Paul Celan
Die Gedichte
Neue kommentierte Gesamtausgabe
in einem Band
Mit den zugehörigen Radierungen
von Gisèle Celan-Lestrange
Herausgegeben und kommentiert
von Barbara Wiedemann
Suhrkamp
I Von Paul Celan zu Lebzeiten publizierte Gedichte
Der Sand aus den Urnen
Verstreute Publikationen von Gedichten aus der Zeit vor der Ankunft in Bukarest
Mohn und Gedächtnis
Verstreute Publikation aus dem Zeitraum »Mohn und Gedächtnis« (Pariser Zeit)
Von Schwelle zu Schwelle
Sprachgitter
Verstreute Publikation aus dem Zeitraum »Sprachgitter«
Die Niemandsrose
Verstreute Publikation aus dem Zeitraum »Die Niemandsrose«
Atemwende
Verstreute Publikation aus dem Zeitraum »Atemwende«
Fadensonnen
Zyklus »Eingedunkelt«
Verstreute Publikationen aus dem Zeitraum »Fadensonnen«
Lichtzwang
II Nachgelassene Gedichte
Frühe Gedichte – Nachlaß bis Ende 1947
Erste Gedichtsammlung
Weitere deutschsprachige Gedichte
Gedichte in rumänischer Sprache und Prosagedichte
Pariser Gedicht-Nachlaß 1948-1970
Zeitraum »Mohn und Gedächtnis«
Nicht aufgenommene Gedichte
Verstreute Gedichte der Pariser Zeit
Zeitraum »Von Schwelle zu Schwelle«
Nicht aufgenommenes Gedicht
Verstreute Gedichte
Zeitraum »Sprachgitter«
Verstreute Gedichte
Zeitraum »Die Niemandsrose«
Nicht aufgenommene Gedichte
Verstreute Gedichte
Zeitraum »Atemwende«
Nicht aufgenommene Gedichte
Verstreute Gedichte
Zeitraum »Fadensonnen«
Nicht aufgenommenes Gedicht
Gedichte aus dem Umkreis des Zyklus »Eingedunkelt«
Gedichte aus dem Zyklusfragment »Nachtstück«
Verstreute Gedichte
Von Paul Celan und Kurt Leonhard gemeinschaftlich verfaßtes Gedicht
Zeitraum »Lichtzwang«
Nicht aufgenommene Gedichte
Einzelnes verstreutes Gedicht
Zeitraum »Schneepart«
Schneepart
Nicht aufgenommene Gedichte
Verstreute Gedichte
Zeitraum nach »Schneepart«
Gedichtsammlung »Nach ›Schneepart‹«
Letzte Gedichtzyklen
Zeitgehöft
Sammlung »Ilana«
Sammlung »Neuer Zyklus (nach Ilana)«
Späte verstreute Gedichte
Radierungen von Gisèle Celan-Lestrange
Kommentar
Zu dieser Ausgabe
Verzeichnisse
Abkürzungen, Siglen, Kurztitel
Quellen für Gedichte (Bücher und Zeitschriften)
Erstkommentare für mehrfach erwähnte Ortsangaben
Einzelkommentar
Verzeichnis der Gedichte
Erst jenseits der Kastanien ist die Welt.
Von dort kommt nachts ein Wind im Wolkenwagen
und irgendwer steht auf dahier …
Den will er über die Kastanien tragen:
»Bei mir ist Engelsüß und roter Fingerhut bei mir!
Erst jenseits der Kastanien ist die Welt …«
Dann zirp ich leise, wie es Heimchen tun,
dann halt ich ihn, dann muß er sich verwehren:
ihm legt mein Ruf sich ums Gelenk!
Den Wind hör ich in vielen Nächten wiederkehren:
»Bei mir flammt Ferne, bei dir ist es eng …«
Dann zirp ich leise, wie es Heimchen tun.
Doch wenn die Nacht auch heut sich nicht erhellt
und wiederkommt der Wind im Wolkenwagen:
»Bei mir ist Engelsüß und roter Fingerhut bei mir!«
Und will ihn über die Kastanien tragen –
dann halt, dann halt ich ihn nicht hier …
Erst jenseits der Kastanien ist die Welt.
So leg das Laub zusammen mit den Seelen.
Schwing leicht den Hammer und verhüll das Angesicht.
Krön mit den Schlägen, die dem Herzen fehlen,
den Ritter, der mit fernen Mühlen ficht.
Es sind nur Wolken, die er nicht ertrug.
Doch klirrt sein Herz von einem Engelsschritte.
Ich kränze leise, was er nicht zerschlug:
die rote Schranke und die schwarze Mitte.
Über die Ferne der finsteren Fluren
hebt mich mein Stern in dein schwärmendes Blut.
Nicht mehr am Weh, das wir beide erfuhren,
rätselt, der leicht in der Dämmerung ruht.
Wie soll er, Süße, dich betten und wiegen,
daß seine Seele das Schlummerlied krönt?
Nirgends, wo Traum ist und Liebende liegen,
hat je ein Schweigen so seltsam getönt.
Nun, wenn nur Wimpern die Stunden begrenzen,
tut sich das Leben der Dunkelheit kund.
Schließe, Geliebte, die Augen, die glänzen.
Nichts mehr sei Welt als dein schimmernder Mund.
Wie heb ich, sag, auf brüchigen Gelenken
den Krug voll Nacht und Übermaß?
Versonnen ist dein Aug von Angedenken;
von meinem Schritt versengt das hohe Gras.
Wie dir das Blut, wenn Sterne es befielen,
ward mir die Schulter einsam, weil sie trug.
Blühst du der Art von wechselnden Gespielen,
lebt sie der Stille aus dem großen Krug.
Wenn sich die Wasser dir und mir verfinstern,
sehn wir uns an – doch was verwandeln sie?
Dein Herz besinnt sich seltsam vor den Ginstern.
Der Schierling streift mir träumerisch die Knie.
Es regnet, Schwester: die Erinnerungen
des Himmels läutern ihre Bitterkeit.
Der Flieder, einsam vor dem Duft der Zeit,
sucht triefend nach den beiden, die umschlungen
vom offnen Fenster in den Garten sahn.
Nun facht mein Ruf die Regenlichter an.
Mein Schatten wuchert höher als das Gitter
und meine Seele ist der Wasserstrahl.
Gereut es dich, du Dunkle, im Gewitter,
daß ich dir einst den fremden Flieder stahl?
Hörst du: ich rede zu dir, wenn schwül sie das Sterben vermehren.
Schweigsam entwerf ich mir Tod, leise begegn ich den Speeren.
Wahr ist der endlose Ritt. Gerecht ist der Huf.
Fühlst du, daß nichts sich begibt als ein Wehn in den Rauten?
Blutend gehör ich getreu der Fremden und rätselhaft Trauten.
Ich steh. Ich bekenne. Ich ruf.
Die Nacht mit fremden Feuern zu versehen,
die unterwerfen, was in Sternen schlug,
darf meine Sehnsucht als ein Brand bestehen,
der neunmal weht aus deinem runden Krug.
Du mußt der Pracht des heißen Mohns vertrauen,
der stolz verschwendet, was der Sommer bot,
und lebt, daß er am Bogen deiner Brauen
errät, ob deine Seele träumt im Rot.
Er fürchtet nur, wenn seine Flammen fallen,
weil ihn der Hauch der Gärten seltsam schreckt,
daß er dem Aug der süßesten von allen
sein Herz, das schwarz von Schwermut ist, entdeckt.
In den Körben blau den Rauch der Fernen,
Gold der Tiefen unterm Tuch, dem härnen,
kommst du wieder mit gelösten Haaren
von den Bergen, wo wir Feinde waren.
Deinen Brauen, deinen heißen Wangen,
deinen Schultern mit Gewölk behangen,
bieten meine herbstlichen Gemächer
große Spiegel und verschwiegne Fächer.
Aber oben bei den Wasserschnellen,
über Primeln, du, und Soldanellen,
ist wie hier dein Kleid mit goldnen Schnallen
weiß ein Schnee, ein schmerzlicher, gefallen.
Die Hörner der Hölle, im Ölbaum verklungen:
stießen sie Luft durch sein Herz, daß es leer ward und schrie?
Schlief er nicht süß über uns und wir waren umschlungen?
Segnest du ihn und verlöschen wir sie?
Einst, als wir Finsternis festlich begingen,
kam er zu uns in den Abgrund und sang.
Nun, da ihn frierende Hörner umfingen,
ließ er uns schlummern und zittert am Hang.
Dürfen wir, licht, wenn die Brände beginnen,
wandernder Ölbaum, hinauf zu dir gehn?
Daß deine Zweige, süß und von Sinnen,
mit uns im Feuer, im riesigen, stehn?
Kennt noch das Wasser des südlichen Bug,
Mutter, die Welle, die Wunden dir schlug?
Weiß noch das Feld mit den Mühlen inmitten,
wie leise dein Herz deine Engel gelitten?
Kann keine der Espen mehr, keine der Weiden,
den Kummer dir nehmen, den Trost dir bereiten?
Und steigt nicht der Gott mit dem knospenden Stab
den Hügel hinan und den Hügel hinab?
Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim,
den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?
Für Alfred Margul-Sperber
Die Zeit tritt ehern in ihr letztes Alter.
Nur du allein bist silbern hier.
Und klagst im Abend um den Purpurfalter.
Und haderst um die Wolke mit dem Tier.
Nicht, daß dein Herz nie Untergang erfuhr
und Finsternis nie deinem Aug befahl …
Doch trägt vom Mond noch deine Hand die Spur.
Und in den Wassern sträubt sich noch ein Strahl.
Wie soll, der über himmelblauen Kies
sich mit den Nymphen drehte, leicht,
nicht denken, daß ein Pfeil der Artemis
im Wald noch irrt und ihn zuletzt erreicht?
Es trommelt der Specht an den Ast die barmherzige Zeit:
so gieß ich das Öl über Esche und Buche und Linde.
Und winke der Wolke. Und schmücke mein lumpiges Kleid.
Und schwinge die silberne Axt vor dem Sternlein im Winde.
Beschwert sind die östlichen Himmel mit Seidengewebe:
dein lieblicher Name, des Herbstes Runengespinst.
Ach, band ich mit irdischem Bast mein Herz an die himmlische Rebe
und wein, wenn der Wind sich nun hebt, daß du klaglos zu singen beginnst?
Herunter zu mir kommt der sonnige Kürbis gerollt:
erschallt ist die heilende Zeit auf den holprigen Wegen.
So ist auch das letzte nicht mein, doch ein freundliches Gold.
So lüftet sich dir noch wie mir jener Schleier aus Regen.
Die Taube aber säumt in Avalun.
So muß ein Vogel über deine Hüften finstern,
der halb ein Herz und halb ein Harnisch ist.
Ihm ist es um dein nasses Auge nicht zu tun.
Zwar kennt er Schmerz und holt ihn bei den Ginstern,
doch seine Schwinge ist nicht hier und unsichtbar gehißt.
Die Taube aber säumt in Avalun.
Der Ölzweig ward geraubt von Adlerschnäbeln
und wo dein Lager blaut im schwarzen Zelt zerpflückt.
Rings aber bot ich auf ein Heer auf Sammetschuhn
und laß es schweigsam um den Kranz des Himmels säbeln.
Bis du dich schlummernd nach der Lache Bluts gebückt.
Das ist: ich hob, als sie gewaltig fochten,
den Scherben über sie, ließ alle Rosen fallen
und rief, als mancher sie ins Haar geflochten,
den Vogel an, ein Werk des Trosts zu tun.
Er malt dir in das Aug die Schattenkrallen.
Ich aber seh die Taube kommen, weiß, aus Avalun.
Mehr als die Taube und den Maulbeerbaum
liebt mich der Herbst. Und mir schenkt er den Schleier.
»Nimm ihn zu träumen«, stickt er den Saum.
Und: »Gott ist auch so nahe wie der Geier.«
Doch hob ich auf ein ander Tüchlein auch:
gröber als dies und ohne Stickerein.
Rührst du's, fällt Schnee im Brombeerstrauch.
Schwenkst du's, hörst du den Adler schrein.
Schnee ist gefallen, lichtlos. Ein Mond
ist es schon oder zwei, daß der Herbst unter mönchischer Kutte
Botschaft brachte auch mir, ein Blatt aus ukrainischen Halden:
»Denk, daß es wintert auch hier, zum tausendstenmal nun
im Land, wo der breiteste Strom fließt:
Jaakobs himmlisches Blut, benedeiet von Äxten …
O Eis von unirdischer Röte – es watet ihr Hetman mit allem
Troß in die finsternden Sonnen … Kind, ach ein Tuch,
mich zu hüllen darein, wenn es blinket von Helmen,
wenn die Scholle, die rosige, birst, wenn schneeig stäubt das Gebein
deines Vaters, unter den Hufen zerknirscht
das Lied von der Zeder …
Ein Tuch, ein Tüchlein nur schmal, daß ich wahre
nun, da zu weinen du lernst, mir zur Seite
die Enge der Welt, die nie grünt, mein Kind, deinem Kinde!«
Blutete, Mutter, der Herbst mir hinweg, brannte der Schnee mich:
sucht ich mein Herz, daß es weine, fand ich den Hauch, ach des Sommers,
war er wie du.
Kam mir die Träne. Webt ich das Tüchlein.
Mit schwieligen Händen liest du mir auf die Körner der Stille.
Es war meine Seele ihr Sieb, gefüllt sind nun siebenzehn Krüge:
die Stadt, wo du weilst über Nacht. Im Fenster schwankt die Kamille:
ich aß hier zu Abend vom Staub ihrer Blüte … Ertrüge
auch sie dieses Schweigen wie du? Und sind nicht zwei Schwestern zuviel?
Ich geh noch vors Haus zu forschen nach Wasser im Sande:
leer blieb der letzte, der achtzehnte Krug, dem die Blume der Wiesen entfiel.
Wie seltsam dahingilbt dein Haar! Ich löse die blaue Girlande.
Herbst hab ich in Gottes Herz gesponnen,
eine Träne neben seinem Aug geweint …
Wie dein Mund war, sündig, hat die Nacht begonnen.
Dir zu Häupten, finster, ist die Welt versteint.
Fangen sie nun an zu kommen mit den Krügen?
Wie das Laub verstreuet, ist vertan der Wein.
Missest du den Himmel mit den Vogelzügen?
Laß den Stein die Wolke, mich den Kranich sein.
Der Eiswind hängt über die Steppe das Galgenlicht deiner Wimpern:
du wehst mir von roten Gelenken, er steigt aus den Tümpeln voll Obst;
die Finger streckt er empor, dran spinn ich Heu, wenn du tot bist …
Es fällt auch ein meergrüner Schnee, du ißt von erfrorenen Rosen.
Mehr als du gabst verteil ich im Hafen als Branntwein.
Ums Messer gespult blieb dein Haar mir, dein Herz uns das rauchende Kap.
Ins Dunkel getaucht sind die Kirschen der Liebe,
zu Spinnen gekrümmt mir die Finger: wie pflück ich den Schatten der Schwalbe?
Ihr Kleid, einst unsichtbar. Ihr Kleid, einst im Morgen gesponnen.
Dem Herold des Schmerzes ein kostbar Geschenk, seiner Hand bald entsunken
unten im Tann, wo gelöst wird die Fessel des Mondstrahls.
Geraubt sind dem Sommer die Herzen:
das Obst, das dir reifte zum Dämmer, gehißt auf den zackigen Türmen
der Luft. Über Zinnen aus Asche.
In Gottes wölfischem Schoß.
Die Lampen des Schreckens sind hell, auch im Sturm.
Am Kiel der laubigen Kähne nahen sie kühl deiner Stirn;
du wünschst, sie zerschellten an dir, denn sind sie nicht Glas?
Du hörst auch schon triefen die Milch, daß du trinkst aus den Scherben
den Saft, den im Schlaf du geschlürft aus den Spiegeln des Winters:
es ward dir das Herz voller Flocken, es hing dir das Aug voller Eis,
die Locke quoll dir von Meerschaum, sie warfen mit Vögeln nach dir …
Dein Haus ritt die finstere Welle, doch barg es ein Rosengeschlecht;
als Arche verließ es die Straße, so wardst du gerettet ins Unheil:
O weiße Giebel des Todes – ihr Dorf wie um Weihnacht!
O Schlittenflug durch die Luft – doch du kehrtest zurück,
erklommst als ein Knabe den Baum, dort hältst du nun Ausschau:
es schwimmt jene Arche noch nah, doch füllen die Rosen sie ganz,
doch eilen die Kähne heran mit den flackernden Lampen des Schreckens:
vielleicht, daß die Schläfe dir birst, dann springt ihre Mannschaft an Land,
dann schlägt sie die Zelte hier auf, dann wölbt sich dein Schädel zu Himmeln –
es quillt dir die Locke von Meerschaum, es hängt dir voll Flocken das Herz.
Ein rauchendes Wasser stürzt aus den Höhlen der Himmel;
du tauchst dein Antlitz darein, eh die Wimper davonfliegt.
Doch bleibt deinen Blicken ein bläuliches Feuer, ich reiße von mir mein Gewand:
dann hebt dich die Welle zu mir in den Spiegel, du wünschst dir ein Wappen …
Ach, war deine Locke auch rostbraun, so weiß auch dein Leib –
die Lider der Augen sind rosig gespannt als ein Zelt übers Schneeland:
ich lagre mein bärtiges Herz nicht dorthin, im Frühling blüht nicht der Busch.
Du kannst, wem du mittags die Wunden der Träume schlägst,
im Schlaf nicht verweigern die Huld seiner blinden Geliebten:
er rollt mit den Stunden zutal, daß frei sei die Zeit für jene, die wandeln bei Mondschein
über das Dach deiner Welt, das aufglänzt von künftiger Bläue;
ihm, der dich maß und dich wog und zuletzt noch zu Grab legt;
der dir hob aus dem Schoße dein Kind mit dem Flammenhaar der Umnachtung –
wie kannst du die Huld ihm verwehren des Augs, das geblendet ihn anblickt:
hier einzig spiegelt sich ihm der schwärmende Stern deiner Stirnen;
den Lanzenstich in dein Herz erkennt er nur hier.
Wie schwarz du ihn sein läßt im Tal! Und oben gleißt es und sprüht!
Du tust, als wär noch ein zweiter, der ginge zu dulden
die Felsenlast deiner Zeit, daß du andern leichter bescheidest
den Stundenschlag ohne Stunde, den Strahlenwind des Jahrtausends …
O steinerne Masten der Schwermut! O ich unter euch und lebendig!
O ich unter euch und lebendig und schön, und sie darf mir nicht lächeln …
Liebe, über meinem Meer
folgt mein Kahn den fremden Zeichen.
Winde, die ich dir verwehr,
laß ich in den Segeln streichen.
Truhen, die ich dir verschließ,
fahr ich, in die See zu senken,
Ruder, die ich sinken ließ,
helfen mir den Kahn zu lenken.
Netze, die ich lang geflickt,
warf ich aus, die Nacht zu haschen –
aber seltsam und geschickt
löst dein Arm die starken Maschen.
Schwester im Dunkel, reiche die Arznei
dem weißen Leben und dem stummen Munde.
Aus deiner Schale, drin die Welle sei,
trink ich den Schimmer vom Korallengrunde,
schöpf ich die Muschel, hebe ich das Ruder,
das einem, den das Land nicht ließ, entsank.
Die Insel blaut nicht mehr, mein junger Bruder,
und nur die Seele zerrt am Algenstrang.
Dann läutet seltsam jene Glocke Nie …
Dann trieft der Tiefen Balsam, meine Fremde …
Wen zu erhöhen, sank ich in die Knie?
Aus welcher Wunde blut ich unterm Hemde?
Mein Herz wirft Schatten, welche deine Hand
verlöscht, bis ich mich wehr und wähle:
Ich will nicht mehr hinauf ins Hügelland.
An jenen Seestern krall dich, meine Seele.
Mit dem Blut aus den verworrnen
Wunden tränkst du deine Dornen;
daß die kauernde verkrallte
Angst in allem Dunkel walte.
Meine irren Hände falte.
Alle Frohen, alle Frommen
sah ich singend zu dir kommen.
Du erschlugst sie mit dem Beile.
O das Gift von deinem Pfeile.
Meine trüben Augen heile.
In die Winde, in die scharfen,
reißt du alle sanften Harfen.
Trittst den süßen Tau der Tage …
Wessen Schritt – der Klang der Klage?
Mein verwehtes Tasten trage.
Mit den Schweigsamen, den vielen,
läßt du fremde Stürme spielen.
In die Stille, in die Weite,
wirfst du deine Flammenscheite.
Meinen leisen Schlaf bereite.
Mondhelles Herz: nun hebt sich der Schleier vom Spiegelbild.
Im Busch pflückt der Engel der Schläfer die bittere Beere.
Nun tröstet mein Blut die Lanzenstiche im Schild;
erblühn die Gezeiten dem Sommer der Sternenmeere.
Du aber bereitest dich jetzt, daß süß dich die Linden beschenken?
Gestürzt ist ein Rosengewölk in dein Aug voll Verzicht?
(Erfuhrst du von mir, wie die Träume die Schläfen versehren?)
Nicht will deine Wimper an Sehnsucht und Wellenschaum denken …
Hoch dunkelt der Mais in den Mond und ich segne ihn nicht.
Verweilt, wenn die Wolke ertönt, dein Gelenk in den Spangen?
Und glimmt in den Augen aus Samt nicht das herbstliche Licht?
Dann bleib ich, ein Knecht deiner Tränen, gefangen.
Es wachsen die Dämmergewebe: schlaf!
Den ungewissen Lorbeer trägt nun deine Schläfe.
Und einer, den noch keiner übertraf,
erwartet, ob der Traum ihn überträfe.
Mit offnem Auge folgt er deinem leichten Boote:
»Löst sich die Fessel? Sinkt sie in das Lose?«
Und abgewandt von deinem Antlitz weint er um die rote
Rose.
Ein Kranz ward gewunden aus schwärzlichem Laub in der Gegend von Akra:
dort riß ich den Rappen herum und stach nach dem Tod mit dem Degen.
Auch trank ich aus hölzernen Schalen die Asche der Brunnen von Akra
und zog mit gefälltem Visier den Trümmern der Himmel entgegen.
Denn tot sind die Engel und blind ward der Herr in der Gegend von Akra,
und keiner ist, der mir betreue im Schlaf die zur Ruhe hier gingen.
Zuschanden gehaun ward der Mond, das Blümlein der Gegend von Akra:
so blühn, die den Dornen es gleichtun, die Hände mit rostigen Ringen.
So muß ich zum Kuß mich wohl bücken zuletzt, wenn sie beten in Akra …
O schlecht war die Brünne der Nacht, es sickert das Blut durch die Spangen!
So ward ich ihr lächelnder Bruder, der eiserne Cherub von Akra.
So sprech ich den Namen noch aus und fühl noch den Brand auf den Wangen.
Nachts ist dein Leib von Gottes Fieber braun:
mein Mund schwingt Fackeln über deinen Wangen.
Nicht sei gewiegt, dem sie kein Schlaflied sangen.
Die Hand voll Schnee, bin ich zu dir gegangen,
und ungewiß, wie deine Augen blaun
im Stundenrund. (Der Mond von einst war runder.)
Verschluchzt in leeren Zelten ist das Wunder,
vereist das Krüglein Traums – was tuts?
Gedenk: ein schwärzlich Blatt hing im Holunder –
das schöne Zeichen für den Becher Bluts.
Umsonst malst du Herzen ans Fenster:
der Herzog der Stille
wirbt unten im Schloßhof Soldaten.
Sein Banner hißt er im Baum – ein Blatt, das ihm blaut, wenn es herbstet;
die Halme der Schwermut verteilt er im Heer und die Blumen der Zeit;
mit Vögeln im Haar geht er hin zu versenken die Schwerter.
Umsonst malst du Herzen ans Fenster: ein Gott ist unter den Scharen,
gehüllt in den Mantel, der einst von den Schultern dir sank auf der Treppe, zur Nachtzeit,
einst, als in Flammen das Schloß stand, als du sprachst wie die Menschen: Geliebte …
Er kennt nicht den Mantel und rief nicht den Stern an und folgt jenem Blatt, das vorausschwebt.
›O Halm‹, vermeint er zu hören, ›o Blume der Zeit‹.
Fliederlos ist dein Haar, dein Antlitz aus Spiegelglas.
Von Auge zu Aug zieht die Wolke, wie Sodom nach Babel:
wie Blattwerk zerpflückt sie den Turm und tobt um das Schwefelgesträuch.
Dann zuckt dir ein Blitz um den Mund – jene Schlucht mit den Resten der Geige.
Mit schneeigen Zähnen führt einer den Bogen: O schöner tönte das Schilf!
Geliebte, auch du bist das Schilf und wir alle der Regen;
ein Wein ohnegleichen dein Leib, und wir bechern zu zehnt;
ein Kahn im Getreide dein Herz, wir rudern ihn nachtwärts;
ein Krüglein Bläue, so hüpfest du leicht über uns, und wir schlafen …
Vorm Zelt zieht die Hundertschaft auf, und wir tragen dich zechend zu Grabe.
Nun klingt auf den Fliesen der Welt der harte Taler der Träume.
Die Mönche mit haarigen Fingern schlugen das Buch auf: September.
Jason wirft nun mit Schnee nach der aufgegangenen Saat.
Ein Halsband aus Händen gab dir der Wald, so schreitest du tot übers Seil.
Ein dunkleres Blau wird zuteil deinem Haar, und ich rede von Liebe.
Muscheln red ich und leichtes Gewölk, und ein Boot knospt im Regen.
Ein kleiner Hengst jagt über die blätternden Finger –
Schwarz springt das Tor auf, ich singe:
Wie lebten wir hier?
Die Hand voller Stunden, so kamst du zu mir – ich sprach:
Dein Haar ist nicht braun.
So hobst du es leicht auf die Waage des Leids, da war es schwerer als ich …
Sie kommen auf Schiffen zu dir und laden es auf, sie bieten es feil auf den Märkten der Lust –
Du lächelst zu mir aus der Tiefe, ich weine zu dir aus der Schale, die leicht bleibt.
Ich weine: Dein Haar ist nicht braun, sie bieten das Wasser der See, und du gibst ihnen Locken …
Du flüsterst: Sie füllen die Welt schon mit mir, und ich bleib dir ein Hohlweg im Herzen!
Du sagst: Leg das Blattwerk der Jahre zu dir – es ist Zeit, daß du kommst und mich küssest!
Das Blattwerk der Jahre ist braun, dein Haar ist es nicht.
Halbe Nacht. Mit den Dolchen des Traumes geheftet in sprühende Augen.
Schrei nicht vor Schmerz: wie Tücher flattern die Wolken.
Ein seidener Teppich, so ward sie gespannt zwischen uns, daß getanzt sei von Dunkel zu Dunkel.
Die schwarze Flöte schnitzten sie uns aus lebendigem Holz, und die Tänzerin kommt nun.
Aus Meerschaum gesponnene Finger taucht sie ins Aug uns:
eines will hier noch weinen?
Keines. So wirbelt sie selig dahin, und die feurige Pauke wird laut.
Ringe wirft sie uns zu, wir fangen sie auf mit den Dolchen.
Vermählt sie uns so? Wie Scherben erklingts, und ich weiß es nun wieder:
du starbst nicht
den malvenfarbenen Tod.
Es schwebt auch dein Haar überm Meer mit dem goldnen Wacholder.
Mit ihm wird es weiß, dann färb ich es steinblau:
die Farbe der Stadt, wo zuletzt ich geschleift ward gen Süden …
Mit Tauen banden sie mich und knüpften an jedes ein Segel
und spieen mich an aus nebligen Mäulern und sangen:
›O komm übers Meer!‹
Ich aber malt als ein Kahn die Schwingen mir purpurn
und röchelte selbst mir die Brise und stach, eh sie schliefen, in See.
Ich sollte sie rot dir nun färben, die Locken, doch lieb ich sie steinblau:
O Augen der Stadt, wo ich stürzte und südwärts geschleift ward!
Mit dem goldnen Wacholder schwebt auch dein Haar überm Meer.
Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel.
Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß.
Löwenzahn, so grün ist die Ukraine.
Meine blonde Mutter kam nicht heim.
Regenwolke, säumst du an den Brunnen?
Meine leise Mutter weint für alle.
Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife.
Meiner Mutter Herz ward wund von Blei.
Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln?
Meine sanfte Mutter kann nicht kommen.
Zugvogel Speer, die Mauer ist längst überflogen,
der Ast überm Herzen schon weiß und das Meer über uns,
der Hügel der Tiefe umlaubt von den Sternen des Mittags –
ein giftleeres Grün wie des Augs, das sie aufschlug im Tode …
Wir höhlten die Hände zu schöpfen den sickernden Sturzbach:
das Wasser der Stätte, wo's dunkelt und keinem gereicht wird der Dolch.
Du sangst auch ein Lied, und wir flochten ein Gitter im Nebel:
vielleicht, daß ein Henker noch kommt und uns wieder ein Herz schlägt;
vielleicht, daß ein Turm sich noch wälzt über uns, und ein Galgen wird johlend errichtet;
vielleicht, daß ein Bart uns entstellt und ihr Blondhaar sich rötet …
Der Ast überm Herzen ist weiß schon, das Meer über uns.
Im Gewölbe der Schwerter besieht sich der Schatten laubgrünes Herz.
Blank sind die Klingen: wer säumte im Tod nicht vor Spiegeln?
Auch wird hier in Krügen kredenzt die lebendige Schwermut:
blumig finstert sie hoch, eh sie trinken, als wär sie nicht Wasser,
als wär sie ein Tausendschön hier, das befragt wird nach dunklerer Liebe,
nach schwärzerem Pfühl für das Lager, nach schwererem Haar …
Hier aber wird nur gebangt um den Schimmer des Eisens,
und leuchtet ein Ding hier noch auf, so sei es ein Schwert.
Wir leeren den Krug nur vom Tisch, weil uns Spiegel bewirten:
einer springe entzwei, wo wir grün sind wie Laub!
Schimmelgrün ist das Haus des Vergessens.
Vor jedem der wehenden Tore blaut dein enthaupteter Spielmann.
Er schlägt dir die Trommel aus Moos und bitterem Schamhaar;
mit schwärender Zehe malt er im Sand deine Braue.
Länger zeichnet er sie als sie war, und das Rot deiner Lippe.
Du füllst hier die Urnen und speisest dein Herz.
Ein wasserfarbenes Wild wird gejagt in den dämmernden Marken.
So binde die Maske dir vor und färbe die Wimpern dir grün.
Die Schüssel mit schlummerndem Schrot wird gereicht über Ebenholztische:
von Frühling zu Frühling schäumt hier der Wein, so kurz ist das Jahr,
so feurig der Preis dieser Schützen – die Rose der Fremde:
dein irrender Bart, die müßige Fahne des Baumstumpfs.
Gewölk und Gebell! Sie reiten den Wahn in den Farn!
Wie Fischer werfen sie Netze nach Irrlicht und Hauch!
Sie schlingen ein Seil um die Kronen und laden zum Tanz!
Und waschen die Hörner im Quell – so lernen sie Lockruf.
Ist dicht, was du wähltest als Mantel, und birgt es den Schimmer?
Sie schleichen wie Schlaf um die Stämme, als böten sie Traum.
Die Herzen schleudern sie hoch, die moosigen Bälle des Wahnsinns:
o wasserfarbenes Vlies, unser Banner am Turm!
Ein Knirschen von eisernen Schuhn ist im Kirschbaum.
Aus Helmen schäumt dir der Sommer. Der schwärzliche Kuckuck
malt mit demantenem Sporn sein Bild an die Tore des Himmels.
Barhaupt ragt aus dem Blattwerk der Reiter.
Im Schild trägt er dämmernd dein Lächeln,
genagelt ans stählerne Schweißtuch des Feindes.
Es ward ihm verheißen der Garten der Träumer,
und Speere hält er bereit, daß die Rose sich ranke …
Unbeschuht aber kommt durch die Luft, der am meisten dir gleichet:
eiserne Schuhe geschnallt an die schmächtigen Hände,
verschläft er die Schlacht und den Sommer. Die Kirsche blutet für ihn.
Geleert sei die Nacht aus den Flaschen im hohen Gebälk der Versuchung,
die Schwelle mit Zähnen gepflügt, vor Morgen der Jähzorn gesät:
es schießt wohl empor uns ein Moos noch, eh von der Mühle sie hier sind,
ein leises Getreide zu finden bei uns ihrem langsamen Rad …
Unter den giftigen Himmeln sind andere Halme wohl falber,
wird anders der Traum noch gemünzt als hier, wo wir würfeln um Lust,
als hier, wo getauscht wird im Dunkel Vergessen und Wunder,
wo alles nur gilt eine Stunde und schwelgend bespien wird von uns,
ins gierige Wasser der Fenster geschleudert in leuchtenden Truhen –:
es birst auf der Straße der Menschen, den Wolken zum Ruhm!
So hüllet euch denn in die Mäntel und steiget mit mir auf die Tische:
wie anders sei noch geschlafen als stehend, inmitten der Kelche?
Wem trinken wir Träume noch zu, als dem langsamen Rad?
Steinhaube Zeit. Und üppiger quellen
die Locken des Schmerzes ums Antlitz der Erde,
den trunkenen Apfel, gebräunt von dem Hauch
eines sündigen Spruches: schön und abhold dem Spiel,
das sie treiben im argen
Widerschein ihrer Zukunft.
Zum zweitenmal blüht die Kastanie:
ein Zeichen der ärmlich entbrannten
Hoffnung auf Orions
baldige Rückkunft: der blinden
Freunde des Himmels sternklare Inbrunst
ruft ihn herauf.
Unverhüllt an den Toren des Traumes
streitet ein einsames Aug.
Was täglich geschieht,
genügt ihm zu wissen:
am östlichen Fenster
erscheint ihm zur Nachtzeit die schmale
Wandergestalt des Gefühls.
Ins Naß ihres Auges tauchst du das Schwert.
Das weiße Herz unsrer Welt, gewaltlos verloren wirs heut um die Stunde des gilbenden Maisblatts:
ein runder Knäuel, so rollt' es uns leicht aus den Händen.
So blieb uns zu spinnen die neue, die rötliche Wolle des Schlafs an der sandigen Grabstatt des Traumes:
ein Herz nicht mehr, doch das Haupthaar wohl des Steins aus der Tiefe,
der ärmliche Schmuck seiner Stirn, die sinnt über Muschel und Welle.
Vielleicht, daß am Tor jener Stadt in der Luft ihn erhöhet ein nächtlicher Wille,
sein östliches Aug ihm erschließt überm Haus, wo wir liegen,
die Schwärze des Meers um den Mund und die Tulpen aus Holland im Haar.
Sie tragen ihm Lanzen voran, so trugen wir Traum, so entrollt' uns das weiße
Herz unsrer Welt. So ward ihm das krause
Gespinst um sein Haupt: eine seltsame Wolle,
an Herzens Statt schön.
O Pochen, das kam und das schwand! Im Endlichen wehen die Schleier.
Du denk mit mir: der Himmel von Paris, die große Herbstzeitlose …
Wir kauften Herzen bei den Blumenmädchen:
sie waren blau und blühten auf im Wasser.
Es fing zu regnen an in unserer Stube,
und unser Nachbar kam, Monsieur Le Songe, ein hager Männlein.
Wir spielten Karten, ich verlor die Augensterne;
du liehst dein Haar mir, ich verlors, er schlug uns nieder.
Er trat zur Tür hinaus, der Regen folgt' ihm.
Wir waren tot und konnten atmen.
Wenn die Schweigsame kommt und die Tulpen köpft:
Wer gewinnt?
Wer verliert?
Wer tritt an das Fenster?
Wer nennt ihren Namen zuerst?
Es ist einer, der trägt mein Haar.
Er trägts wie man Tote trägt auf den Händen.
Er trägts wie der Himmel mein Haar trug im Jahr, da ich liebte.
Er trägt es aus Eitelkeit so.
Der gewinnt.
Der verliert nicht.
Der tritt nicht ans Fenster.
Der nennt ihren Namen nicht.
Es ist einer, der hat meine Augen.
Er hat sie, seit Tore sich schließen.
Er trägt sie am Finger wie Ringe.
Er trägt sie wie Scherben von Lust und Saphir:
er war schon mein Bruder im Herbst;
er zählt schon die Tage und Nächte.
Der gewinnt.
Der verliert nicht.
Der tritt nicht ans Fenster.
Der nennt ihren Namen zuletzt.
Es ist einer, der hat, was ich sagte.
Er trägts unterm Arm wie ein Bündel.
Er trägts wie die Uhr ihre schlechteste Stunde.
Er trägt es von Schwelle zu Schwelle, er wirft es nicht fort.
Der gewinnt nicht.
Der verliert.
Der tritt an das Fenster.
Der nennt ihren Namen zuerst.
Der wird mit den Tulpen geköpft.
Am lichtesten brannte das Haar meiner Abendgeliebten:
ihr schick ich den Sarg aus dem leichtesten Holz.
Er ist wellenumwogt wie das Bett unsrer Träume in Rom;
er trägt eine weiße Perücke wie ich und spricht heiser:
er redet wie ich, wenn ich Einlaß gewähre den Herzen.
Er weiß ein französisches Lied von der Liebe, das sang ich im Herbst,
als ich weilte auf Reisen in Spätland und Briefe schrieb an den Morgen.
Ein schöner Kahn ist der Sarg, geschnitzt im Gehölz der Gefühle.
Auch ich fuhr blutabwärts mit ihm, als ich jünger war als dein Aug.
Nun bist du jung wie ein toter Vogel im Märzschnee,
nun kommt er zu dir und singt sein französisches Lied.
Ihr seid leicht: ihr schlaft meinen Frühling zu Ende.
Ich bin leichter:
ich singe vor Fremden.
Wieder wellt sich dein Haar, wenn ich wein. Mit dem Blau deiner Augen
deckst du den Tisch unsrer Liebe: ein Bett zwischen Sommer und Herbst.
Wir trinken, was einer gebraut, der nicht ich war, noch du, noch ein dritter:
wir schlürfen ein Leeres und Letztes.
Wir sehen uns zu in den Spiegeln der Tiefsee und reichen uns rascher die Speisen:
die Nacht ist die Nacht, sie beginnt mit dem Morgen,
sie legt mich zu dir.
Im Quell deiner Augen
leben die Garne der Fischer der Irrsee.
Im Quell deiner Augen
hält das Meer sein Versprechen.
Hier werf ich,
ein Herz, das geweilt unter Menschen,
die Kleider von mir und den Glanz eines Schwures:
Schwärzer im Schwarz, bin ich nackter.
Abtrünnig erst bin ich treu.
Ich bin du, wenn ich ich bin.
Im Quell deiner Augen
treib ich und träume von Raub.
Ein Garn fing ein Garn ein:
wir scheiden umschlungen.
Im Quell deiner Augen
erwürgt ein Gehenkter den Strang.
Die Sonnen des Halbschlafs sind blau wie dein Haar eine Stunde vor Morgen.
Auch sie wachsen rasch wie das Gras überm Grab eines Vogels.
Auch sie lockt das Spiel, das wir spielten als Traum auf den Schiffen der Lust.
Am Kreidefelsen der Zeit begegnen auch ihnen die Dolche.
Die Sonnen des Tiefschlafs sind blauer: so war deine Locke nur einmal:
Ich weilt als ein Nachtwind im käuflichen Schoß deiner Schwester;
dein Haar hing im Baum über uns, doch warst du nicht da.
Wir waren die Welt, und du warst ein Gesträuch vor den Toren.
Die Sonnen des Todes sind weiß wie das Haar unsres Kindes:
es stieg aus der Flut, als du aufschlugst ein Zelt auf der Düne.
Es zückte das Messer des Glücks über uns mit erloschenen Augen.
Boshaft wie goldene Rede beginnt diese Nacht.
Wir essen die Äpfel der Stummen.
Wir tuen ein Werk, das man gern seinem Stern überläßt;
wir stehen im Herbst unsrer Linden als sinnendes Fahnenrot,
als brennende Gäste vom Süden.
Wir schwören bei Christus dem Neuen, den Staub zu vermählen dem Staube,
die Vögel dem wandernden Schuh,
unser Herz einer Stiege im Wasser.
Wir schwören der Welt die heiligen Schwüre des Sandes,
wir schwören sie gern,
wir schwören sie laut von den Dächern des traumlosen Schlafes
und schwenken das Weißhaar der Zeit …
Sie rufen: Ihr lästert!
Wir wissen es längst.
Wir wissen es längst, doch was tuts?
Ihr mahlt in den Mühlen des Todes das weiße Mehl der Verheißung,
ihr setzet es vor unsern Brüdern und Schwestern –
Wir schwenken das Weißhaar der Zeit.
Ihr mahnt uns: Ihr lästert!
Wir wissen es wohl,
es komme die Schuld über uns.
Es komme die Schuld über uns aller warnenden Zeichen,
es komme das gurgelnde Meer,
der geharnischte Windstoß der Umkehr,
der mitternächtige Tag,
es komme, was niemals noch war!
Es komme ein Mensch aus dem Grabe.
Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.
Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.
Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.
Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.
Es ist Zeit.
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
Es ist eine Stunde, die macht dir den Staub zum Gefolge,
dein Haus in Paris zur Opferstatt deiner Hände,
dein schwarzes Aug zum schwärzesten Auge.
Es ist ein Gehöft, da hält ein Gespann für dein Herz.
Dein Haar möchte wehn, wenn du fährst – das ist ihm verboten.
Die bleiben und winken, wissen es nicht.
Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser.
Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noëmi! Mirjam!
Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst.
Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden.
Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noëmi sagen:
Seht, ich schlaf bei ihr!
Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.
Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noëmi.
Du sollst zur Fremden sagen:
Sieh, ich schlief bei diesen!
Mund im verborgenen Spiegel,
Knie vor der Säule des Hochmuts,
Hand mit dem Gitterstab:
reicht euch das Dunkel,
nennt meinen Namen,
führt mich vor ihn.
Vom Blau, das noch sein Auge sucht, trink ich als erster.
Aus deiner Fußspur trink ich und ich seh:
du rollst mir durch die Finger, Perle, und du wächst!
Du wächst wie alle, die vergessen sind.
Du rollst: das schwarze Hagelkorn der Schwermut
fällt in ein Tuch, ganz weiß vom Abschiedwinken.
Wer wie du und alle Tauben Tag und Abend aus dem Dunkel schöpft,
pickt den Stern aus meinen Augen, eh er funkelt,
reißt das Gras aus meinen Brauen, eh es weiß ist,
wirft die Tür zu in den Wolken, eh ich stürze.
Wer wie du und alle Nelken Blut als Münze braucht und Tod als Wein,
bläst das Glas für seinen Kelch aus meinen Händen,
färbt es mit dem Wort, das ich nicht sagte, rot,
schlägts in Stücke mit dem Stein der fernen Träne.
Wir schliefen nicht mehr, denn wir lagen im Uhrwerk der Schwermut
und bogen die Zeiger wie Ruten,
und sie schnellten zurück und peitschten die Zeit bis aufs Blut,
und du redetest wachsenden Dämmer,
und zwölfmal sagte ich du zur Nacht deiner Worte,
und sie tat sich auf und blieb offen,
und ich legt ihr ein Aug in den Schoß und flocht dir das andre ins Haar
und schlang zwischen beide die Zündschnur, die offene Ader –
und ein junger Blitz schwamm heran.
Wer sein Herz aus der Brust reißt zur Nacht, der langt nach der Rose.
Sein ist ihr Blatt und ihr Dorn,
ihm legt sie das Licht auf den Teller,
ihm füllt sie die Gläser mit Hauch,
ihm rauschen die Schatten der Liebe.
Wer sein Herz aus der Brust reißt zur Nacht und schleudert es hoch:
der trifft nicht fehl,
der steinigt den Stein,
dem läutet das Blut aus der Uhr,
dem schlägt seine Stunde die Zeit aus der Hand:
er darf spielen mit schöneren Bällen
und reden von dir und von mir.
Nicht an meinen Lippen suche deinen Mund,
nicht vorm Tor den Fremdling,
nicht im Aug die Träne.
Sieben Nächte höher wandert Rot zu Rot,
sieben Herzen tiefer pocht die Hand ans Tor,
sieben Rosen später rauscht der Brunnen.
Was du aus Leichtem wobst,
trag ich dem Stein zu Ehren.
Wenn ich im Dunkel die Schreie
wecke, weht es sie an.
Oft, wenn ich stammeln soll,
wirft es vergessene Falten,
und der ich bin, verzeiht
dem, der ich war.
Aber der Haldengott
rührt seine dumpfeste Trommel,
und wie die Falte fiel,
runzelt der Finstre die Stirn.
Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker:
so halt ich mit dir Tafel, trink dir zu.
Ich trink so lang, bis dir mein Herz erdunkelt,
so lange, bis Paris auf seiner Träne schwimmt,
so lange, bis es Kurs nimmt auf den fernen Schleier,
der uns die Welt verhüllt, wo jedes Du ein Ast ist,
an dem ich hänge als ein Blatt, das schweigt und schwebt.
Ich bin allein, ich stell die Aschenblume
ins Glas voll reifer Schwärze. Schwestermund,
du sprichst ein Wort, das fortlebt vor den Fenstern,
und lautlos klettert, was ich träumt, an mir empor.
Ich steh im Flor der abgeblühten Stunde
und spar ein Harz für einen späten Vogel:
er trägt die Flocke Schnee auf lebensroter Feder;
das Körnchen Eis im Schnabel, kommt er durch den Sommer.
Für Klaus Demus
An den langen Tischen der Zeit
zechen die Krüge Gottes.
Sie trinken die Augen der Sehenden leer und die Augen der Blinden,
die Herzen der waltenden Schatten,
die hohle Wange des Abends.
Sie sind die gewaltigsten Zecher:
sie führen das Leere zum Mund wie das Volle
und schäumen nicht über wie du oder ich.
Nachts, wenn das Pendel der Liebe schwingt
zwischen Immer und Nie,
stößt dein Wort zu den Monden des Herzens
und dein gewitterhaft blaues
Aug reicht der Erde den Himmel.
Aus fernem, aus traumgeschwärztem
Hain weht uns an das Verhauchte,
und das Versäumte geht um, groß wie die Schemen der Zukunft.
Was sich nun senkt und hebt,
gilt dem zuinnerst Vergrabnen:
blind wie der Blick, den wir tauschen,
küßt es die Zeit auf den Mund.
So schlafe, und mein Aug wird offen bleiben.
Der Regen füllt' den Krug, wir leerten ihn.
Es wird die Nacht ein Herz, das Herz ein Hälmlein treiben –
Doch ists zu spät zum Mähen, Schnitterin.
So schneeig weiß sind, Nachtwind, deine Haare!
Weiß, was mir bleibt, und weiß, was ich verlier!
Sie zählt die Stunden, und ich zähl die Jahre.
Wir tranken Regen. Regen tranken wir.
So bist du denn geworden
wie ich dich nie gekannt:
dein Herz schlägt allerorten
in einem Brunnenland,
wo kein Mund trinkt und keine
Gestalt die Schatten säumt,
wo Wasser quillt zum Scheine
und Schein wie Wasser schäumt.
Du steigst in alle Brunnen,
du schwebst durch jeden Schein.
Du hast ein Spiel ersonnen,
das will vergessen sein.
Ich weiß das abendlichste aller Häuser: ein
viel tiefres Aug als deines hält dort Ausschau.
Vom Giebel weht die große Kummerfahne:
ihr grünes Tuch – du weißt nicht, daß du's webtest.
Auch fliegts so hoch, als hättst nicht du's gewebt.
Das Wort, von dem du Abschied nahmst, heißt dich am Tor willkommen,
und was dich hier gestreift hat, Halm und Herz und Blume,
ist längst dort Gast und streift dich nimmermehr.
Doch trittst in jenem Haus du vor den Spiegel,
so sehen drei, so sehen Blume, Herz und Halm dich an.
Und jenes tiefre Aug, es trinkt dein tiefes Auge.
Der Tauben weißeste flog auf: ich darf dich lieben!
Im leisen Fenster schwankt die leise Tür.
Der stille Baum trat in die stille Stube.
Du bist so nah, als weiltest du nicht hier.
Aus meiner Hand nimmst du die große Blume:
sie ist nicht weiß, nicht rot, nicht blau – doch nimmst du sie.
Wo sie nie war, da wird sie immer bleiben.
Wir waren nie, so bleiben wir bei ihr.