Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Maria Schnee

(Historischer Krimi)
 
 
 
 
 
 
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2017 OK Publishing

 
ISBN 978-80-272-3289-5

»Ich denke schon«, erwiderte Hans-Georg lachend, »Briefe zu schreiben ist ein ganz schauderhaftes Geschäft. Ich begreife nicht, wie sich Meister der Briefschreibekunst bilden konnten! Ich preise mich glücklich, im Zeitalter der Postkarte, und zwar speziell der Ansichtspostkarte, zu leben, auf die nichts weiter draufgeht, als: ›Herzliche Grüße, Brief folgt!‹«

»Da sind Sie ja gottlob noch briefschreibfauler als ich«, lachte Schnee mit sichtlicher Befriedigung. »Ich fürchte nur, in meinem Falle wird's eine Ansichtspostkarte nicht tun, ganz abgesehen davon, daß meine Tante noch aus der alten Schule ist, welche die Postkarte überhaupt als Verkehrsmittel nicht anerkennt. Schon ungesiegelte Briefe hält sie für eine Unschicklichkeit, weshalb ich zu meinen Mitteilungen an sie das Siegellack kiloweise verbrauche und mit einem talergroßen Petschaft, das auch fast ein Kilo wiegt, reise. Warum gibt es so viele alte Leute, die sich in die veränderten Sitten und Gebräuche nicht finden können? Die Welt dreht sich doch nun einmal, und was heute verpönt ist, wird morgen schicklich sein. Was bleibt uns denn übrig, als einfach mitzumachen? Wenn wir's nicht tun, schaffen wir uns doch bloß Ärger.«

»Und wenn wir mit der Zeit nicht gehen, so geht sie über uns weg«, vollendete der Erbgraf. »Ich glaube, die süße Gewohnheit und das bequeme, ausgefahrene Gleis sind bei den meisten die entscheidende Triebfeder. Bei wenigen ist's auch der Widerspruchsgeist, ›der Geist, der stets verneint‹, oder der Wunsch, ›originell‹ zu erscheinen.«

Schnee flog nun die Treppe hinauf, um ihre Pakete abzulegen und sich zum Ausfluge bereitzumachen und Hans-Georg kaufte sich an dem Kiosk eine Postkarte mit der Ansicht von Chillon darauf und schrieb mit Blei darauf: »Viele Grüße, Brief folgt. Botschaft bestellt. All right. Nimm nur ruhig Deinen Urlaub für Seeburg. Schönes Wetter hier. Sehr nett. Hans-Georg.«

Dann adressierte er »An den Legationsrat bei der Kaiserl. Botschaft Herrn H. v. Husum, London« und war, als er die Karte auch noch selbst in den Briefkasten geworfen, nicht wenig stolz auf seine Leistungsfähigkeit angesichts dieses glorreich schönen Tages und der Aussicht, ihn ganz und bis zum Abend in einer Gesellschaft zuzubringen, von deren Reiz er vorgestern noch keine blasse Ahnung gehabt.

Am nächsten Morgen reiste er offiziell von Territet ab, nachdem er sich noch von Marie-Luise verabschiedet; Schnee war auf dem See und die Gräfin wußte nicht, wann sie zurück sein würde.

»Also ich darf Ihnen schreiben, Kusine?« fragte er zum zehnten Male. »Meine Mutter wird es ja auch tun, wegen der Einladung an Fräulein von Seeburg –«

»Gewiß, und wenn sich irgendwelche Bedenken gegen diese Einladung geltend machen, dann schreiben Sie mir aufrichtig und ohne Beschönigung, wie es damit steht«, fiel Marie-Luise ein. »Schnee wird dann niemals etwas von unserem kleinen Komplott erfahren, und wir gehen, wie es bestimmt war, nach Zermatt auf die Riffelalp.«

»Und Harold? Was sage ich Harold?«

»Oh«, erwiderte Gräfin Mirow mit einem Erröten, das ihr sehr gut stand und sie so jung machte, wie sie den Jahren nach war, »Sie können Ihrem Freunde immer sagen, daß der Aufenthalt auf der Riffelalp sehr empfehlenswert ist, falls er das nicht schon ohnedem weiß.«

»Das wird ihm ganz neu sein und wie eine Himmelsbotschaft klingen«, erwiderte der Erbgraf lachend. »Aber ich hoffe auf die Seeburg. Der Mensch ist eben ein elender Egoist. Und wenn's mit der Seeburg wirklich nichts ist, was ich aber gar nicht glauben kann, so komme ich auch auf die Riffelalp. ›Four is company, three is none‹, heißt's im Sprichwort. Ich habe geredet.«

»Sie werden keine – keine Dummheit machen, Kusin, dafür bin ich da«, rief Marie-Luise energisch.

»Bitte, für meine Dummheiten bin ich ganz allein verantwortlich«, protestierte er sehr vergnügt. »Außerdem protestiere ich energisch gegen den terminus technicus ›Dummheit‹ für eine Angelegenheit, die ich für den klügsten Streich meines Lebens halten würde.«

»Pardon, – es war sehr unhöflich von mir, dieses Wort zu gebrauchen«, begann Marie-Luise, aber er unterbrach sie mit hellem Lachen.

»Um Gottes willen, Kusine, es sollte keine Korrektur sein. Nicht gegen den Ausdruck protestiere ich, denn ich halte ihn für gut und treffend, unter Verwandten auch für durchaus parlamentarisch. Nur gegen das, was er berührt, erhebe ich die Stimme.«

»Aber Kusin, bedenken Sie doch: Was wäre es, wenn Sie gegen den Willen Ihrer Eltern –«

»Kusine, mir scheint, wir machen es wie das Milchmädchen in der Fabel: wir rechnen lustig drauflos, ohne den Hauptfaktor konsultiert zu haben. Denn ich bin brav gewesen und habe den Mund gehalten –«

»Aber die Augen nicht zugemacht, Kusin!«

»Ach, was nicht alles von einem verlangt wird!« sagte er kopfschüttelnd. »Aber ich glaube, es wird Zeit. Also auf Wiedersehen, Kusine, – wenn nicht auf der Seeburg, dann auf der Riffelalp!«

»Ich verbiete Ihnen die Riffelalp!«

»Warum denn nicht lieber gleich die ganze, kleine, alte Welt?«

Und mit diesen lachend gesprochenen Worten ging er, und als er hinaus war, lachte Marie-Luise auch.

»Also es gibt doch solche Menschen, es gibt solche!« rief sie ganz laut, daß die nebenan beschäftigte Kammerfrau fragen kam, »ob Frau Gräfin etwas befohlen hätten?«

Aber Frau Gräfin winkten nur ab und gingen dann wieder erregt und rasch in dem Salon auf und ab. »Und wenn's zum Kampfe kommt – der läßt nicht ab, der nicht. Deswegen darf ich für Schnee ruhig sein. Nur ihren Frieden soll er mir nicht stören und dann von hinnen gehen. Aber solch einer ist der nicht. Ein anderer ist er, wie – wie Harold. Er hätte nicht gewartet, nicht so lange ohne eine Botschaft. Aber die Naturen sind verschieden und es war wohl auch richtig so – in meinem Falle. Es ist gut, daß Schnee nicht da ist – trotzdem sie wußte, daß er abreist – aber ein Abschied verleitet immer dazu, etwas zu sagen, was man sonst nie ausgesprochen hätte. Ich weiß das –«

Schnee kam aber gerade vom See die Treppe herauf, als der Erbgraf in die sehr primitive offene Wartehalle der Bahnstation Territet treten wollte, und da zwar viele Reisende dort warteten, aber noch kein Zug, so war Hans-Georg auch mit ein paar Schritten an ihrer Seite; es muß aber zur Steuer der Wahrheit gesagt werden, daß er es auch gewesen wäre, wenn der Schnellzug schon zur Abfahrt bereitgestanden hätte.

»Nein, dieses Glück, diese Freude, Sie doch noch zu sehen«, rief er ihr entgegen. »Ich hatte mich schon darein gefunden, Ihnen nicht mehr Lebewohl sagen zu können.«

»Ich dachte, der Zug ist schon fort«, erwiderte sie etwas unzusammenhängend. Dann gab sie ihm die Hand und sagte schnell: »Also reisen Sie glücklich, Erlaucht!«

»Damit lasse ich mich nicht abspeisen«, entgegnete er. »Wenn Sie wenigstens noch gesagt hätten: Kommen Sie hübsch wieder.«

»Das werden Sie wohl auch ohne meinen besonderen Wunsch«, meinte Schnee.

»Möglich, – nein, sicherlich werd' ich das«, rief er mit einem glücklichen Lachen. »Was Sie für eine Gedankenleserin sind!«

»Eine unnütze Plaudertasche bin ich«, murmelte Schnee ärgerlich über sich selbst.

»Und da Sie mich so richtig beurteilt haben, so wissen Sie wahrscheinlich auch, warum ich überhaupt hierhergekommen bin?« fuhr er fragend fort.

»Oh – Diskretion ist Ehrensache!« erwiderte sie nicht ohne eine kleine Malice.

»Gott bewahre – ist es so dick unterstrichen worden?« fragte er lachend. »Es ist nur ein ganz, ganz kleiner Irrtum dabei: ich kam nicht in eigenen Angelegenheiten. Wußten Sie das auch? Oder behält Gräfin Mirow gewisse Dinge für sich? Na, kurz und gut – ich mache im Namen der Freundschaft den Abstecher hierher und denke mir in meinem beschränkten Untertanenverstande: jetzt hast du alles getan, was man vernünftigerweise von dir verlangen kann, und da – und da –«

»Und da kommt Ihr Zug«, fiel Schnee ein, nach dem Tunnel deutend, der unterhalb der Hotelterrasse durchführt und aus dem wirklich eben der Eilzug aus dem Rhonetal hervorpustete.

»Meinetwegen – er hat schon fünf Minuten Verspätung«, konstatierte Hans-Georg, seine Uhr ziehend. »Also – sehen Sie, Fräulein von Seeburg, ich bin manchmal etwas schwer von Begriffen, wenn es sich um meine eigenen Angelegenheiten handelt, und da unser lieber Herrgott das natürlich weiß, weil er mich halt so erschaffen hat, so winkt er mir nicht zart und leise, wenn er etwas mit mir vor hat, sondern stößt mich fest mit der Nase darauf –«

»Wollen Sie denn nun nicht einsteigen?« unterbrach Schnee ihn, indem das Eisenbahnfieber sie zu packen schien. »Der Zug hält ja nur drei Minuten hier und der Portier winkt Ihnen wie rasend mit Ihrer Reisetasche –«

»Lassen wir ihn, das schadet ihm nichts«, entgegnete Hans-Georg behaglich. »Also, der liebe Herrgott hat mir das Glück, auf das ich weiß Gott bei dieser Reise für meine Person nicht gerechnet hatte, zur Belohnung für treue Freundschaftsdienste wahrscheinlich – denn diese Reise war nett von mir, – aufbewahrt, und bei meinem ersten Schritt, den ich hier machte, fliegt's mir entgegen mit einer Wucht, daß es mich fast umgerissen hätte –«

»Da fährt der Zug –!«

»Ich kann ihn nicht halten – er wird ja hoffentlich auch ohne mich weiterkommen. Ja, ja – es ist gut – ich fahre mit dem nächsten Eilzuge«, – dies zu dem Portier, der mit allen Anzeichen der Auflösung, eine krokodillederne Reisetasche in der Hand und einen Überzieher auf dem Arme, aus der Wartehalle kam und sich nun achselzuckend und mit einem Blicke, als riefe er den Himmel zum Zeugen für diese offenkundige Verrücktheit an, nach dem Hotel zurückbegab.

»Aber«, Schnee suchte mit diesem einzigen Worte den Vorgang zu charakterisieren, und was sie nicht aussprach, drückte ihr Blick deutlich genug aus.

»Ach, lassen wir ihn doch«, sagte Hans-Georg gemütlich. »Also, – daß der dumme Zug einen auch gerade unterbrechen mußte – also, das Glück fliegt mir entgegen, ungeahnt, ungesucht, unerwartet, direkt vom Himmel herunter –«

»Da wundert's mich nur, daß Sie es mit der Abreise erst so eilig hatten«, fiel Schnee ein.

»Daß ich es – – ja, ich bin doch aber gar nicht abgereist. Ich wollte – gewiß, denn man hat manchmal Ideen über das, was man tun muß, aber wenn dann das Schicksal dazwischentritt –«

»Und was sagt Marie-Luise dazu?«

»Marie-Luise?« wiederholte er zweifelnd. »Ach so – ja, sie meinte wohl verschiedenes, aber was will sie denn machen? Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als Ja und Amen zu sagen.«

»So?« fragte Schnee tonlos. »Also es bleibt ihr gar nichts anderes übrig? Es ist ein Jammer, daß Marie-Luise in Lebensfragen immer den schwächeren Willen hat. Also, es bleibt ihr wieder nichts anderes übrig? Wieder nicht?«

»Gar nichts dagegen zu wollen«, nickte er mit Entschiedenheit. »Es frägt sich jetzt nur noch, was das Glück selbst dazu sagt.«

»Das Glück?«

»Maria Schnee von Seeburg genannt.«

Schnee hatte mit einem Male das Gefühl, als ob ihre Umgebung sich um sie drehte, und sie mußte sich an die Balustrade anhalten, weil es ihr war, als müßte sie fallen. Sie richtete ein Paar große, erstaunte, erschrockene Augen auf ihren Begleiter, der jetzt einfach ihren Arm in den seinen legte, und sie über die Straße nach der Terrasse führte, wo sie hinter einer in vollster Blüte stehenden Rhododendrongruppe einen Platz fanden, auf dem sie sich niederließen.

»Schnee«, sagte er leise und innig, »wie steht es nun? Will das Glück bei mir bleiben?«

»Aber sie kamen doch wegen Marie-Luise«, murmelte sie abgewandt.

»Es ist mir gar nicht im Traume eingefallen. Marie-Luise hat nicht die Absicht, sich zum zweiten Male verschachern zu lassen, und ich – seh ich so aus, als ob ich mir eine Frau aussuchen lassen würde? Das haben Sie ja selbst gar nicht geglaubt, daß ich dazu imstande wäre, – Hand aufs Herz: das haben Sie nicht geglaubt, konnten Sie nicht glauben!«

»Oh, eh' ich Sie kannte – nachher freilich – – aber man kann sich ja in den Menschen irren –«

»Ja, ja, das kann man wohl, – aber es gibt Menschen, die beim ersten Sehen gleich so überzeugend auf einen wirken, daß sie wie eine Offenbarung über einen kommen. Und so war's mit Ihnen, Schnee, als wir auf der Treppe aneinander prallten. Da wußt ich's auf der Stelle: das ist dein Schicksal!«

Gräfin Mirow war im buchstäblichen Sinne des Wortes starr, als eine halbe Stunde später Schnee bei ihr eintrat – gefolgt von dem Erbgrafen. Sie ließ die Feder, die sie gerade in der Hand hielt, um einen Brief zu schreiben, rettungslos auf das Papier fallen, wo sie einen großen violetten Klecks, aus dem Justinus Kerner den schönsten Schmetterling gemacht hätte, verursachte, weil sie eben frisch gefüllt worden war.

»Aber Kusin – was machen Sie denn noch hier?« rief sie ärgerlich, tadelnd, vorwurfsvoll – das letztere vorherrschend. »Ihr Zug muß ja doch längst fällig sein!«

Hans-Georg zog seine Uhr und betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Der Zug ist seit drei Viertelstunden über alle Berge«, sagte er gemütlich. »Er hatte nur fünf Minuten Verspätung – für einen ›Expreß‹ also gar nicht der Rede wert. Sie wissen doch, Kusine, daß Mark Twain in seinen ›Innocents abroad‹ sagt: ›The Swiss railways are excellent; but if you are in a hurry, you had better walk.‹ – Da ich nun im Grunde genommen gar keine Eile hatte –«

»Kusin Hans-Georg, – ich wünsche zu wissen, warum Sie nicht abgereist sind!« unterbrach ihn Marie-Luise mit einer Strenge, daß Schnee sich abwenden mußte, um ihrer Freundin nicht das Lächeln zu zeigen, das sie nicht um die Welt unterdrücken konnte.

»Aber gnädigste Kusine, ich sagte ja eben: ich hatte gar keine Eile! Ich wäre ja aber trotzdem abgereist, schon um Ihr Wohlwollen nicht zu verscherzen, aber gerade, wie ich über die Schienen in die Wartehalle gehen wollte, oder vielmehr in die Bretterbude, die man hier mit dem stolzen Namen Wartehalle bezeichnet, da – kam jemand die Treppe vom See herauf –«

»Wer kam herauf?«

»Mein Schicksal!« Und Hans-Georg ergriff die Hand von Schnee und trat mit ihr dicht vor die nun total zur Salzsäule erstarrte Gräfin hin: »Haben Sie jetzt noch das Herz, mir zu zürnen, Kusine?«

Sie schlug, ganz blaß vor Erregung, beide Hände zusammen und sprang auf von ihrem Stuhle, daß das Tintenfaß umflog und, wahrscheinlich aus Konkurrenzneid, den Klecks von der Feder in eine violette, irisierende Lache vergrößerte.

»Das Herz?« fragte sie förmlich zitternd. »Nicht nur das Herz, nein, die Pflicht habe ich, Ihnen zu zürnen. Wir beiden sind fertig miteinander, Herr Erbgraf von Seeburg!« –

»Gerade im Gegenteil – wir fangen jetzt erst miteinander an«, erwiderte er mit unerschüttertem Gleichmut. »Versetzen Sie sich doch in meine Lage, Kusine! Stellen Sie sich vor, Sie wollen abreisen, Sie sind eben im Begriff, die Bretterbude zu betreten, die man hier Bahnhof nennt – da kommt Harold die Treppe vom See herauf –«

»O nicht doch, nicht doch, wie können Sie – –«

»Na, Kusinchen, wir sind ja hier unter uns, im allerintimsten Kreise – da brauchen wir doch nicht vom Kaiser von China zu sprechen, wenn wir den Schah von Persien meinen«, fiel Hans-Georg zuredend ein. »Außerdem aber ist es schon sprichwörtlich, daß es nutzlos ist, sich über die Milch aufzuregen, wenn sie verschüttet ist. Der Morgenschnellzug ist nun einmal fort und Schnee hat mir die Ehre erwiesen, meine Braut zu werden – angesichts dieser ganz unumstößlichen Tatsache bleibt Ihnen ja gar nichts anderes übrig, als – mir zu gratulieren, wenn Sie schon glauben, dies Schnee gegenüber nicht tun zu können.«

Marie-Luise ließ sich resigniert auf ihren Stuhl zurückfallen.

»Ich habe meine Schuldigkeit getan«, stöhnte sie. »Bitte vergessen Sie das nicht auf der Seeburg zu betonen, wenn – ach Kusin, Sie sind ein gräßlicher Mensch, aber ich kann Ihnen nicht verdenken, daß – daß Sie den Zug fortfahren ließen. Schnee, denk an mich, – der wird noch ganz andere Züge um deinetwillen fortfahren lassen!«

Über Schnees schönes, weißes Gesicht flog es wie die Morgenröte eines anbrechenden schönen Tages; sie zog sachte ihre Hand aus der des Erbgrafen und ließ sich vor ihrer Freundin auf die Knie herabgleiten.

»Das war der schönste Glückwunsch, den du für mich haben konntest, Marie-Lu«, sagte sie andächtig. »Denn warum du auch immer opponiert haben magst – gerecht mußt du bleiben, auch wenn du nicht willst.«

Gräfin Mirow strich mit leiser Hand über Schnees leuchtendes Haar, und die andere reichte sie dem Erbgrafen, der sie lächelnd an seine Lippen führte.

»Es ist das Schicksal, das euch beide verbunden – und ich dachte, ich würde es doch zum mindesten aufhalten können, ich, ausgerechnet ich, die ich so widerstandslos vor ihm gestanden bin«, sagte sie nach einer Weile. »Der Mensch überschätzt sich eben immer. Ihr beide, ihr steht so fest und sicher im Wirbel dieses Lebens, ihr seid dazu ausersehen, dem Sturme zu trotzen, der mich einfach umwerfen und vernichten würde. Der Sturm kann euch zausen und bis zum Boden beugen – aber brechen kann er euch nicht. Das weiß ich und dennoch –«

Sie brach mit erstickter Stimme ab und legte Schnee beide Hände auf das schöne junge Haupt. Die junge Braut sah sie lächelnd an.

»Ich danke dir für deine gute Meinung, Marie-Lu«, rief sie lebhaft. »Aber – sei mir nicht böse – warum dieser Kassandraton?! Von welchen Stürmen sprichst du?«

Gräfin Mirow wechselte einen Blick mit dem Erbgrafen. »Ich glaube, es ist besser, dich auf diese eventuellen Stürme vorzubereiten, Schnee«, sagte sie sanft, aber fest. »Wenn Kusin Hans-Georg es nicht tut, so geschieht es vielleicht, weil er nicht daran glauben will, aber meine Pflicht ist es, dich darauf aufmerksam zu machen, daß der Pfalzgraf, sein Vater, wahrscheinlich andere – Eheprojekte für seinen Erben in Aussicht genommen hat.«

Schnee lachte mit vollkommener Harmlosigkeit.

»Ich weiß – du warst die Erwählte«, rief sie neckend. »Aber da du andere Ideen hast, und du mit Hans-Georg darüber in vollkommener Übereinstimmung bist, so hätte man deine werte Person ja sowieso aus dem Projekte streichen müssen. Ah – es beginnt mir zu dämmern – du meinst den Mammon, den ich nicht habe. Das ist freilich ein Manko, über das man sich aufregen kann, das gebe ich zu, denn ich habe den Mammon oft selber schmerzlich vermißt, ohne mir die Haare über sein Fehlen ausgerissen zu haben. Es war ein aufrichtiges, aber immerhin doch recht latentes Bedauern, das man eher mit einem frischen Lüftchen, nie aber mit einem Sturme vergleichen kann. Wenn also der Pfalzgraf die Bedingung stellt, daß die Braut seines Erben reich sein muß, dann freilich wird es wohl schwer sein, ihn davon zu überzeugen, daß Hans-Georg sich nun gerade ein solch armes Mädel ausgesucht hat.«

»Es ist mir nie zum Bewußtsein gekommen, daß meine Eltern das Schwergewicht ihrer Schätzung der Menschen auf das Geld gelegt hätten«, meinte der Erbgraf kopfschüttelnd.

»Daran hatte ich auch nicht gedacht«, fiel Gräfin Mirow lebhaft ein.

»Ja, an was in aller Welt hattest du dann gedacht?« wunderte sich Schnee, nun aufmerksamer. »Wenn das Vermögen, das ich nicht besitze, kein Hindernis oder Sturmentfeßler ist, was dann sonst? Meine bisher noch sehr schüchternen Versuche, ›den Kleinen zu lehren?‹ Oder weil ich keine Prinzessin bin? Ich bin eine Seeburg und habe eine Ahnentafel, um die ein regierender Herr mich beneiden könnte. Was ist's also?«

Sie war aufgestanden aus ihrer knieenden Stellung und stand nun, eine königliche Erscheinung, vor den beiden andern. Marie-Luise schwieg und sah die Freundin mit umflorten Augen an, die dann einen stummen Appell an Hans-Georg richteten; doch der lächelte nur.

»Raupen sind's, die im Kopfe meiner allergnädigsten Kusine sich eingesponnen haben«. versicherte er gutmütig. »Es ist ja möglich«, fuhr er vergnügt fort, daß es in unserer Familie Bestimmungen gibt, daß der Pfalzgraf von Seeburg nur eine Dame des hohen Adels heiraten darf – aber dann ist die Sache so einfach wie nur irgend möglich: mein Bruder Joachim tritt an meine Stelle, wozu er ganz das Talent mitbringt und eine Frau, welche die Tochter eines englischen Herzogs ist, und wir beide nehmen seinen Rang als ›Nachgeborener‹. Womit ich ganz zufrieden wäre – vorausgesetzt, daß Schnee es auch ist. Und dann schenk ich Joachim das Linsengericht dazu.«

»Hab' ich's nicht gesagt?« fiel Marie-Luise auf springend ein. »Da hast du gleich wieder einen Zug, den er um deinetwillen versäumt, Schnee!«

Diese aber sah von einem zum andern und in ihren großen dunklen Augen glomm ein ganz eigenes Feuer auf.

»Das also ist's – ich bin dem Pfalzgrafen nicht ebenbürtig;« sagte sie langsam. »Aber Marie-Lu, wenn du nun denkst, daß ich ohne weiteres großmütig entsagen werde, dann hast du Arme dich schwer in mir getäuscht. Denn ich mache mir gar nichts aus dem Pfalzgrafen, aber ich mache mir alles aus Johann-Georg, – alles in der Welt. Das heißt – ich will mich nicht etwa besser und großartiger machen, als ich bin; ich habe es immer sehr hübsch gefunden, auf den Spitzen und Höhen des Lebens zu stehen und mir oft gewünscht, eine Dame der großen Welt zu sein – Gott man hat doch halt mal so dumme Träume und Wünsche, wenn man jung ist – aber es dünkt mich jetzt ganz groß und herrlich genug, mit Hans-Georg in die zweite Reihe zu treten. Ohne ihn hätt' ich immer nur in die erste gestrebt, doch auch darüber gehen ja die Ansichten auseinander. Ja, wenn Hans-Georg noch der Kronprinz eines Königreiches wäre oder der Erbprinz eines kleinen Fürstenthrönchens und er hätte keinen Bruder und seine ganze Dynastie hing davon ab, daß er eine Prinzessin heiratet, dann hätte es eher einen Sinn, von ›Entsagung‹ zu uns beiden zu sprechen. Aber dann habe ich auch die feste Zuversicht, daß er mich gar nicht erst vor diesen kategorischen Imperativ gestellt hätte. Hab' ich nicht recht, Hans-Georg?«

»Ich weiß doch nicht«, erwiderte Marie-Luise zögernd, aber der Erbgraf fiel ihr ohne weiteres ins Wort.

»Doch, ich weiß es ganz genau«, rief er ganz glücklich, »es ist gekommen, wie es kommen mußte und wäre auch nicht anders gekommen, wenn ich zufällig Großfürst, Thronfolger von Rußland, gewesen wäre, was ich Gott sei Dank nicht bin. Und nun, Kusine, verzichten Sie, – ich meine auf Ihren Ehrgeiz, die gute, selige Kassandra noch zu überkassandran'n und freuen Sie sich, daß sich zwei Herzen gefunden, ohne sich gegenseitig gesucht zu haben. Carpe diem! Und einen so schönen Tag dazu!«

»Aber Ihre Abreise«, versuchte Gräfin Mirow noch einen Einwand.

»Ich möchte bloß wissen, was mich jetzt noch dazu hetzte! Es wäre ja gar nicht normal, wenn ich heut schon abreiste, wo ich doch morgen ebensogut noch zurechtkomme«, behauptete Hans-Georg lachend und da Marie-Luise ihm eigentlich recht geben mußte, so war die Frage damit auch erledigt.

Er reiste auch den nächsten Tag noch nicht und den übernächsten schon lange nicht, und da Schnee nicht nur nichts dagegen einzuwenden hatte, sondern so strahlend in ihrem jungen Glücke war, so fand Gräfin Mirow nicht die Form für eine leise Mahnung und nicht das Herz, derselben Worte zu geben. Schon weil sie selbst so glücklich war und weil ihr manchmal die Ahnung kommen wollte, als ob dies, gerade dies die sonnigen Tage für Schnee seien, die nie, nie mehr so schön, so wolkenlos, so frei von jedem Mißklang wiederkehren würden. Nicht, daß sie die Mißklänge zu sehr fürchtete, welche die Frage der Ebenbürtigkeit doch wahrscheinlich hervorbringen würde; Marie-Luise glaubte nicht, daß Hans-Georg zuviel davon an Schnee herandringen lassen würde, aber sie kannte auch ihre Kreise und wußte, was mit größter Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, wenn Hans-Georg mit seinem Projekt angereist kam. Doch alles das war nichts, was sie mit Sorge erfüllt hätte, denn es lag ein Etwas in dem Wesen dieses jungen und glücklichen Paares, das siegreich über Hindernisse triumphierte oder diese doch wenigstens klein und unbedeutend erscheinen ließ.

Aber über Schnees schönem Gesichte lag eine Verklärung, die Marie-Luise bang machte in einer vagen, unbestimmten Weise. Sie hätte dieses Gefühl nicht in Worte kleiden können, besonders wenn sie mit der strahlenden, heiteren, fast übermütig glücklichen Braut zusammen war und doch – und doch, es lag etwas in den großen, dunklen Augen, das ihr das Herz zusammenschnürte mit einem Weh, für das sie keinen Namen hatte und auch eigentlich keine vernünftige Berechtigung. Doch das waren Momente, die kamen und vorübergingen; sonst verliefen diese Tage in schöner, ungetrübter Harmonie, um so mehr, als der Erbgraf mit jeder Stunde der Gräfin Mirow lieber wurde, daß es ihr ehrlich leid tat, ihn nicht schon früher gekannt zu haben. Ja, und er sprach so lieb und nett von Harold Husum, – es war so herrlich, endlich einmal einen Menschen von Harold Husum reden zu hören!

Sie machten Ausflüge zusammen in diesen Tagen, die drei, – hinein in die Berge, hinüber auf die Savoyer Seite, nach dem eleganten Modebade Evians-les-Bains, nach Thonon und dem alten Schlosse Ripaille, wo der Herzog Amadeus VIII. als Papst Felix V. seine Tage beschlossen. Nach Copet fuhren sie, um das Schloß der Madame Staél in dem alten verträumten Park zu besuchen und weil die Damen gern auch die Ariana in Genf sehen wollten, so mußte Hans-Georg schon noch den Tag dafür zulegen, wobei man fand, daß es mit der Bahn von Genf nach Chamonix eigentlich nur ein Katzensprung war, den zu unterlassen geradezu Sünde gewesen wäre. So fuhren sie vom Besuch der Ariana direkt mit Matzke als Kurier dahin, um dem Montblanc, der so überwältigend und verlockend auf Genf hinübergrüßt, einen pflichtschuldigen Besuch zu machen.

Sie blieben zwei Tage in Chamonix, und die ganze Zeit lachte die Sonne auf sie herab, als müßte das so sein. Zum Briefschreiben blieb gar keine Zeit; eine Ansichtspostkarte nach der Seeburg meldete lakonisch, daß der Erbgraf sich in Montreux befand und das war alles. Auch der Brief von Schnee an die Tante Sternberg blieb ungeschrieben, – einen Zweck hätte er ja doch nicht mehr gehabt und das Wetter war so schön und abends war man immer so müde – –

Mit zehntägiger Verspätung reiste Hans-Georg endlich von Territet ab; es war ihm egal, ob der Portier ihn für verrückt hielt oder nicht; es war ihm auch egal, was Matzke von der ganzen Sache denken mußte. Matzke aber wußte überhaupt nicht, was er denken sollte. Er war klug genug, um zu sehen, daß es zwischen seiner Herrin und dem Erbgrafen »nichts war«; er war aber auch klug genug, um zu sehen, daß der letztere die »sogenannte« Freundin der Frau Gräfin »poussierte«. Matzke begriff das nach keiner Seite hin. Denn erstens war es ihm unfaßbar, wie jemand diesen »Rotkopf« hübsch finden konnte und dann überhaupt eine junge Person, die billige Garderobe trug, die »nicht den Hund vom Ofenloch wegzulocken hatte!« Matzke hatte eben die gründliche und eingewurzelte Verachtung seines Standes gegen mangelhaft begüterte Leute der Kreise, die er bediente, und je mehr diese Leute sich von ihm protegieren ließen, desto gründlicher verachtete er sie; womit er eigentlich, genau besehn, gar nicht so unrecht hatte. Aber leider verachtete er auch die, welche seine Protektion entweder ablehnten oder sie gar nicht bemerkten, und zu dieser letzteren Kategorie gehörte auch Schnee, welche die Protektion Matzkes, zu der er anfänglich geneigt war, einfach für persönliches Wohlwollen nahm und dies mit gleicher Münze erwiderte – in souveräner Mißverkennung ihrer sozialen Stellung, wie Matzke es nannte. Und darum protestierte er, zwar nur innerlich, aber darum doch nicht minder energisch gegen »die Courschneiderei« des Erbgrafen und wenn er ja auch nicht einen Augenblick glaubte, daß dies zu »was Ernstlichem« führen konnte, so ging ihm der bloße Gedanke doch als eine Mesalliance gegen den Strich. Und er begriff ganz und gar nicht, wie seine Herrin solch »dummes Getue« in ihrer Nähe dulden konnte.

Hätte Marie-Luise diese Gedanken ihres getreuen Matzke geahnt, so hätte sie vielleicht darauf gedrungen, daß Hans-Georg die Sache erst auf der Seeburg ins reine brachte und dann nach Montreux zurückkehrte, schon um damit das Odium von sich zu nehmen, als ob sie die Erwählte des Erbgrafen sei; aber da die Situation klar für sie selbst war, so kam es ihr gar nicht in den harmlosen und unerfahrenen Sinn, daß die Leute so etwas Törichtes denken konnten.

Aber wenn auch das junge und so vollkommen glückliche Paar seine Tinte eintrocknen ließ, so vergaß Marie-Luise die ihrige doch nicht ganz. Zwar blieb der Brief der Tante, die sie so freundlich auf das Unpassende ihres Alleinseins aufmerksam gemacht, unbeantwortet, aber sie schrieb der Pfalzgräfin von Seeburg einen sehr herzlichen Dank für die gütige Einladung und versprach gern, dieser für einen späteren Termin nachzukommen, »da sie jetzt den Besuch einer sehr lieben Freundin habe«. Kusin Hans-Georg, »der auch in Territet sei« und mit dem sie fast täglich Ausflüge machten, beauftrage sie mit den herzlichsten Grüßen; sie habe sich sehr gefreut, seine Bekanntschaft gemacht zu haben und freue sich nun doppelt darauf, auch die ihrer Seeburger Verwandten zu machen.

»So«, dachte sie befriedigt, als dieser Brief geschrieben war, »jetzt habe ich sie vielleicht doch etwas vorbereitet, oder zum mindesten aufmerksam gemacht. Schnees Namen habe ich nicht genannt, aber die ›Freundin‹ doppelt unterstrichen. Und über Hans-Georg habe ich so begeistert geschrieben, daß sie unmöglich glauben können, daß ich ihn heiraten will. Denn ich habe meiner Begeisterung doch einen stark schwesterlich-patronisierenden Ausdruck gegeben. Schnee würde erstaunt sein, wenn sie diesen Brief lesen könnte, was ich für eine Diplomatin bin. Nun ja, man war nicht umsonst zwei Jahre in der Lehre.«

Auf diesen Brief war bis zur endlichen Abreise des Erbgrafen keine Antwort eingetroffen, was Marie-Luise eigentlich etwas befremdete, denn sie hatte mit Sicherheit auf eine Einladung dieser ungenannten Freundin gerechnet. Hingegen war die Abreise Hans-Georgs wesentlich durch ein Telegramm seiner Mutter gefördert worden, in dem zwar nur zu lesen war: »Warum schreibst du nicht? Lasse Gräfin M. sehr für ihren Brief danken und werde diesen beantworten, sobald ich Nachricht von dir habe.«

Natürlich machte Hans-Georg aus dieser mütterlichen Mahnung gar kein Hehl, sondern zeigte sie lachend der Gräfin mit den Worten: »Da haben wir's.«

Und Marie-Luise wiederholte etwas lahm: »Da haben wir's.«

Aber sie besann sich sehr bald und setzte vorwurfsvoll hinzu: »Da haben Sie's, Kusin. Sie hätten gleich nach Ihrer Verlobung mit Schnee nach Seeburg reisen müssen.«

»Vermutlich«, gab der Erbgraf ohne Reue ganz vergnügt zu. »Aber ich bin trotzdem sehr glücklich darüber, daß Sie mich hierbleiben ließen, Kusine!«

»Ich Sie ließ!« wiederholte Marie-Luise empört. »Ich habe Sie doch deutlich genug fortgeschickt, aber Sie sind trotzdem geblieben.«

»Ich konstatiere, daß Sie alles in dieser Beziehung getan haben, was Sie tun konnten, Allergnädigste, aber gegen mich ist nichts auszurichten. Das wird Ihnen selbst meine Mutter zugeben müssen. Wenn ich mal wo Anker geworfen habe, da gehören schon Pferdekräfte dazu, um mich wieder loszueisen.«

»Aber jetzt –«

»Ja, wenn ich nun jetzt nicht schreiben will – Briefschreiben ist eine ganz gräßliche Erfindung, – dann werde ich wohl heim müssen, um wenigstens zu reden. Wenn ich den Luxuszug am Abend nehme, kann ich zum Gabelfrühstück morgen daheim sein.«

»Das ist brav. Telegraphieren Sie nur gleich zurück –«

»I bewahre; Telegramme schreiben ist eine so langweilige Sache. Man hält sich für verpflichtet, Wörter zu sparen und so abzukürzen, daß der Fiskus nicht zuviel dran verdient, und dabei kommt niemals was Kluges heraus. Besonders wenn der Verdienst dann noch auf Titulaturen bei der Adresse draufgeht. Ich reise unangemeldet ab. Zwar muß ich mir dann auf der Bahnstation einen Wagen mieten und die vier Kilometer damit heim zuckeln – oder ich kann auch laufen und meine Sachen fahren lassen. Sehr hübscher Weg, das. Beschlossen ist's, ich scheide«, fuhr er, der eben eintretenden Schnee entgegengehend, fort und zeigte auch ihr das Telegramm.

»Einmal mußte es ja doch sein«, meinte sie tapfer. »Nämlich, weil du weißt, daß reden besser ist als schreiben.«

»Entschieden – von meinem persönlichen Standpunkt aus.«

»Ich weiß doch nicht«, warf Marie-Luise ein. »Ich würde lieber schreiben. Die Entfernung ist eine relative Sicherheit und wirkt abschwächend.«

»Eben darum. Schriftlich hat schon mancher etwas abgeschlagen und verweigert, was er Auge in Auge glattweg bewilligt hätte. Briefe sind Surrogate, weiter nichts.«

»Er hat recht, Marie-Luise, nicht?« fragte Schnee mit einem stolzen Lächeln.

»Er hätte recht, wenn nicht die nackte Schreibfaulheit aus ihm redete«, erwiderte Gräfin Mirow neckend.

»Schreibfaulheit!« wiederholte Hans-Georg mit sittlicher Entrüstung. »Mir das, nachdem ich schon drei Ansichtspostkarten in Territet geschrieben habe: eine an Harold Husum –«

»Oh –«

»Na ja – ich muß ihm doch schreiben, daß er seinen Urlaub nach der Seeburg nehmen soll, nicht? Es war eine harte Arbeit, aber was tut man denn nicht für solch netten Kerl, wie Harold einer ist. Und dann hab' ich meiner Schwester und meiner Schwägerin auch noch je eine Ansicht von Chillon geschickt; der letzteren sogar eine bei Mondschein, wo der Mond direkt über der Dent du Midi steht und das Schloß trotzdem auf der Seite von Territet beleuchtet. Das Naturwunder wird ihr Spaß machen. Es ist sehr merkwürdig.«

»Du hast sie gern, deine Schwägerin?« fragte Schnee.

»Ja«, erwiderte er ohne Zögern. »Lilian – sie ist die Tochter des Herzogs von Inverneß, – wird von Leuten, die ihr nicht näher treten, vielfach verkannt. Man hält sie für kalt und hochmütig, aber sie ist keins von beiden, – sie hat nur nicht die Art, jedermann das Gefühl zu geben, als ob sie schon einen Scheffel Salz mit ihm gegessen hätte. Aber sie ist eine vornehme Natur, wahr und treu. Und sie hat Humor, was keiner meinem Bruder nachsagen kann. Steifleinen, trocken und vor allem korrekt ist Joachim. Das direkte Gegenteil von meinem Schwager, der das harmloseste, ungenierteste, vergnügteste Huhn der Welt ist; wenn er nur nicht bloß von Pferden reden wollte! Wie meine Schwester das auf die Dauer aushalten kann, ist mir rein unbegreiflich.«

»Fürst Vöslau ist aber auch eine Autorität in seinem Fache«, warf Marie-Luise ein.

»Herrgott, ja«, gab Hans-Georg zu, »aber man muß doch nicht immer bloß ›shop‹ reden. Ich persönlich habe ja einen Kompromiß mit ihm gemacht – stillschweigend, – wenn er nämlich von seinen ewigen Pferdegeschichten anfängt, da regaliere ich ihn dermaßen mit chemischen Formeln, bis er um Gnade bittet. Unsere Gespräche drehen sich ja danach noch lange nicht um geistbildende Themata, aber doch wenigstens nicht ums Geschäft.«

»Man kann in der Wahl seiner Verwandten gar nicht vorsichtig genug sein!« meinte Schnee lächelnd. »Und wenn du jetzt auf die Seeburg kommst, wen findest du dort vor?«

»Oh, den gewöhnlichen Kreis, denke ich. Meinen Vater, meine Mutter, Tante Murr –«

»Ja, wer ist denn das?« unterbrach Schnee ihn lachend.

»Tante Murr ist meines Vaters unverheiratete Schwester, die ständig auf der Seeburg lebt«, erklärte Hans-Georg mit sichtlichem Behagen. »Eigentlich heißt sie Marie, aber ich fand als

Junge mal heraus, daß sie dem offiziellen Schloßkater Murr entschieden ähnlich sah, und beutete diese Entdeckung nach Jungenart natürlich aufs ergiebigste aus, nannte sie nur noch Tante Murr. Und der Name ist dermaßen populär geworden, daß heut kaum jemand mehr weiß, daß sie eigentlich Marie heißt.«

»Und sie hat sich den Spitznamen gefallen lassen?«

»Erstens hat sie sich von mir niederträchtigem Bengel überhaupt alles gefallen lassen und dann – du kennst eben Tante Murr nicht. – Sie hat sich selbst königlich über den Übernamen amüsiert und behauptete, er wäre die größte Schmeichelei, die ihr noch je einer gesagt hätte, denn der Kater Murr wäre eine anerkannte Schönheit, mit dem ersten Preise einer Katzenausstellung gekrönt und sie hätte für ihre Garstigkeit noch nie einen Preis bekommen. Oh, sie ist ein Original, die Tante Murr, und die Seeburg ohne sie wäre einfach undenkbar. Takt hat sie nicht viel, aber sie ersetzt das Manko durch Herz. Und ein Wörterbuch von Kraftausdrücken hat sie – – großartig! Zartbesaitete Seelen gehen ihr besser aus dem Wege.«

»Und der hast du keine Ansichtspostkarte geschickt?« fragte Schnee vorwurfsvoll.

»Nein, aber ein ganzes Paket unbeschriebener Karten habe ich für sie gekauft und bringe sie ihr mit. Sie sammelt Ansichtspostkarten, aber ›unbeschmierte‹, wie sie sagt. Die wären sauberer und auf den Poststempel pfiffe sie. So unrecht hat sie nicht damit.«

»Sie hat sogar sehr recht. Und außer der Tante Murr ist niemand auf der Seeburg?«

»Der Schloßpfarrer ist nur noch da. Die Schloßkirche wird von der Gemeinde benutzt und obwohl der Pfarrer seine eigene Wohnung dicht daneben hat, in der er seine Wirtschaft führen könnte, so ißt er doch mit bei uns am Tische. Das ist bequemer und vorteilhafter für ihn. Pfarrer Fischer ist nun auch schon seit meinen Kinderjahren Seelsorger von Seeburg, – er gehört zum Familieninventar und wir Kinder haben uns immer hinter ihn gesteckt, wenn wir etwas ausgefressen hatten und nicht genau wußten, wie's ablaufen wird. Nein, sonst treffe ich meines Wissens niemand auf der Seeburg. Papa hat wohl manchmal Jagdgäste, aber im allgemeinen sieht man wenig Logierbesuch bei uns. Und noch seltener gehen meine Eltern fort. Meine Mutter schon eher einmal – sie geht zu den Hoffesten nach der Residenz und macht wohl gelegentlich einen Abstecher nach der Riviera oder Italien, aber zusammen haben meine Eltern seit Menschengedenken keine Reise mehr gemacht, woraus man aber nicht etwa schließen darf, daß sie nicht glücklich leben; im Gegenteil. Meine Eltern sind das harmonischste Paar, das ich kenne, und sind immer eines Geistes. Aber mein Vater neigt etwas zur Melancholie und verläßt das Haus nur selten. Jugendfreunde von ihm haben mir erzählt, daß er der geselligste und heiterste junge Mann gewesen sein soll – bis er den Besitz antrat. Diese Epoche in unserm, der Seeburger, Leben soll immer so verändernd auf uns gewirkt haben. Wenigstens behauptet Tante Murr es, die doch ihren Großvater noch gekannt hat.«

»Ich habe einmal einen Gast Ihres Hauses von der Seeburg erzählen hören«, sagte Marie-Luise. »Es war bei uns in der Botschaft in Paris bei einem Diner. Er sagte, die Pfalz wäre ein ganz wundervoller Besitz, die Jagd ideal, die Aufnahme über jedes Lob erhaben. Aber es läge etwas wie ein Druck über dem ganzen Hause. Und die Spukgeschichten, die er zu erzählen wußte – – er behauptete, daran absolut nicht zu glauben, aber er hätte doch Dinge gesehen oder gehört, die höchst unerklärlich wären.«

»Darum kümmert sich von uns keine Seele mehr«, versicherte Hans-Georg. »Wir haben ein halbes Dutzend solcher Spukgeschichten, die von niemand bezweifelt werden. Sie sind einfach Hausinventar. Natürlich spinnt die Sage, lügt der Volksmund noch alles mögliche dazu. Tante Murr kämpft bis aufs Messer mit jedem, der die Existenz ›ihrer Gespenster‹ bezweifelt. Sie steht mit allen auf du und du.«

»Hast du denn schon etwas Übernatürliches gesehen?« fragte Schnee mit großen Augen.

»Ich kann nicht sagen, daß ich's hätte«, erwiderte er behaglich. »Aber Tante Murr behauptet darüber die wunderbarsten Sachen. Und die Dienstboten schwören alle darauf.«

»Und deine Eltern?«

»Oh, meine Mutter macht gern ihre Scherze darüber – wenn mein Vater nicht dabei ist. Ihn habe ich nie darüber reden hören.«

»Hören Sie, Kusin«, fiel Marie-Luise ein, »unser Gast, dessen ich schon erwähnte, hat uns da eine Geschichte erzählt, die uns allen mehr Eindruck gemacht hat, als alle Schloßgespenster zusammen. Ihr Vater soll einmal seine Gäste – es war eine Jagdgesellschaft, bei der sich der Genannte befand, gebeten haben, in ihre Zimmer zu gehen und diese nicht eher zu verlassen, als bis der Tischtamtam das Signal geben würde. Man habe natürlich gehorcht, aber eine Erklärung über diese wunderbare Konsignierung soll nie gegeben worden sein. Dieser Zimmerarrest habe etwa eine halbe Stunde gedauert.«

»Ich kann's den Leuten nicht verdenken, wenn sie erstaunt waren«, erwiderte der Erbgraf. »Ich habe die Geschichte auch gehört, – von meinem Bruder, der damals gerade zu Hause war. Er hat natürlich um eine Erklärung gebeten, aber keine erhalten. Mein Vater hat nur sehr ruhig gesagt, er wäre in seinem Hause frei, zu tun und zu lassen, was ihm beliebe. Mein Bruder warf die Frage auf, ob der sonst so klare Verstand unseres Vaters nicht temporär getrübt gewesen sei, aber das ist ganz unmöglich zu glauben, wenn man ihn kennt. Meine Mutter ist auf die Sache gar nicht eingegangen und hat markiert jede Besprechung der sonderbaren Angelegenheit abgelehnt. Tante Murr war gar nicht zu Hause, als die Sache vorfiel und behauptet, die Leute hätten wahrscheinlich geträumt, denn die Geschichte wäre ja lachbar.«

»Nun, und der Pfarrer?«

»Ich weiß nicht zu sagen, ob irgendjemand den Pfarrer befragt hat. Ich hab's nicht getan, das steht fest. Weil ich gar nicht darauf gekommen bin, es zu tun und er ja auch nicht davon angefangen hat. Aber ich habe das unbehagliche Gefühl, als ob die Geschichte herumgekommen wäre und gründlich besprochen worden ist. Es hat mir's ja niemand gesagt, aber – ich weiß nicht – die Leute haben so sonderbare Gesichter gemacht, wenn sie einen nach meinem Vater und der Seeburg gefragt haben. Tatsache ist, daß wir seit dieser Zeit keine größere Zahl von Gästen mehr im Hause gehabt haben; hin und wieder einzelne Personen, das ist alles.«

»Nein, wie interessant!« sagte Schnee. »Da ist ja Blaubarts Zimmer nichts dagegen.«

»Gerade eben«, rief Marie-Luise. »Die Seeburg soll ja solch Zimmer haben.«

»Davon müßte ich doch etwas wissen«, behauptete Hans-Georg lachend.

»Natürlich, das wird von den Beteiligten immer geleugnet«, neckte Schnee.

»Die Seeburg hat ihre diversen Spukzimmer, aber die werden Neugierigen auf Wunsch immer gern gezeigt – bloß Gäste darin zu logieren hat mein Vater verboten, weil die Leute, die wissen, daß sie in solch verrufenem Raume wohnen, die Nerven schon so erregt haben, daß ein Geräusch imstande sein kann, ihrer Gesundheit unheilbaren Schaden zuzufügen. Schlimme Erfahrungen haben uns leider so weise gemacht und merkwürdigerweise waren es immer sogenannte Skeptiker und nervenstarke Personen, die der Suggestion am leichtesten und ersten unterlagen. Ja natürlich, – wir haben das Zimmer, wo mein Großvater das eingemauerte Skelett fand; dann das Zimmer, wo die blasphemischen Spieler vom Teufel geholt worden sind und alljährlich vom Ostersamstag zum Ostersonntag ihr gottloses Tun mit seiner furchtbaren Folge wiederholen müssen. Dann das Zimmer, in dem eine liebenswürdige Schwiegermutter ihre Schwiegertochter den Hexenbütteln überlieferte. Und außer diesen sonst so hübschen Räumen haben wir im ältesten Schloßteil auch Verließe der sinnreichsten Art und Oublietten. Die dürfen aber nicht gezeigt werden, damit kein Unglück passiert. Ferner haben wir das berühmte Seeburger Heerhorn, das uns zum letzten Appell ruft. Ich habe es selbst gehört, eh' mein Großvater starb. Niemand ist noch dahinter gekommen, was den schauerlichen Ton verursacht – den gespenstischen Bläser hat noch kein Mensch gesehen.«

»Und das geheimnisvolle Zimmer, wo niemals jemand hinein darf?« fragte Marie-Luise.

»Das ist mir natürlich nicht vorgestellt, Kusine. Habe auch nie etwas davon gehört.«

»Meine Verwandten, die Eichwalds, haben davon gesprochen. Der Erbe von Seeburg wird an dem Tage, wo er großjährig wird, in das Geheimnis dieses Zimmers eingeweiht.«

»Nun, ich habe dieses freudige Ereignis seit acht Jahren hinter mir und habe natürlich seitdem an Alter, Weisheit und Verstand hoffentlich wesentlich zugenommen. Aber man muß total darauf vergessen haben, mich in die Geheimnisse dieses Zimmers einzuweihen, denn ich höre zum ersten Male davon.«

»Wahrscheinlich!« meinte Marie-Luise lachend. »Die andern Leute wissen ja immer besser wie man selbst, was man in seinem eigenen Hause hat. Dabei muß man nur die blühende Phantasie bewundern, die sich solche Sachen erfindet.«

»Und die Leute, die's weiter erzählen, Kusine.«

»Und die Leute, die danach die Beteiligten fragen«, ergänzte Schnee. »Denn gesetzt, Hans-Georg wäre wirklich bei seiner Großjährigkeit in solche Geheimnisse eingeweiht worden, – würde er sie dann an uns ganz harmlos und gemütlich ausplaudern?«

»Nein, wahrhaftig nicht«, gab Marie-Luise etwas beschämt zu.

»Schönen Dank für die gute Meinung«, sagte der Erbgraf. »Es hat doch etwas Erhebendes, wenn man weiß, daß man nicht unbedingt für eine Tratschmaschine gehalten wird! Aber Scherz beiseite, – ich höre wirklich heute zum ersten Male etwas davon, daß man als Erbe meines Hauses bei der Großjährigkeit auf eins unserer Spukzimmer eingeschworen wird. Unsere ganze Gegend ist ja natürlich voll von den Legenden der Seeburg, von denen die schon von mir erwähnten zum eisernen Bestande gehören. Daraus wird sich wohl auch Ihre Geschichte, Kusine, entwickelt haben und ist dann mit den nötigen Ausschmückungen kolportiert worden. Ich hoffe bloß, sie kommen meinem Vater nicht zu Ohren, denn den ärgert dieser Nonsens; meine Mutter lacht, oder sie macht geheimnisvolle Gesichter, um die Neugierigen zu necken. Und Tante Murr – wenn die heut die Geschichte erfährt, glaubt sie daran, wie ans Evangelium in der Kirche und besticht mich, damit ich ihr die Zeremonien der Einschwörung erzähle.«

»Besticht dich – wie macht sie denn das?«

»Hm – früher tat sie's mit Schokolade, – aber als das nicht mehr zog, hatte sie Briefmarken und Wappensiegel, und wieder später legte sie sich Zigarren bei, – sie raucht nämlich selber welche – die durch besondere Feinheit bestechlich wirken sollten in Fällen, in welchen sie von ihren Opfern etwas zu erfahren wünscht.«

»Sie muß ja ein Original zum Küssen sein, deine Tante Murr!« meinte Schnee förmlich andächtig.

»Zum Küssen – hm, – darüber ließe sich streiten! Aber ein Original ist sie wirklich, ganz abgesehen davon, daß in ihr zwei Naturen sich um den Rang streiten: die der großen Dame, die sie ja ihrer Stellung nach ist, und die eines ausgewachsenen Grobians von Beruf. Die beiden in eines verquickt, geben ein höchst wunderliches Gemisch.«

Gegen Abend reiste Graf Hans-Georg wirklich mit dem Luxuszuge ab. Die beiden Damen hatten ihn zur Mißbilligung Matzkes auf den Bahnhof begleitet und waren dann in das Hotel zurückgekehrt und als sie ihren Salon betraten, sagte Schnee:

»Jetzt, wo Hans-Georg fort ist, kommen mir die letzten vierzehn Tage wie ein Traum vor. Was für einen Beweis haben wir auch schließlich, daß es keiner war?«

Marie-Luise sah ihre Freundin an und das unbestimmte Gefühl der Angst, das sie zuletzt kaum noch empfunden, wollte sie wieder einmal beschleichen, als sie die großen, dunklen Augen mit dem Blick, der etwas ganz anderes, als die Gegenstände in diesem Zimmer sah, streifte.

»Nun, ich denke, sein Brief wird den Beweis bringen, daß es kein Traum, sondern warmes, pulsendes Leben war«, meinte sie herzlich. »War und – bleibt«, setzte sie hinzu. »Am Ende ist das ganze Leben ja nur ein Traum, wenn wir dem Dichter glauben wollen.«

»Ja, und kein Mensch weiß, wann und wo er daraus erwacht«, murmelte Schnee und ließ sich müde in einen Sessel sinken.

Marie-Luise streichelte ihr leise über das leuchtende, krause Haar und überlegte, womit sie der Freundin Gedanken auf etwas anderes, Heiteres lenken konnte. Da fiel ihr Blick auf einen roten Zettel, den man inzwischen auf den Tisch gelegt.

»Morgen wird die Bahn nach Zermatt und auf den Gornergrat eröffnet für die Saison«, sagte sie, Schnee den Zettel reichend. »Mir kommt ein Gedanke dabei: wie wär's, wenn wir jetzt schon einen Abstecher dahin machten? Denn mit diesem schrecklichen Hans-Georg im Hintergrunde sind ja unsere ganzen Pläne ins Wanken geraten. Oder möchtest du später lieber mit ihm zusammen das Matterhorn besuchen?«

Schnee nahm den roten Zettel und las aufmerksam die Anzeige darauf. »Was du immer für gute Ideen hast, Marie-Lu«, sagte sie. »Und wie gut du selbst bist, daß du mir jeden Wunsch erfüllen möchtest. Oh ja, gehen wir noch nach Zermatt! Du weißt, ich habe ja immer gesagt, ich möchte das Matterhorn gesehen haben, ehe ich sterbe.«