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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74093-176-6
Eigentlich, denkt Sidney O’Neil, ist dieses Hallack in Nevada eine ganz friedliche Stadt.
Er betrachtet vom Abteilfenster des Zuges aus die Häuser im Blickfeld. Sie sehen im Scheine der Morgensonne rötlich aus. Es ist sehr früh an diesem Junitag, wenige Leute sind auf dem Bahnsteig zu sehen, hinten links stehen einige Lorenwagen mit Baumstämmen beladen auf dem Abstellgleis. Vorn rechts strecken drei oder vier Rinder ihre Mäuler durch die Holzlatten eines Viehwaggons und brüllen. Es werden wohl Bullen sein.
Die Frau an der Seite des Bahnhauses blickt aufmerksam den Zug entlang und erwartet wohl jemand.
Der Mann, der drüben aus dem Kartenverkaufsraum kommt, sieht sich noch aufmerksamer um. Er muß es sehr eilig haben, denn seine Blicke huschen hin und her. Sidney O’Neil betrachtet den Mann neugierig. Es ist ein schlanker, in einen dunklen Anzug gekleideter Mann mit einem runden, steifen Hut und spitzen Zugstiefeln, die leicht staubig sind. Es ist rötlicher Staub, und die Sonne ist gerade über den Dächern von Halleck aufgestiegen.
Nun hat ein Morgenrot viele Dinge für sich, aber der Mann, dessen weißes Hemd leicht angeschmutzt ist und dessen flinke Augen unablässig den Zug beobachten, hält sicher nicht viel von Morgenröte. Darum läuft er wahrscheinlich auch, denn vorn gibt einer der Leute der Western-Pacific schon das Abfahrtszeichen.
Sidney O’Neil sieht den Mann auf seinen Waggon zulaufen, er sieht die dickbauchige Reisetasche des Gentleman und hört dann die Frau sagen:
»Lester… Mr. Curtis, einen Augenblick!«
Der Mann zuckt so heftig zusammen, daß er seine Tasche um ein Haar fallen läßt. Dann aber dreht er sich mit einer Geschmeidigkeit um, die erstaunlich ist. Noch erstaunlich schneller ist seine rechte Hand, die unter die Jacke greift.
Doch erkennt er wohl noch rechtzeitig die Frau und zieht die Hand wieder zurück.
In diesem Augenblick heult die Sirene des Zuges einmal auf. Die Frau sagt etwas, aber das Heulen verschluckt den Anfang ihrer Worte.
Dann verstummt das Geheul und die Worte des letzten Teiles sind zu verstehen.
»… zum Teufel, gehen Sie, Sie Mörder. Eines Tages wird man Sie in eine Grube legen und keinen Segen über dem Hügel sprechen. Gehen Sie zum Teufel, Sie sind ein…«
Sidney schüttelt bedauernd den Kopf, denn die Sirene heult nun noch einmal. Zugleich wallt vorn an der Maschine des Zuges weißer Dampf auf und hüllt jene Baumstammwagen auf dem Abstellgleis ein.
Jener Lester Curtis aber, dem die Frau die Hölle an den Hals wünscht, dreht sich etwas um. Sein Gesicht ist nun Sidney O’Neil zugewendet. Ein bleiches Gesicht, in dem ein erstaunter Ausdruck steht. Dann macht Lester Curtis einen Schritt.
Er öffnet den Mund, will etwas sagen, und er sagt wohl auch etwas, aber das Heulen ist da und die Maschine läßt Dampf ab.
Aus aufgerissenen Augen beobachtet Sidney O’Neil jenen Curtis.
Keine drei Schritte schräg rechts von ihm streckt Curtis die Hand aus, um nach der Eisenstange des Griffes zu langen, an der man sich auf die Plattform ziehen kann.
Curtis redet immer noch, wenigstens bewegen sich seine Lippen. Dann gleitet die Hand langsam ab und die Tasche aus der anderen Hand fällt zu Boden.
Mr. Lester Curtis dreht sich bedächtig um seine Achse, verbeugt sich anscheinend vor der Frau, die ihn in die Hölle wünscht, und neigt sich immer tiefer.
Danach folgen zwei trippelnde und schnelle Schritte, die in ein Gestolper übergehen.
Und dann fällt Lester Curtis mit dem Gesicht voran in den Staub des Bahnsteiges von Halleck in Nevada.
Seine Hände sind vorgestreckt, das linke Bein seltsam angezogen und auf der rechten Seite seines untadeligen Rockes entsteht ein rasch größer und größer werdender Blutfleck.
Er hat es sehr eilig, der Lester Curtis, er hat kein Gefallen an dem rosaroten Morgenrot und der Friedlichkeit dieser Erde gehabt.
Die Sirene heult nicht mehr.
Und der Mann, der in den Zug hat steigen wollen, liegt mit seltsam verdrehten Beinen im Staub des Steiges.
Unter dem Zug aber steigt eine kleine Dampfwolke hoch, weht in Fetzen über ihn hinweg und gibt dann den Blick auf die Frau frei.
Die Frau steht an der Wand des Stationshauses, den Blick starr auf den
leblosen Körper von Curtis gerichtet. Ihr Gesicht ist etwas erstaunt, aber kaum ein Schreck zeigt sich. Es sieht mehr danach aus, als wenn sie zufrieden mit der Entwicklung des Geschehens ist und den Fall von Curtis eher begrüßt. Dann verzieht sich ihr Gesicht.
Es ist ein Schock für Sidney O’Neil, wenn er es auch nicht hören kann. Die Maschine läßt immer noch den Dampf ab, das scharfe Zischen verschluckt es.
Die Frau dort lacht, sie lacht, ihr Gesicht ist verzerrt, ihre Hand hebt sich und deutet unterhalb von Sidney auf den Boden.
Die Frau lacht, die Maschine zischt.
Und der Mann, der den Namen Lester Curtis im Leben geführt hat, der Mann liegt still.
Jetzt bewegt sich der Zug, ein leichter Ruck, die Räder wollen gerade ihre Bestimmung erfüllen, der Wester-Pacific-Mann, der den Zug gerade abwinkte, dreht sich um.
Sidney O’Neil beobachtet das alles, als wenn er auf einer Tribüne der Zuschauer eines spannenden Pferderennens oder eines Faustkampfes ist.
Der Western-Pacific-Mann reißt mit einer lächerlichen Gebärde an der Schnur, die aus seiner linken Tasche sieht. Der Knopf dieser Tasche fliegt am Boden ab, die Pfeife, ein gelbliches Metallding von vielleicht zweieinhalb Zoll Länge, fährt heraus und die Hand des Mannes zum Mund.
Danach pfeift er markerschütternd und schwenkt wie ein Betrunkener, der haltlos über eine Straße taumelt, die Arme.
Der Zug steht nach kaum eine Rad-umdrehung wieder. Das Bild für Sidney O’Neil weist nun einige Verschiebung auf, denn er betrachtet Lester Curtis nunmehr etwas seitlicher.
Curtis hat die Krempe seines Hutes vorn gebogen, so daß die Steifheit des Filzes den schwarzen Hut von seinem Kopf gehoben und ihn aufgestellt hat. Man kann die schwarzen, glatt nach hinten gekämmten und pomadisierten Haare von Curtis sehen.
Der Mann mit der blauen Mütze, den aufgenähten Ärmelschonflecken an der Jacke und der Pfeife, trillert immer noch und rennt auf Curtis zu. Dann bleibt er stehen, das Zischen der Maschine ist verstummt und die Stille wäre da, wenn die Frau nicht lachen würde.
Unwillkürlich blickt Sidney O’Neil nach links, denn der Schuß ist, da Curtis das Loch in der rechten Seite hat, von links gefallen, eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht.
Links zieht sich die tiefe Rinne des Humboldt Rivers hin, schneidet die Bahnlinie an der Brücke und endet für O’Neils Sichtfeld an den dickstämmigen und breitkronigen Wacholderbäumen auf dem Kamm an der Flußbiegung.
Dort sieht er für drei, vier Sekunden einen Reiter. Der Mann liegt lang auf dem Hals eines Pferdes, dessen braunes Fell einen rötlichen Schimmer hat und dessen weiße Hacken, gleichsam angestrahlt von der Morgensonne, die ohne Interesse für Lester Curtis gewesen ist, rosig angehaucht ist.
Das Pferd verschwindet in einer Staubwolke über dem Kamm, taucht weg und hinterläßt nichts als einen funkelnden Blitz von Sonne auf Metall, der aus der Staubwolke herausschießt.
Lester Curtis allerdings wird von diesem Blitz, der Staubwolke und den Vögeln, die aus den Wacholderbäumen aufgestört hochfliegen, nichts mehr sehen, denn er ist tot.
Der Western-Pacific-Mann aber steht nun neben Curtis, blickt jedoch auf die Frau, die schrill und gellend lacht, und stößt einen Fluch aus.
»So eine Idiotie«, sie lacht, sie kann lachen. »So eine Idiotie, wie kann man darüber lachen, wenn jemand…«
Hinter Sidney O’Neil kommt ein heiseres Krächzen durch den Waggon-innenraum. Dann sagt eine Stimme schnarrend:
»Idiot – Idiot! Du bist ein Idiot – Idiot!«
Sydney zuckt leicht zusammen. In seinem prächtigen Anzug, dem steifen grauen Hut, dem Tuch, das ellenlang aus seiner Brusttasche sieht, und den modernen Schuhen, letzter Schrei aus Little Rock, Arkansa, sieht er wie ein Gentleman aus.
Und dann sagt die Frau auch schon: »Mister, Sie sollten sich was schämen. Dieses widerliche Tier, dieses dumme Geschöpf, nehmen Sie es gefälligst fort, sonst werde ich mich beschweren. Ich dulde es nicht, mit einem solchen Tier in einem Waggon zu reisen. Die Ausdrücke sind unverschämt.«
Sidney O’Neil dreht sich um, draußen lacht die Frau nicht mehr. Aber hinter ihm sitzt auf der Bank links eine Frau in mittleren Jahren. Sie trägt ein dunkles und hochgeschlossenes Kleid und hat den gestrigen Nachmittag damit verbracht, daß sie in einer Schrift der frommen Hügel-Kreuz-Sekte las.
Ehe er jedoch eine Antwort geben kann, krächzt es von der Höhe der Decke im unverfälschten Slang der New Orleans Kneipenbesucher:
»Unverschämtheit! Impertinentes Weibsbild, blödes. Scher dich auf die Brahmstange, sonst nehme ich das Tauende. Was willst du? Drei Dollar – du bist wohl verrückt – verrückt – verrücktes Weibsbild!«
»Och – och«, sagt die Dame mit dem Buch und schnellt in die Höhe. »Controller – Controller, hier ist ein Tier – ein Viehzeug – ein Papagei. Ich verlange…«
Und schon stürmt sie, das Stielglas in ihrer Hand wie eine Keule in Kleinstausgabe schwenkend, auf die Tür zu. Dann ist sie auf dem Plattformende und dann auf der Treppe.
Und nun steht sie über Lester Curtis, der in einer Blutlache liegt.
»Da – das ist – huch!«
Sidney O’Neil sieht die würdige Dame der frommen Sekte den Halt verlieren und macht einen gewaltigen Satz, den man seinem prächtigen Aufzug als Gentleman gar nicht zutrauen wird.
Dann hat er auch schon die würdige Lady gepackt und fängt sie zwanzig Zentimeter über dem Stahltritt der Plattform auf. Sie ist ziemlich knochig und hat in ihrer Ohnmacht den Mund sperrangelweit auf.
Hinter Sidney aber legt der Papagei jetzt erst richtig los.
»Dreimal höllisches Fegefeuer. Narr, der du bist. Affe – Affe – Lump verflixter. Alles friedlich. Schlagt sie mit den Handspeichen auf die Nüsse!«
»Jonas, bist du still!«
Jonas, der Papagei, zieht den Kopf ein und rollt einmal die Augen.
»Still«, krächzt der Papagei. »Alles friedlich. Jonas ist lieb. Jonas ist artig. Jonas ist still.«
Und danach schweigt er wirklich, sitzt auf einer Stange im Käfig und plinkert mit den weißgrauen Augen, daß Sidney unwillkürlich grinsen muß.
Unter Sidney richtet sich der Western-Pacific-Mann auf und wirft Sidney einen verständnisvollen Blick zu.
»Der ist ja tot«, sagt er bestürzt. »Wie kommt denn das, Mister? Der ist ja tot.«
»Ja, wenn jemand ihm und auf achtzig Yards mit einem Gewehr eine Kugel gibt, dann soll er wohl tot sein«, erwidert Sidney O’Neil langsam und hebt die Lady etwas höher. »Ich habe den Kerl verschwinden sehen, er sauste auf seinem Gaul unter der Bahnbrücke da vorn her und ritt ein braunes Pferd mit weißen Hacken. Sein Gewehr hatte er noch in der Hand.«
»Was?«
Der Mann sieht ihn verstört an und dreht sich dann um. Aus der Station kommen nun zwei Männer und gehen schnell an dem kleinen Zaun vorbei auf die Gleise zu. Hinter ihnen aber kommt jene Frau in dem einfachen Kleid und den oberen Schuhen, die Lester Curtis in die Hölle gewünscht hat.
Sie hat ein mürrisches und von Sorgen gezeichnetes Gesicht, in ihrem Blick aber liegt nun nur Befriedigung.
Der eine der beiden Männer sagt nach einem Seitenblick auf die Frau:
»Das ist doch Curtis, wie? Mrs. Drake, haben Sie was damit zu tun? Wie ist er gestorben?«
Der andere mit der Pfeife macht zwei Schritte auf sie zu und deutet dann auf Sidyney O’Neil.
»Der da, der Mister hat es gesehen«, sagt er schnell. »Ein Mann mit einem Gewehr hat auf den Spieler geschossen und ist auf einem braunen Pferd mit weißen Hacken verschwunden. Wie er sagt – unter der Brücke durch den River entlang!«
Der Größere der beiden Männer blickt Sidney an und kratzt sich am Kopf.
»Sie haben das gesehen, Mann?«
»Gesehen nicht, nur den Mann, der mit einem Gewehr in der Hand auf diesem Gaul unter der Brücke durchsauste. Er muß hinter den Wagen mit dem Bauholz gehalten haben. Den Schuß habe ich nicht gehört, und auch nicht gesehen, wann der Mörder schoß. Ich sah nur den Mann mit dem Gewehr in der Hand auf dem Pferd.«
Die drei Männer blickten ihn nun neugierig und abwartend an. Er kann förmlich spüren, wie sie sich Gedanken machen.
Dann sagt der Größere auch schon heiser:
»Mein Name ist Donovan, ich bin der Vorsteher hier, steigen Sie aus, Mister, steigen Sie aus. He, was ist mit der Frau?«
»Sie wurde ohnmächtig, als sie den Toten sah, Donovan. Ich habe den Kerl nur verschwinden sehen, von dem Mord selber sah ich nichts. Ich will noch weiter, Mister.«
»Es ist mir egal, ob Sie noch bis nach Frisko fahren wollen, oder nur bis zu nächsten Station, Mann, in jedem Fall müssen Sie aussteigen und hier auf den Sheriff warten, das ist eine Vorschrift für Unfälle auf dem Bahngelände. Und das hier ist Mord. Also kommen Sie raus, wir müssen nach dem Sheriff schicken.«
»Aber zum Teufel, Mann, sie erwarten mich in Elko, die Sache hier geht mich doch nichts an. Der Narr da wollte einsteigen, die Sirene heulte und die Maschine ließ Dampf ab. Er lief anscheinend ängstlich auf den Zug zu. Was habe ich denn damit zu tun?«
»Also, nun machen Sie hier keine Schwierigkeiten, steigen Sie aus, sonst muß ich Sie festnehmen.«
Donovan wird wütend, Sidney lächelt auf einmal und nickt fröhlich.
»Oh, Well, Donovan«, erwidert O’Neil gemütlich. »Steige ich also aus, aber Sie ersetzen mir den Schaden, der mir zweifelsohne entstehen muß.«
Donovan zuckt die Achseln, brummt etwas und sagt dann:
»Mann, dafür bin ich nicht zuständig, wenden Sie sich an den Sheriff, ich kann Ihnen nur die Fahrtkosten erstatten, ich habe meine Vorschriften.«
»Hier hat jeder seine Fahrtkosten, was?« fragt Sidney sarkastisch. »Sagen Sie mir gleich, was ich mit dieser Lady machen soll – laut Vorschrift.«
Donovan kratzt sich wieder am Kopf, sieht den Begleiter an und flucht dann kurz.
»Dammned, Winslow, was sagt die Vorschrift über im Zug beschädigte Personen?«
Winslow kratzt sich hinter dem linken Ohr und denkt angestrengt nach.
»Hinlegen, Verletzungen feststellen und nach Möglichkeit behandeln, soweit es geht, Mr. Donovan. Wo ist denn der Controller, zum Henker?«
Der Controller, der im Zug die Fahrtkarten nachsieht und einige Dinge mehr erledigt, kommt neben dem Zugführer herangelaufen.
»Was, ist der tot? Lieber Himmel, die Frau da auch?«
»Die ist nur umgefallen, als sie den Toten sah. He, macht es mit ihr, der Mister da muß aussteigen, er hat den Mörder gesehen. Macht schon, der Zug muß ja abfahren!«
Der Controller nimmt O’Neil die Frau ab und fragt nach ihrem Platz. Dann hebt er sie gemeinsam mit dem Zugführer ins Abteil, sieht sich etwas ratlos um und sagt grimmig:
»Verdammt, nichts als Scherereien hat man den ganzen Tag. Das soll doch der Teufel holen.«
Sidney O’Neil nimmt seine Reisetasche aus dem Packnetz. Der Controller wirft einen Blick auf den Käfig, in dem friedlich der Papagei auf der Stange sitzt. »Ist das Ihr Vogel?«
»Nicht der aus meinem Kopf, aber so ungefähr stimmt es«, erwidert Sidney. »Jonas, sag den beiden Gentlemen einen Gruß.«
»Blöder Idiot!«
Der Papagei spreizt einmal seine Flügelstummel und krächzt:
»Jonas!«
»Guten Tag, Gentlemen!«
Und leise hinterher:
»Blöder Idiot!«
Der Controller beginnt zu lachen, der Papagei flattert mit den Flügeln und krächzt laut und munter.
»Fahren wir nach Tampo – Tampico – Tampico.«
»Jonas, sei still.«
»Der kann ja singen«, staunt der Controller. »Mann, ist der verkäuflich?«
»Der?«
Sidney O’Neils Augen blicken verträumt auf den Käfig.
»Nein, mein Freund, der ist nicht verkäuflich. Ich bekam ihn geschenkt… von jemand, der ihn nicht behalten konnte. Ich würde ihn nie verkaufen. Jonas, sag den Gentlemen auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Gentlemen«, krächzt Jonas. »Wiedersehen, ihr alten Säufer, Säufer.«
»Jonas!«
»Säufer!«
Der Papagei zieht den Kopf zwischen die Federn und krächzt noch etwas, aber es ist nicht wiederzugeben.
Der Controller krümmt sich vor Lachen, obwohl draußen Lester Curtis gar nichts mehr zu lachen hat.
*
Jim Bodwell ist ein kleiner weißbärtiger und alter Mann, der scharfzüngig, redegewandt und in vielen Dingen erfahren ist.
Der Zug bringt den Mann nicht, den er erwartet und den eine ganze Menge bestaunen will, denn es ist natürlich aufgefallen, daß Jim Bodwell in Begleitung von Bruce Clark und sechs Männern der Drei-M-Ranch zum Bahnhof gegangen ist.
Irgendwer hat es gesagt und das Gerücht läuft schnell durch den ganzen Ort, durch die sechs Saloons, die drei Hotels und die vier Stores von Elko in Nevada: Sie erwarten den Erben der Drei-M-Ranch.
Der Erbe kommt nicht, sie stehen allein am Zug und sehen sich an.
»Er ist nicht gekommen«, sagt Bodwell leise und blickt der Rauchfahne nach, die der Zug hinter sich läßt. »Was jetzt, Bruce, was nun? Du bist der Vormann, was wirst du tun, wenn er gar nicht mehr kommt?«
»Was soll ich tun?« fragt Clark heiser. »Das Testament besagt doch wohl, daß wir auf diesen Sidney O’Neil zu warten haben, daß er die Ranch leiten darf und wir ihm dieselbe Art von Treue bewahren sollen wie Old Hiram. Gräßlicher Gedanke, daß Hiram irgendwo zwischen den Klippen liegt und niemals das Tageslicht erblicken wird.«
»Das Tageslicht ihn, wolltest du sicher sagen. Ein trauriger Tod, erschossen in den Fluß geworfen und zwischen den Klippen hängend. Kein Grab für meinen alten Freund und Kartenbruder Hiram. Ich finde es abscheulich, so einen Tod zu sterben!«
»Ja«, sagt Bruce Clark voller Trauer. »Vielleicht kommt auch der Junge nicht, was? Nun sind wir alt geworden und dieser Junge versteht nichts von Weide und Rinder, ich sehe schwarz.«
»Ich auch«, sagt seine Ehren, Bodwell seufzend. »Daß uns der gute Old Hiram das antun mußte, so heimlich von dieser Welt zu verschwinden. Wenn er doch wenigstens den Jungen ein paar Monate hergeholt haben würde, um ihn in den Ranchbetrieb einzuweihen, was? Leute, gehen wir zu mir, der nächste Zug kommt erst um Mitternacht, vielleicht erscheint er mit dem. Gehen wir, das Warten ist nutzlos.«
So gehen sie, neun Männer, denn der Gehilfe von Bodwell, der alte Hinkefuß Johnston, der im Office des Richters Schreiberdienste leistet, ist auch noch dabei, die Straße hoch und biegen in die Querstraße ein. Dort liegt das Haus Bodwells, und die Männer treten schweigend ein, betrübt, ganz und gar nicht freudig, denn sie alle haben den alten Ziegenbart Hiram noch immer nicht vergessen können.
*
Draußen scheint die Sonne, es wird bald Mittag sein.
In den sechs Saloons, drei Hotels und vier Stores redet man schon nicht mehr über diesen Neffen, denn die meisten Leute müssen ihrer Arbeit nachgehen.
Dann knallen harte Hufschläge von Norden heran und McColligan kommt mit acht Männern seiner rauhen Weidemannschaft in die Stadt. Sie haben einen Wagen dabei und wollen einkaufen. Weil sich die McColligans und die Drei-M-Burschen nicht besonders leiden können – nun, da kommen sie mit acht Mann angeritten und sind verdammt mächtig vorsichtig.
Sie hören auch gleich beim ersten Store, daß die Drei-M-Männer in der Stadt sind und werden höllisch unruhig.
»Ouh!« sagt Terrington McColligan, den sie nur Terry nennen und dessen lieben Vater und Großvater unrechte Schotten gewesen sind, das heißt, der Vater von Terry lebt noch. »Ist etwa Bill-Bull auch dabei?«
»Nein«, erwidert Bilson, der Besitzer vom General Store grienend. »Habt ihr ein Glück, er ist nicht dabei. Stellt euch vor, sie wollen den jungen O’Neil abholen.«
»Was?« fragt Terry. »Den Alten hat wohl mal der Hafer gestochen, was? Hat der seinen Sohn unterschlagen?«
»Nein, doch nicht sein Sohn, der Neffe, Terry«, klärt ihn Bilson auf. »Nur die alten, zahnlosen Hirams sind da, die anderen sind alle zu Hause geblieben.«
Draußen rollt die Stagecoach aus Halleck heran, auf dem Bock sitzt der alte Jube Kannengießer neben Vincent Hardy und hält mit der Kutsche vor dem Stationsgebäude drüben. Wenn nicht die abgelegenen Ranchen und Siedler immer etwas mit der Kutsche mitzunehmen hätten, sie würde längst wegen der Bahn nicht mehr fahren. Selten befördert sie Reisende.
Und darum ist es einigermaßen erstaunlich, als sich der Schlag der Kutsche öffnet und jemand herauskommt.
Rechts von der Station ist Billy Carpenters Saloon. Dort stehen einige Männer.
Salem Baraby, einem Cowboy von Landers, einem der kleinen Rancher, fällt die Pfeife aus dem Mund und zerschellt auf dem Gehsteig.
Dickie Bowers, ein Tagesdieb und Faulpelz, zwinkert mit den Augen.
Aus der Kutsche steigt ein Mann in einem grauen Anzug, ein Seidentuch lugt aus seiner Brusttasche und ein runder Hut, wie ihn letztes Jahr Jim Bodwell mitgebracht hat, schmückt seinen Kopf. Sie müssen an Jim Bodwells Hut denken, den irgendein Spaßvogel seinerzeit ausgeliehen hat, um ihn auf die Stange auf dem Clarence-House zu stecken, wo er mittels drei Revolversalven zu einem Sieb geworden ist, so daß seine Wertlosigkeit Bodwell veranlaßte, ihn selbst mit einer Schrotflinte in Fetzen zu schießen.
Er kommt heraus und hat in der Hand einen Vogelbauer, in dem ein grünroter Vogel sitzt.
Dann tritt der Fremde drei Schritte vor, stellt die Tasche zu seinen Füßen hin und zieht linkisch seinen Hut.
Vom rechten Gehsteig kommt nun Andreas Schröder herunter, er ist Drucker und bringt den Elko-Courier heraus.
»Guten Tag, meine Herren«, sagt Sidney O’Neil sanftmütig. »Ist dies wirklich Elko in Nevada? Ich glaubte in dieser Kutsche, sie führe über die Mondkrater geradewegs in den Himmel.«
»Yes, Sir, Mister«, sagt Dickie. »Sie sind genau richtig hier, Sir, Mister! Wenn Sie jemanden brauchen, der Ihre Tasche trägt, für einen Drink macht Dickie Bowers alles!«
Er denkt: Endlich einer, dem ich einen Drink mehr anschwatzen kann.
»Sehr freundlich«, erwidert Sidney und sieht deutlich, daß Dickie leicht schwankt, »ich trage meine Tasche lieber allein. Wenn ich fragen darf, mein Freund, wo ist der Weg zur Drei-M-Ranch?«
»Wohin?« fragt Dickie und muß nun schlucken, aber sicher nicht vom Whisky. »Wohin wollen Sie, Mister?«
»Zur Drei-M-Ranch«, erwidert Sydney sanft und betrachtet die erstaunten Leute noch verwirrter. »Nun, wohin geht der Weg?«
»Sie wollen wirklich?« fragt Dickie Bowers stockheiser. Er sieht Terry McColligan über die Straße kommen und seine Männer folgen dichtauf. »Sagen Sie, Mister, was wollen Sie dort?«
Sidney hebt die linke Augenbraue an. Er sieht die Männer rechts kommen und grinsen. Es ist dasselbe Grinsen jener Männer in Halleck vor dem Saloon.
»Hallo«, sagt Terry auf die unbekümmerte Art eines Mannes, hinter dem eine Ranch steht, und kommt heran. »Wen haben wir denn da?«
Von der Seite schiebt sich Schröder heran und spitzt die Ohren. Sollte das – aber das ist doch wohl unmöglich. So einen Stadtfrack kann Hiram
O’Neil doch niemals seinen Neffen genannt haben.
»Er sagt«, antwortet Dickie Bowers mit stoischer Ruhe, »er will auf die Drei-M-Ranch, sagt er, auf Ehre, Terry.«
Terry McColligan starrt den Stadtfrack an und erinnert sich an den Hut des Rechtsverdrehers. Dann sieht er sich seine Männer an und bemerkt ihre Blicke, sie sehen alle auf den Hut. Besonders, der kleine, krummbeinige und zähe Juke Parker grient breiter noch als die anderen.
Schließich hat Juke auch einen Grund dazu, er ist es gewesen, der Bodwell den Hut weggenommen und auf die Fahnenstange des Clarence-House gesteckt hat.
»Ein schöner Hut«, sagt Terry grinsend. »Wirklich, ein prächtiger Hut, was meinst du, Juke?«
Die Männer grinsen nun eine Nuance tiefer, so langsam wird es gefährlich, dieses Grinsen.
»Oha, ein wundervoller Hut«, erwidert Juke Parker sanft. »Ob er ihn schon lange hat?«
»Nein, ich glaube, er ist ganz neu«, murmelt hinten Sam Hilger. »Was will er denn auf der Drei-M-Ranch?«
Natürlich denken sie alle dasselbe und sind sich klar, daß dies mit dreihundertprozentiger Sicherheit der Erbe der Riesenranch von Old Hiram ist.
»Ja«, schnarrt der breitschultrige Ivan Tollway noch weiter hinten. »Sir, darf man sich die Frage erlauben, was der Sinn Ihrer Reise auf die Drei-M-Ranch ist?«
Man muß wissen, daß Ivan Tollway allgemein als der gebildetste Mann der McColligans gilt, er redet manchmal so, daß kein Mensch hier ihn versteht.
Sidney O’Neil aber versteht ihn. Er verneigt sich noch mal und zieht wieder den Hut.
»Sie dürfen«, sagt er freundlich lächelnd und behält den runden Hut in der Hand. »Diese Ranch gehörte meinem Onkel. Ich bin sozusagen der neue Besitzer. Kennen Sie den Weg, mein lieber Freund?«
Die anderen sperren Maul und Nasen auf, denn Ivan kann prächtig reden, wirklich fein.
»Ich kenne ihn, meiner Treu, ich kenne ihn«, sagt Ivan gemächlich und verbeugt sich auch, dabei seinen schäbigen Cowboyhut von der Halbglatze lüftend. »Gehören wir doch zu den nächsten Nachbarn des armen, alten – eh, freundlichen Hiram O’Neil. Lieber Mister – eh, wie ist der Name?«
»Sidney Barton O’Neil, ich bin der Neffe«, sagt der arglose Sidney, »würden Sie mir den Weg zeigen, mein Freund?«
»Aber Sir, Sie werden doch nicht laufen?« sagt Ivan augenscheinlich höchst entsetzt. »Das sind ja fast zwanzig Meilen Weges. Wir haben einen Wagen da. Und wenn mein sehr verehrter Boß Ihnen nicht anbietet, daß Sie auf unserem Wagen mitfahren dürfen, dann fres – eh, esse ich meinen Hut!«
Dies ist Terrys, des Schottenenkels, Sekunde. Er begreift, wie sie alle begreifen, daß es einen mordsmächtigen Spaß zu erleben geben wird. Unterwegs kann man ihn ja auch teeren und federn, diesen Affen aus dem Osten, wie? Terry müßte kein Schottenenkel sein, wenn er sich nicht blitzschnell ausrechnen würde, daß hier etwas umsonst zu bekommen ist.
»Aber, selbstverständlich«, sagt er sofort bereitwillig und tritt mit ausgestreckter Hand auf Sidney zu. »Mein Name ist Terry McColligan, Mr.
O’Neil. Ich heiße Sie im Namen aller Nachbarn herzlich willkommen. Eh, hier ist meine Hand.«
Sidney reicht ihm die Hand.
Terrys Männer glotzen, denn sonst können sich die McCollingansburschen und die der Drei-M-Ranch auf den Tod nicht riechen. Von guten Nachbarn – lieber Himmel – keine Spur, eher das Gegenteil. Die nächsten Worte des Schottenurenkels aber klären sie alle auf. Und nun wissen sie, daß Terry kein Narr ist.
»Wir eh«, stottert Terry, »haben eine seltsame Sitte, Mr. O’Neil. Jedes Land hat seine Eigentümlichkeiten, dieses hier, daß jeder neue Mann, an seine nächsten Anlieger einige freundliche Runden spendiert, die die Freundschaft bestätigen. Nu, gewiß sind Sie neu hier, aber Sie werden sich doch diesem uralten und festen Brauchtum anschließen, wie?«
Unsicher blickt sich Sidney um, aber die Männer nicken alle, einige klopfen ihm auf die Schultern und machen es so derb, daß er einknickt und husten muß, was sie erstaunt und doch seltsam grinsend zur Kenntnis nehmen.
»Aber sicher, ich gebe einige Runden aus«, erwidert er darum freundlich. »So sagt man doch hier, wie, Mr. McColligan?«
»Stimmt, so sagt man. Gehen wir hinein, hier, Mr. O’Neil. Dies ist gerade das richtige Haus für einen guten Drink.«
Sidney geht mit hinein und kommt an den Tresen, hinter dem ein Keeper mit Kalbsaugen und hängender Unterlippe steht.
»Das ist Mr. Sidney O’Neil«, verkündet Terry laut. »O Neil, das ist Joe, er hat keinen anderen Namen. Joe, O’Neil will uns allen einige Runden spendieren, weil wir so gute Nachbarn sind. Also, mach dein Spezialrezept zum Einstand für Mr. O’Neil fertig, und gib uns allen einen Doppelten der besten Sorte. Ist doch recht so, Mr. O’Neil?«
»Ja, ja natürlich«, sagt Sidney, den die Männer dicht umringen. »Please, lieber Freund, drücken Sie nicht so gegen den Käfig. Jonas nimmt das vielleicht übel.«
»Jonas?«
Terry blickt auf den Käfig und starrt den Papagei an.
»Was ist denn das für ein Vieh?«
»Er heißt Jonas und ist ein Papagei.«
»Kann er sprechen, Mr. O’Neil?«
»Ja«, antwortet Sidney heiser. »Aber ich würde es nicht probieren, ihn dazu zu reizen, er hört sonst niemals auf, nur mittels Gewalt. Es ist ja ein friedliches Tierchen, aber sobald man ihn beschimpft, wird er wild.«
»Was Sie nicht sagen«, staunt Terry. »He, du Mistvieh, alte Eule, kannst du reden, du dreimal verdammtes Ungeheuer?«
Jonas sitzt auf seiner Stange, Sidney stellt den Käfig auf denTresen und der Papagei schielt nur Terry, den Schottenenkel, schief an.
»Na, bitte, das Satansvieh kann es nicht«, sagt Terry. »He, du, mach deinen gelben Schnabel mal auf und rede was. Bist du stumm?«
»Dumm«, sagt Jonas krächzend. »Dummes Viehzeug, blödes Miststück, altes. Drei verdammtes Ungeheuer. Scher dich an Deck, sonst bekommst du was mit dem Tauende über deinen Buckel, Satansbraten, Galgenstrick, Mistgeburt, Molch…«
Terry klappt den Mund auf, starrt den Papagei an und hört das Gekicher seiner Leute.
Die Leute lachen nun alle. Sidney reibt sich verlegen die Hände, Terry wird rot, der Papagei nennt ihn einen geizigen Sack, was so ungefähr hinkommt. Die Leute lachen immer mehr, Terry flucht greulich und Sidney sagt scharf:
»Gleich kommst du ins Feuer, Jonas. Gleich kommt das Feuer.«
Jonas steckt den Kopf in die Federn und schweigt. Am Tresen sagt Joe:
»Die bestellten Drinks. Das da ist Mr. O’Neils Gläschen.«
Oha, er sagt Gläschen.
Das ist ein halber Trinkeimer von Glas, in das sicher ein halber Liter Whisky geschüttet werden kann. Die Flüssigkeit schimmert grünlich. Terry sieht das Glas und vergißt den verdammten Papagei, der ihn einen Geizkragen genannt hat.
Die Männer drängen sich hastig heran, jeder nimmt seinen Whisky, und nur das große Glas mit der grünlichen Füllung bleibt stehen.
»Nun, Mr. O’Neil«, sagt Terry grinsend und weiß, was nun kommen wird und muß. »Das ist unser Willkommenstrunk, das halten wir immer so. Wer ein rechter Mann ist, der trinkt es mit zwei Ansätzen leer. Das gebe ich aus, ist so üblich.«
»So ist es«, versichert hinten Ivan. »So will es unsere Sitte hier.«
Sie sehen alle zu, Sidney nimmt das Glas und jeder starrt ihn an.
»Also, nach zwei Ansätzen muß es leer sein?« vergewisssert sich Sidney O’Neil. »Nun gut, dann also werde ich es leeren. Gentlemen, wollen Sie alle auf eine gute Nachbarschaft mit mir trinken?«
»Nur zu gern«, versichert Terry, Sohn eines Schotten und Enkel eines Superschotten. »Dann wollen wir auf das Wohl der Drei-M-Ranch und des neuen Besitzers trinken.«
Sie trinken und sehen Sidney das Glas heben. Ohne Zaudern setzt Sidney das Glas an die Lippen und trinkt es mit einem Zug halbleer.
Terry fallen fast die Augen heraus, Ivan verschluckt sich und muß husten, die anderen spucken ihren Whisky fast in die Gläser zurück.
Sidney O’Neil, wackerer Sohn der grünen Insel, stellt das Glas hin und fährt sich über die Lippen. »Ei«, sagt er grinsend. »Ist das ein Wässerchen! Mann, schmeckt ja süß wie Zuckerwasser. Was haben Sie da drin, das Rezept muß ich haben.«
Terry McColligan reißt die Augen auf, steckt beide Zeigefinger in die Ohren und glaubt, daß er sich verhört hat.
Joe aber lehnt am Tresen, den Mund blöde offen, die Augen stier auf das Glas gerichtet und die Haare steil aufgestellt.
»Ja«, sagt Terry mannhaft und grimmig. »Was hast du unserem Freund O’Neil da vorgesetzt, Mensch? Mr. O’Neil, kann ich mal probieren?« Er greift nach dem Glas.
»Sicher, sicher«, erwidert Sidney Barton O’Neil. »Es schmeckt etwas nach Zimt, ein wenig nach Ananas und dann nach sehr viel Zucker. Nur der Geschmack ist eine Wonne für mich. Lassen Sie mir etwas drin, Freund McColligan, es schmeckt zu süß.«
Terry kippt den Inhalt auf einen Zug weg, als wenn es Zuckerwasser ist, wie Sidney es sagt.
Danach passieren einige merkwürdige Dinge.
Zuerst stellt Terry das Glas ordentlich hin, dann grinst er von einem Ohr zum anderen Sidney an. Danach bewegt sich sein linkes Auge nach oben, als wenn es nach den Haaren sehen will. Es kommt auf Ehre – das beschwören später zwei Dutzend Männer, also muß man ihnen glauben – drei volle Zentimeter aus der Höhle heraus, um mit einem Zucken wieder zu verschwinden. Das andere Auge dreht sich dabei munter um sich selbst, bis Terry beide Augen schließt und durch die Nase den Anfang des Yankeedoodle pfeift.
Wirklich wahr, es hat sich so angehört. Schließlich scheinen Terrys Ohren sich lösen zu wollen, denn sie wackeln ungeheuerlich. Danach streckt Terry die Zunge heraus, daß sie unglaublich lang, wohl fast zehn Zentimeter, aus seinem Mund heraussieht. Nun endlich richten sich auch seine Haare auf, so daß sein Hut auf den Haaren steht. Dann zuckt die Zunge zurück und die Ohren liegen am Kopf an, als wenn er von einem dreihundert Fuß hohen Felsen über dem Humboldt in das Wasser springt. Letzlich grinst er so breit, daß sein Mund die Ohren erreicht.
Und dann fällt er wie jemand, dem man die Beine mit zwei schönen Axt-hieben wegnimmt, wie ein Baum zu Boden. Er sagt nichts, absolut nichts. Dafür aber ist Joe mit einem Satz um den Tresen herum und hat einen halben Eimer Wasser in der Hand. Mit der anderen sperrt Joe Terry den Hals auf und gießt ihm Wasser nach, als wenn er eine leere Pumpe füllen muß. Terry rollt sich auf die Seite, schnellt auf die Beine, saust zum Spülbecken und steckt den Kopf bis über die Nase hinein.
Dies ist das einzige Mal in der Geschichte der McColligans, daß sich einer von ihnen wie ein Pferd benimmt und aus einem Spülbecken trinkt, denn die McColligans pflegen das Spülwasser sonst zu filtern, um die Rückstände für den Hundekuchen zu verarbeiten.
Terry kommt schließlich und endlich wieder hoch. Er will reden, aber seine Lippen bewegen sich lautlos. Seine Augen sind rot wie die eines echten Angorakarnickels und seine Nase ist von konvulsivischen Zuckungen befallen.
Nach bangen Minuten, in denen die entsetzten Zuschauer glauben, daß er die Sprache verloren hat, sagt er doch etwas.
Es ist nur ein Satz, aber der hat es in sich.
»Dreimal verdammter Hundesohn, das wirst du mir bezahlen!«
*
Sidney O’Neil lächelt freundlich und legt die rechte Hand hinter das Ohr.
»Nanu?« fragte er verstört, und die drohende Miene Terrys läßt sein Lächeln schwinden. »Was war denn, Mr. McColligan? Ich muß sagen, ich habe mich auch schon mal verschluckt, aber so arg noch nie. Sie meinen doch nicht mich mit dem Hundesohn?«
»Doch«, zischt Terry giftig und senkt die rechte Hand auf seine Waffe. »Genau dich meinte ich, du Halunke. Ich frage mich nicht, warum du nicht erstickt bist, aber ich frage mich, wie ich auf dein blödes Gehabe hereinfallen konnte. Gib mal deinen Hut her, Mensch!«
Das besorgt Juke Parker, er hat Erfahrungen in diesen Dingen.
»He, Sie, meinen schönen Hut!« protestiert Sidney. »Mensch, was machst du mit ihm? Halt – halt, ich protestiere.«
Juke wirft den Hut hoch, zieht dann seinen Colt und feuert.
Der Hut bekommt einen Hieb, fliegt wirbelnd höher und wird vom nächsten Schuß über einen der Tragbalken der Decke gehoben.
Sidney sieht sich um, rennt dann los und will nach dem zu Boden fallenden Hut greifen, als Terry feuert und der Hut vor Sidneys Fingern wegfliegt. Die Kugel streift beinahe seine Finger.
Terry lacht wild, Sidney richtet sich auf und dreht sich um. Dort steht Terry, hat in jeder Hand einen Revolver und sieht Sidney kalt an.
»Jetzt paß mal auf, Greenhorn«, knurrt Terry giftig. »Du hast deinen Hut verloren, aber du wirst deine Zehen verlieren, wenn du nicht springst. Hast du schon mal davon gehört, wie man mit einem Revolver jemand tanzen lassen kann?«
Er hält beide Revolver auf Sidneys Bauch gerichtet. Sidney hebt die Hände hoch und sagt schrill und ängstlich.
»Bitte, nehmen Sie die Revolver weg, Mr. McColligan, sie können ja losgehen und eine Kugel mich treffen.«
»Gemeiner Schuft, tanzen sollst du. Paß mal auf. Springst du nicht hoch, dann sind deine Zehen weg. Also, eiins – zwei…«
Die Kugel jagt vor Sidney in den Boden, Sid springt entsetzt hoch, ist aber kaum unten, als es schon wieder kracht und die Kugel ihm beinahe die Stiefelsohle abreißt.
Verzweifelt will er nach links springen, als schon wieder ein Schuß aufbrüllt. Er muß tanzen, er springt umher und hopst einmal nach rechts, dann wieder nach links, und das Brüllen der Schüsse in den Ohren.
Man reicht Terry, der lacht, als Sidney hochspringt, schon wieder einen neuen Revolver. Die Schüsse fallen schnell, die Kugeln jagen in den Boden, der Pulverdampf wallt auf.
»Weiter, weiter, du Floh«, brüllt Terry. »Nun springe nur ordentlich, sonst sind die Zehen weg. Spring, Floh!«
Schröder steht in der Tür, und denkt: Das gibt eine Schlagzeile, Großrancher-Erbe muß tanzen.
Sidney springt und springt. Schließlich kommt er an einen Tisch, an dem einer der Männer die abgefeuerten Revolver wieder lädt. Er fällt rücklings über den Tisch, der Mann schreit brüllend los und Sidney hält sich verzweifelt fest. Er greift zu, erwischt dabei einen schon geladenen Revolver und kommt wieder auf die Beine.
Terry aber sieht erschrocken auf seinen Colt, der garde leer ist.
Und nun steht Sidney O’Neil da und hat einen Revolver in der Hand.
Der Mann am Tisch weicht zurück, als sich Sidney dreht und sein Revolver einen Kreis über alle Männer beschreibt.
»Er hat einen Revolver«, schreit der Mann heulend los. »Terry, er hat…«
Sidney dreht sich ihm zu und nimmt den Revolver hoch.
Plötzlich ist es still. Hinter Terry steht zwar ein Mann, der ihm einen Revolver geben will, aber dieser Mann rührt sich nicht vom Fleck.
In O’Neils Hand beschreibt der Revolver die seltsamsten Bahnen. Er kreist um Sidneys ausgestreckten Zeigefinger und steht dann auf einmal still.
Terry McColligan schluckt zweimal. Er hat nur einen leergefeuerten Revolver in der Hand.
Sidney nimmt den gespannten Colt, legt ihn an seinen Kopf und kratzt sich ein wenig die Kopfhaut. Den Männern gefriert das Blut in den Adern, denn er hat einen Finger am Abzug, und der Hammer ist gespannt.
»Ich«, sagte Sidney in die Stille hinein, und es hört sich irgendwie ängstlich an, »habe noch nie geschossen, aber jetzt muß ich wohl den Spaß weitermachen, wie, Mr. Terry McColligan? Es war doch ein Spaß, nicht wahr? Nicht etwa Ernst?«
Er nimmt den Revolver und blickt neugierig in die Mündung. Dabei greift er wieder zum Hammer und drückt ab.
Die Männer haben jäh die Augen geschlossen.
Es gibt einen fürchterlichen Krach.
Hinter O’Neil aber taumelt nun der Mister zurück, der für Terrybody die Revolver geladen hat. Dem Mann segelt der Hut davon, und die Kugel streift seine Haare.
»Er schießt«, kreischt der Mann gellend los. »Er schießt, Vorsicht.«
Die Tür fliegt auf, der Sheriff von Elko erscheint und hat seinen Revolver in der Faust.
»Hilfe, Nelson«, keucht Terry. »Legen Sie den Revolver weg, schnell! Mann, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Den Revolver weg!«
Sidney O’Neil wirft den Revolver weg und streckt die Arme hoch.
»Sheriff, wollen Sie mich ermorden?«
Spearman blickt auf die Revolver in seiner Hand. Er zielt wirklich auf Sidney O’Neils Bauch und senkt den Lauf ein wenig. Verstört betrachtet Spearman den Stadtfrack und schüttelt den Kopf.
Hinter ihm erscheinen nun einige Leute, allen voran Jim Bodwell, dem Bruce Clark auf den Fersen folgt.
»Geh zur Seite«, bellt Bodwell heiser. »Was fällt dir ein, den jungen O’Neil mit einem Revolver zu bedrohen? Mr. O’Neil, mein Name ist
Bodwell. Woher kommen Sie denn jetzt?
Sidney greift nach seinem Hut, den er nicht mehr auf dem Kopf hat, und erstarrt. Dann blickt er sich bedächtig um, sein Hut liegt hinten an einemTisch und hat eine Menge Löcher.
»Entschuldigung«, sagt Sidney O’Neil seltsam betrüblich und geht los, erreicht seinen Hut, hebt ihn auf und steckt die Finger durch die Löcher.
Dann wischt er den Hut sauber und setzt ihn gravitätisch auf. Ein so lächerlicher Anblick, daß Bodwell sich zu schämen beginnt. Der Hut hat ein Dutzend Löcher und O’Neil setzt ihn wahrhaftug auf.
»Mr. Bodwell, tatsächlich«, sagt Sidney fröhlich. »Nun, ich wollte mit dem Zug kommen, wurde aber in Halleck, so heißt das Nest wohl, aufgehalten. So habe ich die Stagecoach genommen. Mr. McColligan hat mich bereits im Namen aller Freunde der Drei-M-Ranch begrüßt. Ich muß sagen, eine etwas seltsam spaßige Art der Begrüßung. Zuerst mußte ich etwas trinken, das dieser Mister Joe da zusammenmischte. Ich trank die eine Hälfte und Terry McColligan die andere. Danach fiel er wie leblos um, ich weiß auch nicht, woran es gelegen hat, jedenfalls war dieser Drink das reinste Zuckerwasser.