Die große Waldschule hatte wandern müssen, und der Klosteramtmann war geblieben und hatte, sich die Hände reibend, gemeint, nun sei endlich wohl für ihn die bessere, die ruhigere Zeit gekommen, und – hatte sich sehr geirrt, wie man sich eben bei seinen Hoffnungen und Wünschen dann und wann im Leben zu irren pflegt. Der Mann hatte für sein Teil Ruhe und Behagen in der Welt zu wenig mit den übrigen Zeitumständen gerechnet. Im Jahre 1761 gab es trotz des Abzuges des Cötus keine Ruhe in und um Kloster Amelungsborn, weder für den Herrn Amtmann noch die andern In- und Umsassen der Stiftung Siegfrieds von der Homburg.
Das Verhältnis zwischen der Schule und dem Amt war immer nicht das beste gewesen; aber im Verlaufe des achtzehnten Jahrhunderts hatte es sich derartig verschlechtert, daß es zuletzt gar nicht schlimmer mehr werden konnte. Zu verwundern war's grade nicht. Sie saßen einander zu nahe und mit sich zu sehr widersprechenden Interessen auf dem Kasten. Ihre Anschauungen über Recht, Rechte, Berechtigungen, über Moral, Tugend, Sitte und Gewohnheit, ja im pursten, krassesten, blassesten Sinne über Mein und Dein waren allzu verschieden. Sitte, Gewohnheit, Recht liefen zwischen beiden Mächten allgemach nur darauf hinaus, sich gegenseitig den größtmöglichen Verdruß und Tort, ja das gebrannteste Herzeleid anzutun.
Lieber die Franzosen, solange es ihnen beliebt, im Lande als diese gelehrte Kumpanei von Schlingeln, Lümmeln, Flegeln und Spitzbuben einen Tag auf dem Buckel! hatte der Klosteramtmann schon seit Jahren geseufzt und geflucht. Ach, leider, ohne zu ahnen, wie bald und wie sehr ihn das Schicksal beim Wort nehmen werde!
Nun hatte er von der ganzen Schule nur noch den Magister Buchius im Hause, aber volle Gelegenheit, es auszuprobieren, ob es sich mit dem Herzog von Soubise, dem Marschall von Broglio, dem Marquis von Belsunce und dem Vicomte von Poyanne behaglicher Kirschen essen lasse als mit den gelehrten und ungelehrten, den jungen und alten Erbnehmern der Zisterzienser von Amelungsborn.
Wir reden mit ihm wohl noch einmal darüber oder hören seine Meinung aus der Vergangenheit. Fürs erste haben wir es vor allen Dingen mit dem Magister Noah Buchius zu tun, den die Klosterschule bei ihrer Auswanderung allein zurückgelassen hatte auf dem Auerberge, wie man beim Auszug, halb des Spaßes wegen, einen alten, zerrissenen Rock am Nagel, einen alten, bodenlosen Korb im Winkel, ein altes, vermorschtes Faß im Keller zurückläßt und das alles dem von seinen Nachfolgern schenkt, der es haben will oder es mit in den Kauf nehmen muß. Der Amtmann hatte den letzten Magister von Amelungsborn mit in den Kauf zu nehmen, nur auf allerhöchsten Spezialbefehl von Braunschweig aus auf Gutachten herzoglichen Consistorii zu Wolfenbüttel. Wir aber heute, wir würden wohl nicht nach dem Herrn Amtmann in die Tage der Vergangenheit zurückgehorcht haben, wenn dem nicht so der Fall gewesen wäre. Wir haben dann und wann eine Vorliebe für das, was Abziehende als gänzlich unbrauchbar und im Handel der Erde nimmermehr verwendbar hinter sich zurückzulassen pflegen. Wir nehmen manchmal das auch etwas ernster, was die Menschheit in ihrer Tagesaufregung nur für einen guten Spaß hält. Oh, wir können sehr ernsthaft sein bei Dingen, die den Leuten höchst komisch vorkommen. –
Ach Gott, ach Gott, sich in einer Welt zu finden, in der man sich gar nicht zurechtzufinden weiß! Das Los war dem armen letzten Magister von Kloster Amelungsborn im vollsten Maße zuteil geworden. Als Sohn des Pastors von Bevern war er geboren worden, in Helmstedt hatte er Theologie studiert, aber sich auf der Kanzel nimmer auf das besinnen können, was er der christlichen Gemeinde aus bestem Herzen sagen wollte. Auf drei oder vier adeligen Gütern zwischen der Weser und der Leine hatte er das bittere Brod des Präzeptorentums des achtzehnten Jahrhunderts gegessen und zuletzt – vor Jahren, Jahren, Jahren – sehr verhungert an die Pforte geklopft, durch die sein Ahnherr vordem in Würden ein und aus gegangen war.
Wohl mit seines Familiennamens und des Ahnherrn wegen hatte man ihm diese Tür nicht auch vor der Nase zugeschlagen, sondern ihn durch sie eingelassen und ihn zuerst auf Probe und sodann aus Gewohnheit, Mitleid, und um immer einen Sündenbock zur Hand zu haben, im Lehrerkonvent behalten. Der Cötus aber hatte ihn sofort bei seinem Taufnamen gefaßt und ihn als Vater Noah gewürdigt – wenn auch leider mehr im Sinn des bösen Ham als des braven Sem und des biedern Japhet. Daß die Generationen von Schulbuben, die während seiner Lehrtätigkeit im Kloster vor seinem Katheder in der Quinta vorübergingen, nicht auch so schwarz wurden wie die Nachkommen des schlimmen Ham ob ihrer Versündigungen an ihm, das war ein Wunder. Verdient hätten sie es sämtlich.
Als Dreißigjähriger war er gekommen, nun war er den Sechzigen nahe und hatte also ein Menschenalter im Dienst der hohen Schule zu Amelungsborn hingebracht. Seltsamerweise konnte man eigentlich nicht sagen, daß diese Jahre wie römische Feldzüge doppelt gezählt hatten. Er konnte trotz ihnen ein recht alter Mann werden und der Menschheit bis ans Hundertste heran auf dem Halse liegen. Solche Bosheit und Rücksichtslosigkeit hätte sogar ganz zu seinem Charakter gepaßt, der von seiner Mutter Brust an etwas Hinterhaltiges an sich gehabt hatte, etwas Sich-Anhaltendes, etwas Festklebendes, etwas auf keine Manier Wegzuekelndes.
Wenn er ein Held war, so war er ein vollkommen passiver, und diese pflegen es dann und wann vor allen andern Menschenkindern zu einem hohen Alter zu bringen, wenn auch nicht immer zu einem gesegneten.
Dreißig Jahre Schuldienst als der Sündenbock und Komikus der Schule! Der gute Mann mit dem ernsthaften Kinderherzen! Der von Mutterbrüsten an alte Mann mit der scheuen, glückseligen Seele der guten Kinder!
Wer in Kloster Amelungsborn hätte ihn missen mögen, da er einmal da war? Wer hätte nicht sein Behagen an ihm genommen? Wer hätte nicht seinen Ärger oder seinen Witz an ihm ausgelassen, und zwar ohne sich vorher nach seinen Stimmungen für beides ein wenig umzusehen? Im Lehrerkonvent wie im gesamten Cötus wußten sie, was sie an ihm hatten, und wußten ihn danach zu schätzen.
Und doch – doch hatten sie ihn bei ihrem Abzuge nicht mit sich genommen nach Holzminden, in die neue gelehrte Herrlichkeit, sondern ihn zurückgelassen am alten Ort, allein in den leeren Auditorien und Dormitorien, vor den jetzt so gespenstischen Subsellien und in seiner Zisterziensermönchszelle über dem Hooptale als das unnützeste, verbrauchteste, überflüssigste Stück ihres Hausrats! Man hatte einfach eben wieder einmal nicht gewußt, was man tat, – wer kann denn aber im Tumult des Lebens und eines Hauswechsels sich recht auf alles besinnen? Freilich hatte man von Wolfenbüttel aus auch sein Wort dazu gegeben. Dort wußten sie noch weniger, was der Magister Buchius wert war, und glaubten mit seiner Emeritierung ganz das Richtige zu treffen. Dreißig Reichstaler des Jahres ließen sie ihm und die Zelle des Bruders Philemon bis zu seinem Lebensende. Und mit Kost, Licht und Feuerung wiesen sie ihn leider Gottes auf das Klosteramt und den Klosteramtmann an. In Anbetracht, daß man sich mitten in den Kriegen des Königs Fritzen befand und Geld rar war, Kost, Licht und Feuerung auch nicht jedermann vom Heiligen Römischen Reiche garantiert wurden – hätte sich der Magister für den undankbarsten Kostgänger des allgütigen Herrgotts erachtet, wenn er darob, nämlich über die Verweisung an den Herrn Klosteramtmann, sich über einem Murren betroffen hätte. Herr Gott, wo bliebe Dein Titel Zebaoth, Herr der Heerscharen, wenn Du allen Deinen Kostgängern das Gemüte gegeben hättest, ihr Tischgebet und Nachtgebet so zu sagen wie Dein letzter Magister und Quintus von Amelungsborn, der alte Buchius? Du hast es nicht getan, und so ist es nicht meine Schuld, wenn auch diese Historie einmal wieder zum größten Teil vom Gezerr um die Brosamen handelt, so von Deinem Tische fallen, Herr Zebaoth.
Diese Bewegung ließ uns mutmaßen, daß der Herr Herzog Ferdinand von Braunschweig sich dort lagern wollte, um die noch übrigen Lebensmittel in der Gegend aufzuzehren, klagt ein französischer Feldbericht aus dem Spätherbst des Jahres 1761, ehe beide kriegsführenden Parteien zum vorletzten Male die Winterquartiere bezogen und sich häuslich und gemütlich darin einrichteten. Du barmherziger Himmel, die noch übrigen Lebensmittel! Was hatten diese scheuen, bescheidenen, schämigen, mit allem zufriedenen Verbündeten der Frau Kaiserin-Königin Maria Theresia, diese liebsten Gäste des deutschen Volkes Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht dem armen Herzog Ferdinand von Braunschweig noch viel übriggelassen an Nahrung für ihn selbst, seine Leute und sein Vieh, sowohl am linken wie am rechten Ufer der Weser, sowohl in Westfalen wie in Ostfalen? Und sie hatten doch wahrlich auch den Klosteramtmann zu Amelungsborn nicht gefragt, was ihm entbehrlich sei zum Unterhalt seiner selbst, seiner Leute und seines Viehs.
Wenn ein Mensch vom Sommer des Jahres an über ihr freundlich Zugreifen ohne Nötigung nachsagen konnte, so war das der Amtmann von Kloster Amelungsborn.
Aber Magister Buchius auch.
Jaja, was für Witterung für den Gelehrten allezeit sein mochte: für den Ökonomen war dazumal kein gutes Wetter. Kisten und Kasten, Scheunen und Ställe waren leer, ohne daß diesmal zu große Trocknis, zu arge Feuchte, Hagel, Rotz, Räude, Würme und Mäusefraß mit dem betrübten Faktum das mindeste zu schaffen hatten. Den Hagel, der die Saaten niederschlug, die Mäuse, welche die Scheunen und Vorratskammern leer machten, hatte sich das deutsche Volk, Fürsten und Untertanen in einem Bündel, selber dazu eingeladen. Es ist heute noch nicht von Überfluß, wenn man die zwischen Vogesen und Weichsel deutsch redende Bevölkerung mit der Nase auf ihre Dummheit stößt. Bis wir zu unserer Geschichte gelangen, hat sich der Herr von Belsunce schon verschiedene Male recht satt gefressen im Tilithi-Gau, und es hat dem General von Luckner wenig genützt, ihn heraus- und auf Göttingen hinzutreiben. Der teuere Erbfeind hat dort durchaus keine Kollegia über Humaniora belegt, sondern treibt von der neuen, berühmten deutschen Universitätsstadt nur in praxi deutsche Reichshistorie nach gewohnter Weise weiter. – –
Ein trüber Tag des Novembers siebenzehnhunderteinundsechzig neigte sich seinem Ende zu, als sie auf der alten Köln-Berliner Landstraße zusammentrafen, der Klosteramtmann von Amelungsborn und sein Hausgenosse, der Magister Buchius, der Ex-Kollaborator am alten Ort der alten Klosterschule.
Der Wind fuhr über die Stoppeln; aber die, welche das Korn gesäet hatten, hatten es wahrlich, wie gesagt, zum wenigsten Teil für sich selber geerntet. Die Waldungen trugen überall Spuren, daß Heereszüge sich ihre Wege durch sie gebahnt hatten. Überall Spuren und Gedenkzeichen, daß schweres Geschütz und Bagagewagen mit Mühe und Not über die Straße und durch die Hohlwege geschleppt worden waren! Zerstampft lagen die Felder und Wiesen. Kochlöcher waren überall eingegraben, Äser von Pferden und krepiertem Schlachtvieh noch unheimlich häufig unvergraben in den Gräben und Büschen und an den Wassertümpeln der Verwesung überlassen. Es war weder für den gelehrten noch den ökonomischen Mann ein Anblick zum Ergötzen, und sie machten beide die Gesichter danach, als sie an diesem Vierten des Wind- und Reifmonds an einer Wendung der Straße in der Nähe des Dorfes Negenborn plötzlich voreinander standen.
Er auch noch hier draußen, Magister? schnarrte der Amtmann, sein spanisch Rohr dem alten Herrn dicht vor den Füßen grimmig in den Boden stoßend. Steht Er wieder da und gafft und seufzt Seiner vergangenen Herrlichkeit und Seinem passierten Elend nach? Wurmt es Ihm denn noch immer so sehr, Herr, daß Er einen um den andern Tag hier herauslaufen muß, um Seiner gottverdamm – Seiner Sauschule nachzubölken wie eine Kuh, der der Schlächter das Kalb abgeholt hat? Er sollte doch wahrhaftig Seinem Herrgott danken, daß Ihm noch niemand die Stubentür eingetreten hat und Er dahinter, wenn Er will, in Ruhe sitzen kann mit allen Seinen unturbierten Schrullen, Grillen und Phantasierereien. Wer doch in Seiner Haut steckte, Herr! Herr, nehme Er's mir nicht übel, trifft man ihn so auf dem Spazierwege, so wird's einem erst richtig klar, in welchem Elend man selber itzo seine Tage zu versorgen hat, einerlei, ob man das Haus voll hat von den Völkern Seiner Durchlaucht oder des Marschalls von Broglio. Hu, wer den Caraman und den Chabot schinden wollte, wie sie den Klosteramtmann von Amelungsborn geschunden haben!
Der letzte Seufzer stammte noch aus den Tagen des Septembers und Oktobers des Jahres, wo der Generalmajor von Luckner wohl sein möglichstes getan hatte, um dem Grafen von Caraman und dem von Rohan Chabot den Aufenthalt in Amelungsborn zu verleiden, aber noch lange nicht genug, um der Stimmung des Amtmanns gegen die beiden Herren gerecht zu werden.
Die Geschicklichkeit des Herrn Generals von Luckner hatte leider nur für kurze Zeit Mittel gefunden, den Feind aus der schönen Gegend, die er besetzet hatte, zu vertreiben. Die streifenden Scharen der kriegführenden Parteien drangen schon von neuem auf einander in der schönen Gegend, und der Amtmann von Amelungsborn hatte heute nicht ohne seine Gründe dem eigenen Jammer zu Hause den Rücken gewendet, um mit den nächstgelegenen Bauern über den ihrigen Rücksprache zu nehmen. Daß sie das Beispiel des wackern Ostfriesen Hajo Cordes nachahmen und sich mit der Axt ihrer Haut wehren möchten, verlangte er wahrlich nicht. Eine Verordnung des Marschalls Duc de Broglio hatte er als Baillif du lieu ihnen von neuem einzuschärfen gehabt. Wer in den von den Truppen Seiner Allerchristlichsten Majestät in Besitz genommenen hannoverschen und braunschweigischen Landen sich mit seinen Effekten, Pferden, Horn- und anderm Vieh vor den hohen Alliierten der römischen Kaiserin in die Wälder flüchtete und nicht gleich zurückkam, wenn die Karabiniers und Husaren von Berchini, die Dragoner von Languedoc und Orleans, wenn Regiment Beaufremont, Regimenter Pikardie, Auvergne und Navarra oder gar die Freiwilligen von Austrasien und die Garde Lorraine ins Dorf rückten, dem wurde einfach das Haus angesteckt, die zurückgelassene Großmutter zu Tode geprügelt, er selber aber ohne Gnade vor seiner Tür gehängt, wenn man ihn mit seinen Habseligkeiten in den Schlüften und Klüften ertappte, aufgrub und ihn in sein Dorf zurückgeschleppt hatte.
Und fünfzehn vierspännige Wagen für den Commissaire de guerre zu jeglicher Stunde bereit, Leute –
O du barmherziger Himmel! hatten die Hohlenberger, die Golmbacher und die Negenborner geheult, und der Klosteramtmann von Amelungsborn hatte wohl einigen Grund für den Ton, mit welchem er seinen alten gelehrten Leibzüchter gröblich anschnauzte:
Treibe Er sich nicht länger draußen unnützlich herum, wenn ich Ihm raten darf, Magister. Komme Er mit nach Hause. Wozu stehet Er da und starret in die Bestialität, da Er es nicht nötig hat? Was sieht Er wieder im Himmel und auf Erden, was andere Leute nicht sehen? Des Herrn Güte und der Menschen Wohlgefallen aneinander? Er übergelehrter Rab mitten im Dritten Schlesischen Kriege! Ho, ho, da, ich nehme Ihn unterm Arm, daß man doch einen auf dem Wege nach Hause hat, an den man sich halten kann. Was Er mir wert ist in seinem und meinem Leben, das weiß Er ja.
Magister Buchius hatte einigen Grund, wenn auch aus andern Gründen, das Weiße im Auge zu zeigen wie die Negenborner, die Golmbacher und die Hohlenberger – auch die nächsten Nachbaren des Klosteramtmanns von Amelungsborn; – willenlos wendete er wie so oft in seinem Dasein um und ließ sich dem Belieben eines andern nachziehen.
Diesmal auf der aufgeweichten, zerfahrenen Landstraße, die von Hause her und nach Hause zurück führte und die er am Nachmittag wirklich nur beschritten hatte, um aus der unruhigen Gegenwart nach einer ebenso unruhigen Vergangenheit sich zurückzuträumen. Wie ihm sein unwirscher Begleiter seine bis dato uneingestoßene Stubentür rühmen mochte: das öde Feld und der ruinierte Handels- und Kriegspfad konnten nur zu oft doch auch als Zuflucht für ein vom Lärm der Zeit verwirrtes, betäubtes Menschen- und Homme-de-lettres-Gemüt vorzuziehen sein.
Hat Er es denn wirklich noch immer nicht aufgegeben, Buchius, hier den Weg nach Holzminden hin zu laufen wie Seinem verlorenen Glücke nach? Glaubt Er denn immer noch, sie werden eine Abgesandtschaft schicken, um Ihn mit Lorbeerblättern, Pauken und Trompeten sich nachzuholen, weilen sie doch eingesehen haben, daß sie Ihn nicht missen und entbehren können? fragte der Amtmann wiederum und setzte nochmal hinzu: Er sollte doch wahrhaftig an Seinem vergangenen Pläsier und Ärger genug haben und sich Seines otium cum dignitate in Ruhe freuen.
Cum dignitate, seufzte der alte Herr im schäbigen Schwarz und in Schnallenschuhen neben dem untersetzten, vierschrötigen Begleiter in Stulpenstiefeln und in grünem Flaus, und ein wehmütiges Kopfschütteln begleitete das Wort.
Jaja, lachte der Amtmann, da mag Er wohl recht haben mit Seinem Stöhnen. Viel Glorie war nicht in der Art, wie man Ihn aufs Altenteil schob, und ich kann's Ihm nicht verdenken, wenn Er auch noch eine Pike auf die saubere hochgelahrte Gesellschaft hat, die ihn so ganz und gar nicht mehr brauchen konnte, sondern Ihn hier bei uns ganz allein Seiner eigensten, angebotenen Dignität überließ. Nu, die hat Er aber ja auch sicher – das nimmt Ihm anjetzo keiner mehr, daß Er nun der Gelehrteste und Weiseste in ganz Kloster Amelungsborn ist. Da wende Er sich nur dreist an mich, wenn Ihm einer auf dem Amt, Mensch oder Vieh, dagegen anbocken will – ha, ha, ha, ho, ho, ho, ho.
Es war ein ungeschlachtes Lachen, welches die Rede des Mannes beschloß, aber so ganz übel war sie doch nicht gemeint, die Rede nämlich. Der Amtmann von Amelungsborn wußte ganz genau, was er an seinem letzten Ruderum von seiner verflossenen Klosterschulschande hatte. Freilich, was er ihm bieten konnte, wußte er auch und machte in der übelsten Laune am liebsten Gebrauch von seiner Macht, einer armen, vor Weisheit unbrauchbaren Kreatur des Herrgotts das kümmerliche Leben noch mehr zu verkümmern.
Der Herr Amtmann wissen, wie ich freilich mit meinem Leben und Frieden auf Dero Wohlmeinen und guten Rat in allen Dingen angewiesen bin, sagte der Magister, doch sein Begleiter kam nicht zu einer zweiten Lache. Ein seltsam Phänomen und Naturspiel zog die Aufmerksamkeit beider Männer an und hielt sie dauernd fest.
Sie standen still und sahen beide auf.
Vom Südwesten her über den Solling stieg es schwarz herauf in den düstern Abendhimmel. Nicht ein finsteres Sturmgewölk, sondern ein Krähenschwarm, kreischend, flügelschlagend, ein unzählbares Heer des Gevögels, ein Zug, der nimmer ein Ende zu nehmen schien. Und vom Norden, über den Vogler und den Ith, zog es in gleicher Weise heran in den Lüften, wie in Geschwader geordnet, ein Zug hinter dem andern, denen vom Süden entgegen.
Ich bitte Ihn, Herr, rief der Amtmann. Sie fliegen wohl ihrer Natur nach zu Haufen; aber hat Er je dergleichen Vergadderung des Gezüchts wahrgenommen?
Wahrlich nicht! O sehe der Herr doch, es ist, als würden sie von kriegserfahrenen Feldherren geführt. Sie halten an. Sie schwenken wie zur Schlachtordnung ein. Sie rüsten sich wie zur Bataille.
Bei uns! Herr, bei uns! Dort über dem Odfelde, über dem Quadhagen! So sehe Er doch, sehe Er doch, Magister! Soll man denn hier seinen leiblichen Augen trauen dürfen? Sie fahren wahrhaftig auf sich los, sie brechen auf einander ein, dort dem Quadhagen zu und über dem Odfelde!
Über dem bösen Gehege – dem Campus Odini, dem Wodansfelde! Man sollte es fast als ein Praesagium nehmen, daß sie sich gerade diese Stätte zur Ausfechtung ihrer Streitigkeiten auserwählt haben. O siehe, siehe, siehe, und immer mehr, immer neuer Zuzug von Mittag wie von Mitternacht. Ei wahrlich, da wird uns die Vergünstigung, einem seltenen, einem einzigen Schauspiele beizuwohnen.
Herr, das nennt Er eine Vergünstigung? rief der Klosteramtmann von Amelungsborn, doch in diesem Moment, bei diesem wunderbaren, vor ihren Augen sich abspielenden Spektakulum war er dem letzten wirklichen, ortsangehörigen Magister der alten Kulturstätte in keiner Weise mit seinen Bemerkungen und dergleichen gewachsen.
Der alte Herr stand ihm und der ganzen gegenwärtigen Welt entrückt ob der Vergünstigung, die ihm hier und jetzt zuteil wurde, nämlich vielleicht dermaleinst von einem wirklichen Portentum aus eigener Erfahrung und vom persönlichen Aspekt her nachsagen oder gar auch schreiben zu dürfen.
Jetzt war er es, der den Arm seines tagtäglichen Leib- und Lebens-Despoten gefaßt hielt und den verstörten Mann mit ausgestrecktem Zeigefinger und mit glänzenden Augen hinwies auf das, was sich da in den Lüften zutrug.
Es ist ein Prodigium! rief der Magister. Sehe der Herr, wie das unvernünftige Vieh zu den verkündigenden Boten des barmherzigen Gottes wird. Es sind fremde Scharen, wohl ausländische, die da weit von Südwesten kommen und denen das Volk vom Norden zur Abwehr entgegen eilet. Ei wanne, wanne, sie kommen wohlgeatzet von den westfälischen und landgräflich hessischen Champs de bataille, die Fremden. Aber jetzt ist ihre Kost dorten minder geworden, und nun ziehen sie auf neuen Raub nordwärts, voran den assyrischen Feldobersten, den Herren von Soubise und Broglio! Sehe der Herr Amtmann genau zu; gebe Er mit mir acht, was da werden wird –
Heiß und kalt wird's einem bei Gott bei der Geschichte, murmelte der Klosteramtmann von Amelungsborn. Aber was meinet der Herr Magister denn, was da werden kann?
Eine Tröstung oder – eine Warnung, wie es geschrieben stehet: Und wer auf dem Dache ist, der steige nicht hernieder, etwas aus seinem Hause zu holen. Und wer auf dem Felde ist, der kehre nicht um, seine Kleider zu holen. Wehe aber den Schwangern und Säugern zu der Zeit!
Und das alles in meiner Feldmark! murmelte der Amtmann. Und was soll die Tröstung für uns sein, Magister Buchius?
Daß das Heer vom Norden Recht behalte! Daß Seine Durchlaucht, der Herr Herzog Ferdinand, sich wiederum zur richtigen Stunde dem fremden Greuel, den welschen Landverwüstern entgegenwerfe mit den Seinen.
Was faselt Er, Magister? Hat Er nicht so gut wie wir andern vernommen, daß der Herzog in seinem Hauptquartiere zu Ohr jenseits der Weser seit lange in schwerer Krankheit danieder liegt? Weiß Er nicht, daß der gute Herr sich wohl nie wieder davon erholen wird? Weiß Er nicht, daß des Königs Fritzen linker Arm im Absterben ist, daß Seine Durchlaucht der Prinz Ferdinand bei Vellinghausen dem Feinde seinen letzten Sieg abgewonnen hat? Weiß Er nicht, Magister Buchius –
Der Magister hatte nicht den kleinsten Augenblick Zeit für seinen hochgewaltigen Haus- und Brodherrn übrig. Seine Aufmerksamkeit war ganz allein auf diese mirakulöse Schlacht der Raben, der Vögel Wodans, über Wodans Felde, über dem Odfelde, gerichtet. Mit erhobenen Armen und Stock focht er die Schlacht mit. In seinem gelehrten Gehirn drehte es sich im Tummel wie dort in den Lüften dem Mons Fugleri zu. Armin und Germanicus, Sachse und Franke, die Liga und der Schwed, sie lagen sich, in einen Knäuel verbissen, wiederum im Haar im Gau Tilithi, dem Ithgau, und der Magister Noah Buchius war von seiner Schule hinter sich gelassen worden, hatte so lange das Leben gehabt, um dieses Portentums mit eigenen Augen und bei vollen, klaren übrigen Sinnen teilhaftig zu werden und die Anwendung daraus zu ziehen für den eben vorhandenen Tag und die gegenwärtigen schreckens- und sorgenvollen Zeitläufe.
Es wäre sicherlich aber auch für den nüchterneren und in den exakten, den empirischen Wissenschaften besser beschlagenen Menschen des neunzehnten Jahrhunderts dieser Luftkampf nicht ohne Interesse gewesen, und es hätte sich für ihn, wenn er den schreibenden Ständen angehörte, wohl verlohnt, einen Artikel darüber an die nächste Zeitung einzusenden und ornithologische Aufklärung in der Sache zu erbitten. Wir aber halten uns mit dem letzten gelehrten Erben der Zisterzienser von Amelungsborn einzig an das Prodigium, das Wunderzeichen und danken für alle fachwissenschaftliche Belehrung: wir lassen uns heute noch gern da an den Zeichen in der Welt genügen, wo Besserunterrichtete ganz genau das – Genauere wissen.
Wohl eine Stunde währte der Kampf des Gevögels, dem die zwei mit so mancherlei Daseinsbedingungen aneinandergeketteten Männer an diesem Abend auf ihrem Wege nach Hause zuschauen durften. Sie hatten aber unwillkürlich ihre Schritte der Walstatt zu beeilt, Kloster Amelungsborn zu ihrer Rechten liegen lassen, ohne an die Heimkehr zu denken. Krächzende Nachzügler vom Süden her, in Haufen oder vereinzelt, begleiteten sie in den Lüften fort und fort.
Nehme Er meinen Arm und achte Er nicht auf Seine Strümpfe und Schuhe, Magister, rief der Amtmann. Wir müssen das Ende observieren, gehe es, wie es will.
Sie kamen in den Wald östlich von Hohlenberg und nördlich vom Kloster und kamen aus dem Gehölz beim letzten Tagesschimmer auf das Odfeld hinaus und hatten nun wirklich vor sich – will sagen, über sich die Schlacht, so weit das Auge reichte in der Dämmerung, zwischen dem Vogler und dem Großen Wolf bis gegen den Ith hin, und es war wahrlich wie ein Zeichen des Herrn in der Höhe!
Es war ein Wirbel von Tausenden und aber Tausenden von Streitern in der Luft, hier im Knäuel geballt sich drehend, dort im Einzelkampf der Führer aufeinander stoßend und nicht voneinander lassend, bis der Unterlegene sterbend oder tot zur Erde niederflatterte oder -schoß. Wie bei Châlons-sur-Marne – über den Katalaunischen Feldern, ein spukhaft Gewoge von Leidenschaft, Grimm und Haß!
Sehen der Herr Amtmann, ist es nicht, als ob die, so am Idistaviso schlugen, die, so dem Kaiser Carolo Magno und dem Herzog Wittekindus in die Bataille folgten, auf dem alten Blutort wieder lebendig worden wären? So hetzten sie im Gewölk, König Etzel der Hunne, Aëtius der Römer und Theoderich und Thorismund der Westgoten Könige! Wären die rechten Leute jetzo an unserm Platze, Kindern und Kindeskindern könnten sie von diesem Phänomenon erzählen, auch wohl es in den Druck geben.
Aber wir zwei sind am Orte, und uns brennet dieser jetzige Dritte Schlesische Krieg auf den Nägeln. Was helfen mir in meiner täglichen Not Seine grasbewachsenen Olimswelthistorien? Sage Er, wenn Er's weiß, was kann dieses Gesicht für uns arme Teufel in Amelungsborn bedeuten?
Der Magister, immerfort aufwärts in das schaurige Luft-Kriegsspiel starrend – zuckte die Achseln. Zugleich aber griff er zu und hielt den Stockschlag auf, den der Klosteramtmann nach einem der aus der Schlacht herabgestürzten und verwundet vor seinen Stiefeln flatternden Kämpfer tun wollte.
Herr?! rief er.
In demselben Augenblick kam's von der Weser her – ein unbestimmtes, grimmes Murren, ein dumpfes Dröhnen. Einmal – zweimal! zum drittenmal und nun fest anpochend wie ein Faustschlag an eine ferne Tür.
Das Kanon! murmelte der Amtmann von Amelungsborn.
Ja, sie sind wiederum auf dem alten Krieges- und Heereswege. Ist es von Höxter her oder von Holzminden: sie greifen sich noch einmal an der Pforte nach der Kehle um den Torschlüssel, sagte der Magister Buchius. Morgen mögen wir sie vielleicht von neuem hier haben, hier am Ith, auf dem Odfelde, im Quadhagen.
Da ist uns der Teufel schon lange nicht bloß an die Wand gemalet worden, murrte der Klosteramtmann.
Freilich. Aber es war hier bei uns doch nur Kinderspiel gegen das, was sie da drüben in Westfalen von wirklichen großen Bataillen zu erleben und auszustehen hatten. Nun mag aber wohl der liebe Herrgott auch uns seine wahre Zuchtrute zeigen wollen und sendet seine Raben vorher seinem Sturm uns zur letzten Warnung. Der Herr Marschall von Broglio und der Herr Prinz von Soubise wären törichter, als sie sind, wenn sie sich bei währender böser Krankheit des Herrn Herzog Ferdinands die günstige Gelegenheit entgehen ließen, Seiner Durchlaucht Väterstadt Braunschweig mit zu ihren Winterquartieren zu gewinnen. Da müßte denn freilich der Zug über Einbeck gehen, und wenn die hohen Alliierten von Hameln her doch noch versuchten, einen Riegel vorzuschieben, so möchten wir hier endlich auch einmal des Anblicks einer geordneten Schlacht teilhaftig werden, das agmen compositum, vielleicht auch quadratum, das aciem instruere – subsidiis firmare, ja auch vielleicht die Aufstellung in quincuncem, so jedes Durchbrechen der Linie verhindern soll, vor unseren Türen mit eigenen Augen kennenlernen. Polybius, Hyginus, sowie Vegetii epitome institutorum rei militaris –
Der Amtmann sah seinen langjährigen, oft nur zu wohlbekannten Hausgenossen, den von der Hohen Schule in Holzminden und dem Consistorio zu Wolfenbüttel für überflüssig und abgängig erachteten Magister Noah Buchius an wie ein ganz neues – Portentum. Jedenfalls aber wie völlig zu dem immer noch vor seinen Augen in der Luft sich abspielenden zugehörig. Aber zu dem, was er in diesem Augenblick dem guten Manne sagen wollte – konnte, kam er nicht.
Was der Grund war, weiß kein Mensch. Wie als wenn eine Stimme von oben, einerlei ob aus dem christlichen Himmel oder vom Ida oder aus Walhall her Halt geboten hätte, war urplötzlich die Schlacht der Krähen über dem Campus Odini, dem Odfelde, zu Ende! Die streitenden Raben-Heereshaufen lösten sich voneinander, es geschah ein Aufschwirren im ganzen wie mit einem Ruck. Ein Auseinanderstieben nach allen vier Winden hin. Nach dem gespenstischen, unheimlichen Getöse, dem Gekreisch und Gekrächze des Zorns der Kreatur plötzlich die allertiefste Stille! Eben alles Grimm, Wut und Lebendigkeit, nun alles leer am Himmel und nun nur noch die Gefallenen, die Toten und Wunden am Erdboden und das volle Abenddunkel über der Welt!
Die beiden Männer standen ob dieses Endes des Prodigiums fast noch betroffener als durch das Wunderzeichen selber. Sie gafften eine ziemliche Zeit stumm in die stille Höhe. Wer da oben den Sieg davongetragen hatte in der Lüfteschlacht, ob das Volk vom Norden oder das vom Süden, das blieb bei solchem Ausgang ganz unentschieden.
Nach einer geraumen Weile erst bückte sich der Magister und erwischte den gefallenen schwarzen Kämpfer, nach welchem der Amtmann vorhin mit seinem spanischen Rohr schlagen wollte, am Fittich und hob ihn behutsam auf. Der Amtmann aber schüttelte sich.
Er kann das so ruhig? Mir grauete beinahe davor.
Der Magister hielt seinen Gehstock unterm Arm und den schwarzen, leise zappelnden und erschöpft sich wehrenden Streiter zwischen beiden Händen, behutsam und mit allem Mitleid gegen die Kreatur, betrachtend vor sich. Nun zog er sein Sacktuch, und an den geschickten Griffen, mit welchen er den Vogel hineinband, erwies sich einleuchtend, daß er nicht nur aus seinen Büchern, sondern auch von seinen Scholaren etwas gelernt habe; daß er nicht umsonst an einer hohen Wald- und Wildnisschule zum Katheder hinan- und von demselben herabgestiegen war.
Der Amtmann sah seinem Beginnen anfangs verwundert stumm, sodann aber mit ängstlich-unwilliger Remonstranz zu und meinte zuletzt:
Er wird mir doch das Untier nicht gar mit sich nach Hause schleppen wollen?
Ich möchte es wohl, mit des Herrn Amtmanns gütiger Permission. Sei es ad memoriam dieses seltsamen Abends, sei es zur Genossenschaft in der Einsamkeit der Winterstube.
Der Einsamkeit?! ächzte der Klosteramtmann von Amelungsborn. In dieser Zeit des immerwährenden Tumults!... Und als ob wir der unnützen Fresser nicht noch genug auf dem Hofe hätten! Und gar solchen?!
Der Herr, der die Raben speiset, wird auch für diesen wohl noch ein Bröcklein abfallen lassen, sagte Magister Buchius. Leiser setzte er hinzu: Hat er doch auch für mich zu jeder Zeit das Notwendigste übrig gehabt.
Er ist und bleibt ein schnurriger Patron, Herr, brummte der Amtmann. Ich weiß es ja aber wohl, es ist nicht so leicht, wie es aussieht, Ihm Seinen Willen zu wenden, wenn Er sich einmal wieder eine neue Grille eingefangen und in den Kopf gesetzt hat. Eh vraiment, Sein, Gott sei Dank, zum Satan verzogener Conventus, Lehrerschaft und Schlingelschaft, hat wohl gewußt, was er an Ihm gehabt und aufgegeben hat. Na, zum wenigsten mache Er jetzt der Hantierung mit dem Geschöpfe ein Ende und komme Er mit nach Hause, wenn Er sich nicht vielleicht auch noch ein paar Leichname von diesem curieusen Champ de bataille in den Taschen zum Abendbraten mitnehmen will. Es wird vollständig Nacht sein, ehe wir am Kloster sind; und wer weiß, was für neueste Nachricht und allerneuestes Malör uns dort erwartet, nach diesem Por – Por – Prodigium, oder wie Er es sonst nennt, was wir hier eben mit leiblichen Augen gesehen und mit aufgehobenen Schwurfingern bezeugen können, obgleich man es ebensogut im Traum hätte träumen können. –
Es war freilich vollkommene Nacht, als beide Männer den alten Mauerbezirk der weiland Zisterzienser von Amelungsborn und das gewölbte Eingangstor erreichten: der eine mit seinen Lebensnöten und Sorgen im bitteren Ringen, der andere seiner Daseinskümmernis zum Trotz im kindlichen Vertrauen auf das Geschick und voll wunderlichen Behagens ob der Ausbeute seines melancholischen Abendgangs auf der Landstraße seiner emigrierten Schule nach und aus der Vogelschlacht unter dem Mons Fugleri, auf dem Wodansfelde, seinem und des C. C. Tacitus Campus Odini, dem Odfelde. Wie gern wäre wohl ein anderer lieber Mann mit dem Magister Noah Buchius gegangen und hätte auch wohl zu seinem Contentement das blaugestreifte Sacktuch mit dem schwarzen Vogel getragen! Doch dieser andere, genannt Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg auch –Bevern, Königlich Preußischer Generalfeldmarschall und General en chef der königlich großbritannischen und kurhannöverschen Armeen, hatte leider eben etwas anderes zu tun, als seinem freundlichen guten Herzen, seinen Neigungen, Stimmungen, Schrullen und Grillen Folge zu geben. In seinem roten englischen Generalsrock und mit dem Stern des schwarzen Adlers des Königs Friedrich hatte er noch bei weitem weniger nach seinem Behagen zu fragen wie der Magister Buchius mit seinem Vogel im Kopf und im Taschentuch. Er, der große Feldherr mit dem Kinderherzen, der Siegesheld, der dereinst ob seiner Mildigkeit nur unter der Rechtswohltat des Inventars von seinem Neffen beerbte Gutsherr von Vechelde, hatte eben, mühesam von seinem Fieberlager zu Ohr sich erhebend, seine Scharen von neuem zurechtzurücken auf dem großen blutigen Spielbrett des Siebenjährigen Krieges. Und diesmal zum Schutze seiner eigenen Geburtsstätte auf dem kleinen Mosthause in der Stadt Braunschweig.
Luckner von Ringelheim an der Innerste nach Lutter am Barenberge gegen den Stainville! Der Erbprinz von Hildesheim über die Leine bei Papenborn gradaus über Limmer und Alfeld gegen die Hube bei Einbeck, um Monsieur de Broglio den Weg zu verlegen! Mylord Granby mit Generalleutnant von Scheele, Leutnant Colonel Beckwith, Generalmajor Pincier mit den Bataillons von Zastrow, Laffert, Imhoff, Maxwell, Keith, den Campbells und den wallisischen Grenadieren, mit Kopplow, Warnstedt und der bückeburgischen Artillerie, mit den Reitern des Obersten Harway, drei Schwadronen von den Elliots, zwei von den Greys, zwei von Ancram, zwei von Moystin über Coppenbrügge, Cappelnhagen unter allen Umständen auf Wickensen, um die hohlen Wege zu besetzen, die über Eschershausen nach Einbeck führen. Hardenberg mit Bose, Bremer, Joncquières und den hannoverschen Jägern unter Oberst Friedrich von Bodenwerder auf Stadtoldendorf, um dem Herrn Generalleutnant von Poyanne da den Rückweg abzuschneiden. Wir selber, lieber Westphalen, unter Gottes gnädigem Beistand mit Conway, Kielmannsegge, Waldgrave und Howard zwischen Hastenbeck und Tundern über die Weser und auf den Höhen den Ith entlang gleichfalls nach Wickensen. Wenn alles gut und vorzüglich Hardenberg nicht fehl geht, würden wir wohl den Herrn Marquis von Poyanne in der Falle haben und dem Herrn Herzog und Maréchal de France einen braven Strich durch die Rechnung machen. Meinen Sie nicht auch, lieber Westphalen?
Der damalige Geheimsekretär Seiner Durchlaucht und spätere Kanonikus am Dom Sankt Blasii zu Braunschweig ist ganz der Ansicht seines Herrn und Freundes gewesen und hat auch das Seinige zur Ausführung des guten Plans getan. Den beiden Herren am Klostertor von Amelungsborn hat er freilich keine Mitteilung von der Lage der Dinge zwischen Göttingen und Wolfenbüttel, zwischen der Weser und dem Harz machen können. Sowohl der Klosteramtmann wie der Magister Buchius mußten die Sachen nehmen, wie sie ihnen kamen, und beide hatten wohl eine Ahnung, daß der Invalide im Sacktuch des Magisters, der schwarze Kämpfer mit dem gelähmten Fittich, für den Augenblick wenigstens am behaglichsten aus der Affäre heraus sei. Sie fanden jedenfalls ihr Haus- und Heimwesen von neuem in einer erklecklichen Aufregung vor und hatten abermals Mühe, im Elend der Zeit den Kopf oben zu behalten. Auch Magister Buchius trotz seiner Erlebnisse und Erfahrungen im dreißigjährigen Schulleben und -kriege und seiner Studien im Polybio, im Hygino und in des Vegetii Epitome institutorum rei militaris. –