Manger, Mira Schwarz und Blau

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Achtung: Dieses Buch enthält Themen wie Gewalt gegen Frauen, derbe Sprache und Kraftausdrücke, Körperverletzung und Mord.

 

© 2020 Piper Verlag GmbH, München

Redaktion: Cornelia Franke

Covergestaltung: Annika Hanke

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

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Zitat

Like the serpent’s tongue, like the storm that shakes me, like the hand that beats me, until I’m black and blue

Being as an Ocean – Black and Blue

Playlist

Being as an Ocean – Black & Blue

The Ghost Inside – With the Wolves

Beartooth – Manipulation

Billie Eilish – Everything I wanted

Alec Benjamin – Let me down slowly

Wage War – Grave

Red – Ordinary World

Kansas – Dust in the Wind

Eagles – Hotel California

The Amity Affliction – Fever Dream

William Fitzsimmons – I don’t feel it anymore

Blink 182 – I really wish I hated you

Green Day – Holiday

Eminem – Venom

Health – Slaves of Fear

Widmung

Für meine Schwester Mona, eine der liebsten Vorlesestimmen meiner Kindheit.

Prolog

Im kalten Licht der Halogenlampen ist das getrocknete Blut an meinen Händen nicht zu leugnen. Ich starre sie an, bis die Tränen mein Sichtfeld verschwimmen lassen. Von irgendwoher ertönt ein trockenes Schluchzen und es dauert einen Augenblick, bis mein Verstand von der Erkenntnis durchdrungen wird, dass dieses Geräusch von mir selbst stammt. Meine Hände zittern. Der scharfe Krankenhausgeruch beißt mir in der Nase. Um mich herum reden Leute, Worte umschwirren mich, ohne dass ich ihre Bedeutung erfasse. Telefone klingeln, Geräte piepen, ein Kind weint.

Irgendwo in diesem Gebäude wird er gerade notoperiert. Und ich bin schuld. Bitte, lass ihn nicht sterben, nicht wegen mir. Bitte, nicht wegen mir.

Kapitel 1

Vier Monate zuvor, in der Nähe von Liverpool, UK

Schon wieder dieses Schleifen. Meine Schultern verkrampfen sich und instinktiv umfasse ich den Lenker meines Motorrads fester. Ich erschrecke, als dicht hinter mir ein Hupen ertönt. Ein paar Sekunden später rauscht ein schwarzer Ford an mir vorbei und erst jetzt merke ich, dass ich immer langsamer geworden bin.

Mit einem flüchtigen Blick in den Spiegel gebe ich Gas, doch die Maschine ruckelt nur und wieder ertönt dieses blöde Geräusch, das mich schon seit Seaforth begleitet und von dem ich keine Ahnung habe, was es ist. Mit nervös klopfendem Herzen setze ich den Blinker und lasse mein Motorrad langsam am Straßenrand ausrollen. Verdammt.

Ich stelle den Motor aus, steige ab und kippe die Maschine auf den Ständer. Als ich einen Handschuh ausziehe und das Visier meines Helms hochklappe, riecht es nach Regen. Ich blicke mich um. Auf der Landstraße, über der sich dunkle Wolken zusammenbrauen, ist weit und breit niemand zu sehen. Ich bin noch ein ganzes Stück von Liverpool entfernt. Mein erster Instinkt ist, meinen Vater anzurufen, doch diesen Gedanken verwerfe ich schnell. Schließlich muss er an seinem Geburtstag nicht ins Nirgendwo rausfahren und das Motorrad seiner Tochter abschleppen. Und wahrscheinlich ist es sowieso die verdammte Elektrik.

Ich ziehe mein Telefon aus der Jackentasche und rufe die Suchmaschine auf. Als die Karte die nächste Werkstatt namens Bell & Tucker Automotive Repair in knapp zwei Meilen anzeigt, landen die ersten Regentropfen auf dem Display. Ich stecke das Telefon wieder weg, klappe das Visier runter und steige zurück auf das Motorrad, doch es lässt sich nicht starten, egal, wie oft ich es probiere. Also wirklich die Elektrik.

In der Ferne grollt der Donner, die Frühlingsluft kühlt sich rasch ab. Ich werde wohl oder übel schieben müssen.

Der Weg zur Werkstatt zieht sich in die Länge. Inzwischen prasselt der Regen in Strömen und als das erste Schild auftaucht, das mein Ziel in 800 Metern Entfernung anzeigt, bin ich schon klatschnass. Zwar halten meine Motorradstiefel das Versprechen des Herstellers, wasserdicht zu sein, doch immer wieder trete ich am unebenen Straßenrand in Pfützen und als Bell & Tucker vor mir auftaucht, ist meine schwarze Lederkombi bis zur Hüfte mit Schlamm bespritzt.

Schwer atmend erreiche ich das geöffnete Rolltor der Werkstatt. Unter der Markise des Gebäudes entdecke ich die Umrisse dreier Menschen, ihre Konturen verzerrt und undeutlich durch den Regen. Eine der Gestalten erhebt sich, als sie mich entdeckt, setzt die Kapuze ihrer Jacke auf und nähert sich mir.

»Hi, was ist denn passiert?«

Ich wische mir den Regen aus den Augen und blinzele ein paar Mal. Mein Gegenüber ist in etwa so groß wie ich, unter der Sweatshirtjacke trägt er einen schmutzigen Blaumann, der an einem Knie zerrissen ist, und spricht mit breitem, schottischem Akzent.

»Springt nicht mehr an«, keuche ich und lasse zu, dass der Mechaniker, zumindest hoffe ich, dass dieser Kerl einer ist, mir die Maschine abnimmt. »Ich glaube, die Elektrik hat schlappgemacht. Ist schon öfter passiert.«

Der Mann nickt und schiebt mein Motorrad unter die Markise. Ich folge ihm.

»Kein Wunder, bei dem Wetter. Bist du schon länger im Regen unterwegs?«, will er wissen und fängt meinen Blick auf. Flüchtig bemerke ich das ungewöhnlich helle Grau seiner Augen.

»Nein, es hat eben erst angefangen. Aber ich bin gestern in ein paar Schauer gekommen«, entgegne ich und lasse mich auf eine der Holzbänke fallen, die jetzt leer sind.

»Okay, dann ist es entweder der Zündkerzenstecker oder das Kabel. Ich sehe mir das mal an.«

»Danke.«

Der Mann nimmt die Kapuze ab und kniet sich neben der Maschine in den Staub. Da ich nichts anderes zu tun habe, mustere ich ihn. Er scheint ein paar Jahre älter zu sein als ich und hat hellbraunes Haar, das an den Seiten kurz geschnitten, auf dem Kopf aber länger ist und ihm bei der Arbeit in die Stirn fällt. Seine linke Augenbraue teilt eine feine Narbe und verleiht ihm zusammen mit dem getrimmten Bart und den hohen Wangenknochen ein verwegenes Aussehen.

»Was hattest du denn in dem Unwetter auf dem Motorrad zu suchen?«, fragt er in ungezwungenem Plauderton, den Blick weiterhin konzentriert auf seine Arbeit gerichtet. »Es sah den ganzen Morgen nach Regen aus.«

»Ich … ähm, ich habe eine Freundin besucht. Und ich habe kein Auto.«

»Und was machst du so beruflich?«

»Ich studiere Veterinärmedizin. Bin bald fertig.«

»Oh, wow.« Noch immer sieht er mich nicht an. »Cool. Klingt gut.«

Ich habe den Eindruck, dass er keine Ahnung hat, was genau das Wort Veterinärmedizin bedeutet, doch ich will nicht riskieren, auf ihn wie eine Klugscheißerin zu wirken, wenn ich ungefragt erkläre, dass ich angehende Tierärztin bin.

»Willst du ein Handtuch oder so?«, fragt der Mechaniker, als er endlich aufsieht und meinen Blick bemerkt. Ohne eine Antwort abzuwarten, lässt er einen durchdringenden Pfiff ertönen und kurz darauf erscheint einer seiner Kollegen im Eingang der Halle.

»Kannst du der Lady ein Handtuch bringen? Sie tropft.«

Wortlos verschwindet der andere im Inneren und kehrt kurz darauf mit einem halbwegs sauberen Handtuch zurück. Ich bedanke mich und rubbele mir notdürftig das dunkle Haar trocken, das ich in einem langen Zopf geflochten trage, wie immer, wenn ich Motorrad fahre. Derweil versucht der Mann vergeblich, den Motor meiner Maschine zu starten.

»Also, ich tippe mal, dass durch den Regen kein Strom mehr durch die Zündkerzen geht«, erklärt mir der Mechaniker und erhebt sich mit einem leisen Ächzen. »Der Zündfunke kommt nicht an.« Zur Demonstration versucht er es erneut, doch noch immer tut sich nichts.

»Das ist nichts Schlimmes, ich tausche Kabel und Stecker einfach aus und dann sollte alles wieder funktionieren. Kleinen Moment.« Er zeigt den Anflug eines geschäftlichen Lächelns, ehe er ebenfalls in Richtung Halle verschwindet. Als ich ihm nachsehe, fällt mein Blick auf das riesige Schild an der Fassade, das selbst durch den Regen deutlich zu erkennen ist. Auf tiefschwarzem Grund prangt ein flammendes, rechteckiges Wappen, um das sich zwei weiße Schlangen rekeln. Der Banner darüber ist mit leuchtend roter Schrift bedeckt: Traitors MC. Est. 1975.

Mein Herz beginnt, schneller zu schlagen, und unwillkürlich blicke ich mich um. MC? Na großartig. Die Navigation hat mich geradewegs in die Werkstatt eines Motorradclubs geführt. Das Schild löst ein Gefühl von Unbehagen in mir aus und auf meinen Armen entfacht sich eine Gänsehaut, als ich eine Reihe schwarzer Harleys entdecke, die in der Nähe des Tors parken und von der jede das Clubwappen auf dem Tankdeckel trägt. Ich schlucke. Das Hauptquartier einer zwielichtigen Biker-Gang ist nicht gerade der Ort, an dem ich meinen Samstagmorgen verbringen will. Beklommen nehme ich mein Telefon aus der Jackentasche und schaue auf die Uhr. Es ist zehn vor neun. In etwas mehr als einer halben Stunde erwarten mich meine Eltern zum Geburtstagsbrunch. Hoffentlich beeilt sich dieser Typ.

Gerade, als ich mein Telefon wieder wegstecke, kommt der Mechaniker zurück. »Das ist eine BMW R1200 GS, die du da fährst, richtig? Baujahr 2012?«

»Äh, ja.« Mein Herz wummert noch immer viel zu schnell in meiner Brust. Die Stirn des Mannes legt sich in Falten.

»Ah. Mist. Dann habe ich nicht die richtigen Ersatzteile da, die muss ich erst bestellen. Aber da heute Samstag ist, kriegst du sie nicht vor Montag oder Dienstag. Sorry. Hast du’s eilig?«

»Eigentlich schon, ich muss weiter nach Liverpool«, gebe ich zurück. Der Mechaniker denkt kurz nach. Dabei kratzt er sich mit seinen ölverschmierten Fingern an der Nase und hinterlässt dort einen kleinen, dunklen Fleck.

»Also, ich habe eine Ersatzmaschine hier, die ein Kunde heute Morgen abgegeben hat. Ist nur ’ne alte Suzuki GS, aber sie fährt. Du kannst sie haben, wenn du sie Dienstagmittag wieder herbringst. Würde das gehen?«

Ich nicke, auch wenn ich nicht sonderlich scharf darauf bin, wieder hierher zurückzukehren. »Klar. Können wir so machen.«

»Okay. Dann hole ich sie dir.« Schnellen Schrittes überquert er den verregneten Hof und nimmt einen schmalen Weg zu den angrenzenden Garagen.

Irgendwie fällt es mir schwer zu glauben, dass dieser Typ zu dem MC gehört. Vielleicht arbeitet er nur hier, ohne etwas mit der Gang zu tun zu haben. Doch ehe ich weiter darüber nachgrübeln kann, ob der Mechaniker ein zwielichtiges Clubmember ist oder nicht, kehrt er schon mit einer blauen Suzuki zurück, die er in der Nähe der Markise auf den Ständer kippen lässt. Inzwischen hat der Regen nachgelassen, das Gewitter ist weitergezogen. Ich hänge das Handtuch über die Bank und nehme mein Portemonnaie aus der Jackentasche, doch der Mechaniker schüttelt den Kopf.

»Bezahlen kannst du, wenn die Ersatzteile eingebaut sind. Dafür musst du das Formular hier ausfüllen. Für den Auftrag.« Er reicht mir das Klemmbrett, das er zusammen mit dem Motorrad mitgebracht hat. Hastig fülle ich den Bogen aus.

»Also dann, Joan.« In seiner schottischen Aussprache klingt mein Name überraschend anders. »Gute Fahrt. Wie gesagt, wenn du die Suzuki Dienstag gegen 12 zurückbringen würdest, wäre das super.«

»Mach ich. Und danke.«

»Klar. Ist mein Job.«

Ich schlüpfe in meine Handschuhe und nehme meinen Helm vom Tisch. Ich kann es gar nicht erwarten, diesen Ort hinter mir zu lassen. Der Mechaniker lehnt sich gegen einen der Pfeiler an der Markise, den Blick seiner hellgrauen Augen auf mich gerichtet.

»Ähm, darf ich fragen, wie du heißt? Nur damit ich weiß, wer mich bedient hat?« Ich erstarre, noch bevor ich die Worte zu Ende gesprochen habe. Das will ich doch gar nicht wissen. Die Mundwinkel des Mannes zucken für den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe. »Nick. McCallum.«

»Alles klar.« Beschämt steige ich auf meine Maschine. »Dann bis Dienstag.«

Er hebt die Hand zum Abschied.

 

Ich erreiche Liverpool erst um zwanzig vor zehn, denn das fremde Fahrgefühl der Suzuki verunsichert mich, sodass ich mir auf der nassen Straße Zeit lasse. Als ich in die Einbahnstraße biege, in der das Haus meiner Eltern liegt, lugt die Sonne zwischen den Wolken hervor und lässt die Pfützen und nassen Dachziegel der Siedlung wie Kristalle glitzern. Ich parke die Suzuki vor dem Zaun des Vorgartens und beeile mich, zur Haustür zu kommen. Es ist mein Vater, der öffnet.

»Alles Gute zum Geburtstag, Dad!«, trällere ich und umarme ihn fest, ungeachtet dessen, dass ich voller Schlamm bin.

»Hallo, Joanie. Schön, dass du da bist.« Er pflanzt mir einen Kuss auf die Wange und schließt schwungvoll die Tür hinter uns. »Komm rein. Dein Bruder, Erin und der Knirps sind schon da. Aber zieh vorher deine Kombi aus.« Erst jetzt bemerkt er meine dreckigen Sachen und lacht auf. »Wo bist du denn langgefahren?«

»Lange Geschichte«, entgegne ich. Da ich wenig Lust habe, an meine Odyssee auf der Landstraße zurückzudenken, nehme meinen Rucksack ab und gehe in die Hocke, um meine Stiefel loszuwerden. »Dein Geschenk ist übrigens da drin«, mit einer Kopfbewegung deute ich auf den ebenfalls schlammbespritzten Rucksack. »Ich hoffe, es ist trocken geblieben.«

Nachdem ich mich von meinen nassen Sachen entledigt habe und ausgestattet mit selbst gestrickten Socken meiner Großmutter das Wohnzimmer betrete, werde ich von meiner restlichen Familie begrüßt, die aus meiner Mutter, meinem Halbbruder Mateo, dessen Frau Erin und ihrem zehn Monate alten Sohn Jamie besteht.

»Bist du in den Regen gekommen?«, fragt meine Mutter mit einem zerknirschten Blick auf meine feuchten Haare und umarmt mich ebenfalls.

»Ach, halb so wild«, entgegne ich mit einer vagen Handbewegung und winke Jamie zu, der auf Erins Schoß am gedeckten Tisch sitzt und mit einem Löffel spielt.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Wurde aufgehalten.« Ich lasse mich auf das Sofa fallen, wo Mateo zwischen Moms flauschigsten Kissen sitzt und schließe auch ihn kurz in die Arme.

»Na, du nasser Pudel?«, neckt er mich und lacht, als ich ihm eine Grimasse schneide.

Meine Mutter reicht mir lächelnd eine Tasse Kaffee. »Kein Problem. Wir haben gewartet. Und das letzte Brot war sowieso bis gerade im Ofen. Zumindest hoffe ich das.« Sie wirft einen Blick über die Schulter in Richtung Küche. »Brandon?«, ruft sie nach meinem Vater, »hast du an das Brot gedacht?«

Anstelle einer Antwort erscheint Dad mit einem Korb dampfender Ciabattabrote, den er in der Mitte des Tisches platziert.

Nach zwei Tassen Kaffee, Orangensaft, Moms Kartoffel-Tortilla und etwas Brot mit Marmelade fühle ich mich für die nervenaufreibende Fahrt hierher entschädigt und vergesse meinen unerfreulichen Morgen. Mateo, der in einer Anwaltskanzlei in Liverpool arbeitet, erzählt schräge Geschichten aus dem Gerichtssaal. Derweil unterhält Jamie alle damit, wie süß er sein Frühstücksei isst, und meine Eltern halten uns einen Vortrag darüber, dass sie sich ein Wohnmobil kaufen möchten.

Die Sonne hat sich zwischen den Wolken hervorgeschoben und scheint auf den schäbigen Lack der Suzuki, die gleich vor dem Wohnzimmerfenster steht. Kurz denke ich an den Mechaniker und schon wieder sinniere ich darüber, ob er wirklich zu diesem Club gehört. Traitors. Was für ein bescheuerter Name. Wenn ja, ist dieser Typ ein riesiger Idiot. Beim Stichwort Motorradclub denke ich an Straftaten wie Drogen-, Waffen- und Menschenhandel und ich habe so meine Zweifel, ob diese Assoziationen bloß Vorurteile sind. Wie kann ein junger Kerl wie dieser Nick sich nur einer Gang anschließen? Vielleicht solltest du ihn fragen, wenn du ihn am Dienstag wiedersiehst, denke ich. Die Skepsis angesichts dieser Vorstellung muss sich auf meinem Gesicht gespiegelt haben, denn mein Dad holt mich mit einem Fingerschnipsen direkt vor meiner Nase zurück ins Hier und Jetzt.

»Hey. Über was denkst du nach?«, will er wissen und streicht sich ein paar Brötchenkrümel aus dem grau melierten Bart.

Ich lächele ihm zu. »Nicht so wichtig. Nur langweiliges Zeug.«

»Wie laufen denn die Prüfungsvorbereitungen?« Seine grünen Augen studieren mich aufmerksam. Ich unterdrücke ein Seufzen und schenke mir eine dritte Tasse Kaffee ein.

»Ganz gut soweit. Gestern Abend war ich bei Becca in Seaforth, ihre Mom ist im Urlaub und sie passt auf das Haus auf. Wir haben ein paar Stunden gelernt. Oh, und ich habe die 700 Pflichtstunden in der Tierklinik fast erfüllt. Dr. Green ist toll, er erklärt mir viel und lässt mich üben, wenn Zeit dafür ist. Im Sommer kommt der letzte Teilabschnitt der Prüfungen in allgemeiner Pathologie, pathologischer Anatomie und Histologie, Chirurgie und Anästhesiologie«, zähle ich auf. »Außerdem Fleischhygiene, Geflügelkrankheiten, gerichtliche Veterinärmedizin, innere Medizin, Lebensmittelkunde, Tierschutz und Ethologie, Tierseuchenbekämpfung. Ah, und Infektionsepidemiologie.«

Dad macht große Augen. »Das alles ist nur ein Teilabschnitt?« Er pfeift durch die Zähne. »Wow. Und wenn du das hinter dir hast, bist du endlich Tierärztin?«

»So halb. Danach muss ich die Approbation für den Doktortitel beantragen. Dann bin ich Tierärztin.«

Er grinst. »Ich bin stolz auf dich, Joanie.«

»Danke, Dad.« Ich erwidere sein Grinsen und folge ihm auf die Veranda, während Mom in der Küche verschwindet, um der Geburtstagstorte den letzten Feinschliff zu verpassen.

Dad setzt sich auf die Bank neben der Haustür und zündet sich eine Zigarette an. Er lässt den Blick über die Straße jenseits des Vorgartens wandern, der schließlich an der alten Suzuki hängen bleibt.

»Was ist das denn?«, fragt er entrüstet und steht auf, um das Motorrad gleich zu untersuchen. »Bist du mit diesem Schrotthaufen hergekommen? Wieso? Wo ist deine BMW?«

»Alles gut, Dad, das ist nur eine Ersatzmaschine.« Ich kann ein Lachen über seine entgeisterte Miene kaum unterdrücken.

»Dienstag habe ich die BMW wieder, keine Sorge.«

»Was ist denn passiert? Bist du liegen geblieben? Wieso hast du denn nichts gesagt, ich wäre –«

»Ich wollte dich nicht an deinem Geburtstag damit nerven«, unterbreche ich ihn. »Es ist nichts passiert, ehrlich, es war nur die Elektrik. Ich habe sie zu einer Werkstatt in der Nähe geschoben und am Dienstag hole ich sie wieder ab. Keine große Sache.«

Mein Vater mustert mich skeptisch. Das Motorradfahren ist unser gemeinsames Ding. Mit fünfzehn hat er mich das erste Mal auf seiner restaurierten Royal Enfield mitgenommen, seitdem ist das Zweirad eine Leidenschaft, die wir seit meinem achtzehnten Geburtstag richtig teilen können.

»Brauchst du Geld für die Reparatur?«, fragt er, wie immer fast zwanghaft hilfsbereit.

Ich winke lächelnd ab. »Nein, ich komme klar. Ich weiß doch, dass es bei euch finanziell auch besser sein könnte.«

Dad verzieht das Gesicht. »Mach dir darüber mal keine Gedanken. Wir helfen dir immer, wo wir können, Joanie.«

»Danke, Dad. Aber das ist wirklich nicht nötig.«

»In welcher Werkstatt bist du denn gewesen?«, fragt er. Bevor ich antworten kann, öffnet sich die Haustür und meine Mutter steckt den Kopf durch das Fliegengitter. Zwei Sekunden später quetscht sich Rico, der schwarze Labrador meiner Eltern, an ihren Beinen vorbei und leckt mir schwanzwedelnd die Hand.

»Hallo, du kleiner Bär! Hi!« Ich gehe in die Knie, um den alten Hund zu begrüßen. Sein Fell ist feucht und dementsprechend riecht er wie ein muffiger Teppich. »Igitt! Wo war er denn die ganze Zeit?« Naserümpfend schiebe ich den vor Freude grunzenden Hund von mir, das hält Rico aber trotzdem nicht davon ab, mich weiterhin mit Liebe zu überschütten.

»Ist wohl wieder im Garten eingeschlafen«, entgegnet Mom mit einem geringschätzigen, aber liebevollen Seitenblick auf Rico. »Kannst du ihn dir bitte mal anschauen, wenn du Zeit hast? Ich glaube, er braucht eine Zahnsteinentfernung. Er stinkt fürchterlich aus dem Maul.«

Dad, der von Mateo in den Garten gerufen wird, um mit Jamie Ball zu spielen, lässt mich mit dem Hund allein. Ich checke Ricos Fell, seine Augen und Pfoten, bis auf den Mundgeruch ist er für sein Alter gut in Schuss. Allerdings brauchen seine Zähne wirklich eine Reinigung. Nachdem meine Untersuchung abgeschlossen ist, folgt Rico mir glücklich in die Küche zu meiner Mom, in freudiger Erwartung, eine Belohnung für seine vorbildliche Geduld zu bekommen.

»Ich glaube, da verlangt jemand ein Schweineohr«, stelle ich fest, während Rico sich schnaufend am Bein meiner Mutter reibt, um ihre Aufmerksamkeit von der Torte abzulenken.

»Oh pfui, geh weg, du bist immer noch nass!« Mom schiebt den Hund zur Seite, öffnet einen der Küchenschränke und wirft ihm ein Schweineohr zu, was er gekonnt aus der Luft schnappt und schlitternd im Flur verschwindet, um es dort zu verspeisen.

Ich trete näher an die Anrichte und begutachte die kleine, mit Limetten und weißen Schokoraspeln geschmückte Torte, auf der eine blaue 60 aus Marzipan platziert ist. Moms Hände zittern, als sie das Kuchenmesser aus der Schublade holt.

»Geht es?«, frage ich zaghaft und wechsele ins Spanische, wie immer, wenn ich eine persönliche Unterhaltung mit ihr beginne. Mit ihren 56 Jahren hat meine Mom schon schlimmes Rheuma in den Händen, so schlimm, dass sie ihren Job als Goldschmiedin letztes Jahr aufgeben musste. Seither bekommt sie nur wenig Frührente und das Gehalt meines Dads, der als Elektriker bei BritRail arbeitet, reicht hinten und vorne nicht.

Mom seufzt. »An regnerischen Tagen ist es besonders schlimm. Aber es geht.« Mit einem verhaltenen Räuspern richtet sie die Limetten auf der Torte. Sie will jetzt nicht über ihre Krankheit sprechen.

»Die Torte sieht super aus, Mom«, lenke ich also ein. Meine Mutter hält die Klinge des Kuchenmessers zum Anschneiden kurz unter heißes Wasser. »Danke, Schatz. Ist dein Dad noch auf der Veranda?«

»Nein, er spielt mit Jamie im Garten Ball. Und mit Mateo, wohlgemerkt.« Mom hebt den Kopf. »Wirklich? Das nenne ich einen Fortschritt.«

Mein Dad und Mateo, der Sohn meiner Mom aus erster Ehe, sind lange Zeit eher schlecht als recht miteinander ausgekommen. Mateo ist mit seinen 32 Jahren zehn Jahre älter als ich und hat nur kurz bei uns gelebt, da Dad und er sich ständig in die Haare kriegten. Doch seit Jamie da ist, ist das Verhältnis der beiden um Längen besser geworden.

Mom lächelt. »Ich glaube, Erin hat ganz schön auf Mateo eingeredet, damit er deinem Vater eine zweite Chance gibt.«

»Ja, das hab’ ich.« Erin, das rote Haar zu einem Zopf gebunden, steht grinsend in der Küchentür. Inzwischen versteht sie Spanisch ziemlich gut. »Ich habe ihm gesagt, jetzt, wo Jamie da ist, verlange ich von ihm, sich nicht mehr ständig mit Brandon die Köpfe einzuhauen. Schließlich ist er Jamies Opa. Und das hat gezogen.« Sie zuckt mit den Schultern und nimmt das Tablett, auf dem meine Mutter bereits das Kuchengeschirr platziert hat.

»Das macht Weihnachten so viel einfacher«, entgegnet Mom entzückt auf Englisch und folgt Erin mit der Torte ins Wohnzimmer.

 

Am späten Nachmittag verabschiede ich mich zusammen mit Mateo und Erin von meinen Eltern. Mein Bruder bietet mir an, mich nach Hause zu fahren, doch ich lehne ab, denn ich will die geliehene Maschine nicht stehenlassen und bis zu mir nach Hause ist es ohnehin nicht weit.

Die Sonne scheint weiterhin, als ich die Suzuki hinter dem schlecht verputzten Mehrfamilienhaus abstelle, in dem ich zusammen mit meinem Mitbewohner Cal ein Appartement im Erdgeschoss bewohne. Cal ist schon Zuhause, ich sehe seine Silhouette hinter dem Küchenfenster. Als ich die Tür aufschließe, schallt mir die Bridge eines Pink Floyd-Songs entgegen. Cal hört nur Pink Floyd, wenn er traurig ist.

»Hallo?«, rufe ich, trete meine schlammigen Motorradstiefel in eine Ecke des Flurs und schäle mich aus der klammen Jacke. Cal antwortet nicht, obwohl die Musik nicht laut genug ist, um mich übertönen zu können. Ich folge ihr in die Küche und finde meinen Mitbewohner am Küchentisch vor, den Kopf über einer Teetasse in die Hände gestützt.

»Hallo«, wiederhole ich und stelle meinen Rucksack auf dem zweiten Stuhl ab. »Hunger?«

Cal blickt auf. Seine blauen Augen studieren mich ausdruckslos. »Was gibt’s denn?«, fragt er und schaltet die Musik auf seinem Telefon aus, sodass der kleine Lautsprecher auf der Fensterbank hinter ihm verstummt.

»Meine Mom hat mir ein paar Reste vom Brunch eingepackt. Tortilla und so was. Kannst du haben.« Während ich spreche, befördere ich eine große Tupperdose zutage und schiebe sie über den Tisch hinweg auf Cal zu.

»Danke.« Er beugt sich vor, um an den Küchenschrank zu kommen, und nimmt sich eine Gabel, dann macht er sich über den Inhalt der Tupperdose her.

»Wie war’s bei deinen Eltern?«, fragt er mit vollem Mund. Ich gehe zum Kühlschrank und nehme mir eine Dose Ginger-Ale. Dann setze ich mich zu Cal an den Tisch. »War ganz nett.«

»Und wie war’s gestern bei Becca?«

Ich werfe ihm einen strengen Blick zu. »Darüber rede ich mit dir nicht!«, stelle ich klar und öffne die Dose mit unnötiger Heftigkeit, sodass ein paar Spritzer über den Tisch fliegen. Cal deutet anklagend mit der Gabel auf mein Gesicht.

»Du hast gesagt, dass du keine Partei ergreifst, J«, erinnert er mich.

Ich stöhne. »Tue ich auch nicht, aber ich habe keine Lust, den Vermittler für euch zu spielen, ich –«

»Hat Becca denn was gesagt?«, unterbricht Cal mich hastig. Vor lauter Aufregung schmiert er sich Kartoffelstückchen in die Haare. »Sollst du mir was ausrichten?«

»Nein«, entgegne ich mit Nachdruck. »Ich meine nur, dass ihr eure Trennung unter euch klären sollt, alles klar? Ich will nicht zwischen den Fronten stehen. Ich bin mit euch beiden befreundet und das soll auch so bleiben.«

Cal schnaubt. »Ich würde es gerne mit ihr klären, aber sie reagiert seit Tagen nicht auf meine Anrufe und Nachrichten.« Die Bitterkeit in seiner Stimme ist nicht zu überhören.

Ich schlage den Blick nieder. »Dann lass ihr etwas Freiraum. Vielleicht tut das euch beiden gut.«

Cal murmelt irgendetwas, was seinen Unmut über meinen Ratschlag kundtut, doch ich ignoriere es. Stattdessen erzähle ich ihm von meiner morgendlichen Misere im Nirgendwo und meinem unfreiwilligen Aufenthalt in einer Gang-Werkstatt. Cal lacht sogar ein bisschen, als ich geendet habe.

»Und war der Typ heiß?«, fragt er so unvermittelt, dass ich in mein Ginger-Ale pruste.

»Wie bitte? Der Mechaniker?« Ich wische mir den Mund mit dem Ärmel meines Pullovers ab und beäuge Cal mit hochgezogenen Augenbrauen. Grinsend zuckt er mit den Schultern. »Ich mein ja nur. Deine Augen leuchten so komisch.«

»Tun sie gar nicht«, entgegne ich. Cal schiebt die jetzt leere Tupperdose zur Seite und schaltet die Musik wieder an, diesmal spielt er jedoch seine Alltags-Playlist. Immerhin habe ich es geschafft, seine Laune zu heben.

»Hat er dich angemacht?«, will er wissen, den Blick noch auf sein Telefon gerichtet. Aus irgendeinem Grund wird mein Gesicht bei dieser Vorstellung heiß und ich schnaube, um meine Verlegenheit zu überspielen. »Nein. Wieso sollte er? Er hat nur seinen Job gemacht.«

»Meinst du, er steht trotzdem auf dich?« Cal wackelt mit den Augenbrauen.

»Wäre das wirklich so überraschend?«, zische ich angriffslustig, sodass er rasch verstummt.

»Nein, Joanie, natürlich nicht.« Er bemüht sich um einen ernsten Gesichtsausdruck, doch es gelingt ihm nur halb.

»Nenn mich nicht Joanie«, schnappe ich, sodass er wieder zu lachen beginnt.

»Hey, das wäre total romantisch! Joan Anderson und der heiße Typ aus der Gang-Werkstatt. Darüber könnte man ein Gedicht schreiben.«

Ich verdrehe die Augen und stehe auf, um meine Dose in den Pfandkorb neben der Tür zu werfen. »Sein Name war übrigens Nick. Und er war nicht heiß«, unterrichte ich Cal und schneide ihm eine Grimasse, ehe ich mich davonmache und ihn zur Strafe allein in der Küche zurücklasse.

Kapitel 2

Am Montagmorgen gießt es wieder in Strömen, sodass ich die Suzuki stehen lasse und den Bus zur Universität nehme. Ich erreiche das Institute of Veterinary Science knapp eine halbe Stunde vor Vorlesungsbeginn und schreibe Becca eine Nachricht, dass ich mir in dem kleinen Café an der Ecke einen Latte Macchiato genehmige, um mich auf die trockene Prüfungsvorbereitung einzustellen.

Meine beste Freundin betritt das Café zehn Minuten später, die dunklen, krausen Locken nass vom Regen.

»Morgen.« Sie schiebt sich neben mich an die Theke und bekommt prompt ihren Vanilla-Chai, ohne, dass sie ihn überhaupt bestellen muss. Mit gerunzelter Stirn sehe ich zu, wie sie der männlichen Bedienung ein sehr, sehr strahlendes Lächeln schenkt und ihn mit zwei Pfund Trinkgeld ebenfalls zum Grinsen bringt.

»Wow. Flirtest du echt mit Biebergesicht?«, frage ich trocken, als wir wenig später Seite an Seite in das Unwetter hinaustreten. Becca schnaubt und zieht sich die Kapuze ihrer Regenjacke ins Gesicht. »Nein! Ich bin nur nett, okay?«

»Okay.« Ich spanne meinen Regenschirm auf und hake mich bei Becca unter, damit sie darunter Platz findet, was bei fünfzehn Zentimeter Größenunterschied gar nicht so leicht ist. Wo ich groß und so blass bin, dass ich fast leuchte, ist Becca klein und hat einen beneidenswerten Bronze-Teint.

»Dann kommt es mir nur so vor, als würdest du dir krampfhaft alles Männliche anlachen, um Cal eins auszuwischen?«

Becca macht ein seltsames Geräusch, das wie eine Mischung aus Lachen und Würgen klingt. »Das ist überhaupt nicht wahr, J. Was bist du, mein Babysitter?« Ihre dunklen Augen weiten sich plötzlich und sie starrt anklagend zu mir hoch. »Warte mal, spionierst du mich für Cal aus? Was hast du ihm erzählt?«

»Ich habe ihm gar nichts erzählt«, beteuere ich geduldig. »Und nein, ich bin nicht dein Babysitter. Aber deine beste Freundin, oder nicht? Also … könntest du nicht mit Cal reden? Du musst ihm nicht verzeihen, wenn du wirklich nicht willst, aber ich habe keine Lust mehr auf dieses Theater.«

Becca schnaubt erneut. »Ich soll mit ihm reden? Hat er das gesagt? Hast du mit ihm geredet? Was hat er gesagt?«

Anstelle einer Antwort klappe ich den Schirm zu, schüttele ihn halbherzig aus und fange die schwere, doppelflügelige Holztür auf, die in das Zusatzgebäude der Universität führt und gerade hinter einer Gruppe Studierender zu schwingt.

»Hör mal, ich will dich nicht über ihn ausfragen oder so …«, fängt Becca wieder an, lässt den Rest ihres Satzes aber unvollendet in der Luft stehen, zweifellos in der Hoffnung, dass ich endlich auspacke.

»Tust du aber. Wenn du wissen willst, was Cal zu sagen hat, rede mit ihm. So einfach ist das.«

Unsere Schritte hallen auf dem glänzenden Marmorboden wider. Mein Schirm hinterlässt lauter Tropfen auf dem Stein.

»Er hat Schluss gemacht, Joan! Er hat gesagt, er wolle noch etwas Anderes erleben, dass ich nicht lache! Cal hat es beendet!« Jetzt habe ich es geschafft, Becca wütend zu machen.

»Das weiß ich«, erinnere ich sie mit einem Seufzen. »Und das war voll daneben.«

»Und jetzt soll ich zu ihm zurück gekrochen kommen, nur, weil er doch kein Weiberheld sein will? Nein, danke.«

Wir erreichen den erst spärlich besetzten Hörsaal und lassen uns in einer der letzten Reihen nieder. Ich spüre Beccas Blick noch immer auf mir, während ich mich aus meinem nassen Mantel kämpfe.

»Das habe ich gar nicht gesagt. Aber … Er liebt dich, Becs. Und er leidet echt sehr darunter.« Sie öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, doch ich lasse sie nicht zu Wort kommen. »Hör zu, es ist deine Entscheidung. Ihr wart seit der zehnten Klasse zusammen. Ihr wart toll. Hey, nur wegen euch glaube ich an die Liebe«, sage ich und stoße ihr mit dem Ellbogen gegen die Schulter. Das bringt mir immerhin ein kleines Lächeln ein. »Aber diese Vermittlerrolle macht mich fertig«, jammere ich und ziehe eine Schnute, die ein klein wenig theatralisch ist.

Becca seufzt. »Schon klar.« Sie öffnet ihre Tasche und holt einen Ordner hervor. »Keine Fragerei mehr über Cal.«

»Danke.«

Becca hebt mahnend einen Finger. »Außer, er bringt ein Mädchen mit nach Hause! Dann erzählst du es mir.«

Ich lache über ihre ernste Miene. »Das wird zwar todsicher nicht passieren, aber ja, dann breche ich mein Schweigen. Versprochen.«

»Und du bringst mir meinen restlichen Kram«, verlangt sie, die Stirn in strenge Falten gelegt. »Dann muss ich sein dämliches Gesicht nicht sehen.«

»Abgemacht. Ich bringe sie dir morgen vorbei.«

Das scheint Becca zu besänftigen.

Während der Vorlesung fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren, auch wenn der Stoff größtenteils prüfungsrelevant ist. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich mir seltsame Visionen des morgigen Tags ausmale. Das muss der Stress sein. Oder ich schnappe allmählich über. Ja, schön, vielleicht hat Cal recht und dieser Nick gefällt mir irgendwie. Das ist schließlich nichts Ungewöhnliches. Auch wenn es die letzten drei Jahre kein männliches Wesen in meinem Leben gegeben hat, habe ich immer wieder mit jemandem geliebäugelt, so, wie es wahrscheinlich jeder tut. Allerdings ist es nie weiter als bis zu einem netten Gespräch gekommen. Und so wird es auch mit Nick ablaufen, ganz sicher.

 

Nach der Uni fahre ich kurz nach Hause, um mich umzuziehen und etwas zu essen, dann mache ich mich auf den Weg zur Arbeit. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, doch die Straßen sind immer noch nass, sodass ich die Suzuki abermals stehen lasse. Die Tierklinik, in der ich meine Pflichtstunden für die Veterinärmedizin absolviere, liegt in der Innenstadt, sodass der Bus mitten in den Nachmittagsverkehr gerät und ich erst zwei Minuten vor Schichtbeginn eintreffe.

Ich durchquere den noch leeren Eingangsbereich und werfe einen routinierten Blick durch die Glastür zum Wartezimmer, wo schon eine Handvoll Pelzpatienten mit ihren Besitzern Platz genommen haben. Dr. Hayden Green, der im letzten Jahr zu einer Mischung aus Mentor und Freund für mich geworden ist, steht hinter dem Tresen und liest in einem Stapel Papiere. Er blickt auf, als er mich bemerkt und ein Lächeln erhellt sein Gesicht. Der Tierarzt ist ein großer Mann mit dunkler Haut, Brille und Glatze, die so makellos glänzt, als würde er sie regelmäßig einölen.

»Ah, hallo, Joan. Hast du ein schönes Wochenende gehabt? Wie war die Geburtstagsfeier?«

»Hallo, Doc.« Ich schiebe mich an ihm vorbei, um meine Jacke und meine Tasche hinter dem Tresen abzustellen. »Ja, es war nett. Und bei Ihnen? Wie lief die Hausbesichtigung?«

Der Doktor grinst und legt die Papiere zur Seite. »Elise hat es nicht gefallen«, informiert er mich schulterzuckend. »Der Garten war ihr zu klein. Scheinbar will sie neuerdings ihr Gemüse selbst anpflanzen.«

Ich bemerke den scherzhaft tadelnden Unterton, mit dem er seine Frau erwähnt und lache. »Vielleicht kaufen Sie ihr lieber einen Acker draußen in Prescot?«, scherze ich und Dr. Green gluckst. »Gute Idee. Was haben wir, James?«

James, Greens Sprechstundenhilfe, ist soeben aus dem hinteren Teil der Klinik erschienen. Missmutig fischt er seine Lesebrille aus der Tasche seines Kittels.

»Hi, Joan«, murmelt er beiläufig und klappt das große Terminbuch vor den Computern auf. »Mal sehen … Ah, Mrs Porter mit Buffy? Bucky? Ich kann Irmas Schrift unmöglich lesen. Jedenfalls ist es ein Schäferhund-Mix mit Arthrose. Nachsorgetermin nach der Operation vom 14. März.«

»Bestens, danke James. Dann legen wir los, schick sie rein.« Dr. Green schnappt sich die Akte und bedeutet mir mit einer Handbewegung, ihm in das Behandlungszimmer zu folgen.

 

Es wird ein geschäftiger Nachmittag und wir schließen den regulären Betrieb der Klinik erst eine halbe Stunde später als sonst, als das Personal für den Notdienst schon eingetroffen ist.

»Wie laufen deine Prüfungsvorbereitungen, Joan?«, fragt Dr. Green, als wir gemeinsam die Oberflächen eines Behandlungszimmers reinigen.

»Oh, bisher ganz gut«, entgegne ich und puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, da meine Hände in dicken Gummihandschuhen stecken.

»Donnerstagmorgen steht eine kleine Operation an. Ich entferne einer Hündin Gallensteine. Willst du mir assistieren?«

Ich strahle und jähes Glück pulsiert in meinem Inneren. »Auf jeden Fall! Bauchschnitt oder Laparoskopie?«

Green lacht leise über meinen Enthusiasmus. »Bauchschnitt. Die Patientin hat Verwachsungen im Bauchraum.«

»Oh Mann!«, jubiliere ich und hätte den Tierarzt für sein Angebot am liebsten umarmt. »Darf ich dann vielleicht … also …« Vor lauter Aufregung habe ich völlig vergessen, wie ich meinen Satz beenden wollte.

»Wenn du dich gut anstellst, darfst du die Gallensteine entfernen, ja.« Dr. Green nimmt mir den Lappen ab und schiebt mich zur Tür. »Und jetzt ab nach Hause, den Rest mache ich allein.«

 

Am Dienstag wache ich früh und mit einem seltsam nervösen Gefühl in der Magengegend auf. Die Dusche im angrenzenden Badezimmer rauscht – auch Cal ist ungewöhnlich früh dran, dienstags beginnen seine Informatikkurse immer erst mittags. Ich gähne und drehe mich auf die andere Seite, sodass mir das Licht der Morgensonne direkt ins Gesicht scheint. Um 12 Uhr werde ich diesem Nick die Suzuki zurückgeben. Vielleicht frage ich ihn wirklich, was ihn dazu bewegt hat, Mitglied in einer Motorrad-Gang zu werden, doch wohl eher werde ich kaum einem Blick aus diesen seltsamen, hellgrauen Augen standhalten. Ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Wieso denke ich ständig über diesen Kerl nach?

Ich stehe auf, ziehe mir eine Strickjacke über und verlasse mein Bett, ehe ich weiter über diesen Unsinn grübeln kann.

Cal und ich machen fliegenden Wechsel im Badezimmer. Als er die Tür öffnet und mich im Flur antrifft, runzelt er die Stirn. »Du hast heute frei«, erinnert er mich und zupft sein ungewöhnlich glattes T-Shirt zurecht.

»Weiß ich«, entgegne ich und greife nach seinem Arm, bevor er mir entwischen kann. »Was machst du so früh im Bad? Und hast du dieses Shirt gebügelt

»Na und?« Er macht sich von mir los und streicht sich das nasse, blonde Haar aus dem Gesicht.

Ich schnaube. »Du bügelst nicht mal deine Hemden. Was hast du vor?«

Cal schrumpft unter meinem argwöhnischen Blick förmlich zusammen. »Ich fahre zu Becca«, gibt er widerwillig zu. Während er spricht, fixiert er einen unsichtbaren Punkt über meinem Kopf. »Ich fang sie Zuhause vor ihrem Zumba-Kurs ab. Ich muss mir ihr reden, und wenn sie zum Fitness muss, muss sie ja rauskommen.« Ein nervöses Lächeln tritt auf seine Lippen.

»Genau, weil das die letzten Male so gut geklappt hat«, murmele ich und schiebe mich an ihm vorbei ins Bad. »Lass es lieber, Cal. Im Ernst, du rückst ihr zu sehr auf die Pelle.« Ich will die Tür schließen, doch Cal hält sie fest.

»Aber – Warte mal!« Die Unsicherheit auf seinem Gesicht lässt ihn wesentlich jünger wirken als die dreiundzwanzig Jahre, die er schon verbucht hat. Ich mache ein resigniertes Geräusch und lehne den Kopf gegen den Türrahmen.

»Cal. Ich mische mich da nicht mehr ein, wie oft soll ich euch das noch sagen? Ihr müsst beide tun, was ihr für richtig haltet –«

»Dann fahre ich hin«, unterbricht er mich und ist schon auf dem Weg in sein Zimmer.

»Na gut«, seufze ich, schließe meinerseits die Tür und fische mein Telefon aus der Jacke meines Cardigans. Dann werde ich Becca eben warnen. So viel zu meinem Vorhaben, mich nicht einzumischen.

Nach der Dusche frühstücke ich, räume den Geschirrspüler aus und lade mir die neuste Prüfungsliteratur auf meinen Laptop. Gegen 9 Uhr schreibt mir eine ziemlich aufgebrachte Becca, die meine Warnung wohl zu spät gelesen hat. Ich antworte ihr, indem ich sie ungefähr das hundertste Mal daran erinnere, dass die beiden mich nicht in ihren Streit ziehen sollen. Verdammt nochmal, ich komme mir vor wie ein Scheidungskind. Kurz durchzuckt mich der Anflug eines schlechten Gewissens, dass ich Cal nicht aufgehalten habe. Mir ist klar gewesen, dass sein Plan nicht aufgehen wird und dass Becca nachzustellen, der falsche Weg ist, aber ich bin es leid, ständig zwischen den Stühlen zu sitzen. Dennoch schreibe ich ihm eine zerknirschte Nachricht und bekunde mein Bedauern angesichts seiner gescheiterten Mission. Als Antwort erhalte ich nur ein gebrochenes Herz.

Kurz bevor ich in meiner unverändert schlammigen Montur das Haus verlassen will, trommeln Regentropfen so stark gegen das Küchenfenster, dass ich meine Zweifel habe, die Werkstatt jemals heil zu erreichen. Aber ich habe keine Wahl. Also schnappe ich mir ein schmutziges Handtuch aus dem Wäschekorb und trete in die Sintflut hinaus. Irgendwann muss ich mir endlich eine Plane für das Motorrad zulegen. Ich zwänge meinen Kopf in den Helm, wische den Sitz der Suzuki notdürftig mit dem Handtuch trocken und werfe es auf unseren Balkon. Dann fahre ich los.

Der Weg zu Bell & Tucker ist einfach zu merken gewesen, auch wenn man eine knappe halbe Stunde fährt. Der Ort, in dem die Werkstatt liegt, ist eine kleine Gemeinde namens Hunter’s Ridge, auf halbem Weg zwischen Liverpool und Seaforth. Als ich das kaum nennenswerte Zentrum der Kleinstadt erreiche und die erste Ausfahrt eines Kreisverkehrs nehme, von wo aus mir das Werbeschild der Werkstatt den weiteren Weg weist, wird der Regen allmählich schwächer.

Anders als am Samstag herrscht reger Betrieb in der Werkstatt, sodass ich von einem Mitarbeiter gebeten werde, einen Moment zu warten.

Ich stelle die Suzuki ab und lasse mich auf derselben Bank nieder, auf der ich zuvor schon gesessen habe. Mein Herz klopft unangenehm gegen meinen Brustkorb, während ich meinen Blick über die Mitarbeiter und Kunden schweifen lasse, die ihre Geschäfte abwickeln. Sie alle sehen zwielichtig und irgendwie grobschlächtig aus, aber sicher zeugt dieser Eindruck nur von meiner Abneigung gegen diesen MC. Darüber hinaus entdecke ich keine einzige Frau unter dem Publikum und der Anblick der schwarzen Lederkutten, auf denen das Backpatch des Clubs prangt, beunruhigt mich. Offensichtlich scheint bei Bell & Tucker viel unter der Hand zu laufen, da die meisten Kunden bar zahlen oder in ihre Autos steigen, ohne überhaupt den Geldbeutel zu ziehen. All das beobachte ich mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugier, und als mich plötzlich jemand von der Seite anspricht, zucke ich erschrocken zusammen.

»Entschuldige«, sagt der junge Mann, der jetzt in meinem Blickfeld auftaucht. Er ist schlank, hat schwarzes Haar und olivfarbene Haut. Wie Nick trägt auch er einen Blaumann. »Ich bin Jake, wie kann ich dir helfen?«

»Ähm, ich …« Ich stehe auf und deute mit einer Handbewegung auf die Suzuki, die neben den schwarzen Harleys wie ein Kinderfahrrad wirkt. »Joan Anderson, ich wollte meine BMW abholen und die Ersatzmaschine zurückbringen.«

Der Mechaniker nickt. »Ja, die ist fertig. Ich hole sie dir. Die Ersatzmaschine kannst du da stehen lassen.«

»Danke.«

Der Mann namens Jake bittet mich erneut um einen Moment Geduld, dann verschwindet er in der Halle, aus der ein Tumult aus brüllenden Motoren, klirrendem Werkzeug und lauten Stimmen dringt. Ich umklammere meinen Helm. Enttäuschung regt sich in mir und ich erwische mich dabei, wie ich nach Nick McCallum Ausschau halte. Ich muss wirklich übergeschnappt sein. Doch ehe ich meinen seltsamen Emotionen weiter auf den Grund gehen kann, kehrt Jake mit meiner Maschine zurück und wir verbringen die nächste Viertelstunde damit, über die Problematik zu sprechen, die mir den Besuch in der Werkstatt beschert hat. Jake empfiehlt mir einen überdachten Stellplatz und meint, dass ich es schlichtweg vermeiden soll, bei Regen übermäßig viel mit der BMW unterwegs zu sein.

Als wir fertig sind, schickt Jake mich in das Büro an der linken Seite der Halle. Das Panoramafenster des Raumes ist mit einem heruntergelassenen Rollo verdeckt, sodass ich nicht weiß, was mich erwartet. Nachdem ich geklopft habe, bittet mich jedoch eine halbwegs freundliche Männerstimme herein. Ich öffne die Tür und ein Schwall abgestandene, mit Zigarettenqualm getränkte Luft kommt mir entgegen. Das Büro ist klein und unordentlich, überall stapeln sich Ordner und Papiere. Hinter einem überladenen Schreibtisch sitzt ein Mann in den Vierzigern, das dunkle Haar militärisch kurz geschoren, der grau melierte Bart ordentlich gestutzt. Zwischen seinen schmalen, blutleeren Lippen qualmt eine Zigarette. Er begrüßt mich gleichgültig und ich tue es ihm nach.

»Anderson«, stelle ich mich auf seinen fragenden Blick hin vor und schließe die Tür hinter mir, auch wenn ich sie am liebsten zum Lüften offenlassen würde. »Ich wollte bezahlen.«

Zwischen dem Chaos auf dem Schreibtisch entdecke ich ein goldenes Schild, das mein Gegenüber als Simon C. Bell, einer der Inhaber der Werkstatt identifiziert. Ich setze mich, während Mr Bell in einem Auftragsstapel nach den richtigen Unterlagen wühlt. Als er sich zur Seite beugt, um seine Zigarette am Rand des Aschenbechers abzulegen, erhasche ich einen Blick auf seine Lederkutte über der Rückenlehne. Ich schlucke.

»Ah, da haben wir es ja.« Mr Bell nennt mir den zu zahlenden Betrag und befördert eine ramponierte Geldkassette zutage, aus der er mir meinen Schein wechselt.

»Sorry«, brummt er. »Ich mach den Papierkram nicht so oft. Unsere Bürokraft ist seit gestern krank. Hat wahrscheinlich am Wochenende zu viel gesoffen.« Er lacht ein heiseres Lachen und für einen kurzen Moment bohren sich seine stahlblauen Augen abschätzend in meine. Ich übergehe seine respektlose Aussage, murmele ein steifes Abschiedswort und verlasse das Büro.

Draußen überquere ich den Hof, setze mich auf meine BMW und schlüpfe in Helm und Handschuhe. Dann stelle ich den Motor an und lasse die Maschine über den unebenen, mit Schlaglöchern und Rissen übersäten Hof rollen.

Gerade, als ich auf Höhe des Tors beschleunige, schießt ein dunkelgrüner Jeep um die Ecke und um ein Haar lande ich auf seiner Motorhaube, doch ich schaffe eine Vollbremsung, sodass mir das Hinterrad wegrutscht und ich beinahe das Gleichgewicht verliere. Auch der Jeep kommt ruckelnd zum Stehen. Zornig und mit rasendem Herzen klappe ich das Visier meines Helms hoch und lege mir im Geiste schon eine feindselige Erinnerung an die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Parkplätzen zurecht.

Doch meine Worte bleiben mir im Hals stecken, als ich den Fahrer hinter dem heruntergelassenen Fenster erkenne.

»Oh, hi.« Nick McCallum grinst. »Hat alles geklappt?«

Für einige Sekunden bin ich wie von Donner gerührt. »Ja … Danke«, entgegne ich lahm und schalte in den Leerlauf. Danke? Der Kerl hat mich um ein Haar über den Haufen gefahren. Was zur Hölle ist los mit mir?

»Gut. Freut mich.«

Heute trägt er keinen Blaumann, dafür eine Lederjacke und ein kariertes Flanellhemd. Und eine Kutte, die ihn unverkennbar als Mitglied dieser Gang identifiziert. Direkt über der Brust ist ein kleines weißes Patch mit der Aufschrift Sergeant at Arms genäht. Gesetzeshüter? Ich habe keine Ahnung, was das in diesem Kontext bedeuten soll. Erst jetzt bemerke ich, dass seine rechte Hand dick und ziemlich schlecht verbunden ist.

»Was ist passiert?«, frage ich. Langsam beginnt mein Herz wieder in Normalgeschwindigkeit zu klopfen. Nick hebt unbekümmert eine Schulter. »Arbeitsunfall. Hab’ mich gestern Abend übel geschnitten. Ich dachte, es würde schon gehen, aber damit wühle ich lieber nicht im Dreck rum. Ich bin hier, um mich krankzumelden. Mein Chef kriegt die Krise, deshalb will ich ihm beweisen, dass meine Hand aussieht wie durch den Fleischwolf gezogen.«

»Hat sich das ein Arzt angesehen?«, frage ich.

»Nein, bisher nicht. Es wird schon heilen«, entgegnet Nick, wirkt aber selbst nicht ganz überzeugt von seiner Aussage.

»Vielleicht solltest du das untersuchen lassen«, beharre ich stirnrunzelnd, denn der Verband blutet an der Handfläche schon durch. Doch Nicks gesunde Hand macht nur eine wegwerfende Bewegung. »Nee. Halb so wild.«

»Das muss sicher genäht werden«, halte ich stur dagegen, meiner medizinischen Intuition folgend. Nick sieht mich an, das Grau seiner Augen dringt seltsam intensiv auf mich ein und plötzlich sieht er aus, als wäre ihm eine Idee gekommen.

»Hey, du bist doch Tierärztin, oder?«, fragt er unvermittelt und stützt das Kinn auf den Arm, der aus dem Fenster hängt, als er sich etwas vorbeugt. Ich stutze. Also weiß er wohl, was Veterinärmedizin bedeutet.

»Ähm, ja«, entgegne ich, nicht sicher, worauf er hinauswill. Er strahlt. »Kannst du dir meine Hand nicht ansehen?«

Ich schnaube. »Ich bin angehende Tierärztin, keine Unfallchirurgin in der Notaufnahme.«

Nick verzieht das Gesicht, als wäre dieser Unterschied kaum nennenswert. »Na und? Du wirst sicher Wunden nähen können, oder?«

Ich schalte den Motor ab und ziehe mir den Helm vom Kopf. Der Regen hat inzwischen nachgelassen, auch wenn die Luft noch feucht ist.

»Ich kann Wunden nähen, ja«, gebe ich widerwillig zu. »Bei Tieren. Und deine Hand gehört ins Krankenhaus. Ernsthaft. Du solltest dich krankmelden und dann fahren, bevor sich die Wunde infiziert. Eine Tetanusauffrischung kann auch nicht schaden.«

»Ich fahre nicht ins Krankenhaus«, entgegnet Nick schlicht und hebt eine Braue. »Also, hilfst du mir, oder nicht? Äh … Jean, richtig?«

»Joan«, antworte ich kühl. »Ich kenne dich überhaupt nicht. Und noch mal, ich bin Tierärztin, keine «