in der taoistischen Literatur von verhältnismäßig früher Zeit an dieses Zusammentreffen direkt oder indirekt erwähnt. Jedenfalls war dieses Zusammentreffen in der Zeit der Han-Dynastie (zwei Jahrhunderte v. Chr.) schon so geläufig im Volksbewußtsein, daß wir in den berühmten Grabskulpturen in Westschantung (bei Gia Siang) eine bildliche Darstellung davon finden, wie Kung bei seinem Besuch dem Laotse als Ehrengabe einen Fasan überreicht. Über die Gespräche, die bei dieser Gelegenheit geführt wurden, finden sich mannigfaltige[4] Berichte. Sie stimmen alle darin überein, daß Laotse über die Heroen der Vorzeit, die geehrten Vorbilder Kungs, ziemlich absprechend urteilt und ihn von der Hoffnungslosigkeit seiner Kulturbestrebungen zu überzeugen sucht, während Kung seinen Jüngern gegenüber sich voll Hochachtung über den unfaßbar tiefen Weisen äußert, indem er ihn mit dem Drachen vergleicht, der sich zu den Wolken erhebt. Im ganzen läßt sich der Stoff der aufgeführten Unterredung aus den Äußerungen des Taoteking, sowie aus den Erzählungen von dem Zusammentreffen Kungs mit den »verborgenen Weisen« in »Gespräche« Buch 18 ungefähr zusammenstellen. Es ist klar, daß sich über den Wortlaut dieser Unterredung nichts Zuverlässiges mehr feststellen läßt. Ob man die ganze Unterredung, wie Chavannes in seiner Übersetzung Sï Ma Tsiëns (Les mémoires historiques de Se-Ma Tsien, Tome V, Paris 1905, pag. 300 f.) geneigt ist, ins Reich der Fabel zu verweisen hat, ist schwer zu entscheiden. Zu denken gibt ja, daß sich in den »Gesprächen«, wo mehrere andere derartige Begegnungen erwähnt werden, nichts darüber findet2.
Als die öffentlichen Zustände sich so verschlimmerten, daß keine Aussicht auf Herstellung der Ordnung mehr vorhanden war, soll Laotse sich zurückgezogen haben. Als er an den Grenzpaß Han Gu gekommen sei, nach späterer Tradition auf einem schwarzen Ochsen reitend, habe ihn der Grenzbeamte Yin Hi gebeten, ihm etwas Schriftliches zu hinterlassen. Darauf habe er den Taoteking, bestehend aus mehr als 5000 chinesischen Zeichen, niedergeschrieben und ihm übergeben. Dann sei er nach Westen gegangen, kein Mensch weiß wohin. Daß auch an diese Erzählung sich die Sage geknüpft hat, die Laotse nach Indien führte und dort mit Buddha in Berührung kommen ließ, ist verständlich. Bei den späteren Auseinandersetzungen zwischen den beiden Religionen behaupteten beide, daß der Religionsstifter der andern bei dem der eigenen Religion gelernt habe. In Wirklichkeit ist der Han Gu-Paß nur im Westen des damaligen Staates Dschou, aber noch mitten in China. Irgendeine persönliche Berührung zwischen Laotse und Buddha ist vollkommen ausgeschlossen. Man hat da spätere Zustände in das historische Bild zurückgetragen.
Aber dabei blieb es nicht. Gerade weil das Leben des »Alten« der Forschung so wenig Anhalt bot, konnte die Sage um so freier damit schalten. Die Persönlichkeit des verborgenen »Alten« wuchs immer mehr ins Riesengroße und zerfloß schließlich zu einer kosmischen Gestalt, die zu den verschiedensten Zeiten auf Erden erschienen sei. Die albernen Spielereien mit der Bezeichnung[5] Laotse (die auch mit »altes Kind« übersetzt werden kann) brauchen in unserem Zusammenhang nicht erwähnt zu werden. –
Aus dieser Spärlichkeit und Unsicherheit der Nachrichten ergibt sich klar, daß wir über das Werk des Laotse wenig Aufschluß gewinnen können aus seiner Lebensgeschichte. Wie alles Geschichtliche, so löst sich auch das Lebensgeschichtliche für den Mystiker auf in wesenlosen Schein. Und doch spricht uns aus den vor uns liegenden Aphorismen eine originale und unnachahmliche Persönlichkeit an, unseres Erachtens der beste Beweis für ihre Geschichtlichkeit. Aber man muß das Gefühl für solche Dinge haben, streiten läßt sich darüber nicht. Schließlich kommt der Frage kein entscheidendes Gewicht zu. Der Taoteking ist jedenfalls vorhanden, einerlei wer ihn geschrieben hat.
Weit mehr als von dem persönlichen Lebensgang des Verfassers ist von seinem Werk in der chinesischen Literatur die Rede. Zum mindesten ein Ausspruch daraus wird in den Gesprächen des Kung erwähnt und kritisiert (Buch XIV, 36, pag. 163). Nun ist ja nicht ausgeschlossen, daß dieser Ausspruch aus weiter zurückliegenden Quellen stammt, die auch unabhängig von Laotse zugänglich waren. Aber wir sind auf diese Bezeugung nicht allein angewiesen. In erster Linie wird man in der taoistischen Literatur nach Zitaten suchen müssen. Und in der Tat fehlt es hier auch nicht daran. Es läßt sich konstatieren, daß von den 81 Abschnitten des Taoteking in den bedeutendsten taoistischen Schriftstellern der vorchristlichen Zeit weitaus der größte Teil sich zitiert findet. So schon in Lië Dsï (herausgegeben im 4. Jahrhundert v. Chr.) 16 Abschnitte. Dschuang Dschou (bekannt als Tschuangtse), der glänzendste Schriftsteller des Taoismus, der im 4. Jahrhundert lebte, hat seine ganzen Ausführungen durchgängig auf die Lehren des Taoteking basiert, so sehr, daß er sich ohne sie nicht denken läßt. Han Fe Dsï, der 230 v. Chr. unter Tsin Schï Huang Di starb, hat in Buch 6 und 7 eine teilweise sehr ausführliche Erklärung von zusammen 22 Abschnitten. Huai Nan Dsï endlich, ein Zeitgenosse Sï Ma Tsiëns (gest. 120) Buch 12 erläutert der Reihe nach, meist durch historische Beispiele, 41 verschiedene Abschnitte. Im ganzen bekommen wir mindestens 3/4 der Abschnitte auf diese Weise bezeugt. Das sind ganz günstige Verhältnisse für ein Werkchen von der Kürze des Taoteking. Es spricht aber auch dafür, daß der Taoteking keine buddhistische Fälschung aus später Zeit ist, es sei denn, daß man ihn auch der großen Fabrik Sï Ma Tsiën & Co. entstammen läßt, die entdeckt zu haben Mr. Allen die Ehre hat.
In der Han-Dynastie wenden sich mehrere Kaiser dem Studium des Taoteking zu, so besonders Han Wen Di (197-157 v. Chr.), dessen friedliche und einfache Regierungsart als direkte Frucht der Lehren des alten Weisen bezeichnet[6] wird. Sein Sohn Han Ging Di (156-140) legt endlich dem Buch die Bezeichnung Taoteking (Dao De Ging, d.h. »das klassische Buch vom Sinn und Leben«) bei, die es seither in China behalten hat.
Han Wen Di soll das Buch von Ho Schang Gung (dem »Herrn am Fluß«) erhalten haben, der auch einen Kommentar dazu geschrieben habe. Über die Person dieses Mannes, dessen Namen niemand weiß, ist man sich keineswegs im klaren. Auch chinesische Autoren (allerdings aus späterer Zeit) haben seine Existenz bezweifelt. Doch beginnen von jener Zeit an die Kommentare häufiger zu werden. Im Katalog der Han-Dynastie sind allein drei aufgeführt. Der älteste der zuverlässigen Kommentare, die jetzt noch vorhanden sind, ist der von Wang Bi, dem wunderbar begabten Jüngling, der im Jahr 249 n. Chr. im Alter von 24 Jahren starb. Von da ab häufen sich die Kommentare aller Schattierungen. Selbst der Begründer der gegenwärtigen Dynastie hat unter seinem Namen einen sehr berühmten Kommentar herausgeben lassen. Es würde zu weit führen, hier das Detail aufzählen zu wollen. Daß ein Werk wie der Taoteking in den Stürmen der alten Zeit auch manches zu leiden hatte, so daß der Text keineswegs in glänzendem Zustand ist, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Die Erklärungen zu den einzelnen Abschnitten werden sich genauer damit zu beschäftigen haben. Die Einteilung in Abschnitte ist nicht ursprünglich, nur die zwei Hauptteile vom »SINN« (Dao) und vom »LEBEN« (De), nach den Anfangsworten der betreffenden Teile, scheinen ganz alt zu sein. Sie wurden dann in der Bezeichnung »Dao De Ging« zusammengefaßt. Die von uns beibehaltene Einteilung in 37 und 44 Abschnitte und die – nicht immer sehr zutreffenden – Überschriften gehen angeblich auf Ho Schang Gung zurück.
Die ältesten Holzschnittdrucke finden sich in der Zeit der Sung-Dynastie.
Das Licht des chinesischen Altertums konzentriert sich in den beiden Brennpunkten Kungtse und Laotse. Um ihre Wirksamkeit würdigen zu können, muß man sich die historischen Verhältnisse vergegenwärtigen, unter denen sie gelebt haben. Das ist ohne weiteres klar für Kungtse. Er lebt in der Wirklichkeit. Darum ist er mitten drin in historischen Beziehungen. Die »Gespräche« z.B. sind voll von Erwähnungen und Beurteilungen historischer Persönlichkeiten der Gegenwart und der Geschichte. Würde man diese Beziehungen alle streichen, so bliebe er unverständlich. Eben darum steht er dem europäischen Geistesleben, das andere historische Zusammenhänge hat, bis auf den heutigen Tag so fremd gegenüber, und andererseits ist das der Grund, daß er das chinesische Geistesleben Jahrtausende hindurch so ungemein stark beeinflußt hat. Was Laotse anlangt, so scheinen die Verhältnisse ganz anders zu liegen. Kein einziger historischer Name ist in seinem ganzen Büchlein genannt. Er will gar nicht in der Zeitlichkeit[7] wirken. Darum verschwimmt er für das historisch gerichtete China in nebelhafte Fernen, da ihm niemand zu folgen vermag. Und eben das ist der Grund, warum er in Europa so große Wirkungen ausübt trotz des räumlichen und zeitlichen Abstands, der ihn von uns trennt.
Sehr gut schildert der japanische Kommentar des Dazai Schuntai die Grundsätze der beiden. Erst gibt er einen kurzen Überblick über die Zeitverhältnisse und fährt dann fort, Kungtse habe das Volk angesehen wie Kinder, die aus Unvorsichtigkeit dem Feuer oder Wasser zu nahe gekommen und die man unter allen Umständen retten müsse. Er habe wohl erkannt, wie schwer die Rettung sei, aber die Verpflichtung zu retten sei darum doch nicht von ihm gewichen. So habe er jedes erdenkliche Mittel versucht, um die Lehren der alten Heiligen auf dem Thron, in denen er das Heilmittel sah, zur Anwendung zu bringen. Darum sei er die beste Zeit seines Lebens rastlos umhergewandert, um einen Fürsten zu finden, der geneigt gewesen wäre, diese Lehren anzuwenden. Nicht leere Geschäftigkeit oder eitle Ruhmsucht habe ihn zu diesen verzweifelten Anstrengungen gebracht, sondern die unerbittliche Pflicht zu helfen, weil er sich im Besitz der Mittel zur Hilfe wußte. Und als schließlich alles vergeblich war, weil die Verhältnisse so sehr aus den Fugen waren und ihm die Umstände auf keine Weise zu Hilfe kamen, da habe er resigniert. Aber auch dann noch habe er seine Verpflichtung nicht vergessen und habe im Kreise seiner Jünger und durch seine literarische Tätigkeit eine Überlieferung geschaffen, durch die wenigstens der Grundriß der alten guten Gesellschaftsordnung der Nachwelt aufbewahrt würde und seine Lehren als Samenkorn auf die Zukunft kämen, daß, wenn die Verhältnisse sich je wieder günstig gestalteten, ein Anhaltspunkt vorhanden wäre, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Laotse dagegen habe erkannt, daß die Krankheit, an der das Reich litt, keine solche war, der man mit irgendwelchen Medizinen – und wären es die besten – beikommen könne. Denn der Volkskörper war in einem Zustand nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Wohl hätten in früheren Zeiten auch böse Zustände geherrscht, aber damals sei das Böse sozusagen verkörpert gewesen in irgendeinem Tyrannen, während der Grimm des Volkes in starker Reaktion sich um einen edlen Neuerer geschart und so mit energischer Tat an Stelle des Alten eine bessere neue Ordnung gesetzt habe. Anders zur Zeit der endenden Dschou-Dynastie. Weder starke Laster noch starke Tugenden seien vorhanden gewesen. Das Volk seufzte zwar unter dem Druck seiner Oberen, aber es hatte nicht mehr die Kraft zu einer energischen Willenstat. Die Fehler waren keine Fehler und die Verdienste waren keine Verdienste. Und tiefgreifende innere Unwahrhaftigkeit hatte alle Verhältnisse durchfressen, so daß nach außen hin Menschenliebe, Gerechtigkeit und Moral noch immer verkündigt wurden als hohe Ideale, während im Innern[8] Gier und Habsucht alles vergifteten. Bei solchen Zuständen mußte jedes Ordnen die Unordnung nur mehren. Solch einer Krankheit ist nicht mit äußeren Mitteln zu helfen. Besser, man läßt den angegriffenen Körper erst einmal zur Ruhe kommen, damit er durch die Genesungskräfte der Natur sich erst wieder einmal erhole. Das sei der Sinn des Vermächtnisses gewesen, das er bei seinem Scheiden aus der Welt in den 5000 Worten des Taoteking hinterlassen habe.
Diese im Auszug wiedergegebenen Ausführungen erklären zur Genüge die Geschichtsmüdigkeit Laotses, und warum er kein einziges historisches Beispiel in seinem Werkchen erwähnt. Wenn auch in anderem Rhythmus und mit anderer Betonung, hat um die Mitte des 18. Jahrhunderts Rousseau in seinem »Zurück zur Natur« dieselbe Wahrheit verkündet.
Dennoch würde es verkehrt sein, Laotse aus dem Zusammenhang des chinesischen Geisteslebens herauszuschälen; denn er ist mit tausend Fäden damit verknüpft. Wohl fällt das Geschichtliche als solches nicht in seinen Gesichtskreis. Aber er hat das chinesische Altertum dennoch gekannt, wozu ihm ja schon seine Stellung am Reichsarchiv Gelegenheit bot. Und er hat seine Lehren verkündigt in Anknüpfung an und unter unbedenklicher Verwertung von alten Weisheitssprüchen. Sein Buch ist voll von Zitaten, sowohl ausdrücklichen als auch – und das vielleicht noch mehr – stillschweigenden. Schon der eine Umstand, daß Abschnitt 6 des Taoteking von Lië Dsï dem gelben Kaiser, einem mythischen Herrscher der grauen Vorzeit, zugeschrieben wird, zeigt, daß offenbar manches im Taoteking steht, was auch anderwärts überliefert war. In derselben Richtung liegt es, wenn Tu Tao Giën (nach St. Julien) alle die Stellen, die mit »also auch der Berufene« beginnen, einem ebenfalls auf den Kaiser zurückgeführten Buch (San) Fen (Wu) Diën entstammen läßt. Im einzelnen wird es schwer oder unmöglich sein, allen solchen Zitaten auf die Spur zu kommen. Es ist für die Sache auch vollständig gleichgültig, da ein so starker einheitlicher Geist durch das ganze Werk geht, daß alles, was darin steht, tatsächlich zum Eigentum des Verfassers geworden ist, mag es stammen woher es will. Uns genügt hier die Tatsache, daß Laotse ebensogut die Fortsetzung einer alten chinesischen Geistesrichtung bedeutet wie Kungtse. Ja es geht das sogar aus den Schriften der Konfuzianischen Schule selbst hervor. Die Begriffe des Tao (dao), von uns übersetzt mit »SINN«, und des Te (de), von uns übersetzt mit »LEBEN«, finden sich ebenfalls in den Konfuzianischen Schriften in kardinaler Stellung. Sie erscheinen dort nur in andrer Beleuchtung, ja man ist vielfach in der Lage, eine direkte gegenseitige Kritik, die die beiden Richtungen aneinander üben, zu beobachten. So ist gleich der Anfang des Taoteking eine Kritik des einseitig historisch als »Weg der alten Könige« gefaßten Begriffs des Tao, wie er bei denen um Kungtse gang und gäbe war. Die Stelle in den Gesprächen[9]