Rosemarie Wirth war - entgegen ihrem auf ein Esslinger Gasthaus als Geburtsort hindeutenden Namen – eine rotbackige, stämmige Bauersfrau aus einer kleinen Gehöfteansammlung den Lederberg hinauf, dort, wo heute Stuttgart-Heumaden liegt, dessen Name wiederum auf einen besonderen landwirtschaftlichen Reichtum hindeutet: Fette, mit Kräutern aller Art übersäte Wiesen, auf denen das allerbeste Gras gemäht, sprich gemaht und zu Heu getrocknet wurde: Aus Heumath wurde Heumaden.
Dazwischen wuchsen, im Mittelalter ebenso wie heute, Streuobstbäume. Äpfel von dort gelten von jeher als sonnenverwöhnte Delikatessen.
Es war in einem heißen, zur Neige gehenden Sommer etwa um 1400 herum. Rosemarie Wirth hatte auf einem roh gezimmerten Leiterkarren gut und gerne zwei Zentner Äpfel den steinigen und steilen Weg hinunter nach Esslingen gebracht – eine mühselige Angelegenheit, an deren Ende nicht selten Enttäuschung bereitstand. Denn trugen die Bäume des Bauern Wirth reiche Ernte, war der Überfluss anderswo nicht geringer und der Preis fiel ins Bodenlose. Für das Gegenteil einer allgemeinen Ernteverknappung galt sinngemäß das Gleiche, da allerdings mit dem erfreulichen Ergebnis, dass die Münzen in Rosemaries Beutel nur so klimperten.
Am Markttag des betreffenden Jahres liefen die Geschäfte allenfalls durchwachsen. Bauersfrau Wirth fürchtete, den schweren Karren mit einem Teil der Früchte im Schweiße ihres Angesichts wieder den Berg hinaufziehen zu müssen. Da nahte Hoffnung in Gestalt eines Herrn, der ausgesucht höflich einen Apfel zu kosten begehrte und dies mit der überraschenden Ankündigung verknüpfte, dass er im Falle der Zufriedenheit mit Qualität und Geschmack des Kernobstes die ganze Ware und noch viel mehr zu kaufen beabsichtige. Rosemaries Wangen glühten vor Vorfreude, lebhaft kümmerte sie sich um den Kunden, hieß ihn nur tüchtig zulangen und alle Sorten durchprobieren.
Neid durchzieht seit jeher die Menschheitsgeschichte. Nebenan an den Marktständen wurde man schnell gewahr, dass ein außerordentlich gutes Geschäft bei Rosemarie Wirth seinen Lauf zu nehmen versprach. Und so gelang es Rosemaries Neidern mit einem schäbigen Manöver Käufer und Verkäuferin abzulenken und eine große Zwiebel unter die Äpfel zu mischen, in die der feine Herr dann auch tatsächlich herzhaft hinein biss.
Neugierigen sei Nachahmung empfohlen – oder lieber doch nicht. Denn es könnte sich wiederholen, was die Esslinger Bürger und Bürgerinnen in diesem Augenblick erlebten. Der Fremde, der unserer rechtschaffenen Bauersfrau durchaus zugetan war, verwandelte sich unvermittelt in ein krummes, behaartes, gehörntes und pferdefüßiges Wesen, kurzum zum Teufel. Obwohl der Satan seit Altersher mit Knoblauch vertrieben wird, so ist seine Abneigung gegen Zwiebeln kaum geringer.
Der Satan schnaubte vor Wut, und unter Flüchen und Verwünschungen öffnete sich plötzlich das Erdreich, tat sich zu einer düsteren, dampfenden Grube auf, in der er unversehens verschwunden war. Ein letztes Grollen war zu vernehmen und das deutlich hörbare, bis heute für die Esslinger erhaltene Schimpfwort „Zwieblinger“.
Ist die Vertreibung des Teufels aus Esslingen der Grund, warum bis zum heutigen Tage in der Stadt im Spätsommer das Zwiebelfest gefeiert wird? Jedenfalls werden jedes Jahr vor der großartigen historischen Stadt- und Burgkulisse Speisen und Getränke aufgefahren, dass sich die Marktstände biegen – darunter alles, was aus Zwiebeln zubereitet werden kann, zum Beispiel der echte schwäbische Zwieblekuacha mit Speck.
Immer wieder waren die Menschen besessen von der Idee, Gold herstellen zu können. Auch in Esslingen war dies nicht anders. Im Jahre 1701 zog ein Mann mittleren Alters in ein Haus in der Strohstraße, neben der Gastwirtschaft „Zum Schwarzen Adler“. Er war immer freundlich und offensichtlich sehr begütert.
Eine ältere Frau, die in seine Dienste eingetreten war und ihm im Haushalt zur Hand ging, wusste in ihrer Geschwätzigkeit bald interessante Dinge über ihn zu berichten. Nach ihrer Kenntnis war Carolus Kornikus, wie er sich nannte, ein großer Gelehrter. Überall lägen Bücher und Zeichnungen herum, berichtete sie, ja, sogar uralte Pergamentrollen. Und in einem Zimmer- das sie nie betreten durfte und das immer verschlossen war, geschehe Geheimnisvolles. Manchmal zögen beißende, unangenehme und dann wieder lieblich-betörende Gerüche durch die Türritzen.
Zu gerne hätte die neugierige Alte gewusst, was sich in der Kammer tat. Und mit ihr bald die halbe Stadt. Darum machte sich eines Tages der edle Ratsherr Phillip Kracht auf den Weg, um Herrn Kornikus einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Er wollte ihn im Namen und Auftrag des Rats willkommen heißen, so hieß es offiziell. Doch der eigentliche Anlass war reine Neugier.
Carolus Kornikus empfing den Ratsherrn zu dessen großer Freude äußerst freundlich, ja geradezu herzlich. Alsbald gaben die Herren das Förmliche auf, wozu der Wein – ein edler Bordeaux, kein Esslinger Rebensaft - seinen Teil beitrug. Dass Ratsherr Kracht das Gespräch geschickt auf die Politik lenkte, hatte seinen Grund. Noch immer litten Stadt und Bürger unter den Nachwirkungen des militärischen Überfalls des französischen Generals Mèlac, dreizehn Jahre zuvor. Der hatte, noch ehe ihn die aus Ulm kommenden Truppen des Kaisers Leopold I. vertreiben konnten, 1688, reiche Esslinger Familien zur Herausgabe hoher Geldbeträge und Naturalien gezwungen. Dieser Verlust des Geldes schmerzte.
„Ja, ja, das liebe Geld“, Cornelius Kornikus nickte verständnisvoll, „nie ist genug da und wenn man es hat, passiert es immer wieder, dass es einem wie Sand durch die Finger rieselt.“ Seinem Gast gefiel die Wendung des Gesprächs in diese Richtung äußerst gut. „Aber Ihr scheint doch ein recht angenehmes Leben zu führen, wenn ich das mit Verlaub sagen darf“, entgegnete der Ratsherr. Kornikus blickte ihn aus intelligenten, forschenden Augen prüfend an. Nach einer wohlgesetzten Pause beugte sich der Hausherr betont langsam vornüber. Dicht an seinem Ohr flüsterte er: