Mikael Engström
Kaspar, Opa
und der
Schneemensch
Aus dem Schwedischen von
Birgitta Kicherer
Mit Illustrationen von
Peter Schössow
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Mikael Engström, geboren 1961, begann seine Schriftstellerlaufbahn mit Erzählungen für jüngere Kinder. Mit »Brando« gab er sein in Schweden preisgekröntes Romandebüt. »Ihr kriegt mich nicht« wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Nach »Kaspar, Opa und der Monsterhecht« folgt »Kaspar, Opa und der Schneemensch«. »Kaspar, Opa und der Feuerteufel« wird folgen.
Peter Schössow, geboren 1953 in Hamburg, gehört zu den wichtigsten Bilderbuchkünstlern in Deutschland. Für seine Arbeiten wurde er u.a. mehrfach mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis und dem Troisdorfer Bilderbuchpreis ausgezeichnet.
Ungemach wohin man blickt: draußen 20 Grad Kälte. Drinnen seit Wochen nur Elchgulasch. Und da Unglück bodenlos ist, kündigt Tante Karin, Großvaters Schwester, ihren Besuch bei Kaspar und Opa an.
Frostige Stimmung also, aber nicht weiter schlimm, wenn nicht noch das Gespenst dazukommen würde, das nachts um Großvaters Schuppen herumschleicht. Oder ist es dieser merkwürdige Schneemensch, von dem Atom-Ragnar erzählt hat? Egal, was es ist: Eine Gespensterfalle muss her! Ob man dazu das Elchgulasch verwenden kann? Das wird sich erweisen, denn wie so oft bei Lisa und Kaspar siegt die Unternehmungslust über alle Bedenken.
Deutsche Erstausgabe 2016
2016 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2001 Mikael Engström (Text)
© 2016 Carl Hanser Verlag München (Illustrationen)
Titel der Originalausgabe:
›Kaspar, Atomragnar och Snömannen‹
(Rabén & Sjögren, Stockholm 2001)
Published by arrangement with Rabén & Sjögren Agency
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe:
© 2016 Carl Hanser Verlag München
Umschlagillustration und -gestaltung: Peter Schössow
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-43035-7 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-64023-7
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
ISBN (epub) 9783423430357
Kaspar hatte Weihnachtsferien. Vor dem Küchenfenster schwebten ein paar verirrte Schneeflocken herab. Das Thermometer zeigte zweiundzwanzig Grad minus. Kaspar und Großvater saßen am Küchentisch und schnitzten Holzpferdchen. Der ganze Küchenboden war von gekräuselten Holzspänen bedeckt, und auf dem Tisch standen die fertigen Exemplare. Kaspar konnte schon recht gut schnitzen. Trotzdem war Großvater viel schneller. Bis Kaspar vier Pferdchen geschnitzt hatte, waren es bei Großvater zehn. Mit den Holzpferdchen bestritt Großvater ihren Lebensunterhalt.
Großvater war ein herzensguter Mensch und sah auch herzensgut aus. Er hatte seine Kappe auf, die vorn am Schirm, wo er sie beim Auf- und Absetzen anfasste, braun war wie Schnupftabak. Unterm Mützenrand quollen seine Haare hervor wie graues Moos. Er hatte eine ziemlich große, ziemlich runde Nase und freundliche Augen, die manchmal etwas bekümmert dreinblickten.
In der Küche herrschte ein Durcheinander, bei dessen Anblick jede einigermaßen ordnungsliebende Person der Schlag getroffen hätte. Sowieso sah sie eher wie eine Werkstatt aus. Keine einzige Topfpflanze befand sich darin, es gab keine Vorhänge, und die Deckenlampe bestand aus einer nackten Glühbirne ohne Schirm. Es war lange her, seit eine Frau in diesem Haus das Sagen gehabt hatte, das war deutlich zu sehen und zu spüren.
»So, das sind genug für heute«, sagte Großvater. »Zeit für eine kleine Stärkung. Hinterher fahren wir zum Laden, verkaufen unsere Rösser und besorgen uns Bier, Schnupftabak und Orangenlimo.«
Großvater kochte Elchgulasch. Sie aßen schon den ganzen Herbst und Winter Elchgulasch, wenigstens kam es Kaspar so vor. Großvater hatte den Elch selbst erlegt, obwohl er eigentlich gar nicht jagen durfte. Der Wald und alles Land rings ums Dorf gehörten nämlich dem reichen Åhman, und der pirschte wie ein Bluthund durch die Gegend und bewachte jeden einzelnen Baum, jeden Elch und Hasen, jeden Pilz, jede Heidelbeere und jede Preiselbeere. Trotzdem war es Großvater gelungen, einen von Åhmans Elchen zu schießen. An einem schönen Herbstmorgen hatte das Tier plötzlich im Garten gestanden und überreife Äpfel gefuttert, und Großvater hatte aus dem Küchenfenster geschossen. Åhman war in Rage geraten und hatte die Polizei verständigt. Das sei sein Elch, hatte er gewettert, und niemand dürfe sich unterstehen, seine Elche zu schießen. Doch dann stellte sich heraus, dass der Elch ja auf Großvaters Grundstück gestanden hatte, und darum hatte er nicht mehr Åhman gehört, sondern ihm. Alles war rechtens gewesen, und Åhman hatte noch mehr gewettert und geschäumt vor Wut.
Von diesem Elch hatten sie also den ganzen Herbst gelebt. Es war nur ein Elchkalb gewesen, aber in Großvaters Erzählungen war daraus nach und nach ein gewaltiger Siebzehnender geworden. Normalerweise war Großvater kein Aufschneider. Es war nur die Genugtuung, einen von Åhmans Elchen erwischt zu haben, die ihm ein bisschen zu Kopf gestiegen war.
Nach dem Essen gab Kaspar die Reste von dem Elchgulasch seiner Katze zu fressen. Das heißt, eigentlich wusste er gar nicht so genau, ob es seine Katze war. Er hatte sie eines Tages auf dem Steinhaufen bei den Briefkästen gefunden, und im Dorf hatte niemand gewusst, wo sie hergekommen war. Sie hieß auch nur Katze. Es war schwierig, ihr einen Namen zu geben, wo sie einfach so aufgetaucht war und Kaspar nicht mal wusste, ob sie ihm wirklich gehörte. Vielleicht hatte sie schon einen Namen, da konnte man ihr ja keinen neuen geben. Die Katze ließ ihr Futter stehen. Sie hatte Elchgulasch inzwischen auch satt.
Kaspar und Großvater fuhren mit dem Tretschlitten zu Atom-Ragnars Dorfladen. Kaspar saß vorne auf dem Sitz und hielt eine große Kiste voller Pferdchen auf dem Schoß, während Großvater hinten auf den Kufen stand und den Schlitten vorantrat. Der Schneepflug hatte die Straße frisch geräumt und für eine feste Schneedecke gesorgt. Links und rechts an den Straßenrändern ragten Schneewälle in die Höhe. Der Tretschlitten glitt leicht dahin. Alle Häuser im Dorf waren rot mit weißen Ecken und hockten jetzt im Winter wie aufgeplusterte Dompfaffen im Schnee. Aus sämtlichen Schornsteinen stieg Rauch auf, nur aus einem nicht: dem von Isabell. Ihr Häuschen lag oben im Wald, und aus ihrem Schornstein kam nicht mal der allerdünnste Rauchfaden.
Das machte Großvater Sorgen. Vielleicht hatte Isabell kein Brennholz mehr. Sie war eine krumme Alte, die glaubte, die Welt werde demnächst untergehen, und da dachte sie natürlich nicht an so irdische Dinge wie Brennholz. Das mussten andere Leute im Dorf für sie übernehmen.
»Nachher bringen wir ihr Holz vorbei«, sagte Großvater und trat den Schlitten noch energischer voran.
Die Katze lief ihnen hinterher, aber nur bis zu den Briefkästen, dort hüpfte sie auf den schneebedeckten Steinhaufen. Weiter kam sie nie mit. Dort blieb sie sitzen und wartete, kohlrabenschwarz, mit leuchtend gelben Augen. Es sah aus, als hielte sie Wache. Sie war eine ganz besondere Katze.
Atom-Ragnar hatte seinen Laden weihnachtlich geschmückt. Im Schaufenster hingen ein paar blasse Strohsterne, und die Fensterrahmen waren mit Watte dekoriert, aber das war wohl vor allem gegen die kalte Zugluft gedacht.
Kaspar und Großvater stampften sich auf der Treppe den Schnee von den Füßen und traten ein. Ein Duft nach Würsten, gekochtem Schinken, Nelken und Pfefferkuchen erfüllte den Laden. In der Weihnachtszeit lud Atom-Ragnar seine Kunden zu Glühwein ein, der allerdings stark mit Wasser verdünnt war. Atom-Ragnar war das große Geschäftsgenie des Dorfes. Sein Lebenszweck war es, aus allem Geld zu machen, und Atom-Ragnar wurde er genannt, weil er nicht an Atome glaubte. Er schrieb regelmäßig Leserbriefe an die Lokalzeitung und erklärte, Atome gebe es gar nicht. Großvater verkaufte ihm seine Holzpferdchen, obwohl die Leute im Dorf behaupteten, Atom-Ragnar ziehe ihn über den Tisch und verkaufe die Pferdchen hinterher viel teurer an die neuen Bemaler im Nachbardorf, wo sie bunt angepinselt wurden. Aber darüber mochte Großvater sich nicht den Kopf zerbrechen, schließlich hatte er sein Auskommen. Und jedes Mal ins Nachbardorf fahren, um seine Pferdchen zu verkaufen, das mochte er auch nicht. Er hatte Besseres zu tun.
Atom-Ragnar stand hinterm Ladentisch und blätterte in einer Zeitschrift. Als die Ladentür pling-plong machte und Kundschaft hereinkam, sah er auf und lächelte breit. Weihnachten war eine schöne Zeit für ihn. Die Leute kauften viel ein, und er verdiente gut. Aber als er sah, um wen es sich bei der neuen Kundschaft handelte, erlosch sein Lächeln wieder. Großvater und Kaspar gehörten nicht zu der Sorte Kunden, an der man gut verdiente. Trotzdem bekam Großvater einen Becher wässrigen Glühwein und Kaspar einen zähen Pfefferkuchen. Dann vertiefte sich Atom-Ragnar wieder in seine Zeitschrift.
»Was liest du da?«, fragte Großvater.
»Eine neue Zeitschrift«, erklärte Atom-Ragnar. »Was ganz Modernes, mit farbigen Bildern und allem. Hab sie heute frisch reinbekommen. Welt der Wissenschaft heißt sie, aber von so was hast du sowieso keine Ahnung.«
Er hielt die Zeitschrift hoch. Der Umschlag zeigte einen unnatürlich großen Affen, der auf einem verschneiten Berg einherstapfte. Der Affe hatte riesige Füße und fletschte in einem boshaften Grinsen die Zähne.
»Da steht ein langer Artikel über den Schneemenschen drin, sogar mit Bildern.«
»Den Schneemenschen?«, wunderte sich Großvater.
Kaspar wunderte sich auch. Was war denn ein Schneemensch? Ein lebendiger Schneemann, oder was?
»Big Foot«, sagte Atom-Ragnar. »Den kennt doch jeder. Lebt im Himalaya, eine Mischung aus Mensch und Affe. Genauer gesagt, das fehlende Glied zwischen den beiden. Er ist drei Meter groß und wiegt fast zweihundert Kilo. Man nennt ihn auch Yeti. Sagt bloß, von dem habt ihr noch nie was gehört?«
»Nein«, sagte Großvater.
»Hätt ich mir denken können«, sagte Atom-Ragnar. »Die Wissenschaft ist nun mal nicht jedermanns Sache. Den meisten ist sie zu hoch.«
Er schlug den Artikel auf und fuhr fort: »Das hier ist ein Foto von seinen Fußabdrücken, groß wie Klodeckel, mindestens Schuhgröße sechsundfünfzig. Und hier ein Bild von der Expedition, die das Ungeheuer fast eingefangen hätte. Oder hier: Das ist ein norwegischer Uransucher, der dem Schneemenschen 1948 im Himalaya begegnet ist. Seht ihr die Verletzungen? Der Schneemensch hat ihn in die Schulter gebissen, und er hat es mit knapper Not überlebt.«
»So ein Quatsch!«, sagte Großvater.
Aber Kaspar fand die Geschichte aufregend.
»Es gibt Beweise für seine Existenz«, sagte Atom-Ragnar und zeigte auf ein Foto, das angeblich einen echten Big Foot zeigte.
»Wo soll da ein halber Affe sein?«, fragte Großvater und beugte sich über das Bild. »Ich seh nur irgendwas Verschwommenes in einem Gestöber von weiß der Kuckuck was. Das könnte genauso gut eine Wollmaus unter meiner Küchenbank sein.«
»Siehst du ihn wirklich nicht?«, sagte Atom-Ragnar. »Da! Das ist doch eindeutig ein Big Foot, klar und deutlich!«
»Ich seh ihn«, sagte Kaspar.
Wenigstens glaubte er ihn zu sehen. Doch, da war ganz bestimmt was. Eine Gestalt. Eine unheimliche Gestalt in einem Schneegestöber. Ist doch klar, dachte Kaspar, dass sich so ein einmaliges Wesen nicht ohne Weiteres fotografieren lässt.
»Jeder sieht, was er sehen will«, sagte Großvater, der für Verrücktheiten wie Schneemenschen, Seeungeheuer und all so was nichts übrighatte. Er wollte seine Holzpferdchen gegen Bier, Schnupftabak und andere lebensnotwendige Dinge eintauschen und nicht herumstehen und Unsinn reden.
Atom-Ragnar schob die Zeitschrift unter den Ladentisch und sagte: »Jedenfalls ist es wissenschaftlich bewiesen, dass er irgendwo im Himalaya lebt.«
Davon war Kaspar inzwischen auch überzeugt.
»Ich brauche Schnupftabak, Bier und Orangenlimo für den Jungen.«
»Und wie wär’s mit einem Los?«, fragte Atom-Ragnar. »Bei der Weihnachtslotterie des Sportvereins gibt’s lauter prima Preise. Eine Fräse, ein Fahrrad und eine Motorsäge. Alles erstklassige Qualität.«
Die Gewinne standen schon in einer Ecke des Ladens, schön präsentiert, um den Losverkauf in Schwung zu bringen.
»Ich glaub nicht an Lotterien«, sagte Großvater.
»Bitte!«, sagte Kaspar. »Nur ein einziges Los!«
»Ich sag doch, ich glaub nicht dran.«
»Du glaubst scheinbar an gar nichts«, sagte Kaspar.
»Was soll ich denn mit einer Motorsäge? Zum Sägen bräuchte ich ja erst mal Bäume. Und ein Fahrrad hab ich schon«, brummte Großvater.
»Bitte! Nur eins!«
Kaspar sah Großvater an.
Und Großvater gab nach. Er kaufte ein Los und knurrte: »Von mir aus. Ist ja bloß einmal im Jahr Weihnachten.«
Genau da machte die Türglocke pling-plong, und Frau Åhman betrat den Laden.
Sofort setzte Atom-Ragnar ein Lächeln auf, dass nicht viel fehlte, und sein ganzes Gesicht hätte sich umgestülpt.
Frau Åhman trug ihren teuersten Pelzmantel und einen seltsamen braunen Hut, der an einen zusammengeringelten Aal erinnerte. Sie roch stark nach Rosenseife. Frau Åhman hielt sich für was ganz Besonderes und streckte immer die Nase in die Höhe, als wäre die Luft dort oben vornehmer und ihrer eher würdig als die weiter unten. Denn eigentlich war Frau Åhman viel zu fein für dieses Dorf, das hatte sie selbst schon mal verkündet.
Großvater konnte Frau Åhman nur schwer ertragen. Dennoch grüßte er sie höflich. Alles andere lohnte sich gar nicht.
»Und der Junge grüßt nicht?«, sagte Frau Åhman mit strengem Blick auf Kaspar.
Der starrte tatsächlich nur Frau Åhmans Pelz an und dachte dabei an den Schneemenschen. Er hörte nichts, in seinem ganzen Kopf war nur noch der Schneemensch.
»Wirst du wohl höflich grüßen!«, zischte Frau Åhman und beugte sich zu Kaspar hinunter, der von ihrem Rosenduft fast ohnmächtig wurde.
Großvater starrte an die Decke und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Äh, hallo«, sagte Kaspar.
»Zu einer Dame sagt man nicht ›Hallo‹«, sagte Frau Åhman. »›Guten Tag, Frau Åhman!‹, heißt das. Bringt dir denn gar niemand bei, was sich gehört?«
»Guten Tag, Frau Åhman!«, sagte Kaspar.
Danach wandte sich Frau Åhman Atom-Ragnar zu, damit er sein übliches »Guten Tag, Frau Åhman, Sie sehen heute wieder entzückend aus!« zwitschern konnte.
»Guten Tag, Frau Åhman, Sie sehen heute wieder entzückend aus!«, zwitscherte Atom-Ragnar wie erwartet, lächelte und verbeugte sich so tief, dass er mit der Stirn gegen die Ladenkasse schlug. »Und wo ist der werte Herr Gemahl, wenn man fragen darf?«
»Im Wald unterwegs, um aufzupassen.«
»Um aufzupassen?«
»Auf Weihnachtsbaumdiebe«, erklärte Frau Åhman und sah dabei Großvater an.
»Ja, ja«, sagte Großvater. »Hab schon gehört, dass wieder große Banden unterwegs sind. Die kommen mit Lastwagen und Motorsägen und räumen den ganzen Wald leer.«
»Banden?«, fragte Frau Åhman.
»Ja, sicher. Die verkaufen die Bäume dann an die feinen Damen in Stockholm und kassieren noch für das mickrigste Tännchen zweihundert Kronen.«
»In unserem Wald sind noch nie irgendwelche Banden unterwegs gewesen«, sagte Frau Åhman und warf den Kopf in den Nacken, dass der braune Aal auf ihrem Kopf nur so zitterte. »Ich weiß schon, wer in unserem Wald Weihnachtsbäume stiehlt. Und eines schönen Tages wird derjenige auch erwischt!«
»Glauben Sie etwa, jemand aus dem Dorf würde Bäume aus Åhmans Wald stehlen? Nie im Leben!«, sagte Großvater. »Das sind Banden aus der Stadt.«
»Jemand aus dem Dorf, genau davon rede ich!«, sagte Frau Åhman so heftig, dass ihr fast der Aal vom Kopf fiel.
Dann kaufte sie Sülze, Pastete, Würste und Weihnachtsschinken ein. Sie bekam von allem das Beste. Wie üblich hatte es Atom-Ragnar schon für sie beiseitegelegt. Bei ihm gab es immer eine erste und eine zweite Wahl. Leute wie Åhmans bekamen die erste und Leute wie Großvater die zweite. Nicht alle im Dorf waren gleich.
Kaspar wurde es von dem Rosenduft schwindelig, darum ging er schon mal auf die Treppe hinaus. Es hatte aufgehört zu schneien. Der Himmel war leuchtend blau. Kaspar starrte auf das frostige Treppengeländer. Es war aus Eisen, und eine unerklärliche Kraft brachte Kaspar dazu, die Zunge herauszustrecken und sich langsam nach vorn zu beugen. Die Kraft war unwiderstehlich. Er hielt die Zunge ans Geländer.
Als Großvater herauskam, klebte Kaspar fest.
»Hijfe, meije Funge häng feff!«
»Nicht schon wieder!«, sagte Großvater müde. »Du weißt doch, dass die Zunge am kalten Metall festfriert.«
Frau Åhman kam heraus und verabschiedete sich.
»Auf Wiedersehen, Frau Åhman!«, sagte Großvater.
»Auf Wijefehn, Fau Amal!«, sagte Kaspar mit seiner festgefrorenen Zunge.
»Ich heiße nicht Amal! Kannst du nicht mal ordentlich sprechen?« Frau Åhman drehte sich zu Großvater um und fuhr fort: »Der Bengel ist unverschämt, unbegabt und ungezogen. Aber ich weiß, wem er nachschlägt. Oh ja, ich weiß genau, von wem er das hat! Für solche Kinder gibt es Heime, wo sie Zucht und Ordnung lernen. In so ein Heim gehört der Junge, damit Sie’s wissen!«
Damit stieg sie auf ihren Tretschlitten und kurvte mit Karacho davon.
Großvater ging zu Atom-Ragnar in den Laden und holte einen halben Eimer warmes Wasser, das er über dem Geländer auskippte.
»In ein Heim?«, fragte Kaspar, als seine Zunge wieder befreit war. »Was hat sie damit gemeint?«
»Ach, unwichtig. Außerdem haben wir ein Heim. Wir haben ein schönes eigenes Zuhause und kommen gut alleine klar. Diese Åhman mischt sich in Sachen ein, die sie einen feuchten Kehricht angehen.«
Sie luden ihre Einkäufe auf den Tretschlitten und machten sich auf den Heimweg. Diesmal durfte Kaspar vor Großvater auf den Kufen stehen. Auf dem Schlittensitz stand die Kiste mit Orangenlimo, Bier und Schnupftabak. Ringsum war alles still. Die dicke Schneedecke dämpfte alle Geräusche. Nur das leise Klappern der Bierflaschen war zu hören.
»Was meinst du, Opa, gibt’s bei uns hier auch einen Schneemenschen?«