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Mit Beiträgen von

Sylvie le Bonheur • Kai Bosch
Jan Cönig • Einfach So
Andrea Maria Fahrenkampf • Hank M. Flemming
Maron Fuchs • GAX Axel Gundlach
Lena Hofhansl • Patrick Höll
Richard König • Tonia Krupinski
Malte Küppers • Ivica Mijajlovic
Philipp Multhaupt • Elias Raatz
Christian Rehn • Luis Schulz
Marina Sigl • Philipp Stroh
Marvin Suckut • Julia Szymik
Anna Teufel • Stefan Unser
Daniel Wagner • Oliver Walter
Joachim Weiß • Artem Zolotarov

Herausgegeben von

Elias Raatz

Der 1997 geborene Veranstalter, Moderator, Autor und Slam Poet Elias Raatz ist Gastgeber verschiede­ner Kleinkunstveranstaltungen. Im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe Dichterwettstreit deluxe entstand dieses Buch, bestehend aus unterschiedlichen Texten der erfolgreichsten, bei seinen Veranstaltungen aufgetretenen, Poetinnen und Poeten.

Elias Raatz (Hrsg.)

Textsorbet

Die Dichterwettstreit deluxe
Anthologie

Logo

2., überarbeitete Auflage 2020
© 2019 Dichterwettstreit deluxe | 78054 Villingen-Schwenningen
www.dichterwettstreit-deluxe.de

Umschlaggestaltung: T-Sign Werbeagentur

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

ISBN Taschenbuch: 978-3-9820358-0-2
ISBN E-Book: 978-3-9820358-2-6



„Jeder Tag, an dem du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag.“

Charlie Chaplin

Inhalt

Vorwort:
Uber den Titel und weitere Gedanken
Elias Raatz

Wie es dazu kam, dass Elias Raatz seinen ersten Sohn nach mir benannte
Hank M. Elemming

Nichts Neues
Artem Zolotarov

Die Arbeit in Zeiten der Selbstverwirklichung
Lena Hofhansl

Kinderwunsch
Malte Küppers

Am Ende ist alles gut
Marina Sigl

Der Tag, an dem die Welt unterging
Ivica Mijajlovic

Dein Feind, der Baum
Sylvie le Bonheur

Meine kleine Depression
Patrick Höll

Kranke Welt
Tonia Krupinski

Volker, hör die Signale!
Oliver Walter

Neujahrsvorsätze
Kai Bosch

Rainer & Klaus
Philipp Stroh

Wanderer
GAX Axel Gundlach

Der Reisbrei kann nix dafür
Stefan Unser

Zwei Würfel
Anna Teufel

Zu viele Köche
Richard König

Tabea
Marvin Suckut

Zukunft. Glück. Karriere.
Elias Raatz

Das Land der wilden Worte
Einfach so

Des Freundins neue Kleider
Luis Schulz

Liste wahlloser Erinnerungen
Philipp Multhaupt

Baustellenabgrundplanken
Julia Szymik

Eine Geschichte
Daniel Wagner

Oh Lucy
Andrea Maria Fahrenkampf

Fernbedienung fürs Leben
Maron Fuchs

Ich-auch-Gedicht
Christian Rehn

Heldenreise. Oder von einem, der auszog, um Spaghetti zu kochen
Joachim Weiß

Liebesbrief
Jan Cönig

Nachwort:
Über helfende Menschen und Menschinnen
Elias Raatz

Vorwort:
Über den Titel und weitere Gedanken

Von Elias Raatz

Textsorbet. Ein Buchtitel, der erstmal nichts aussagt, aber doch für viele verschiedene Dinge und Inhalte dieses Buches steht. Entstanden ist die Idee des doch eher absonderlichen Titels auf einem lan­gen Weg, der kein leichter war und zudem steinig und schwer, wie es vielleicht aluhuttragende Reichs­spinner sagen würden.

Ich möchte diese einleitenden Worte nutzen, um von der Unzurechnungsfähigkeit des Kleinhirns zu berichten, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass meinen Mitstreitern und mir anfangs wirklich nichts Sinnvolles einfiel, um dieses Buch mit einem glanzvoll-euphorisch-fesselnden Namen in die weite Welt hinauszulassen. Begeben wir uns also auf eine gemeinsame Reise zu den kreativen Ergüssen, die abschließend in dem heutigen Titel endeten…

Die lange Liste der Titelvorschläge nach mehre­ren Zyklen der Überlegungen war zum einen noch ohne den heutigen Titel „Textsorbet“ und zum an­deren eine große Lüge. Es sei nämlich erwähnt, dass „lange Liste“ wohl ein wenig überspitzt war, schließlich waren jegliche Vorschläge im Vorfeld entweder schon vergeben oder vom Intelligenzkol­lektiv meiner engsten Vertrauten abgelehnt worden.

Es waren meiner Meinung nach auch eher we­niger respektable Titelideen mit an Bord des von der Erfolgsskala des Hamburger SV geprägten Kreativi­tätsdampfers.

Anfangs faszinierte mich und meine Mitstreiter die Idee „Kunstphrasen“ – mein persönlicher Wortspiel-Fetisch ist schließlich regional bekannt und in Gesprächen mit mir aufgrund eines sofortigen Niveauabfalls der Konversation ebenso verhasst. Grundsätzlich möchte ich neben meiner Schwäche für Wortspiele festhalten, dass ich eigentlich gut Mitmenschen umgehen kann.

So, haben Sie´s verstanden: „Mitmenschen umgehen“ und „mit Menschen umgehen“? Ha!

Bevor Sie aber dieses Buch nach der voran­gegangenen geistigen Sprachvergewaltigungshölle wieder zuschlagen, möchte ich Ihnen garantieren, dass es auf den folgenden Seiten besser wird! Wenn schließlich die Erwartungen von Anfang an nied­rig gesetzt sind, kann es ja nur noch bergauf gehen. Wobei das auch nicht ganz stimmt, wie an der SPD derzeit exemplarisch zu sehen ist.

Zurück zum Thema: Der „Kunstphrasen“ wur­de natürlich nicht nur von diesem Vorschlag „be­spielt“, sondern unter anderem auch kurzzeitig vom Titel „Poetry Spam – die Anthologie“. Dies wurde allerdings recht schnell verworfen, schließlich ist nichts an diesem Buch „Spam“ und möchte – trotz des tollen Wortspiels – eben nicht mit einem Exemplar der BILD-Zeitung gleichgesetzt werden.

Wer nun dachte, nach diesen beiden bereits vor­gestellten Prachtexemplaren der schöpferisch-er­findungsreichen Geistigkeit meiner Mitstreiter und mir, bessere Titel-Erleuchtungen vorgestellt zu be­kommen, irrt! Mit kaffeeverseuchten Köpfen sind uns beim Brainstormen weitere hochkarätige Ideen wie „This is Poetry!“, „Texte schlamen“ oder „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und die­ses Buch kaufte“ eingefallen.

Dennoch waren wir anfangs froh, als uns neue Einfälle kamen, doch wurden eigentlich nur sowieso schon schlechte Ideen einfach durch etwas noch Schlechteres ersetzt, was mich ein wenig an das neue Parteiprogramm der AfD erinnert…

Ich meine, mit „This is Poetry!“ eine komplett sinnfreie Anspielung auf diesen eingeölte Männer mit aufgemalten Bauchmuskeln thematisierenden Film heraufzubeschwören ist doch genauso sinnfrei wie das Wortspiel zwischen „slammen“ und „schlemmen“ – wobei mich der Gedanke daran anfangs durchaus ein wenig erregte.

Grundsätzlich wird das alles nur durch diese höchste Kunst der Satire übertroffen, einfach einen bisher erfolgreichen Titel zu nehmen, ein wenig umzuändern und dann zu hoffen, dass das Buch deswegen gekauft wird. Ein wenig also wie beim Filmstudio „The Asylum“, das durch grandiose Pro­duktionen wie „Transmorphers“, „30.000 Meilen unter dem Meer“ oder ganz dreist „Thor – der All­mächtige“ die Massen begeistert.

Bis heute bin ich übrigens der festen Überzeugung, diese Ideen stammen allesamt von meinen Mitstreitern, doch es wird vehement geleugnet, Teil dieser perfiden Kreativitätsausdünstungen gewesen zu sein. Meine deutlich erkennbare Handschrift auf einschlägigen Vorschlägen spricht bei nachträglicher Prüfung allerdings gegen mich. Da scheine ich etwas verdrängt zu haben, für das ich mich wohl im Nachhinein ein wenig geschämt habe. Schon Freud hat in seinen Forschungen der Psychoanalyse erkannt, dass die Verdrängung ein ganz natürlicher Abwehrmechanismus ist, der dem Menschen das seelische Überleben garantiert, indem er tabuisierte und traumatische Geschehnisse vom Bewusstsein fernhält – womit dann auch der Bildungsauftrag dieses Buches erfüllt wäre!

Das mit dem Verdrängen stimmt: Mit dem Wis­sen, dass diese Ideen doch aus mir herausgekrochen sein könnten, wäre zumindest der Künstler in mir mit sofortiger Wirkung gestorben. Nicht nur das, er hätte sich wahrscheinlich während dem Fallen nach dem Sprung vom Burj Khalifa auf einen von mit Gift beschmierten Nadeln übersäten Boden noch die Pulsadern aufgeschnitten.

Doch wie in jedem Film mit Hugh Grant am Ende der Protagonist noch die Liebe seines Lebens findet, haben wir für dieses Buch den passenden, den perfekten Namen gefunden: Textsorbet.

Dieser Name ist nicht nur ein Titel, er ist zu­gleich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er ist Melancholie und Manie. Er ist lustig, ein wenig lyrisch und regt zum Nachdenken an. Er ist ein Sinnbild für süß und fruchtig, gepaart mit ganz viel Text. Er ist Liebe, Hass, Hassliebe und Tinder. Er ist Zuversicht und Verzweiflung.

Der Titel Textsorbet ist quasi der Inbegriff des­sen, was Sie in diesem Buch erwartet: Eine Samm­lung der besten Texte von wundervollen Poetinnen und Poeten, wobei ich die große Ehre hatte, diese zusammenzutragen und zu veröffentlichen.

Genießen Sie dieses Textsorbet, lassen Sie es sich auf der Zunge zergehen, lächeln Sie, runzeln Sie die Stirn und weinen vielleicht sogar die ein oder andere Träne.

Für Ihre Reise durch diese 28 verschiedenen, jeweils einzigartigen Texte wünsche ich Ihnen viel Spaß, gute Unterhaltung und niemals müde Augen.

Ihr Elias Raatz

Hank M. Flemming

flemming

Hank M. Flemming stieg von den kalten Höhen des Erzgebirges, um im beschaulichen Tübingen Hochdeutsch zu lernen. Seitdem ist er einer der um­triebigsten und vielseitigsten Poeten im Südwesten. Nebenbei arbeitet der promovierte Diplompsycho­loge als Wissenschaftler und Dozent.

Er ist Organisator des Poetry Slam Tübingen und sächsischer Landesmeister im Poetry Slam 2019, nachdem er sich 2018 die Vizemeisterschaft sicherte. Hank. M. Flemming ist Träger des Litera­turförderpreises des Kulturraums Erzgebirge.

Mehr unter: www.hankmflemming.de

Wie es dazu kam, dass Elias Raatz
seinen ersten Sohn nach mir benannte

Von Hank M. Flemming

Als der Radiowecker angeht und sich die hochgepitschte, glattpolierte und totkomprimier­te Gröhlstimme der räudigen Koksnutte Rihanna wie ein rostiges Sägeblatt in meinen vereiterten Ge­hörgang fräst, wird mir bewusst: Heute habe ich so richtig schlechte Laune. So eine „alles ist sinnlos, ich scheiße auf mein Leben und werde Fan vom VfB“-Laune.

Langsam krieche ich aus dem Bett, robbe in die Küche und brühe mir einen Kaffee auf. Er schmeckt zum Kotzen, wie ein Aufguss vom Aschenbecher. Normalerweise jedenfalls. Heute ist er gar nicht mal so schlecht, wie ich dann feststellen muss – fast so­gar richtig lecker. Das ärgert mich, weil ein gelunge­ner Kaffee ums Verrecken nicht zu meiner schlech­ten Laune passt.

Ich schalte das Radio an. Frieden im Nahen Osten: Juden, Christen und Muslime tanzen Re­genbogenflaggen schwenkend zusammen durch die Altstadt von Jerusalem; Vladimir Putin persönlich eröffnet in Moskau eine Gay-Pride-Parade, nackt auf einem rosa Einhorn reitend; Großbritannien ist raus aus der EU und tritt dem Auenland bei und die Queen wurde ausgestopft und vollverschleiert. Recep Erdogan ist zurückgetreten, um ein bisschen zu entschleunigen und sich nun ganz der Ziegenzucht zu widmen, während die USA ihre eigene Auflö­sung bekannt geben, weil Donald Trump irgendwo den falschen Knopf gedrückt hat. Sämtliche Atom­raketen dieser Welt werden zusammen mit Xavier Naidoo, Mario Barth und Jens Spahn zu einem neu entdeckten Kleinplaneten am Rande des Sonnen­systems geschossen, wo sie in sicherer Entfernung kontrolliert detonieren.

„Scheiße“, denke ich, „dieser verdammte Frie­den! Der gefährdet Arbeitsplätze in der Rüstungs­industrie und das ist schlecht für die Wirtschaft. Dann haben wir wieder Krise, Krise, Krise. Bloß, weil sich jetzt alle an den Händen fassen und Blu­men pflücken anstatt anständig zu kämpfen. Mal ganz abgesehen davon macht diese ganze Hippie­scheiße meine schlechte Laune kaputt!“

Der Nachrichtensprecher fährt währenddessen ungerührt fort: „Cannabis weltweit legalisiert, Erz­gebirge Aue gewinnt den DFB-Pokal und die Mu­sikkapelle Revolverheld kommt bei einem Unfall mit dem Tourbus auf grausame Art ums Leben.“

„Was soll der Scheiß?“, brülle ich mein Radio an, „ich habe schlechte Laune und will mich gefäl­ligst aufregen!“

Aber der Nachrichtensprecher macht immer noch weiter und verkündet voller Wonne, dass es heute mal keinen Stau auf der A8 gebe, sowohl der Berliner Flughafen als auch Stuttgart 21 am Wochenende feierlich eröffnet werden würden und dass das Wetter die nächsten drei Monate fantas­tisch werden solle. Dann spielen sie Happy.

Angewidert kippe ich den Rest meines Kaffees hinunter und verlasse die Wohnung. Im Treppen­haus begegne ich der biodinkel-vollkorn-verstärk­ten, leibhaftigen Verkörperung des Schwabentums: Meinem Vermieter.

„Gude Neuigkeite“, sagt er, „Sie bekommet etzetle eine richtige Heizung, wegen Naturschutzauf­lagen, damit die armen Ratten nimmer erfriere! Die Miete werde ich Ihnen natürlich trotzdem net er­höhen, sondern senken, weil mir klar geworden ist, dass ich Sie seit Jahren schamlos abgezockt habe.“

Er versucht, mich mit Geldscheinen zu bewer­fen, aber ich moonwalke elegant an ihm vorbei raus auf die Straße, wo ich bemerke, dass mein Telefon klingelt.

Oh. Opa ist tot. Ich erbe ein ganzes Zimmer mit Möbeln und Wandverkleidungen komplett aus Bernstein, welches er vor 70 Jahren im Urlaub gefunden hat. Ach Opa, ein echter Sachse – können nüschd wegschmeißen…

Bevor ich das Telefon zurück in die Hosentasche stecken kann, damit die elektromagnetische Strah­lung weiter meine Spermien abkocht, ruft die Ex­freundin an. Sie will mich immer noch nicht zurück, aber sie verspricht hoch und heilig, endlich damit aufzuhören, mir mit Menstruationsblut geschrie­bene Briefe zu schicken oder mitten in der Nacht schwedische Übersetzungen meiner eigenen Texte auf die Mailbox zu rülpsen. Dann ruft sie ganz laut „PENIS“, weil sie weiß, dass es immer irgendeinen hängengebliebenen Penner im Publikum gibt, der sowas bei einem Poetry Slam lustig findet.

Ich hingegen könnte kotzen. Diese verdammte Scheißwelt lässt mich einfach nicht in Ruhe schlech­te Laune haben. Naja, denke ich, heute Abend beim Poetry Slam, da wird diese verdammte Glückssträh­ne garantiert das Gleiche tun wie das Gummi mei­ner Eltern vor 31 Jahren.

Dummerweise habe ich kurz vorher noch die ultimative Erleuchtung und schreibe spontan und ohne auch nur ein Wort durchzustreichen den per­fektesten Text aller Zeiten, trage ihn vor wie ein sehr, sehr kleiner Johann Wolfgang von Goethe auf Crystal Meth und kann mich hinterher vor Auto­grammwünschen, Groupies und Verlagsangeboten nicht mehr retten.

Der Veranstalter Elias Raatz klopft mir auf die Schulter und fragt, ob er in Zukunft mit meinem Gesicht auf Plakaten für seine Veranstaltungen werben, einen Text von mir in seiner Poetry Slam Anthologie abdrucken und seinen ersten Sohn nach mir benennen dürfe.

Ich aber schlage ihn mit dem Mikrofonständer nieder, brülle, dass er mir gefälligst meine schlechte Laune lassen solle, beleidige noch ein bisschen das Publikum, weil die alle sowieso keinen Geschmack haben, ziehe meine Hose wieder an und gehe nach Hause. Dort wache ich erleichtert auf…

Es war alles nur ein böser Traum! In Wirklich­keit ist alles wie immer. Und gerade deshalb ist es vielleicht keine schlechte Idee, an eine bessere Welt zu erinnern. Denn:

Der IS, Kim Jong-un,
Donald Trump, die CSU,
Lord Voldemort und Sauron,
Darth Vader, Höcke, Gauland,
können uns nur so lange betören,
wie wir ihnen zuhören.
Wenn wir nicht mehr niederknien jeden Abend
vor denen, die nix zu bieten haben
außer Dummheit und Kommerz,
außer Stumpfsinn, Hetze, Schmerz,
wenn wir die Spinner, die nur hassen,
schlicht ins Leere quatschen lassen…

…dann,
…ja dann,
…hätte ich bald nix mehr,
worüber ich mich aufregen kann.

Artem Zolotarov

zolotarov

Artem Zolotarov wurde am 04.02.1989 in Do­nezk geboren und wuchs in der Ukraine auf. Der 1998 nach Deutschland ausgewanderte Bühnenpoet studierte von 2012 bis 2017 Europäische Literatur und Germanistik an der Universität Mainz.

Bereits seit 2010 ist Artem Zolotarov schrift­stellerisch tätig und absolvierte weit über 500 Auf­tritte im deutschsprachigen Raum. Er war künstle­risch für das Goethe Institut in Metz und Paris tätig, wurde 2015 Rheinland-Pfalz Poetry Slam Landes­meister und ist Träger des 2016 Master of Slam Ti­tels mit Stipendium des Literaturhauses Rostock. 2018 gewann er die Tuttlinger Krähe.

Mehr unter: www.artemzolotarov.com

Nichts Neues

Von Artem Zolotarov

Ich schaue kaum noch aus dem Fenster,
dort gibt es eh nichts Neues mehr.
Die Schatten brauner Gespenster
erstarken im gehetzten Meer
aus Ignoranz, mit Angst als Waffe,
gerichtet gegen Menschlichkeit,
denn wir sind leider zu viel Affe
und die Banane ist nicht weit.
Wird schnell gefressen, ist doch lecker,
und sättigt rasch die arge Not.
Wir streiten nicht über Geschmäcker,
wir fressen aus dem Angebot.

Was hat sich denn bitte verändert;
Geschichte, die sich zyklisch dreht?
Wir haben alles durchgegendert
und zu den Akten abgelegt.
Wer dirigiert die Meinungsmassen,
von links, von rechts und aus dem Krieg?
Im Egowahn den Hass verfassen,
weil´s scheinbar keine Grenzen gibt.

Der Krieg mit sich ist meist am schwersten
und viele geben kampflos auf.
Verschanzen sich bis Bunker bersten,
verharren im gehetzten Lauf.
Von Pflicht, Vergnügen, Pflicht und Schulden:
In Emotion und Kontostand.

Die Existenz hängt an den Börsen,
dort kauft man Leben, Öl und Land.
Benzinpreis fällt ins Bodenlose,
wir fracken uns um den Verstand.
An jeder leeren Coladose
hängt Leben, Öl und eine Hand,
die jeden Tag an Hunger leidet
und diese Masse wächst geschwind.
Was uns von ihnen unterscheidet?
Der Zufall, der das Land bestimmt,
in dem ein Kind der Welt begegnet.

Indem es lernt und wiederholt,
was ihm der große Mann entgegnet,
der wiederum sein Wissen holt
aus Tradition, Kultur und Sitte.
Gerade haben wir das Glück
und es soll keiner ändern, bitte.
Hier gibt´s kein Vor und kein Zurück,
der Status quo soll einfach bleiben.
Wir merkeln uns schon sicher durch,
aber wenn Merkel was entscheidet,
da bricht sie aus, die große Furcht.

Und Affen zittern um Bananen,
ob morgen eine höher hängt?
Der Primat fängt an zu ahnen,
Gerücht und Vorurteil vermengt.
Dazu ein wenig überreife,
schon etwas braune Früchtepracht.
Alternativen, leicht zu greifen:
Mit faulen Sprüchen an die Macht.
Aber Geschichte geht in Zyklen,
die Fakten füllen Akten schwer.
Dort stehen auch die ganzen Mythen,
mit denen damals Albert Speer
und Co. gerüstet haben sollen.

Aber wer weiß das so genau,
was die uns da erzählen wollen?
Verrückt, wer denen alles glaubt:
Die Lügenpresse druckt die Bücher,
gegendert ja und schlimmer noch;
da binden uns bald ihre Tücher
Muslimas gleich um unsren Kopf.

Das lernen unsre armen Kinder in der Schule,
werden da verdummt.
Sie folgen diesen Judenschindern
vor denen unser Volk verstummt.
Aber wir nicht, wir wählen Führer,
die noch dem Deutschen dienlich sind.
Mit uns bleibt alles so wie früher,
wir sind zur Übermacht bestimmt.
Die werden es noch bitter büßen,
an unsren Frauen U-A-A-A.
Wir werden sie mit Waffen grüßen,
an Grenzen schießen U-A-A-A.

Ich schaue kaum noch aus dem Fenster,
dort gibt es eh nichts Neues mehr.
Die Schatten brauner Gespenster
erstarken im gehetzten Meer
aus Ignoranz, mit Angst als Waffe,
gerichtet gegen Menschlichkeit,
denn wir sind leider zu viel Affe
und die Banane hängt nicht weit.

Wie Goethe sagt:
Moderner Krieg, solang er dauert,
macht viele unglücklich. Und dann
niemanden glücklich, wenn er endet.
Was man daraus erkennen kann?
Wohl viel und nichts: Es sind nur Zeilen,
die heute wohl kaum einer liest,
weil sie in alten Schränken weilen,
die uns der Alltagswahn verschließt.

In Zeiten, wenn man keine Zeit mehr
dafür hat, sich zu besinn´n,
ist es kein Wunder, dass wir treiben
im Meinungsmeer, vom Strom bestimmt,
der Ignoranz, mit Angst als Waffen,
gerichtet gegen uns ertränkt.
Kein Ufer scheint die Flut zu raffen