Annette von Droste-Hülshoff: Perdu! oder Dichter, Verleger und Blaustrümpfe. Lustspiel in einem Akte
Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Annette von Droste-Hülshoff (Gemälde von J. Sprick, 1838)
ISBN 978-3-8430-8491-8
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-9394-1 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-9395-8 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden: 1840.
Erstdruck: Aus dem Nachlaß in: Gesammelte Werke, herausgegeben von Elisabeth Freiin von Droste-Hülshoff, 4. Band, Münster und Paderborn (Schöningh) 1886.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Nach dem Text der Originaldrucke und der Handschriften. Herausgegeben von Günther Weydt und Winfried Woesler, Band 1–2, München: Winkler, 1973.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Herr Speth, Buchhändler in einer Stadt am Rheine
Seine Frau
Ida, seine Tochter
Sonderrath, Poeta laureatus
Willibald, Dichter minimi moduli und nebenbei Rezensent
Seybold, Rezensent und nebenbei Dichter
Frau von Thielen, Blaustrumpf von Stande
Claudine Briesen, naiv-gefühlvoller Blaustrumpf
Johanna von Austen, Blaustrumpf du bon vieux temps[510]
Ein Buchladen; im Vordergrunde ein Fenster mit halbgeschlossenen Vorhängen, das auf den Rhein geht; alle Stühle mit Papieren, Ballen etc. beladen.
SPETH ein kleines, magres Männchen, mit rotem Gesichte, graulichtem Haare, einer Brille, sitzt vor einem mit Papieren und Paketen bedeckten Tische und hält einen offnen Brief in der Hand; lesend. »Und kurz, Herr Speth, ich kann nicht, durchaus nicht. Die Rebe blüht, alles liebt und paart sich, da wird mir der Pegasus auch kollrig und rennt Gott weiß welcher Irionswolke nach. Indessen kann es sein, daß wir uns bald sehn; mich hat geträumt, ich würde nächstens Lust bekommen, an den Rhein zu gehn, respektive fahren, schwimmen – ob's dazu kommt? Nescio; und somit Gott befohlen. Ihr ergebener Friedrich Sonderrath.« Er läßt das Blatt sinken. Ja wohl, Sonderrath! ich bin sonder Rat. – Windbeutel und kein Ende! Und ob er nun hieher kommt, das steht auch noch sehr dahin, nachdem er mich vier Wochen lang hat auf sich warten lassen. Er wirft den Brief auf den Tisch; heftig. Nein, nein, nein! Ich will mich auch gar nicht mehr mit dem Dichtervolk einlassen. Wer liest denn noch Gedichte? Eine Kammerjungfer, die in den Sekretär verliebt ist? Aber ich bin zu fromm, viel, viel zu fromm, – ein alter Kerl, zwanzigmal angeführt, und doch noch nicht klug; ich sage es immer, sie werden mich noch aus Rock und Kamisol schreiben. Na, weiter! Er ergreift ein Paket. Das dickste zuerst! Er öffnet es. Hu, Krebse! »Das Echo im Felstale«, von Claudine Briesen – Zählt. – zehn – zwanzig – und dreißig – vierzig – fünfzig – wie? Er nimmt das letzte Bündel nochmals. Zwei – vier – sechs – acht – zehn – o Jammer, Jammer! Auch nicht ein einziges Exemplar verkauft! Ärgerlich. Du alte[511] Schachtel, komm du mir mal wieder, mit deinen Pavodettenaugen und deinen weißen Schwungfedern! Doch – 's ist meine eigene Schuld; warum bin ich ein Esel! Er nimmt ein zweites Paket; freudig. Ha, Seybold, und ein gutes Bündel! Er wägt es auf der Hand. Das ist delikat, da steckt noch manches Gläschen Wein darin; Öffnet es. wenn das lauter Rezensionen sind, dann können sie mir das Loch im Geldbeutel schon so ziemlich wieder zuziehn. Er schlägt die Blätter auseinander. O weh, Gedichte! Lauter, lauter Gedichte! Seufzend. Wenn mir der gute Mann doch nicht immer so viele schlechte Gedichte zu seinen guten Rezensionen einakkordierte! Er betrachtet das Paket. Ein dicker, saurer Apfel, und ich muß doch hineinbeißen, sonst geht er mir Mit den Fingern schnellend. Pst! Hm, auch ein Brief. Er öffnet ihn. Was? Was ist das? Gedichte von Anna Freiin von Thielen, und die soll ich ihm verlegen? Ich? Hab' ich nicht genug an seinem eignen Misere. Er legt den Finger an die Nase. Wart, wart, wo hab' ich denn von der Frau gehört – oder gesehn – Richtig! Die Balladen im Abendblatte, Anna Freiin von Thielen; richtig! Hm, die war so übel nicht; die Frau hat Talent genug, wenn sie sich nur an einige Ordnung gewöhnen wollte; mich dünkt, die Verse rannten gegeneinander wie scheugewordne Pferde. Und dann – so ein gewisses aristokratisches Heimweh nach der Feudalzeit, so ein weiblicher Bendemann! Lächelnd. »an den Wasserflüssen Babylons saßen wir und weinten um Jerusalem« hähä! Nun, man muß sehn; den Seybold darf ich nicht recht vor den Kopf stoßen; der ist meine beste Milchkuh, er und Sonderrath. Seufzend. O Sonderrath, du Verräter! Soll ich denn wirklich von deinen Reminiszenzen vom Rhein nichts haben als die Reminiszenz an meinen leeren Geldbeutel? Er nimmt die Feder vom Ohr und rechnet. Fünzig Stahlstiche – für zweitausendachthundert Exemplare Papier und Rechnet leise weiter. – zusammen fünftausend Taler – macht jeden Monat sechzehn Taler acht Groschen Zinsen, Mit Nachdruck. sechzehn Taler acht Groschen – perdu![512]
Herr Speth, Frau Speth, eine noch rüstige Frau, mit lebhaftem, jovialem Gesichte, tritt herein und legt ihm die Hand auf die Schulter.
FRAU SPETH. Was ist perdu?
SPETH wendet sich freundlich um und nimmt die Brille ab. Sieh, Fränzchen, bist du es? Was willst du, Kind?
FRAU SPETH. Geld, lieber Freund, Geld!
SPETH. Geld? Ja, wieviel denn? Er zieht den Beutel. FRAU SPETH. Gib mir ein bißchen Vorrat, daß ich dich nicht immer überlaufen muß, so eine zwanzig Taler.
SPETH erschrocken. Zwanzig Taler!? Kind, die wüßte ich dir doch jetzt aus allen Nähten nicht zusammenzuklopfen. Er hält den Beutel in die Höhe. Siehst du mein Beutelchen? Was dünkt dich? Verdammt dünnleibig.
FRAU SPETH. Wenn keine Louisdore darin sind.
SPETH. Ja, Louisdore! Die schüttelt man auch so von den Bäumen. Wehmütig. Kennst Du wohl Kassemännchen und Silbergroschen?
FRAU SPETH. Laß sehn! Sie zupft ihm den Beutel aus der Hand und greift rasch hinein. Was hab' ich erwischt? Sie öffnet ein Papier. Gerade recht, zwei Doppel-Louisdor – ich bedanke mich. Will gehn.
SPETH hält sie am Ärmel. Fränzchen, Fränzchen, was fällt dir ein? Wahrhaftig, sie nimmt mir alles!
FRAU SPETH. Bewahre, es klingelt noch recht schön. Sie schüttelt den Beutel.
SPETH. Ach Gott, was klingelt denn! Vier preußische Taler und zwölf einzelne Silbergroschen, auf Ehre, kein Heller mehr; nein, sei doch vernünftig!
FRAU SPETH befühlt den Beutel. Eins-zwei-drei-vier, und da noch ein dickes Stück, das ist ein Krontaler.
SPETH halb lachend. Bewahre, das ist der Deckel von meiner alten Tabaksdose, den ich gestern zerbrochen habe. Ängstlich. Gib her, komm! Soll ich denn gar nichts behalten?[513]
FRAU SPETH. Du hast noch genug.
SPETH. Es ist ja der Deckel, der Deckel sag' ich dir. Was in aller Welt soll ich denn mit vier Talern zwölf Silbergroschen anfangen? Ich kann ja nicht mal eine Flasche Wein für einen guten Freund bezahlen.
FRAU SPETH mit dem Finger drohend. Speth, Speth, sind wir wieder auf dem Terrain? Denk an deine Gesundheit und an deine Frau.
SPETH komisch seufzend. Ich denke ganz viel an meine Frau.
FRAU SPETH. Weißt du noch, neulich der Schwindel in Olbers Garten? und um Weihnachten beim Onkel?
SPETH hastig. Ja, da hatte ich auch beide Male – Er stockt.
FRAU SPETH. Nun? Lachend. Nein, du hattest keinen Spitz, du hattest nur drei Gläser getrunken; ich habe sie genau gezählt. Aber, ich sage es dir ungern, du mußt dich sehr in acht nehmen, du bist sehr vollblütig.
SPETH ungläubig. I behüte! ich bin ja der magerste Mann in der ganzen Stadt.
FRAU SPETH. Korpulent bist du freilich nicht, aber sieh mal in den Spiegel – dein Gesicht?
SPETH. Hm, ganz nett, ganz manierlich.
FRAU SPETH. Jawohl, rot um den Kopf wie ein Puter – nun, gib dich zufrieden, Sie küßt ihn. mir bist du schön genug und bist auch überhaupt ganz wacker, wenn du dich ordentlich gekämmt und rasiert hast. Aber das Geld laß mir; das ist bei mir besser aufgehoben wie bei dir.
SPETH läßt sie los. Nun in Gottes Namen! – nur Ernsthaft. ich bitte dich, Fränzchen, halt gut haus. Knapp zusammen, sage ich immer, knapp zusammen; du weißt nicht, wie bitterlich sauer es mir wird, der Teufel weiß, man hat Verluste an allen Ecken.
FRAU SPETH. Ganz richtig, perdu! Was ist denn wieder perdu?
SPETH. Ach nichts – meine Brille.
FRAU SPETH lachend. Was Brille! Nichts Brille! Meinst du, ich wüßte nicht, daß dein Perdu immer soviel heißt, als:[514] da bin ich mal wieder untern Zopf gespuckt? Nur frisch heraus; mich führst du doch nicht an.
SPETH nimmt einen Federputzer vom Tische und spielt damit. Ach, nun – sieh, der Sonderrath, der Schlingel –
FRAU SPETH. Der ist ja dein lieb Kindchen?
SPETH mit Nachdruck. Gewesen! Du weißt doch, daß ich sein Werk über die Rheingegenden verlegen soll.
FRAU SPETH. Ja, was dich schon das horrende Geld gekostet hat, an Stahlstichen und Papier.
SPETH nach und nach heftiger werdend. Nun sieh, der will mit einem Male nicht schreiben, aber gar nichts, keine Reminiszenzen und keine Gedichte, nichts, sage ich dir – nicht mehr, als was ich hier auf der flachen Hand habe. Er streckt die Hand vor.
FRAU SPETH lächelnd. Das ist nun freilich für dieses Mal ein Federputzer; Ernsthaft. aber warum nicht?
SPETH heftig. Warum nicht? Warum nicht? »Weil die Rebe blüht und sich alles liebt und paart.«
FRAU SPETH zornig. Ist der Kerl denn ein Kater, oder ein Kuckuck? Aber ich würde ihn schon kriegen! Tausend nochmal! Hat denn jeder Flandus das Recht, einen ehrlichen Mann an den Bettelstab zu bringen? Verklag ihn, Speth, verklag ihn!
SPETH beklemmt.