rundschule – Lernen lieben lernen
Herausgegeben von Maiko Kahler
Band 1
Die Suche namhafter Autoren gelang auf liebenswerte Weise. Zum einen wollten die beteiligten Schülerinnen und Schüler unbedingt ein eigenes Buch „erschaffen“, zum anderen besuchten wir die Autorenlesung von Boris Pfeiffer, bei der die Kinder die Lust am Schreiben geradezu kriminalistisch entdeckten. Allen Schülern danke ich daher für ihre Mühe durchgängig ‚situativ’ gehandelt zu haben und gleichzeitig für ihr Durchhaltevermögen, diese ‚Frischkost’ als Unterrichtsziel selbstorganisierten Lernens mitentwickelt zu haben.
Dankbar bin ich den Eltern, die durch ihr Vertrauen die Entwicklung dieser Klasse erst ermöglicht haben und dazu beitrugen, dieses Buchprojekt zu realisieren.
Besonders danken möchte ich Boris Pfeiffer, durch dessen Unterstützung die Schüler ihre eigenen Ziele noch effektiver weiterentwickeln konnten. Schließlich wachsen Kinder nicht schneller, wenn man an ihnen zieht, sondern wenn sie das Lernen lieben lernen und sich selbst besser organisieren können.
In Freundschaftsbücher soll man immer sein Vorbild eintragen, was mir an dieser Stelle sehr leicht fällt. Hiermit möchte ich mich bei Falko Peschel für seinen Beitrag, seine Vorstellungen und Ideale bedanken, die auch mir jeden Tag helfen, Schule als das begreifen zu können, was mir wichtig ist.
Dieses Buch dokumentiert einen Teil der Arbeitsweise der Schülerinnen und Schüler. Wirkt es anfänglich vielleicht ungewohnt, für sein Lernen selbstverantwortlich sein zu müssen, so soll es am Ende plötzlich eine Selbstverständlichkeit sein. Die ergänzenden Beiträge sollen Mut machen, auch ohne Arbeitsblätter diese Unterrichtsziele von Anfang an im Blick zu haben.
Langenhagen im Januar 2012
Der Herausgeber
Maiko Kahler
Vorwort
Boris Pfeiffer
Einführung
Maiko Kahler
Entwicklung von Arbeitsblättem
Theoretische Grundlagen
Definition von Arbeitsblättem
Die Wurzeln der Arbeitsblatt-Praxis
Denkendes Papier: Das Formular
Das Reichs-Arbeitsblatt
Formularkunde: Das Postschulzimmer von 1927
Formularkriterien als Hilfen für eine Arbeitsblatt-Optimierung
Denkende Menschen: Gaudigs Arbeitsschule der Selbsttätigkeit
Vom Umdrucker zum Personal Computer
Klasse 4a
E.T.E.K
Kapitel 1: Emily und Emma
Kapitel 2: Tim
Kapitel 3: Karl
Kapitel 4: Die Klasse 5e
Kapitel 5: Verschwunden
Kapitel 6: Gefunden und gegründet
Kapitel 7: E.T.E.K
Kapitel 8: Ausflug nach Hameln
Kapitel 9: Das Sumpfmonster
Kapitel 10: Gefangen
Kapitel 11: Unerwartet
Kapitel 12: Befreiung
Kapitel 13: Rückkehr
Kapitel 14: Chilien
Kapitel 15: Die Klasse 6
Kapitel 16: Abschiedsfeier
Kapitel 17: Das Leben danach
Falko Peschel
Das beste Arbeitsblatt … ist das leere Blatt
Vom Arbeitsblatt zur Eigenproduktion
Organisatorische Öffnung – geschlossene Arbeitsblattdidaktik
Methodische Öffnung – offene Reisetagebücher
Inhaltliche Öffnung – individuelle Eigenproduktionen
Selbstverantwortung zulassen
Literaturverzeichnis
Über die Autoren
Lernen lieben lernen, unter diesem Motto konnten sich die Schüler und Schülerinnen des vorliegenden Klassenprojektes zu Beginn unserer Arbeit noch nicht so viel vorstellen. Undenkbar also, sollte man meinen, dass am Ende der Grundschulzeit dann doch noch so ein tolles Ergebnis entstehen konnte. Vor der eigentlichen Schülerproduktion, einer Geschichte von Jugendlichen, die einige Abenteuer erleben und sich E.T.E.K. nennen, steht die didaktische Darstellung der Unterrichtskonzeption, die dieser Arbeit zugrunde liegt. Hierbei handelt es sich schwerpunktmäßig um einen Praxisbericht, der als Dokumentation für Schüler, Eltern und alle weiteren Interessierten dient. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Darstellung selbstorganisierten Lernens ohne Arbeitsblätter. Dazu wird die Geschichte des Arbeitsblattes nachgezeichnet und gleichzeitig werden von Falko Peschel die Möglichkeiten aufgezeigt, die sich ohne den Einsatz von Arbeitsblättern ergeben.
Die vorangegangenen Erfahrungen zeigen, dass selbstorganisiertes Lernen immer dann stattfinden kann, wenn Schüler motiviert an ihren Projekten arbeiten. Einmal mehr geht es darum, die Wünsche der Kinder mit ihrem vorhandenen Wissen zusammenzuführen und mit der Realisierung eines konkreten Projektes zu verknüpfen (vgl. Kahler 2002, S. 26). Das vorliegende Ergebnis in eben diesem Sinne kann möglicherweise deshalb als Blaupause dafür dienen, wie ähnlichen Herausforderungen, beispielsweise bei inklusiven Unterrichtsformen, zukünftig begegnet werden kann. Dann ist es notwendig, „sich von den althergebrachten Arbeitsblättern zu lösen und neue Wege zu gehen (Peschel in diesem Bd., S. 84), wie beispielsweise das E.T.E.K.-Projektergebnis der Klasse 4a zeigt. Peschel unterstreicht, dass man den Kindern nicht durch gesteuerte Beschäftigungen die lehrplangeforderte Möglichkeit zum selbstorganisierten Lernen nehmen sollte. Die Überfrachtung mit pädagogischen Angeboten bewirkt ansonsten genau das Gegenteil, nämlich den Entzug der Schülerverantwortung für das eigene Lernen (vgl. ebd.).
Die Vision selbstorganisierten Lernens ohne Arbeitsblätter prägt die Arbeit in dieser Klasse seit dem 3. Schuljahr. Dabei herrschte in der Gruppe phasenweise ein etwas „ruppiges“ Klima, wobei das Lernen scheinbar oft in den Hintergrund geriet. Vordergründig wurden vielfältige Konflikte ausgetragen, deren Ursachen im Nachhinein profan wirkten, in der jeweiligen Situation aber durchaus ihre Berechtigung fanden. Erschwerend kam hinzu, dass fünf Schüler mit ADHS-Diagnose die Klasse besuchten. Fast entschuldigend klingt es dann, dass Lehrer im Rahmen ihrer Ausbildung nur auf die Durchführung scheinbar guten Unterrichts vorbereitet werden und weniger auf schwierige Schüler! Im Hinblick auf das Ergebnis stellte diese Situation schon deswegen eine nicht seltene, aber dennoch besondere Herausforderung dar.
Fast zwei Jahre arbeitet die Klasse nun nach der Methode des selbstorganisierten Lernens ohne Arbeitsblätter. Nach Maßgabe des Kerncurriculums geht es dabei oft um Eigenproduktionen von Unterrichtsinhalten. Zur Entwicklung persönlicher Strukturen lernen die Schüler die Planung, Gestaltung, Präsentation und Bewertung von Unterrichtsinhalten. So bauen sie eine Beziehung zu ihren Projekten auf, können sich mit der jeweiligen Materie besser identifizieren und erkennen den Wert und Mehrwert ihrer Arbeit. Dies führt zu einer inneren Befriedigung, löst Blockaden vor unbekannten Arbeitsbelastungen und baut Ängste vor scheinbaren Leistungshürden ab. Oft merken die Schüler gar nicht, wie viel sie eigentlich lernen. Eine Äußerung stand sinnbildlich für die Gefühle vieler Schüler: „Wir möchten endlich richtig lernen! Wir schreiben nur Geschichten, präsentieren unsere Arbeiten, verfassen Handouts, analysieren unsere Lernfortschritte und zensieren sie auch noch! Aber wir haben das Gefühl, nichts gelernt zu haben.“
Eine veränderte Lern- und Lehrkultur scheint eine Erklärung für die Meinung der Schüler zu sein. Bis zum Ende der zweiten Klasse waren den Schülern die Prinzipien selbstorganisierten Lernens fremd, und auch für die Eltern stellten die neuen Unterrichtsformen eine große Herausforderung dar. Es gab keine Arbeitsblätter, es wurden keine Fragen gestellt, keine Probleme vorgegeben. Sachverhalte wurden erforscht. Es ging darum, selbst kreativ zu werden. Der Lehrer gab den Schülern die Möglichkeit, sich aktiv am Lernprozess zu beteiligen und die Lernaufgaben mit ihm zu besprechen. Die Schüler, die selbst als Planer agierten, bekamen von der Lehrkraft Informationen und Medien, und sie stand ihnen immer beratend zur Seite.
Die Ausrichtung des Unterrichts beruht auf Prinzipien von Lernarrangements für Kommunikations- und Präsentationskompetenz, die speziell für die Grundschule entsprechend angepasst werden.
Während der Informations- und Erarbeitungsphase waren die Schüler darauf angewiesen, selbst aktiv zu werden und sich bei der Materialsuche und Auswahl nicht auf andere zu verlassen. Was nicht vorhanden war oder angefordert wurde, konnte auch nicht be- oder verarbeitet werden. Den Schülern wurde immer wieder verdeutlicht, dass sie nicht für den Lehrer lernten oder produzierten, sondern mit ihm und für sich selbst. Durch die Gewährung von Handlungsspielräumen konnten sie kreativ werden und entwickelten eine Motivation zum eigenständigen Lernen. Als wertvollste Ressource ist diese Motivation deswegen wichtig, da sie für die zukünftige Entwicklung der Schüler eine entscheidende berufliche Qualifikation darstellt.
Einen weiteren Baustein bieten die Leistungsnachweise in der Präsentations- und Bewertungsphase. Der Lernerfolg wird hierbei prozesshaft überprüft. Dabei spielt das eigene Arbeitsverhalten eine ebenso wichtige Rolle wie die Bemühungen während der Gruppenarbeit. Bewertet werden außerdem die Kontrolle der Arbeit, die Planung und die Abstimmung mit den Partnern, die Zeitplanung und vieles mehr. Diese Dinge werden damit genauso wichtig wie Arbeitsergebnisse, das erlangte Fachwissen und die Kompetenzbildung. Die Aufgabe der Lehrkraft ist die sorgfältige Vorbereitung auf eine angemessene Reflexion und die Entwicklung und Selbstkontrolle eines Kompetenzrahmens. Hilfreich hierfür sind die wechselnden Ebenen der Fremd- und Selbsteinschätzung durch die Schüler und die Lehrkraft. Am Schluss der Beratung geht es um die schriftliche Dokumentation und die Bildung von Vorsätzen zur Weiterarbeit.
Bewertet werden auch die entstandenen Handlungsprodukte der Schüler. Dies können Referate, Ausarbeitungen, Plakate oder Bücher sein, aber auch Objekte, Experimente oder andere denkbare Ergebnisarrangements. Die Bewertungskriterien werden ergänzend zu einem vorhandenen Grundgerüst mit den Schülern erarbeitet. Zur weiteren Ergänzung der Leistungsbewertung dienen Portfolios, in denen alle Quellentexte, Handouts, Präsentationen, Ergebnisse, Bewertungen und Reflexionen gesammelt werden. Dabei werden alle Unterlagen nicht nur einfach abgeheftet, sondern spiegeln die Arbeit des gesamten Entstehungsprozesses wider (vgl. Brämer/ Blesius 2009, S. VI).
Die o.g. Schüleräußerung verdeutlicht auch die Anstrengung, dass alles selbst erarbeitet werden muss. Entscheidendes Merkmal dieses Unterrichts ist der weitgehende Verzicht auf Arbeitsblätter. Das liegt übrigens nicht daran, dass Arbeitsblätter generell schlecht sind. Ganz im Gegenteil. Eine sinnvolle Arbeitsunterlage kann gute Dienste leisten und den Unterricht planvoll voranbringen. Ein noch so gut gestaltetes Arbeitsblatt kann aber keinem die Mühe abnehmen, eigene Strukturen zu entwickeln. Die werden allerdings gebraucht, wenn nicht eine permanente Außensteuerung erfolgen soll. Vierzig Jahre nach Beginn der Arbeitsblatt-Pädagogik wird nun der Versuch unternommen, ganz auf Arbeitsblätter zu verzichten.
Nach der Definition von Mickel/Zitzlaff gehören Arbeitsblätter zu den „literarischen Lehrmitteln“ (Mickel/Zitzlaff 1988, S. 387), die „der Lehrende jedoch zur individuellen Ergänzung seines Unterrichts selbst“ (ebd.) erstellt. Schumann versteht unter dem Begriff „Arbeitsblatt“ alle losen Arbeitsblätter, „die vom Lehrer als Lernmittel zusätzlich in den Unterricht eingebracht werden und deren Gestaltung ausschließlich dem Lernen der Schüler dient“ (Schumann 1988, S. 60). Dabei sind „Einzelblätter [ … ] im eigentlichen Sinne zunächst Hilfsmittel, durch den darauf verzeichneten Lerninhalt werden sie zum Unterrichtsmedium“ (ebd.). Ihre didaktische Funktion sieht Schumann in der „Präsentation von Lerninhalten“ (ebd.). Unter dieser Prämisse scheint es vor dem Hintergrund der vorliegenden Schülerleistungen produktiver, auf Arbeitsblätter zu verzichten und die Schüler gleich selbst ihre Ergebnisse präsentieren zu lassen.
Die Recherche zeigt, dass Untersuchungen des Mediums Arbeitsblatt fast 20 Jahre zurückliegen. Das verwundert umso mehr, da Arbeitsblätter aus der Schule inzwischen eigentlich nicht mehr wegzudenken sind, aber trotzdem oft unreflektiert und wie selbstverständlich im Unterricht eingesetzt werden (vgl. Wellenhofer 1987, S. 7). Fragwürdig ist die Arbeitsblatt-Praxis auch deswegen, weil neuere Untersuchungen zum Nutzen dieses Mediums fehlen.
Nicht erst seit Pisa wird versucht, die Qualität von Unterricht zu verbessern. Dabei bedient man sich verschiedenster Untersuchungsmethoden, führt Befragungen durch, wertet Tests aus und vergleicht durch Überprüfungsarbeiten die Schulen untereinander. Das Thema Arbeitsblätter aber bleibt in allen Untersuchungen unberücksichtigt – Begründungen dafür gibt es nicht. Müssen Schulbuchverlage erst einen monatelangen Prozess (vgl. Leppeck 2002) durchlaufen, damit ihre Werke in unterschiedlichen Ausgaben in allen Bundesländern zugelassen werden, schafft es ein Arbeitsblatt wie auch immer gestaltet, ob individuell von Lehrern zuhause erstellt oder nur fotokopiert, jeden Tag erneut diskussionslos in jedes Klassenzimmer und auf jeden Schülerarbeitsplatz.