Meinem Vater
Die Finanzmarktkrise hat eindrucksvoll aufgezeigt, was geschieht, wenn sich der Kapitalmarkt verselbständigt und relativ losgelöst von der Realwirtschaft arbeitet. Nur wenn es dort hakt und hier meine ich vor allem das Investment Banking, besinnen sich die Banken solange auf das klassische Bankgeschäft, bis sie wieder über riskante Spekulationen oder Finanzmarktinnovationen gigantische Einnahmen generieren können. Geht das wie bei der Subprimekrise dann schief, muss vor allem die Staatengemeinschaft dafür gerade stehen. Wenn diese Casino- und Wild-West-Mentalität der Banken nicht sehr bald gestoppt wird, kann das bisher bestehende Weltfinanzsystem nicht aufrecht erhalten werden.
Schon jetzt droht es aus dem Ruder zu laufen und alles unter sich zu begraben. Vor allem die Hoffnungen der weltweiten Sparer, die dann ihr gesamtes Vermögen verlieren werden, wenn sie sich nicht rechtzeitig der drohenden Situation angepasst haben.
Als Bundessenator des BWA e.V. stieß ich auf der Suche nach Lösungen auf das „ethical banking“.
Ethical Banking, bzw. Ethical Business kann als ein non „profit service“ definiert werden. Hier betreibt man ausdrücklich keine kurzfristige Profitmaximierung, sondern arbeitet nach dem Kostendeckungsprinzip und dem Grundsatz langfristiger partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Ethische Grundsätze werden an die Stelle von Gewinnmaximierung gesetzt. Die Marktteilnehmer verpflichten sich zudem, die Geschäftspolitik offen darzulegen und für eine kontinuierliche Bekanntmachung der Unternehmensziele zu sorgen, sodass die Investoren und Bankkunden die Wirkung ihrer Anlageentscheidung mitverfolgen können.
Die weltweit bedeutendste Form des „ethical banking & business“ ist dabei das „islamic banking & business“, das im Folgenden näher erklärt wird. Dabei kann es auch für die christlich geprägten Volkswirtschaften ein wichtiger Ansatz sein, sich wieder den eigenen kulturellen Wurzeln anzunähern, die durch die Säkularisierung aus den Augen verloren gingen.
Der beispiellose Aufstieg des islamic banking & business in diesem Jahrhundert basiert auf der Suche nach einem werteorientierten Ansatz im Wirtschaftsleben. Dabei handelt es sich um keinen willkürlichen Kodex, denn die bestehenden Regeln haben ihren Ursprung aus Erfahrungsschätzen, die seit vielen Jahrhunderten bestanden und die ihre Gültigkeit noch heute in keiner Form verloren haben.
"Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte
Verantwortung gegenüber allem, was lebt."
(Albert Schweitzer)
Vorwort
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Ursprung
2.1. Das Glaubensbekenntnis
2.2. Das Gebet (Salah)
2.3. Das Zakat (rituelle Sozialabgabe)
2.4. Das Fasten
2.5. Die Hadsch
3. Das islamische Recht
3.1. Die Quellen des Islam
3.2. Shari’ah und Fiqh
4. Das Verständnis im Islamischen Wirtschaftssystem
4.1. Der Eigentumsbegriff im Islam
4.2. Der Wohlfahrtsgedanke
4.3. Die Ethik im Wirtschaftsverhalten
4.4. Die Aufgabe des Staates
4.5. Das öffentliche Gut: der Umgang mit Umwelt und Rohstoffen
5. Die Prinzipien des Islamic Banking & Business
5.1. Verbot von Riba
5.2. Verbot von Gharar
5.3. Verbot von Maysir
5.4. Die Shar’ia Boards
6. Islamic Banking in der geschichtlichen Entwicklung
7. Die Grundsteine des islamischen Wirtschaftslebens
7.1. Das Veräußerungsgeschäft (Bay)
7.1.1. Die Vertragsparteien
7.1.2. Die Preisfestsetzung und die Vertragserfüllung
7.1.3. Die Bindungswirkung des „bay“
7.2. Die verbotenen Tauschgeschäfte
7.2.1. Verbot des zufälligen Erwerbes
7.2.2. Kein Weiterverkauf vor Inbesitznahme
7.2.3. Kein Verkauf von Waren vor dem vertraglich zugesicherten Zustand
7.2.4. Verbot von Kettenverträgen
7.2.5. Kein Verkauf eines Schuldverhältnisses gegen ein anderes
7.2.6. Kein Verkauf gegen Anzahlung
7.2.7. Unzulässige Transaktionen trotz formal korrekter Vertragsgestaltungen
7.3. Sarf – das Tauschgeschäft
7.4. Aufhebung eines Vertrages – Iqala
8. Die zinslose Wirtschaft im Islam
8.1. Begriff und Arten
8.2. Das Zinsverbot
8.3. Die kritische Analyse des Zinsverbots
9. Islamische Finanzierung
9.1. Nebenabreden in Darlehnvereinbarungen
9.2. Quard Hassana
9.3. Murabahah
9.3.1. Bai Bithamin Ajil
9.3.2. Tawarruq
9.4. Ijarah – Leasing
9.5. Verträge mit aufschiebender Zahlung/Bedingung
9.5.1. Bay Salam – Vorauszahlung
9.5.2. Bay Istisna – Werkvertrag
9.6. Auktionen
9.7. Ratenkauf
10. Die islamischen Beteiligungsformen
10.1. Musharakah
10.2. Wakala – Franchising
10.3. Mudarabah
10.4. Aktien & Aktienfonds
10.5. Sukuk - der islamische Bond
10.6. Moderne Finanzierungsformen
10.7. wichtige Bankgeschäfte im täglichen Leben
10.7.1. Islamische Bankkonten
10.7.2. Debit- bzw. EC-Karten und die Kreditkarten
10.7.3. Private Kredite – Konsumentenkredite
10.7.4. Immobilienfinanzierung
10.7.5. Investitionskredite
10.7.6. Kapitalmarktprodukte
10.8. shari’ah-konformer Börsenhandel
11. Islamische Finanzdienstleister
11.1. Einführung in die islamische Bilanz & Rechnungslegung
11.2. Risikostrukturen islamische Banken & Investoren
11.3. Risikomanagement islamische Banken & Investoren
11.4. Herausforderungen für die Zukunft islamischer Finanzdienstleister
12. Takaful - die islamische Versicherung
13. Der Zins, als Preis des Geldes – eine ökonomische Analyse
Glossar
Literaturverzeichnis
Anhang: Liste islamischer Investmentfonds
Autor
5 Säulen des Islam
Quellen des islamischen Rechts
Die Aufgaben des Staates
Phasen der Zertifizierung
Hauptelemente eines Bay
Übertrag eines Schuldverhältnisses gegen ein anderes
Wie Zinsen die Realwirtschaft „ausbluten“
Murabahah
Taqarruq/reverse Murabahah
Musharakah
Mudarabah
Beispielhafte Bilanz einer islamischen Bank
Risiken islamischer Banken
Permanent Musharakah & Risk Management
Diminishing Musharakah & Risk Management
Eignungsquote ausgesuchter Finanzierungsformen für islamische Banken
Tabelle: Finanzierungsbeispiel einer Urlaubsreise
Tabelle: Konventionelle & Islamische Geldgeschäfte im Vergleich
Die Entwicklung eines Kapitalbetrages in einer Zinswirtschaft und einer zinsfreien Wirtschaft
Die Perversion braucht Zeit
Egoismus der Marktteilnehmer
„Islamic Banking“ steht für ein ganz besonderes Bank- und Finanzgeschäft, das im Einklang mit den Regeln des Islam durchgeführt werden soll. Das Bewusstsein für diese Art von Bankgeschäft ist in Deutschland noch sehr gering ausgeprägt und in vertiefter Form nur bei wenigen Experten zu finden. Obwohl in Deutschland Millionen Muslime ein Zuhause gefunden haben, steht dieser bedeutenden Bevölkerungsgruppe faktisch noch kaum Möglichkeiten für „Islamic Banking“ offen, weil Bankprodukte, die den speziellen Regeln des Islam folgen, bisher auch nur ansatzweise im Angebot deutschen Banken zu finden sind.
Während Länder wie Großbritannien, USA oder Kanada den Trend der ethnischen und religiösen Bankgeschäfte für sich entdeckt und sich zunutze gemacht haben, verschlafen deutsche Kreditinstitute einen Megatrend. Denn die Grundsätze im „Islamic Banking“ lassen sich weitgehend auch z.B. auf die christlichen Grundwerte hin übertragen. Darum ist es völlig unverständlich, warum man in Deutschland weiterhin dieser Entwicklung den Rücken kehrt, ihr sogar ablehnend gegenüber steht. Vielleicht spielt dabei die große Unbekannte „Islam“ eine entscheidende Rolle. Fehlendes Verständnis über Kultur und Religion der Muslime schaffen daher eher eine Atmosphäre der Angst vor Überfremdung und Kontrollverlust.
Dabei sprechen die Zahlen für sich: es gibt schon heute weltweit über 300 islamische Finanzinstitute, die schon im Jahre 2006 zusammen über 750 Mrd. US-Dollar verwalteten. Bis 2010 rechnet man mit fast 1,5 Billionen Dollar. Ab 2015 dürfte das verwaltete Vermögen dann fast die 3 Billionen-Grenze erreichen. Damit wächst das „islamic Banking“ mit 10-15% deutlich schneller, als das konventionelle Bankgeschäft.1 Diese Zahlen machen deutlich, dass die Hinwendung auf ein zielgruppenspezifisches Produkt- und Dienstleistungsangebot unumgänglich ist.
Bislang beschäftigen sich die rund 4 Millionen Muslime in Deutschland noch nicht sonderlich mit Shari’ah-konformen Anlageoder Kreditprodukten, weil es diese in Deutschland noch nicht gibt. Sobald aber die ersten Banken mit solchen Angeboten auf den deutschen Markt kommen, wird sich das schnell ändern.
Großbritannien könnte hierbei ein wichtiges Vorbild sein, wo bereits erfolgreich das „islamic banking“ eingeführt wurde. Dort strebt man bereits klar die Vorreiterstelle in Europa und wenn möglich darüber hinaus an.
Mit diesem Werk sollen dem interessierten Leser nicht nur Einblick in die möglichen Anlageinstrumente, sondern auch ein Verständnis für die innere Bedeutung der Regeln und Regulierungen des Islam gegeben werden.
Gerade aus den Erfahrungen der Finanzmarktkrise sollte uns allen bewusst werden, dass die Casino-Mentalität der Geschäftsbanken (insbesondere der Investmentbanken) so nicht weitergeführt werden kann. Es bedarf einer grundlegenden Richtungskorrektur. Diese wird kaum von Bankenseite zu erwartet sein. Zu verlockend sind die bestehenden Möglichkeiten, sich weiter auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Erst wenn sich der Anleger über die Vorzüge dieser auf der Realwirtschaft basierenden Struktur aufbauenden Bankgeschäfte bewusst geworden ist und es als klare Alternative erkannt hat, wird sich das Bankgeschäft insgesamt grundlegend ändern können.
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1 El-Mogaddedi, Zaid / Everling, Oliver (2006): Rating im Islamic Banking, in: Die Bank, Ausgabe 11/2006, S. 1f.
Mit dem Wort „Islam“ (Unterwerfung, Versöhnung, Frieden) versteht man die Hingabe zu Gott. Dabei versteht sich der Islam als eine von Gott gegebene Lebensphilosophie, die in allen Lebenssituationen ihre Gültigkeit hat und der jeder Muslim (jeder „bekennende“) zu folgen hat.
Das Judentum, Christentum und der Islam bilden nicht nur die mit bedeutendsten Religionen auf dieser Erde, sie bauen auch aufeinander auf. So ist das „jüdische“ alte Testament Grundlage für das Christentum und alle Propheten dieser beiden Religionen werden wiederum vom Islam als auch deren Propheten anerkannt. Dabei ist Muhammad der letzte Prophet, der als Mensch von Gott auserwählt wurde, um das Wort Gottes zu verkünden. Aufgrund dieser letzten Verkündung Gottes (swt)2 an Mohammad werden alle anderen Prophezeihungen von den Muslimen in ihrer Bedeutung dieser letzten Offenbarung untergeordnet.
Im Laufe der Zeit haben sich zwei Hauptgruppen im Islam herausgebildet. Rund 90% der muslimischen Bevölkerung bekennen sich zu den Sunniten, die sich aber nochmals in weitere kleine Gruppen unterteilen.
Die Shiiten bilden die zweitgrößte Gruppierung des Islams. Die Spaltung erfolgte vor allem aufgrund von Konflikten über die Nachfolge nach dem Tode Muhammads. Dabei unterscheiden sich beide Glaubensgruppen weniger in theologischen Glaubensgrundsätzen, sondern eher in Feinheiten.3 Der oberste Führer ist der Kalif bei den Sunniten und der Imam bei den Shiiten.4
Das Leben jedes Muslim wird durch die „5 Säulen des Islam“ geprägt:
Quelle: eigene Darstellung
„aschhadu an lā ilāha illā 'llāh wa-aschhadu anna Muhammadan rasūlullāh“ (Qur’an, Sure 47, Vers 19) kann man wie folgt übersetzen: „Ich bezeuge, dass kein Gott da ist außer Allah und dass Muhammad der Gesandte Allahs ist“ (slaws)5.6 Diese Einzigartigkeit machen die Worte Allahs zum obersten islamischen Gebot. Alle Handlungen sind diesen zu unterwerfen. Gleichsam einem Vertrag unterwirft sich der Muslim und verpflichtet sich zeitlebens, den auferlegten Pflichten nachzukommen.
Sagt: Wir glauben an Allah und an das, was zu uns (als Offenbarung) herabgesandt worden ist, und an das, was zu Ibrahim, Isma'il, lshaq, Ya`qub und den Stämmen herabgesandt wurde, und (an das,) was Musa und 'Isa gegeben wurde, und (an das,) was den Propheten von ihrem Herrn gegeben wurde. Wir machen keinen Unterschied bei jemandem von ihnen, und wir sind Ihm ergeben1. (Qur’an, Sure 2, Vers 136).7
Damit ist der Islam keine grundsätzlich neue Religion, sondern bildet eine Fortsetzung der göttlichen Offenbarung des Juden- und Christentums. Der Prophet Muhammad stellt letztlich nur den letzten Gesandten Gottes in der Reihe der Propheten dar und bildet den so genannten „Siegel der Propheten“:
Muhammad ist nicht der Vater irgend jemandes von euren Männern, sondern Allahs Gesandter und das Siegel der Propheten. Und Allah weiß über alles Bescheid. (Qur’an, Sure 33, Vers 40)
Im Islam gibt es außerdem sechs Glaubensgrundsätze, die in einem Ausspruch Muhammads wie folgt zusammengefasst wird8:
(…) Er sagte: „Das ist, dass du die
• Gewissheit an Allah verinnerlichst (Glauben an den einzigen Gott),
• an seine Engel,
• an seine Bücher,
• an seine Gesandten und an
• den Jüngsten Tag des jüngsten Gerichts (verbunden mit dem Leben nach dem Tod) und
• dass du die Gewissheit an die Bestimmungen verinnerlichst in ihrem Guten und ihrem Bösen
Das Gebet (Salah) als zweitwichtigste Pflicht gilt auch als Stütze und Grundpfeiler des Glaubens. Insgesamt fünfmal am Tag soll sich ein Gläubiger Richtung Mekka vor seinem Erschaffer verneigen.
Sag zu Meinen Dienern, die glauben, sie sollen das Gebet verrichten (…) (Qur’an, Sure 14, Vers 31).
Dies soll die Anerkennung der Existenz Gottes und die nötige Demut aufrecht erhalten.9 Wer es verrichtet bleibt dem Glauben treu, wer es unterlässt, entfernt sich dem Glauben. 10 Im Gebet wird unter anderem die erste Sure des Qurans rezitiert:
1. Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen.
2. (Alles) Lob gehört Allah, dem Herrn der Welten (auch Weltenbewohner), 3. dem Allerbarmer, dem Barmherzigen, 4. dem Herrscher am Tag des Gerichts. 5. Dir allein dienen wir, und zu Dir allein flehen wir um Hilfe. 6. Leite uns den geraden Weg, 7. den Weg derjenigen, denen Du Gunst erwiesen hast, nicht derjenigen, die (Deinen) Zorn erregt haben, und nicht der Irregehenden! (Qur’an, Sure 1, Al Fatiha, die Eröffnende)
Die dritte Säule des Islam stellt die Zakat dar, das man auch als eine rituell vorgeschriebene Sozialabgabe beschreiben kann. Die Almosensteuer, welche ausschließlich der muslimischen Gemeinschaft zugute kommen soll. So hat jeder Muslim, dessen Einkommen über eine Mindestgröße hinausgeht, diese Sozialabgabe zu leisten.
Und verrichtet das Gebet und entrichtet die Abgabe (zakat). Und was ihr für euch selbst an Gutem vorausschickt, werdet ihr bei Allah finden. Was ihr tut, sieht Allah wohl. (Qur’an, Sure 2, Vers 110)
Die Almosen sind nur für die Armen, die Bedürftigen, diejenigen, die damit' beschäftigt sind, diejenigen, deren Herzen vertraut gemacht werden sollen (i.d.Bedeutung: Nichtmuslime oder neue Muslime, deren herzen für den Islam gewonnen werden sollen), (den Loskauf von) Sklaven, die Verschuldeten, auf Allahs Weg und (für) den Sohn des Weges, als Verpflichtung von Allah. Allah ist Allwissend und Allweise. (Qur’an, Sure 9, Vers 60)
Sie variiert je nach Einkunftsart in der Höhe und liegt zwischen 2,5 und 10 Prozent.11 Sie wird fast ausschließlich für Hilfsbedürftige, für den Bau oder die Sanierung von Moscheen oder für Sozialprojekte verwendet. Anders als z.B. die Einkommenssteuer oder Kirchensteuer in Deutschland erfolgt diese auf freiwilliger Basis. Diese „Pflicht“ stellt bereits eine Einschränkung des persönlichen Handlungsrahmens eines jeden dar. Diese Abgabe nicht zu entrichten käme einen Diebstahl gleich. Als Richtschnur zur Berechnung der Nisab, also der Mindestgrundlage, beträgt historisch betrachtet rund 85 Gramm Gold.12 Auf diesen baut sich dann der abzuführende Abgabenbetrag auf.
Es ist im Islam unerwünscht, das man sein Vermögen nur anhäuft, ohne die Gemeinschaft daran teilhaben zu lassen. Denn die Zakat leitet finanzielle Mittel zu den Armen, während der Zins das Vermögen der finanziel Hilfebedürftigen zu den Reichen transferiert. Überhaupt lehnt der Islam die übermäßige Akkumulation von Vermögen und die damit resultierende wirtschaftliche Macht ab. Jedes Vermögen ist einzig von Gott gewährt und dem es gegeben ist, dem ist auch die Pflicht auferlegt, dieses im Sinne der Gemeinschaft zu „verwalten“. Dieses Prinzip der Verwaltung von Vermögen leitet aus dem Erbrechtsbestimmungen des Qur’an ab (vor allem in Sure 4, Verse 7f, 11f, 33 und 175).
Volkswirtschaftlich betrachtet fordert man immer wieder, dass ein Wirtschaftsystem ohne Umverteilungsinstrumente mit der Zeit nicht mehr zum Wohle aller Mitmenschen arbeitet. Darum bedarf es eben dieses Umverteilungsmechanismus, der quasi als Verfallswert des Vermögens dafür sorgt, dass es im Umlauf bleibt und somit zur Wohlstandsmehrung einer Gesamtbevölkerung beitragen kann. Diese Erfahrung wurde bereits in vielen Tauschringen oder den „Complementary currencies“ gesammelt, die aufgrund ihrer prinzipiellen Zinslosigkeit keinen Mehrwert durch die Hortung von Geld erzielen. Mehr noch wirkt die Zakat als Verfallswert (eben von ca. 2,5 bis 10% im Jahr).
Im Monat Ramadan (9. Monat des islamischen Kalenders), in demMuhammad seine erste Offenbarung von Gott erhielt, hat der Muslim am rituellen Fasten teilzunehmen, sofern er körperlich dazu in der Lage ist und nicht auf Reisen ist.
Der Monat Ramadan (ist es), in dem der Qur'an als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist und als klare Beweise der Rechtleitung und der Unterscheidung. Wer also von euch während dieses Monats anwesend ist, der soll ihn fasten, wer jedoch krank ist oder sich auf einer Reise befindet, eine (gleiche) Anzahl von anderen Tagen (fasten). Allah will für euch Erleichterung; Er will für euch nicht Erschwernis, - damit ihr die Anzahl vollendet und Allah als den Größten preist (D.h.: mit den Worten "Allahu akbar" - Allah ist am größten"), dafür, daß Er euch rechtgeleitet hat, auf daß ihr dankbar sein möget. (Qur’an, Sure 2, Vers 185).
Damit verzichtet der Gläubige auf irdische Genüsse, um gegenüber Allah seine Wertschätzung und seine Treue zu zeigen aber nicht auch zu vergessen, auf was die Armen in ihrem Leben verzichten müssen.13 Das Fasten beginnt vor Sonnenaufgang und endet nach Sonnenuntergang. In dieser Zeit darf weder gegessen noch getrunken werden. Nach dem Fastenmonat feiert man das „Fastenbrechen“, das „Id-Al-Fitr“.
Die fünfte und letzte Säule bildet die Hadsch oder Pilgerfahrt. Jeder der sowohl physisch wie wirtschaftlich dazu in der Lage ist, sollte mindestens einmal in seinem Leben die Pilgerreise nach Mekka antreten.
Vollzieht die Pilgerfahrt und die Besuchsfahrt für Allah. Wenn ihr jedoch (daran) gehindert werdet, dann (bringt) an Opfertieren (dar), was euch leichtfällt. Und schert euch nicht die Köpfe, bevor die Opfertiere ihren Schlachtort erreicht haben! Wer von euch krank ist oder ein Leiden an seinem Kopf hat, der soll Ersatz leisten mit Fasten, Almosen oder Opferung eines Schlachttieres. - Wenn ihr aber in Sicherheit seid, dann soll derjenige, der die Besuchsfahrt mit der Pilgerfahrt durchführen möchte, an Opfertieren (darbringen), was ihm leichtfällt. Wer jedoch nicht(s) finden kann, der soll drei Tage während der Pilgerfahrt fasten und sieben, wenn ihr zurückgekehrt seid; das sind im Ganzen zehn. Dies (gilt nur) für den, dessen Angehörige nicht in der geschützten Gebetsstätte wohnhaft sind. Und fürchtet Allah und wißt, daß Allah streng im Bestrafen ist! (Qur’an, Sure 2, Vers 196).
Der Aufenthalt in der heiligen Stadt dauert nach strengen Glaubensvorschriften zwölf Tage und hat feste Riten und Voraussetzungen. Zum Beispiel gehört dazu die einheitliche Bekleidung, denn vor Allah sollen alle „gleich“ sein. Aber zum festen Ablauf gehört auch die siebenmalige Umrundung der heiligen Kaaba, mehrere genau definierte Gebete und eine symbolische Steinigung des Satans durch Bewerfung von drei Säulen in Mina.14 Damit verbunden ist ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das sich unter den Pilgern entwickelt, die aus allen Teilen der Erde zusammenkommen. Am Ende feiert man das „Opferfest“, das „Id-Al-Adha“.
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2 Subhanahu wa-ta'ala (dt.: Er, der Glorreiche und Erhabene); Ausspruch, welcher im Islam immer im Anschluss der Nennung „Allah“ erfolgt. In diesem Buch folgen wir dieser Tradition immer in den Nennungen der historischen Quellen des Islam
3 Hatem Imran: Das islamische Wirtschaftssystem, Salzwasser Verlag, 2. Auflage 2008.
4 Spuler-Stegemann, U.: Islam, die 101 wichtigsten Fragen, Becksche Reihe, München, 2007, S. 5f.
5 Ṣallā llahu alayhi wa sallam (dt.: Möge Allah ihn segnen und ihm Frieden bescheren); Ausspruch, welcher im Anschluss der Nennung eines Propheten erfolgt.
6 Rassoul, M.: Was ist Islam, 3. Auflage, Islamische Bibliothek Verlag, Köln 1987, S.32
7 Zitationen aus „der edle Qu’ran“ in einer Übersetzung von Scheich 'Abdullah as-Samit Frank Bubenheim und Dr. Nadeem Elyas. Im Gegensatz zur originalen Textquelle erscheinen die einzelnen Versnummern nicht nach dem Vers, sondern davor.
8 In Anlehnung an Denffer, Ahmad von (Hrsg.): Al Hawawi: Vierzig Hadite, IRI Press, Islamabad ohne Jahr, S. 18.
9 Nadwi, Syed Abul Hasan Ali: The Four Pillars of Islam, Islamabad Printing Care, Islamabad 1998, S. 16f.
10 Rassoul, M.: Was ist Islam, 3. Auflage, Islamische Bibliothek Verlag, Köln 1987, S.36
11 Vgl: Ali, Habib: Großzügigkeit und Zakat, in: Islamische Zeitung, 19.07.2007, http://www.islamische-zeitung.de/iz3.cgi?id=9057
12 Vgl. Ibn Rassoul, Abu-r-Rida’Muhammad Ibn Ahmad: Handbuch der Zakah und der islamischen Wirtschaftslehre, IB Verlag Islamische Bibliothek, Köln 2001, S.32
13 Nadwi, Syed Abul Hasan Ali: The Four Pillars of Islam, Islamabad Printing Care, Islamabad 1998, S. 213ff.
14 Spuler-Stegemann, U.: Islam, die 101 wichtigsten Fragen, Becksche Reihe, München, 2007, S. 49f.
Das Leben des Muslims wird über die Offenbarungen in allen Belangen seines Lebens „geregelt“. Es umfasst nicht nur die Spiritualität, sondern auch die Wirtschaft und Teile des Straf- und Zivilrechts, wie soziale Fragen und die Aufgaben des Staates. Denn nur wer sich auf Erden dem Willen Allahs unterwirft, wird im Paradies die Früchte seines Handelns ernten.15 Damit kommt es auch nicht zu einer Trennung zwischen privatem Leben und dem im Zusammenleben mit Anderen (öffentlichem Leben).
Grundsätzlich trennt man aufgrund der Vorschriften in
• Erlaubtes = halal und
• Verbotenes = haram.
Zum Verbotenen gehört unter anderem der Gebrauch von Schweinefleisch und Alkohol, sowie alles rund um Glücksspiel, Pornographie und Prostitution. Damit ist alleine schon der Handel oder Transport untersagt. Investitionen in Unternehmen, die mit solchen Gütern oder Dienstleistungen Geschäfte machen, ist die direkte oder indirekte Beteiligung untersagt. 16
Die Quellen des Islam bilden dabei die Grundlage für alle Rechtsbereiche.
Die wichtigste Quelle ist die heilige Schrift der Koran (Qur’an) als wörtliche Offenbarung des Erzengels Gabriel an den Propheten Muhammad in arabischer Sprache.17 Diese Hauptquelle, bestehend aus 114 Suren und 6.535 Versen, nennt Normen und Prinzipien, denen ein Muslim Folge zu leisten hat. Für die Muslime behält der Koran, aufgrund der Allwissenheit Gottes, für alle Ewigkeit seine Bedeutung. Auch unter den nicht-muslimischen Wissenschaftlern ist unumstritten, dass der Koran dem entspricht, was zu Muhammads zeit verkündet worden ist. Es liegen also keine Manipulationen vor.18 Diese „Unversehrtheit“ wird schon im Koran selbst unter der Sure 15, Vers 9 garantiert. Der Koran wurde bereits zu Lebzeiten Muhammads auch durch die Wegbegleiter im Kopf behalten und schriftlich fixiert. Unmittelbar nach seinem Tod dann wurde unter strengen Auflagen und Prüfungen damit begonnen, die überlieferten Quellen zusammenzufassen.19 Teil dieser Kriterien war der tadellose Leumund der Überlieferer. Hier reichte bereits eine einzige Verwechslung zum Ausschluss oder der Degradierung aller gelieferten Beiträge des Überlieferers.20 Dies unterscheidet sich grundsätzlich zu den anderen Religionen. Damit sich auch für die Zukunft keine Manipulationen in den Koran einschleichen können, dienen alle Übersetzungen nur als Versuch, die Bedeutung des Qur’an in andere Sprachen zu übertragen. Für den Muslim ist ausschließlich der Text in arabischer Sprache bindend. So gilt zum Beispiel für das Gebet, das Rezitationen aus dem Koran vorsieht, die arabische Sprache als obligatorisch. Dies ist deshalb so wichtig, weil die einzelnen Verse immer mit konkreten Ereignissen verknüpft sind (z.B. die Verfolgung der frühen Muslime). Würde man die einzelnen Verse nun isoliert vom Gesamtzusammenhang sehen, so würden sich Verzerrungen der ursprünglichen Bedeutung ergeben. Deshalb sind neben den einzelnen Textstellen auch die dazugehörigen Gelehrtenmeinungen und die Ausführungen der Koraninterpretatoren zwingend zu berücksichtigen. Ansonsten könnte man auf die Idee kommen, den Begriff des „Zinses“ lediglich als „Wucher“ zu interpretieren. Damit würde bei oberflächlicher Betrachtung unweigerlich der Eindruck entstehen, dass es sich damit nicht um den normalen Begriff des Zinses handelt. Im Koran aber gilt tatsächlich ein generelles Zinsverbot!
Dabei unterscheidet man die Scharia („Shari’ah“) und Fiqh.
Die Shari’ah, die wörtlich übersetzt der „gerade Weg zur Wasserstelle“ bedeutet, ist als Pflichtenlehre zu sehen. Quasi einer Sammlung von „Do’s and Tabous“ sämtlicher Bereiche des Lebens. Egal ob soziale, politische, wirtschaftliche, häusliche oder individuelle Lebensbereiche, die Shari’ah regelt alles was moralisch akzeptabel ist und was man zu unterlassen hat.21 Der Koran und die Sunna stellen die Basis für die Ableitungen der Normen und Gesetze der Shari’ah. Dabei dienen die „Hadith“-Sammlungen als wichtige zusätzliche Quelle.22 Sie stellen ergänzende Erklärungen zum Koran dar. Deren intensives Studium ist Grundvoraussetzung für die Bewertung und Ableitung von Shari’ah -Normen auf Basis der Überlieferungen. Als Wegweiser sollen sie den Menschen zu Gott, zu seiner „Quelle“ führen und Hilfestellung geben, damit gewährleistet ist, dass der verunsicherte Gläubige sich in allen Lebenssituationen korrekt verhält und somit sein Seelenheil erlangen kann. „Für einen Muslim ist sie die allein maßgebliche Norm, die an jedem Ort zu jeder Zeit gültig ist.“23 Dieses Wertesystem regelt bis ins Detail die kulturellen Pflichten, rechtlichen Normen und Bestimmungen sowie die moralischen Vorschriften. Sie ist universal und damit nach islamischem Recht weltweit gültig. Obwohl sie keine Alleinstellung im islamischen Rechtssystem hat, bildet die Schari’ah dennoch den „Kern des Islam“.24 Quasi das moralische Rückrad, das ideale religiöse Recht, dass allerdings in der Praxis nicht wirklich „justiziabel“ ist.25 Die Anwendung der Shari’ah auf Prozessebene unterliegt dem Gericht mit einem Quadi als Richter. Besonders erwähnenswert ist, dass die Shari’ah die Persönlichkeitsrechte zum Wohle der Gemeinschaft (im Gegensatz zu der westlich geprägten Vorstellung) durchaus einschränken kann.26 Denn im Islam ist der Mensch nicht nur ein singuläres wirtschaftliches Wesen. Darum hat das Recht eines jeden Individuums auf einen akzeptablen Lebensstandard Priorität vor den rein persönlichen wirtschaftlichen Interessen des einzelnen Menschen. 27
Die Fiqh ist als „irdische Rechtswirklichkeit“ zu verstehen. Sie besteht aus zwei Bereichen:
• der Fiqh’Ibadah und |
= Beziehung zwischen Menschen und Allah |
• der Fiqh’mu’amalat |
= alle Beziehungen unter den Menschen, so wie finanzielle und kommerzielle Transaktionen und den Regulierungen von Finanzinstitutionen.28 |
Sie lässt sich als Gewohnheitsrechtssystem beschreiben, die sich aus Analogien und Präzedenzfällen herleiten lässt.29 Damit ist die Fiqh den politischen und öffentlichen Einflüssen ausgesetzt und kann sich im Gegensatz zur Schari’ha den jeweiligen Meinungsströmungen nicht entziehen.
Quelle: eigene Darstellung auch in Anlehnung an Landin, M.A.: A mini Guide to Shari’ha and legal maxims, Kuala Lumpur 2007, S. 18.
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15 Yusuf, Muhammad: Islam. The Purpose of this life, Nisar Art Press, Lahore 1998, S.5.
16 Vgl. Qaradawi, Jusuf Al-: Erlaubtes und Verbotenes im Islam, SKD Bavaria Verlag, München 1998, S. 18f.
17 Spuler-Stegemann, U.: Islam, die 101 wichtigsten Fragen, Becksche Reihe, München, 2007, S. 44.
18 Vgl. Paret, Rudi: Der Koran, 5. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin-Köln 1989, S. 5.
19 Vgl. Ibn Rassoul, Abu-r-Rida’ Muhammad Ibn Ahmad: der deutsche Mufti, IB Verlag Islamische Bibliothek, Köln 1997, S. 603.
20 Vgl. Qazi, Mazharul Haq: Hadith and Sunnah, IRI Press Islamabad, 1999, S 13f.
21 Landin, M.A.: A mini Guide to Shari’ha and legal maxims, Kuala Lumpur 2007, S. 3.
22 Vgl. Doi, ‚Abdur RahmanI.: Shari’ah. The Islamic Law, Ta-ha publishers, London 1984, S.84, 52, 56.
23 Spuler-Stegemann, U.: Islam, die 101 wichtigsten Fragen, Becksche Reihe, München, 2007, S. 91
24 Landin, M.A.: A mini Guide to Shari’ha and legal maxims, Kuala Lumpur 2007, S. 5.
25 Popal, M: Die Scharia, das religiöse Recht – ein Konstrukt? Überlegungen zur Analyse des islamischen Rechts anhand rechtsvergleichender Methoden und aus Sicht postkolonialer Kritik, Frankfurt 2006, S. 32 und El-Gamal, Mahmoud A.: Islmic Finance – Law, Economics and Practise, Cambridge, New York 2006, S.27.
26 Vgl. Doi, ‚Abdur RahmanI.: Shari’ah. The Islamic Law, Ta-ha publishers, London 1984, S.7ff.
27 Vgl. Doi, ‚Abdur RahmanI.: Shari’ah. The Islamic Law, Ta-ha publishers, London 1984, S.9.
28 Landin, M.A.: A mini Guide to Shari’ha and legal maxims, Kuala Lumpur 2007, S. 17- 23und Kahf, M.: Islamic economics and it’s methology, in Agil/Ghazali (Hrsg.): Readings in the concept and methodology of islamic economics, Kala Lumpur 2005, S. 48.
29 El-Gamal, Mahmoud A.: Islmic Finance – Law, Economics and Practise, Cambridge, New York 2006, S.27.