Das Schulschiff “Deutschland”, einst das größte Schiff der Bundesmarine, ist heute längst Vergangenheit und verschrottet. Doch die Erinnerung an dieses Schiff lebt, denn während der 27 Jahre des aktiven Einsatzes in nah und fern taten tausende Seeleute hier ihren Dienst und tausende Marineoffiziere durchliefen hier die Seeausbildung als Kadett. Ihnen allen ist dieses Buch gewidmet.
Zum besseren Verständnis verweise ich auf die Begriffserklärungen auf → ff.
Der Autor
Inhalt
Auf dem Schulschiff
Das Staatsexamen
Das Leben und Wirken des Alexander Selkirk
Kater Freddy – oder: Gefangen in der Villa „Irrenhaus“
Kuddel, paddel du!
Ostseefahrt – Im Auge des Tiefs
Trampfahrt nach Stockholm
Auf dem Schulschiff
eine Tagebucherzählung von Roland Blatt 2009
4.1.1967 – Mittwoch
10 Stunden Zugfahrt von Völklingen nach Kiel, dann mit dem Taxi nach Kiel – Wik. Gegen 2330 Uhr erreichte ich das Schulschiff „Deutschland“. Nur schwach erleuchtet, doch schon von weitem an der Pier der Scheermole zu sehen. Nach 300m mit Sack und Pack durch Eis und Schnee erreichte ich den Posten Pier und den Bootsmaat der Wache. Irgendwie hatte man auf dem Schulschiff an diesem Abend nicht mehr mit dem Gefreiten (OA) Blatt gerechnet. Jedenfalls bekam ich weder einen Schlafplatz, noch eine Hängematte zugewiesen. So musste ich die Nacht im Deck 9z4 auf dem Stahlboden auf einer Decke zubringen, was mir natürlich auch nichts ausmachte.
5.1. – Donnerstag
Dieser Donnerstag war ein „Trouble“-Tag. All die Sachen, für deren Erledigung meine Kameraden 24 Stunden Zeit gehabt hatten, die musste ich jetzt zwischen „Tür und Angel“ erledigen, d.h. zwischen Dienst und Freizeit. Nach langem, zähem Ringen bekam ich endlich meine Hängematte und ein Essbesteck. Jetzt brauche ich wenigstens beim Essen nicht mehr zu warten bis Kamerad Eberbach fertig ist. Übrigens, die häufigen Musterungen, die auf der Schanz bei eiskaltem und schneidendem Wind stattfinden, stinken mir.
6.1. – Freitag
Den Letzten beißen die Hunde! Man kennt das ja! So bekam ich als Reinschiffstation die achtere Latrine zugewiesen. „Commander Latrine“!!! Verdammte Scheiße, im Sinne des Wortes! Das Ding ist 11-zylindrig und saukalt. So mache ich selbstverständlich hier nur das Notwendigste und halte mich lieber im nebenan liegenden, besser geheizten Waschraum auf. Allerdings teile ich meine Rechte und Pflichten auf der Latrine mit dem mir noch von Glückstadt her gut bekannten Gefr. OA Temme. Überhaupt, ich habe alle Glückstädter Kameraden der 6. Gruppe – bis auf v. Hennig – wieder gesehen und gesprochen. Danach setzte ich durch, über Mittag meine Kadettenklamotten von der Stützpunktkleiderkammer abholen zu dürfen: Der Regenmantel, den ich dort einfing, hat bestimmt schon die Gründung der Bundeswehr miterlebt. Die Mütze passt ausgezeichnet, ebenso die Hose. Den Rest werde ich später bekommen. So langsam lernen wir auch das Schiff kennen. Die nächsten 40 Tage werde ich in der Maschine fahren, die ersten 14 Tage davon im Elektrizitäts-Abschnitt.
7.1. – Samstag
Weil gestern so lange Reinschiff gemacht wurde, war es heute sehr kurz. Im Übrigen hatte unsere Wache kurzes Wochenende und gegen 0930 Uhr zogen die Ersten aus unserem Deck von Bord. Da hatten also auch wir frei. An Land gehen wollte ich aber nicht, denn es war winterlich unfreundlich und hätte in jedem Fall wieder eine Stange Geld gekostet. Die bittere Kälte ist ja auch nicht gerade verlockend – das ganze Schiff ist eingeschneit und innerhalb des Scheerhafens sammelt sich schon das Treibeis. So hatte ich mir vorgenommen, meinen Spind endlich einzuräumen, wozu ich bis jetzt noch nicht gekommen war. Aber ebenso wie im Vorjahr ist es auch im Jahr 1967 so ein Problem mit den guten Vorsätzen, und am Schluss – wenn auch mit schlechtem Gewissen – saß ich doch lieber im Mannschaftstagesraum beim Fernsehen.
8.1. – Sonntag
Sonntagsroutine. Wieder nicht an Land gewesen. Bin auch nicht traurig darum. Auch zum Briefe Schreiben kam ich nicht – Fernsehen – Schachspielen. Ich bin mal gespannt, wann ich den Brief an ... schreibe, es wird so langsam Zeit.
Verdammt noch mal! Erst gegen 23 Uhr gab ich mir den Stoß, der schon seit länger als 24 Stunden fällig war: Im blauen Schein der Notbeleuchtung räumte ich meinen Spind ein.
9.1. – Montag / Ostsee
0730 Uhr: Die Besatzung tritt auf der Schanz an. Meldung an IO: „Seeklar“! Um 0800 Uhr legt Schulschiff „Deutschland“ von der Scheermole ab, ohne dass wir im Schiffsinneren davon etwas bemerken. Langsam fängt auch der traurige Unterricht an. Die witzigen und feurigen Reden vom Anfang sind vergessen. Jetzt geht es nur noch um E-Werk 6, E-Werk 8, Gasturbinen u.s.w.
Der Auftrag für das Schiff heißt: Taktische Aufklärung in der westlichen Ostsee. In der Nähe der Kieler Förde – noch unter Land – werfen wir Anker. So kann ich – unverhofft – die ganze Nacht durchfilzen.
10.1. – Diensttag
Husten, Schnupfen, Heiserkeit! So eine Scheiße! Und dazu noch malochen im E-Werk 6. ...Pönen! So ’ne blöde Arbeit bei den vielen Winkeln und Ecken. Beide Arme waren lahm und dann rauften sich die Maate noch die Haare wegen der „Nasen“, weil ich zu dick aufgetragen hatte. Besonders der Maat Schatzschneider, dieser Durchdreher! Juckt mich aber nicht sonderlich. Ansonsten: Unterricht. Um 20 Uhr muss ich wieder für 4 Stunden ins „Bergwerk“ klettern.
Den ganzen Tag lagen wir in der Strander Bucht vor Anker. Eiskalter, schneidender Wind auf der hoch aufragenden Back. Leichtes Schneetreiben, schlechte Sicht. Aber die stickigheiße Luft im „Bergwerk“ treibt uns immer wieder an Oberdeck.
Im Deck 9z4 hausen wir zurzeit mit knapp 40 Mann auf engstem Raum, die drei Kadettengruppen 10, 11 und 12. Ich gehöre zur Gruppe 11. Geschlafen wird in Hängematten, die aus dem abgeteilten Hängemattsschapp heraus geholt und, wenn die Tische und Bänke zusammengeklappt unter der Decke hängen, an deren Auflagen und an Ketten festgezurrt werden. Aber ich habe gar keine Lust mehr, die Hängematte überhaupt irgendwo aufzuhängen. Solange nicht höherer Seegang herrscht, filze ich auf meiner Hängematte am Boden. Da kann ich wenigstens den Rücken gerade machen. Um 22 Uhr geht das Licht aus und die ziemlich schwache blaue Notbeleuchtung an. Viel zu sehen ist dann nicht mehr.
11.1. – Mittwoch
Nachts gingen wir Anker auf. Seemarsch – Richtung Ost. Um Mitternacht tauchten die Feuer von Gedser auf. Heute Vormittag fuhren wir ziemlich nah an Rügen vorbei. Leider war ich zu diesem Zeitpunkt im E-Werk 6, um die Farbe ab zu kratzen, die ich erst gestern an die Wand geklatscht hatte. Dabei fielen Reste der weißen Farbe auf den noch ganz frisch grau gepönten Niedergang. Bis ich das wieder beseitigt hatte, war die Wache um. Ich hatte 10 Stunden umsonst gearbeitet. Und alles wegen diesem nervösen Maat Schatzschneider, der wahrscheinlich selbst nicht weiß, was er eigentlich will. Was für ein dämlicher Durchdreher ist dieser Mann!
12.1. Donnerstag
Schon als wir um 0350 Uhr auf Wache zogen, konnten wir die erleuchtete Küste Gotlands an der Steuerbordseite erkennen. Steuerbord achteraus lag unter dem Hauch des heraufziehenden eiskalten, glasklaren Morgens die Stadt Visby. Fast den ganzen Tag über konnten wir den eingeschneiten, zum Teil bewaldeten Küstenstreifen ausmachen. Da wir bis dicht unter Land fuhren, ließen sich auch die vereinzelten Häuser, Straßen und Bäume gut erkennen.
Der Tag war eiskalt, aber sehr klar. Das Achterdeck war vereist und vom B-Deck hingen sogar Eiszapfen herunter. Sonst war es ein herrlicher Tag, leider kommen wir auf diesem Dampfer zurzeit kaum ans Tageslicht. Beim Frühstück legte sich unser „Kreuzer“ während eines ruppigen Wendemanövers in der sowieso aufgeregten See 22 Grad nach beiden Seiten über. Auch mir rutschte das Tablett nebst Frühstück über die Back auf den Boden. Alle Stühle und Tische rutschten danach von einer Seite des Mannschaftstagesraumes zur anderen und wieder zurück, geschmiert durch Kaffee, Butter und Ei.
Langsam breitet sich Müdigkeit aus. Trotzdem war der Dienst angenehm. Auch jetzt noch sind Lichter und Feuer Gotlands zu sehen.
13.1. Freitag – Ostsee
Als ich kurz vor Mitternacht an Oberdeck ging, um meinen Schlafkopf durchpusten zu lassen – bei einem feudalen Mittelwächter mit Wurst und Kaffee –, lag vor uns in einer Entfernung von kaum 5 sm die erleuchtete, lang gestreckte Küste von Öland – wir dampfen also nach Süden. Als ich 0330 Uhr von der Wache zurück kam, ich hatte allerdings schon 3 Bier getrunken und eigentlich damit einen „Diszi“ verdient, wurde der Kurs erneut geändert. Jetzt ging es nach Südost. Gegen Mittag erreichten wir die Danziger Bucht. Allerdings hatte sich das Wetter so verschlechtert, dass wir keine Küste sehen konnten. Gegen Abend verschlechterte sich das Wetter weiter zu einem astreinen Sturm – Windstärke 8 bis 10 Bf. Das Schiff stampft und rollt, die ersten kotzen schon. Nun muss ich wieder auf Wache. 4 Stunden. Mist!
14.1. Samstag – Ostsee
Heute Morgen in aller Frühe – wieder Kursänderung! Wir fuhren bis zur Mündung der Memel. Erst dann drehten wir wieder nach Westen ab. Ansonsten wurde im „Bergwerk“ malocht. Zwischen 8 und 10 Uhr passierten wir die pommersche Küste. Vom gestrigen Sturm war nichts mehr zu merken – es war ein herrlicher Tag. Unter der Küste der sog. „DDR“ verfolgte uns im Abstand von 150m ein sowjetzonales Hochseeminensuchboot. Es schien fast, in unserer Heckwelle abzusaufen. Zu unserer Unterstützung eilte ein bundesdeutsches SM-Boot herbei und schob sich zwischen uns und unseren Verfolger. Das gegnerische Boot wurde abgedrängt und nach einer Stunde des vergeblichen Versuches, Anschluss zu halten, gab es sein Unterfangen auf und dampfte ab. Bald war auch das SM-Boot verschwunden. Es fuhr, genau wie wir, „T N“ – taktische Nahaufklärung.
Bald darauf wurde mein ruhiges Dienstleben bei Obermaat Wloch im E-Werk 6 unterbrochen und ich musste auf das B-Deck, um die Luftansaugfilter für die Gasturbine auszubauen. Eine Sau-Arbeit! Durch eine fast schlüssellochkleine Öffnung musste ich in den Vorraum kriechen, ehe ich in der Enge und Dunkelheit meine Arbeit machen konnte. Angesichts der Küste der dänischen Inseln Lolland und Langeland wurden dann die einzelnen Lüftermatten auf der Schanz mit viel Wasser und Waschpulver gereinigt.
Nachmittags fuhren wir in die Flensburger Förde ein, kehrten aber bald wieder um und warfen in der Eckernförder Bucht den Anker. Vom Achterdeck beobachtete ich die idyllische Silhouette des kleinen Städtchens in der untergehenden Sonne. Natürlich wurde auch die Nacht über Seewache gegangen. Seit Auslaufen konnte ich deshalb nicht mehr als 4-5 Stunden am Stück filzen.
15.1. Sonntag
Ein Sonntag mit Samstagroutine ist der größte Beschiss, den es gibt. Bis 10 Uhr teuflisches Reinschiff – für den Admiral!
Ich bin übrigens jetzt nicht mehr auf der Latrine. Ich habe dem Gefr. Temme Lebewohl gesagt und über Umwege war es mir gelungen, mich bei der Reinschiffmannschaft „Achterer Waschraum“ einzuklinken, wo die Kameraden aus meiner 11. Gruppe Kossmann, Bock und Wolf – ganz sicher! – meiner uneingeschränkten Unterstützung bedürfen. Hier, im angenehm beheizten Waschraum, herrscht gute Stimmung und es wird – notgedrungen – aber auch ordentlich rangeklotzt. 12 Nirowaschbecken, regelmäßig total versaut von der Waschpaste der Heizer, deren Deck schräg über den Gang liegt, warten zweimal täglich auf Reinigung, dazu 12 Spiegel, die Duschecke und der ganze Raum an sich.
Wenn die Heizer Duschtag haben, was Gott sei Dank selten ist, ist der ganze Boden unter Glibber. Dann heißt es, die schmierigen Duschmatten hoch zu holen und zu schrubben, dann den Raum unter Wasser zu setzen und mit den Schiebern das Wasser mit dem Dreck ins Gatt zu schieben. Das klappt eigentlich wirklich gut und bei der abschließenden Ronde werden wir regelmäßig gelobt. Wir freuen uns natürlich darüber, weitere greifbare Wirkung hat das Lob aber leider nicht.
Besonders gut verstehe ich mich mit dem Gefreiten Kossmann. Sein Vater ist General der Bundeswehr und er war vorher als „W 18er“ Hilfsausbilder in der Grundausbildung und danach als Artillerist auf einem der „Fletcher“-Zerstörer, die schon im II. Weltkrieg dabei waren. Er erzählt oft davon, besonders der mechanische Kamikaze-Feuerleitrechner dieses ehemaligen US-Schiffs hat es ihm angetan. Aber oft haben wir bei der Arbeit wirklich gute und tiefgehende Gespräche.
Nach einem recht kläglichen Mittagsmahl gab es dann die erste große Anschnauze von Leutnant Beißer, dem gefürchteten, aber wohl etwas dümmlichen Mot-Offizier, der immer mit hochrotem Gesicht und leicht gereizt durchs Schiff tobt.
Dann wurde festgestellt: Die große Gelbsuchtepidemie ist auf unserem Dampfer! Drei Mann unserer Crew wurden schon ausgeschifft, auch ich bin im Kreis der Verdächtigen. Aber ich glaube, dass bei mir nichts vorliegt – ich bin ja im Lazarett in Lissabon lange genug behandelt worden. Dann: Alle Kadetten in den Vortragsraum!
Kadettenoffizier Korvettenkapitän Fischer gibt uns Anweisungen und Ermahnungen. Das große Blahblah... das leidige Thema: „Zoll“... blahblah... Vertrauensmann... blahblah... Decksältester... blahblah... Wenigstens konnte ich diese Nacht durchfilzen.
16.1. Montag
Heute Morgen ganz müder Unterricht. Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt „viel“ zu schlafen. Dann kam der Admiral an Bord. Inoffiziell konnte ich ihn bewundern, das Mittagsgeschirr noch in der Hand, als er durch die Gänge des Schiffes schlich: Flottillenadmiral Kluge. Danach verkroch ich mich wieder ins „Bergwerk“ und so konnte ich an der großen Musterung (Gott sei Dank!) nicht teilnehmen, auch nicht an dem offiziellen Vonbordgehen des Admirals mit „Seite“ und „Fallreepsgasten“ in der Strander Bucht. Als ich mit meinem Wachdienst fertig war, hatte Schulschiff „Deutschland“ längst Anker auf gemacht – Kurs einlaufend. Bald ließen wir das Marineehrenmal Laboe und das U-Boot-Ehrenmal in Heikendorf hinter uns. Um 1700 Uhr machten wir an der Scheermole neben dem Marinetanker „Jeverland“ fest, um Treibstoff zu übernehmen. Um 2100Uhr verholten wir dann an die Tirpitzmole. Seitdem liegen wir an unserem offiziellen Liegeplatz. Meine Postanschrift lautet: Gefr. OA Roland Blatt,23 Kiel-Wik, SS Deutschland, Tirpitzmole.
17.1. Diensttag
Trotz Hafenroutine konnte ich auch diese Nacht nicht durchschlafen. Aber ich habe mich schon ganz gut an das kleine Schlafpensum gewöhnt, und es macht mir kaum noch etwas aus. Ich muss nur ab und zu mal an Oberdeck zum Luftschnappen.
Wieder Wache gehabt. Von 0700 morgens bis 1500 Uhr nachmittags, teils im E-Werk 6, teils im E-Werk 8. Hier war der große Diesel hin und wir mussten ihn wieder hintrimmen. Als ich mal gerade allein am Werken war, geschah das, was eigentlich schon längst fällig war. Der ölverschmierte Schraubenschlüssel rutschte mir aus der ebenso ölverschmierten Hand und landete – wie sollte es auch anders sein – in der Bilge, der tiefsten Stelle im Schiff. Was blieb mir anders übrig, als hinterher zu klettern. Vom ästhetischen Standpunkt aus gesehen, ist die knöcheltief mit Ölschlamm und Wasser bedeckte Bilge ja die reinste Schweinerei. Aber andererseits ist man aus der Blickkontrolle und man kann sich hier unten gut mal ein Päuschen gönnen. Es gefiel mir so gut hier, dass ich auch im E-Werk 6 in die Bilge gekrochen bin, um ganz freiwillig nach Schrauben zu fischen. Ich fand, es war eine wirklich gute Art, mal „aus dem Kinken“ zu treten und das kam sogar bei den Unteroffizieren gut an. Der Öldreck war gar nicht so dramatisch, denn die Uffze sorgten sowieso dafür, dass man völlig eingesaut war.
Im Ganzen gesehen hatten wir auf See verdammt viel zu tun. Da kamen wir Kadetten manchmal leicht auf 17-18 Dienststunden und die 4-5 Stunden Schlaf zwischendurch bekamen wir auch nur auf Raten.
18.1. Mittwoch
Heute: Gelockerter Dienst. Kinobesuch! „Jenseits von Oder und Neiße“ – Also: In Anzug „erste Geige blau“ auf der Schanz angetreten! In Marschordnung auf die Pier weggetreten!
Still gestanden! Rechts um! Im Gleichschritt Marsch! – Marsch zur Wache. Aber was für ein Gleichschritt! Wir haben anscheinend alle schon Seemannsbeine gekriegt! Auch unsere Vorgesetzten kannten sich mit den Kommandos nicht mehr richtig aus. Gott sei Dank hat uns keiner zugesehen. Dann der Film: Es war ein guter, wenn auch ein etwas sentimentaler Streifen. Was haben wir doch für ein schönes Land verloren!
Nachmittags wurde wieder Blut gezapft – wegen der Gelbsuchtepidemie. Ging ganz gut bei mir. Aber 2 Stunden später – mitten beim Proviantstauen – war es so weit: Gefr. OA Blatt, Meldung beim Oberstabsarzt! Also, wieder Gelbsucht-Verdacht, morgen soll ich zum Labor.
19.1. Donnerstag
Heute war es soweit. In Anzug „1. Geige blau“ musste ich zum San-Bereich. Dort bekam ich einen Brief mit und nach einer Zeit geduldigen Wartens wurde ich mit dem Sanka nach Kronshagen ins BW-Lazarett gefahren. Dort wollte man mir aus den vom Stauen ganz mit blauen Flecken übersäten Armen gar kein Blut mehr abzapfen. Aber, es blieb ihnen gar nichts anderes übrig. Nach der erfolgreichen Aderlassung war ich auch schon wieder entlassen. Den zurückfahrenden Sanka verpasste ich um Sekunden. So fuhr ich dann auf eigene Rechnung für 60 Pfennig mit Linienbus und Straßenbahn gemütlich an Bord zurück. Bis mittags arbeitete ich natürlich nichts mehr. Aber am Nachmittag wurde ich wieder gefordert: Bierkästen stauen, Cola stauen u.s.w. – Es ging diesmal viel besser als gestern, da ich in der Reihe stand und nicht an einem Schott, wo man die Kästen gebückt durchreichen muss.
Die Stimmung war gut, viel gelacht: „Ich glaub’se holle mich ab, ha ha! ha ha! ha ha!“
20.1. Freitag
Vormittags dröger Unterricht. Ab heute bin ich in der Schiffssicherung. Schade, im E-Werk 6 bei Obermaat Wloch und dem kumpeligen Obergefreiten Bischof hatte es mir zuletzt doch ganz gut gefallen.
Um 14 Uhr: Musterung auf der Schanz. Wieder wurden 30 Gelbsuchtverdächtige aufgeschrieben, zwei davon sollen morgen ins Lazarett kommen. Ich bin ehrlich froh, dass es mich nicht erwischt hat. Dabei ist mir doch klar, dass auch ich diese Leberinfektion habe, denn so schnell heilt die ja nicht aus.
Am Nachmittag lag für mich nichts Wesentliches an. Ich meldete mich also bei der Mittagsmusterung ab und pilgerte zum Tender „Ruhr“. Das Schiff liegt nicht weit entfernt, ebenfalls an derTirpitzmole. Hier musste ich beim ReFü noch 4.- DM wegen der Portugalreise bezahlen. Anschließend ging ich zum Stützpunkt, um noch fehlende Kleidungsstücke zu empfangen. Als ich ankam, musste ich feststellen, dass bereits geschlossen war. 1515 Uhr! Schon Feierabend! Schweinerei! Diese Zivilunken! Ich hätte glatt Lust eine Meldung zu schreiben!
Am Abend machte ich noch mit Klaus Penschuk klar, dass ich über das Wochenende für ganze 15,- DM nach Hameln und zurück mitfahren konnte. Allerdings hatte auch Thomas Kropp seine Hand noch im Spiel, denn er veranlasste seinen Vater uns in Hannover abzuholen.
21.1. u. 22.1. Wochenende /Hameln
Den Großeltern geht es gut und sie haben sich sehr gefreut. Abends immer dieselbe beliebte Routine – Abendessen beim Fernsehen: Brot, Butter, schöne Wurst, wohlschmeckender Senf und kühles Bier, das meine Großmutter immer ganz zeremoniell in einer alten Einkaufstasche aus dem Keller holt. Nach dem Hauptfilm ging es ins Bett und dann lange, lange geschlafen. Schööön!!!
Immer wieder interessant sind die vergilbten Zeitungen, mit denen die Betten in der Dachkammer abgedeckt sind. Besonders die alten Bundesligaberichte, als noch der 1.FC Saarbrücken in der obersten Liga mitspielte, lese ich immer wieder gern.
23.1. Montag
Um 0115 Uhr waren wir endlich mit dem alten VW in Kiel angelangt. Aus Versehen hatte ich mich nach einer Pause in Hamburg auf meine Marine-Tellermütze gesetzt. Die sah vielleicht verbogen aus! Aber ich war auch wieder froh, dass ich endlich wieder in meiner Hängematte – im Deck auch Furzmulde oder Onanierrille genannt – lag. Die Nacht ging viel zu schnell rum und am anderen Morgen hatte ich Klüsen, die man mit einem Stock hätte abschlagen können, ohne die Nase zu verletzen. Der Tag verlief recht gemächlich, bis dann der Knalleffekt kam: Wir mussten für einen Test alle unseren roten Saft ins Röhrchen lassen. Ergebnis: Wieder müssen 3 Kameraden von Bord gehen. Lazarett, Gelbsucht! Von diesen dreien sind zwei aus meinem Deck. Ich wundere mich langsam, dass sie mich noch nicht weggeschnappt haben.
24.1. Diensttag
Astreines Verduften in den Stützpunkt. Ich muss ja endlich auch mal meine Kadettenuniform empfangen. Bis auf die weiße Weste habe ich jetzt alles.
Ich bin froh über jede Minute, die ich hier von Bord kann. Der Dienst in der Schiffssicherung ist elend. Heute: Reinschiff im Frischwassererzeugerraum. Dafür ist der Nach-Dienst umso erfreulicher: Mit Eberbach und Hoppe war ich in Kiel in einem urigen Film: Roman Polanski – „Wenn Katelbach kommt“. Klingt zwar so wie „wenn Bartel den Most holt“, war aber wirklich gut. Anschließend waren wir noch in der „Gaslaterne“ – nobler Schuppen. Ein geglückter, aber etwas teurer Abend.
25.1. Mittwoch
Der Vormittag wurde mit Unterricht totgeschlagen: Ruderanlage u.s.w....Nachmittags großer Verpisserzeugdienst, denn Zeugdienst ist bei allem, was man machen kann, noch das Beste. Nach Dienstausscheiden wieder feucht-fröhlich an Land gewesen. Mit Eberbach. Im „Remember“ – gehobene Plüschdisco mit guter Musik in der Nähe des Kieler Hauptbahnhofes. Eigentlich wollte ich nur einen Brief einwerfen, aber das hat sich dann so ausgeweitet: Auf dem Weg in die Kieler Innenstadt glühten wir schon reichlich vor mit Schwarzwälder Kirsch und Grog, dann erst fielen wir in das besagte „Remember“ ein. Nachdem jeder sechs „gepresste Wahnsinns“ und einige Whiskys geschlürft hatte, ließen wir uns in ein Minicar fallen, das uns pünktlich wieder an Bord brachte.
26.1. Donnerstag
Tagsüber wieder ein unheimlich interessanter Schiffssicherungsarbeitsdienst. Die Schiffssicherung ist sowieso das Letzte: Der SSO sitzt in einem mickrigen Schapp, genannt SS-Leitstand, und der Rest der Mannschaft turnt durchs ganze Schiff, im Dienst von Gas, Wasser, Scheiße, Ventilen und Leckbalken. Überall und nirgends, aber immer im Dreck.
Im Deck läuft morgens und abends Musik über das Bordradio. Meistens spielen sie „Dear Mistress Applebee“ oder Sachen von Graham Bonny, die nicht so der Renner sind. Man freut sich schon, wenn von den „Small Faces“ der Song „Sha-la-la-la-lee“ kommt. Gestern war ich im Radioraum und habe meine „Rolling Stones“ – Platte „After-math“ zum Abspielen rein gereicht. Hoffentlich spielen sie die mal.
27.1. Freitag
Ein ganz „toller“ Tag in der Schiffssicherung. Vormittags rein gar nichts gearbeitet. Dann etwas Unterricht, worüber wir dann in der Mittagspause völlig überraschend einen Test schrieben.
Hat der Oberleutnant Guseck vielleicht durchgedreht? Der Test war für uns ganz überraschend, denn im E-Abschnitt wurden doch auch keinerlei Test oder etwas Ähnliches geschrieben. Da ich vormittags auch noch zum Teil „unterwegs“ war, hatte ich einiges vom Unterricht gar nicht mitbekommen und die Nachricht von dem Test erreichte mich so spät, dass ich mich rein gar nicht vorbereiten konnte. Wie sollte ich da nun einen Test schreiben? Meine Einwände haben natürlich keinen interessiert, es sei ja nur ein kleiner Test. Na, wenn das mal stimmt! Die Arbeit ging natürlich recht und schlecht „in die Hose“. Hoffentlich macht mir das nicht noch mal ein Problem! Richtig gefallen hat mir die Sache jedenfalls nicht, denn irgendwie war mir die Vorfreude auf das Wochenende vermiest.
Was ich in der Mittagspause zu viel getan hatte, das holte ich nachmittags wieder raus: Ich meldete mich wieder ab zum Stützpunkt. Kleiderempfang, mir fehlte ja noch einiges. Als ich mich im Schiffssicherungsgefechtsstand zurückmeldete, schickte mich der Obermaat in ein tiefes, entfernt gelegenes Schapp mit den Worten: „Wenn Sie jemand fragt, dann sagen Sie, Sie klaren auf!“ Mich hat aber keiner gefragt, denn ich war auch nicht lange da unten. Ich ging ins Deck und machte mich klar fürs Wochenende. Diesmal mit dem Zug nach Hameln.
28.1. u. 29.1. Hameln
Kam erst 2330 Uhr in Hameln an und am Sonntag um 1930 Uhr musste ich schon wieder lostigern. Das geht alles so schnell vorbei! Ich glaube, ich sollte mir mal ein Auto zulegen.
30.1. Montag
Obwohl ich heute Nacht nicht viel mehr als 3 Stunden geschlafen hatte, ging es nach dem vormittäglichen Großreinschiff unter Auslassung des Mittagessens an Land. Zum letzten Mal! Abschied von Deutschland! Ganz unkonventionell! Nachdem wir – Eberbach und ich – verschiedene Sachen in Kiel eingekauft hatten – darunter in einem Laden am Dreiecksplatz die Langspielplatte „Well respected Kinks“ für 8 DM – gingen wir ins Kino. In einen Gruselfilm. Ein echter Schocker! Wir haben uns köstlich amüsiert. Nachher sprachen wir noch lange bei Kaffee und Grog in der „Gaslaterne“ über die „Nächte des Grauens“. Es war ein schöner Abschluss, aber um 22 Uhr mussten wir wieder an Bord sein. Ein letztes Mal für Wochen ordentlich ausfilzen.
31.1. Diensttag
Der große Tag des Auslaufens. Schon am frühen Morgen hatte sich trotz der schneidenden Kälte eine Menschenmenge auf der Pier eingefunden, die ständig größer wurde. Großes Abschiednehmen, bis wir dann auf das Schiff zurückgerufen wurden. Antreten! Natürlich in „1.Garnitur blau“ mit Colani. Ich stand auf der Schanz in einer langen Doppelreihe. Auf der Pier wurde Platz gemacht. Endlich, gemessenen Schrittes, von den Größen der Marine und des Heeres umringt, erschien der Verteidigungsminister Schröder. Selbstverständlich unter Einhaltung des akademischen Viertels der Verspätung – und im blauen Mantel. Der Musikzug war inzwischen auch eingetroffen und spielte munter drauf los. Der Verteidigungsminister und seine Begleiter, darunter auch der Admiral Zenker, hatten sich inzwischen in die geschützte Brücke der „Deutschland“ zurückgezogen. Dann Paradeaufstellung auf der Schanz. Der Musikzug verstummte. Der Minister Schröder trat auf dem Achterdeck in das offene Karree und hielt eine – Gott sei Dank! – kurze, aber gute Ansprache. Dann begab er sich samt Stab auf den uns gegenüber auf der anderen Seite der Pier liegenden Zerstörer „Hamburg“. Auch die Fernsehleute zog es von Bord, als wir erste Anstalten machten abzulegen. Die Musik spielte, die Stelling wurde eingezogen, die Leinen los geworfen. Unter Musikklängen und einem dreifachen Hurra, das von der „Hamburg“ erwidert wurde, legte das Schulschiff „Deutschland“ ab. Mit langsamer Fahrt erreichten wir das Fahrwasser der Förde. Ein letzter Heizergruß aus dem Schornstein, das Typhon heulte. Die Tirpitzmole mit den winkenden Menschen und der nebelgraue Zerstörer „Hamburg“ blieben hinter uns zurück bis nur noch ein dunkler Punkt in der Ferne zu erkennen war. Endlich konnten wir unter Deck. Es war empfindlich kalt geworden.
1.2. Mittwoch, in See
Wir stampfen gen Norden, was man allerdings auch beim Antreten zum Wachwechsel auf der Schanz merkte. Die Schlingerbewegungen des Schiffes mussten selbst beim „Stillgestanden“ ausgeglichen werden, sonst wären wir wohl reihenweise umgekippt. – Wir durchliefen den Großen Belt und standen bei Mitternacht auf der Höhe von Skagen. Der ewige Seetörn hat wieder angefangen.
Ab heute bin ich in dem Maschinenabschnitt „Dampf“. Unter den Kesseln herrschen 60-70 Grad Celsius. Zum Abkühlen geht man dann gelegentlich in den Leitstand. Die Nachtwache geht gut ’rum mit Pönen. Ich habe mir ganz freiwillig das Seewassereintrittsventil (Durchmesser ca. 80cm) vorgenommen: Mit dem Beil haue ich die Farbe ab und dann pöne ich wieder neu. Und das jede Nacht wieder. Denn weil es so heiß ist, das Ventil jedoch seewasserkalt, hält die Farbe sowieso nicht und bis zur neuen Wache haben sich jedes Mal große Blasen gebildet. Dann komme ich wieder mit dem Beil...u.s.w. Was ich so tue, scheint keinen zu interessieren, solange ich etwas tue und ich tue es ganz gern, um nicht dem höchst disziplinarwürdigen Schlaf anheim zu fallen. Wenn die Kessel in Betrieb sind, ist es davor und darunter so laut, dass man rein gar nichts mehr versteht und sich mit Gesten verständigen muss. Der Lärm rührt daher, dass das Wasser in den Kesseln auf 450 Grad erhitzt wird und dann als Hochdruck-heißdampf auf die Turbinen gegeben wird. Die Stimmung ist ruhig und gelassen und die Unteroffiziere sind ganz o.k.
2.2. Donnerstag
Am Nachmittag wurde der langweilige Wachdienst durch Gefechtsdienst – allgemein in der Flotte auch „Rollenschwof“ genannt – ersetzt. Das war ganz gut, denn wir tobten getreu der Gefechtsbilder durch das ganze Schiff. Danach brauchten wir gar nicht mehr in die „Zeche“ runter.
Der Rollenschwof beginnt immer mit „Klar Schiff zum Gefecht – Kriegsmarschverschlusszustand herstellen“ – und die ganze Besatzung saust mit Stahlhelm, Lederpäckchen und Schwimmweste auf Gefechtsstation. Alle Luken und Schotten werden geschlossen. Dann geht es los: „Treffer“ schlagen ein, „Schäden“ werden gemeldet. „Brände“ brechen aus und werden bekämpft, „Wassereinbrüche“ werden abgedichtet und „lenz“ gehalten, fliegende Leitungen werden verlegt zur Umgehung ausgefallener Versorgungskreisläufe und das Schiff wird – nach einem simulierten Treffer – mit dem Notruder gesteuert. Aber letztlich scheinen jedes Mal all diese Bemühungen umsonst zu sein – der letzte Befehl lautet immer: Antreten auf Bergestation! – Das heißt: Antreten vor der uns zugeteilten Rettungsinsel. Die Schiffsführung scheint also ganz offensichtlich im Falle des Gefechts mit dem Verlust des Schiffs zu rechnen. So jedenfalls wird es geübt!
Ab 12 Uhr schossen die Kameraden von der Artillerie auf etwa 2 Seemeilen entfernte, von einem Schlepper gezogene Scheiben. Eine schöne Abwechselung. Man konnte gut verfolgen, wie die 40mm Leuchtspurgeschosse der Steuerbord-Zwillings-Flak auf ihr Ziel zu flogen und detonierten.
In der Bordkleiderkammer habe ich jetzt auch mein Khaki-Zeug empfangen. Das soll unsere Tagesdienstbekleidung an Bord in den Tropen sein – in kurzärmeligem Hemd und kurzer Hose!
Übrigens, die beim Maschinenpersonal allseits verehrte „geile Dampfnille“ – das Poster der offenherzigen, nur halb mit durchsichtigem Pyjama bekleideten Dame im Antriebsgefechtsstand – wurde in Pension geschickt. An ihrer Stelle hängt jetzt die nicht minder aufreizende „Miss Dezember 1965“ aus dem Playboy. Auch sie ist im Februar 1967 nicht mehr hochaktuell, wirft aber ebenso mit den Pfunden ihrer Brüste um sich.
3.2. Freitag, in See
Als Einzigem meiner 11. Gruppe musste mich das harte Los der Hundewache treffen, so war ich dann am folgenden Tag auch hundemüde.
Von Skagen ging es mit Kurs Südwest in die Nordsee zum Schießabschnitt westlich von Helgoland. Heute trat die Flak wieder in Aktion und die Kadetten schossen mit der 40mm Bofors, aber wegen des schlechten Wetters schwiegen die Rohre bald wieder und die 100mm Türme fingen gar nicht erst an.
Nachdem wir längere Zeit vor Borkum gelegen hatten, fuhren wir in die Jade ein und ankerten unweit von Wilhelmshaven. Soweit mir zu Gehör kam, wurde hier ein Mann an Bord genommen und ein anderer ausgeschifft, dessen Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein soll. Aber bald gingen wir Anker auf, dampften die Jade hinunter und nahmen Kurs auf Ponta Delgada.
Heute Nacht ist für uns Bauernnacht, denn der Dampfabschnitt wird nicht gefahren. Gestern Abend hatte ich meine Tonbänder, die mich seit der „Technischen Marineschule II Bremerhaven“ begleiten, beim Bordfunk abgegeben und so ist es heute ein Genuss, die „Stones“ zu hören mit solchen urigen Stücken wie „Lady Jane“ und „Going home“. Eine Krone des Geschmacks!
4.2. Samstag, in See
Samstagroutine. Man kam sich fast vor wie in den Ferien. Wir mussten zwar die Wache gehen und vormittags bis 10 Uhr Dienst tun, aber dann hatten wir frei und ich konnte 4 Stunden filzen.
Halt, da war noch was: Damit wir unsere Truppenausweise im Ausland nicht verlieren können, soll jetzt jeder einen schiffseigenen Bordausweis bekommen. Für das dafür notwendige Foto sollten wir vorher noch zum zivilen Friseur, der an Steuerbordseite sein Schapp hat und hauptsächlich Einfachfrisuren zum Minitarif herstellt. Die Sache war in weniger als einer Minute erledigt, ich habe 2 DM bezahlt und die Haare sind jetzt, wie bei fast allen anderen auch, nur noch 1cm lang. Das Erscheinungsbild ist stark gewöhnungsbedürftig, die „Frisur“ jedoch praktisch und pflegeleicht, wir nennen sie: „Schulschiff Deutschland-Verzweiflungshaarschnitt“.
5.2. Sonntag
Draußen herrscht herrliches Wetter. Besser kann eine Atlantikfahrt mit der „United States“ auch nicht vor sich gehen. Unser Dampfer schlingert ja in der Dünung sagenhaft, aber wir haben uns längst daran gewöhnt. Anfangs schlug das noch einigen auf den Magen – mir nicht!
Heute Nachmittag: Sonntagsroutine und zwischen den Wachen: Sonnen an Oberdeck. Ich hatte mir einen sonnenbeschienen Platz am Schornstein reserviert, wo ich mich die ganze Zeit gepflegt mit Albert v. Doetinchem de Rande unterhielt. Abends gab es im Vortragsraum einen ganz wüsten Piratenfilm.
6.2. Montag
Neben dem üblichen müden Trott merkte man, dass die kommenden Landgangstage ihre Schatten voraus werfen. Der Clou war, dass sich sogar unser Oberstabsarzt und der Kasak (katholische Sündenabwehrkanone = Pastor) einmischten. Der Kasak hielt einen glühenden Diavortrag über die von uns anzulaufende Azoren-Insel Sao Miguel nebst ihrer Hauptstadt Ponta Delgada. Der Oberstabsarzt, dessen ganze Furcht eine jegliche Epidemie ist, hielt uns einen Diavortrag über „Kontakte“. Gemeint waren natürlich die Nutten. Tolle Blumenkohlpimmel bekamen wir zu sehen!
7.2. Diensttag
An diesem Tag war außer der üblichen Malocherei eigentlich nicht viel los: Flurplatten schrubben mit der Drahtbürste, nette Muster in die Handläufe schmirgeln, die zum Wachwechsel pünktlich zu entfernen waren, u.s.w. u.s.w. Doch halt! Der dämliche und etwas primitive Leutnant Beisser erwischte mich, als ich im Kraftwerk „Mitte“ ohne Lederpäckchenjacke herum lief. Ein „Entschuldigung, das ist so verdammt heiß hier unten“ wurde natürlich nicht akzeptiert. Strafe: 2 Seiten Din A 4, Thema: „Sinn und Zweck“. Er bekam den Aufsatz geliefert – ungefähr in der etwas ironisch – querulatorischen Form, mit der ich auf der TMS II in Bremerhaven schon erfolgreich genervt hatte. Aber entweder „checkte“ Beisser nichts, oder er las den Aufsatz gar nicht, er schluckte ihn nämlich anstandslos.
8.2. Mittwoch
Als ich den ersten Blick aus dem Schott warf, waren wir schon dicht unter Land. Im Frühnebel winkten bizarre blau-graue Felsen, aus großer Höhe steil ins Wasser abfallend, zu uns herüber. Es war für mich überwältigend, sei es wegen der etwas seltsam anmutenden Schönheit dieser öden Klippen, sei es, weil ich seit →