Impressum:
© 2019 Matthias Wagner (Hrsg. u. Bearb.)
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.
ISBN: 978-3-74816-238-4
I CH schreibe so ungern eine Vorrede, weil sie meistens überschlagen, selten gelesen wird! Bei der zweiten Auflage dieses Werkchens halte ich es aber doch für Pflicht, Ihnen nur einige Worte zu sagen, und ans Herz zu legen:
Der schnelle Abgang der ersten Auflage dieser Geschichte ist mir der deutlichste Beweis, daß man dieselbe gern und häufig las; ich danke Ihnen für diesen Beifall aufs wärmste, wünsche aber auch herzlich, daß die Absicht, welche der Endzweck meiner ganzen Arbeit war, dabei nicht verkannt, von mancher und manchen benutzt wurde! Ich wollte Ihnen nämlich anschauend zeigen: Wie jede menschliche Leidenschaft, wenn sie gewartet und gepflegt wird, zur Riesengröße emporwächst, wie sie stufenweise zur furchtbaren Höhe aufsteigt, wie sie endlich, um ihren Endzweck zu erreichen, menschliche und göttliche Gesetze mit Füßen tritt, und wie leicht ein einziger Fehler zur unnennbaren Menge von Lastern führen kann!
Ich wählte und schilderte absichtlich die Folgen einer zügellosen Wollust, weil sie das Lieblingslaster unseres Zeitalters ist; ich ließ Geister und Teufel in meiner Geschichte auftreten, weil Erfahrung mich belehrte, daß alle dergleichen Geschichten etwas Anziehendes für die menschliche Einbildungskraft haben, und ich gern häufig gelesen zu werden wünschte, um häufig nützen und bessern zu können.
Wohl mir, wenn hier und da ein unschuldiges Mädchen, durch meine Geschichte belehrt, in ihrem schmeichelnden Liebhaber einen zweiten Rudolph erkannte, seinen Begierden tapfer und mutig widerstand, um nicht, gleich der verlassenen Klara, den Verlust ihrer Unschuld und seiner Liebe im Kloster beweinen zu müssen!
Wohl mir, wenn mancher irrende Jüngling, durch Rudolphs Ende abgeschreckt, den Plan aufgab, welchen er eben zur Verführung seines Mädchens entworfen hatte, sie lieber ehelichte als unglücklich machte, und in ihren Armen ein Glück genoß, welches Rudolph nie erreichen konnte!
Bezdiekau, den 12ten November 1792
C. H. Spieß.
1 Vorrede zur zweiten Auflage.
Erster Teil
NICHT fern von der uralten Reichsstadt Speyer lag ehedem eine ebenso alte Feste; auf hohe Felsen getürmt stand sie am Ufer des Rheins. Schaudernd bebte der Wanderer zurück, wenn er von dieser Seite atemlos sie erstieg, und nun ausruhend in den tiefen Abgrund blickte, durch welchen der Strom sich schäumend wälzte, und den Schwindelnden mit fortzureißen drohte; willig und gerne verweilte er aber auf der anderen Seite, wo die furchtbare Höhe nach und nach zur weiten Ebene sich wandelte, und über bebaute Fluren, über schattige Hügel, über bekränzte Weinberge hinweg die lachendste Aussicht gewährte.
Von lange her hauste auf dieser Feste das ritterliche Geschlecht der Westerburger. Es war weit und breit bekannt durch Heldentaten und Turniergefechte. Es war allgemein gefürchtet, weil die ganze Gegend ringsumher fest glaubte, daß auf der Burg ein Geist wohne, welcher es sich zur Pflicht mache, der Westerburg Mauern tapfer zu verteidigen, ihr Vieh gegen Wolf und Räuber zu schützen.
Dieser Geist, so erzählte die alte, von allen Zeitgenossen bekräftigte Sage, war ein kleines Männchen, höchstens zwei Schuh2 hoch. Eisgraue Haare beschatteten seine tiefgefurchte Stirn und Wangen, ein ebenso grauer Bart floß über seinen Körper bis zu den Füßen herab. Er trug einen Knotenstock in seiner Rechten, mit der Linken hielt er den Riemen eines Ränzchens, das über seine Schultern hing. Sein Anzug war von brauner Leinwand, und sein Haupt stets entblößt.
Seit langen Jahren war dies Männchen der treue Gefährte der Ritter von Westerburg; man sah es sehr oft auf ihrer Feste herumgehen; fröhlich und tanzend hüpfte es einher, wenn dieser Familie ein Sohn geboren wurde; seufzend und traurig schlich es umher, wenn einer derselben sein Hochzeitsfest feierte. Jahrelang sprach es dann oft nicht, und saß einsam in irgendeinem Winkel; willig und duldsam ließ es sich von Herren, Knechten und Mädchen necken; aber stets strafte es den Kühnen sehr ernstlich, der es wagte sein Ränzchen betasten zu wollen; es hieb dann mutvoll mit seinem Knotenstock auf den Täter los, und keiner war fähig sich ihm zu widersetzen. Alt und Jung nannten es das kleine Petermännchen ; so war es bekannt in der Feste, so in der ganzen Gegend. Nirgends kehrte es aber ein als hier, und niemanden stand es mit Rat und Tat bei, als den Rittern von Westerburg und ihren Hausgenossen. Daß dies Männchen ein Geist sein müsse, war schon längst in der Familie als ausgemacht angenommen; was es aber für Bewandtnis damit habe, wie und warum es in diesen Zustand versetzt worden? Dies wußte niemand, weil das Männchen nie auf eine Frage dieser Art antwortete, und dann immer traurig nach seinem Ränzchen blickte. Jeder Besitzer der Feste tat aus Dankbarkeit, was er vermochte, und zum besten des armen Geistes dienlich erachtete. In allen Klöstern ringsumher waren schon Stiftungen vorhanden; Messen wurden täglich für ihn gelesen, und um Mitternacht noch für seine Erlösung gebetet; aber das Männchen kam immer wieder, und wurde nie erlöst.
In der Mitte des 13. Jahrhunderts besaß diese Feste Rudolph von Westerburg. Sein Vater war früh gestorben, seine Mutter diesem bald gefolgt, und so wurde Rudolph schon im 20ten Jahr seines Alters Herr von der Feste. Er lebte nach Sitte damaliger Zeit schlecht und recht, jagte in Wäldern umher, und nahm Zoll von den Kaufleuten, die den Rhein hinabreisten; nicht, weil er sie schützte, sondern weil er sie schonte. Er war noch unbeweibt, hatte noch niemals den Sturm und Drang der allgewaltigen Liebe empfunden, noch nie den vollen Busen der deutschen Mädchen mit Sehnsucht beschielt, noch nie auf seinem Lager sich mattgeweint. Denn immer bestieg er sein Bett müde von der Jagd, und verließ es früh, um die gesammelten Kräfte wieder an Wölfe und Bären zu verschwenden.
Einst tönte sein Horn noch gegen Mitternacht im Wald; mit Fackeln trieb er die Dachse aus ihren Höhlen, und der Vollmond stand hoch über seiner Burg, als er nach Hause kam. Müde und matt wollte er nicht essen, nicht mit seinen Jägern zechen, und eilte seinem Lager zu. Schon hatte er den schweren Harnisch abgeschnallt, sein langes Haar gelüftet, als er an seinem Bett das kleine Petermännchen erblickte. Oft hatte er dasselbe schon gesehen, oft als Knabe es geneckt, sein Anblick erschreckte ihn also nicht; aber seit seines Vaters Tod war doch das Männchen noch nicht bei ihm gewesen; er glaubte schon, daß es die Feste verlassen habe, und freute sich hoch, den Beschützer seiner Familie einmal wiederzusehen. Traulich setzte er sich ihm gegenüber, und fragte begierig: was den schon längst vermißten Gast wieder einmal in seine Feste führe?
Peter: „Ich komme dir zu deinem Geburtstag Glück zu wünschen.“
Rudolph: „Zu meinem Geburtstag?“
Peter: „Ja, Rudolph! In dieser Nacht, in dieser Stunde gebar dich vor 24 Jahren deine Mutter. Damals war großer Jubel in der Feste! Alles sang und zechte bis am frühsten Morgen! Hast du dieser Stunden ganz vergessen?“
Rudolph: „Ich erinnere mich ihrer dankbar, und will noch jetzt in die Kapelle beten gehen.“
Peter: „Bleibe lieber bei mir, ich habe eines und das andere mit dir zu reden. Zum Beten ist morgen Zeit. Du bist ein stattlicher Ritter geworden, Rudolph!“
Rudolph. „Wohl mir, wenn ich’s bin!“
Peter: „Ich komme heut weit hinter Speyer her. Mehr als zehn Mädchen, blühend wie die Rosen, schlank wie die Pappeln, fragten mich, ob der schöne Rudolph nicht bald ein Weib auf seine Feste heimführen würde?“
Rudolph: „Und was antwortetest du?“
Peter: „Daß Rudolph Bären und Wölfe jage, Dachse aus ihren Löchern vertreibe, und folglich mit Weibern zu tändeln keine Zeit übrig habe.“
Rudolph: „Du hast aus meiner Seele gesprochen, guter Peter!“
Peter: „Aber die Mädchen waren so schön! Lieblich lächelte ihr Auge, hoch hob sich ihr Busen, als sie nach Rudolph fragten.“
Rudolph: „Was kümmern mich die Mädchen!“
Peter: „Du hast Recht! Es ist schön, frei im Forst herumschwärmen zu können. Kein Weib bekümmert dich, kein Kind wimmert nach dir, du kannst gehen, wenn du willst, wiederkehren, wenn dir’s beliebt; aber Rudolph, du mußt doch viel entbehren!“
Rudolph: „Entbehren? Noch hatte ich der Wünsche sehr wenig! Immer konnte ich sie befriedigen, immer jede Lücke meines Herzens mit Jagdgeschrei und Turniertönen ausfüllen.“
Peter: „Wohl dir, wenn’s immer so geht! Aber Rudolph, es wird eine Zeit kommen, wo du nicht so denken wirst. Ein Weib, oder vielmehr jedes Weib, hat freilich eine schlimme Seite. Sie hängen insgemein wie Kletten am Mann, und wimmern, und weinen, wenn er sich nur Augenblicke von ihnen losreißt. Sie zanken, wenn er weggeht, wenn er wiederkehrt. Mutter und Basen3 stehen bei, wenn’s Zwist gibt, und helfen ihn treulich vergrößern. Ein beweibter Mann hat der guten Tage wenig, der schlechten Nächte viel.
Rudolph: „Peter, ich heirate nie! Deine hundertjährige Erfahrung gibt meinem Vorsatz neue Kraft.“
Peter: „Aber Liebe, o Rudolph, Liebe ist süß! Liebe ist das Gewürz unseres Lebens. Ohne Liebe wirst du deiner Tage nicht froh werden, wirst in voller Kraft dahinwelken, wie der Strauch auf dem Felsen, wirst leben, ohne gelebt zu haben.“
Rudolph: „Du engst mich zwischen Tür und Angel. Wem soll ich nachgeben? Wem mich entgegenstemmen?“
Peter: „Der Tür; denn diese weicht, wenn du dich stemmst!“
Rudolph: „Und diese Tür ist?“
Peter: „Die Liebe. Muß es denn eben ein Weib sein, das du liebst? Müssen dich denn gerade unauflösliche Ketten an ein Geschöpf binden, das deiner ebenso müde werden kann, wie du seiner? Genieße, was dir behagt! Verwirf, was dir ekelt! Doch, gute Nacht, ich eile weiter!“
Rudolph: „Wo gehst du hin?“
Peter: „Ich habe noch Geschäfte in Menge. Morgen bin ich auf Durnstein zu treffen. Ritter Ottenweil jagt Wölfe, die seine Herde schon oft verringert haben; die Ritterschaft der ganzen Gegend ist geladen. Es sind grimmige, reißende Tiere; alle seine Knechte haben sie schon vergebens bekämpft. Es wird Ehre einzulegen sein! Ottenweils älteste Tochter wird Preise an die Kämpfer austeilen! Es ist das schönste Mädchen der ganzen Gegend.“
Das Petermännchen verschwand, und Rudolph suchte vergebens Ruhe auf seinem Lager. Blühend wie die Rosen, schlank wie die Pappelbäume gaukelten Mädchen vor seinen Augen herum, und beschäftigten seine geweckte Einbildungskraft. Sein Lager kam ihm so einsam, sein Gemach so leer, seine Feste so öde vor. Mit dem ersten Hahnenruf war er schon gerüstet, ließ satteln und jagte nach Durnstein. Als er ankam, hatten jene zur Vergeltung nun wieder geängsteten Wölfe schon drei der jagenden Ritter verwundet, sechs der besten Jäger zerrissen. Rudolph kämpfte mit Riesenkraft, und erlegte vier Wölfe. Größere und stärkere hatten Deutschlands Wälder noch nie erzogen. Die Gesellschaft erkannte ihn für den besten Jäger. Man führte ihn triumphierend auf die Burg, und Ottenweils älteste Tochter lohnte seine Tat mit einer prächtigen Schärpe.
Regina war ein schönes Mädchen, voll vom Drang nach Männerliebe. Geschaffen um Liebe zu heischen, geformt um Liebe zu gewähren. Ihr Wuchs war schlank, ihr braunes Auge groß! Ihre Wange gerötet, und ihr Haar das längste, das jemals über eines Mädchens Schultern herabfloß. Der Schleier, der ihren Busen deckte, verriet deutlich die Bewegungen ihres begehrenden Herzens, und ihre ganze Gestalt heischte der Männer Liebe und Ehrfurcht zugleich. Viele Ritter hatten schon jahrelang um Reginas Liebe gebuhlt, trugen ihre Farbe, und harrten ihres Winks; aber keiner hatte noch das Herz des so viel fordernden Mädchens erobert. Sie tändelte, scherzte mit ihnen, fand ihren Umgang bald angenehm, bald geschmacklos, und fragte sich am Abend immer, was ihrem Herzen noch fehle?
Der schöne, mannbare Rudolph füllte es diesen Abend noch ganz. Sie sah, hörte nur ihn. Der Hauch seines Mundes, das leiseste Flüstern seiner Lippen schreckte sie auf, und das helltönende Geschmetter der Trompete reichte nicht zu ihrem Ohr, das nur horchte, wenn Rudolph sprach. „Dies ist der Mann“, sagte sie zu sich selbst, „den meine Einbildungskraft schon so lange forderte, vergebens unter allen Rittern suchte, und nun auf einmal gefunden hat! Dies ist der Mann, der mein werden muß, wenn dies brennende Verlangen in meiner Brust befriedigt, diese Leere in meinem Herzen ausgefüllt werden soll. O wäre er schon mein!“ seufzte sie am Ende, und sah schmachtend nach Rudolph hin, der einer Bildsäule ähnlich, ihr gegenüber saß. Er hatte, wenn ich mich so ausdrücken darf, das herrliche Bild des Mädchens verschlungen. Seine Seele war im Innern mit dieser Gottheit beschäftigt, sein Körper schien tot, unempfindlich gegen alles, was ringsumher vorging. „O Liebe, du bist süß!“ sagte er immer zu sich selbst, und dachte dabei an den kleinen Peter.
Liebe, wenn sie einen gewissen Punkt erreicht, wenn sie unüberschwenglich groß, wenn sie innig ist, wenn sie ans Unendliche grenzt, teilt sich dem geliebten Gegenstand sogleich mit. Sie kennt kein Hindernis, und zerreißt kühn die Ketten des Anstands, welche einen blöden Liebhaber oft jahrelang an die Folterbank der Ungewißheit fesseln. Rudolph reiste zwar den anderen Morgen schon von Durnstein ab, aber die schmeichelhafte Hoffnung, daß Regina ihn wieder liebe, war auch schon seine Begleiterin, weil sie seinen beredten Blick der Liebe einmal schamvoll erwiderte, und seinen feurigen Händedruck beim Abschied mit sanftem Gegendruck lohnte.
Es war ihm so wohl, als er seine Feste betrat, und nun ungestört seiner Leidenschaft nachdenken konnte; aber bald war’s ihm wieder so weh, daß er einsam im Gemach sitzen, einsam sein Lager besteigen sollte. Er eilte ins Freie, suchte Ruhe, fand sie nicht, kam wieder ins Gemach und ging wieder ins Freie. So verging der zweite Tag der Trennung, so nahte sich schlaflos die dritte Mitternachtsstunde. „Ich kann’s nicht ertragen, dies Schmachten, dies Sehnen, dies Verlangen, dies Hinstreben nach ihr!“ dachte jetzt Rudolph: „Ich will morgen früh hin“, fuhr er in seiner Gedankensprache fort, „ich will vom Vater das Mädchen zum Weib fordern, und mit ihr froh und glücklich leben.“ Kaum hatte er dies gedacht und beschlossen, als er an seines Lagers Seite das Petermännchen erblickte.
Rudolph (hoch emporfahrend.): „O wohl mir, daß du endlich kommst, alter Freund meines Hauses! Ich habe deines Rats, deines Beistandes nötig. Ich hab’s empfunden, wie süß die Liebe ist! Hab’s gefühlt, durch zwei unendlich lange Tage, daß unser Leben ohne Liebe die geschmackloseste Speise ist. Eben beschloß ich’s, und will’s auch fest halten. Ich will hin nach Durnstein, will nicht eher von dannen weichen, bis ich sie als Weib mit mir heimführe; dann, guter Peter, soll’s ein Jubeln, ein Zechen, ein Fest auf der Burg geben, von welchem du nach Jahrhunderten noch meinen Urenkeln erzählen kannst! – Du schweigst? Antwortest gar nicht? Weh mir, weh meinen künftigen Tagen, wenn mir dies Glück nicht beschieden ist, wenn dein helles Auge unübersteigliche Hindernisse erblickt. O sprich, Peter, sprich! Kann, wird, soll Regina mein Weib werden?“
Peter: „Sie kann! Denn welcher Vater wird Rudolph von Westerburgs Anträge zurückweisen? Welcher wird nicht freudig solch einem reichen Schwiegersohn die Arme öffnen? Sie wird, denn sie liebt den schönen Rudolph, und harrt und bangt der Stunde entgegen, in der er kommt, und ihre willige Hand heischt. Sie soll, weil der edle, tapfere, kühne Rudolph eben in seinem Herzen den Schwur tat, der Diener eines Weibes zu werden, ihren Winken zu gehorchen, ihren Blicken zu frönen, und von ihrer Laune abzuhängen.“
Rudolph: „Dies schwur ich nicht.“
Peter: „Nicht? Und gelobtest doch ein Weib zu nehmen. Glaube mir, Sklaverei und Ehestand sind zwei so gleichbedeutende Ausdrücke, daß sie der größte Kenner nicht zu unterscheiden weiß, oft eines fürs andere braucht und allemal verstanden wird.“
Rudolph: „O Liebe ist süß! Liebe kann Sklaverei und Ketten versüßen. Glaube mir, Peter, ich bin ein ganz anderer Mensch geworden. Ich bin nicht mehr ich; bin ein Werkzeug von Reginas Willen; bin ihr Wille selbst! Nichts soll mich abhalten, sie zu ehelichen. Ein Weib ist das größte, das schönste Geschenk der Natur.“
Der kleine Peter wandte noch manches gegen Rudolphs Heirat ein, malte ihm das weiberfreie Leben reizend und schön; aber Rudolph hörte nichts von allen diesen Gründen, und bestand auf einer schnellen Heirat.
Peter: „Dich zu warnen, war Schuldigkeit! Dir zu helfen, ist nun Pflicht. Du willst also morgen nach Durnstein?“
Rudolph: „Will! Und zwar mit dem Frühesten!“
Peter. „Willst noch morgen um Regina bei ihrem Vater werben?“
Rudolph: „Will es, sobald ich anlange!“
Peter: „Willst Regina zu deinem Weib, zum Weib des Ritters von Westerburg machen?“
Rudolph: „Ja, ewiger Frager, ja! Ich will, will mich sobald als möglich glücklich machen!“
Peter: „Glück zu! Dir steht bei diesem Schritt manches Hindernis, mancher Verdruß, und Leiden vieler Art bevor. Aber dafür weiß ich Rat! Deine Ungeduld ist groß; du sollst geschwind siegen! Sollst bald glücklich sein.“
Der kleine Peter schnallte nun sein Ränzchen zum erstenmal los, öffnete es, und langte einen Knäul Zwirn heraus der um und um mit Nähnadeln groß und klein besteckt war.
Peter: „Da Rudolph, stecke dies in deine Tasche, und wenn du beim Vater die Werbung um seine Tochter vollendet hast, so reiche ihm dies zum Geschenk, und sein Gesicht wird sich sogleich verändern, er wird dir auf der Stelle dein Glück gewähren.“
Rudolph: „Alter Knabe, spottest du meiner? Was soll Ritter von Ottenweil mit Zwirn und Nadel beginnen? Als du freitest, schönen Mädchen hold warst, damals konnte vielleicht solch ein Geschenk Eindruck machen; aber jetzt –“
Peter: „Ebenjetzt bedarfst du dieses Geschenks, das der alte Ottenweil schon fast ein Vierteljahrhundert vergebens suchte. Doch guter Rat drängt sich nicht auf! Versuche dein Glück allein! Ich habe diesen Knäul jahrhundertelang getragen, kann ihn noch länger tragen. Schlaf wohl! In einem Jahr will ich wieder anfragen, wie’s mit deiner Liebe steht.“
Rudolph: „Harre nur noch einen Augenblick! Du warst meinen Voreltern immer mit gutem Rat zugetan, wirst bei mir nicht mit Trug enden. Ich nehme dein Geschenk mit Dank an, und verspreche dir, es Reginas Vater zu überbringen. Der Knäul muß kostbare Dinge enthalten, wenn er solch ein Mädchen aufwiegt.“
Der kleine Peter verschwand, wie gewöhnlich; und Ritter Westerburg trabte mit dem Frühesten, den Knäul in der Tasche, nach Durnstein. Als er schon nahe an Ottenweils Burg ein kleines Tannenwäldchen durchzog, traf er am Ende desselben sein Mädchen an; sie ging versunken in Liebe, im Schatten der mit ihr trauernden Tannen spazieren. Sie hörte nicht das Geräusch des Zuges, und schrie laut auf, als Rudolphs starker Arm sie umschloß, den Willkommskuß ihr raubte, und Vergeltungsrecht heischte. Groß war ihre Freude, als sie die Ursache von Rudolphs Ankunft hörte. Sie führte den geliebten Ritter selbst zu ihres Vaters Gemach, öffnete dem Zaudernden selbst die Tür, und harrte im Vorsaal mit voller Sehnsucht seiner Wiederkunft.
Rudolph machte den ihm bewillkommenden Alten, nach Sitte damaliger Zeit, eine fürchterliche Beschreibung von der Wunde, die der scharfe Blick seiner ältesten Tochter bei der Jagd ihm geschlagen habe, bat um Heil und Rettung, und versprach dagegen seiner Tochter einen herrlichen Stiftungsbrief zu machen, sie zum Erben seiner Habe und seines Vermögens einzusetzen, wenn er ohne Kinder sterben sollte. „Du suchst“, setzte er endlich hinzu, „schon viele Jahre lang ein Kleinod, das dir mangelt, und das ich besitze. Gerne und willig opfere ich dir’s, wenn du mir meine Bitte gewährst.“ Hier zog er den Knäul Zwirn aus seiner Tasche, und reichte ihn hoffnungsvoll dem Alten hin.
Ritter Ottenweils Stirne wölkte sich schnell; sein bisher freundliches Lächeln verzog sich, und jede seiner Mienen verriet Zorn: „Junger Mann“, sagte er mit verbissener Wut, „schon längst füllt Reue, über die Jugendsünde, welche ich einst beging, mein Herz, und trübt die Stunden meines Alters; aber daß du dieser Reue noch spottest, so offenbar mir Hohn sprichst, und einen Fehler rügst, den ich vor der ganzen Welt verborgen glaubte! Das verzeihe dir der Gott, bei dessen Allmacht ich dir jetzt feierlich schwöre: Wäre dein höhnischer Antrag dir auch Ernst, so bekämst du meine Tochter doch nicht. Nicht, wenn du auch der Kaiser von Orient wärst, und seine Schätze besäßest!“
Rudolph wollte reden, aber der grimmige Alte verbot es streng, und hieß ihn das Gemach verlassen, wenn er Gastfreiheit nicht verletzen solle. Der hoffnungslose Ritter taumelte hinaus, rannte schnell fort, und hörte nicht das ängstliche Rufen des auf ihn harrenden Mädchens. Rache zu nehmen an dem kleinen Peter, jedes einzelne Haar seines langen Barts auszuraufen, ihn sinnreich zu martern und zu quälen, war jetzt nur sein einziger Gedanke. In diesem fürchterlichen Augenblick wähnte er nicht, daß der kleine Geist seine Wut verlachen, und jeder noch so wohldurchdachten Rache ausweichen könne. Er lechzte nur nach seinem Anblick, und kam in dieser Stimmung nach seiner Feste. Die Mitternachtsstunde schlug, aber der kleine Peter kam nicht, und der noch wütende Ritter suchte ihn in jedem Winkel vergebens.
Er harrte seiner eine ganze Woche, bis endlich die ungesättigte Rache, hoffnungslose Liebe, und stetes Nachtwachen ihn aufs Krankenlager warfen; ein hitziges Fieber schien ihn töten zu wollen, und viele seiner treuen Reisigen4 beweinten schon seinen Tod, als endlich um Mitternacht der kleine Peter an dem Krankenlager erschien. Die Fieberhitze des Patienten ließ in diesem Augenblick nach, er war wieder seiner Sinne mächtig, konnte den Feind seiner Ruhe, seines Lebens sehen, und mit ihm sprechen.
Rudolph (äußerst schwach und matt.): „O Elender! Warum nicht früher? Warum eben jetzt, da ich den kleinsten meiner Finger nicht zu rühren vermag? Doch ich gehe bald hinüber in jene Welt, deren Bewohner du bist. Dort, falscher, tückischer Ratgeber, dort soll meine Rache dich so lange verfolgen, bis sie gesättigt ist. (Weinend.) Peter! Peter! Was tat ich dir, daß du mich so elend gemacht hast?“
Peter: „Sei ruhig, Rudolph! Das was ich begann, begann ich zum besten deiner, zum Wohl deiner ganzen Familie. Das Fieber hat jetzt deine Leidenschaft geschwächt, deine Sinne gelähmt; deine Seele ist jetzt fähig, Recht und Unrecht zu unterscheiden, Gutes vom Bösen zu sondern. Höre und urteile, ob ich nicht als dein Freund handelte, nicht für deine Ehre sorgte!“
Rudolph: „O, daß du dafür ewig in der Hölle brennen müßtest!“
Peter: „Unterbrich mich nicht, und höre meine Erzählung! Vor mehr als 25 Jahren zog der alte Ottenweil, kraft eines Gelübdes, nach Palästina, um dort drei Jahre lang gegen die Sarazenen zu fechten. Er erfüllte sein Versprechen treu und redlich. Die Schärfe seines Schwertes fühlte mancher tapfere Sarazene, und als die Christen Joppe5 bestürmten, war er der erste auf den Mauern. Da die drei Jahre seines Gelübdes um waren, und er auf ein Schiff zur Überfahrt nach Welschlands6 Ufern harrte, sah er einst im Hafen ein Mädchen; niederen Stand und Dürftigkeit verriet zwar ihre Kleidung, aber ihr Gesicht war die Schönheit, und ihr Wuchs die Anmut selbst. Er fühlte zum erstenmal, wie du, die Allgewalt der Liebe, er wandte alles an, um mit dem Mädchen bekanntzuwerden, und sie zu bereden, daß sie nur eine einzige Nacht, ihr Lager mit ihm teilen möchte. Des Mädchens Vater war ein armer Schneider, der den christlichen Reisigen Kleider flickte, und oft des Tags nicht satt Brot für sich und sein einziges Kind verdiente. Aber so arm er war, ebenso tugendhaft war auch Vater und Tochter. Sie verwarfen beide standhaft die prächtigen Geschenke des reichen Ritters, und ob ihn gleich das Mädchen liebte, so gewährte sie seiner heißen Bitte doch nie einen Kuß, nie einen Druck der Hand. Dieser nie zu besiegende Widerstand vermehrte des Ritters Liebe zu solch einem Grade, daß er im höchsten Taumel derselben das Schneidermädchen zur Frau und Erbin seines Vermögens machte. Als der Priester sie auf ewig verbunden hatte, und der Ritter mit der Schneiderfamilie traulich am Tisch saß, stand der Vater des Mädchens auf, heischte Stille, und überreichte auf einem Teller dem staunenden Ritter einen Knäul Zwirn, der um und um mit Nähnadeln groß und klein besteckt war. Hier, sagte er ernsthaft, hier übergebe ich dir in Gegenwart aller das Erbteil und die Mitgift meiner Tochter. Mehr habe, mehr vermag ich nicht! Und obwohl dich dieser Knäul stets an den niedrigen Stand deiner Gattin erinnern wird, so sei er dir doch auch ein Beweis, daß sie lieber ewig nähen und flicken, als ihre Tugend für den höchsten Preis verkaufen wollte. – Liebe, einzige Tochter, setzte er endlich hinzu, sollte einst dein Gatte vergessen, was er dir heute am Altar des Höchsten gelobte, sollte er einst, wenn er in seine Heimat kehrt, sich deiner schämen, dich verstoßen; so erinnere dieser Knäul dich, daß deine Hände geschaffen sind, dich selbst zu ernähren, und daß man nie ganz unglücklich, ganz verlassen ist, wenn man etwas Nützliches gelernt hat.
Höchst glücklich verfloß das erste halbe Jahr dieser seltsamen Ehe, minder glücklich die andere Hälfte, denn Ritter Ottenweil dachte jetzt an die Wiederkehr in sein Vaterland, und zitterte, wenn er vor Deutschlands stolzem Adel mit einer Schneiderstochter an der Hand erscheinen sollte. Noch innig, noch heftig liebte er seine Gattin, aber sich um ihretwillen auf immer zu verbannen aus seiner Verwandten Kreis, zu vergessen sein väterliches Erbe, und nimmer wiederzusehen seine Feste, das schien ihm doch auch hart und grausam. Seine Gattin gebar ihm bald darauf eine Tochter, aber die Stunde ihrer Geburt war auch die Stunde des Todes ihrer Mutter. Ottenweil fühlte diesen Verlust schrecklich, und seine Liebe teilte sich der kleinen Regina mit, die das Ebenbild seiner Gattin war. Dies unschuldige, dies einzige Geschenk der nun ewig verlorenen, noch immer Geliebten, in den Händen des Großvaters zurückzulassen, sich ganz zu trennen von allem, was ihm so wert, so teuer war, vermochte er nicht. Er sann daher auf Mittel, sein Kind immer bei sich zu haben, es glücklich zu machen, und fand diese Mittel an Konstantins7 Hof. Die verschwenderischen, immer bedürftigen Höflinge verkauften ihm um 1.000 Goldstücke ein vollgültiges Zeugnis, daß Ritter Ottenweil mit einer edlen, aus altem Geschlecht stammenden Griechin verehelicht gewesen, und mit ihr eine Tochter, namens Regina, gezeugt habe. Zu mehrerer Bekräftigung gab man ihm noch einen beglaubigten Stammbaum mit, und Ottenweil reiste, mit seinem Kind im Arm, vergnügt und froh nach Deutschland zurück. Hier bewies er den Adel seiner Tochter, heiratete bald darauf eine der reichsten Fräulein, und zeugte mit ihr noch zwei Töchter. Aber immer blieb Regina sein liebstes Kind, und beschlossen war’s in des Vaters Herzen, ihr die größte Hälfte seines Vermögens zum Brautschatz mitzugeben.“
Rudolph: „Ha! Nun seh ich alles klar und deutlich! Nun erkläre ich mir des Ritters Zorn, seinen grimmigen Blick, und seinen grausamen Schwur.“
Peter: „Und überzeugst dich doch auch zugleich von der redlichen Absicht deines Freundes, der, weil er deine heftige Leidenschaft nicht durch guten Rat zu hindern vermochte, dir ein unschuldiges Mittel in die Hand gab, der Schande zu entgehen? Dein ritterliches Geschlecht blühte 500 Jahre, trug die herrlichsten Früchte, und sollte nun durch eine Schneiderstochter im ganzen Stamm verdorben werden? Sollen deine Kinder einst Zwirn und Nähnadel im Wappen führen, und, ausgehöhnt von allen, am Turnierschranken beschämt vorüberschleichen?“
Rudolph: „Entschuldige dich, wie du willst, kalter Greis, ich hasse dich doch ewig. Wer hätte dies Geheimnis gewußt? Wer hätte es nur mutmaßen können? O, ich hätte so glücklich mit Regina gelebt!“
Peter: „Der Verräter schläft nie. Am griechischen Hof ist die Geschichte nicht so ganz unbekannt. Der deutschen Ritter sind jetzt viele in Palästina. Wer haftet dir dafür, daß nicht heut oder morgen einer wiederkehrt, das Wappen im Turniersaal zerbricht, und dich auffordert, es besser, es gültiger als durch bezahlte Zeugnisse zu beweisen?“
Rudolph: „So geh, und laß mich sterben!“ (Seine Wangen glühten, und die Fieberhitze kehrte aufs neue zurück.)
Peter: „Sei ruhig, Rudolph, sei Mann, und höre mich! Ich habe meine Pflicht erfüllt, habe als Vater, als Freund, dich gewarnt vor dem Abgrund, in den du mit geschlossenen Augen dich stürzen wolltest. Willst du sie noch nicht öffnen, so ist es neue Pflicht des Freundes, dich so lange zu leiten und zu führen, bis du der Gefahr entgehst. Deine Liebe ist zu heftig, die Natur vermag ihr nicht zu widerstehen; sie unterliegt, kämpft sie länger. Erwache also, Rudolph, erhole dich, und führe Regina als deine Braut nach Hause.“
Rudolph: „Spötter! Wird der Alte sie mir wohl jetzt gewähren? Wird er den Schwur nicht halten, den mein unwissender Spott ihm abzwang?“
Peter: „Das wird er fest und sicher! Aber gibt’s denn der Wege nicht mehr? Mußt du denn eben auf der Heerstraße wandeln, wenn ein Seitenweg dich näher zum Ziel führt?“
Rudolph: „Zeige mir diesen Weg, und müßte ich über jähe Felsen klettern, über offene Abgründe mich schwingen, ich will sie kühn wandeln, wenn ich am Ende meine Regina finde.“
Peter: „Sei also munter, sei fröhlich! Regina soll dein werden. Ihre Liebe zu dir ist noch immer gleich stark, gleich heftig; des Vaters hartnäckiges Stillschweigen über die Ursache seiner Verweigerung vermindert die Neigung, die sie sonst so eng an ihn kettete. Sie fängt schon an den Vater zu hassen, der ihr ihren liebsten Wunsch nicht gewähren will, und ist bereit, sich in deine Arme zu werfen. Stärke mit Ruhe deine Kräfte, mache dich dann auf, und reite hin nach Ottenweils Feste. Du wirst täglich deine Regina bei der Abenddämmerung im Tannenwäldchen treffen. Beschreibe ihr deine Qual, schildere des Vaters Härte, und traue meinen Worten nie mehr, wenn sie nicht gutwillig dein Roß mit dir teilt, und in deinen Armen nach deiner Feste trabt. Genieße dann deiner Liebe, und ihrer Reize, solange dir’s behagt, und der Taumel dauert.“
Rudolph: „Nein, Falscher, nein –“
2 Ca. 60,00cm.
3 Tanten.
4 Als Reisige wurden im Mittelalter gewappnete Dienstleute oder berittene Begleitpersonen bezeichnet.
5 Das heutige Tel Aviv-Jaffa.
6 D. i. Italien.
7 D. i. der byzantinische Kaiser Konstantinos Komnenos Laskaris. Er regierte nur ein Jahr: 1204.
Peter: „Unterbrich mich, nicht! Ich errate deine Bedenklichkeit. Du fürchtest des Vaters Rache vergebens. Der Alte wird froh sein, wenn du sein Geheimnis verschweigst, und zum Lohn dieser Verschwiegenheit insgeheim seiner Tochter Reize genießest. Sollte er aber wirklich so unvernünftig sein, zu toben und Rache zu fordern, so überlaß die Sorge mir; du kennst meine Macht, und weißt aus Erfahrung, daß ich der Westerburg Feste stets zu beschützen weiß.“
Rudolph (sich munter aufrichtend.): „Ich will den ersten Teil deines Plans befolgen, aber den anderen überlaß meinem Gefühl. Ich bin ein Deutscher; ich kenne Ritterpflicht, und will mein Gewissen, meine Ehre nicht mit jungfräulichem Raub beflecken. Willigt Regina ein, so führe ich sie auf meine Feste. Da soll der Priester schon unserer harren, und uns auf ewig verbinden. Der mit Recht erzürnte Vater wird dann leichter zu versöhnen sein, wenn ihm der Priester diese Nachricht bringt, und ich ihm überdies meine Unschuld beweise. Mag dann spät oder früh ihre Geburt entdeckt werden. Mein Vermögen kann mir niemand rauben, und in Reginas Besitz werde ich doch glücklich leben, wenn auch meine Wappen nicht im Rittersaal hängen, und ich nicht mehr im Turnier meine Kräfte verschwenden kann. Steh mir in meinem Vorhaben bei, wenn du’s anders redlich meinst, und ich nicht wähnen soll, du seist ein böser Geist, ausgesandt, die Menschen zu verführen.“
Peter (ihn umarmend, mit Tränen.): „Sei gesegnet, echter Sproß deiner vortrefflichen Ahnen! Du hast die Probe ausgehalten; hast bewiesen, daß wahre Tugend in deinem Herzen keimt. Deine Liebe, dein Biedersinn ist bewährt, gehe hin, und sei glücklich mit Regina. Nicht Adel, nicht Reichtum, nicht äußere Vorzüge machen glückliche Ehen. Innige Liebe, Freundschaft, reine Grundsätze der Tugend knüpfen nur allein feste Bande, welche die Stürme des Unglücks nicht zu zerreißen vermögen. O Sohn! Sohn! Wie mir so wohl ist! Ich habe dich bewährt gefunden, und eine gute Tat vollenden helfen. – Stoff der Freude für mich auf ein volles Jahrhundert! Pflege dich jetzt, sammle deine Kräfte, vollziehe dein Vorhaben, und sei glücklich! Bald will ich dich wiedersehen.“
Rudolph (erstaunt und entzückt.): „Guter Engel, nimm wenigstens meinen innigen Dank mit dir, und –“
Verschwunden war der kleine Peter, und Rudolph schlief nach acht Tagen zum erstenmal ein. Er erwachte munter und fröhlich, und fand sich am dritten Tag schon so gestärkt, daß er sein Lager verlassen, und Anstalten zu Reginas Entführung treffen konnte. Einige Getreue begleiteten ihn am anderen Tag nach Durnstein; Rudolphs Kaplan war von der ganzen Sache unterrichtet, und sollte in der beleuchteten Kapelle bis Mitternacht auf seine Ankunft harren; denn Rudolphs ernstlicher Vorsatz war, mit seiner Entführten sogleich zum Altar zu treten und vor diesem sich mit ihr auf ewig zu verbinden. Wie die Sonne aufging, begann der Zug, und wie sie sich zum Untergang neigte, schlich der ängstlich harrende Rudolph im Tannenwäldchen umher, und spähte nach Regina. Schon zweifelte er, heute der glücklichste unter den Sterblichen zu werden, als er sie von der Feste herab dem Wäldchen zueilen sah. Er fand sie bald, sprach mit ihr, entdeckte sein Vorhaben, beantwortete jeden Einwurf, und was er nicht widerlegen konnte, überwand die allmächtige Liebe. Regina widersprach mit dem Mund zwar noch immer, aber sie ließ sich willig zu Rudolphs Rossen führen, bestieg willig eines derselben, und sah es gerne, daß Rudolph ihr an der Seite ritt, und sie mit seinem starken Arm unterstützte. Die Nacht brach an, als sie von Durnstein wegritten; sie war beinahe verflossen, als sie in Westerburgs Feste ankamen. Von Ferne glänzte schon die erleuchtete Kapelle, und Regina vergaß nunmehr ganz, daß ihr Vater sie erwartete, vielleicht schon ängstlich allenthalben suchte; sie sank in die Arne des innig Geliebten, der nun bald ihr Gatte, ihr ewiger Gefährte werden sollte.
Schon waren sie in die Kapelle gezogen, schon knieten sie an den Stufen des Altars, als Rudolphs Knappe sich nahte, und ihm versicherte, daß Heute die Trauung unmöglich vor sich gehen könne, weil der Kaplan seit einer Stunde plötzlich krank geworden, heftig über Kolik klage, und vor Schmerzen auf der Erde sich wälze. Rudolph ging mit Regina an der Hand in das Gemach des Kaplans, und sie selbst sah, daß der Arme nicht einmal sprechen konnte. Rudolph bedurfte daher nicht vieler Gründe, um das erschrockene Mädchen zu überreden, daß morgen ja auch ein Tag sei; er beruhigte sie sogar gänzlich, als er ihr versprach, daß er mit dem Frühesten nach einem Priester des nahen Klosters schicken wolle, der sie auf ewig verbinden, und dann dem Vater die Nachricht hinterbringen würde.
Man ging nun zum festlichen Mahl, das Rudolphs Diener zubereitet hatten, und als dieses zu Ende war, führte Rudolph seine Geliebte nach einem Gemach, das er in der Eile für sie zubereiten ließ. Wie sie den gewölbten Gang hinuntergingen, schien der Vollmond lieblich durch die langen gotischen Fenster; Regina verlangte dies Sinnbild der Liebe näher, freier zu sehen, und Westerburg führte sie sogleich auf eine Altane.8 Hier standen nun die innig Liebenden, und sahen starr in die runde Scheibe des freundlichen Mondes. Es war eine der angenehmsten hellsten Sommernächte; kein Lüftchen wehte, kein Wölkchen trübte den heiteren Himmel, an welchem Sterne ohne Zahl funkelten. Die ganze Natur schien sanft zu schlafen. Nur das Zirpen der Grille, und der Ruf der Eule vom Turm herab, verkündigte den Liebenden, daß auch außer ihnen noch Geschöpfe wachten.
Regina (sich an Rudolphs Brust schmiegend und aufblickend zum Mond.): „Siehst du das Sinnbild unserer Liebe? Voll und glänzend! O möchte auch unsere Liebe stets so voll, so innig sein!“
Rudolph: „Das wird sie! Das wird sie!“
Regina: „Möchte sie nie, wie er abnehmen, oder gar einst, wie er vor Menschenaugen verschwinden!“
Rudolph: „Nie! Nie! Und sollen Leiden sie trüben, Unglück sie verfinstern, so wird sie stets wiederkehren, und wie er in stiller Ruhe glänzen.“
Regina: „Mein Herz wünscht, hofft und glaubt es! (Über Altane hinabblickend.) Wie schönes ist! Wie alles so ruhig schläft! Was säuselt dort am Ende so lieblich?“
Rudolph: „Es ist ein kleines Wäldchen, das einer meiner Vorahnen pflanzte. Angenehm und kühl wandelt sich drin, wenn die Mittagssonne die ganze übrige Gegend mit Hitze füllt.“
Regina: „O, laß uns hinabgehen! Der Schlaf flieht heute mein Auge. Ich fürchte mich allein im Gemach; mein Gewissen wird mit mir wachen, und mich zur Verantwortung ziehen, daß ich einen so guten Vater verließ, daß ich eine Entflohene, Entführte und noch nicht Gattin bin.“
Rudolph: „Aber es morgen mit dem Frühesten sein sollst!“
Nun stiegen sie hinab; wandelten Arm in Arm dem Wäldchen zu. Sein Schatten nahm sie auf, und machte Rudolph bald kühner, Regina nachgebender. Glühende, anhaltende Küsse begannen, und – nach einer halben Stunde sprang Regina wild und scheu aus dem dunklen Hain hervor. Ihr gelöstes Haar flatterte unordentlich herum und verwickelte sich in die Falten des Kleides. Sie rang die Hände schlug sich wieder Brust und Stirn, und nannte sich verloren und unglücklich.
Umsonst bemühte sich der nacheilende Rudolph sie zu trösten; umsonst versprach er ihr, sie nicht eher als an der Hand eines Priesters wiederzusehen! Sie hörte, sah nichts als ihre Schande; nannte ihn Mörder ihrer Unschuld, und entfloh schnell nach dem ihr angewiesenen Gemach. Ein Glück für sie, daß die bezechte Dienerschaft schon schlafend auf ihre Ankunft harrte, und ihre Verzweiflung nicht sah, ihr Wimmern nicht hörte; auch Rudolph weckte keinen derselben und ging zitternd nach seinem Gemach.
„Der kleine Peter“, dachte er, „wird meiner harren und Rechenschaft fordern über die Tat, die ich so unwillkürlich, so übereilt begann.“ Aber seine Furcht war diesmal vergebens; Peter kam nicht, und Rudolph brachte die Nacht mit Entwürfen zu, wie er Regina beruhigen, sich mit ihrem Vater versöhnen, und ein häusliches, glückliches Leben führen könne.
Schon am frühen Morgen trat er mit einem Priester an der Hand vor Reginas verriegeltes Gemach; leise klopfte er anfangs, und beschwor sie, ihm die Tür zu öffnen; als aber Stunden verflossen, und sie nicht antwortete, besiegte seine Ungeduld jede Bedenklichkeit. Er sprengte die Riegel, und sah seine innig Geliebte in ihrem Blut schwimmend auf der Erde liegen. Sie hatte in ihrer Hand einen blutigen Dolch. Ihr erstarrtes, noch halb offenes Auge war auf ein Gemälde gerichtet, das von Rudolphs Ahnen einer in Palästina erkauft hatte. Dies Bild stellte die keusche Lucretia9 vor, wie sie über den Verlust ihrer Unschuld verzweifelnd sich den Dolch in die Brust stieß. Reginas noch im Tode dahin gekehrter Blick bewies deutlich, daß sie wie Lucrezia verzweifelt, wie diese geendigt habe.
Ich vermag’s nicht, die schreckliche Szene zu schildern, die nun folgte. Rudolphs Zustand war anfangs Sinnlosigkeit, die bald zur Verzweiflung, zur Raserei überging. Wäre nicht der Priester, nicht das ganze Heer seiner Knechte zugegen gewesen, er wäre seiner Regina gefolgt, und den fürchterlichen Prüfungen entronnen, die ihm noch bevorstanden. Ein einziger kleiner Seitenschritt vom geraden Pfad führte ihn vom Irrweg zum Irrweg, immer tiefer, immer näher dem Abgrund, der ihn endlich auch verschlang. Merke dir’s, Jüngling, merke es, unerfahrenes Mädchen! Euch zu belehren, entreiße ich diese Geschichte den Motten, die schon längst an ihr nagten. Es ist so leicht, abzuweichen vom geraden Weg, und so äußerst schwer, die Bahn wiederzufinden.
Mit Gewalt entfernte man den wütenden Rudolph von Reginas Leichnam; mit Gewalt warf man ihn auf sein Lager, gürtete seine Hände, und wachte bei ihm. Er hörte nicht auf die Trostgründe der Religion, sah nur sein erblaßtes Mädchen, und knirschte mit den Zähnen. Der Priester gab dem alten Ottenweil Nachricht von allem. Der trostlose Vater holte die Leiche seiner Tochter selbst ab; er vermochte nicht Rache zu fordern an ihrem Verführer, weil er selbst seinen schrecklichen Zustand sah, und mit ihm weinte. Bald folgte er dem Kind seines Herzens nach, und wie Rudolph sein Lager wieder zu verlassen, seinen Schmerz wenigstens zu fassen vermochte, moderte der alte Ritter schon an Reginas Seite.
Nach drei langen Monden besuchte Rudolph zum erstenmal die Jagd wieder. Er irrte traurig, mutlos, im Forst umher, kam leer nach Hause, denn noch hatte er nicht Mut, Blut zu vergießen, weil er in diesem Zustand immer sein Mädchen vor sich sah. Schwermut hatte sich seiner bemächtigt, freudenleer war sein Herz, offen jeder Empfindungen des Leidens, verschlossen vor allen Vergnügungen des menschlichen Lebens. Die Mitternachtsstunde fand ihn wachend, und der kleine Peter trat vor sein Bett, über seine Schultern hing ein langer Trauerflor, über seine hohlen Wangen rollten Tränen herab.
Rudolph (vor seinem Anblick zitternd und bebend.): „Was willst du? Wo kommst du her?“
Peter: „Vom Grab deines Mädchens! Seit drei Monden zolle ich dieser Unglücklichen täglich Tränen. Ich hoffte immer, dich dort zu treffen, und fand dich nie!“
Rudolph: „Dein Vorwurf ist gerecht, ist der gelindeste, den du mir machen kannst. Morgen will ich hinpilgern zu ihrem Grab! Will ihr die letzte Pflicht erweisen!“
Peter: „Rudolph! Warum sucht sich dein Auge vor mir zu verbergen? Warum kann es meinen Blick nicht ertragen?“
Rudolph: „Weil ich mich schäme! Immer bangte mir vor der Stunde des Wiedersehens! Ich fürchtete Vorwürfe zu hören, die mir doppelt schrecklich sein werden, weil ich sie verdient habe.“
Peter: „Du hättest weit mehr verdient. Ich warnte dich so väterlich, zeigte dir deine Tat im Bild, und du vergaßest alles. Doch der Vorhang ist gefallen! Reue kann die vollendete Tat nicht unbegangen, aber sie kann dich für die Zukunft weiser machen. Wo ist der Sterbliche, der nie strauchelte, nie fiel? Tausende fallen hundertmal, und stehen unbeschädigt wieder auf! Du fielst zum erstenmal, und brachst sogleich ein Bein. Eine Erfahrung, die dich belehren wird, den Stein des Anstoßes künftig zu vermeiden.“
Rudolph: „O lieber, guter Alter! Jedes deiner Worte ist Balsam für mich! Du hast Recht; ewig will ich die Weiber meiden, ewig sie fliehen!“
Peter: „Wie übereilt! Wie unbesonnen! Soll der – damit ich mein Gleichnis ende – soll der, welcher ein Bein brach, nie mehr gehen, immer sitzen, um nie Gefahr zu laufen, das zweite zu brechen?“
Rudolph: „Ich fasse dich nicht ganz!“
Peter: „Also frei und offen! Weil dich deine Leidenschaft einmal unrecht besiegte, so willst du nicht mehr lieben? Willst nie genießen das süßeste Los der Menschheit? Wie ungerecht! Mäßige sie, fliehe die Gelegenheit, daß sie dich nie zur unrechten Zeit besiegen kann, und du wirst glücklich sein.“
Rudolph: „Wie? Ich sollte! Ich könnte! Nein, nimmermehr kann ich Regina vergessen! Nie einer anderen huldigen!“
Peter: „Was dir jetzt unmöglich scheint, wird die Zeit sehr möglich machen. Trauer um die Geliebte, um die unschuldig Gemordete ist Pflicht. Erfülle diese, und denke dann an die übrigen, die du als Mann, als Mitgenosse der Welt, zu erfüllen hast.“
Peter war verschwunden, und Rudolph wunderte sich sehr, daß ihm der Geist nicht härtere Vorwürfe gemacht hatte. Er überlegte zum erstenmal die ganze Sache ernstlich, und fand am Ende, daß der Geist ihm auch keine stärkeren machen könne, weil er zwar aus Übermaß der Liebe gefehlt, aber diesen Fehler doch auch auf der Stelle wieder gut zu machen bemüht gewesen war. Das blutige Ende lag freilich noch schwer auf seiner Seele, aber die Ursache desselben schob er ganz auf Reginas überspannte Begriffe von Ehre.
Früh schnallte er seine Trauerrüstung um, und eilte langsam nach Reginas Grab. Die Bilder der Vergangenheit gaukelten vor seiner trauernden Seele: „Hier“, dachte er, „ritt ich mit ihr Arm in Arm! Hier fand ich sie! Hier eilte sie mir entgegen! O wie war ich damals so glücklich, so froh! Liebe, deine Freuden sind ebenso unüberschwenglich, wie deine Leiden! Du bist bitterer als Wermut; aber auch weit süßer als Honig!“
Es war eben einer jener unbeschreiblichen Tage des Herbstes, an welchem, die Natur so sichtbar von ihren Bewunderern Abschied nimmt, und dem langen Winterschlaf entgegeneilt. Dünnes Gewölk hatte den ganzen Himmel überzogen, und hing einem Flore gleich vor der Sonne; nur hier und da stahlen sich einzelne Strahlen durch, und erleuchteten matt die ganze Gegend; kein Lüftchen regte die Bäume des blaßgelben Waldes, und doch unterbrach stetes Flüstern und unaufhörliches Geräusch die feierliche Stille; denn immer nahm ein Blatt ums andere Abschied von dem mütterlichen Ast, der es bisher genährt, gepflegt, und wenn Sturm wütete, fest an sich gehalten hatte. Leise flüsternd sank es herab zur Verwesung! Die Bewohner des Waldes sangen nicht mehr; man hörte nur hier und da ihr Rufen! O es war so ganz unterschieden von den Rufen des Gatten im Frühling, von den bangen Klagen der ängstlichen Mutter nach ihren entflohenen Jungen. Es war der Ton des Abschieds, der Zuruf des besorgten Wanderers, wenn seine Mitgefährten vom rechten Weg sich entfernen! Die Felder waren so kahl, so öde. Ihre Zierde, ihr Schmuck ruhte schon längst in der Scheuer des Landmanns! Das forschende Auge trauerte mit ihnen, und weilte nur hier und da vergnügt auf den einzelnen Flächen der grünenden Wintersaat, die uns so deutlich an ein künftiges Erwachen und Wiedersein erinnert!
O, wer an einem solchen Tag über Feld wandert, und sich nicht bei jedem Schritt des Todes erinnert, der mache eilend sein Testament; er wird ihn sonst unbereitet übereilen! Auf Rudolph wenigstens machte dieser Tag doppelten Eindruck; sein verschlossenes Herz öffnete sich jedem Bild des Todes willig, sein Auge weinte unwillkürlich, und als er sich Reginas Grabhügel nahte, als er sah, wie die darauf gepflanzten Blumen hinwelkten, und die Blätter ihrer Blüte zerstreut da lagen, da sank er trostlos hin, und jede Wunde blutete von neuem.