Mein besonderer Dank gilt den beiden Korrekturlesern

Mario Remler und Joachim Uhlig.

Das Copyright aller Bilder, sondern nicht anders vermerkt,

liegt bei der NASA.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

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Edition Raumfahrt kompakt

© 2018 Bernd Leitenberger

http://www.raumfahrtbuecher.de

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN-13: 978-3-74815-410-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Buch über das Gemini Programm war das erste von mir veröffentlichte Werk. Seitdem habe ich einige Bücher über Raumfahrt geschrieben, vor allem über Trägerraketen und Raumsonden. Ich interessiere mich für Technik, Raketen und Instrumente. Wenn man ein Buch über die bemannte Raumfahrt schreibt, dann erwarten die meisten Leser Anekdoten von den Astronauten und eine ausführliche Würdigung der Missionen. Natürlich interessieren sich die meisten Menschen für andere Menschen, nicht für Technik.

Meine bisherigen Bücher über die bemannte Raumfahrt beschränken sich daher nur auf die Technik (ISS, ATV). Wenn es um bemannte Missionen geht, dann habe ich Projekte besprochen, in denen man die wesentlichen Ereignisse kurz zusammenfassen kann (Gemini) oder wo es nur wenige Missionen (Skylab) gab. Ein Buch über Apollo, das Space Shuttle Programm oder gar die Missionen zur ISS zu schreiben, kam daher für mich nicht in Frage.

Lange habe ich mir überlegt, ob ich das Buch zu Gemini durch eines über Mercury ergänzen sollte. Zum einen spricht für das Thema, das das Programm überschaubar war, mit insgesamt nur sechs bemannten Flügen, davon lediglich vier in den Orbit. Ebenso war die Kapsel einfach aufgebaut, während man alleine über die Technik bei Apollo und dem Space Shuttle ganze Bände schreiben kann. Dagegen spricht, das das Publikumsinteresse an historischer Raumfahrt sehr gering ist.

Ich habe mich für das Buch entschlossen, weil sich 2018 der Projektbeginn von Mercury zum sechzigsten Male jährt. Zudem gibt es kein fundiertes Buch zu dem Programm in deutscher Sprache. Mit diesem Band will ich diese Lücke schließen. Der Fokus liegt auf der Technik und Geschichte, doch nicht nur. Ich habe mich bemüht das Thema umfassend zu behandeln, inklusive den Trägerraketen, der Infrastruktur und den Astronauten. Wer noch mehr über die Astronauten wissen will, dem sei das Astronautenbuch (siehe Literaturverzeichnis) ans Herz gelegt.

Ostfildern im Oktober 2018

Die Geschichte

Die Geschichte von Mercury beginnt lange vor dem offiziellen Projektbeginn. Schon mit der A-4 (Aggregat 4, auch unter der NS-Bezeichnung V-2 bekannt) wurden Lebewesen auf suborbitale Bahnen gestartet. Wernher von Braun wurde zum Befürworter eines bemannten Programms. Nachdem er und etwa 100 andere Techniker und Wissenschaftler von Deutschland in die USA ausgewandert waren, glaubte er zuerst, hier würde er seine Entwicklungen fortsetzen können. Stattdessen starteten die „Deutschen“ vor allem A-4, welche die US-Army vor Übergabe der Herstellungsanlagen an die Sowjets in die USA geschafft hatten.

Von Braun hatte erwartet, dass er nun weitere Raketen entwickeln würde. Doch dazu kam es zuerst nicht. Die Situation war die, dass zwar bald der Zweite Weltkrieg vom Kalten Krieg abgelöst wurde, aber die USA nun abrüsteten. Sie sahen sich alleine im Besitz der Atombombe, der ultimativen Waffe. Dazu hatten sie die weltweit größte Bomberflotte. Die Bomber konnten die Atombombe bis nach Russland tragen. Wozu also eine Rakete entwickeln? Wenn das US-Militär an eine Alternative zum Flugzeug dachte, dann war das Ende der Vierziger Jahre ein unbemannter Marschflugkörper. Die ersten Raketentriebwerke, die entwickelt wurden, sollten einen solchen, die SM-64 Navaho, auf die für den Start des Staustrahltriebwerks nötige Geschwindigkeit beschleunigen.

1. Abbildung: Die deutschen Raketenexperten bei ihrer Ankunft in Fort Bliss

Die Situation änderte sich erst 1949, als Russland seine erste Atombombe zündete und kurz darauf der Koreakrieg ausbrach. Nun schien eine Konfrontation mit Russland wahrscheinlicher. Es könnte sogar zum atomaren Schlagabtausch kommen. Die Rakete war nun zumindest eine kostspielige Alternative zum Flugzeug. Anders als bei einem Flugzeug gab es gegen eine Rakete keine Abwehrmöglichkeiten. Die Vorwarnzeit war gering und mit einer Rakete war ein Erstschlag möglich – ein Flugzeug dagegen brauchte Stunden, um sein Ziel zu erreichen. Damit gab es genug Zeit für den Feind, selbst seine Bomber loszuschicken.

Von Brauns erste Aufgabe war es, Mittelstreckenraketen zu bauen. Sie waren größer als die A-4, hatten aber noch keine interkontinentale Reichweite. Zuerst die Redstone, eine technisch verbesserte A-4, dann die Jupiter. Die Zeit bis zu diesen Projekten nutzte er, um seine Visionen über die Weltraumfahrt dem US-Publikum vorzustellen. Am 22.3.1952 erschien der erste Artikel von ihm im US-Magazin Collier, in dem er mit dem provokanten Titel „What we are waiting for?“ die Frage aufstellte, warum die USA kein Weltraumprogramm haben. Er sah schon jetzt die Möglichkeit, einen Satelliten zu starten (was mit der damals gerade entwickelten Redstone auch praktisch möglich war – nur ergänzt durch einige Feststoffraketen startete sie sechs Jahre später Explorer 1, den ersten US-Satelliten). In weiteren Folgen skizzierte er, wie seiner Ansicht nach die weitere Erforschung des Weltraums aussehen würde. Es war vor allem ein bemanntes Programm, das folgende Schritte vorsah:

  1. Erforschung des Weltraums und der Erde mit unbemannten Satelliten.
  2. Bemannte Flüge in den Orbit, um festzustellen, ob der Mensch überhaupt zu anderen Himmelskörpern gelangen kann.
  3. Ein wiederverwendbares Vehikel, das mit regulären Starts Operationen im Weltraum zur Routine macht.
  4. Eine permanente Raumstation, die zum einen zur Beobachtung der Erde dient, wie auch als Basislager für weitere Expeditionen zu Mond und Mars.
  5. Bemannte Erforschung des Mondes, mit dem langfristigen Ziel, eine permanente Basis zu etablieren und eventuell den Mond zu kolonisieren.
  6. Bemannte Erforschung des Mars, mit dem langfristigen Ziel einer Marskolonie

Diese Schritte wurden später zum NASA-Langzeitprogramm. Vergleicht man das Programm mit der realen Geschichte, so gibt es nur eine Abweichung: Durch den Wettlauf zum Mond kam die Erforschung des Mondes (Punkt 5) vor dem Space Shuttle (Punkt 3). Punkt 6 haben wir nach 60 Jahren Raumfahrt noch nicht erreicht. Das Programm war folgerichtig, Punkt 1 bis 3 leiteten von der unbemannten in die bemannte Phase über und vor allem das wiederverwendbare Vehikel war essentiell um die Transportkosten zu senken. Punkt 4 bis 6 beinhalten immer größere Herausforderungen, sei es Unabhängigkeit von der Erde, Entfernung oder der benötigten Transportkapazität.

2. Abbildung: Walt Disney und Wernher von Braun

In den Fünfziger Jahren wurde von Braun durch seine Öffentlichkeitsarbeit in den USA populär, weil Walt Disney auf die Artikel im Collier aufmerksam wurde. Von Braun wurde technischer Direktor bei einer Serie von drei Walt Disney-Filmen über die Weltraumfahrt. Sie erschienen 1955. Der erste Film beschäftigte sich mit Raketen und den Herausforderungen, Menschen in den Weltraum zu bringen. In ihm skizzierte von Braun einen 11 t schweren Gleiter, der stark dem späteren Projekt Dyna Soar ähnelte. Er meinte, das Projekt könnte, mitsamt seiner 800 t Treibstoff fassenden Rakete, beim Einsatz entsprechender Mittel in zehn Jahren umgesetzt werden. Auch das Space Shuttle geht auf von Braun zurück. Damit war er seiner Zeit weit voraus, denn das Space Shuttle wurde erst 1969 vorgeschlagen und ab 1972 entwickelt. Die anderen Filme beschäftigten sich mit der Mondlandung und dem Flug zum Mars.

Diese Filme und die Artikel erreichten zwar die Öffentlichkeit, aber sie hatten keinen Einfluss auf die Politik. Doch sie machten von Braun bekannt und halfen ihm bei seinem späteren Aufstieg in der NASA. Die bemannte Raumfahrt wurde erst zu einem Thema, als mit Sputnik 1 das Weltraumzeitalter begann. Innerhalb weniger Monate startete Russland drei Sputniks.

Sputnik 1, eine 83 kg schwere Kugel mit vier Antennen, war eine Notlösung. Der geplante komplexe Satellit für die Erforschung des erdnahen Raums erwies sich als große Herausforderung und lag im Zeitplan zurück. Da die USA für 1957/58 den Start eines Satelliten angekündigt hatten, startete Koroljow Sputnik 1, um dem zuvorzukommen. Die internationalen Reaktionen beim Start am 4.10.1957 waren so groß, dass die russische Führung darauf drängte, zum vierzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution, einen Monat später, etwas Spektakuläreres zu starten. Mit Sputnik 2 startete am 3.11.1957 die Hündin Laika in einem zylindrischen Kanister. Eine Landung war nicht vorgesehen. Offiziell wurde sie nach einigen Tagen durch Blausäuregas eingeschläfert, in Wahrheit starb sie schon kurz nach dem Start an einem Hitzeschlag, als die Temperaturen im Behälter stark ansteigen. Sputnik 3 war Mai 1958 dann der geplante schwere wissenschaftliche Satellit. Er wog 1,5 t, mehr als die Mercurykapsel.

In den USA war man nun überzeugt, das Russland als nächsten Schritt einen Menschen startet. Man befürchtete ein noch stärkeres negatives Medienecho als beim ersten Satelliten. Der erste US-Startversuch Vanguard 1, der am 6.12.1957 live im Fernsehen übertragen wurde, endete schon auf der Startrampe in einer Explosion.

1958

Erst jetzt bekam Wernher von Braun die Genehmigung einen Satelliten zu starten. Schon 1956 hätte eine Jupiter-C einen Orbit erreichen können, damit dies nicht der erste Satellitenstart ist, musste die Oberstufe durch Ballast ersetzt werden. Erst nach dem Fehlschlag der Vanguard bekamen Wernher von Braun und das ABMA ihre Chance und am 31.1.1958 wurde Explorer 1 von einer Redstone gestartet.

Im März 1958 wurde das Programm „Man in Space Soonest“ (MISS) aus der Taufe gehoben. Dieses Air Force Programm selektierte am 25.6.1958 neun zivile und militärische Testpiloten als Astronauten. Sie sollten auf einer einfachen Kapsel mit einer Thor, später Atlas-Trägerrakete, in den Orbit gelangen. Anders als beim Mercuryprogramm waren unter den neun Piloten nur drei Air Force Piloten, drei kamen von Flugzeugherstellern (North Amercian Aviation und Douglas) und drei vom NACA (National Advisory Committee for Aeronautics). Darunter waren die beiden X-15 Piloten Joseph Walker und Neil Armstrong, der als Einziger der Gruppe in den Orbit gelangen sollte. Nach Gründung der NASA wurde MISS eingestellt und die bisherigen Forschungen und Arbeiten an die NASA übertragen. Keiner der selektierten Astronauten wurde übernommen.

3. Abbildung: Pickering, Van Allen und Wernher von Braun feiern den erfolgreichen Start von Explorer 1

In MISS erarbeitete die USAF zuerst, wie Sie vorgehen wollte. Es gab zahlreiche Entscheidungen zu treffen. Sollte man, wie von Braun vorgeschlagen, einen Gleiter bauen, der auf einem Flugplatz landen konnte? Wenn man eine Kapsel bauen sollte, sollte sie aerodynamisch gesteuert sein (kann den Kurs beeinflussen) oder rein ballistisch landen (einfachere Konstruktion, aber mit höherer Belastung für den Passagier). Sollte sie über Land oder See niedergehen? Beides hatte Vor- und Nachteile. Die Landung auf dem Land ist härter, aber risikoärmer. Die See hat den Vorteil, dass es viel mehr Fläche gab und selbst größere Abweichungen von der Landezone nicht dazu führen, dass man in unwegsamen oder gar gefährlichen Gelände landet. Wie sollte der Hitzeschutzschild aufgebaut sein? Es gab drei verschiedene Techniken. Möglichkeit 1, die Energie beim Wiedereintritt gar nicht erst aufzunehmen (so bei den Space Shuttle umgesetzt). Möglichkeit 2, einen Schild zu verwenden, der viel Energie speichern kann (so genutzt bei den ersten Wiedereintrittsschilden für Atomsprengköpfe). Möglichkeit 3, das Materials des Schildes zu verdampfen. Die dabei benötigte Energie geht nicht auf das Raumfahrzeug über. Doch diese ablativen Schilde waren noch unerprobt.

Zeitgleich veröffentlichte Maxime Faget das erste Konzept für einen bemannten Satelliten ohne Flügel und ohne Auftrieb im April 1958. Aus ihm sollte die Mercurykapsel entstehen.

4. Abbildung: Maxime Faget, offizielles Porträt

Wollten die USA das Ziel wirklich schnellstmöglich erreichen, musste man, wo es nur ging, auf schon existierende Technologien zurückgreifen. Die Risiken und vor allem die Entwicklungsdauer mussten minimiert werden. Schließlich hatten die Russen schon eine Rakete, die Sputnik 3 starten konnte. Sie hätte auch ein kleines Raumschiff starten können. Die USA mussten erst einen Träger für ein Raumschiff qualifizieren.

Schon vor MISS, im Januar/Februar 1958, sichteten Ingenieure bei der NACA die Optionen und engten die Wahl auf zwei Konzepte ein: eine einfache Kapsel, die ballistisch landet und ein Gleiter, der mit Flügeln manövrieren und wie ein Flugzeug landen kann. Bis April 1958 hatte man beide Optionen untersucht und befand, dass die Kapsel schneller entwickelt werden kann und weniger risikoreich war. Es war eine Lösung, die von vielen als „wenig elegant“ angesehen wurde, aber eben auch die einfachste mit den wenigsten Risiken. Das Design des ballistisch fliegenden Kegelstumpfes, der für die Mercurykapsel gewählt wurde, wurde von Max Faget, Guy Tibedeaux, Alex Bond und Caldwell Johnson unter der Leitung von Bob Gilruth in den folgenden Monaten erarbeitet.

Im Juli 1958 bekam Bob Gilruth die Leitung einer Space Task Group (STG), die anfangs aus 36 Mitarbeitern, vor allem Ingenieuren bestand. Darunter Männer, die später noch eine bedeutende Rolle im bemannten Weltraumprogramm spielen sollten wie Chris Kraft und Glenn Lynney. Offiziell wurde die STG am 5.11.1958 gegründet, sie war jedoch schon vorher aktiv. Schon im August verfügte Eisenhower, dass das zivile NACA mit dem Sitz in Langley, Virginia sich um das Vorhaben einen Menschen in den Orbit zu bringen, kümmern sollte.

Die Air Force stellte daraufhin MISS ein. Sie blieb dem Thema aber verbunden und plante nun den nächsten Schritt, den eines Gleitflugzeuges, genannt Dyna Soar. Es sollte mit einer Titan I gestartet werden. Das war ein Jahrzehnt vor dem Space Shuttle. Doch die Air Force entwickelte schon die X-15, ein Raketenflugzeug das Mach 6 und 100 km Höhe erreichte. Da lag es nahe, das sie das Konzept bis in den Orbit weiterentwickelte. Dyna Soar wurde aber immer schwerer, teurer und komplexer und so am 10.12.1963 eingestellt.

Seit dem August 1958 erarbeitete die STG vorläufige Spezifikationen des Raumschiffs in Form eines Request for Proposal (RFP). Heute dauert das Erstellen eines RFP für ein Projekt etwa ein Jahr. In ihm wird das Projekt umrissen, angefangen von den grundlegenden Anforderungen (es ist eine Kapsel, es gibt eine Maximalmasse – vorgegeben durch die Atlas-Trägerrakete) bis hin zu den Feinheiten, z. B. welche Frequenzen der Sender nutzen soll, welche Sendeleistung er haben muss, etc. Das RFP bestand nicht nur aus den Anforderungen an die Hardware, sondern auch Anforderungen an das Bodennetz, oder wie man Messwerte von dem „Kumpel“ (Guy) in der Kapsel gewinnen sollte (die Bezeichnung Astronaut gab es noch nicht) und Einzelheiten der Bergung.

Die Mitglieder der STG veröffentlichten im RFP nicht nur die Anforderungen, die man als Fragen ansehen kann (wie würdet ihr diese Aufgabe lösen?) sondern auch Antworten, basierend auf dem, was man schon erarbeitet hatte. Parallel dazu begann man mit Vorerprobungen z. B. mit dem Fallschirmsystem. Die STG erarbeitete das RFP innerhalb von zwei Monaten. Es wurde am 23.10.1958 an 40 Hersteller von Flugzeugen verschickt.

Normalerweise haben heute Firmen eine Frist von sechs Monaten, um auf das RFP zu antworten. Damals waren es zwei Wochen. 38 Firmen antworteten. Man ging die Rückmeldungen durch und lud am 7.11.1958 Vertreter zu einer Konferenz ein, in der man weitere Details vorstellte. Maxime Faget gab drei Grundanforderungen vor: Das Raumschiff sollte ballistisch landen. Es sollte separate Raketen für Fluchtturm und Retromanöver haben und einen Hitzeschutzschild auf Basis des Prinzips der Wärmesenke einsetzen.

5. Abbildung: Robert Gilruth, offizielles Porträt

19 Firmen boten nach der Tagung für das Projekt. Sie bekamen am 17.11.1958 die Spezifikationen für die Kapsel. Die Firmen mussten mit einer Frist von vier Wochen mit einem Umsetzungsplan antworten. Die 50-seitige Spezifikation listete technische Details, inklusive einer Zeichnung des bisher am besten getesteten Modells auf. Sie enthielt aber keine Vorgaben für die Zuverlässigkeit oder Budgetgrenzen. Bis 11.12.1958 konnten die Firmen antworten.

Während dieser Frist wurde am 26.11.1958 das Programm offiziell genehmigt. Robert Gilruth wurde Leiter der Mercury Programms.

Am 1.10.1958 ging die NACA durch den National Aeronautics and Space Act in die NASA (National Aeronautics and Space Administration) über. Das Mercuryprojekt war das erste Großprojekt der NASA. Sie wurde am 29.7.1958 als zivile Raumfahrtbehörde gegründet. Damit wollte US-Präsident Eisenhower ein Zeichen setzen: Die ersten Monate der US-Raumfahrt waren geprägt von einer Rivalität der Waffengattungen. Einerseits startete die US-Navy die Vanguard-Rakete mit den gleichnamigen Satelliten. Auf der anderen Seite setzte die US-Army auf Redstone und Jupiter als Juno I+II mit Explorer-Satelliten und den Pionier-Mondsonden.

Daneben begann die USAF mit den ersten militärischen Starts der Thor, auch von ihr wurden Pionier-Raumsonden gestartet. Ein weiteres Projekt der Navy, Pilot, testete den Start von Minisatelliten von einem Kampfflugzeug aus. Eisenhower wollte vermeiden, dass das Militär das Thema Weltraum exklusiv besetzte, wie es in Russland bis heute der Fall ist.

Die NASA sollte die nationalen zivilen Forschungen im Bereich der Raumfahrt und Luftfahrt koordinieren und die verschiedenen Forschungseinrichtungen, die schon existierten, als Zentren der neuen Behörde koordinieren. Das Militär war jedoch nicht außen vor. Es konnte eigene Satelliten, Raketen und Programme entwickeln, dazu gehörten Aufklärung, Kommunikation, Navigation und Wettervorhersage. Doch auch hier wurde zentralisiert. Die US Air Force würde alle Starts durchführen, auch die zivilen Starts der NASA.

Das hatte zur Folge, dass die NASA im Mercuryprojekt mit der USAF verhandelte, wenn sie die Atlas für die Starts benötigte und mit der US-Army, wenn es um die Redstone ging. Vor allem die Zusammenarbeit mit der USAF war schwierig. Die Projektverantwortlichen wollten bei beiden Trägern zahlreiche Detailänderungen, um die Sicherheit zu verbessern. Während dies bei der Army weitestgehend reibungslos geschah, sah die Air Force die Atlas als eine ausgereifte, zuverlässige Rakete an, die man nicht verbessern musste.

Die Differenz kam nicht zuletzt durch Wernher von Braun zustande. Er war zusammen mit anderen Peenemündern bei der Army für die Trägerraketenentwicklung zuständig und es wurde die von ihm entwickelte Redstone genutzt. Von Braun sah die Entwicklung von militärischen Raketen als notwendiges Übel an, um die Träger zu bekommen, die er benötigte, um bemannte Raumfahrt zu betreiben. Nun gab es eine zivile Weltraumbehörde, mit dem Potenzial, seine Träume umzusetzen. Also warum der NASA Steine in den Weg legen? Er wechselte später zur NASA und wurde Leiter des Marshall Space Flight Centers, in dem er die Saturn I und V entwickelte.

Bei der Air Force war dies anders. Sie war ein eigenständiger Teil der US-Armee, mit einem Budget und Mitarbeiterstab, größer als bei der NASA. Die Atlas wurde mit großem Aufwand entwickelt. Sie war gut genug, Atomsprengköpfe zu starten. Diese Atlas sollte nun auf die Anforderung einer neuen, kleinen Regierungsbehörde verändert werden. Die USAF weigerte sich zuerst und behandelte auch die Projektverantwortlichen der NASA von oben herab. Dies änderte sich erst mit dem Fehlschlag von MA-1 (S. →). In der Folge versagte die Atlas auch bei zahlreichen unbemannten Satellitenstarts und militärischen Tests.

Erste Kontakte wurden schon am 20.11.1958 mit dem Militär geknüpft. Es war klar, dass das Programm nicht ohne das Militär auskam. Man benötigte die Air Force, die eine Atlas stellen sollte. Eine vorläufige Bestellung, noch für die Atlas C, wurde am 24.11.1958 aufgegeben. Ebenfalls benötigte man die Air Force für den Start, der von der Cape Canaveral Air Force Station (CCAF) in Florida aus erfolgen sollte. Die Navy benötigte man für die Bergung des Raumschiffs und die Army für die Redstone für die ersten suborbitalen Flüge.

Im Dezember/Januar wurden die elf Rückläufer der Ausschreibungen gesichtet und geprüft. Sie kamen von Avco, Convair/Astronautics, Lockheed, McDonnell, Martin, North American, Northrop, Republic, Douglas, Grumman, and Chance-Vought. Mit Ausnahme von Douglas, Grumman und Chance-Vought hatten alle Firmen seit mindestens einem Jahr an internen Studien für ein bemanntes Raumschiff gearbeitet oder waren an Projekten der USAF für die bemannte Raumfahrt beteiligt.

Vier Vorschläge wurden aus technischen Gründen ausgesondert. Sie verletzten die Spezifikationen. Dann wurden die Vorschläge weiter von einem Management, Cost, and Production Assessment Committee untersucht, das vier weitere Vorschläge aussortierte. Zuletzt entschied ein Board unter der Leitung von Abe Silverstein über die restlichen drei Vorschläge.

Es gab zwei Firmen, die fast gleichauf lagen. Grumman bekam die beste Bewertung in der technischen Kompetenz. Im Managementbereich und bei den Kosten war McDonnell führend. Keith Glennan, der erste NASA Administrator entschied sich am 12.1.1959 für McDonnell. Der Grund war, das Grumman schon durch zahlreiche Aufträge der Navy für neue Flugzeuge eingedeckt war und Glennan befürchtete, die Firma hätte nicht die Kapazitäten frei, den Auftrag durchzuführen.

Innerhalb von fünf Monaten hatte Projekt Mercury die erste Phase eines Raumfahrtprojektes durchlaufen. Das dauert heute mindestens zwei Jahre. Schon vorher, am 29.12.1958, bekam North American den Auftrag für die Little Joe, die den Rettungsturm testete. Er musste vor dem ersten Start einer Kapsel qualifiziert sein. Den Namen „Project Mercury“ erhielt das Unternehmen am 26.11.1958. Vorgesehen waren im ursprünglichen Plan 12 Kapseln im Schnitt 18,3 Millionen Dollar teuer, plus einem garantierten Gewinn von 1,5 Millionen Dollar pro Kapsel für den Hersteller.

Parallel erfolgten Ende Dezember 1958/Anfang 1959 schon Abwurftests von Mockups in Originalgröße, um ihre Aerodynamik zu testen. Dazu wurde die Kapsel mit einem C-130 Transportflugzeug in große Höhen gebracht und dann ausgeklinkt. Parallel erfolgten Tests von Modellen der Kapsel in einem Überschall-Windkanal im Langley Forschungszentrum.

Ebenso testete man auf anderen Raketen, inwieweit Primaten einen Raketenstart und die Belastungen aushalten. Am 13.12.1958 wurde „Gordo“, ein trainierter Totenkopf-Affe in dem Konus einer Jupiter gestartet. Die Bergung des Konus scheiterte, doch die Telemetrie zeigte, dass der Affe die 10 g beim Start und 40 g beim Wiedereintritt sowie 8,3 Minuten Schwerelosigkeit überlebt hatte.

Gute Nachrichten gab es auch von der Atlas. Am 28.11.1958 war erstmals ein Test der zukünftigen Trägerrakete über die volle Distanz von 6.300 Meilen erfolgreich. Daraufhin brachte man mit dem nächsten Test am 18.12.1958 die nachrichtentechnische Nutzlast SCORE mit der letzten Atlas B in den Orbit.

Anfang Dezember 1958 erarbeitete man die Details der Bergungsoperationen sowie die Spezifikationen des Big Joe Tests. Man besuchte am 1.12.1958 die Army Ballistic Missile Agency (ABMA) um die Nutzung von Jupiter Trägerraketen für suborbitale Tests zu evaluieren und diskutierte über die Kosten der Träger. Schneller ging es mit der Air Force voran: schon am nächsten Tag, dem 2.12.1958 bestellte man neun Atlas-Trägerraketen von der Air Force.

Am 9.12.1958 gab es den ersten Entwurf des Selektionsprozesses für die Astronauten. Die NASA wollte 150 Kandidaten benennen. Nach interner Diskussion sollten 36 zu Tests eingeladen werden, welche die Zahl auf 21 reduzieren sollten. Weitere Tests würden die Gruppe auf zwölf reduzieren und nach neun Monaten Training sollten sechs übrig bleiben. Doch schon am Monatsende wurde dieser Plan als zu langwierig verworfen. Am 5.1.1959 wurden neue formelle Spezifikationen für die zukünftigen Astronauten veröffentlicht.

Die Bezeichnung „Mercury Projekt“ wurde erstmals von NASA-Administrator Keith Glennan am 17.12.1958 öffentlich in einer Rede erwähnt. Vorher lief das Unternehmen intern unter der Bezeichnung „Project Astronaut“.

1959

Das neue Jahr startete mit der Beauftragung von McDonnell als Hersteller. Erste Verhandlungen gab es ab dem 14.1.1959. Parallel dazu arbeitete McDonnell schon an der Kapsel und konnte am 25.1.1959 das erste Modell ausliefern, einen Trainer zum Üben des Ein-/Aussteigens im Wasser. Im Februar vergab McDonnell bereits die Subaufträge für Untersysteme an andere Firmen, obwohl der endgültige Vertrag erst am 6.2.1959 unterzeichnet wurde.

Zeitgleich begann das Rekrutieren der Astronauten. Am 5.1.1959 wurde das Anforderungsprofil an die Kommandanten aller Teststaffeln verschickt, vom 1. bis 14.2.1959 wurden die 110 Kandidaten, die infrage kamen, in drei Gruppen unterteilt und die ersten beiden Gruppen nach Washington eingeladen. Die dritte Gruppe wurde gar nicht erst eingeladen, da schon 53 der ersten 69 bereit waren, sich für das Programm zu bewerben. Man wählte 32 von ihnen für weitere Tests aus – mehr als genug, da nur sechs Astronauten benötigt wurden. Ab dem 15.2.1959 begann die medizinische Voruntersuchung der 32 Bewerber.

Ebenfalls im Februar begannen Verhandlungen mit den Streitkräften, wer für was verantwortlich war. Die kleine STG zog meist den kürzeren. So würden Army und Air Force die Raketen starten, erst nach dem Abheben war die NASA verantwortlich. Ebenso waren Air Force und Navy für Bergung und Bahnverfolgung zuständig. Ursprünglich wollte sogar die Army die Kapsel und die Redstone (Letzteres wurde später gestrichen) selbst bergen.

Ab dem 10.2.1959 wurden in einem Hyperschall-Windkanal 70 Modelle der Mercurykapsel auf ihr aerodynamisches Verhalten getestet. Am 17.2.1959 schätzte bei einer Befragung des Senats der erste NASA-Administrator Glennan die Projektkosten auf 200 Millionen Dollar.

Nach der Vorstellung der sieben Mercuryastronauten am 9.4.1959 hatten diese in den ersten Monaten relativ wenig mit dem Programm zu tun. Obwohl sie als letzter Bestandteil des Programms selektiert waren, gab es noch kaum Trainer, mit denen sie trainieren konnten. Nur ein Trainer für das Training auf und unter dem Wasser stand bereit. Dabei stellte sich heraus, dass Slayton und Grissom nicht schwimmen konnten. Sie bekamen daher zuerst eine theoretische Einweisung in die Grundlagen der Raumfahrt, danach folgte physisches Training z.B in Zentrifugen.

Nach verschiedenen Vortests von Feststoffantrieben entschied man sich im April für einen Turm auf der Kapsel als die beste Lösung für den Fluchtturm. Ebenfalls im April testete McDonnell die Impaktstruktur oberhalb des Hitzeschutzschildes mit einem Schwein auf der Astronautencouch. Man erwog sogar, Schweine mit der Little Joe zu starten, verwarf das aber, weil Schweine nicht längere Zeit auf dem Rücken liegen konnten. Auch der Fallschirm machte Probleme. Er war bei Höhen über 3.000 m instabil und wurde durch ein anderes Modell ausgetauscht.

Im Mai strich man ein Ballonprogramm, bei dem die Kapsel durch Ballone in 25 km Höhe geschleppt werden sollte. Anschließend plante man, die Kapseln auszuklinken, um die Fallschirme und Aerodynamik zu testen. Die Ergebnisse ließen sich genauso durch normale Tests in Windkanälen gewinnen. Ebenfalls im Mai wurden die ersten beiden Little Joe Rahmen von North American ausgeliefert. Eine Jupiter startete zwei Rhesusaffen auf eine suborbitale Bahn. Sie überlebten den Trip, doch ihre Kapsel konnte wegen rauer See im Zielgebiet nicht geborgen werden.

Zwischen Mai und August 1959 konstruierte man, nachdem die Astronauten dies anregten, eine schnell zu öffnende Seitenluke für das Raumschiff. Diese und weitere Änderungen sollten aber erst in der zweiten Serie von Raumschiffen ab 1961 zum Einsatz kommen.

Im Juni wurde die erste Kapsel, das Mockup für den Big Joe Test ausgeliefert. Im selben Monat gab es die Ausschreibung für die Ausstattung der Bodenstationen des Kontrollnetzwerkes. Im Juli wurde dafür Western Elektric selektiert.

Im Juni wurde McDonnell von der Einschätzung überrascht, dass auf die Kapsel bis zu 149 db Schalldruck einwirken konnte. Die Firma hatte das Raumschiff nur auf 128 db ausgelegt und die NASA hielt schon 128 db für zu hoch für den Piloten. Die Schmerzschwelle liegt bei 134 db. So laut ist ein Gewehr beim Schuss für den Schützen.

Im Juli bekamen die Astronauten ihre Arbeitsaufgaben zugeteilt und begannen das Zentrifugentraining. Vier F-102 Jagdflugzeuge wurden für sie angeschafft, da sie sonst ihren Pilotenstatus ohne Nachweis von Flugstunden auf Düsenflugzeugen verlieren würden.

Im August fand der erste, unabsichtliche Test des Rettungsturms statt (Little Joe 1, S. →). Er musste daher im November wiederholt werden. Der Pilotfallschirm wurde für Höhen unterhalb von 21 km und Geschwindigkeiten kleiner Mach 1,5 qualifiziert, deutlich höher als die Anforderungen bei der Mission, bei der er sich unterhalb von 12 km öffnet. Damit konnte man im selben Monat an die Tests des Hauptfallschirms gehen. Für die Tests wurde die Kapsel von einem C-130 Transporter im Flug ausgeklinkt und der Fallschirm entfaltet.

Im August 1959 wird beim ersten Zentrifugentraining bei Deke Slayton eine Veränderung im Ruhe-EKG festgestellt. Ein Luftwaffenarzt stellte idiopathisches Vorhofflimmern als Ursache fest, bescheinigt ihm aber, das dies ihn nicht als Astronaut beeinträchtigt.

Im September 1959 fand der Test der Big Joe (S. →) statt. Am Hitzeschutzschild wurden bis zu 1.900°C erreicht, trotzdem wurde nur ein Drittel abgetragen. Auch wenn die Zielgeschwindigkeit nicht erreicht wurde, betrachtete Maxime Faget damit den Hitzeschutzschild als ausreichend getestet, da man auf die Abtragung bei höheren Geschwindigkeiten extrapolieren konnte. Ein zweiter Start der Big Joe wurde daraufhin gestrichen.

McDonnell wurde beauftragt, für die Astronauten ein Handbuch zu schreiben. Mediziner legten im September fest, dass die Astronauten Nahrung mit 3.200 Kalorien pro Tag und 0,5 l Wasser/Stunde erhalten sollten. Die Menge an Wasser wirkt hoch, doch wie sich später zeigen würde, schwitzten die Astronauten stark. Es war heiß in den Anzügen und noch heißer in der Kapsel. Scott Carpenter verlor 2,7 kg Masse in nur viereinhalb Stunden.

Im Oktober wurde nach 15 Tests die Qualifikation des Fallschirms abgeschlossen. Auch die Qualifikation der Little Joe (LJ-6, S. →) fand erfolgreich statt. Ebenfalls im Oktober wurde der erste Hitzeschutzschild für eine Produktionskapsel ausgeliefert.

Im November fand der erste reguläre Test des Fluchtturms mit Little Joe 1A (S. →) statt. Der Fluchtturm zündete 10 s zu spät, sodass der Test wiederholt werden musste. Im selben Monat wurde das Layout des Missionskontrollzentrums festgelegt und die Astronauten erhielten ihre ersten Raumanzüge. Es wurde beschlossen bei zwei Flügen der Little Joe Affen in einem Biopack mitzuführen, und das Design der Liege der Astronauten wurde abgeschlossen.

Schon im Dezember wurde der erste Start von Affen mit Little Joe 2 (S. →) durchgeführt und der Rhesusaffe Sam erfolgreich geborgen. Im gleichen Monat wurden die Retroraketen der Kapsel qualifiziert. Bis dahin hatte die NASA schon 22,83 Millionen Dollar für Atlas Trägerraketen und 16,06 Millionen für Redstones ausgegebene, deren erste ihren ersten statischen Test absolvierte.

McDonnell erhielt bisher 49,4 Millionen Dollar. Es fielen bei McDonnell rund 928.000 Stunden in der Entwicklung, 191.000 in der Herstellung von Werkzeugen und 372.000 Stunden in der Produktion an. Die Piloten begannen im Dezember erste Tests der Schwerelosigkeit in F100 Jets. In den Parabelflügen herrschte jeweils für etwa 15 s Schwerelosigkeit. Dabei konnten sie sich noch nicht frei bewegen, aber erproben, ob man so essen oder trinken kann. Nun begannen kurz vor dem Jahreswechsel die ersten Tests des Lageregelungssystems.

6. Abbildung: Modell des Hitzeschutzschildes im Test

7. Abbildung: Mercury Kapseln bei der Verpackung vor dem Versand im Werk von McDonnell in St. Louis

1960

Im Januar wurde der Vertrag mit Western Electric über die Ausstattung des Bodennetzwerkes über 33 Millionen Dollar abgeschlossen. Ebenso wurde der Bergungsplan in diesem Monat finalisiert. Inzwischen war die Zahl der bestellten Atlas Träger auf 15 angestiegen und die der Kapseln (mit Modellen) auf 26.

Der Start von Little Joe 1B (S. →) im selben Monat qualifizierte den Fluchtturm mit einem Kapselmockup bei der Auslösung bei Max-Q. Miss Sam, ein weiblicher Rhesusaffe, wurde erfolgreich geborgen. Ebenfalls im Januar lieferte McDonnell die erste Prototypkapsel aus – weniger als ein Jahr nach Vertragsunterzeichnung. Sie würde bei der MA-1 Mission (S. →) am 29.7.1960 zum Einsatz kommen.

Die Air Force begann im Januar mit dem Training von sechs jungen Schimpansen, die sie im Kongo erworben hatte, als „Ersatzastronauten“.

Im Februar ging das Projekt von der Entwicklungsphase in die praktische Umsetzung über. Christopher Kraft wurde Leiter der Atlantik Coordination Group, welche den kritischen Teil der Missionen managte: den Start und die Landung. Nun wurden zahlreiche Systeme qualifiziert. Im Januar das Telemetriesystem, im Februar die Batterien, Landevorrichtung, automatisches Stabilisierungssystem, Kommandoempfänger und -Sender.

Im März wurde beschlossen, dass man keine Startvorbereitungen in Huntsville brauche. Damit sparte man zwei Monate im schon überzogenen Zeitplan ein. Vorher bestand die ABMA (Army Ballistic Missile Agency) darauf, dass McDonnell die Kapsel zuerst nach Huntsville verschifft. Sie sollte dort auf Qualität und Verträglichkeit mit der Redstone geprüft und dann erst für den Start zur Cape Canaveral Air Force Station verschifft werden.

Im selben Monat begann das erste Schwerelosigkeitstraining in C-130 Flugzeugen, die in Parabelflügen 15 s Schwerelosigkeit erreichten. Anders als in den F-100 konnten sich die Astronauten frei bewegen, sie hatten sogar mehr Platz als in der Mercurykapsel.

Im April lieferte McDonnell die erste Kapsel aus der Produktion (nach einem Prototyp im Januar). Sie wurde nach Wallops Island für den Beach Aborttest (S. →) am 9.5.1960 verschifft. Schon vor dem ersten Start einer echten Kapsel (und keines Modells) begann im selben Monat die Planung für eine Modifikation der Kapsel für Langzeitaufenthalte. Ebenfalls im April wurde im Hangar S auf dem Cape eine Höhenkammer fertiggestellt, in der die Raumschiffe vor dem Start geprüft und auf Druckdichtigkeit getestet wurden. In ihr fand auch ein Teil des Astronautentrainings statt. Gleichzeitig begannen die Qualifikationstests der Retroraketen.

Das Außenministerium konnte im April die letzten bilateralen Abkommen mit den Ländern abschließen, auf deren Boden Kontrollstationen entstehen sollten. Danach begann der Aufbau des Netzwerks.

8. Abbildung: John Glenn vor einer der Kontrollstationen des Mercurynetzwerks

Im Mai wurde die erste Produktionskapsel im Beach Abort Test getestet (S. →) und danach zurück zu McDonnell für Integritätstests verschifft. Die Produktion der finalen Anzüge – nach den Entwicklungsmustern, basierend auf den mit diesen gewonnenen Erfahrungen – startete. McDonnell liefert im Mai und Juli zwei Trainer für „Procedures“, also Abläufe, ans Cape und nach Langley. Bis zum Juli hatte die NASA 75,6 Millionen Dollar für das Raumschiff ausgegeben.

Die zweite Produktionskapsel wurde nach Huntsville für Tests der Kompatibilität mit der Redstone verschifft und die erste Atlas-Trägerrakete für die MA-1 Mission traf am Cape ein.

Im Juli absolvierten die Astronauten einen fünfeinhalbtägigen theoretischen und praktischen Überlebenskurs in der Wüste bei einer Luftwaffenbasis in Nevada. Drei Tage davon waren sie isoliert in der Wüste. Dabei entstand dieses Foto.

Ende Juli scheiterte der erste Testflug einer Atlas (MA-1, S. →). Er hatte große Auswirkungen auf den Zeitplan, der schon hinter den Vorgaben zurücklag.

Im August wurde der erste Kranausleger für einen Rettungszugang zur Kapsel ausgeliefert. Er sollte bei medizinischen Notfällen zum Einsatz kommen, wenn der White Room schon weggeklappt war und der Pilot sich nicht selbst befreien konnte.

In einer Sitzung der STG und McDonnell wurde beschlossen, dass Vorschläge der Astronauten für die Anordnung der Elemente der Konsole im zweiten Produktionslos umgesetzt werden.

Im August wurde mit dem Training der Helikopterpiloten für die Bergung von Astronaut und Kapsel begonnen.

9. Abbildung: Die Astronauten beim Überlebenstraining. Von Links nach rechts: Cooper, Carpenter, Glenn, Shepard, Grissom, Schirra, Slayton

Im September erfolgten, nach der bisher schlechten Leistung der Feststoffrakete des Fluchtturms bei den bisherigen Einsätzen, weitere Tests der Rettungsrakete. Dabei stellte man fest, dass der Schub im Mittel nur 42 Prozent des Vorgabewerts betrug. Daraufhin wurden die Düsen angepasst: von einer Düse, die zentral nach unten zeigte, in drei geneigte Düsen und anschließend neue Qualifikationstests durchgeführt.

Im September wechselte das Schwerelosigkeitstraining von einer C-130 auf eine C-135, mit der längere Parabelflüge von bis zu 35 s Dauer möglich waren. Am 29.9.1960 fiel die Atlas 77D für die MA-2 Mission bei den Inspektionen der STG durch und musste durch die Atlas 100D für die MA-3 Mission (S. →) ersetzt werden.

Im Oktober gab es eine erste Studie, was die Crews mit auf den Raumflug nehmen können. Kurz danach, im November, wurde die Computerzentrale in Goddard mit zwei neuen IBM 7090 Computern eingeweiht.

10. Abbildung: IBM 7090 im Goddard Space Center

Im November startete die Little Joe 5 (S. →) mit dem ersten Raumschiff aus der Produktion innerhalb der Little Joe Reihe. Erneut zündete der Rettungsturm vorzeitig, sodass der Test wiederholt werden musste. Dafür hob die Mercury Redstone 1 gar nicht erst ab (S. →). Die Übungen der Kapselbergung durch Helikopter wurden dafür Ende des Monats abgeschlossen. Im Dezember wurde der Flug von MR-1A (S. →) erfolgreich wiederholt. Es war der erste suborbitale Einsatz eines Ramschiffs.

1961

Im Januar werden die Kosten für Atlas Trägerraketen schon mit 51,5 Millionen Dollar angegeben, die der Redstone mit 14,9 Millionen Dollar. Für das Raumschiff wurden bisher 79,2 Millionen Dollar ausgegeben. McDonnell gab 2,616 Millionen Stunden für Entwicklung, 1,538 Millionen Stunden für die Fertigung und 383.000 Stunden für die Herstellung von Werkzeugen als aufgelaufene Arbeit an. Ende Januar startete die Mission MR-2 (S. →) mit dem Affen Ham. Der Fluchtturm wird wegen eines vorzeitigen Brennschlusses des Redstone ausgelöst und es beginnen interne Diskussionen, ob der Start wiederholt werden soll.

Am 20.1.1961 lädt der Leiter des Programms, Robert Gilruth, die Astronauten zu sich ins Büro und gibt bekannt, wer die ersten Flüge durchführen wird. Seine Entscheidung basiert auf den gegenseitigen Einstufungen der Astronauten, den Rückmeldungen vom Training und persönlicher Einschätzung. Alan Shepard wird den ersten Flug durchführen, Gus Grissom den Zweiten, Glenn ist der Ersatzmann für beide. Es gelingt, die Entscheidung einen Monat lang geheim zu halten. Doch am 20.2.1961 erfährt die Presse davon.

Im Februar wird bei Tests festgestellt, dass das System für die Lagekorrektur zu viel Treibstoff verbraucht. Gus Grissom findet zudem, dass die Steuerung auf manuelle Eingriffe nicht zufriedenstellend reagiert. Sie wird verbessert. Grissom sollte die Änderungen bei seinem Flug erproben. Shepard setzt noch das originale System ein.

Das Jahr 1961 stand dann vor allem im Zeichen von Starts. Mercury kommt nun in die Umsetzungsphase. Insgesamt erfolgten in diesem Jahr zwölf Starts. Diese beinhalten nicht nur die einfachen Qualifikationstests von Hitzeschutzschild und Fluchtturm mit Big und Little Joe, sondern auch Tests des ganzen Raumschiffs mit der Redstone und Atlas sowie die ersten bemannten Flüge. Im März wurde der Flug von MR 2 als Mercury Redstone BD (S. →) wiederholt.

Im April wurde rechtzeitig vor der ersten Orbitalmission das Bodennetzwerk fertiggestellt. Es hatte 60 Millionen Dollar gekostet. Am 12. April wurde in der neu eingerichteten Höhenkammer gerade die erste 1-Orbit-Misson erfolgreich simuliert, als die Nachricht kam, dass Gagarin die Erde umrundet hatte.

11. Abbildung: Gagarin vor seinem Weltraumflug

Dieses Ereignis überschattete dann auch den ersten bemannten Flug von Alan Shepard im Mai (S. →). Der Erfolg Shepards wurde trotzdem von Kennedy für seine berühmte Mondlandungsrede am 25.5.1961 genutzt. Kennedy forderte 611 Millionen Dollar zusätzlich für die NASA und das DoD für Weltraumaktivitäten. Mit dem Start von MR-3 trat das Mercuryprogramm in die operationelle Phase.

Vorher erfolgten im April noch der letzte und endlich erfolgreiche Flug der Little Joe 5B, (S. →) sowie der erneute Fehlschlag von Mercury-Atlas 3 (S. →), bei der diesmal das Neigeprogramm versagte. Die notwendigen Änderungen verschoben den nächsten Start einer Atlas auf den September.

12. Abbildung: Shepard erhält nach seinem Flug den NASA Distinguished Service Award

Am 24. Mai beschloss die NASA relativ spät den Einsatz der Scout, um das gerade aufgebaute Trackingnetzwerk zu testen.

Während die Kapsel von MR-3 eine Promotionstour durch Europa absolvierte, startete am 21.7.1961 Virgil Grissom als zweiter Amerikaner ins All (S. →). Er hatte die erste Kapsel des zweiten Produktionsloses mit verschiedenen Verbesserungen. Da diese Kapseln bei allen folgenden Flügen zum Einsatz kommen würden und der Flug reibungslos verlief, wurden weitere suborbitale Starts gestrichen, obwohl die Kapsel bei der Bergung verloren ging. Ursprünglich war geplant, dass es sechs suborbitale bemannte Starts geben sollte (ausgehend von ursprünglich sechs Astronauten). Aufgrund der Performance wollte die STG dann entscheiden, in welcher Reihenfolge die Orbitaleinsätze geflogen würden. Den riskantesten ersten Einsatz sollte dementsprechend der beste Kandidat fliegen.

13. Abbildung: Grissom direkt nach der Bergung

Angesichts dessen, das Russland aber schon eine Orbitmission durchgeführt hatte, waren weitere suborbitale Flüge der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln.

Kurz danach umkreiste am 12.8.1961 German Titow 24 Stunden lang die Erde. Das vernichtete alle Hoffnungen, mit einem 3-Orbitflug (so lange sollte die erste bemannte Mission dauern), Russland in der Flugdauer zu übertreffen. Als unmittelbare Folge wurde am 13. August die Kapsel Nr. 15, die gerade am Cape ankam, zum Hersteller zurückgeschickt mit dem Auftrag, sie für eine Eintagesmisson umzurüsten.

Im September evaluierte man bei McDonnell im Auftrag der NASA, ob man eine mechanisch zu öffnende Luke, anstatt der explosiv geöffneten, einbauen könnte. Die Luke hatte sich bei der MR-4 Mission vorzeitig geöffnet, ohne das man die Ursache fand. Da sie aber 60 US-Pfund (27 kg) mehr wog und McDonnell schon für die 1-Tagesmission Systeme entfernen musste, um das Zusatzgewicht für Batterien, Sauerstoff und Wasser zu kompensieren, blieb die STG beim alten Design.

14. Abbildung: Offizielles Porträt von Deke Slayton

Deke Slayton verliert im selben Monat seinen Flugstatus, nachdem ein Arzt im Frühjahr den NASA-Administrator James Webb persönlich angeschrieben hatte und ihn von Slaytons Herzrhythmusstörungen informierte. Luftwaffenärzte untersuchten seitdem seine Akte. Sie meinten, dass die Krankheit Slayton nicht beeinträchtigte. Doch da dies Militärärzte waren, sollen Zivilärzte zusätzlich die Krankenakte durchsehen. Webb folgt deren Empfehlung: Die Zivilärzte sehen ein zu großes Risiko in der Vorerkrankung.

Im Oktober wurde beschlossen, ein eigenes NASA-Zentrum nur für die bemannte Raumfahrt einzurichten und die NASA sichtete Vorschläge, wo es angesiedelt werden konnte. Die meisten Orte lagen in Florida, Texas und Kalifornien, jedoch gab es auch zwei geeignete Plätze in Missouri und Massachusetts.

Im September fand der erfolgreiche Start der 1-Orbit-Mission MA-4 (S. →) statt und die Entscheidung für das neue Zentrum für bemannte Raumfahrt fiel auf Houston in Texas, wo die Rice-Universität das Land zur Verfügung stellte. Robert Gilruth wurde der erste Direktor des neuen Zentrums.

Als Folge der verlorenen Kapsel bei MR-4 evaluierte man in selben Monat die Installation eines 75 cm großen Ballons, der das Sinken der Kapsel verhindern sollte. Sie würde dann durch ein Schiff geborgen werden, wenn sie zu schwer für die Helikopterbergung ist. Ein aufblasbarer Ring, ähnlich einem Rettungsring, sollte ebenfalls das Sinken verhindern und die Kapsel in der aufrechten Position fixieren. Er erwies sich als praktischer und wurde übernommen. Er wurde von Tauchern nach der Landung an der Kapsel angebracht und war Standard bei den nächsten Einsätzen.

Im November 1961 scheiterte der Flug der Scout für den Test des Bodennetzwerkes (S. →), während der Flug der zweiten Orbitalmission MA-5 (S. →) erfolgreich verlief. Er musste allerdings nach zwei von drei Orbits abgebrochen werden, da das automatische Steuersystem zu viel Treibstoff verbrauchte. Der Schimpanse Enos wurde erfolgreich geborgen. Die Nachuntersuchung ergab, dass ein Astronaut die Fehler des automatischen Systems kompensieren konnte. Damit war der Weg frei für die erste Orbitalmission.

Am 29.11 wurde John Glenn als Pilot des ersten Orbitaleinsatzes benannt. Am 7.12. wurde vorgeschlagen, Mercury zu einem Zweimannraumschiff umzubauen. Den Vertrag für den Bau des neuen Raumschiffs erhielt am 22.12.1961 McDonnell, die so auf ihrer Expertise für Mercury aufbauen konnten.

15. Abbildung: Er war länger im all als die ersten 5 Mercuryastronauten zusammen: German Titow

1962

Am 3.1.1962 wurde Gemini als neues bemanntes Projekt offiziell angekündigt. Es war damit kein Mercury-Nachfolgeprojekt mehr, sondern ein eigenes Programm.

1962 wurden nur noch bemannte Flüge durchgeführt. John Glenns Flug wurde mehrfach vom Dezember 1961 auf den Februar 1962 verschoben. Die Hardware war inzwischen ausgereift. Tests gab es jetzt nur noch, um Extrembedingungen zu untersuchen. So wurden die Anzüge Tests mit einem erhöhten Druck von 20 psi (1,38 Bar) unterzogen. Es gab Aufpralltests der Kapsel ohne den Landeairbag. Alle waren erfolgreich.

Für die kommende MA-6 Mission wurde ein Unterseekabel von der Bermuda Bodenstation direkt nach Langley gelegt. Diese Station hat Radarkontakt, wenn die Atlas Brennschlussgeschwindigkeit erreicht und die Radardaten ermöglichen den Computern, die Bahn 30 s nach Brennschluss zu ermitteln.

Am 20.2. absolvierte John Glenn seine 3-Orbitmission (S. →). Obwohl es große Besorgnis gab, dass sich der Hitzeschutzschild gelöst hatte, war dies nicht der Fall. Die Mission war ein voller Erfolg. Am 1.3.1962 absolvierte John Glenn eine Konfettiparade in New York, die mit 4 Millionen Besuchern die bisher größte in den USA war. Es folgten zahlreiche Auftritte in Medien, Ehrungen und Medaillen und sogar eine Auszeichnung durch den Präsidenten.

16. Abbildung: "Homecoming Parade" für Glenn mit Kennedy

Ebenfalls im Februar begann der Umzug der ersten Beschäftigten von Langley nach Houston, in noch provisorische Bauten. Im März führte man PERT (program evaluation and review technique) als neue Managementtechnik im Mercuryprogramm ein.