Die Ulmer Erbschaft
Published by Cassiopeiapress/Alfredbooks, 2017.
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Die Ulmer Erbschaft
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KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
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Also By Walter G. Pfaus
About the Publisher
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Kriminalroman von Walter G. Pfaus
Der Umfang dieses Buchs entspricht 172 Taschenbuchseiten.
Pit Fetzer schlägt sich als Privatdetektiv in Ulm mehr schlecht als recht durch. Als sein Kumpel Alfie ihn um Hilfe bittet, weil er seine Freundin Moni vermisst und der Ganove Grunski versucht hat, ihn umzubringen, weiß Fetzer noch nicht, worauf er sich einlässt. In der schwäbischen Kleinstadt Karlingen, wo Monika Weiß in der Gemeindeverwaltung tätig war, schlägt ihm Misstrauen und Ablehnung entgegen. Schnell wird klar, dass Monis Verschwinden mit einer Erbschaft zusammenhängt, für die es angeblich keine Erben gibt. Offensichtlich will sich die Gemeinde den Nachlass der verstorbenen Veronika Ludwig unter den Nagel reißen. Aber würde der Bürgermeister deshalb einen Mord begehen?
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© Cover nach Motiven von Pixabay mit Steve Mayer, 2017
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
Dieser Roman spielt in einer fiktiven Kleinstadt. Handlung und Personen sind frei erfunden. Sollte dennoch jemand glauben, sich darin wiederzufinden, liegt es einzig und allein an ihm.
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Das Telefon riss mich aus einem schrecklichen Alptraum. Ich stand mit Jack Daniels und Bier gemeinsam im Ring, und sie hatten mich fast am Boden. Das Schrillen des Telefons bewahrte mich vor einem erneuten Niederschlag.
Schweißgebadet richtete ich mich auf. Das Telefon stand auf dem Schreibtisch, wo es hingehörte. Ich lag auf dem kleinen, braunen Ledersofa, das ich mir vor zwei Jahren von meinem dritten Honorar gekauft hatte. Wenn ich am Tag schlafe, habe ich meistens Alpträume. Ich träume von meinem aussichtslosen Kampf gegen den Alkohol. Es ist mir bis heute nicht gelungen, ihn zu vernichten.
Das Telefon schrillte unerbittlich weiter. Mühsam erhob ich mich und taumelte schlaftrunken zum Schreibtisch. Ich nahm den Hörer ab.
»Was, zum Teufel, ist los mit dir, Pit?«, drang eine laute, aufgeregte Stimme aus dem Hörer, noch bevor ich ihn ganz am Ohr hatte. »Hast du geschlafen?«
Pit, das bin ich. Pit Fetzer. Es gibt ein paar Freunde, die mich Pit rufen. Aber die meisten nennen mich Fetzer. Oder einfach nur Fetz. Wenn ich Kohle habe, habe ich viele Freunde, wenn ich blank bin, machen die meisten einen Bogen um mich.
Sch... Schöne Freunde.
Der am Telefon musste zu denen gehören, die sich ab und zu bei mir erkundigen, ob ich noch am Leben bin.
Oder er war in Schwierigkeiten.
»He, bist du dran, Pit?«
»Ich bin dran«, brummte ich verschlafen und heiser.
»Habe ich dich geweckt?«, erkundigte sich der Anrufer.
»Ja, das hast du«, sagte ich.
»Tut mir leid, Pit. Aber ich habe extra bis halb zwölf gewartet ...«
»Es gibt Leute, die haben keinen Acht-Stunden-Tag«, sagte ich. »Ich habe eine harte Nacht hinter mir.«
Die Stimme des Anrufers kam mir bekannt vor. Aber ich wusste nicht, wer es war.
»Ich konnte nicht mehr länger warten!«, schrie der Anrufer, und ich hielt vorsichtshalber den Hörer ein Stück von meinem Ohr weg. »Es geht um Leben und Tod!«
Also war er in Schwierigkeiten. Auf meine Freunde ist eben absolut Verlass.
Eigentlich hasse ich diesen Satz. Es gellt doch immer um Leben und Tod. Ich kann eine Treppe hinuntersteigen und glücklich unten ankommen, und ich lebe. Ich kann aber auch stolpern und mir das Genick brechen - und bin tot. Jeden Tag, wenn ich in meinen Wagen steige, geht es um Leben und Tod. Bei inzwischen rund fünfzig Millionen zugelassenen Fahrzeugen in der Bundesrepublik sind täglich mindestens ein Prozent Wahnsinnige unterwegs. Ich kann Pech haben, und ich treffe auf einen, und ich bin tot.
Ich nehme solche dramatischen Sätze nicht mehr so ernst.
»Mit wem spreche ich eigentlich?«, erkundigte ich mich.
»Aber das habe ich dir schon gesagt!«, schrie der Freund am anderen Ende der Leitung. »Hier ist Schöner! Alfred Schöner ... Alfie!
»Ach, Alfie ... Ich dachte schon, dich gibt es nicht mehr.«
»Fast hätte es mich auch nicht mehr gegeben!«, schrie Alfie. »Fast! Jemand wollte mich umbringen!«
»Was du nicht sagst.«
»Es ist die Wahrheit, Pit! Jemand wollte mich umbringen! Du musst es mir glauben!«
»Schön«, seufzte ich. »Für ich mal so, als ob ich dir glaube.«
»Verdammt, Pit, du sollst nicht bloß so tun, als ob du mir glaubst! Du sollst mir glauben! Es ist die Wahrheit, Pit! Jemand will mich umbringen!«
»Was hast du angestellt, Alfie?«
»Nichts«, sagte Alfie. »Jedenfalls bin ich mir keiner Schuld bewusst.«
»Wer ist hinter dir her?«
»Grunski saß in dem Wagen. Ich hab ihn genau gesehen. Du kennst doch dieses Schwein.«
Ich kannte Grunski. Ehemaliger Boxer. Jetzt Zuhälter und Dealer. Ich hatte schon mit ihm zu tun. Seitdem bin ich im Besitz zweier nagelneuer, herausnehmbarer Schneidezähne. Die Rechnung stand noch offen. Beim Zahnarzt und mit Grunski.
»In welchem Wagen?«
Alfie sagte: »In dem Grunski saß! Er wollte mich überfahren!«
»Würdest du mir die Geschichte von vorn erzählen?«
Er tat es. Er sagte, er wäre in der vergangenen Nacht, etwa gegen ein Uhr, aus dem >Hollywood< gekommen und zu Fuß zum Münsterplatz gegangen, wo er seinen Wagen abgestellt hatte. Dort hätte ihn schon ein schwarzer Geländewagen mit laufendem Motor erwartet.
Mit hohem Tempo wäre der Wagen genau auf ihn zugerast. Am Steuer hätte Grunski gesessen. Bei seiner hastigen Flucht wäre er dann rückwärts über den Bordstein gestolpert und mit dem Hinterkopf auf den Asphalt geknallt.
Alfie fügte hinzu: »Ich bin erst wieder zu mir gekommen, als sie mich auf einer Bahre in einen Krankenwagen schoben.«
»Hast du das auch der Polizei erzählt?«
»Natürlich. Aber die haben mir kein Wort geglaubt.«
Ich glaubte ihm auch nicht. Zumindest glaubte ich ihm nicht, dass er nicht wusste, weshalb Grunski hinter ihm her war.
»Du musst mir helfen, Pit«, jammerte Alfie. »Du bist der Einzige, der mir helfen kann. Es geht weniger um mich. Ich bin hier ziemlich sicher. Es geht um Moni. Ich habe Angst, dass sie ihr was antun.«
»Wer ist Moni?«
»Meine Freundin. Aber du kennst sie doch. Die kräftige Blondine mit der rauchigen Stimme.«
»Ach, die Dicke?«
»Sie ist nicht dick!«, verteidigte sie Alfie. »Nur griffig.«
»Was hat sie mit deinen Schwierigkeiten zu hm?«
»Nichts. Ich habe nur Angst, dass sie sich jetzt an Moni halten. Könntest du mal bei ihr vorbeischauen?«
»Warum machst du das nicht selbst?«
»Weil ich mit einer schweren Gehirnerschütterung im Krankenhaus liege und nicht rauskann!«, schrie Alfie.
»Für einen Hirngeschädigten hast du ein außerordentlich lautstarkes Organ«, sagte ich.
»Ich muss doch schreien, weil du mir ganz offensichtlich nicht zuhörst!«
»Ich höre dir zu«, erklärte ich. »Warum rufst du sie nicht einfach an, wie du mich anrufst?«
»Ich habe es versucht«, sagte Alfie verzweifelt. »Den ganzen Morgen versuche ich es schon. Auf ihrer Dienststelle ist sie nicht, und zu Hause hebt niemand ab. Ich fürchte, ihr ist etwas zugestoßen.«
»Wieso sollte ihr etwas zugestoßen sein?«, erkundigte ich mich. »Grunski will doch dir an den Kragen.«
»Ich weiß es nicht, Pit«, murmelte Alfie. »Es ist einfach nur so ein Gefühl.«
»Weißt du was, Alfie?«, schlug ich vor. »Ich lege jetzt auf, und du denkst in Ruhe über alles nach. Wenn du mir dann etwas mehr erzählen möchtest, rufst du mich wieder an. Wenn nicht, kannst du dir den Anruf sparen.«
Ich legte den Hörer auf und griff nach der Zigarettenpackung. Ich steckte mir einen Sargnagel zwischen die Lippen und suchte nach einem Feuerzeug. Aber ich fand keines. Dafür beglückte mich der allmorgendliche Hustenanfall. Der Anfall trieb mir die Tränen in die Augen, und ich hustete mir fast die Lunge aus dem Leib. Ich beachtete diesmal das Warnzeichen und schob die Zigarette wieder in die Schachtel zurück.
Dann klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer erst gar nicht ganz ans Ohr. »Bist du wahnsinnig, Pit?«, schrie Alfie. »Du kannst doch nicht einfach auflegen!«
»Du hast doch gesehen, dass ich es kann«, erwiderte ich noch etwas außer Atem.
»Pit, ich beschwöre dich!«, sagte Alfie weinerlich. »Lass mich nicht im Stich. Du musst mir helfen!«
»Was hast du mir über Grunski zu sagen?«
Alfie senkte plötzlich die Stimme. »Nicht am Telefon, Pit! Ich sage dir alles, aber nicht jetzt!«
»Gut, dann komme ich jetzt zu dir, und du erzählst mir alles, was ich wissen will.«
»Aber erst siehst du nach Moni«, forderte Alfie. »Hast du gehört? Erst will ich wissen, was mit Moni ist.«
»Okay«, sagte ich. »Mein Tagessatz beläuft sich auf dreihundert Mark plus Spesen ...«
»Großer Gott!«, fiel mir Alfie stöhnend ins Wort. »Kannst du einem Freund nicht mal einen kleinen Gefallen tun, ohne deinen Tagessatz herunterzuleiern?«
Ich wusste es. Meine Freunde ...
Seufzend legte ich auf.
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Ich parkte meinen Wagen hinter dem Rathaus. Die letzten paar Meter ging ich gern zu Fuß. Gleich bei meinem ersten Auftrag hatte mir das Glück gebracht. Also behielt ich es bei.
Moni wohnte in einem alten Haus in der Kronengasse, nicht weit vom Weinhof entfernt. Neben dem Haus war eine türkische Gaststätte. Ich ging eine knarrende Treppe in den ersten Stock hinauf. Unter einem Klingelknopf neben der ersten Tür links stand ihr Name: Monika Weiß.
Ich drückte auf den Klingelknopf und wartete. Es rührte sich nichts. Ich versuchte es noch zweimal. Aber niemand kam an die Tür.
Ich trat wieder auf die Straße hinaus und blickte zu einem Fenster hoch, das zu ihrer Wohnung gehören musste. Der Vorhang bewegte sich nicht.
Eine Frau, klein, schlank, etwa Mitte fünfzig, kam vom Weinhof her und blieb vor der Tür stehen, durch die ich vorher rausgekommen war. Sie suchte in ihrer Einkaufstasche nach einem Schlüssel. Ich trat neben sie.
»Entschuldigen Sie, kennen Sie Monika Weiß?«
»Wieso soll i des entschuldigen?« Sie suchte weiter in ihrer Tasche nach dem Schlüssel.
»Kennen Sie Monika Weiß?«
»Wer will des wissen?«
»Ich. Ich bin ein Freund von ihr.« '
»Was Sie net saget.« Sie hatte den Schlüssel endlich gefunden. Sie klimperte mit den Schlüsseln herum, ohne mich anzusehen.
»Sie ist nicht zu Hause«, sagte ich. »Wissen Sie, wo ich sie erreichen kann?«
»Keine Ahnung«, antwortete sie.
»Danke.« Ich wandte mich um und wollte weggehen.
»He, nix danke!« Sie hielt mich zurück. »Fünf Mark.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie mir eine befriedigende Antwort gegeben haben.«
»Da kann i doch nix dafür.«
Ich ließ sie stehen und ging zu meinem Wagen zurück. Eigentlich war damit mein Freundschaftsdienst beendet. Ich war dort gewesen und hatte festgestellt, dass sie nicht zu Hause ist. Ich suchte nach einer Telefonzelle, um Alfie zu informieren. Aber ich musste dazu die Neue Straße überqueren. Seufzend stellte ich mich an die Ampel und wartete auf Grün.
Es dauerte eine Weile, bis ich Alfie an der Strippe hatte.
Ich sagte: »Sie macht nicht auf, Alfie.«
»Hast du auch lange genug geklingelt?«
»Mir tut noch der Daumen weh.«
Alfie schrie: »Dann ist ihr bestimmt etwas passiert! Du musst in ihre Wohnung!«
»Das wollte ich, aber sie macht nicht auf.«
»Herrgott, Pit, mir ist nicht nach Scherzen zumute!«, heulte er. »Komm her! Ich habe einen Schlüssel für ihre Wohnung.«
»Das artet jetzt endgültig in Arbeit aus. Mein Tagessatz ...«
»Lieber Himmel, da hat man tausend Freunde, aber wenn man in Not gerät, hilft einem keiner!«
»Wem sagst du das? Das Auffinden von Personen oder Informationen ist mein Beruf, das solltest du wissen. Aber nichts auf dieser Welt ist umsonst. Ich muss auch leben. Das ist wie bei einem Arzt. Ein Arzt gibt dir auch keine Ferndiagnose. Du musst zu ihm kommen, oder er kommt zu dir, und er tut etwas für dich. Und dafür stellt er dir eine Rechnung ...«
»Okay, okay!«, schrie Alfie. »Es ist gut! Du bekommst deine zweihundert Mark!«
»Dreihundert. Plus Spesen.«
»Herrgott noch mal, du wirst doch wohl noch einen Freundschaftspreis machen können!«
»Das ist schon ein Freundschaftspreis.«
»Gut, gut, du bekommst dein Geld! Aber kümmere dich um Moni! Sieh zu, dass du sie findest!«
»Ich komme jetzt erst einmal zu dir.«
Ulm ist eine herrliche Stadt. Sie hat gerade die richtige Größe. Noch nicht zu groß, um sich darin zu verlieren, und nicht zu klein, um als Privatdetektiv zu verhungern. Es reichte zum Leben. Aber in der Mittagszeit herrscht auf den Straßen das gleiche Chaos wie in den Großstädten. Ich brauchte fünfundzwanzig Minuten, um zur Uni zu kommen.
Ich war bislang erst zweimal in der Uni-Klinik gewesen. Aber jedes Mal, wenn ich das Gebäude verlassen hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, einem Labyrinth entronnen zu sein.
Diesmal war es nicht anders. Ich rannte durch die weitverzweigten Gänge, und als ich zum zweiten Mal an derselben Schwester vorbeikam, sprach sie mich an.
»Wen suchen wir denn?«
Ich sagte ihr, wen wir suchen, sie sagte uns, wo wir ihn finden, und ich marschierte los, Diesmal klappte es auf Anhieb.
Sie lagen zu dritt in dem Zimmer. Die beiden anderen waren jünger als Alfie. Der im hinteren Bett mochte vielleicht achtzehn sein. Der andere zwanzig.
Alfie Schöner lag im ersten Bett.
Als ich eintrat, sagte Alfie zu den beiden anderen: »Los, verschwindet für zehn Minuten!«
Der im hinteren Bett, ein blonder Junge mit pfiffigem Gesicht, wandte Alfie den Rücken zu und zeigte sein blankes Hinterteil. »Du kannst mich mal!«
Alfie sagte zu mir: »Hau ihm mal eins auf den Arsch.«
Der Braunhaarige im mittleren Bett tat es. Es klatschte laut, der Blonde schrie auf, und der Braunhaarige forderte: »Los, komm jetzt!«
Als die beiden draußen waren, sagte ich anerkennend: »Die hast du schon recht gut im Griff.«
»Es sind zwei dumme Jungens«, brummte Alfie abfällig. »Der Blonde kommt aus einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche. Wird morgen operiert. Hat einen Leistenbruch. Der andere ist ein braver Bauernsohn. Ist zur Beobachtung hier, sagt er.«
»Und du? Bist du auch zur Beobachtung hier? Du siehst nicht aus, als hätte es dir das Gehirn durcheinandergeschüttelt.«
»Mein Aussehen täuscht. Ich habe immer noch schreckliche Kopfschmerzen. Aber ich lasse es mir nicht anmerken. Ich habe keine Zeit dazu. Ich mache mir große Sorgen um Moni.«
»Weshalb machst du dir um Moni Sorgen?«, erkundigte ich mich. »Was hat sie mit Grunski zu tun?«
»Nichts«, erklärte Alfie hastig. »Gar nichts. Ich glaube, sie kennt ihn nicht einmal.«
»Ich hoffe nicht, dass du mich hierhergebeten hast, um mich zu verarschen«, erwiderte ich.
»Es stimmt!«, versicherte mir Alfie. »Ich schwör's! Es ist nur so, dass sie etwas weiß, das vermutlich auch Grunski weiß. Und Grunski lässt sich nicht gern in die Karten sehen, das weißt du doch!«
Das wusste ich. Es war noch nicht zu lange her, dass Grunski mir das eingehämmert hatte.
»Würdest du es mir sagen, damit auch ich weiß, was Grunski weiß?«, schlug ich vor.
»Hör zu, Pit«, erklärte Alfie vorsichtig. »Es ist nur eine Vermutung. Ich weiß es nicht genau. Moni ließ nur neulich etwas fallen ...«
»Lass es auch fallen, Alfie«, seufzte ich. »Ich hebe es dann auf und überprüfe es.«
»Moni arbeitet doch bei der Gemeindeverwaltung in Karlingen. Das heißt, sie arbeitet nicht dort, sie ist dort.«
»Worin liegt da der Unterschied?«
»Bei der Gemeindeverwaltung arbeitet man nicht, da ist man. Das Wort Arbeit ist da verpönt. Vermutlich ist das bei allen öffentlichen Ämtern so ...«
»Komm zum Thema, Alfie.«
»Also, in Karlingen ist vor etwa zwei Wochen eine alte Frau gestorben. Sie hieß Veronika Ludwig. Da die Frau in den letzten zwei Jahren schlecht zu Fuß war, sah Moni jeden Tag bei ihr rein. Du musst wissen, Moni ist aus Karlingen. Sie hat sich nur in Ulm die kleine Wohnung gemietet, weil sie endlich auf eigenen Füßen stehen wollte.«
Alfie schwieg, und ich wartete.
»Bei ihren täglichen Besuchen bei der alten Dame erfuhr Moni von ihr, dass da noch eine Nichte in Berlin leben soll. Bei der Gemeindeverwaltung wurde der Todesfall aber so behandelt, als gäbe es keine Verwandten mehr. Das Vermögen fiel an die Gemeinde.«
»Hat Moni dem Bürgermeister von der Nichte berichtet?«
»Hat sie. Aber der sagte, er wisse nichts von einer Nichte, wolle sich aber darum kümmern. Zwei Tage später habe er ihr erklärt, die Suche nach der Nichte erweise sich als sehr schwierig, weil man nicht einmal den richtigen Namen wisse. Damit konnte Moni auch nicht dienen. Aber es ärgerte sie, dass der Todesfall nach wie vor so behandelt wurde, als gäbe es keine Verwandten. Der Tod der alten Dame kam der Gemeinde natürlich sehr gelegen.«
»Was hat die Gemeinde für einen Vorteil von ihrem Tod?«, erkundigte ich mich. »War die Frau sehr vermögend?«
»Ich glaube schon«, bestätigte Alfie. »Moni sagte mir, dieser Frau Ludwig hätten zwei Häuser gehört. Ein kleines am Ortsrand, in dem sie selbst wohnte, und ein großes, altes Haus in der Ortsmitte, das sie vermietet hatte. Und gerade dieses alte Haus in der Ortsmitte ist für die Gemeinde von großem Interesse. Die ehrgeizigen Gemeinderäte wollen sich gerade an der Stelle ein Denkmal setzen. Dort sollen ein Rathaus, ein Bankgebäude, ein Supermarkt und einige Büros errichtet werden.«
»Bekam die Frau Ludwig vor ihrem Tod Kaufangebote?«, wollte ich wissen.
»Natürlich. Der Bürgermeister hat sich oft genug bemüht, und ein Makler aus Karlingen auch. Aber die Frau Ludwig wollte nicht verkaufen.«
»An was ist die Frau gestorben?«
»Herzversagen.«
»Wer hat den Totenschein ausgestellt?«
»Ihr Hausarzt ...« Alfie riss die Augen weit auf. »Glaubst du etwa, man hat sie umgebracht?«
»Ich glaube gar nichts. Ich frage nur ... Wie passt Grunski zu all dem?«
»Ich weiß es nicht«, erklärte Alfie verzweifelt. »Ich sagte ja schon, es ist nur eine Vermutung. Ich habe Grunski schon ein paarmal in Karlingen gesehen. Dann der Mordanschlag auf mich, und jetzt ist Moni verschwunden ...«
»Das steht noch nicht fest.«
»Aber sie ist nicht da!«, kreischte Alfie. »Sie ist weder zu Hause noch im Büro. Wenn sie verreist wäre, hätte sie es mir gesagt.«
»Warum machst du dich nicht selbst auf die Suche?«
»Weil ich Schriftsetzer bin und kein Detektiv!«, schimpfte Alfie wütend. »Du kannst das doch besser!«
»Na schon«, seufzte ich. »Was kannst du mir noch sagen?«
»Nichts. Ist das, was ich dir erzählt habe, nicht genug?«
»Sehr dürftig. Vor allem, was Grunski angeht.«
»Was? Er bringt mich fast um, und du nennst das dürftig?«
»Grunski ist ein Schwein, deshalb heißt er Grunski«, erklärte ich Alfie. »Der tut das auch schon mal zum Spaß. Einfach nur, um Leute zu erschrecken.«
»Ach, und was hatte er dann in Karlingen zu suchen?«, fragte Alfie sarkastisch.
»Was hattest du dort zu suchen?«
»Na, hör mal! Ich habe Moni besucht. Manchmal habe ich sie auch abgeholt.«
»Und da hast du Grunski gesehen?«
»Ja. Zwei oder dreimal.«
»Wann hast du Moni zum letzten Mai gesehen?«
»Gestern Abend. Ich habe etwa gegen zehn Uhr ihre Wohnung verlassen und bin noch ins >Hollywood< gegangen. Als ich das Lokal gegen ein Uhr verließ, hat mir Grunski aufgelauert.«
»Hat dich jemand gesehen, als du von Moni weggegangen bist?«
»Ja, die Alte von nebenan.«
»Klein, schlank, Mitte fünfzig?«
Alfie sah mich erstaunt an. »Du kennst sie?«
»Es gehört zu meinem Beruf, Leute zu kennen«, erwiderte ich.
Ich streckte die Hand aus. »Gib mir jetzt die Schlüssel.«
Alfie reichte mir ein Schlüsselbund.
»Und die Kohle.«
Er zog einen Scheck unter dem Kopfkissen hervor und reichte ihn mir. Ich warf einen Blick darauf. Er war auf tausend Mark ausgestellt.
»Ah, du kennst also meine Sätze?«
»Du darfst den Scheck aber erst in drei Tagen einlösen, wenn du das Geld verdient hast«, erklärte Alfie.
»Du solltest mich eigentlich besser kennen«, meinte ich.
»He, Pit, sei nicht gleich beleidigt. Das war nicht so gemeint.«
Ich war nicht beleidigt. Man gewöhnt sich an das anfängliche Misstrauen der Klienten. Vor allem bei den sogenannten Freunden. Ich ging zur Tür. »Du hörst von mir.«
»He, Pit!«, hielt mich Alfie zurück. »Finde meine Moni.«
»Ich tu', was ich kann.«
Dann zog ich die Tür hinter mir zu.
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Die Treppe zu Monis Wohnung hinauf knarrte wieder laut. Als ich vor der Tür stand, sah ich mir das Schloss an und suchte unter den sieben Schlüsseln den passenden heraus. Der zweite passte.
»Was machet Sie da?«, fuhr mich plötzlich jemand von hinten an. Ich kannte die Stimme. Sie gehörte der kleinen, schlanken Frau, deren Bekanntschaft ich schon gemacht hatte.
Ich wandte mich langsam um. »Ich schließe die Tür auf.«
»Sie scho wieder!« Sie deutete auf den Schlüsselbund. »Woher habet Sie den Schlüssel?«
»Das ist doch wohl meine Sache!«
»Des isch net bloß Ihre Sache!«, herrschte sie mich an. »I bin in dem Haus der Sheriff, und mir hat jeder Rede und Antwort zu stehen.«
»Jeder schon, bloß ich nicht.«
Sie spuckte in ihre dünnen, kleinen Hände und baute sich breitbeinig vor mir auf. »Wollet Sie sich mit mir anlegen? Na, dann los! I hab keine Angst vor Ihne! I schlag Ihne die Nüsse zusammen, schneller als Sie denken können.«
Ich wich einen Schritt zurück und mimte den Geschlagenen.
»Okay, okay, Sie haben gewonnen.«
»Möcht i scho hoffen ... Also, wer sind Sie, und was wollen Sie da drin? Und vor allem: Woher habet Sie den Schlüssel?«
»Ich bin Privatdetektiv«, sagte ich und reichte ihr meine Lizenz.
»Privatdetektiv?« Sie starrte mich eine Weile ungläubig an und blickte dann auf die Lizenz. »Tatsächlich ein Detektiv! I hätt' nicht für möglich gehalten, dass es so was wirklich gibt.«
»Es gibt mich wirklich.« Ich nahm ihr meine Lizenz aus der Hand. »Darf ich?«
»Und was wollet Sie da?«
»Ich muss nachsehen, ob Monika Weiß zu Hause ist.«
»Die isch net da!«, platzte sie heraus.
»Woher wissen Sie das?«
»I weiß alles, was in dem Haus passiert.«
»Wann ist sie weggegangen?«
»Letzte Nacht, so gegen halb elf.«
»War sie allein?«
»Bis zehne war ihr Macker do.«
»Ich meine, als sie wegging.«
»Da war sie allein. Ich hab' se zwar net gesehen, aber es hat sich angehört, als war' bloß eine Person auf der Trepp'. Und ich hör' no recht guat, Herr ... Wia war jetzt der Name?«
»Fetzer. Pit Fetzer ... Haben Sie eine Ahnung, warum sie um diese Zeit noch wegging?«
»Hab' i.«
»Und? Dürfte ich das erfahren?«
»I hab' mal in einem Film gesehen, dass dia Detektive für Informationen aus erschter Hand guat zahlen.«
»Man sollte alle amerikanischen Kriminalserien aus dem Programm streichen«, seufzte ich. Ich hatte für solche Fälle immer einen Fünfer oder Zehner in der Tasche. Ich gab ihr den Fünfer.
»Wenig«, sagte sie. »Herzlich wenig. Ob i mi für so wenig noch genau erinnern kann ...«
»Hören Sie«, sagte ich. »Sie sind doch eine intelligente Frau. Sie wissen doch, dass Film mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat ...«
»Da hend Sia recht«, unterbrach sie mich grinsend. »En der Wirklichkeit, also em richtiga Leaba, da wird no mehr gschmiert, als ma sich vorstella kann. Gucken Sie bloß nei in d' Zeitung ...«
»Okay, okay, schon gut.« Ich nahm ihr den Fünfer aus der Hand und legte den Zehner hinein. »Also, warum ist sie weggegangen?«
»Wenn se jetzt den Zehner mit dem Fünfer beschweren, dann fällt es mär bestimmt ein.«
Ich hatte keinen Moment geglaubt, dass sie mit dem Fünfer oder Zehner zufrieden sein könnte. Deshalb hatte ich das Fünfmarkstück noch in der Hand behalten. Ich legte es ihr auf den Zehner.
»Sie hat en Anruf kriagt.«
»Das wissen Sie genau?«
»Ganz genau. Mir wohnet doch Wand an Wand, und sie hat ihr Telefon genau an der Wand, an der i mei Sofa standa hab'. Und wenn i da sitz', hör' i emmer ihr Telefon schnarra.«
»Und was sie gesprochen hat, haben Sie auch gehört.«
»Fehlanzeige. Des hab' i net höra könna. Aber sie isch glei nach dem Anruf wegganga.«
»Und wann ist sie wieder zurückgekommen?«
»Bis jetzt net.«
»Gut. Darf ich jetzt hinein?«
»Se isch net da.«
Ich seufzte. »Das sagten Sie schon. Dürfte ich mich selbst davon überzeugen?«
»Wenn Se meinet ... Aber bloß, wenn i drbei sei darf.«
»Ich nehme an, es hat keinen Sinn, Sie davon zu überzeugen, dass ich das alleine machen muss.«
»I bewundere Ihren Scharfsinn.«
»Wissen Sie, ich bin Detektiv.« Ich drehte den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür auf. Der Korridor war schmal und leer. Nur an der linken Wand waren drei Kleiderhaken befestigt. Am vorderen hing ein roter Regenmantel. Darunter standen zwei Paar flache Frauenschuhe.
Vor dem Mantel führte eine Tür ins Bad. Es war ein einfaches Bad. Eine weiße Wanne aus Metall, ein weißes Waschbecken, eine Kloschüssel. Über der Wanne hing Damenunterwäsche Größe vierzig oder zweiundvierzig. Am Wannenrand hingen zwei Handtücher. Ein weiteres Handtuch lag zusammengeknüllt im Waschbecken. Ich nahm es heraus und zog es auseinander. Es roch nach Schweiß. Sonst war nichts zu sehen.
Die Küche war sauber aufgeräumt. Im Spülbecken standen zwei Gläser. Es gab noch einen Hängeschrank, eine Kommode, einen Elektroherd, einen Tisch mit drei Stühlen und einen halb gefüllten Abfalleimer. Es roch leicht nach Putzmittel, als wäre die Küche erst vor Kurzem gereinigt worden.
Das Wohnzimmer war klein und ebenso spärlich möbliert wie die Küche. Ein Sofa, ein Sessel, ein kleiner, alter Schrank mit Glastüren und ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher.
Im Schlafzimmer standen ein altes, ziemlich ramponiertes Doppelbett und ein schmaler Schrank, der nicht zum Bett passte. Auf den ersten Blick schienen keine Kleider zu fehlen.
Von Monika war nichts zu sehen.
»Sie ist nicht da«, erkannte ich.
»Bravo«, sagte die Frau.
Ich wandte ihr den Rücken zu und schob die wenigen Kleidungsstücke im Schrank hin und her.
»Da fehlt nix«, erklärte die Frau.
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Sie hot koin Koffr drbei ghabt, als se ganga isch.«
»Ach was«, erwiderte ich spöttisch. »Ich dachte, Sie haben Sie gar nicht gesehen, als sie ging.«
»Hab' i au net. Aber wenn sie einen Koffer dabei ghabt hätt', hätt' i des an ihrem Schritt ghört.«
»Aha.« Ich ging ins Wohnzimmer hinüber. Sie folgte mir. Das Telefon hatte ich vorher nicht gesehen. Es stand auf einem kleinen Brett, das mit einem Winkeleisen an die Wand geschraubt war. Ich nahm den Hörer ab.
Die Frau deutete auf das Brett. »Sehet Sie, deshalb hör' i des zwar klingeln bei mir drüba, aber i ka dann net hören, was gschwätzt wird.«
»Das ist mir jetzt auch klar«, sagte ich und begann zu wählen.