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Der 12. November 1955 ist ein grauer Herbsttag. In der mit dunklem Tuch verhangenen Reithalle der Ermekeilkaserne in Bonn hat sich eine eigenartige Gruppe von 101 Männern versammelt. Einige von ihnen tragen eine Uniform, die meisten aber Anzug und Krawatte. Umringt sind sie von gefühlt ebenso vielen Fotografen und Journalisten. Da erhebt ein schneidiger Mann mit Halbglatze und Stresemann-Anzug die Stimme: »Wir tragen die Verantwortung gegenüber den uns künftig anvertrauten jungen Staatsbürgern in Uniform« – es ist Theodor Blank, erster Verteidigungsminister der jungen Bundesrepublik Deutschland, seinen Posten gibt es erst seit einem halben Jahr. Von einer »neuen Wehrmacht« spricht Blank, die »ein gleichberechtigtes Glied der staatlichen Ordnung« des Landes sein und für »die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft zur Sicherung des Friedens« in Europa eintreten werde. Dann übergibt Blank den beiden zu der Zeit ranghöchsten Soldaten, Generalleutnant Adolf Heusinger und Generalleutnant Hans Speidel, sowie den übrigen Offizieren ihre Ernennungsurkunden. Heusinger und Speidel tragen die neue, zweireihige, aber ebenfalls (wie die der Wehrmacht) graue Uniform. Ihre Armee hat kaum Soldaten, kaum Material und noch keinen Namen, aber es gibt wieder eine, zehn Jahre nachdem Deutschland im Zweiten Weltkrieg kapituliert hatte und auf der Potsdamer Konferenz »die völlige Abrüstung und Entmilitarisierung« Deutschlands beschlossen worden war. Fast alle Anwesenden der Feierstunde, die vom Historiker Detlef Bald in seinem Buch Die Bundeswehr beschrieben wird, auch die im Anzug, haben sich das Eiserne Kreuz angeheftet, das Eiserne Kreuz Preußens, Ehrenzeichen der Wehrmacht für besondere Verdienste im Krieg.
Deutsche Männer in Militäruniform – nicht nur in den Ländern, die unter dem deutschen Angriffskrieg gelitten hatten, löste das so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mulmige Gefühle aus, um es höflich zu formulieren. In der Bundesrepublik hatte die SPD 1952 geschlossen gegen eine Wiederbewaffnung gestimmt, bereits 1950 war CDU-Innenminister Gustav Heinemann aus Protest gegen die Pläne von Bundeskanzler Konrad Adenauer zurückgetreten, die »Ohne mich«-Protestbewegung sammelte 1951 sechs Millionen Unterschriften. Die Mehrheit der Deutschen hatte genug vom Krieg – nur allzu verständlich nach Bombenhagel, Hunger, Vertreibung, aber auch aufgrund einer wachsenden ungeheuren Scham über die zunehmend nicht mehr zu verleugnenden deutschen Verbrechen im Krieg.
Letztlich aber gab es keine realistische Alternative zu einer deutschen Wiederbewaffnung – dafür sorgte die Entwicklung, die die Weltpolitik der nächsten 40 Jahre prägen sollte. Am 29. August 1949 hatte die Sowjetunion ihre erste Atomwaffe erfolgreich getestet, was mit einem Schlag die haushohe militärische Überlegenheit der USA beendete. Im Oktober 1949 rief Mao Tse-tung nach dem Sieg der kommunistischen Armee im chinesischen Bürgerkrieg die Volksrepublik China aus. Und im Juni 1950 marschierten Truppen des kommunistischen Nordkorea in Südkorea ein, was einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion auslöste, der 1953 beendet wurde, ohne dass eine Seite entscheidende Fortschritte gemacht hatte. Die Welt wurde immer »roter«. Und Westdeutschland lag in Europa genau an der Grenze zu den Staaten des Warschauer Pakts und stand damit einer riesigen Roten Armee gegenüber, die im Besitz von Atomwaffen war.
Um dieser Macht Einhalt gebieten zu können, hätten US-amerikanische Truppen erst einmal den Atlantik überqueren müssen. Immer stärker drängte sich unter den Planern der Alliierten der Gedanke auf, die Bundesrepublik Deutschland als erstes Bollwerk gegen den Kommunismus in die Verteidigung von Westeuropa voll einzubeziehen. In der Bundesrepublik selbst hatte Konrad Adenauer erkannt, dass diese bedrohliche Lage dem verachteten, aber auch gebeutelten Land eine einmalige Chance bot, schnell wieder Anschluss an die (westliche) Welt zu bekommen und zumindest teilweise wieder souverän zu werden. So setzte sich die Idee einer »neuen Wehrmacht«, die bald aus nachvollziehbaren Gründen in die weniger martialische »Bundeswehr« umbenannt wurde, langsam gegen alle Widerstände im In- und Ausland durch.
Daraus ergab sich aber schon das nächste Problem, denn für eine Armee brauchte es auch Soldaten. Nur: Wer in Deutschland über militärische Erfahrung verfügte, hatte diese in der Wehrmacht gewonnen. Adenauer selbst kommentierte das Dilemma mit dem viel zitierten Ausspruch: »Ich glaube, dass mir die NATO 18-jährige Generale nicht abnehmen wird.« Und so begann Adenauer eine regelrechte Kampagne zur Ehrenrettung der deutschen Soldaten. Er glaube nicht, dass »der deutsche Soldat als solcher« im Krieg seine Ehre verloren habe, denn es habe einen großen Unterschied gegeben, zwischen der Wehrmacht und »Hitler und seinen kriminellen Gruppen«. Die Zahl der Soldaten, die sich »wirklich schuldig« gemacht hätten, sei »so außerordentlich gering und klein«, dass der »Ehre der früheren deutschen Wehrmacht kein Abbruch geschieht«. Er sei »überzeugt, dass der gute Ruf und die große Leistung des deutschen Soldaten trotz aller Schmähungen während der vergangenen Jahre in unserem Volke noch lebendig sind und auch bleiben werden«. Zwar fügte Adenauer noch hinzu, dass es nun darauf ankäme »die sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit der Demokratie zu verschmelzen«, was der Bundeskanzler damit aber vor allem bezwecken wollte, schien klar: Es war ein Freibrief für die militärische Elite unter Hitler, sich auch in der Bundeswehr zu etablieren.
Adenauer stand unter Druck, er musste den ehemaligen Soldaten eine Fortsetzung ihrer militärischen Karriere schmackhaft machen. Dabei ging es diesen Soldaten vor allem darum, die Meinungshoheit über die Bewertung ihrer Handlungen im Zweiten Weltkrieg zu gewinnen. Menschlich ist das verständlich, denn wer möchte schon das eigene Handeln und Erleben als völlige Bankrotterklärung verkünden müssen? So entstand, auch befeuert durch die Memoiren von Soldatenführern unter Hitler, der Mythos einer »sauberen Wehrmacht« mit Soldaten, die »heldenhaft« um den Sieg gerungen haben. Hier tat sich erstmals eine Kluft auf zwischen der Zivilgesellschaft und jenem Organ, das diese Zivilgesellschaft eigentlich beschützen soll – eine Kluft, die sich bis heute nie ganz geschlossen hat. Denn gerade unter Akademikern, aber auch unter ehemaligen Landsern, hatte der Zweite Weltkrieg eine Sicht des Krieges hinterlassen, die der des späteren Nobelpreisträgers Heinrich Böll nahekam. Als Gefreiter hatte der an seine Frau geschrieben: »Jeder Krieg ist ein Verbrechen, ich hasse den Krieg, und all diejenigen, die Freude an ihm finden, hasse ich noch viel mehr.« Die Kaserne nannte Böll »das absolute Institut des Stumpfsinns« und das Soldatenleben an sich einfach »große Scheiße«.
Die Kluft in der Gesellschaft drückte sich auch in Zahlen aus. Im Gründungsjahr der Bundesrepublik lehnten in einer Umfrage drei Viertel der Befragten die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht ab. Aber vier Jahre später gaben 45,2 Prozent ihre Stimme Kanzler Adenauer. Über die Frage der Remilitarisierung entstand in der Folge schon damals so etwas wie eine außerparlamentarische Opposition, die sich nach den Studentenprotesten um 1968 herum zur »APO« verfestigen sollte.
Eine generelle Ablehnung von Krieg und allem Militärischen und somit auch der entstehenden Bundeswehr fand Unterstützung bei kritischen ehemaligen Soldaten, bei Gewerkschaftern, Studenten und einer großen Mehrheit der Protestanten. Sie veranstalteten Friedenskongresse, und es gab Volksbewegungen, die sich Deutsche Sammlung und Paulskirchenbewegung nannten. Ihre prominentesten Sprecher waren die Pastoren Helmuth Gollwitzer und Martin Niemöller und wieder Gustav Heinemann, der später, nach seinem Wechsel zur SPD, zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Die Bewegung hatte ebenfalls starken Rückhalt in der SPD und der später verbotenen KPD. Trotzdem gelang es ihr nicht, sich wirkungsvoll zu organisieren, ihre sonstigen politischen und weltanschaulichen Differenzen zu überwinden und sich effektiv zusammenzuschließen. So konnte sie die Bundeswehr politisch nicht verhindern. Publizistisch schaffte sie es jedoch, die zahlreichen Widersprüche, die mit der Gründung einer neuen deutschen Armee nach dem Zweiten Weltkrieg zwangsläufig einhergingen, immer wieder in die Diskussion zu bringen. Das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Öffentlichkeit war also von Anfang an extrem belastet.
Das Ausmaß dieser Kluft zeigte sich schon ein paar Monate, nachdem die ersten Soldaten vereidigt worden waren. Kapitän zur See Karl-Adolf Zenker, der höchste Repräsentant der Marine, stellte sich vor die ersten Freiwilligen seiner Teilstreitkraft und sprach sofort über die Themen, die ihm »am Herzen« lagen. Das war vor allem die aus seiner Sicht unrechtmäßige Verurteilung der Großadmirale des Dritten Reiches, Karl Dönitz und Erich Raeder. Unter ihnen habe die Marine im Krieg »anständig und ehrenhaft« gekämpft, sie brauche sich ihrer Tradition »nicht zu schämen«, sagte Zenker. Die Marinesoldaten reagierten begeistert, in der öffentlichen Diskussion entfachte sich das damalige Äquivalent eines Shitstorms. Der SPD-Abgeordnete Franz Böhm sprach auf der anderen Seite vielen aus dem Herzen, als er im Bundestag sagte, er mache sich Sorgen, dass in der Marine etwas entstehen würde, was mit der gesellschaftlichen Diskussion über Streitkräfte in einer Demokratie nichts zu tun habe. Verteidigungsminister Blank missbilligte Zenkers Rede offiziell, und dieser musste seinen Posten als kommissarischer Leiter der Abteilung Marine aufgeben.
Glorifizierende Rückblicke waren fortan in der Bundeswehr tabu, zumindest insofern, dass sie nicht nach außen dringen durften. Das heißt aber natürlich nicht, dass sich die Soldaten untereinander nicht doch darüber definierten. Kein Wunder, denn ein personeller Neuanfang fand nicht statt. 31 der 38 Generale, die die Bundeswehr bei ihrer Gründung besaß, hatten schon unter Hitler dem Generalstab der Wehrmacht angehört. Auch die bis 1957 ernannten 44 Generale stammten überwiegend aus dem Generalstab des Heeres. Noch in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre setzte sich die Generalität und Admiralität der Bundeswehr ausschließlich aus meist hochrangigen Wehrmachtsoffizieren zusammen. Keiner von ihnen hatte dem Widerstand gegen Hitler angehört. Sechs dieser damals 189 Generale und Admirale waren zudem wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden. Auch das übrige Offizierskorps war überwiegend aus der Wehrmacht rekrutiert worden. Von 14 900 Zeitsoldaten, die 1959 der Bundeswehr angehörten, hatten 12 360 bereits in der NS-Zeit einen Offiziersstatus gehabt.
Gerade für Soldaten spielt aber schon aus militärischen Gesichtspunkten die Erinnerung eine wichtige Rolle. Auch die Bundeswehr existiert letztlich, um militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden. Da aber selbst die gewagtesten Übungsmanöver nicht den existenziellen Druck unter Todesangst vermitteln können, bezieht sich eine Armee zwangsläufig auf die Erfahrungen aus dem letzten Kriegseinsatz. Und das konnte unter Soldaten der Bundesrepublik nur der Zweite Weltkrieg sein. Gleichzeitig gibt es unter den Truppen eine besondere Verehrung der Gefallenen. Weil aber militärische Traditionspflege sich in der deutschen Gesellschaft von nun an immer einem Generalverdacht ausgesetzt sah, wurde sie in der Bundeswehr mehr oder weniger heimlich ausgeübt. So entstanden in einigen Kasernen sogenannte Traditionsräume, und an einigen Truppenschulen wurde in den Hörsälen explizit an Truppenteile der Wehrmacht erinnert. Die dort ausgestellten Exponate der Wehrmacht offenbarten vielleicht kein rechtsextremes, aber durchaus ein naiv-verherrlichendes Bild der Rolle der Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Sie offenbarten aber auch eine Sehnsucht der Soldaten nach Vorbildern aus einer Zeit, in der die Armee ihrer eigentlichen Bestimmung, dem Kämpfen, nachging.
Wie weit diese Sehnsucht der Soldaten und das Unverständnis der Gesellschaft dafür sich mit der Zeit voneinander entfernt hatten, veranschaulichen zwei Ereignisse aus einer Zeit, als die Bundeswehr scheinbar längst ein Teil der bundesrepublikanischen Normalität geworden war. Das eine war die »Rudel-Affäre« von 1976. Hans-Ulrich Rudel war ein hochdekorierter Kriegspilot gewesen und ein unverbesserlicher Alt-Nazi geblieben. Ausgerechnet ihn aber hatten Generale der Bundeswehr zu einem »Traditionstreffen« auf dem Fliegerhorst Bremgarten eingeladen. Als der Skandal ans Licht kam, mussten ein Staatssekretär und zwei Generale ihren Dienst quittieren. 1980 dann verweigerte Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) dem verstorbenen Großadmiral Dönitz aus guten Gründen ein militärisches Ehrenbegräbnis. Daraufhin attackierten ehemalige Soldaten Apel massiv. Allein die Kränze offenbarten das Geschichtsverständnis der Trauernden: »Unserem Vorbild an Tapferkeit, Treue und Ritterlichkeit. Deutsche Jugendführer« (Schleife in Rot-Weiß-Rot, den Farben der Hitlerjugendfahnen); »Wolf-Rüdiger, Ilse und Rudolf Hess«; »Er hielt unserem Vaterland die Treue. Die Soldaten der ehem. Waffen SS« (Schleife Silber auf Schwarz). 5000 Trauergäste waren erschienen, darunter auch Rudel, der Autogramme verteilte. Im Anschluss an die Rede des Pastors sang die Gemeinde die erste Strophe des Deutschlandlieds.
Der übrigen Gesellschaft muss der Trauerzug wie eine Ansammlung von Gespenstern der Vergangenheit vorgekommen sein. Denn dort herrschte gegenüber der Bundeswehr trotz der Wehrpflicht ein Gefühlsgemisch aus Abscheu, Spott und Achselzucken. Die Schriftstellerin Cora Stephan beschreibt es in ihrem Essay »Militärische Tradition als gesellschaftliche Frage« so: »In Deutschland redet man nicht vom Krieg«, und wenn überhaupt – »dann nur in der Kombination ›und Frieden‹«. So hätten deutsche Prominente im berühmten Fragebogen der FAZ auf die Frage, welche militärische Leistung man am meisten bewundere, fast immer mit »keine einzige« oder »die verhinderten« geantwortet, schreibt Stephan. Einher ging dies mit einer strikten Ablehnung von allem, was die Bundeswehr als traditionswürdig zu bewahren versuchte. Zwischen dieser Ablehnung in der Bevölkerung und der vielleicht als trotzige Überreaktion auftretenden Glorifizierung der Wehrmacht in der Truppe wurde die öffentliche Diskussion über die Bundeswehr immer schriller. So wurde weder der emotionale Bedarf der aktiven Soldaten nach einer angemessenen Traditionspflege gestillt, noch konnte die Gesellschaft ein Verständnis dafür entwickeln.
Aus gutem Grund wollte die Politik mit Blick auf die Vergangenheit dem Militär von Anfang an Ketten anlegen. Von Vorgesetzten schikanierte Untergebene, die Stellung des militärischen Befehls über alle moralischen und sittlichen Werte und die Narrenfreiheit der Armee als Staat im Staate – all das sollte möglichst verhindert werden. Die neue deutsche Armee sollte voll aufgehen in der freiheitlich-liberalen Staats- und Gesellschaftsverfassung des Landes. Maßgebend waren die Prinzipien der »Inneren Führung« und des »Staatsbürgers in Uniform«. Der junge Wolf Graf von Baudissin stand mit diesen Konzepten unter den Planern der neuen Bundeswehr anfangs allerdings fast allein da. Sogar Verteidigungsminister Franz Josef Strauß bezeichnete die »Innere Führung« als »Inneres Gewürge«, und in der Truppe selbst gab es Anekdoten wie die vom Offizier, der seinen Untergebenen anschnauzt mit den Worten: »Sie Arschloch! Früher hätte ich ›Du Arschloch‹ gesagt, aber das geht jetzt nicht mehr wegen Innere Führung.« Doch Baudissin konnte sich letztlich durchsetzen, nach und nach verankerte die Politik seine Ideen in den Streitkräften.
Dazu gehörte die strikte Kontrolle der Armee durch zivile Institutionen. Der Verteidigungsminister wurde vom Parlament und nicht von Soldaten legitimiert, es gab einen Verteidigungsausschuss, der sich aus Abgeordneten aller Parteien zusammensetzte, mit dem Wehrbeauftragten wurde den Soldaten ein Anwalt an die Seite gestellt, an den sie sich bei einer Beschwerde direkt wenden konnten, und statt Militär- oder Kriegsgericht sollten ordentliche Gerichte über straffällige Soldaten urteilen. Das Ziel war klar: Eine Abkapslung der Streitkräfte von der Gesellschaft sollte es nicht geben.
Tatsächlich entzündete sich an der Frage der Inneren Führung fortan fast jede Debatte über die Bundeswehr. Kein Wunder, denn in der Praxis bedeutete das Konzept, dass ein Soldat Befehle missachten konnte, sogar musste, wenn der Befehl die Menschenwürde der eigenen Truppe oder des Gegners beschädigte – auch mitten im Kampf. Selbst unter Armeen demokratischer Staaten steht die Bundeswehr damit ziemlich allein da. Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein Vorgesetzter gibt einem Soldaten unter Feuer den Befehl zu schießen. Der Soldat aber legt seine Waffe nieder, steht auf und geht. In den USA würde dies nicht nur ein sofortiges Kriegsgerichtsverfahren nach sich ziehen, es wäre schlicht unvorstellbar. Natürlich gilt auch in der Bundeswehr das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Aber es ist eben eingeschränkt, der Soldat könnte sich theoretisch darauf berufen, dass der Befehl dem Völkerrecht widerspreche oder – nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2005 – mit seinem Gewissen nicht vereinbar ist.
Die Innere Führung geht dabei vom Ideal des mündigen Bürgers in Uniform und seines stets achtsamen und reflektierten Vorgesetzten aus. Tatsächlich hatte das mit der Realität in der Bundeswehr vor allem in den Anfangsjahren wenig zu tun. In den Kasernen wurden Fehler aus Angst vor Disziplinierung und Karriererückschritten häufig vertuscht und eher selten im freien Austausch der Argumente diskutiert. Noch 1969 mündete eine Seminarumfrage unter jungen Offizieren über ihr Verhältnis zur Inneren Führung in der These: »Auf dem Papier sehr gut, aber in der Praxis ist damit nichts anzufangen.«
Denn die Verankerung der Inneren Führung brachte einen unübersichtlichen Wust an Gesetzen, Vorschriften, Erlassen und Dienstvorschriften mit sich. Statt ihre Truppen militärisch anzuleiten, verbrachten Vorgesetzte die meiste Zeit im Büro im ewigen Kampf mit Paragrafen. Der Frust in der Bundeswehr darüber ließ sich nicht mehr vertuschen. Ebenfalls im Jahr 1969 gab der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Albert Schnez, eine Studie in Auftrag.
Diese empfahl zur Steigerung der Kampfkraft und Effizienz, das Grundgesetz sowie das Soldatengesetz und die Wehrdisziplinarordnung zu ändern – kurz: ein massiver Angriff auf die Innere Führung. Schnez schrieb unter anderem, eine Armee sei »erst dann in ihrem Abschreckungswert glaubwürdig«, wenn sie auch in Friedenszeiten ein hohes Maß an Einsatzwillen besäße und außerdem »zur Disziplin erzogen« und »zur Ausdauer und Härte« ausgebildet worden sei. »Das Ziel, eine hohe Kampfkraft zu erreichen«, könne nur dann erreicht werden, wenn die Handlungen der Soldaten nicht nach ethischen Prinzipien, sondern nach »soldatischen Maximen« ausgerichtet seien. Kurz darauf formulierten acht Leutnante von der Heeresoffiziersschule Hamburg ihrerseits Thesen, mit denen sie sich strikt gegen die Schnez-Studie wandten. Ein Soldat habe die Pflicht, einen Vorgesetzten zu hinterfragen, Loyalität würden sie nicht Personen oder Dienststellen entgegenbringen, sondern nur dem verfassungsmäßigen Auftrag. Den Leutnanten widersprach wiederum eine Gruppe von Hauptleuten, die als »Hauptleute von Unna« in die Militärgeschichte eingingen. Sie fühlten sich auch aufgrund der Inneren Führung überfordert und von ihren Vorgesetzten im Stich gelassen, weil diese Probleme nicht »nach oben« melden würden. Und die Politik würde ihren Auftrag durch »Experimente« und »sachfremde Einflüsse« behindern. Unter »den gegenwärtigen Bedingungen« könne »der Auftrag nicht mehr durchgeführt werden«.
Die schneidige Schnez-Studie entsprach sicherlich dem Empfinden vieler Soldaten, vor allem wenn diese, wie ihr Verfasser, noch in der Wehrmacht sozialisiert worden waren. Aber sie konnte gesellschaftlich kaum Wirkung entfalten, denn die Forderungen schienen kaum noch zeitgemäß. Sie wurde ein Jahr nach 1968 veröffentlicht – mitten in der Diskussion um die Aufarbeitung der Nazizeit und den Vietnamkrieg der USA konnte man sich mit Vokabeln wie »soldatische Maximen«, »Kampfkraft« und »Abschreckung« im öffentlichen Diskurs kaum Freunde machen. Für die 68er-Aktivisten repräsentierte die Bundeswehr die ultimative Gewalt des Staates und war deswegen einer ihrer Hauptgegner.
Aufgrund der Wehrpflicht musste die Bundeswehr aber auch diese erklärten Gegner ihres Daseins in sich aufnehmen. Das Prinzip der Inneren Führung zwang sie, auch junge Männer mit pazifistischen Einstellungen zu akzeptieren, gleichzeitig musste sie aber einsatz- und funktionsfähig bleiben. Wenn diese gar nicht erst zum Dienst antraten, wurde die Lage auch nicht besser: Die stetig und rasant ansteigende Zahl von Wehrdienstverweigerern machte die Lücke zwischen Soll- und Ist-Zustand der Truppen immer größer.
Es war vor allem der Besonnenheit des damaligen Verteidigungsministers und späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt zu verdanken, dass die Bundeswehr aufgrund der Spannungen, die die ganze sich verändernde Republik umfassten, nicht implodierte. Vor allem die Ausbildungsreform und die Gründungen der Bundeswehr-Universitäten in Hamburg und München trugen zur Entspannung bei. Dadurch bekamen Zeitsoldaten auch außerhalb der Truppe eine berufliche Perspektive, was den Dienst viel attraktiver machte. Es war eine klassische Win-Win-Situation: Wer bei der Bundeswehr studierte, bekam eine gute Ausbildung, ein für junge Menschen ansprechendes Gehalt und freies Logis. Die Bundeswehr bekam ambitionierte Leute, die sich für eine bestimmte Zeit verpflichteten.
Nicht zuletzt hatte sich die Bundeswehr in den 70er-Jahren zu einer wirklichen Streitmacht entwickelt, die von den Warschauer-Pakt-Staaten als ernst zu nehmender Gegner eingestuft wurde. Personell hatte sie ihr Planungssoll von 495 000 Mann – bei einem Mobilisierungsumfang von 1,3 Millionen aktiven Soldaten oder Reservisten – erreicht. Beeindruckend war aber vor allem ihr Waffenarsenal. Fast in allen Bereichen war das, was die Bundeswehr aufstellen konnte, State of the Art. Ein Panzerfahrer oder Pilot von heute, der mal wieder nicht ausrücken kann, weil das Gerät fehlt oder kaputt ist, kann da nur neidisch werden.
Wie immer man zu Firmen stehen mag, die Geräte produzieren, deren Ziel es ist, Menschen möglichst effizient zu töten, kann man nicht verleugnen: Der Wiederaufbau der deutschen Rüstungsindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg war vom materiellen Ergebnis her gesehen ein unglaublicher Erfolg. Das Feld dafür bereitet hatte die geostrategische Lage der Bundesrepublik. Sie stand an vorderster Front, sollte der kalte Krieg mit dem Ostblock doch heiß werden. Die in den 50er-Jahren entwickelten NATO-Strategien setzten auf eine Abschreckungslogik: Schon das Ausbrechen eines Krieges sollte verhindert werden, indem jede Aggression der Sowjetunion und ihrer Bündnispartner mit einer raschen und massiven nuklearen Eskalation beantwortet werden würde. Um diese Strategie der Massiven Vergeltung zeitlich abzupuffern, bedurfte es auch starker konventioneller Kräfte, um Raum für politische Verhandlungen zu schaffen. Doch die Strategie war bald hinfällig, da die Russen nuklear ihrerseits massiv aufrüsteten und mit dem Sputnik-Satelliten sogar ins All vordrangen. Prinzipiell hätte nun jeder kleinere militärische Konflikt eine Eskalation auslösen können, die zur völligen Auslöschung beider Seiten führen konnte. Also entwickelte die NATO die Idee der »Flexible Response«. Bevor eigene Nuklearwaffen zum Einsatz kämen, sollten erst konventionelle Kräfte die Verteidigung am Eisernen Vorhang übernehmen. Das bedeutete aber auch, dass bei diesen konventionellen Kräften in Europa zumindest Gleichstand herrschen musste zwischen Ost und West.
Das bedeutete für die Bundeswehr: Sie brauchte Waffen, Waffen und nochmals Waffen – für die deutschen Politiker eine ungeheure Chance, die deutsche Rüstungsindustrie wieder aufzupäppeln. Die westlichen Partner sahen wohlwollend dabei zu. Vor allem Verteidigungsminister Franz Josef Strauß erwies sich als Meister darin, die Auftragsbücher von bayerischen Firmen zu füllen, auch wenn er sich dabei oft am Rande der Legalität bewegte. Doch auch die sozialdemokratischen Regierungen konnten den vielen geschaffenen Arbeitsplätzen nicht widerstehen. Und es funktionierte. Wurden von 1955 bis 1965 noch jährlich im Schnitt 57,6 Prozent aller Rüstungsmaterialien der Bundeswehr von der einheimischen Industrie geliefert, waren es 1969 bereits 77,3 Prozent. Das Know-how war schließlich noch da. Bei konventionellen Waffen waren die deutschen Hersteller im Zweiten Weltkrieg in allen Bereichen führend gewesen.
So konnten die von der Bundeswehr aufzustellenden Panzerverbände ab 1965 bereits mit dem Leopard 1 ausgerüstet werden, der in bester deutscher Panzerbautradition von Krauss-Maffei (Flick); Thyssen und den zu Krupp gehörenden Maschinenbauwerken Kiel (MaK) hergestellt wurde. Daran beteiligt waren aber auch reine