Oliver Schröm
Die Cum-Ex-Files
Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen – und wie ich ihnen auf die Spur kam
Ch.Links VERLAG
Mitarbeit: Wigbert Löer
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Ch. Links Verlag ist eine Marke der Aufbau Verlage GmbH & Co. KG
© Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin 2021
entspricht der 1. Printausgabe von 2021
www.christoph-links-verlag.de
Prinzenstraße 85, 10969 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Satz: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag
Druck und Bindung: Druckerei F. Pustet, Regensburg
Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier
ISBN 978-3-96289-123-7
eISBN 978-3-86284-500-2
Prolog
Hauptteil
Epilog
Anhang
Journalismus kann abdanken, wenn er harmlos wird.
Willy Brandt
Die Cum-Ex-Files umfassen mittlerweile mehr als 200 000 Seiten, darunter interne Vermerke und Notizen, Durchsuchungs- und Vernehmungsprotokolle, E-Mails und Aufzeichnungen von abgehörten Telefonaten. Diese überwiegend vertraulichen Unterlagen von Banken, Behörden oder Anwaltskanzleien sowie mehr als tausend Stunden Interviews und offizielle oder inoffizielle Gespräche, die der Autor im Laufe von acht Jahren geführt hat, sind die Grundlage dieses Buches. Zitate, Dialoge und Gedanken der beschriebenen Personen stammen aus diesen Unterlagen, aufgezeichneten Interviews oder Gesprächen, die vom Autor mitnotiert oder umgehend in einem Gedächtnisprotokoll verschriftlicht wurden. Weitere Zitate oder Dialoge wurden mit den beteiligten Personen nachträglich für dieses Buch rekonstruiert.
Dubai, 19. August 2021
41 Grad im Schatten, hohe Luftfeuchtigkeit. Wer kann, verlässt zu dieser Jahreszeit die Stadt. Sanjay Shah bleibt.
In Deutschland ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft gegen ihn, die Hamburger Strafermittler haben bereits Anklage wegen Geldwäsche erhoben. In Belgien hat ihn die Justiz auch auf dem Kieker. Die dänische Steuerbehörde geht in vier Ländern gegen ihn vor, ein internationaler Haftbefehl ist unterschrieben und gültig. Verlässt Sanjay Shah die Emirate, hat er gute Chancen, im Gefängnis zu landen, in Dänemark, vielleicht auch in Deutschland.
Ich bin mit Shah im »Phleas Fogg’s« verabredet, einem Restaurant auf dem Gelände der Montgomerie Golf Academy. Schon morgens um neun Uhr brennt die Sonne so stark, dass gerade mal ein einziger Golfer ein paar Abschläge probiert. Die Bälle fallen auf sattes Grün. Es müssen Unmengen von Wasser sein, die in die Driving Range gepumpt werden.
Shah, 51 Jahre alt, lebt auf der »Palme«, einer künstlich angelegten Inselgruppe. Er bewohnt dort 1000 Quadratmeter, die einmal dem siebenfachen Formel-Eins-Weltmeister Michael Schuhmacher gehört haben. Als Shah erfuhr, wer sein Vorbesitzer war, wollte er das Haus in Ferrarirot anstreichen lassen. Aber seine Frau war dagegen. Mittlerweile ist ihm das Haus etwas zu groß. Zwei seiner drei Kinder gehen in England zur Schule. Das jüngste ist Autist, weshalb Shah die Stiftung »Autism Rock« gegründet hat.
Finanziell läuft es im Moment nicht so gut für Shah. Die Behörden in Dänemark und Deutschland haben sein Vermögen einfrieren lassen. Genaue Zahlen sind schwierig zu bekommen. Nach allem, was man weiß, verdiente Shah mit Cum-Ex-Geschäften wohl 500 bis 700 Millionen Euro. Der Steuerschaden, den er mit seiner Firma durch die kriminellen Aktiendeals angerichtet hat, geht in die Milliarden. Allein der dänische Staat soll rund 1,2 Milliarden Euro verloren haben.
Seit acht Jahren beschäftige ich mich als Journalist überwiegend mit Cum-Ex. Ich habe Richter, Staatsanwälte, Steuerfahnder und Polizisten kennengelernt, die versuchen, Teile des größten Steuerraubs der Geschichte aufzuklären. Meine Recherchen für verschiedene Redaktionen haben mir auch ermöglicht, mit der anderen Seite zu sprechen: mit Bankern, Beratern, Anwälten und Investoren, die sich mit den Deals die Taschen vollstopften. Sanjay Shah, britischer Staatsbürger mit indischen Wurzeln, ist einer der größten Fische unter all den skrupellosen Verbrechern, die sich auf Kosten der Steuerzahler bereichert haben.
Das Fernsehinterview soll eines der letzten sein, das ich im Cum-Ex-Milieu führe. In all den Jahren habe ich für meine Recherchen einige Preise erhalten, aber sie haben mir noch mehr Straf- und Gerichtsverfahren eingebracht. Die Schweizer Justiz ermittelte jahrelang gegen mich wegen Wirtschaftsspionage, die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte mich wegen Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen im Visier. Die Bonner Staatsanwaltschaft führte ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrat. Ausgangspunkt waren immer Anzeigen von Banken oder Anlageberatern, deren Cum-Ex-Machenschaften ich gemeinsam mit Kollegen öffentlich machen konnte. Hinzu kommen unzählige Presserechtsverfahren, mit denen Bankiers und Berater nicht nur die Redaktionen und Verlage überzogen haben, für die ich arbeitete. Manche von ihnen gingen presserechtlich auch persönlich gegen mich vor. Einige dieser Verfahren sind nach wie vor anhängig und werden voraussichtlich noch eine Weile laufen. Für uns Journalisten sind die Kosten solcher Rechtstreitigkeiten immens und mitunter bedrohlich. Die andere Seite bewältigt so etwas aus der Portokasse.
Sanjay Shah hat einen Ruf wie Donnerhall. Ich habe mich mit früheren Weggefährten und Geschäftspartnern von ihm unterhalten. Er liebe die Bühne, könne stundenlang unterhaltsam reden, sagten sie, beschrieben ihn aber auch als Menschen frei von jedem Mitgefühl. Seine Mitarbeiter habe er mit Millionengehältern bedacht, sie nach spätestens zwei Jahren aber wieder vom Hof gejagt. »Hire and fire«, offenbar aus Prinzip.
Shah habe es krachen lassen. Es gab Weihnachtsfeiern mit Champagner in rauen Mengen und wilde Partys in Dubai, wofür Rockstars wie Prince oder Lenny Kravitz extra eingeflogen wurden. Sein Büro im Finanzdistrikt von Dubai sei der reine Protz gewesen. Dort gab es ein riesiges Aquarium, in dem soll sogar ein Hai seine Kreise gezogen haben.
Vor ein paar Monaten hat Shah über Zoom zwei Interviews gegeben, Bloomberg TV und der dänischen Wirtschaftszeitung Borsen. Er gab sich wütend, fast aggressiv, schimpfte auf die Steuerbehörden. Die ihm seine Millionen sperrten. In Richtung Pleite scheint er mir allerdings noch nicht zu schlittern. So hält Shah Anteile an einer kleinen Privatbank, die am Hamburger Fischmarkt liegt. Varengold Bank heißt sie und bietet laut Imagefilm Finanzprodukte zu Preisen an, die sich nur wenige leisten können. Shah gehören 15 Prozent der Varengold Bank.
Die Stimmung in unserem Fernsehteam ist angespannt. Seit drei Tagen sind wir in Dubai, doch das Gepäck unseres Kameramannes Felix Meschede fehlt. Täglich vertröstet uns die Fluggesellschaft. So haben wir nur den Teil der Kameraausrüstung zur Verfügung, den Felix und mein NDR-Kollege Manuel Daubenberger als Handgepäck mitgeführt hatten. Heute sind Felix und Manuel in aller Frühe losgezogen, um bei einer Produktionsfirma alles an Ausrüstung auszuleihen, was sie bekommen können. Am Ende fehlt die Zeit, die Akkus noch einmal komplett aufzuladen.
Manuel setzt sich zur Lichtprobe in den Sessel, in dem Shah gleich Platz nehmen soll. Er wird mit mir zusammen das Interview führen und die meisten Fragen stellen. Sein Englisch ist einfach viel besser als meins. Wenn wir den Großteil im Kasten haben, will ich Shah vor laufender Kamera ein heimlich aufgenommenes Telefonat zwischen einem früheren Chef der Varengold Bank und einem Cum-Ex-Paten vorspielen, der mittlerweile mit internationalem Haftbefehl von Interpol gesucht wird. Dessen Steckbrief hatten wir noch am Flughafen in Deutschland gesehen. In dem Telefonmitschnitt geht es um Shah und die Art, wie er sich einst die kleine Privatbank am Fischmarkt unter den Nagel riss, um darüber seine dunklen Geschäfte abzuwickeln. Wir wollen eine Stellungnahme von ihm dazu, bereiten uns aber darauf vor, dass er an dieser Stelle womöglich das Interview erzürnt abbricht.
Mitten in unseren Vorbereitungen steht plötzlich Shah vor uns. »Bist du Oliver?« Er ist noch kleiner als ich, seine Hände sind gezeichnet von Arthritis, sein Outfit ist unspektakulär: schwarzes T-Shirt, dunkle Jeans, blaue Sneakers. Ich begrüße ihn, aber er geht gleich wieder hinaus. Er werde draußen auf Björn Gercke, seinen deutschen Anwalt, warten, sagt er.
Ich schaue Manuel und Felix an. »Ich denke, von uns muss niemand mehr nervös sein. Dafür gibt es keinen Grund. Sanjay Shah, der ist wirklich nervös.«
Das Interview ist ein wichtiger Baustein für einen Panorama-Beitrag. Er soll am 21. Oktober 2021 ausgestrahlt werden, im Rahmen einer internationalen Kooperation von mehr als 20 Medien in allen fünf Kontinenten, koordiniert von der Recherche-Redaktion Correctiv. Damit setzen wir die Recherche Cum-Ex-Files von 2018 fort. Damals haben unter der Leitung von Correctiv 19 Medien in ganz Europa enthüllt, dass mit Cum-Ex und ähnlichen Steuertricks mindestens 55 Milliarden Euro aus den Staatskassen geklaut wurden.
Unsere neue Recherche wird noch ganz andere Schadenssummen enthüllen. Noch rechnen unsere Experten, aber nach ersten Zwischenergebnissen könnten es 150 Milliarden Euro in 15 Ländern sein. Die Cum-Ex-Räuber haben selbst vor so exotischen Aktienmärkten wie in Südafrika nicht halt gemacht. Auch Japan, einen der größten und schwierigsten Märkte, nahmen sie ins Visier. Genau dazu wollen wir auch Sanjay Shah befragen. Er weiß wie wenige, was sich aktuell in der Welt der Cum-Ex-Gauner abspielt. Seine Schüler haben heute das Rüstzeug, die Staatskassen weiterhin mit Steuertricks zu plündern. Der Steuerraub, so viel ahnen wir, geht auch im Jahr 2021 unvermindert weiter.
Etwas später sitzt Shah in dem nun perfekt ausgeleuchteten Sessel. Wir haben ein bisschen Small Talk hinter uns, dabei wirkte er auf mich weder empathiefrei noch knallhart oder skrupellos. Die Bühne allerdings, so schien es mir, liebt Shah tatsächlich. Die soll er bekommen, solange er will und die Akkus Strom geben. Unser Interview soll auf der ganzen Welt ausgestrahlt werden. Bereits nach seinen ersten Antworten ist uns klar: Sanjay Shah wird die Zuschauer nicht enttäuschen.
Das Handy klingelt, als die U-Bahn um die Kurve schießt. Mit ohrenbetäubendem Kreischen fährt der Zug in die Haltestelle Landungsbrücken ein. Am anderen Ende der Verbindung ist Kerstin Westermann, Sekretärin im Politik-Ressort des stern. »Ich habe einen Anrufer in der Leitung. Angeblich hat er Informationen zu einer Steuergeschichte.« Ich bin überrascht. Seit drei Jahren leite ich das Investigativ-Team des Magazins. Nur selten hat das Politik-Ressort Hinweise an uns weitergegeben. Aber Kerstin erreicht niemanden von ihren Leuten. Alle sind in der Redaktionskonferenz, Blattkritik. Ich tue mir das selten an. Kerstin weiß das.
»Ich stell’ mal durch«, sagt sie und legt auf.
Die Türen der U-Bahn springen auf. Ich bleibe auf dem Bahnsteig stehen, nenne meinen Namen und frage: »Wie kann ich helfen?«
»Sind Sie interessiert an Informationen zu einem der größten Steuerskandale der Geschichte?«
Es gibt Fragen, die eigentlich kein Nein als Antwort erlauben. Aber nach 30 Jahren als investigativer Journalist weiß ich auch: Selten bewahrheiten sich großspurige Hinweise von anonymen Anrufern. »Es kommt drauf an«, antworte ich und frage, mit wem ich es zu tun habe.
»Ich arbeite für eine Schweizer Bank. Es geht um Aktiengeschäfte, durch die dem deutschen Staat vermutlich Milliarden an Steuern entgangen sind. Und Steinbrück ist daran beteiligt!«
In zehn Tagen sind Bundestagswahlen. Finanzminister Peer Steinbrück ist Kanzlerkandidat der SPD. Die Wahl scheint entschieden. Nach neusten Umfragen liegt seine Partei bei 25 Prozent, die CDU bei 40. Hat Steinbrück etwa Steuern hinterzogen?
»Nein!«, sagt der Anrufer, »aber er hat eine Gesetzeslücke noch vergrößert, wodurch sich Jahr für Jahr namhafte und prominente Deutsche zu Unrecht Kapitalertragssteuern auszahlen lassen. Der Schaden geht in die Milliarden.«
Ich habe keine Vorstellung, worum es geht. Zudem keimt Skepsis auf, ob es sich um einen der vielen Anrufer handelt, die sich mit überzogenen Verdächtigungen bei Redaktionen melden.
»Können Sie Namen nennen?«
Der Anrufer lacht. »Damit sie in der nächsten Ausgabe des stern stehen?«
Diese Sorge ist unbegründet, mache ich ihm klar. Ohne handfeste Belege veröffentlicht kein vernünftiger Journalist eine Geschichte über mögliche Steuervergehen von Prominenten.
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Ich entscheide mich für alles oder nichts. Ich bitte den Anrufer, einen Namen zu nennen, der zeigt, dass es sich lohnt, das Telefonat fortzuführen.
Schweigen.
Dann: »Carsten Maschmeyer!«
Mit lautem Zischen schließen sich die Türen der U-Bahn. Ich trete ein paar Schritte zurück. Die U 3 fährt ohne mich los.
Maschmeyer ist Milliardär, ihm gehörte der Finanzvertrieb AWD. Seine Drückerkolonnen vermittelten hochriskante Finanzprodukte, Schiffsfonds etwa oder Schrottimmobilien. Zehntausende wurden durch Anlageempfehlungen des AWD um ihr Erspartes gebracht, verloren ihre Altersvorsorge. Maschmeyer wurde reich.
Mit seinem Vermögen kamen mächtige Freunde. Ex-Bundespräsident Christian Wulff machte während seiner Amtszeit in Maschmeyers Villa auf Mallorca Urlaub. Gerhard Schröder unterstützte der Milliardär mit der Anzeigekampagne »Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein«. Nachdem das ARD-Magazin Panorama 2010 und 2011 über seinen Aufstieg, seine Geschäftspraktiken und seine Kontakte in die Politik berichtet hatte, überzog Maschmeyer das TV-Magazin mit einstweiligen Verfügungen und ging gegen die Autoren vor. Es kam zu 18 Verfahren.
Für mich bleibt die Frage: Hat der anonyme Anrufer handfeste Beweise, dass Maschmeyer in dunkle Aktiengeschäfte verwickelt ist?
»Wenn Sie Belege sehen wollen, müssen Sie in die Schweiz kommen.« Kein Problem.
Kurze Pause. »Montag, 15 Uhr, Züricher Hauptbahnhof. Meeting Point am Ende der Bahnhofshalle, kurz bevor es zu den Bahnsteigen geht.«
Bevor ich noch weitere Fragen stellen kann, folgt der Hinweis: »Machen Sie sich schlau über Cum-Ex. Und schauen Sie sich Hanno Berger an. Dann wissen Sie, wovon ich spreche.«
Danach legt der anonyme Anrufer auf. Die nächste U-Bahn fährt ein. Ich habe noch nie von Hanno Berger gehört oder etwas von Aktiengeschäften namens Cum-Ex. Ratlos steige ich in die Bahn.
Ungläubig starrt Hanno Berger auf das Gutachten. »Das kann nicht sein!«, entfährt es dem Steueranwalt. Sein Mitarbeiter schweigt. Er hat seinen Boss um die Einschätzung einer juristischen Expertise gebeten. »Das kann nicht sein!«, wiederholt Berger und legt das Konvolut auf den Schreibtisch zurück. Auf dem Deckblatt prangt links oben ein Logo. Es zeigt den Erzengel Michael mit einem Speer vor der Brust. Daneben steht: Freshfields Bruckhaus Deringer LLP. Die Anwaltssozietät mit Hauptsitz in London ist eine Art Platzhirsch, weltweit. Ihre Wurzeln reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert. Unter dem Namen der Wirtschaftskanzlei steht »Highly confidential«, streng vertraulich. Das Gutachten der Konkurrenz ist brisant, für einen Steueranwalt wie Berger gar revolutionär.
Berger ist selbst ein Schwergewicht in der Branche. Seit zwei Jahren ist der 54-Jährige Steuerchef der Deutschland-Niederlassung von Dewey Ballantine, einer der großen Wall-Street-Kanzleien in New York. Er residiert im 32. Stock des Skyper Towers in Frankfurt am Main. Das Hochhaus hat Glasfassaden und liegt im Finanzviertel, wo hohe Mieten, aber noch viel höhere Umsätze erzielt werden.
Die Geschäfte laufen gut, und das liegt auch daran, dass Berger einen Ruf genießt wie kaum ein anderer Steueranwalt in Deutschland. Unter all den Tricksern, die hochvermögenden Mandanten dabei helfen, möglichst wenig Abgaben zu zahlen, gilt Berger geradezu als Zauberer. Zu seinen Mandanten zählt neben einer Reihe von Großkonzernen beinahe alles, was in der Republik Rang und Namen hat. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker findet sich ebenso in seiner Kundenkartei wie ein namhafter Fußballnationalspieler. Sie schätzen alle dasselbe an Berger: Er findet immer einen Weg, wie seine Kunden mehr oder weniger legal dem Fiskus Steuern vorenthalten. »Steuern sind auch nur Kosten«, predigt Berger. »Und Kosten müssen optimiert werden.«
Aber was Berger vor sich auf dem Tisch liegen hat, ist kein neues Modell zur Steueroptimierung. Es geht vielmehr um pure Alchemie! In dem umfangreichen Gutachten geben die Kollegen von Freshfields ihre rechtliche Einschätzung zu geplanten Aktiengeschäften ab. Im Branchenjargon heißen sie nur: Cum-Ex. Hinter diesem kryptischen Begriff verbirgt sich eine perfide Masche zum Gelddrucken. Die genaue Ausgestaltung der Aktiengeschäfte ist hoch komplex (siehe Anhang), aber das Grundprinzip dahinter ist simpel: Eine Steuer wird nur einmal bezahlt, jedoch mehrfach vom Finanzamt zurückgefordert.
Dazu werden Wertpapiere rund um den Dividendenstichtag, wenn Unternehmen Gewinnanteile an ihre Aktionäre ausschütten, blitzschnell hin und her geschoben, und zwar einmal mit (Cum) und einmal ohne (Ex) Dividendeanteile. Da das internationale Abwicklungssystem für Wertpapiere eher träge ist, kommt es zu einer widersinnigen Situation: Für rund 48 Stunden ist nicht klar, wer der eigentliche Eigentümer des Wertpapiers ist. Und wer sich die vom Aktienkonzern abgeführte Kapitalertragssteuer auf die Dividende vom Staat teilweise zurückholen darf. Es scheint, als gäbe es zwei oder noch mehr Besitzer der Aktie, und sowohl der ursprüngliche Eigentümer als auch der angebliche Käufern des Wertpapiers erhält von dem automatisierten System eine Steuerbescheinigung, obwohl nur einmal Steuern abgeführt wurden. Die Deals zwischen den Aktienbesitzern ergeben nach den üblichen Maßstäben keinen Sinn, weil die Händler keine Kursgewinne machen. Es geht einzig und allein darum, Steuergelder zu ergaunern. Jeder, der sich an diesem Geschäft beteiligt, wird reicher. Und der Staat wird ärmer, eins zu eins.
Berger vertieft sich erneut in das Gutachten der Konkurrenz. Er ist ein Mensch, der mit Zahlen, aber auch mit Sätzen jonglieren kann, ein Schnell- und Vielredner, nie verlegen um Worte und Argumente. Was er aber nun aufsaugt, lässt selbst ihn für kurze Zeit verstummen. Denn der Grundgedanke ist für einen Steuervermeider wie ihn schlicht genial. Aber ist das auch legal?
Berger rätselt. Normalerweise hat er kein Problem, bei seinen Steuermodellen bis an die Grenze des Erlaubten zu gehen und manchmal vielleicht auch etwas darüber hinaus. Ohne Risiko gibt es keine Rendite. Aber Cum-Ex scheint zu lukrativ, um legal zu sein. Nicht umsonst will sich der Auftraggeber des Gutachtens absichern, diesen Griff in die Staatskasse von Freshfields juristisch als unproblematisch bestätigen lassen. Freshfields ist in seinem Urteil eindeutig: Es gibt kein Gesetz, das eine mehrfache Auszahlung einer nur einmal einbezahlten Steuer verbietet.
Auftraggeber ist die Bank Macquarie aus Sydney. Die australische Investmentbank betreibt neuerdings eine Dependance in München. Sie ist berüchtigt für ihr aggressives Vorgehen am Aktienmarkt. Kein Geschäft scheint zu riskant, solange es genug Boni für die Banker abwirft. Bei Macquarie verdienen Manager ab einem gewissen Level mehrere Millionen im Jahr. In der Branche heißt die Bank deshalb die »Millionärsfabrik«.
Aber bevor Macquarie in Deutschland in das Cum-Ex-Geschäft einsteigt, möchten sich die Australier doppelt absichern und haben daher einen hochrangigen Mitarbeiter aus Bergers Steuerabteilung beauftragt, ein Zweitgutachten zu erstellen. Dieser zieht vorsichtshalber seinen Boss hinzu. Und Berger handelt. Für die Prüfung des Freshfields-Gutachtens trommelt er sein Steuerteam bei Dewey zusammen, großteils junge Kollegen, hoch talentiert und eingeschworen vom ihm selbst. Viele arbeiten schon länger bei Berger, sind gemeinsam mit ihm zu Dewey gekommen, fasziniert von seinen Ideen, seinem Einsatz und seiner Raffinesse. Für einige ist er Lehrer und leuchtendes Vorbild.
Über Wochen brütet Berger mit seinem Team über dem dargelegten Modell. Ist die Konstruktion juristisch wasserdicht? Falls ja, dann dient Cum-Ex als Geldquelle, die erst einmal nicht versiegen kann. Den Profit bringt ja der Staat, und den kann man im Grunde ewig abschöpfen. »Der Staat«, bimst Berger seinem Team ein, »geht niemals pleite.«
Keiner weiß das besser als Berger. Er hat lange genug auf der Seite des Staates gearbeitet, als Steuerprüfer für die hessische Finanzverwaltung. Am Finanzplatz Frankfurt war er für die Prüfung der Banken zuständig. In den Zentralen der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Commerzbank fürchtete man ihn. Berger war einer der Besten in seinem Fach. Er holte immer etwas mehr raus als seine Kollegen.
Berger stammt aus einer Juristen- und Beamtenfamilie. Sein Vater war Pfarrer und schickte ihn aufs altsprachliche Lessing-Gymnasium in Frankfurt. Dort lernte er Altgriechisch, es fiel ihm bald leichter als Englisch. Sein Bruder studierte Jura und wurde Richter. Auch Hanno Berger schrieb sich an der Goethe-Universität für Rechtswissenschaften ein. Ein Freund des Vaters riet ihm, sich auf Steuerrecht zu spezialisieren und erstmal in die Finanzverwaltung zu gehen. Berger folgte dem, Steuerrecht interessierte ihn. Die hessische Finanzverwaltung nahm ihn nach Zweitem Staatsexamen und Doktorarbeit – und bereute es nicht. Auf Talente stießen sie immer mal wieder in den 35 Finanzämtern, der Oberfinanzdirektion Frankfurt und dem Finanzministerium in Wiesbaden. Aber dieser junge Kollege, der auch noch einen Doktortitel führte, paarte Begabung mit Einsatzbereitschaft. Arbeitszeiten schienen Berger nicht zu interessieren. Er kniete sich rein, als habe er in einer der internationalen Großkanzleien angeheuert, die in Frankfurt Filialen betrieben und von Neuzugängen wie ihm schon aus Prinzip 60-Stunden-Wochen erwarteten. Abends und an Wochenenden besuchte er Fortbildungen und hielt dort irgendwann auch selbst Vorträge. Sein Wort hatte bald Gewicht. Und der schon in jungen Jahren wortgewaltige Berger wusste, dass die andere Seite jedes Wort von ihm auf die Goldwaage legt.
Hanno Berger stieg zügig auf und erhielt bald eine Stelle als Regierungsdirektor. Damit war er unglaublich schnell in der Besoldungsgruppe A15 angekommen. 1988 übernahm er im Finanzamt Frankfurt-Börse ein Sachgebiet, das ihn schon lange faszinierte: die Betriebsprüfung bei Banken. Unter ihm arbeiteten Dutzende Fachbeamte, befasst mit der Frage, ob die Banken korrekte Angaben gemacht hatten oder dem Staat mehr Steuern schuldeten. Ihr neuer Chef dirigierte seine Kontrolleure aber nicht nur, sondern ging ihnen selbst voran. Mehrfach die Woche besuchte er große Banken, prüfte deren Zahlen und trieb Steuern ein. Der Staat zeigte Präsenz beim Hochkapital – in der Person von Hanno Berger. Den schüchterte so schnell niemand ein. Als Speerspitze des Fiskus drang er in das Fleisch jener ein, die dem Staat möglichst viel vorenthalten wollten.
Doch bei aller Furchtlosigkeit und bei allem Sinn, den seine Aufgabe stiftete – Berger ärgerte sich in jenen Jahren auch. Die Gegner waren keineswegs schlauer als er, aber oftmals deutlich besser aufgestellt. Sie entwickelten hochkomplexe Finanzkonstruktionen, die während der Prüfungszeit kaum zu durchdringen waren. Manches musste Berger gezwungenermaßen durchgehen lassen.
»Der Beamtenrock ist kurz, aber er wärmt«, sagt Berger später über diese Zeit. Aber alsbald kommt eine der großen deutschen Banken auf ihn zu und fragt: »Berger, warum kommen Sie nicht zu uns?« Die Moral haben die Banker nicht auf ihrer Seite, aber ein paar andere gute Argumente. In dieser Szene wirbt man mit einem Jahresbonus, der allein oft schon höher liegt als die Jahresbezüge eines A15-Beamten. Dazu kommt ein Gehalt, das sich von Anfang an im mittleren sechsstelligen Bereich bewegt. Berger lassen diese Offerten nicht kalt. Jedenfalls kann er sie noch Jahre später runterrattern: Umgerechnet 280 000 Euro mit einem Dienstwagen der Luxusklasse bietet ihm eine große deutsche Bank. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft will ihm sogar ein Jahresgehalt von 340 000 Euro zahlen.
Die hessische Finanzverwaltung hat da keine Chance: Sie verliert ihren Spitzenbeamten. Ende der 90er Jahre fängt Berger bei der New Yorker Großkanzlei Shearman & Sterling an, für die der legendäre Anwalt Georg F. Thoma die Größen der deutschen Industrie bei Zusammenschlüssen, Übernahmen und Verkäufen berät. Berger soll bei den Milliardendeals die Steuern drücken, sie möglichst sogar steuerfrei gestalten. Zu seinen Kunden gehören Großkonzerne wie etwa der Chemieriese Bayer oder das Pharmaunternehmen Aventis, das alsbald mit Sanofi fusioniert.
Im Job will Berger immer der Beste sein. Und er weiß die Menschen für sich einzunehmen – indem er ihnen Geld spart. Mit seiner Wortgewalt und Sachkenntnis vermag er nicht nur die Gier seiner Kunden zu wecken, sondern auch die seiner Kollegen. Bei einer Partnersitzung der Deutschland-Niederlassung von Shearman & Sterling prahlt er: »Ich kann euch alle so gut wie steuerfrei stellen!« Viele seiner Anwaltskollegen verdienen im Jahr zwischen 800 000 und 1,2 Million Euro. Berger verzückt sie mit dem Vorschlag, ihren Steuersatz von 50 auf gerade mal fünf Prozent zu drücken. Und der Ex-Beamte liefert tatsächlich. Ernst & Young, die Wirtschaftsprüfer von Shearman, werden eingeschaltet. Berger erklärt ihnen sein Konzept der »garantierten Zahlungen«. Das Prinzip: Die Gehälter der Partner werden als garantierte Zahlungen der US-Muttergesellschaft ausgewiesen. Damit fallen sie unter den US-amerikanischen Steuersatz – und fließen durch das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den USA und Deutschland weitgehend abgabefrei auf die Konten der Empfänger. Es dauert Jahre, bis der Gesetzgeber die Lücke schließt. So lange funktioniert Bergers Trick.
Als Betriebsprüfer ist Berger eineinhalb Jahrzehnte lang Steuervermeidern auf die Pelle gerückt, hat sie manchmal bis in das letzte Schlupfloch verfolgt, nun sucht er selbst für seine Mandanten nach solchen Löchern. Sein Spielfeld sind Gesetzestexte, das Spielgerät ihre Paragrafen, manchmal gar einzelne Worte. Ist an irgendeiner Stelle im Paragrafendschungel etwas lax oder zumindest nicht ganz eindeutig formuliert, beißt Berger sich fest. Skrupel kennt der frühere Steuerprüfer und Pfarrersohn nicht: »Steuerrecht ist Eingriffsrecht, es ist der Staat, der dem Bürger etwas wegnimmt. Die Steuern stehen nicht dem Staat a priori zu, sondern sind erst mal das Geld des Bürgers. Weshalb Steuersparen das Recht eines jeden Steuerpflichtigen ist. Ein Unternehmer muss geradezu Steuern sparen; nutzt er die Möglichkeit nicht, ist das eine Untreue gegenüber den Aktionären.«
Es ist ein permanenter Wettlauf mit dem Gesetzgeber. Und die Suche nach steuerlichen Auswegen im Gewirr der Paragrafen ist für Berger wie eine Sucht. Dabei agiert er nicht als genialer Individualist. Von der Konkurrenz wirbt er findige Steueranwälte ab. Sein Team bei Dewey Ballantine heißt intern nur »Think Tank«, eine Ansammlung von gutbezahlten Experten. Und die Neuen bringen »heiße Ware« mit, etwa Steuergutachten von KPMG und anderen Prüfungsgesellschaften. So legendär Bergers Ruf als kreativer Steuer-Guru ist, so simpel sind teilweise die Methoden seiner »Denkfabrik«. Sie klaut die Ideen der Konkurrenz, verfeinert sie und bringt sie mit dem Label »Hanno Berger« auf den Markt.
Seine Leute pflegen zudem Kontakte ins Finanzministerium, ins Bundeszentralamt für Steuern und in die Finanzverwaltungen der Länder. Sie antizipieren neue Gesetze, und manchmal gelingt es ihnen durch gezielte Publikationen in Fachzeitschriften oder durch Lobbyisten, den endgültigen Text noch zu beeinflussen. Erfährt jemand aus Bergers Think Tank von dem Plan einer Gesetzesänderung, dann schwärmen alle zur Recherche aus, beschaffen Informationen zum Inhalt und zu Gerichtsurteilen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Anschließend wird diskutiert, tagelang und manchmal bis spät in die Nacht.
Berger bläut seinen Kollegen ein: Alles, was legal erscheint, ist auch legitim. Natürlich verstehen sie in seinem Team, dass es um ein Gemeinwesen schlecht bestellt ist, wenn alle Akteure ihr Handeln an dieser Maxime ausrichten. Aber solche Gedanken lassen sich auch wieder vertreiben. Berger ist dabei behilflich, etwa wenn er sein Verständnis von »Moral und Recht« ausbreitet. »Zwei unterschiedliche Dinge« seien das, sagt er und fügt auch gleich hinzu, dass Recht und Gerechtigkeit nun einmal »nicht das Gleiche« seien. Schließlich seien sie hochbezahlte Steueranwälte, engagiert von Großkonzernen und Superreichen. Um die sozialen Folgen ihrer hochkomplexen Tätigkeit sollen sich andere kümmern. Der Chef redet dabei nicht um den heißen Brei herum. »Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch.«
Es ist ein Schnüffeln und Tüfteln im Auftrag der ganz Großen, und im Erfolgsfall ist die Konsequenz dieser Arbeit, dass der Staat von den Konzernen Millionen und Abermillionen weniger erhält. Berger spürt höchste Befriedigung bei seiner neuen Aufgabe. Er ordnet ihr beinahe alles unter. Morgens um sieben verlässt er das Haus, mindestens drei Tage in der Woche ist er in der Welt unterwegs. Am Wochenende kehrt er spät abends zurück, vom Frankfurter Airport rast er mit dem Porsche in das 80 Kilometer entfernte Schlüchtern-Elm. Dort lebt er auf dem mütterlichen Hof, gemeinsam mit Frau, Tochter und seiner Mutter. Er hat sich das Anwesen luxuriös umbauen lassen. Kaum betritt er das Haus, sorgt das Smart-Home-System Creston dafür, dass klassische Musik ertönt und sich die Raumtemperatur angepasst.
Hier entspannt er dann von seinem Kampf um Steuermillionen, den er sich mit dem Staat liefert – und der ihn »intellektuell herausfordert« und erfüllt, wie er bekennt. »Wenn Sie erfolgreich sind«, erklärt er seinen Mitarbeitern, »sind Sie nicht müde. Sie sind nur müde, wenn Sie Arbeit machen, die Sie nicht weiterbringt, die destruktiv ist.« Berger arbeitet 18, manchmal sogar 20 Stunden am Tag, anfangs sieben Tage die Woche.
Innerhalb weniger Jahre steigt Berger zum gefragtesten Steueranwalt Deutschlands auf. Aus der Kanzlei Shearman & Sterling drängt ihn Georg F. Thoma jedoch bald heraus, weil Berger ihm suspekt wird. Kein Problem! Berger wechselt 2004 zu der US-Sozietät Dewey Ballentine, gegründet 1911. Verträge bekommen angehende Partner dort mit zwei Sätzen vorgelegt: »Don’t read, just sign«, nicht lesen, einfach unterschreiben. Das Vertragswerk wurde seit der Gründung nicht geändert. Jeder neue Partner muss 180 000 US-Dollar als Einlage zahlen. Zum Ritual der Vertragsunterzeichnung gehört ein Glas Sherry, Jahrgang 1911, dem Jahr der Kanzleigründung.
Berger baut für Dewey in Frankfurt das Büro auf. Er nimmt seinen Think Tank von Shearman & Sterling mit, wirbt weitere Staranwälte von der Konkurrenz ab. Bald verfügt er über eine noch schlagkräftigere Truppe als zuvor. Banken und Reiche halten die Türen weit geöffnet, um zu hören, welche neuen Ideen Hanno Berger anzubieten hat. Und tatsächlich liefern Berger und sein Team immer gewagtere Konstruktionen. Der Chef wird dabei zur Marke. Man lässt sich »vom Berger« beraten, ganz gleich für welche Kanzlei er arbeitet.
Es ist das Deutschland vor der Finanzkrise, der Kapitalismus wird in diesen Jahren nicht groß hinterfragt. Wachstum gilt als Selbstzweck. Wer Steuern vermeidet, handelt eher pfiffig als anrüchig. In Frankfurt haben sich viele Player angesiedelt, die ansonsten in New York oder London agieren. Auch in Deutschlands Finanzmetropole ist gutes Geld zu verdienen.
Wer als Bank Berger an Bord hat, kann seinen Mandanten interessante Finanzprodukte anbieten, auf die reiche und bekannte Menschen wie Sportstars und Politiker gern setzen. Und eine bessere Referenz als den langjährigen und gemeinhin geschätzten CDU-Politiker Richard von Weizäcker kann man sich für ein steuervermeidendes Konstrukt kaum denken. Die Prominenz seiner Mandanten weiß Berger bei der Akquise neuer Kunden zu nutzen.
Sein großes Erfolgsmodell wird ein spezieller Fonds, eine Bond-GbR-Struktur. Mit ihrer Hilfe werden steuerlich relevante Verluste generiert, so dass die Einkommenssteuer auf nahezu Null geschraubt werden kann. Berger rechnet seine Kunden arm, damit sie auf Kosten des Fiskus noch reicher werden. Am Ende kann der Gesetzgeber dieses Modell nur durch eine Gesetzesänderung stoppen. Berger weiß aber auch diesen Umstand noch für sich zu nutzen und deklariert die Gesetzesänderung kurzerhand zum Gütesiegel seiner Arbeit. In der Fachwelt spricht man nun von der »Lex Berger«.
In seinem Büro im 32. Stock des Skyper Towers reichen die Fenster von der Decke bis zum Boden, so kann Berger sehen, was ihm zu Füßen liegt. Da ruht der Frankfurter Hauptbahnhof, ein mächtiges Gebäude, von hier kaum mehr als ein gewelltes Dach. Der Main fließt gemächlich unter den Brücken hindurch. Schaut er steil hinab, stehen manchmal Menschen an den Ampeln, klein wie Ameisen. Diese räumliche Entrücktheit überträgt sich auf sein Handeln.
Im August 2005 verfasst Berger das Zweitgutachten für die australische Bank Macquarie. Mit seinem Think Tank hat er das Cum-Ex-Modell durchdrungen und schätzt die Sache schließlich genau wie die Konkurrenz ein: Eine einmal entrichtete Steuer auf diese Weise mehrfach wieder ausbezahlen zu lassen, ist seiner Ansicht nach nicht illegal. Es gibt kein Gesetz, das dies untersagt. Und was nicht explizit verboten ist, so Bergers Credo, ist erlaubt.
Aber damit ist für ihn der Fall keinesfalls erledigt. Bei solch lukrativen Geschäften will Berger nicht nur juristische Bewertungen abgeben. Er will selbst mitmischen. Berger geht auf Banken zu und bietet ihnen sein neues Projekt an. So, wie er es gewohnt ist, hören sie aufmerksam zu. Zuerst wird er bei der Dresdner und der DZ Bank vorstellig. Doch zu seiner Überraschung winken beide ab. In London klappert er die großen Investmentbanken ab, JP Morgan, Morgan Stanley, Goldmann Sachs und Credit Suisse. Auch sie lassen ihn abblitzen.
Berger bemerkt, dass er auf ein Spielfeld drängt, das etliche Banken längst betreten haben. Es gibt für sie keine Notwendigkeit, dabei mit Berger zusammenzuarbeiten. Die nötigen Gutachten für die juristische Absicherung der Aktiendeals holen sich die Banken bei den Steuerexperten anderer Großkanzleien wie eben Freshfields oder Clifford Chance mit ihren 3000 Rechtsberatern weltweit oder Linklaters mit 30 Büros in 20 Ländern. Spätestens seit Anfang der 2000er Jahre plündern Banken auch in Deutschland die Steuerkasse. Aktien rund um den Dividendenstichtag blitzschnell im Kreis zu handeln, das beherrschen nicht nur private Geldhäuser. Selbst Landesbanken wie die WestLB in Düsseldorf oder die HSH Nordbank tummeln sich auf diesem Feld – und machen, völlig absurd, als Banken im Besitz des Staates Millionengewinne auf Kosten des Staates.
Berger ärgert sich, dass man ihn nicht aufs Spielfeld lässt, aber er ist niemand, der schnell aufgibt. Er überlegt. Was kann er anbieten, wenn es bei den Banken keinen Beratungsbedarf gibt? Er verfügt noch über ein anderes Pfund: seine Kontakte zu Investoren. In den zehn Jahren, die er nun auf der Seite des Kapitals arbeitet, hat er etliche Superreiche kennengelernt. Unter ihnen sind Menschen, die unfassbar viel besitzen, daraus aber gern noch mehr machen möchten. Diese Leute sind für Banken interessant. Mit ihnen lässt sich perspektivisch auch in anderen Bereichen noch Geld verdienen. Sie sind der Schlüssel, um in das Geschäft hineinzukommen, mit ihnen lässt sich das Spielfeld vergrößern. Er braucht jetzt ein paar Hochvermögende, die bereit sind, kurzentschlossen einige Millionen Euro einzusetzen.
In Berlin will Hanno Berger beginnen. Dort lebt ein Mann, den er aufsuchen wird. Der Herr ist Anfang 70 und könnte bereit sein, Berger zu vertrauen. Genug Geld hat er auch. Das manager magazin schätzt sein Vermögen im Oktober 2005 auf eine Milliarde Euro. Sein Name: Rafael Roth.