50 Gedichte des Sturm und Drang

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Fußnoten

Dank an Laura Löbig, die mir bei den Korrekturen sehr geholfen hat.

Theorie der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, S. 35.

Vgl. Luserke (2019).

Vgl. ebd., S. 67.

Vgl. dazu ausführlich ebd., S. 9 ff. – Anders Kemper (2002), Bd. 6/II, S. 5, 28 ff., der einen großen Einfluss des Sturm und Drang auf die zeitgenössische Kunst erkennt und von einer eigenen Theorie spricht.

Vgl. Friedrich Gottlieb Klopstock, Oden, Ausw. und Nachw. von Karl Ludwig Schneider, bibliogr. erg. Ausg., Stuttgart 2012 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 1391), S. 96100.

Ebd., S. 104.

Werthers Brief vom 16. Juni 1771, vgl. Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werthers. Studienausgabe. Paralleldruck der Fassungen von 1774 und 1787, hrsg. von Matthias Luserke, Stuttgart 1999 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 9762), S. 52.

So Gerhard Sauder in seinem Nachwort, in: Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 1.1, 1985, S. 830.

Vgl. Luserke (2019), S. 10 ff.

Vgl. Wilson (2017) und Luserke-Jaqui (2002).

Vgl. Kahl (2006), S. 281 ff.

Zit. nach: Der Göttinger Hain, S. 349 f.

Kahl (2006), S. 195 (Protokollbuch).

Maler Müller, Nach Hahns Abschied, in: Musenalmanach für das Jahr 1776. von den Verfassern des bish. Götting. Musenalm. herausgegeben von J. H. Voß [= Poetische Blumenlese. Für das Jahr 1776. Von den Verfassern der bisherigen Göttinger Blumenlese, nebst einem Anhange die Freymaurerey betreffend; Herausgegeben von J. H. Voß], Lauenburg [1775], S. 206 f.

Zit. nach: Luserke (2019), S. 256.

Vgl. Löffler (2017).

Vgl. Luserke (2019), S. 194.

JOHANN WOLFGANG GOETHE / JAKOB MICHAEL REINHOLD LENZ

Erwache Friederike    [1.]

Erwache Friederike

Vertreib die Nacht

Die einer Deiner Blicke

zum Tage macht.

Der Vögel sanft Geflüster    5

Ruft liebevoll

Dass mein geliebt Geschwister

Erwachen soll

 

Ist Dir Dein Wort nicht heilig

Und meine Ruh?    10

Erwache! Unverzeihlich!

Noch schlummerst Du!

Horch Philomelens Kummer

Schweigt heute still

Weil Dich der böse Schlummer    15

Nicht meiden will.

 

Es zittert Morgenschimmer

Mit blödem Licht

Errötend durch Dein Zimmer

Und weckt Dich nicht.    20

Am Busen Deiner Schwester

Der für Dich schlagt

Entschläfst Du immer fester

Je mehr es tagt.

 

Ich seh Dich schlummern, Schöne,    25

Vom Auge rinnt

Mir eine süße Träne

Und macht mich blind

Wer kann es fehllos sehen

Wer wird nicht heiß    30

Und wär er von den Zähen

Zum Kopf von Eis!

 

Vielleicht erscheint Dir träumend

O Glück mein Bild

Das halb im Schlaf und reimend    35

Die Musen schilt

Erröten und erblassen

Sieh sein Gesicht:

Der Schlaf hat ihn verlassen

Doch wacht er nicht.    40

 

Die Nachtigall, im Schlafe

Hast Du versäumt:

So höre nun zur Strafe

Was ich gereimt

Schwer lag auf meinem Busen    45

Des Reimes Joch.

Die schönste meiner Musen,

Du – schliefst ja noch.

JOHANN WOLFGANG GOETHE

Lied, das ein selbst gemaltes Band begleitete    [2.]

Kleine Blumen, kleine Blätter

Streuen mir mit leichter Hand

Gute junge Frühlingsgötter

Tändlend auf ein lüftig Band.

 

Zephir nimm’s auf deine Flügel,    5

Schlinge um meiner Liebe Kleid!

Und sie eilet vor den Spiegel

All in ihrer Munterkeit.

 

Sieht mit Rosen sich umgeben

Sie, wie eine Rose jung.    10

Einen Kuss! geliebtes Leben,

Und ich bin belohnt genung.

 

Fühle was dies Herz empfindet,

Reiche frei mir deine Hand.

Und das Band, das uns verbindet,    15

Sei kein schwaches Rosenband.

Neue Liebe, neues Leben    [3.]

Herz, mein Herz, was soll das geben,

Was bedränget dich so sehr?

Welch ein fremdes neues Leben!

Ich erkenne dich nicht mehr.

Weg ist alles, was du liebtest,    5

Weg, warum du dich betrübtest,

Weg dein Fleiß und deine Ruh;

Ach! wie kamst du mir dazu?

 

Fesselt dich die Jugendblüte?

Diese liebliche Gestalt,    10

Dieser Blick voll Treu und Güte,

Mit unendlicher Gewalt?

Will ich rasch mich ihr entziehen,

Mich ermannen, ihr entfliehen;

Führet mich im Augenblick    15

Ach! mein Weg zu ihr zurück.

 

Und an diesem Zauberpfädchen,

Das sich nicht zerreißen lässt,

Hält das liebe-lose Mädchen

Mich so wider Willen fest;    20

Muss in ihrem Zauberkreise

Leben nun auf ihre Weise.

Die Verwandlung, ach! wie groß!

Liebe! Liebe lass mich los!

 

Mir schlug das Herz; geschwind zu Pferde,    25

Und fort, wild, wie ein Held zur Schlacht!

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht;

Schon stund im Nebelkleid die Eiche,

Ein aufgetürmter Riese, da,    30

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.

 

Der Mond von seinem Wolkenhügel,

Schien kläglich aus dem Duft hervor;

Die Winde schwangen leise Flügel,    35

Umsausten schauerlich mein Ohr;

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer –

Doch tausendfacher war mein Mut;

Mein Geist war ein verzehrend Feuer,

Mein ganzes Herz zerfloss in Glut.    40

 

Ich sah dich, und die milde Freude

Floss aus dem süßen Blick auf mich.

Ganz war mein Herz an deiner Seite,

Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbes Frühlingswetter    45

Lag auf dem lieblichen Gesicht,

Und Zärtlichkeit für mich, ihr Götter!

Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht.

 

Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe!

Aus deinen Blicken sprach dein Herz.    50

In deinen Küssen, welche Liebe,

O welche Wonne, welcher Schmerz!

Du gingst, ich stund, und sah zur Erden,

Und sah dir nach mit nassem Blick;

Und doch, welch Glück! geliebt zu werden,    55

Und lieben, Götter, welch ein Glück!

Heidenröslein    [4.]

Sah ein Knab ein Röslein stehn,

Röslein auf der Heiden,

War so jung und morgenschön,

Lief er schnell es nah zu sehn,

Sah’s mit vielen Freuden.    5

Röslein, Röslein, Röslein rot,

Röslein auf der Heiden.

 

Knabe sprach: ich breche dich,

Röslein auf der Heiden!

Röslein sprach: ich steche dich,    10

Dass du ewig denkst an mich,

Und ich will’s nicht leiden.

Röslein, Röslein, Röslein rot,

Röslein auf der Heiden.

 

Und der wilde Knabe brach    15

’s Röslein auf der Heiden;

Röslein wehrte sich und stach,

Half ihr doch kein Weh und Ach,

Musste es eben leiden.

Röslein, Röslein, Röslein rot,    20

Röslein auf der Heiden.

Maifest    [5.]

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne!

Wie lacht die Flur!

 

Es dringen Blüten    5

Aus jedem Zweig,

Und tausend Stimmen

Aus dem Gesträuch,

 

Und Freud und Wonne

Aus jeder Brust.    10

O Erd o Sonne

O Glück o Lust!

 

O Lieb o Liebe,

So golden schön,

Wie Morgenwolken    15

Auf jenen Höhn;

 

Du segnest herrlich

Das frische Feld,

Im Blütendampfe

Die volle Welt.    20

 

O Mädchen Mädchen,

Wie lieb ich dich!

Wie blinkt dein Auge!

Wie liebst du mich!

 

So liebt die Lerche    25

Gesang und Luft,

Und Morgenblumen

Den Himmels Duft,

 

Wie ich dich liebe

Mit warmen Blut,    30

Die du mir Jugend

Und Freud und Mut

 

Zu neuen Liedern,

Und Tänzen gibst!

Sei ewig glücklich    35

Wie du mich liebst!

Ach wie sehn ich mich nach dir,     [6.]

Kleiner Engel! nur im Traum,

Nur im Traum erscheine mir!

Ob ich da gleich viel erleide,

Bang um dich mit Geistern streite,    5

Und erwachend atme kaum.

Ach wie sehn ich mich nach dir,

Ach wie teuer bist du mir,

Selbst in einem schweren Traum.    10

Auf einen Baum in dem Wäldchen bei Sesenheim    [7.]

Dem Himmel wachs entgegen

Der Baum, der Erde Stolz.

Ihr Wetter, Stürm und Regen,

Verschont das heilge Holz!

Und soll ein Name verderben,    5

So nehmt die obern in Acht!

Es mag der Dichter sterben,

Der diesen Reim gemacht.

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht:    [8.]

Seh ich nur einmal dein Gesicht,

Seh dir ins Auge nur einmal,

Frei wird mein Herz von aller Qual;

Gott weiß, wie mir so wohl geschicht!    5

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.

Wandrers Sturmlied    [9.]