Jane Waters, Michelle Douglas, Lucy Monroe, Pamela Yaye
ROMANA EXTRA BAND 78
IMPRESSUM
ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
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Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: kundenservice@cora.de |
Geschäftsführung: | Ralf Markmeier |
Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 78 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
für Jane Waters: „Sternenregen auf Mallorca“
© 2014 by Michelle Douglas
Originaltitel: „Road Trip with the Eligible Bachelor“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Susann Rauhaus
© 2014 by Pamela Sadadi
Originaltitel: „Seduced by the Heir“
erschienen bei: Kimani Press, Toronto
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Simone Fischer
© 2008 by Lucy Monroe
Originaltitel: „The Greek Tycoon’s Inherited Bride“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: PRESENTS
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Juliane Zaubitzer
Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA EXTRA, Band 319
Erste Neuauflage by HarperCollins Germany, Hamburg;
in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 78 2019
Abbildungen: Orbon Alija / iStock, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733744762
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY
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Samantha ist die Frau seiner Träume, da ist Leandro sicher. Leidenschaftlich erwidert sie seine Küsse, und er weiß, dass auch sie etwas für ihn fühlt. Bis sie ihm plötzlich nur noch die kalte Schulter zeigt …
Er ist viel zu förmlich: Anwalt Aidan Fairhall ist kein Mann für Farmerin Quinn. Wegen eines Flugstreiks reist er mit ihr im Auto durch Australien. Danach muss sie Aidan vergessen. Leichter gesagt als getan!
Phoebe ist mit seinem Bruder verlobt. Das bedeutet nur eins für den griechischen Unternehmer Spiros Petronides: Sie ist tabu für ihn. Aber nach einem heißen Kuss weiß er, dass er um diese Frau kämpfen muss!
Kann sie vergessen, was war? Oder ist es die romantische Stimmung in Venedig, die Paris glauben lässt, ihr Jugendfreund Rafael wäre der Mann ihres Lebens? Wenn sie sich nur ihrer Gefühle sicher sein könnte …
Im Hafen des malerischen Fischerdörfchens Cala Figuera glitzerte das Wasser in der Mittagssonne. Lang und schmal zog sich die Bucht ins Land hinein. Weiß getünchte Häuser mit farbig bemalten Holztüren säumten das Ufer, als der Kapitän einen freien Ankerplatz zwischen den vielen Llaüts ansteuerte. Samantha hatte die Fahrt in einem der typisch mallorquinischen Holzboote entlang der Küste genossen. Sie war froh, nun doch erst einmal allein hier zu sein.
Als das Boot anlegte, flimmerte die Hitze in der Luft. Im August stiegen die Temperaturen auf der beliebten Baleareninsel auf weit über dreißig Grad, und unzählige Touristen waren an den Stränden und in den Städten unterwegs. Doch an dem besonderen Ort, an dem sie die nächste Zeit verbringen würde, war der Trubel weit entfernt. David hatte ihr prophezeit, sie würde den Aufenthalt an seiner Seite von Beginn an genießen. Dann aber war im Flugzeug der Sitz neben ihr leer geblieben. David war kurz vor dem Abflug in London etwas Geschäftliches dazwischengekommen.
Dafür hatte er Samantha vorgeschlagen, das „Begrüßungsprogramm“ dennoch zu genießen. Also hatte ihr der extra angeheuerte Taxifahrer am Flughafen von Palma einen eiskalten Piccolo serviert, den sie alleine trank. Angenehm beschwingt ließ sie sich an die Küste im Südosten der Insel fahren, wo das Llaüt mit dem schönen Namen Sea Queen bereits auf sie gewartet hatte. Als sie nun aber an Land die vielen Menschen durch den Ort pilgern sah, blieb sie sitzen und schob ihren Strohhut aus dem Gesicht.
„Was passiert nun?“, fragte sie den wortkargen Kapitän.
„Qué?“, fragte der braungebrannte, weißbärtige Spanier zurück. Was?
Sie machte ein ratloses Gesicht und zeigte mit einer vagen Bewegung in Richtung der hübschen Häuser. Der Kapitän sprach offenbar kein Englisch und sie kaum Spanisch, aber das war für ihre Arbeit bei der Stiftung „Nature First Foundation“ auch nicht nötig. Sie würde die meiste Zeit schließlich nur mit Pflanzen, Tieren, ihrem Laptop und eben David zu tun haben. Und in der Verwaltung dort sprachen alle Englisch.
Der Kapitän deutete ebenso in Richtung der Häuser. „Restaurante!“, rief er, was sie natürlich verstand.
Samantha schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Lust, allein zwischen den ganzen Familien und womöglich auch noch Liebespaaren zu sitzen. Und hungrig war sie auch nicht. „Foundation!“, erwiderte sie laut. Sie wollte lieber gleich weiterfahren. Von der letzten Etappe der Reise hatte ihr David besonders vorgeschwärmt: Sie würden vom Wasser aus das große Grundstück der Stiftung erreichen, das nicht weit von Cala Figuera entfernt lag.
Der Kapitän zuckte nur mit den Schultern und startete den Motor. Wenig später kühlte der Fahrtwind Samanthas Haut, und sie dankte dem Schicksal einmal mehr, dass David nicht dabei war. Es war nun mehr als offensichtlich, dass er ihre gemeinsame Anreise zu einer kleinen Romantik-Tour ausgebaut hatte: ein Sekt am Flughafen, die Bootsfahrt mit der Sea Queen, ein Essen im Restaurant …. Sie schloss die Augen. All die Unternehmungen bestätigten ihre Vermutung, dass David ihr nicht allein für ihre Arbeit und der Natur zuliebe diesen Forschungsaufenthalt auf Mallorca vermittelt hatte. Doch wenigstens blieb ihr nun etwas Zeit zu überlegen, wie sie mit ihm umgehen sollte. „Es dauert noch ein wenig, bis ich nachkommen kann“, hatte er vor wenigen Stunden am Telefon enttäuscht gesagt.
Um ihn würde Samantha sich später Gedanken machen. Im Moment wollte sie ihre Reise genießen. Nicht umsonst galt Mallorca als einer der schönsten Flecken der Welt, auch wenn im Hochsommer die Sonne sengend heiß vom Himmel schien und jeden Grashalm verbrannte.
Samantha hatte es sogar geschafft, seit der Landung nicht an Joaquín zu denken. Na ja – beinahe. Vor wenigen Monaten hatte sie gerade mal zweihundertfünfzig Kilometer entfernt nahe der Küste Barcelonas unter demselben Himmel auf demselben Meer in seinen Armen … Halt! Entschlossen rief Samantha sich ins Hier und Jetzt zurück. Diese Reise war ein Neuanfang, und Herzensbrecher wie Joaquín hatten in ihren Gedanken nichts zu suchen. Mit ihrer ganzen Willenskraft verdrängte sie den Schmerz. Darin hatte sie immerhin schon Übung.
Das Boot verließ den Hafen und durchschnitt das smaragdgrün schimmernde Wasser der Bucht. Der Kapitän telefonierte gerade, doch außer ihrem Namen verstand Samantha kein Wort. Wahrscheinlich brachte das nun ausgefallene Mittagessen den Zeitplan für ihre Ankunft durcheinander. Sie zuckte mit den Schultern, schließlich würde sie keine Umstände machen und sich erst einmal nur ausruhen wollen.
Keine fünf Minuten später kam ein solider Holzsteg in Sicht, dahinter eine große grüne Wiese, auf der Wassersprenger im Sonnenlicht glitzernde Tropfen wie Diamanten um sich versprühten. Zwei Boote ankerten am Steg, eines war ein etwas größeres Llaüt, das andere eine schlichte Yacht, auf der in großen Lettern der Name der Stiftung stand. Wahrscheinlich das Exkursionsboot, vermutete Samantha. Fasziniert betrachtete sie ihre Umgebung: Hier wuchsen neben hohen und kleineren Palmen besonders prächtige Exemplare der majestätischen Pinien. Das Hauptgebäude musste hinter dem grünen Hügel versteckt liegen, über den sich ein kleiner Weg bis zum Wasser hinunterschlängelte. Was für ein wunderschöner Ort! Die Nature First Foundation hatte ihren Sitz in einer liebevoll restaurierten großen alten Finca. Samantha hatte sich die Bilder der Sanierungsarbeiten im Internet angesehen.
Doch auf dem Anwesen konnte sie weit und breit niemanden entdecken, der sie abholen würde. Der Kapitän ließ das Boot lautlos auf den Steg zugleiten und machte es mit routinierten Handgriffen an den Pollern fest. Dann hob er ihren Koffer aus der Sea Queen und streckte Samantha seine Hand entgegen. Auf einmal war sie verunsichert. Um sie herum war es still, und von dem weißbärtigen Seemann konnte sie kaum erfahren, wie es nun weiterging. Sie kletterte an Land und holte ihr Telefon hervor.
Plötzlich drangen Geräusche aus der Yacht, die ein paar Meter entfernt am Steg im Wasser wogte. Samantha wandte sich um. Wie gebannt sah sie der Gestalt entgegen, die nun über den Bug des Segelschiffes auf den Steg trat und auf sie zukam. Der Mann hatte etwas längere, in die Stirn fallende schwarze Haare und einen dunklen Bartschatten. Unter seinem hellen T-Shirt zeichneten sich deutlich die Konturen seiner muskulösen Brust ab. Sein Oberkörper war gut trainiert, seine Hüften schmal. Ernster Blick. Aufrechter Gang. Je näher er kam, desto faszinierender wirkte auch sein Gesicht. Dunkle Augen und markante Gesichtszüge: ein attraktiver Südländer. Doch es fehlten ihm jene Härte und Arroganz, die sie bei Joaquín manchmal so irritiert hatten. Der Mann, der ihr gegenüberstand, wirkte stolz auf eine Weise, die zeigte, dass er genau wusste, warum er sich diesen Stolz verdient hatte.
Der Kapitän stieg wieder ins Boot, und die beiden Männer riefen sich etwas auf Spanisch zu, das Samantha nicht verstand. Schon legte die Sea Queen ab, und sie hörte, wie sich das Tuckern des Motors entfernte. Der Unbekannte war vor ihr stehen geblieben. Warum auch immer – Samantha brachte zunächst kein Wort heraus. Erst recht nicht, als er den Blick über ihre Figur gleiten ließ, ehe er ihr in die Augen sah. In seiner fast schwarzen Iris entdeckte sie ein paar helle Punkte. Wie Sterne in der Nacht!, dachte sie.
Schließlich lächelte er und zeigte seine weißen, makellosen Zähne. „Ich bin Leandro Salafino“, sagte er und deutete eine höfliche Verbeugung an. „Sie sind etwas früher angekommen als geplant. Aber Señora Fuentes wird gleich da sein, sie ist schon auf dem Weg hierher. Hatten Sie eine gute Reise?“
Er sprach ein gediegenes Englisch. Und er sah umwerfend aus. Aber wer war er? Seinen Namen hatte sie noch nie gehört.
„Samantha Palmer“, brachte sie nur heraus.
Er nickte. „Ich weiß. Wir wurden informiert, dass nun doch noch zwei Forscher kommen, diesmal aus London.“
Leandro sah sich um. Vermutlich hielt er Ausschau nach dem zweiten Forscher. Samantha wurde immer heißer. Und das lag nicht nur an der drückenden Hitze …
„Ms. Palmer!“, rief eine hohe Frauenstimme. Leandro trat einen Schritt zur Seite und blickte über sie hinweg in die Ferne. Samantha drehte sich um und sah eine Frau mittleren Alters in einem weiten Sommerkleid den Pfad auf dem Hügel hinablaufen. Sie hatte ihr Haar zu einem Knoten hochgesteckt und war ziemlich außer Atem, als sie am Steg ankam. Freundlich lachte sie Samantha an und schüttelte ihre Hand. „Herzlich willkommen in unserer Stiftung! Ich bin Alba Fuentes, die örtliche Leiterin. Tut mir leid, dass Sie nun doch erst einmal allein zurechtkommen müssen. Aber wir werden schon das Beste aus der Situation machen, nicht wahr? Nun kommen Sie erst einmal in Ruhe an. Sicherlich freuen Sie sich über eine Erfrischung und eine kleine Siesta. Auf, nach oben!“ Es gab in Europa mehrere Dependancen der Nature First Foundation, doch jene auf Mallorca hatte den besten Ruf, nicht nur wegen der traumhaften Lage.
Schon hatte sich die lebhafte Frau bei ihr eingehakt und zog sie mit sich. Samantha wandte verblüfft den Kopf und sah über die Schulter hinweg, wie Leandro nach ihrem großen, schweren Koffer griff.
Da streifte sie sein brennender Blick. Rasch sah sie weg. Vielleicht war er ein Arbeiter? Für die Pflege des großen Grundstücks brauchten sie hier sicherlich viele Kräfte. Samantha zwang sich, nach vorne zu schauen, und versuchte, dem Redeschwall von Alba Fuentes zu folgen. Plötzlich musste sie an den Abschied von Joaquín denken. Sie hatte ihm all ihre Wut vor die Füße geworfen. Nicht umdrehen!, hatte sie sich wieder und wieder ermahnt, als sie aufrecht davongegangen war. Erst später hatte sie ihren Tränen freien Lauf gelassen. Wegen eines Mannes würde sie so schnell nicht mehr weinen. Die richtige Reihenfolge in ihrem Leben war wiederhergestellt: Erst die Arbeit, später kam irgendwann einmal die Liebe. Den ganzen Weg den Hügel hinauf spürte sie jedoch Leandros Blicke in ihrem Rücken. Sie verursachten ein leichtes, aufregendes Prickeln.
Leandro hatte Alba Fuentes vorhin verflucht, als sie ihn angerufen hatte. Seine Siesta war ihm heilig – auch wenn er währenddessen nie schlief, sondern meist über seine Vergangenheit nachgrübelte oder ein gutes Buch las. Aber es war seine Auszeit, eine Zeit, in der er wieder er selbst sein konnte: Leandro Dominguez! Meistens war er dann nicht in seiner Unterkunft, sondern auf der Yacht, um deren Wartung er sich kümmerte – neben anderen Arbeiten auf dem Grundstück. Es war allerdings nicht ganz einfach, sich Tag für Tag in die Rolle eines Arbeiters einzufinden. Zumal Alba Fuentes zwar freundlich zu ihm war, aber José Fortuna ihn stets von oben herab behandelte. Der Büromanager und Buchhalter hielt sich für etwas Besseres und war sich für alle Handgriffe außerhalb des Büros zu schade. Warum kam er nicht herunter und gab mit der Leiterin das Empfangskomitee?
Missgelaunt hatte Leandro seinen Platz auf der Yacht verlassen und sich nach dem neuen Gast umgesehen. Wie geblendet blieb er auf dem Steg stehen: Vom Sonnenlicht umspielt stand dort eine umwerfende Erscheinung und sah ihm entgegen. Die Lady trug ein halblanges, helles Sommerkleid, das ihre grazile Figur umschmeichelte, und einen Sonnenhut, unter dem ein paar kurze blonde Strähnen hervorschauten. Beim Näherkommen erkannte er blaue Augen, und als er vor ihr stand, entdeckte er darin auch ein wenig Grün, das an das smaragdfarbene Wasser der Bucht erinnerte. Ihre Augen waren nicht geschminkt und dennoch groß und ausdrucksstark. Auf den vollen Lippen trug sie einen Schimmer von Rot, ansonsten wirkte die junge Forscherin aus London ganz natürlich. Sein Blick glitt über ihren Körper. Die Rundungen ihrer Brüste zeichneten sich unter dem Kleid ab. Ihre Arme waren schlank und muskulös. Reizvoll!
Einen Augenblick lang war er sprachlos. Eine Naturforscherin hatte er sich anders vorgestellt. Dann begann er den üblichen Small Talk. Samanthas Blick war so hell und klar wie ihr Lachen. Schließlich war Alba Fuentes den Hügel heruntergekommen und hatte ihm signalisiert, dass er den Koffer zum Haus tragen sollte.
Jetzt ging er hinter den beiden Frauen her. Was ihm die Gelegenheit gab, die Engländerin mit dem schönen Lachen von hinten zu mustern. Sie musste ohne dieses Kleid wundervoll aussehen …
Leandro runzelte die Stirn. Ein solcher Gedanke hatte sich bei ihm schon lange nicht mehr eingeschlichen. Und bestimmt war es nicht angebracht, ausgerechnet von einem Gast zu fantasieren – er war hier schließlich angestellt. Samantha arbeitete als Biologin, das jedenfalls hatte Alba Fuentes ihm erzählt. Aber sollte die Forscherin nicht in Begleitung von David Scott sein? Leandro hatte den Enkel des Stiftungsgründers William Scott bereits kennengelernt, als David vor wenigen Wochen hergekommen war, um seinen und Samanthas Aufenthalt zu besprechen. Es war keine besonders angenehme Begegnung gewesen. Leandro hatte gerade den Auftrag bekommen, im Büro des Haupthauses eine kleine Reparatur vorzunehmen. Dort hatte David Scott mit José Fortuna ein offenbar vertrauliches Gespräch geführt. Sie waren regelrecht aufgeschreckt, als Leandro ins Büro trat.
„Klopfen Sie doch an!“, hatte David Scott ihn barsch zurechtgewiesen, was er nur mit gespieltem Gleichmut ertragen hatte.
Waren David und Samantha ein Paar? Bislang hatte er daran keinen Gedanken verschwendet. Was ging ihn das an?
Der Schweiß rann Leandro über den Rücken. Samanthas Koffer war schwer. Wahrscheinlich würde die Engländerin ein paar Wochen hierbleiben. Sie hatte ihn eben auf eine seltsame Art fasziniert, als er ihr auf dem Steg tief in die Augen gesehen hatte. Ein Hauch von damals. Als er das erste Mal in Catalinas Gesicht geblickt hatte, war er von einem inneren Beben erfasst worden. So etwas passierte sonst nur in kitschigen Liebesromanen, aber er hatte es selbst erlebt. Er hatte sich damals auf der Stelle in die Journalistin verliebt.
Nun warf Samantha einen kurzen Blick über ihre Schulter. Leandro fing zwar nicht an, innerlich zu beben, aber wieder berührte etwas sein Herz. Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Eigentlich wollte er hier nur seinen Seelenfrieden wiederfinden. Hier wollte – nein, musste – er noch eine Weile unerkannt bleiben und darüber nachdenken, wie sein Leben weitergehen sollte. Wollte er weiterhin als anonymer Wohltäter durch die Welt reisen? Es gab viele Stiftungen und Organisationen, die finanzielle Zuwendungen gut gebrauchen konnten. Aber die Nature First Foundation war etwas Besonderes. Hier spürte er Catalinas Geist, obwohl ihm ihr Tod in jeder Minute schmerzhaft bewusst war.
Sie hatten die Hügelkuppe erreicht. Das weiß getünchte Haupthaus, das hier über dem Areal thronte, lag im gleißenden Sonnenlicht. Dort wohnten die Gäste. Die Arbeiter hatten ihre Unterkünfte in den auf dem weitläufigen Grundstück verteilten Häuschen. Vor vielen Jahren hatte William Scott die Stiftung ins Leben gerufen, heute war er ein alter Mann. Die Foundation förderte Forschungsvorhaben zugunsten der Umwelt großzügig. Catalina hatte damals eines der begehrten Stipendien erhalten und als investigative Journalistin ausgerechnet das Unternehmen von Leandros Familie in Argentinien im Visier gehabt. Hier, auf dem Anwesen, wo auch er nun lebte, hatte sie recherchiert. Das Hausmädchen Blanca, das schon seit einigen Jahren jeden Sommer auf der Finca arbeitete, hatte Catalina noch kennengelernt. Als Leandro das erfuhr, hatte er Blanca so interessiert nach ihren Erinnerungen an Catalina ausgefragt, dass sie irgendwann misstrauisch die Stirn gerunzelt hatte. Aber er hatte gute Gründe, seine wahre Identität geheim zu halten …
Leandro ging dicht hinter den beiden Frauen auf den Eingang des Hauses zu. Die Tür der Finca öffnete sich, und José Fortuna trat heraus. Seine Lippen verzogen sich zu einem künstlichen Lächeln, und er legte eine Hand auf Samanthas Schulter. Wie unpassend, dachte Leandro. Auch Blanca hatte erzählt, dass José jede Gelegenheit nutzte, um sie scheinbar beiläufig zu berühren.
Nun begrüßten sich alle, und die Leiterin und der Buchhalter taten fast so, als wäre er Luft. Leandro spürte, wie der Ärger immer weiter in ihm aufstieg. „Der Koffer!“, rief er laut, als die anderen einfach im Haus verschwinden wollten.
Da trat José Fortuna wieder heraus, während Samantha schon im Inneren verschwunden war. Drinnen war es immer angenehm kühl, und gerne wäre Leandro einen Moment mit hineingegangen.
„Den nehme ich“, sagte der Büromanager ohne ein weiteres Dankeschön.
Dann fiel die Tür vor Leandro ins Schloss. Wenn du wüsstest, wer ich bin!, dachte er grimmig. Nicht, weil er sich auf den umstrittenen Erfolg der Firma Los Hermanos Dominguez in Buenos Aires etwas einbildete – oder auf die stattliche Abfindung, die er im letzten Moment doch noch erhalten hatte. Aber er hatte der Stiftung auf Mallorca eine Summe gespendet, die sicherlich nicht alltäglich war. Anonym. Als könnte er damit irgendetwas wiedergutmachen.
Leandro drehte sich um. Nein, bei den Toten konnte man nichts wiedergutmachen. Doch dann hatte er einen Gedanken, der seine Laune augenblicklich besserte: War es vielleicht auch sein Verdienst, dass Samantha Palmer nun hier war? Als er vor einigen Wochen hierhergekommen war, hieß es schließlich, es könnten in diesem Sommer keine Forschungsaufenthalte finanziert werden. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Vielleicht würde er ja auf ungeahnte Weise von seiner eigenen Spende profitieren.
Gedankenverloren saß Samantha auf der Terrasse. Die Grillen zirpten, und die Sonne bewegte sich dem Horizont entgegen. Nun war die Luft etwas abgekühlt, und sie hatte mit großem Appetit gegessen. Normalerweise bewohnten mehrere Forscher oder Studenten die Finca. Doch das Geld sei in diesem Sommer ungewöhnlich knapp, hatte Alba Fuentes ihr erzählt. Alle Zimmer außer Samanthas waren leer. Erst hatte sie sich deswegen unwohl gefühlt, doch nun genoss sie die Stille immer mehr. Angst, dass es ihr abends zu einsam werden würde, hatte sie nicht. Erstens gab es einen Nachtwächter, und zweitens hätte sie sonst nicht Naturforscherin werden können. Sie war es gewohnt, allein im Wald zu übernachten.
Sie ließ ihren Blick über das hügelige Gelände schweifen. Unter den Pinien standen hier und da bunt gestrichene kleine Häuser, die ziemlich romantisch aussahen. Dort wohnten die Arbeiter, hatte Samantha erfahren. Also auch Leandro Salafino. So, wie er von José Fortuna behandelt worden war, hegte sie an seinem Status hier keinerlei Zweifel mehr. Dabei wirkte der attraktive Südländer so gar nicht wie ein einfacher Arbeiter. Er bewegte sich elegant und sprach perfekt Englisch …
Plötzlich stand José Fortuna an ihrem Tisch. „Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“, fragte er und riss sie aus ihren Gedanken. Ohne ihre Antwort abzuwarten, stellte er seinen Teller ab. Er setzte sich ihr gegenüber und grinste sie an. Sie blieb stumm. Er war ihr nicht sympathisch.
„Schon eingelebt?“, fragte er.
„Die Zimmer sind sehr schön“, antwortete sie unverbindlich.
„In diesem Jahr ist fast niemand hier. Sie hatten Glück – wegen David Scott. Er hat sich sehr für Sie eingesetzt.“
Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war ihr unangenehm, dass sie nur dank ihres ehemaligen Studienkollegen hatte hierherkommen dürfen. Aber David war nun einmal der Enkel des Stiftungsgründers. Er hatte schon früher offensiv mit ihr geflirtet, doch nach dem Studium in London hatten sie sich aus den Augen verloren. Neben ihrer Assistentenstelle am wissenschaftlichen Institut musste sie sich später mit verschiedenen Jobs über Wasser halten. Dann hatte sie David zufällig wiedergetroffen, und er bot an, ihr beruflich zu helfen. Das war ihr wie eine einmalige Chance erschienen.
„Warum ist David nicht mitgekommen?“, fragte José Fortuna.
Samantha war etwas überrascht. „Hat er das nicht selbst erzählt? Sein Großvater hat ihn wegen gesundheitlicher Probleme zu sich gerufen. Es gibt wichtige Dinge zu besprechen.“
„Ach ja, stimmt. Er erwähnte es. Haben Sie denn in London auch viel mit David zu tun?“
Samantha richtete sich auf. Offenbar wollte sie ihr ungebetener Tischnachbar über ihr Privatleben ausfragen. Ob José immer so aufdringlich war? Vorhin hatte er ihr sogar die Hand auf den nackten Arm gelegt.
Sie schüttelte den Kopf und entschied sich für eine Notlüge: „Ich werde mich langsam auf mein Zimmer zurückziehen, ich erwarte einen dringenden Anruf“, sagte sie und stand auf. „Einen schönen Abend!“
Rasch ging sie davon. Der lange Sommertag neigte sich dem Ende zu, und sie entschied sich für einen kleinen Spaziergang. Auch wenn José Fortuna sie dabei beobachten würde – es war ihr egal. Er sollte gleich kapieren, dass sie auf seine Gesellschaft keinen Wert legte. Im Grunde wollte sie von keinem Mann der Welt etwas wissen. Nicht nur wegen des Schmerzes – die Liebe lenkte sie auch viel zu sehr ab. Fast hätte sie ihre beruflichen Ambitionen wegen Joaquín sprichwörtlich über Bord seiner Luxusyacht geworfen!
Im Moment wollte sie nur eins: sich in sinnvolle Arbeit vertiefen und endlich auch mehr Geld verdienen. Nicht nur für sich – auch für ihre Eltern. Diese hatten für das Studium ihrer einzigen Tochter jeden Cent zur Seite gelegt und immer bescheiden gelebt. Samantha wollte ihnen endlich etwas zurückgeben.
Sie lief den Hügel hinab zum Wasser. Eine Weile lang blickte sie aufs Meer, das sich dunkelblau und wellenreich vor ihr ausbreitete. Die Yacht lag verlassen da. Am liebsten hätte sie sich das Schiff genauer angesehen, weil sie damit vermutlich zu ihren Exkursionen aufbrechen würde, um seltene Pflanzen und Tiere zu finden. Aber eigentlich wollte sie erst gar nicht daran erinnert werden, wie schön es abends unter dem weiten Himmel Spaniens auf so einer Yacht sein konnte. Wenn sie sich jedoch tagsüber zum Arbeiten darauf aufhielt, war das etwas anderes ….
Es begann zu dämmern. Vom Hauptweg über den Hügel zweigte noch ein anderer Weg ab, der zu einem Pinienwäldchen führte, wo ein paar der bunten Hütten standen. Stimmen und leise Musik drangen zu Samantha herüber. Auf einmal erfüllte sie eine schmerzliche Sehnsucht, und sie zog den Kopf an die Brust. Sie fühlte sich einsam. In Joaquíns Armen hatte sie sich eingebildet, geborgen zu sein … Sie starrte vor sich auf den Boden, wischte ärgerlich eine Träne von ihrer Wange und ging ein paar Schritte.
„Vorsicht!“, rief plötzlich jemand. Sie sah schnell wieder nach oben und wäre fast gegen eine starke Männerbrust geprallt. Wie aus dem Nichts stand Leandro vor ihr und sah ihr besorgt ins Gesicht.
„Was ist passiert?“, fragte er mit rauer Stimme und legte leicht, fast sanft, eine Hand auf ihre Schulter. Wie anders sich diese Berührung anfühlte als die plumpe Begrüßung von José Fortuna! Aber was war das für eine Frage, die Leandro da stellte? Sie starrte ihn nur an.
„Está llorando. Sie weinen ja“, sagte er.
Tatsächlich hatten sich weitere Tränen in ihre Augen gestohlen. Er bot ihr ein Taschentuch an. „Danke“, sagte sie, aber ihre Stimme war nur ein Krächzen. Ihr Herz schlug schnell. Im Dämmerlicht konnte sie Leandros Gesicht nicht mehr in allen Einzelheiten erkennen. Aber sein Blick ging ihr durch und durch.
„Das geht nicht!“, entfuhr es ihr.
„Was geht nicht? Was ist los?“, fragte er leise. Dabei wusste sie selbst nicht, was sie mit ihren Worten genau meinte. Sie wusste nur, dass sie so nicht länger vor ihm stehen konnte. Sein männlicher Geruch erregte sie. Sein Körper wirkte wie ein Magnet. Entweder sie musste sofort gehen, oder sie würde sich gleich in seine Arme schmiegen. Doch das war verrückt! Sie trat einen Schritt zurück. Der Bann war gebrochen.
„Gute Nacht“, sagte sie nur und eilte den Weg hinauf. Sie war völlig durcheinander. Warum hatte er sie plötzlich so vertraulich angesprochen? Wollte er ihr etwa nachstellen, genau wie dieser Buchhalter? Wieder spürte sie Leandros Blicke in ihrem Rücken. Und wieder, wie bei der Ankunft, fühlte es sich aufregend an.
Leandro stand in seiner winzigen Küche und bereitete das Frühstück zu, als es an der angelehnten Tür klopfte. Er hielt inne. Wahrscheinlich war es Blanca, die fast jeden Tag auf einen Plausch vorbeikam. Er mochte das Hausmädchen, weil sie fröhlich und ein wenig frech war und ihn zum Lachen brachte. Manchmal ging sie ihm mit ihrem Geplapper zwar auch auf die Nerven. Aber seine Sympathie für sie reichte viel tiefer – schließlich waren sie verwandt. Wenn auch nur entfernt. Diese zufällige Entdeckung hatte ihn selbst überrascht. Blanca Dominguez hatte ein wenig von ihrer Herkunft erzählt, und er hatte die familiären Parallelen schnell entdeckt. Sie selbst konnte es nicht ahnen. Später irgendwann, wenn er seine geborgte Identität nicht mehr brauchte, würde er es ihr sagen.
„Komm rein!“
Doch es klopfte wieder. „Was ist denn?“, rief er. „Es ist offen!“
„Hier ist Señora Fuentes!“
Leandro runzelte die Stirn, nahm die Pfanne vom Herd und durchquerte mit ein paar Schritten sein kleines Zuhause: den mittelgroßen Raum, der Schlaf- und Wohnzimmer zugleich war. Immerhin bewohnte er ein eigenes Häuschen, und er liebte den herben Duft der Pinien im Sommer um ihn herum: Es war die Erinnerung seiner Kindheit. Auf Mallorca hatte er mit seiner Mutter und seinem Bruder Ramiro eine glückliche Zeit verbracht, weit weg von dem herrischen Vater. Seine Mutter war Mallorquinerin und hatte Leandro und seinen Zwillingsbruder zu jedem Besuch bei ihren Eltern mitgenommen. Doch seine Mutter und seine Großeltern waren tot! Nach über fünfzehn Jahren war Leandro nun auf die Insel zurückgekehrt. Seine Wurzeln waren neben Catalina ein weiterer Grund dafür. Es bestand zwar die Möglichkeit, dass Ramiro ihn auf Mallorca vermutete, doch garantiert nicht hier: Wer tauschte die Welt des Luxus freiwillig gegen eine kleine Hütte ein?
Leandro öffnete die Tür und stand der Leiterin der Stiftung gegenüber. „Guten Morgen“, sagte sie freundlich. „Kann ich kurz unter vier Augen mit Ihnen reden?“ Sie sah über seine Schulter in das Haus hinein. „Hmm, frisch gebratener Speck. Oh, Verzeihung! Ich habe Sie beim Frühstück gestört!“
„Kein Problem“, antwortete Leandro und wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte. Normalerweise wurde er immer ins Büro gerufen. Seine Chefin hereinzubitten war ihm doch etwas zu privat. Also deutete er auf den Tisch mit den zwei Stühlen auf der kleinen Veranda seines marineblauen Häuschens. Sie nickte und nahm Platz.
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragte er, doch sie schüttelte den Kopf. Also setzte er sich ebenfalls.
„Es geht um Samantha Palmer“, begann Señora Fuentes.
Leandro war sofort hellwach. Hatte sich die Engländerin etwa über ihn beschwert? Er selbst hatte lange über diese seltsame Begegnung vor zwei Tagen nachgegrübelt. Vor allem über sich selbst. Er hatte sich so verhalten, als würden sie sich gut kennen, hatte sie sogar berührt, weil sie weinte. Sie hatten so nah voreinander gestanden, dass er ihre Körperwärme gespürt hatte.
„Was ist mit ihr?“, fragte er etwas nervös.
Die Leiterin lächelte. „Es gefällt ihr hier bestens. Aber sie ist nicht zum Vergnügen, sondern zum Arbeiten hier. Die Ankunft von David Scott verzögert sich leider noch weiter, und wir brauchen jemanden, der sie auf ihren Exkursionen begleitet.“
„Und?“ Noch verstand Leandro nicht, was er damit zu tun haben sollte.
„Das Boot könnten Sie steuern, ohne Frage. Aber zunächst steht eine Exkursion in die Berge auf dem Programm“, sprach Alba Fuentes wie selbstverständlich weiter. „Weil das aber eigentlich nicht in Ihren Arbeitsbereich gehört, wollte ich erst einmal unter vier Augen mit Ihnen reden.“
„Moment!“ Er hob abwehrend die Arme. „Sagten Sie, ich soll Samantha Palmer auf dem Boot begleiten?“
„Warum nicht? Ich habe die Situation doch eben erklärt. Sonst würde David natürlich mit an Bord gehen, so war es geplant. Aber es gibt noch ein Problem. Uns fehlt auch ein Fahrer.“
„Wieso, was ist mit Miguel?“, fragte Leandro. Miguel war als Chauffeur bei der Stiftung angestellt, und Leandro mochte den drahtigen Spanier. Miguel hatte Blanca tüchtig den Kopf verdreht. Oder sie ihm. Jedenfalls beobachtete er das Techtelmechtel zwischen den beiden amüsiert.
Alba Fuentes machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe ihm ein paar Tage freigegeben. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass Samantha allein kommen würde. Sonst hätte natürlich ebenso David den Jeep gefahren, keine Frage. Für all das aber kann unser im Moment einziger Gast nichts. Ich muss eine Lösung finden, und da dachte ich eben an Sie!“ Nun sah die Leiterin ihn unverwandt an.
Doch eines begriff er ganz und gar nicht. „Warum heuern Sie für die Exkursionen mit Ms. Palmer nicht einen ortskundigen Guide an?“, fragte er.
Die Leiterin sah ihm ernst in die Augen, dann blickte sie auf ihre im Schoß gefalteten Hände. „Der Stiftung geht es in diesem Sommer finanziell nicht so gut wie sonst. Wir müssen sparen. Reicht das als Erklärung?“
Nein! wollte Leandro rufen, denn in ihm brannte eine Frage: Was war mit der Spende passiert, die er vor wenigen Wochen veranlasst hatte? Mehrere hunderttausend Euro! Genau gesagt eine halbe Million. Darum hatte Catalina ihn einst gebeten: Wenn er mit seinem Reichtum etwas Gutes tun wollte, dann sollte er Geld spenden. Weil er aus Buenos Aires mehr oder weniger geflüchtet war und in Catalinas Nähe sein wollte, war er zur Stiftung gekommen. Als er vor drei Monaten hier zu arbeiten begonnen hatte, war das defekte Exkursionsboot ein großes Thema gewesen. Er hatte geglaubt, mit seinem Geld würde ein neues Boot angeschafft, doch nichts war passiert. Dann hatte er die Yacht doch noch eigenhändig reparieren können, schließlich war er in technischen Dingen ein Profi. Seitdem durfte er auch seine Freizeit auf dem Boot verbringen. Alles schön und gut – aber nun konnte nicht einmal ein Guide bezahlt werden?
Señora Fuentes sah ihn wieder an. „Gibt es ein Problem?“, fragte sie.
Er versuchte, sich nichts von dem inneren Aufruhr anmerken zu lassen. Das alles passte ihm überhaupt nicht. Abgesehen von der Frage, was mit der Spende passiert war, hatte er nicht die geringste Lust, Samantha als Skipper und Fahrer über die Insel zu chauffieren. Zudem wollte er kein Risiko eingehen, dass ihn irgendjemandem erkannte. Die Abmachung mit der Stiftung lautete, Arbeiten auf dem Grundstück und am Boot zu verrichten – sonst nichts! Doch wie sollte er ein Nein begründen?
„Es ist eine Notlage, die sich entspannen wird, sobald David und Miguel wieder da sind“, sagte die Leiterin und stand auf, als wäre alles beschlossene Sache. „Könnten Sie also nachher oben im Büro den Autoschlüssel holen?“
Leandro nickte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzuspielen, und er erhob sich ebenso. „Natürlich“, erklärte er tonlos.
Jetzt lächelte Alba Fuentes wieder und streckte ihm die Hand entgegen: „Danke. Ich sage Ms. Palmer Bescheid. In zwei Stunden oben auf dem Parkplatz.“ Dann ging sie mit schnellen Schritten davon.
Er sah ihr nach und fluchte innerlich. Diese verflixte Spende! Er hatte großen Wert darauf gelegt, dass niemand Rückschlüsse auf den anonymen Spender ziehen konnte. Wenn er Ramiro um Hilfe bitten sollte – denn sein Bruder war ein ausgesprochen guter Anwalt –, würde der sich mit Sicherheit über ihn lustig machen: Mein gewissenhafter Zwillingsbruder – mein schlechtes Gewissen! Damit hatte er ihn immer geneckt, weil sie so verschieden waren. Als kleiner Junge hatte Leandro die Käfer gerettet, Ramiro hatte ihnen ein Bein ausgerissen. Auch war Leandro nicht immer mit der Firmenpolitik von Los Hermanos Dominguez einverstanden gewesen. Natürlich arbeitete ein Mineralölunternehmen profitorientiert, aber man konnte dennoch auf umweltfreundliche Standards achten. Er jedenfalls hatte sich stets lieber mit technischen Dingen auseinandergesetzt als mit den Bilanzen.
Grübelnd ging er ins Haus. Er musste dringend herausfinden, was mit seinem Geld passiert war. Es war ausdrücklich für die Stiftung auf Mallorca bestimmt gewesen. Die Nichtanschaffung des Exkursionsboots, die unbelegten Zimmer hier auf der Finca und eine derart leere Kasse, dass er als Fahrer und Skipper einspringen musste … Irgendetwas stimmte hier nicht. Doch wie kam er an die richtigen Informationen, ohne seine wahre Identität preiszugeben? Wenig später schon hatte er eine Idee.
Er verließ das Haus, um Blanca, seine heimliche Verwandte, zu treffen. Sie war die Enkelin seiner Großtante. Vor vielen Jahren war der Kontakt wegen eines Streits zu diesem Familienzweig abgebrochen. Leandro hatte bislang gedacht, es gäbe auf der Insel keine Nachfahren mehr, aber Blanca kam während der Sommermonate vom Festland zum Arbeiten hierher. Auch wenn sie von seiner Identität erst einmal nichts erfahren würde, zählte er auf ihre Hilfe. Entschlossen ging er auf ihr Häuschen zu. In diesem Moment war er sogar froh, sich zunächst um diese wichtigen Dinge kümmern zu müssen. Denn der Gedanke an die bevorstehende Exkursion mit Samantha machte ihn nervöser, als er sich eingestehen wollte.
Ausgerechnet Leandro Salafino! Samantha verschlug es fast die Sprache. Den ganzen Tag zuvor war sie im kühlen Haus geblieben. In ihrem Zimmer, das hübsch eingerichtet und geräumig war, hatte sie versucht, sich in die Projekte einzulesen, die sie hier auf der Insel betreuen würde. Doch das gelang ihr mehr schlecht als recht. Die Begegnung mit dem attraktiven Angestellten hatte sie viel zu sehr durcheinandergebracht. Deswegen hatte sie sich vorgenommen, ihm erst einmal aus dem Weg zu gehen. Beinahe hätte sie sich in seine Arme geworfen! Etwas an der Situation erinnerte sie viel zu sehr an die Sache mit Joaquín …
„Ms. Palmer? Sind Sie noch da?“
„Ja, sicher“, fand Samantha mühsam die Sprache wieder. „Aber gibt es denn keine andere Möglichkeit?“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Alba Fuentes irritiert. „Sie selbst haben doch darum gebeten, sofort mit den Exkursionen beginnen zu können. Oder gibt es Neuigkeiten von Mr. Scott? Wann kommt er?“
„Nein – ja“, konnte Samantha nur antworten. Wann David hier ankam, stand noch in den Sternen, und ja, sie hatte auf eine Lösung gedrängt! Nicht im Traum jedoch hatte sie daran gedacht, dass die Leiterin ihr ausgerechnet Leandro an die Seite stellen würde. Plötzlich regte sich ein Verdacht: Hatte Leandro dabei selbst die Finger im Spiel? Vielleicht hatte er seine Hilfe ja aufgedrängt. Was, wenn er eine Möglichkeit suchte, mit ihr allein zu sein? „Es war aber nicht meine Absicht, Ihnen hier die Arbeiter streitig oder sonst irgendwelche Umstände zu machen“, sagte sie schließlich. Es war ein kläglicher Versuch, die Situation abzuwenden.
„Das lassen Sie ruhig meine Sache sein“, entgegnete die Stiftungsleiterin freundlich, aber bestimmt. „Bis zum Kloster ist es zwar ein kleines Stück, aber wenn Sie vor Mittag losfahren, sind Sie abends wieder zurück.“
„Danke“, murmelte Samantha. Dann legte sie auf und starrte eine Weile auf das Display ihres Telefons. Ein seltsam beunruhigender Gedanke überkam sie: Was, wenn Leandro dachte, sie hätte es vielleicht auf eine gemeinsame Fahrt angelegt?
Sie sprang auf. Diese absurde Annahme, auch wenn sie von der Wahrheit unendlich weit entfernt war, machte sie nervös, und sie fühlte sich geradezu ertappt. Sie wollte mit Leandro sprechen, bevor sie mit ihm aufbrechen würde. Sie wollte herausfinden, ob eine ihrer Vermutungen zutraf.
Zielstrebig ging sie zum Wasser hinunter und hielt dabei nach ihm Ausschau. Ein heißer Tag stand bevor, zum Glück würde es in der Serra de Tramuntana, dem Hauptgebirge Mallorcas, etwas kühler sein.
Die Yacht lag verlassen am Steg. Dann war er vielleicht in seiner Unterkunft. Sie hatte schon immer von einem eigenen Haus geträumt, und wenn es so klein war wie diese Hütten hier. Auf einmal packte sie die Neugier. Diese starke Emotion war stets ihr Antrieb gewesen, um nach vorne zu schauen, weiterzugehen, etwas zu wagen. Nicht umsonst war sie Biologin und Forscherin geworden.
Das Häuschen, das am dichtesten zum Wasser lag und alleine stand, war marineblau. Samantha blieb vor der kleinen Veranda stehen und rief: „Hallo?“
Die Tür war nur angelehnt. „Hallo!“, rief sie noch einmal, diesmal lauter. Keine Reaktion. Erst wollte sie nachsehen, aber dann entschied sie doch, weiterzugehen. Hinter dem Pinienwäldchen standen drei weitere Häuschen: ein gelbes, ein grünes und ein hellrotes. Auf dem Weg dorthin traf Samantha einen der Gärtner, die hier beschäftigt waren. Neben der großen Rasenfläche gab es hinter dem Hauptgebäude noch einen Garten mit Blumen, Kräutern und Gemüse, der ständig gewässert und gepflegt werden musste. Doch sonst war nirgends jemand zu sehen.
Samantha kam zu dem hellroten Häuschen, und auch hier war die Tür nur angelehnt. Ein Mann und eine Frau unterhielten sich darin halblaut. Samantha erkannte nach nur wenigen Sekunden Leandros tiefe Stimme und blieb stehen. Sollte sie einfach nach ihm rufen? Doch offenbar war er gerade beschäftigt, und sie selbst wollte keine Zeugen für das, was sie ihm zu sagen hatte … eben weil sie ihm gar nichts zu sagen hatte! Sie wollte nur herausfinden, wie er auf ihr Erscheinen reagierte. An seinem Verhalten würde sie ablesen können, ob er es darauf anlegte, mit ihr zu flirten. Mehr noch interessierte sie aber in diesem Moment, wer die Frau war, mit der er sich so angeregt unterhielt. Ihr Forscherinstinkt trieb sie mit leisen Schritten hinter das Haus. Und tatsächlich: Dort gab es ein Fenster, das sogar ein wenig offenstand. Samantha sah sich um, dann schlich sie sich heran. Sie drückte sich an die Hauswand, kam mit dem Kopf bis zum Fenster und spähte hinein. Sofort erkannte sie das hübsche Hausmädchen, das ihr schon vorgestellt worden war. Wenn ihr irgendetwas fehle, so könnte sie sich an Blanca Dominguez wenden, hatte Señora Fuentes ihr gesagt. War die junge Frau womöglich Leandros Geliebte? Die beiden beugten jedenfalls ihre Köpfe am Tisch so weit zueinander, dass sie sich fast berührten. Nun flüsterten sie. Wahrscheinlich tauschten sie gerade Zärtlichkeiten miteinander aus. Dann gingen ihre Köpfe auseinander, er legte irgendetwas auf den Tisch, Blanca stieß einen erstaunten Laut aus, und er zog sie wieder zu sich, um ihr etwas ins Ohr zu raunen. Doch selbst wenn sie lauter reden würden, so hätte Samantha kein Wort verstanden, denn sie sprachen Spanisch. Aber das Liebesgeflüster der beiden ging sie auch nichts an! Jetzt umarmte Blanca ihn …
Leise zog Samantha sich zurück, verschwand zwischen den Pinien und kam wieder zum Hauptweg. Sie ärgerte sich über sich selbst – sie war tatsächlich ein wenig eifersüchtig! Doch sie musste froh sein, dass sie nun Bescheid wusste. Sollte Mr. Salafino versuchen, mit ihr zu flirten, dann biss er auf Granit. Sie würde ihn nur als das sehen, was er war: ihr Fahrer. Sie würde ihn höflich behandeln, nicht mehr und nicht weniger. Nie wieder, das hatte sie sich geschworen, würde sie sich wegen einer romantischen Anwandlung von ihrer Arbeit ablenken lassen. Geschweige denn, dass sie sich in der nächsten Zeit nochmals das Herz rauben ließ!
Im Spiegel erkannte sich Leandro selbst kaum wieder. Er trug die dunkelste Sonnenbrille, die er besaß, und einen hellen Strohhut, den er hier auf der Insel günstig erstanden hatte. Seine Haare waren gewachsen und fielen ihm in die Stirn. Er war voll und ganz mit seiner Rolle verschmolzen: ein schweigsamer Fahrer.
Als Samantha zu ihm ins Auto gestiegen war, hatte sie ihn nur knapp begrüßt. Sie machte nicht die geringste Bemerkung zu ihrer Begegnung im Garten, als sie ihn fast umgerannt und Tränen in den Augen gehabt hatte. Heute trug auch sie eine dunkle Sonnenbrille. Erst hatte er versucht, mit ihr zu plaudern, aber sie war kaum darauf eingegangen. Sie hatte sich, ohne zu fragen, direkt auf die Rückbank des Wagens gesetzt. Ob sie es gewohnt war, mit einem Chauffeur zu fahren? Er konnte nur Vermutungen anstellen. Äußerlich gab sie sich als natürliche Schönheit. Er wusste, dass sie von einer Universität in London kam, und sie wirkte äußerst feinsinnig. Gern hätte er mehr über sie erfahren, doch mit einem Eisschrank zu reden, war nicht sehr unterhaltsam.
Also schwiegen sie. Schon über eine Stunde lang. Wenn er in den Rückspiegel blickte, war Samantha entweder mit ihrem Telefon beschäftigt, sah aus dem Fenster oder – er wusste es nicht sicher – auch zu ihm? Ihre Brille schützte ihr Gesicht so perfekt, wie die seine es bei ihm tat. Und im Grunde war alles gut, wie es war. Zwar übte Samantha einen gewissen Reiz auf ihn aus, und als Leandro Dominguez, der er eigentlich war, hätte er die Engländerin im Sturm erobert. Doch seit Catalina hatte ihn keine Frau mehr richtig interessiert, und Catalina war die erste und einzige Frau gewesen, die er wirklich und leidenschaftlich geliebt hatte. Natürlich hatte es vor ihr auch schon Frauen gegeben. Als reicher Junggeselle hatte er sich seine Gespielinnen meistens aussuchen können. Aber er war vom oberflächlichen Leben des Jet-Sets auch gelangweilt gewesen. Catalina hatte Feuer und Wahrheit in sein Dasein gebracht. Keine reichte an sie heran!
Nun waren es nur noch wenige Kilometer, und sie fuhren die engen, kurvigen Bergstraßen der Tramuntana entlang. Immer wieder eröffneten sich dabei Aussichten auf die hohen Berge oder tiefe Schluchten. Das letzte Mal war er mit seiner Mutter und seinem Bruder als Teenager in dem Heiligtum und Kloster Santuari de Lluc gewesen, das im dreizehnten Jahrhundert gegründet wurde und heute ein beliebter Wallfahrtsort war. Sie waren auch auf den „Hügel der Geheimnisse“ hinter dem Kloster zu dem riesigen metallenen Kreuz gegangen. Von dort oben bot sich ein fantastischer Blick auf das Tal und die Berge. Dort oben hatte er heimlich dafür gebetet, dass seine Mutter wieder gesund werden würde …
Die ganze Fahrt über hing er seinen Gedanken nach, mal melancholisch, mal überaus konzentriert, wenn er an die Spendengeschichte dachte. Zum Glück würde Blanca gegen eine kleine Summe Geld versuchen, aus José Fortuna etwas mehr über die Finanzlage der Stiftung herauszukitzeln. Blanca hatte zwar keinen hohen Universitätsabschluss, aber sie war keineswegs dumm. Als er mit ihr in ihrem Häuschen zusammengesessen hatte, hatte sie natürlich gefragt: „Warum eigentlich will ein ganz normaler Angestellter wie du das alles wissen?“
Da hatte er einen Fünfhundert-Euro-Schein auf den Tisch gelegt. „Für das Geld, das du bekommst, erwarte ich Informationen und keine Fragen“, hatte er ihr zugeraunt. „Und Diskretion, ist das klar?“
Sie hatte gegrinst und genickt – und ihn sogar kurz umarmt!
Hinter ihm hörte er Samantha husten. Bei einem Blick in den Rückspiegel bemerkte Leandro nun, dass es ihr nicht gut zu gehen schien. Sofort fragte er: „Alles in Ordnung?“
„Sind wir bald da?“, fragte sie zurück.
„Ja, nur noch ein paar Minuten.“
„Vielleicht könnten Sie die Klimaanlage ausstellen? Es ist ziemlich kalt.“
Er bemerkte, dass sie sich ein Tuch um den Hals geschlungen hatte. „Warum sagen Sie denn nichts?“, fragte er und stellte die Anlage sofort aus. Tatsächlich war es im Wagen fast schon eisig.
„Sie sind doch der Fahrer“, erwiderte sie.
Die Antwort überraschte ihn, und er lachte leise. Sie jedoch blieb völlig ernst.
„Endlich da!“, seufzte Samantha dann, als die ersten Hinweisschilder zu den Parkplätzen des Klosters am Wegrand erschienen.
In diesem Moment verwünschte Leandro seinen angeborenen Stolz. Offenbar konnte es die Engländerin nicht erwarten, endlich auszusteigen und ihn allein zu lassen. Andererseits würde er sie keinesfalls begleiten wollen, falls sie das von ihm verlangte. Er fuhr zur Schranke, zog ein Parkticket und fand zwischen den vielen Autos einen Parkplatz am schattigen Rand.
Samantha sprang aus dem Wagen und lief zur Fahrerseite. Durchs offene Fenster hindurch sah sie ihn an. „Ich werde mich hier eine Weile im botanischen Garten aufhalten“, sagte sie und setzte ihren Hut auf, mit dem sie frech und sexy zugleich aussah. „Und Sie …?“
„Ich werde mich hier köstlich amüsieren“, sagte er ironisch. Das war sicherlich nicht das, was Fahrer so sagten, aber warum fragte sie so etwas auch?