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© 2012 Oliver Steffen
Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-8448-4666-9
Danksagung
Gewalt und Aggressivität ist die primitivste Art der Kommunikation
Unsere Wohnung
Unser Kinderzimmer
Unsere Nachbarschaft
Mein Alltag als Kind
Mein erster Beinbruch
Besuch vom Hochwürden
Die fliegende Katze
Die Schwarzfahrt mit der Schwebebahn
Die Sammelbüchse
Der Bahnhof
Diebstahl
Soziale Selbsthilfe Köln (SSK) mein neues Zuhause
Der erste Morgen alleine
Die erste große Reise
Die Festnahme
Dunkelheit
Eine Übernachtung im Kölner Dom ohne Frühstück
Transport nach Essen
5 Tage im Bunker eingesperrt
Fluchtgedanken
Der erste Besuch von Anna
Verlegung in ein neues Heim
Der Erlenhof
Das Schlössgen
Keine Ahnung, nur weg!
Taschengeld
Die Heimschule
Mein Alltag im Käfig
Kollektiver nächtlicher Ausbruch
Der erste Besuch bei Anna
Das erste Jahr im Käfig
Das zweite Jahr im Käfig
Tagesablauf auf der 4. Gruppe
Jobsuche
Es geht langsam aufwärts
Mein erster Sex
Das letzte Jahr im Käfig
Ich bleibe hier
Meine erste eigene Hütte
Mein letztes Weihnachtsfest zu Hause
Meine erste eigene Karre
Ich habe mich verliebt …
Karneval
Appell beim Chef
Die Wohngemeinschaft
Der Sparfuchs auf seiner ersten großen Reise nach Spanien an die Costa Brava mit seinem Freund Werner
Das Ende ist in Sicht
Der ewige Kampf hat sich gelohnt
Schlusswort
Die Familie: Vater, Mutter Anna, die Söhne, Peter, 15 Jahre, Frank, 11 Jahre, und Oliver, 12 Jahre alt. (Dass ich meine Mutter Anna nenne und so auch anspreche, liegt daran, dass ich es einmal getan habe, und der Alte es mir direkt verbot mit sofortigen Sanktionen, und seit diesem Tag habe ich nie mehr aufgehört, sie Anna zu nennen. Mit Mutti habe ich sie nie angesprochen, aus einer Bockigkeit gegenüber meinem Vater heraus, weil dieser mir verbieten wollte, sie Anna zu nennen. Ich habe mir nix verbieten lassen, das auch nicht.)
Wir wohnten in Wuppertal-Barmen, eine sehr schöne Gegend mit viel Wald drum herum, so weit, mit wenigen netten Nachbarn und guten Freunden. Die Tuffi-Werke, Milchprodukte aller Art und viel Textil- und Metallindustrie.
Das besondere Wahrzeichen meiner Stadt ist die Schwebebahn, sie zieht sich von Wuppertal-Barmen auf einer gesamten Länge von 13 Kilometern bis nach Wuppertal-Vohwinkel, wo sie die letzten Kilometer über die Straße schwebt und man einen wunderschönen Blick in Tausende von Wohn-, Schlaf- und Esszimmern hat. Wobei mein Augenmerk den Nackedeis in den Schlafzimmern galt, Möpse gucken, wie geil. Leider immer nur zu kurz, dat Ding fuhr einfach zu schnell vorbei!
Mein leiblicher Vater, ein Freund der brutalsten Erziehungsmethoden, Versager, langzeitarbeitslos, Langzeitalkoholiker und ein Arschloch vor dem Herrn. Nie etwas im Leben erreicht, eine bildschöne Frau zu seiner Ehefrau gemacht und eine ganze Familie systematisch zerstört. Auf eine Art und Weise, die heute in meinen Augen ihresgleichen sucht.
Er hat die ganze Familie mit Prügel, Alkohol, Wut und Verzweiflung über sein eigenes beschissenes, misslungenes Leben immer und immer wieder geschlagen und kaputt geschlagen.
Es sind einfach die Erinnerungen an einige Kindheitserlebnisse, die mir nie mehr aus dem Sinn gehen werden. Mich – mal mehr, mal weniger – heute noch wirklich sehr stark berühren und mich zum Nachdenken bringen.
Wieso hat meine Mutter es einfach nicht geschafft, sich von einem Penner von Mann zu trennen, der nur Gewalt, äußerste Brutalität kannte? Der es in meinen Augen nicht einen einzigen Tag wert war, an der Seite einer so liebenswerten, herzlichen und ehrlichen Frau zu leben!
Sie hat es uns zuliebe getan, in der Hoffnung, er könnte sich ändern, oder er würde sie nicht mehr schlagen oder missbrauchen, wenn er stinkbesoffen nach Hause kam.
Ich denke heute, es war die Hoffnung in ihren Augen, die sie dazu bewegt hat, festzuhalten an ihren drei Söhnen, mit ihnen durch dick und dünn zu gehen. Egal, was kommt, und es kam in den folgenden Jahren eine ganze Menge an Veränderungen für die ganze Familie. Sie hat es so ängstlich, hilflos und voller Verzweiflung über sich ergehen lassen!
Eines meiner schlimmsten Kindheitserlebnisse ist für mich heute noch genauso grausam wie damals zu der Zeit, als ich meiner geliebten Anna noch nicht mal dabei helfen konnte, als sie von ihrem eigenen Ehemann, weinend auf einer Fensterbank im ersten Stock sitzend, bei geöffnetem Fenster verprügelt wurde.
Du musst als hilfloses kleines Kind zusehen, wie alle Nachbarn auch, wie deine Mutter grün und blau geschlagen wird, und du kannst nichts, gar nichts dagegen machen! Du stellst dich dazwischen als Puffer, sonst nichts. Du wartest auf die Bullen und freust dich sogar darauf, dass sie diesen Penner mitnehmen. Die Gewalttat ist somit erst mal vorbei, aber der Penner kommt ja zurück, und die ganze Scheiße fängt wieder und wieder von vorne an!
Es hörte einfach nicht auf, immerzu dieselbe Scheiße.
Vater, ewig arbeitslos, kein Auto, kein Haus, kein Urlaub, keine Freizeitaktivitäten, kein Geld, kein Taschengeld, nichts, was einem hätte die Kindheit versüßen können. Also tust du, was du tun musst, klauen und dich nicht erwischen lassen!! Und wir haben zu dieser Zeit wirklich nichts anbrennen lassen, und es machte auch richtig Gaudi. Zu Hause gab’s ja außer wat auf die Fresse nicht so viel, wo wir Freude dran gehabt hätten, also besorgst du dir die eine oder andere Freude selbst, aber Obacht geben, immer auf der Lauer sein, mit der Gefahr im Nacken, erwischt zu werden. Von da an gibt man sich auch besonders viel Mühe, es richtig professionell zu machen.
Die Liebe unserer Mutter Anna war das Kostbarste, was wir Jungs hatten, und sie war unsere und die beste Mutter auf dieser beschissenen Welt.
Keine väterliche Zuneigung, Wärme oder dergleichen, was man als Kind so zu erwarten und wünschen hat von seinem eigenem Vater. Nur Gewalt, Prügel, Angst und Hass. Anna hat es, soweit es ihr möglich war, immer mit dem Mantel der Verschwiegenheit, Liebe und Zuneigung abgedeckt und versucht, das Beste daraus zu machen.
Anna, unsere geliebte Mutti, hat das größte Herz auf der Welt, und ich habe es ihr rausgerissen. Ich hatte es geschafft, was für ein Scheißdreck, es gab für mich keine andere Möglichkeit mehr, und mir tat es unendlich leid, damals als kleiner Junge.
Vor lauter Verzweiflung und Not mit andauernder Angst im Nacken konnte ich es nicht mehr ertragen, zuzusehen, wie unserer Familie immer und immer wieder nur Prügel, Gewalt, Unterdrückung und Angst widerfuhren! Einer von uns machte immer irgendwie etwas falsch, egal ob Peter, Frank, Anna oder ich, es wurde geprügelt, drauf eingedroschen, mit Ledergürtel auf den nackten Arsch, der Kartoffelstampfer, der Holzlöffel wurde dir so lange um die Ohren gehauen, bis er kaputt war und du dich tagelang nicht mehr setzen konntest.
Mit der Prügel kam direkt hinterher die Demütigung, schön stundenlang in der Ecke stehen und Schnauze halten, nix bewegen, sonst gab’s wieder was auf die Fresse gehauen.
Anna, sie schaffte es nicht mehr, brachte die Kraft nicht auf, sich dagegenzustellen und zu wehren, bei einem Alkoholiker als Mann. Die eigenen sozialen Probleme, die Erziehung von 3 Jungs, mich zu formen, es war ihr alles zu viel. Sie konnte es nicht mehr mit ansehen, nicht mehr ertragen, zuzusehen, mit welcher Gewalt er mich grün und blau schlug. Er hasste mich, abgrundtief.
Erstmals mit 6 Jahren ausgebüxt, so passierte es immer öfter. Mit 8 Jahren haute ich zum ersten Mal ab von zu Hause, einfach nur weg, weit weg, irgendwohin, ich pennte in Bauwagen, Rohbauten, auf Kinderspielplätzen und in geknackten Autos.
Anna, ich bin dir heute mit 39 Jahren dafür dankbar, dass du mich in ein Heim gesteckt hast. Der Alte hätte mich sonst totgeschlagen! Oder ich ihn.
Unsere Beziehung zueinander konnte er nicht zerstören, unsere Liebe zueinander war stärker, daran bin ich gewachsen, du hast mir mein Leben gerettet und du dir deinen Ehemann und das bitterarme Dasein somit erhalten.
Du hast mir in den wichtigsten Jahren meines Lebens so sehr gefehlt, du warst so weit weg, ich habe viel geweint. Ja, verdammt viel, weil ich dich so sehr vermisst habe. Ich fühlte mich einsam, Tag und Nacht ganz alleine, ich hatte Angst vor dem, was da noch alles auf mich zukommen würde.
Ich bin mein ganzes Leben bis zum heutigen Tag immer auf der Flucht gewesen. In jungen Jahren vor der Gewalt meines Vaters geflüchtet, anschließend aus den Heimen und irgendwie auch immer vor der Ungewissheit meiner eigenen Zukunft und mir selbst. Ich konnte es einfach nicht verstehen, dass ich jetzt ganz alleine auf der Welt war!
Ich habe wirklich sehr viele liebe nette Menschen verloren, die ich geliebt habe und mit denen ich in meinen Beziehungen nicht mehr zurechtgekommen bin. Könnte ich, würde ich den einen oder anderen Fehler sehr gerne rückgängig machen. Der Zug ist abgefahren.
Ich weiß auch, dass es da draußen für mich immer noch die eine oder andere Flamme gibt, die noch lodert, dass ich aber zum Teil viel zu stur bin, um es zu verstehen.
Für diese Fehler stehe ich nun heute selbst gerade. Es ist meine Entscheidung.
In den letzten Jahren, oder besser gesagt, jeden Tag habe ich verdammt viel gelernt, auch dass ich keine andere Chance gehabt hätte zu überleben und zu leben. Es war ein langer Kampf bis zum heutigen Tage, und mit Stolz blicke ich heute darauf zurück.
Es war ein nie aufhörender Kampf in all den verdammten und auch schönen Jahren meiner Entwicklung. Für alles und jedes, jeden Scheiß. Bloß keine Schwäche zeigen, immer den starken und unantastbaren kleinen Scheißer spielen und raushängen lassen. So wie ein Schauspieler in der Grundausbildung. Wobei die Wege dieser Ausbildung, insbesondere meiner, meine eigenen waren, um zu überleben in dieser Welt.
Ich möchte mich heute, an dieser Stelle, ganz besonders bei meinem Mentor und Ersatzvater Hans, Gruppenleiter im Jugendheim Erlenhof, ganz persönlich und herzlich dafür bedanken, dass er an mich geglaubt und mich gefördert hat.
Es waren nicht viele Erzieher in diesem System, die den Jungs wirklich aus der Scheiße geholfen haben und helfen wollten. Aber sein unermüdlicher Einsatz für ein weggeworfenes Kind war unglaublich und bissig.
Er hat sich für einen ehrlichen Jungen mit Herz entschieden, etwas Panne in der Birne (laut Aussagen der geistigen Eminenzen), völlig verhaltensgestört, verwahrlost und ein Pflegefall, mit der Garantie einer Perspektive gleich null. Er hat mich in sein Herz und in seine Familie aufgenommen, und ich bekam an dieser Stelle zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, eine neue Familie gefunden zu haben!
Er war ein so vorbildlicher Vater, liebevoll, hatte selbst 3 Kinder, die er geliebt und vergöttert hat. Zu diesem Mann, Vater und Vorbild für mich, schaue ich heute noch mit Stolz und Hochachtung auf. Das ist ein Vater, wie ich ihn auch gerne gehabt hätte. Er hat mir so viel gegeben, ich kann und könnte es ihm nie mehr zurückgeben.
Das, was ich ihm zurückgeben kann, ist eine lebenslange Anerkennung und meinen ganz persönlichen Respekt. Er hat mir die Augen geöffnet, mein Potenzial erkannt, mich gefördert, mir Dinge beigebracht, die ich auf der Straße so nie hätte lernen können.
Unsere Verbindung besteht heute noch, darauf sind wir beide besonders stolz. Ich war zu seiner Goldhochzeit eingeladen, und es war ein wunderschöner Tag, im Kreise seiner Familie zu feiern.
Ich fühlte immer eine besondere Nähe und Wärme, Zuneigung und Anerkennung. Ich bin stolz darauf, jemanden wie Hans kennengelernt zu haben.
Er hat sich für alle Kinder und Jugendlichen zu seiner Dienstzeit mit Herz und Seele eingesetzt.
Ich war bestimmt nicht immer pflegeleicht, nein. Aber ich habe mich genau zum richtigen Zeitpunkt in seine Gruppe verlegen lassen. Nachdem ich ihn kennengelernt hatte, wollte ich auch in seiner Gruppe sein.
Lieber Hans, ich danke dir und deiner süßen Frau Lilo aufrichtig für alles, was du mir mit und auf den richtigen Weg gegeben hast.
DANKE HANS
Ein Dank gilt allen Menschen, die an mich geglaubt haben und maßgeblich an meiner Erziehung und Entwicklung in all den Jahren direkt oder indirekt beteiligt waren. Die entzückenden Ladys aus der Großküche und Wäscherei, die mir das Kochen ein wenig beigebracht haben, und wie man mit Nadel und Faden richtig umgeht.
Meine Anerkennung gilt besonders den bereits verstorbenen Erziehern und zu früh verlorenen Freunden, Ralph und Moppel, Elmar, Werner, meinem Lehrmeister Willi, Dieter.
Dieses Buch ist meiner, unserer geliebten Anna gewidmet.
Sie ist leider am 05.08.2011 für immer eingeschlafen und hat eine sehr große Lücke in unseren Herzen hinterlassen. Anna, wir tragen dich alle in unserem Herzen weiter und werden dich niemals vergessen, niemals.
Ich möchte an dieser Stelle noch gesagt haben, dass wir beide in den letzten zwei Jahren die schönste Zeit unseres Lebens miteinander verbracht haben. Sie verbrachte noch einige Monate in einem Alten- und Pflegeheim, wurde krank und schlief friedlich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag für immer ein. Was mir ein wenig Trost schenkt, ist die Tatsache, dass ich mit ihr im Reinen auseinandergegangen bin.
Jeder von ihnen hat mir in irgendeiner Weise etwas mit auf den Weg gegeben, was mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin.
Danke
Anna, Frank, Hans und Lilo, Oma, Heinz, Naci, Klaus und Hanna, Pfanne, Manni, mein Lehrer Manni, Anne, Pferde-Müller, Ute (und all die Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher, die ich richtig genervt habe) und all jene, die ich namentlich nicht genannt habe, weil ich die Namen leider vergessen habe.
Nun, angefangen mit dem Schreiben habe ich Ende der 90er-Jahre. Meine persönlichen Unterlagen, die Akte aus dem Heim, habe ich erst kurz vor der Vernichtung bei dem Direktor angefordert. Er fragte mich, warum ich diese haben wolle. Ich sagte ihm, ich wolle irgendwann ein Buch über mein Leben schreiben, was ich erlebt habe in den Käfigen. Das sei möglich, sagte er, würde aber etwas dauern, da er alle Personen unkenntlich schwärzen müsse, aus datenschutzrechtlichen Gründen.
»Okay«, sagte ich, »ich habe Zeit.« Ohne Ende!
Die Akten müssen 10 Jahre aufbewahrt werden nach dem Austritt aus dem Heim. Es hat mich immer sehr berührt, an meiner eigenen Vergangenheitsbewältigung zu arbeiten. Wer A sagt, muss auch B sagen, ich bin froh und stolz darauf, dass ich diesen Schritt getan habe, und blicke auf der einen Seite glücklich zurück, auf der anderen Seite mit etwas Wehmut und der einen oder anderen Kullerträne in den Augen.
Heute bin ich 39 Jahre alt, abgeschlossene Ausbildung als Maler und Lackierer, Single, keine Kinder, ein erfolgreicher Mitarbeiter im Außendienst Direktvertrieb seit über 20 Jahren.
Ich hab’s geschafft im Leben, ja, das kann man so sagen. Was ich nie schaffen werde, ist, meine Kindheit zu vergessen, es geht einfach nicht. Ich denke mal mehr und mal weniger darüber nach. Oder gar nicht. Dann gibt’s Tage, da denke ich immer und immerzu daran, was ich alles so erlebt habe.
Das ist auch einer der Gründe, warum ich dieses Buch unbedingt schreiben wollte. Manche Dinge sind so allgegenwärtig, als ob sie gestern erst passiert wären. Es sind so viele Details vorhanden, als ob ich gestern erst den Käfig verlassen hätte.
Es ist egal, der Gedanke an die Vergangenheit ist allgegenwärtig, er holt dich dann und wann wieder ein, und dann ist er wieder weg, einfach so. Heute ist es manchmal ein schönes Zurückblicken auf meine beschissene Kindheit, ich habe genau das geschafft und gemacht, was ich erreichen wollte und was ich mir in den Kopf gehämmert habe.
Mein Dickschädel stand mir manchmal im Weg. Aber ohne diesen wäre alles ganz anders gelaufen.
Frechheit siegt, da ist was Wahres dran. Kombiniert mit etwas Raffinesse, etwas Biss geht’s auch. Ich hasste zu dieser Zeit Befehle, Anweisungen. Keinen Bock!
Hätte ich diese doch so beschissene Kindheit nicht gehabt, würde ich heute irgendwo im Knast sitzen, die Kurve hätte ich einfach nicht mehr bekommen, ehrlich nicht! Ich wäre mit meinem Bruder Peter an der Flasche und bei kriminellen Aktivitäten verreckt, wenn ich nicht im Käfig gelandet wäre.
Eines habe ich mir damals als kleiner 11-jähriger Junge weinend vor dem Fenster im Käfig geschworen, wirklich immer und immer wieder geschworen:
* Der schlechteste Lehrmeister ist der beste *
Du musst alles, wirklich alles in deinem Leben, egal, was es ist, genau anders machen. Also fing ich an, nachzudenken! Da man das, was mein Vater geleistet hat, nämlich gar nichts im Leben, nicht als Meistertat bezeichnen kann, sollte sich mein Weg in eine ganz andere Richtung bewegen.
So, wie ich es wollte und mir vorgestellt hatte. Ich wollte wer sein, Kohle in der Tasche haben und nicht arm wie eine Kirchenmaus sein. Meiner Flamme etwas bieten, essen gehen, in den Urlaub fahren, so oft, wie sie wollte. Ihr kleine Geschenke machen, sie überraschen mit Blumen, alles, was einem Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubert, sollte sie an meiner Seite haben. Das, was meiner Mutter Anna lebenslang gefehlt hat, sollte jede Frau an meiner Seite genießen können. Dafür lohnt es sich, sich einen Buckel zu schuften, oh ja.
Ich wollte in diesem Sumpf nicht untergehen, nein, ich wollte kämpfen, etwas Gescheites aus meinem Leben machen und nicht in den Knast gehen. Da ich schon so viele Male abgehauen war, stand ich mit dem einen Bein immer im Knast, Diebstahl und so kleine kriminelle Aktivitäten gehörten ja zu meinem täglichen Überlebenstraining.
Dass ich schon in mehreren Heimen gelandet war, daran war nichts mehr zu ändern. Das, was ich noch für mich ändern konnte, war meine innere Einstellung. Die für mich immer eine wichtige Bedeutung hatte. Nie mehr gefangen und eingesperrt zu sein, stundenlang in der Ecke stehen zu müssen oder Angst zu haben vor Hass, Gewalt, Repressalien oder Ähnlichem.
Ich wollte es besser machen, ja besser, besser als alle anderen, die ich in dieser Zeit habe so langsam, aber sicher untergehen sehen … Nur mal so ein krasses Beispiel zwischendurch, was da alles so verbrochen wurde im Käfig:
Eines Tages erhielten wir die Tageszeitung auf der Gruppe mit fehlendem Lokalteil von Downtown Euskirchen. Ups, dachte ich mir. Den hatte man doch vorsichtshalber rausgeholt. Na, das machte mich aber mal neugierig, ich bin auf die andere Gruppe und wollte die Zeitung holen, genau der gleiche Scheiß, da fehlte er auch, der Lokalteil. Somit recherchierte ich selbst, auf zur Tanke, ’ne eigene Zeitung holen.
Da bei uns 2 Leute auf der Flucht waren, konnte man ja eins und eins selbst zusammenzählen. Da wurde doch mein fehlender Kollege tatsächlich als angeblicher Zeuge gesucht, wegen eines Todesfalls in seiner Nachbarschaft. Als Zeuge? Ja, erst mal als Zeuge, die nächsten Ausgaben sagten aber schon was ganz anderes.
Also, es stellte sich sehr schnell heraus, der hatte die alte Oma um die Ecke gebracht. Nix ausgeraubt oder so, eiskalt umgenietet, fertig!
Dafür bekam er 10 Jahre Jugendstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung, da er noch nicht volljährig war. Da gab’s ’ne ganze Menge kaputter Typen. Da war ich nur ’ne kleine Leuchte mit den Dingern, die wir gedreht haben.
Meine Jugend hatte man mir vom Elternhaus aus versaut. Meine Zukunft lag in meinen eigenen Händen, und diese wollte ich mir selbst gestalten und nicht auch noch selbst versauen. Das wäre mein eigener Untergang mit Ansage gewesen.
Der Knast kam für die meisten Jugendlichen im unmittelbaren Anschluss, wenn die Zeit im Käfig zu Ende ging.
Es waren auch Jugendliche hier, die aufgrund pubertärer und elterlicher oder schulischer Probleme für nur ein oder zwei Jahre in diesem Käfig zu Gast waren.
Ich habe mir geschworen, bevor ich ins Gras beißen muss, werde ich die ganze Scheiße meiner Kindheit nicht einfach so schlucken, nein. Meine Vergangenheit aufzuarbeiten, darin abzutauchen und anderen Menschen die Möglichkeit zu zeigen, dass es immer einen richtigen Weg aus fast jeder noch so aussichtslosen und beschissenen Situation gibt.
Meine Perspektive zu diesem Zeitpunkt war gleich null; ich fühlte mich alleine, einsam, verlassen, abgeschoben und gehasst.
Als kleiner Junge darüber nachzudenken, sich das Leben zu nehmen, die Pulsadern aufzuschneiden, sich selbst zu verletzen ist einfach nur Scheiße!
Es war aus der Verzweiflung heraus, Hoffnungslosigkeit, Unzufriedenheit.
Eine Aversion habe ich heute noch gegen jeden Menschen auf der Welt, der gewalttätig ist. Ich kann, will und werde es nie im Leben verstehen und in meinem Freundeskreis nicht dulden, dass Frauen aus welchem Grund auch immer geprügelt oder geschlagen werden.
Wer nicht in der Lage ist, Konflikte angemessen verbal zu lösen, wer sich Mut ansäuft oder ansaufen muss, damit er überhaupt die Zähne auseinanderkriegt, hat 2 Möglichkeiten: 1. Möglichkeit: Partnertherapie (selbst erfolgreich daran teilgenommen, wir befanden uns zu dieser Zeit in einer partnerschaftlichen, ich möchte mal sagen kommunikativen Sackgasse) hat ’ne ganze Menge gebracht für meine persönliche Entwicklung, in der Beziehung und im Umgang mit Konfliktsituationen, sowohl beruflich als auch privat. Leider nicht für die betreffende Beziehung.
Wir machten beide diese Therapie aus folgendem Grund: Zwei sture Esel trafen aufeinander, … und keiner gab nach!
Wir haben uns beide so ineinander verliebt, gezankt wie die Kesselflicker und nie mehr eine so schöne Zeit voller Liebe, Zuneigung und Harmonie genießen können wie diese. Sie ist heute meine beste Freundin, und einer der wenigen Menschen, die mich wirklich verstehen. Heute, damals leider nicht! Schöne alte Zeit, ja!
Die 2. Möglichkeit in meinen Augen ist, sich sofort zu trennen, ohne Wenn und Aber. Egal, ob selbst verprügelt zu werden, es mit ansehen zu müssen, oder ob man weiß, dass Gewalt in der Beziehung herrscht und unterschwellig geduldet wird.
Einmal Gewalt, immer Gewalt, da wird sich nie mehr was dran ändern. Zu oft habe ich diesen Müll im Leben gehört, was sollte sich da noch ändern, Mumpitz. Nichts.
Nach dem Suff kommt die Gewalt, das ist über kurz oder lang eine hochexplosive Zeitbombe. Sollten Kinder davon betroffen sein, ist das Ergebnis auf kurze oder lange Sicht ein garantierter Dachschaden fürs Leben bei allen Betroffenen.
Verprügelt zu werden als Junge, ist ja so weit okay, unter Jugendlichen, wenn du ’ne große Fresse riskiert hast, kriegste wat aufs Maul gehauen! Verprügelt und geschlagen zu werden von seinen Eltern, Ehepartnern, Lebensgefährten ist völlig inakzeptabel.
Als Kind musste ich mit ansehen, wie mein Vater eine ganze Familie mit größter Brutalität zerstört und kaputt geschlagen hat. Meiner Anna konnte ich damals als Kind nicht helfen, wenn sie grün und blau geprügelt wurde von ihrem eigenen Mann. Wieso bleibt eine Frau bei ihrem Mann, der sie ständig verprügelt, und lebt nur in permanenter Angst und Armut, wieso?
Diese Frage konnte meine Anna mir nie so richtig beantworten, sie sagte mal, sie hat’s für ihre drei Söhne getan. Okay, für uns, nur für uns. Sie hat ihr ganzes Leben weggeschmissen in meinen Augen und sich selbst aufgegeben für ein Stück Hoffnung. Dass der Alte irgendwann mal aufhört, uns zu verprügeln, stockbesoffen nach Hause zu kommen, seine eigene Frau zu vergewaltigen, weil er jetzt Lust auf Sex hat, und Anna nicht. Scheiß egal, ob wir nebenan waren oder nicht. Schreie hört man ein Leben lang.
Die Mutter meines Vater sagte einmal, er sei es nicht wert, an ihrer Seite zu leben, sie solle ihn verlassen. Die Konsequenz, ihn zu verlassen, wäre heute in meinen Augen die bessere Lösung gewesen, ja gewesen. Somit hätte Anna noch ein schönes Stück vom Leben gehabt, wenn sie es gewollt hätte. Sie hat es nicht gewollt oder besser gesagt gekonnt.
Was sich bis zum heutigen Tage geändert hat? Nichts. Er schlägt weder Anna noch uns, der Zug ist abgefahren. Anna lebte bis zu ihrem Tode mit dem Penner zusammen. Was ich nie verstehen werde.
Er ist alt geworden, senil und lebt nun selbst in einer ständigen Angst vor seinen eigenen drei Söhnen. Die kräftig und erwachsen geworden sind. Ja, er hat Angst, richtig Angst, besonders vor mir. Ich werde dem alten Penner kein Haar krümmen, nein. Ich habe gelernt, aus meiner eigenen Scheiße das Beste zu machen. Nicht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, nein. Intelligenz siegt bei mir, nicht die Dummheit.
Für mich ist das Kapitel der Familie Steffen erst beendet, wenn der Alte unter der Erde liegt. So traurig das klingen mag für Außenstehende. Das Kapitel ist für mich erst endgültig abgeschlossen mit dem Deckel drauf! Ende, aus, Mickey Mouse.
Ich habe außer dem Sterben alles hinter mir, wirklich alles! Soweit in jungen Jahren alles erlebt und gelebt, auf der Straße. Jeden Joint geraucht, LSD-Trips genommen, Pillen geworfen, gekokst, war mir immer zu teuer, da ich ja früher schon ein Sparfuchs war und zum Teil auch heute noch bin. Partys gefeiert ohne Ende, den Tag zur Nacht gemacht. Gesoffen wie ein Loch. Einen wirklich guten Freund verloren, einfach so. Er hat sich eine Kugel in den Kopf geballert. Mir hat’s den Boden unter den Füßen weggerissen!
Ich habe meinem damaligen besten Freund die Freundschaft fürs Leben gekündigt. Weil er weder Eier noch einen Arsch in der Hose hatte. Er hat unsere Beziehung zerstört, mich angelogen nach Strich und Faden, mein Vertrauen völlig missbraucht. Die Krönung war, er wollte mir was in die Fresse hauen, mir, seinem besten Freund! Hat er aber nicht gemacht, keine Eier in der Hose … Charakterloses Arschloch, kann ich da nur sagen. Und, verpiss dich. Er hat verschissen bis in die Steinzeit und drei Steine weiter.
Also wurde ab und an mal zu besonderen Anlässen gekokst, aber lieber ein dickes Ding geballert, macht dicht, beflügelt und verleiht äußerste kreative Spannungen im Hirnbereich. Bewusstseinserweiternde Substanzen muss man heute auch, finde ich, genommen haben, dann kannste auch mitreden, welche Dinger echt gut knallen und wat so gar nicht geht. Und dir auf Dauer entweder die Kohle wegfressen oder dat Gehirn wegsprengen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht für den alltäglichen Mischkonsum oder Konsum aus meinen Erfahrungen mit Drogen propagieren, nein. Ich bin durch diesen Abschnitt in meinem Leben gegangen und stehe dazu. Ich kann mir heute somit ein eigenes Bild über die unterschiedlichen Drogen und Substanzen und Nebenwirkungen machen.
Es gibt nur ganz wenige loyale, ehrliche und faire Leute da draußen, die ich persönlich kennen- und schätzen gelernt habe. Das hat mir mein Leben immer wieder bestätigt und beigebracht. Umgeben von gesellschaftlichen Stiefelleckern, Wichsern, die an jeder Ecke rumstehen und sich sozialparasitär durchschmarotzen und den Leuten mit dem Kopf bis zur Halskette im Arsch drinstecken. Die kennen doch nicht das wahre Leben, die haben noch nie im Leben Scheiße gefressen, nur im unteren Mittefeld ordentlich verteilt.
Die Erkenntnisse und Kindheitserlebnisse aus meinem Leben sagen mir immer und immer wieder dasselbe:
Wer einmal schlägt, schlägt immer.
Seid ehrlich zu euren Kindern, sie sind es auch.
Schlagt sie nicht, sie werden zurückschlagen.
Liebt eure Kinder, sie werden euch ein Leben lang lieben.
Gebt ihnen Liebe und Zuneigung, es kommt alles zurück im Leben und im Alter.
Schau deinem Gegenüber ehrlich tief in die Augen, und du wirst verdammt weit schauen können, wenn er ehrlich ist!
Ich habe niemals im Leben eine Frau geschlagen und werde es auch nicht tun, es ist so grausam gewesen, mit anzusehen, wie dieses Schwein, mein Vater, meine Anna und den Rest der Familie verprügelt und immerzu geschlagen hat. Hasserfüllt, ja, das bin ich heute sogar manchmal noch. Wenn ich darüber nachdenke, wie ich erzogen, geschlagen und die ganze Familie gedemütigt worden ist.
Ich freue mich heute über jedes Kind, das ich mit den Eltern sehe, die fürsorglich und liebevoll mit ihm umgehen. Und ob sich die Kinder wohlfühlen oder nicht, sagt einem immer das Gesicht des Kindes, immer. Man kann es den Kindern ansehen, und das bereitet mir eine besonders große Freude. Aus dem Grund heraus: zu wissen, dass es auch ganz anders geht, wie die Scheiße, die ich erlebt habe.
Wir wohnten in einer wunderschönen Gegend, mitten in einem Hang außerhalb der Großstadt Wuppertal. Es war ein altes Reihenhaus mit einer wunderschönen Aufteilung, oben zwei identische Etagen, mit einer langen Holztreppe und unendlich vielen Stufen, die bei jedem Schritt geknackt und geknirscht haben.
Links die Hütte für die Eltern und rechts für uns. Bad oder Dusche gab’s leider nicht. Die kalte Toilette war unten links, direkt am Hauseingang. Ölheizung gab’s nur bei den Eltern, bei uns im Zimmer stand ein Radiator.
Rattenalarm im Keller, ja, da waren Riesendinger, ekelhaft, und wir mussten immer für den Alten dat Öl holen, damit der Herr nicht friert, ja. Also, ab in den Keller, und dann sprangen und flüchteten sie auch schon. Oh Mann, war dat ’ne Scheiße. Rattenfallen überall, dat wurden aber nicht weniger, man konnte meinen, dat werden immer mehr und die Dinger gehen an den Fallen vorbei, haben die auch gemacht, die Viecher.
Leider gibt es heute noch gewisse Dinge, die sich einfach nicht geändert haben, sie sind so geblieben wie damals. Es ist schon traurig, das mit anzusehen, im 21. Jahrhundert zu leben, mit Laptop, Handy, Plasma und so weiter, dass es heute noch Menschen gibt, die da niemals angekommen sind. Es ist für mich besonders schlimm, mit anzusehen, dass es deine eigene Anna ist, die in diesem Sumpf schon seit über 50 Jahren mit dem Penner lebt. Nix mit Lebensabend im Alter genießen, nix auf die hohe Kante gelegt, alles versoffen und verhurt.
Anna hat heute, mit fast 80 Jahren, leider immer noch keinen Kontakt mit einer Waschmaschine aufgenommen oder ähnlichen nützlichen Haushaltsgeräten! Alles wie zu alten Zeiten, es wurde von Hand gewaschen oder wurde in der Wäscherei abgegeben.
Unten links wohnte eine sehr nette alte Dame, sie war so süß und nett zu uns Banausen, da waren wir oft. Sie gab uns immer Kekse, Bonbons, und zum Geburtstag gab es immer etwas Besonderes, und wir hatten da ja verdammt oft im Jahr Geburtstag, dank dem Alzheimer.
Das war immer so schön. Ihren Mann kannten wir leider nicht, er ist sehr früh verstorben. Rechts unten wohnte so eine blöde Familie, die hatte auch – ich glaube – zwei Kinder, und die Mutter sah aus wie ein Monster, wenn sie dich ansah, bekamst du eine Gänsehaut, die es in sich hatte. Das war so eine klassische Flodderfamilie.
Bestehend aus 2 Zimmern, ein Spiel- und ein Schlafzimmer, keine Heizung, kein Fernsehen, kein Badezimmer, nix Gameboy oder Playstation.
Wir hatten ein großes Doppelbett für uns alle 3, und der Kleinste schlief in der Mitte. Neben dem Doppelbett stand ein Tisch für uns mit drei Stühlen, da wurde sich ordentlich ausgezogen wie bei der Armee, so wie man sich auszog: die Jacke über den Stuhl, Pulli und Hose darüber, Socken in die Schuhe, und dann ab in die Waschschüssel. Wir hatten leider kein Bad, keine Dusche, wie man es heute kennt.