Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2018 Volker Himmelseher
Umschlagdesign, Satz, Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH
ISBN 978-3-7460-2740-1
Im Zuge der Globalisierung kamen sich in der immer stärker vernetzten Welt Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Religion näher und mussten sich verstärkt um ein friedliches Zusammenleben bemühen.
Fundamentalistisches, radikalreligiöses Gedankengut sowie starke Egoismen wurden Feinde eines gedeihlichen Miteinanders und Nährboden für Bedrohungen.
Ausgerufen von einem Kalifen, einem vermeintlichen Stellvertreter Allahs auf Erden, entstand in der arabischen Welt über Ländergrenzen hinweg ein blutrünstiges Kalifat.
Nicht zum ersten Mal standen sich dadurch unterschiedliche Wertmaßstäbe der Christen und Moslems streitbar gegenüber.
Das Buch befasst sich mit Aspekten dieser Entwicklung. Augen und Herzen der Leser treffen auf grausame und berührende Bilder.
Fragen werden beantwortet oder bleiben auch offen. Sie regen auf jeden Fall zum Mitdenken an.
Die erzählten Geschehnisse fußen auf wahren Begebenheiten. Schriftstellerische Freiheit erlaubte es dem Verfasser, ihm wichtig erscheinende Tatbestände auszuwählen und zu einem verständlichen Überblick über das Ganze zusammenzuführen.
Mit dem Titel Kalif wird in der islamischen Welt ein Nachfolger oder Stellvertreter des Gesandten Allahs bezeichnet. Als Gesandter gilt der Prophet Mohammed. Einige Gelehrte verstehen unter dem Kalifen sogar den Stellvertreter Allahs auf Erden. Doch das wird von den meisten Moslems zurückgewiesen. Sure 112 verbietet, dass ein Mensch Gott gleich sein kann. Damit steht diese Interpretation nach ihrer Auffassung im Widerspruch zum Koran.
Dem Kalifen fällt die weltliche und geistliche Führerschaft der islamischen Religionsgemeinschaft zu. Er ist Führer der religiösen Bewegung selbst sowie Herrscher über den Machtbereich, in dem die Religion gelebt wird. Er muss als Anführer Sorge tragen, dass das islamische Recht befolgt wird, und hat die islamische Botschaft in die Welt zu tragen, also den Machtbereich zu vergrößern.
Für jeden Muslim ist es, nach Meinung vieler Schriftgelehrten, Pflicht, einen Kalifen zu wählen.
Seine Autorität gilt es zu schützen, und jeder muss bekämpft werden, der sich gegen ihn stellt.
Als Kalifat bezeichnet man seine Herrschaft, sein Amt und auch sein Reich.
Historisch gesichert gibt es einen Kalifen seit dem Jahr 632, dem Todesjahr Mohammeds.
Die Abfolge der Kalifen zeigt unterschiedliche Schwerpunkte ihrer Amtsführung.
Der Prophet hatte keinen lebenden männlichen Nachkommen und empfahl auf dem Totenbett Abu Bakr als seinen Nachfolger. Abu Bakr hatte als sein erster Gefolgsmann den Islam angenommen, war der Vater von Mohameds Lieblingsfrau Aischa und ein begüterter Kaufmann. Mohamed fand mit seinem Vorschlag die Billigung der Gemeinschaft.
Abu Bakrs Amtsführung gestaltete sich einfühlsam und warmherzig. Er setzte sein Habe zur Stärkung des Islams ein. Seine Amtszeit währte jedoch nur zwei Jahre. Mit 63 Jahren starb er bereits.
Abu Bakr sprach vor dem Tod ebenfalls eine Empfehlung für die Nachfolge aus. Umar ibn Khattab sollte nach ihm Anführer werden. Dessen Bekehrung zum Islam verlief schwieriger als die Abu Bakrs. Anfänglich wollte er Mohammed sogar töten. Er glaubte, der Prophet spalte mit seiner Lehre die Gemeinschaft. Kurz vor einem Anschlag auf Mohammed traf Umar auf seine Tochter Fatima und erfuhr, dass sie zum Islam übergetreten war. Nach nochmaligem Überdenken gab er seinen Mordplan auf und wurde ebenfalls zum Verfechter des Propheten und dessen Lehre. Er führte forthin den Kalifentitel Befehlshaber der Gläubigen.
Unter Umar expandierte das islamische Reich. Bis 632 gewann er Einfluss in Syrien, 636 folgte Mesopotamien, bis 642 kam Ägypten hinzu und nach dem Sieg von Nihawand folgten Teile des Irans. Mit diesem Sieg besiegelten die arabischen Eroberer das Ende des persischen Sassanidenreichs.
Zehn Jahre blieben Umar für seine Regentschaft. Er legte besonderes Augenmerk auf das islamische Recht und sorgte mit Strenge für dessen Einhaltung.
644 wählte die Glaubensgemeinschaft als dritten Kalifen Uthman ibn Affan, einen Schwiegersohn des Propheten, der sein Schreiber gewesen war. Uthman blieb seiner Passion zu schreiben treu. In seiner Amtszeit wurde der Koran abgefasst und im gesamten Herrschaftsgebiet in Schriftform verbreitet. Den Expansionskurs seines Vorgängers setzte er fort. 647 eroberte er das heutige Libyen. Weitere Teile des Irans kamen hinzu, und sein Vormarsch ging bis Anatolien. Bald machte er sich immer mehr Feinde. Man warf ihm vor, die Sippe der Umayyaden, der er angehörte, zu bevorzugen. Nach zwölf Jahren Amtszeit wurde er von seinen politischen Gegnern ermordet.
Die waren vor allem Anhänger von Ali ibn Abi Talib, einem Schwiegersohn und Neffen des Propheten, also dessen leiblichen Abkömmling. Uthmans Gegner sahen deshalb in ihm den ersten richtigen Nachfolger des Propheten. Sie wählten Ali 656 zum Kalifen und setzten sich in der Entscheidungsschlacht von Siffin gegen die Umayyaden durch. Als die späteren Schiiten forderten sie von zukünftigen Kalifen die leibliche Verwandtschaft mit dem Propheten. Die Mehrzahl der Moslems gab sich jedoch damit zufrieden, dass ein Nachfolger aus dem Stamme des Propheten, den Kureishi, kam. Sie nannten sich später Sunniten.
Auch die sunnitischen Rechtsgelehrten verschärften mit der Zeit die Anforderungen an einen Kalifen und verlangten von einem Aspiranten sieben Qualitätsmerkmale:
Auch diese strengen Vorgaben konnten die Meinungsverschiedenheiten zwischen Sunniten und Schiiten nicht beenden.
Mit Ali ging die Epoche der »rechtgeleiteten« Kalifen zu Ende. Er fiel 661 einem Attentat zum Opfer.
Alle vier Kalifen hatten aufopferungsvoll für den Propheten und den Islam gekämpft. Weltliche Macht war für sie weitgehend unbedeutend geblieben. Sie gewährten sich kaum Privilegien.
Nach 661 kamen die Umayyaden zurück an die Macht. Sie besannen sich auf weltliche Machtfülle und deren Zurschaustellung. Muavya, der ehemalige Statthalter von Syrien, wurde der 5. Kalif. Er gönnte sich einen Palast in Damaskus und hatte eine große Anzahl von Leibwächtern. Unter den Umayyaden wurde das Kalifat zur Erbsache, wenn nicht militärische Auseinandersetzungen anderes ergaben.
So übernahmen beispielsweise die Abbasiden 749 durch Kampf die Macht. Bis dahin ging der Expansionskurs weiter. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts kamen der Maghreb, die Iberische Halbinsel, Transoxanien mit den alten Metropolen Samarkand und Buchara sowie das Industal hinzu.
Die Abbasiden verlagerten die Amtsführung nach Bagdad. Fast alle Sunniten erkannten die neuen Herrscher an.
1258, nach der Eroberung Bagdads durch die Mongolen, regierten abbasidische Kalifen unter der Kontrolle der Mameluken von Byzanz aus weiter. Mameluken waren Militärsklaven meist türkischer oder kaukasischer Herkunft.
1453, nach dem Fall von Byzanz, fiel das Kalifat an die Osmanen. Die herrschten nicht unumstritten, weil sie ihre Herkunft nicht wenigstens vom Stamm Kureishi ableiten konnten. 1924 wurde das Kalifat von ihnen ganz abgeschafft.
Seitdem hielt sich in der muslimischen Welt der Traum von einem neuen islamischen Staat, einem starken Kalifat.
Ein über die Landesgrenzen hinausgehendes Reich sollte wiederauferstehen.
Die inzwischen künstlich gezogenen Grenzen um Staaten mit unterschiedlichen nationalen Interessen standen dem Traum entgegen. Die Grenzen waren ein Relikt der Kolonialzeit, ein Machwerk der ungläubigen Kolonialherren und ihrer Diplomaten.
Das Sykes-Picot-Geheimabkommen von 1916 wurde für gute Moslems zur Dauerkränkung durch die westlichen Nationen.
Großbritannien und Frankreich hatten schon vor Ende des Ersten Weltkriegs über die Aufteilung des osmanischen Kalifats verhandelt, also bevor es von den Osmanen selbst aufgelöst wurde. Die beiden Länder waren sich mit Russland einig geworden, es sollte dem multiethnischen und multireligiösen osmanischen Reich an den Kragen gehen.
Bei ihrem Gefeilsche wurden die Ölquellen im Nahen Osten, besonders im Nordirak, zur wichtigen Verhandlungssache. Besonders die Engländer fürchteten sich mit ihrer großen Marine vor einer Abhängigkeit von amerikanischem Öl. Im März 1916 wurde zwischen den Diplomaten Mark Sykes auf englischer und François Georges-Picot auf französischer Seite das Fell verteilt, und zwar nach dem Motto: Oil, Money and Politics. Die Einwohner der Gebiete hatten am Tisch der Kolonialherren keine Stimme, als künstliche Nationen auf dem Reisbrett entstanden.
In der Region blieben mit Ägypten und dem Iran nur zwei Staaten bestehen, die schon in der Antike existierten.
Die Türkei als Rest des Osmanischen Reichs verdankte eine stabile Existenz dem starken Gründervater Kemal Atatürk, Saudi-Arabien dem Durchsetzungsvermögen von König Salman ibn Abdel Asis al-Saud.
Nach dem Abkommen von Sykes und Picot entstanden weitere englisch-französisch geschaffene Nationen wie der Libanon, Syrien, Jordanien, der Irak und Israel.
Der US-Historiker David Fromkin sprach in diesem Zusammenhang von einem Frieden (zwischen England und Frankreich!), der jeden Frieden (in der Region!) beendete!
Die vereinbarten Grenzen standen jedenfalls dem Traum von einem geeinten islamischen Staat entgegen.
Besonders die fundamentalistischen Islamisten waren es, die ihn weiter verfolgten. Nach 2000 sahen sich zwei Männer als Kalifen prädestiniert. Es war wohl kalkuliert, dass einer der beiden seinem Namen Al-Baghdadi den Zusatz al-Kureishi hinzufügte. …
Viele Moslems teilten deren Ideologie der Gewalt jedoch nicht. Einige der neuen regionalen Herrscher lehnten ein einheitliches Staatsgebilde eh ab, da sie sich mittlerweile selbst als Nachfolger Mohammeds sahen. Zu ihnen gehörten der König von Jordanien und der König von Marokko. Sie bestritten die Notwendigkeit eines neuen Kalifats vehement. Doch die radikalen Kräfte ließen sich nicht abhalten. …
Der Name für ein neues islamisches Staatsgebiet änderte sich mit dem Anspruch des jeweiligen Anführers und der ihm beitretenden Kampforganisationen.
Ab Juni 2003 beteiligte sich der Jordanier Abu Musab az-Zarqawi mit seiner Gruppierung unter unterschiedlichen Namen am sunnitischen Widerstand gegen die Besetzung des Iraks. Im Oktober 2004 schloss er sich der Al-Qaida an.
Im Oktober 2006 folgte die Umbenennung in Islamischer Staat im Irak, ISI. Die Organisationen benannten damit das zunächst beanspruchte Territorium.
Im gleichen Jahr, nach dem Tod Zarqawis, wurden unter neuer Führung neue Ambitionen artikuliert.
Zwischen 2011 und 2014 wandelte sich ISI in den Islamischen Staat im Irak und in Syrien, ISIS, bzw. in den Islamischen Staat im Irak und der Levante, ISIL.
Levante bedeutet im Italienischen Sonnenaufgang und steht für den Osten, das Morgenland. Man schließt darin im weitesten Sinn die Länder des östlichen Mittelmeers ein, die östlich von Italien liegen. Das sind die griechische Halbinsel, die griechischen Inseln in der Ägäis, die mediterranen Küstengebiete der Türkei, Zypern, Libanon, Palästina, das historische Syrien und Ägypten.
Zur Levante im engeren Sinn gehören Syrien, Libanon, Israel und die Palästinensergebiete.
Diese Gebiete wurden auch unter dem Akronym für den arabischen Begriff Al-daula al-Islamija fi-l-Iraq wa-l-Scham, Daesh, genannt.
Am 29. Juni 2014 wurde unter der Führung Abu Bakr al-Baghdadis erstmals in der Moderne ein Kalifat ausgerufen.
Fortan nannte sich die Organisationen nur noch Islamischer Staat. Das ins Auge gefasste Staatsgebiet ging von nun an sogar über die Grenzen des Morgenlandes hinaus.
Die Mitglieder in den Kampforganisationen fanden die Rechtfertigung für ihr Tun in fundamentalreligiösen Dogmen und führten voller Stolz entsprechende Bezeichnungen.
Dschihadisten sind Kämpfer, die den Aufbau und die Ausdehnung des Machtbereichs des Islamischen Staates mit den Mitteln der Gewalt erreichen und erhalten wollen.
Mudschaheddin sind ebenfalls gewillt, den heiligen Kampf der Verbreitung und Verteidigung des Islams militant zu suchen.
Salafisten gelten als ultrakonservative Strömung innerhalb des Islams, die die geistige Rückbesinnung auf die Altvorderen (arabisch: Salaf, der Vorfahre) verlangen und damit zu ähnlichen Zielen kommen. Die Bezeichnungen zeigen also Überschneidungen.
Es handelt sich bei all diesen Moslems um Islamisten, die einen Staat nach radikaler Auslegung des Islams organisieren wollen. Islam bedeutet vom Wort her schon vollständige Unterwerfung (unter Allahs Willen), den es anhand des Korans und anderer Vorschriften wortgetreu auszulegen gilt.
Die Gläubigen beabsichtigen damit, alle nicht islamischen Verhältnisse zu überwinden. Sie wollen die Scharia als allgemeingültiges Gesetz. Die umfasst, als unfehlbare Pflichtenlehre, hergeleitet aus dem Koran, alle Lebensbereiche, nicht nur die religiösen.
In den verschiedenen Rechtsschulen ergeben sich allerdings Unterschiede in der Bewertung, Interpretation sowie Beurteilung juristisch belangreicher Handlungen.
Viele Formen der Auslegungen stehen westlichen Rechtsgrundsätzen kontrovers gegenüber.
Der Werdegang eines Jordaniers, der ein modernes Kalifat anstrebte, führt uns in einen blutigen Abschnitt der jüngeren Geschichte.
25 Kilometer nordöstlich von Amman, 569 Meter über dem Meeresspiegel, lag Zarqa, die Blaue genannt.
Die Bergbaustadt mit circa 30.000 Seelen dämmerte unter 27 °C schläfrig vor sich hin.
Man schrieb den 30. Oktober 1966.
Dallah al-Chalaila litt unter der Hitze, denn sie war hochschwanger und kurz vor der Niederkunft.
Das vierstöckige Haus, in dem ihre Familie in einer ärmlichen, aber sauberen Wohnung lebte, hatte in den letzten Wochen die Hitze gespeichert und bot keine Kühle mehr.
Dallah stand unruhig am Fenster und schaute hinaus auf den Friedhof. Aus der Autowerkstatt im Erdgeschoss drang lautes Gehämmer und ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Sie beschloss, sich trotzdem aufs Bett zu legen. Die Last des erwarteten Erdenbürgers lag schwer in ihrem Leib.
Auf dem Bett kreisten nun ihre Gedanken. Angst vor der Geburt kannte sie nicht, sie hatte schon vier gesunde Kinder auf die Welt gebracht. Außerdem war sie voll Gottvertrauen, eine tief religiöse Frau.
In der Wohnung wachte ihre Freundin Züleyha über sie. Für alle Fälle! Die Kinder spielten vor der Tür und ihr Mann Fadhil arbeitete im Rathaus. Er war städtischer Angestellter und froh, einen sicheren Beruf zu haben.
Fadhil war ein guter, besonnener Mann, da war sich Dallah sicher.
Die Familie lebte in einfachen Verhältnissen. Sie war aber stolz auf ihre Herkunft, denn sie gehörte dem großen Beduinenstamm Bani Hassan an, aus dem viele tapfere Soldaten und Offiziere für die jordanische Armee hervorgegangen waren.
Fadhil al-Chalaila war sogar einer der Sprecher der Chalaila-Sippe, die mehr als 1000 Mitglieder zählte.
Ein Zucken fuhr durch Dallahs Körper. Sie kannte das Gefühl, die Wehen hatten eingesetzt. Mit schwacher Stimme rief sie nach Züleyha, sie würde ihr, wie schon viermal, bei der Niederkunft eine Hilfe sein. …
Die Geburt verlief schnell und problemlos. Bald hatte Dallah ein gesundes, gewaschenes Kind in den Armen, und Züleyha strahlte über das ganze Gesicht. Dallah hatte gute Arbeit geleistet. Es war ein Junge!
Mit ihrem Mann hatte Dallah für beide Geschlechter Namen ausgesucht, nun würde der Knabe Ahmad Nazzāl heißen, Ahmad Nazzāl al-Chalaila!
Züleyha ließ durch die Kinder Dallahs Ehemann herbeirufen. Fadhil Nazzāl al-Chalaila kam schnell. An seinem hochroten Gesicht war zu erkennen, wie sehr er sich beeilt hatte. Als er den Jungen in Dallahs Armen liegen sah, zeigte sich Freude auf seinen Zügen, und er lobte seine Frau: »Du hast es wohlgetan, Weib. Sure 4,35 sagt uns, Männer sollen vor Frauen bevorzugt werden. Also ist unser kleiner Ahmad Nazzāl der Richtige. La ilaha illa ‘llah, es gibt keinen Gott außer Allah.«
Seine Frau war erschöpft, aber sie sah ihn mit glänzenden Augen an, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie liebte ihn, für das, was er gesagt hatte.
Ahmed wuchs in eine unruhige Zeit hinein. 1967, nach dem arabisch-israelischen Krieg, strömten Tausende Palästinenser als Flüchtlinge in die Stadt. Das Gepräge der kleinen Tscherkessensiedlung änderte sich dramatisch. Ein riesiges Flüchtlingslager entstand, und die Bevölkerung bestand nun zum größeren Teil aus Palästinensern. Das religiöse Klima wurde streng islamistisch.
Die Palästinenser spielten bald auch politisch eine Rolle. 1970 machte Zarqa ein Ereignis über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Die Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP, zeichnete dafür verantwortlich. Als Reaktion auf das eigene traurige Asylantenschicksal holte sie zum bis dahin größten Schlag gegen die internationale Luftfahrt aus. Mehrere ihrer militanten Kämpfer kidnappten drei Passagiermaschinen:
Am Sonntag, dem 6. September, befand sich eine Maschine der Swiss Air auf dem Flug Zürich-New York. Sie hatte um 12:40 Uhr mit 148 Passagieren und zwölf Besatzungsmitgliedern pünktlich von der Piste 34 in Zürich-Kloten abgehoben. Kapitän Fritz Schreiber und sein Kopilot Horst Jerosch steuerten mit der vierstrahligen DC-8 HB-IDD Nidwalden als Zwischenziel das Drehfunkfeuer Luxeuil in Frankreich an. Plötzlich öffnete sich die Cockpittür. Ein untersetzter Mann im gedeckten Anzug schob die Flugbegleiterin in den engen Raum. In der einen Hand hielt er eine Handgranate, mit der anderen drückte er der verschreckten Frau einen Revolver an die Schläfe. Er wirkte so übertrieben aufgeregt und nervös, dass die bedrohliche Situation von den beiden Flugzeugführern zunächst gar nicht erkannt wurde. Sie lachten sogar. Erst als noch eine resolute Frau im Türausschnitt erschien, änderte sich das. Auch sie hatte Handgranaten in den Händen und zischte kalt: »Jetzt bin ich der Pilot, und Sie werden meinem Befehl folgen!«
Auch wenn die Worte in gebrochenem Englisch herausgekommen waren, wussten die beiden Männer nun, dass es ernst war.
»Fliegen Sie über die Alpen Richtung Nahen Osten.«
Fritz Schreiber tat, wie befohlen. Gegen 18 Uhr flog die Maschine über Syrien und näherte sich langsam der jordanischen Hauptstadt. Der Flughafen von Amman war jedoch geschlossen.
Horst Jerosch fragt die Hijacker mit ruhiger Stimme: »Und wo soll es nun hingehen?«
»Landen Sie auf dem Gazastreifen«, kam es mit schneidender Stimme zurück.
Die beiden Piloten waren verwirrt, sie kannten dort keinen Landeplatz und erklärten das auch den Kidnappern.
»Dann landen Sie irgendwo in der Wüste«, stieß die Frau mit deutlicher Verärgerung hervor.
Die Männer wollten nicht widersprechen und flogen einfach weiter. Auch in der Wüste kannten sie keinen Landeplatz.
Fritz Schreiber brach kalter Schweiß aus. Sie flogen nun auf Sichthöhe, um ja keinen Landeplatz zu übersehen. Die Sicht wurde aber in der aufkommenden Dämmerung immer schlechter.
Plötzlich sah Horst Jerosch unter sich eine Reihe flackernder Lichter. Ein weiterer Sinkflug der Maschine brachte Klarheit. Es handelte sich um offene Feuer, die als Pistenmarkierung dienten.
Schreiber ging zum Landeanflug über, und die Maschine setzte hart auf. Sie waren auf einem ehemaligen Militärflughafen der Royal Air Force nahe Zarqa gelandet.
Es war 19:15 Uhr. Vor ihren Augen stand eine Boeing 707 der Trans World Airlines, TWA. Sie hatte anscheinend ein ähnliches Schicksal ereilt.
Durch das aufgeschobene Cockpitfenster strömte heiße Luft herein. Gewehrsalven knatterten aus dem Dunkeln, und in Jeeps fuhren vermummte Gestalten auf sie zu.
Erst jetzt wurde Schreiber klar, wie groß die Gefahr gewesen war, dass die Landung schiefgegangen wäre. Ohne Navigationshilfe und Funkkontakt auf sandiger Piste! Er zitterte im Nachhinein am ganzen Körper.
Am nächsten Tag wurden Frauen und Kinder sowie wenige Ältere aussortiert und in Bussen fortgebracht.
Für die Besatzung und die restlichen Passagiere begann eine schreckliche Wartezeit. Die hygienischen Bedingungen wurden immer schlimmer, und bald gab es nicht mehr genügend Flüssigkeit, aber viele hatten Durst.
Noch am gleichen Tag ging beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes ein Ultimatum ein, das an den Schweizer Bundesrat weitergeleitet werden sollte. Die PFLP forderte darin die Herausgabe von drei in der Schweiz verurteilten Palästinensern. Die hatten im Februar 1969 in Zürich-Kloten einen Anschlag auf eine El-Al-Israel-Airlines-Maschine verübt und waren dafür zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden.
Im Gegenzug sollten Passagiere und Besatzung der Nidwalden freikommen.
Mit Rücksicht auf die vielen eidgenössischen Geiseln stimmten die Schweizer dem Deal zu. Der Bundesrat kassierte das einst ergangene Urteil.
Am 8. September landete am späten Nachmittag noch eine VC-10-Maschine der British Overseas Airways Corporation, BOAC. Palästinensische Entführer hatten sie nach dem Start in Bahrain in ihre Gewalt gebracht.
Nun war die Drohkulisse komplett! Die Terroristen montierten an allen drei Maschinen Sprengkörper, und am 12. September zeigten sie, wie ernst sie es meinten: Alle drei Maschinen flogen in die Luft.
Die restlichen Passagiere wurden überraschend freigelassen, nur die Crew transportierte man des Nachts mit mehreren Wagen nach Amman und setzte sie in einem dunklen Raum fest.
König Hussein von Jordanien hatte die Flucht der Palästinenser in sein Land von Anfang an kritisch gesehen. Er befürchtete durch sie Unruhen. Jegliche Auffälligkeiten in dieser Richtung strafte er sofort rigoros ab. So ging er auch dieses Mal unerbittlich gegen die Palästinenser vor. Zehntausende starben, als er landesweit die Armee gegen sie einsetzte. Später nannte man den Monat der Abstrafung den Schwarzen September.
16 Tage nach dem Transport der Crew nach Amman waren ihre Bewacher plötzlich vor ihrem Gefängnis verschwunden. Dies ging einher mit dem Ende der königlichen Strafaktion.
Jordanische Soldaten spürten die Gefangenen bald auf, und am 26. September konnte Fritz Schreiber mit seinen Leuten über London nach Zürich ausfliegen. Eine lange Zitterpartie war unblutig zu Ende gegangen.
Die drei inhaftierten Palästinenser wurden von den Schweizer Behörden am 1. Oktober freigelassen. Sie flogen mit einer Maschine der Royal Air Force nach Kairo. Dort verwischte sich ihre Spur. In der Weltpresse erhob sich Empörung, weil die Terroristen freikamen, obwohl sich schon alle Geiseln in Sicherheit befunden hatten.
Die korrekten Schweizer verhielten sich so, weil dies zugesagt war: Pacta sunt servanda!
Ahmad wuchs zum Schulalter heran. Die politischen Probleme in Zarqa interessierten ihn nicht. Er suchte seine Spielkameraden auch unter den Kindern der Palästinenser. Dabei wurde die Grundlage für seine Feindschaft gegen Israel gelegt. Wegen seiner Nähe zu den Palästinensern wurde später sogar das Gerücht laut, er sei ein palästinensisches Flüchtlingskind. Das vertrug sich gar nicht mit dem Stolz der Familie, dem ehrwürdigen Bani-Hassan-Stamm anzugehören. Seine Mutter dementierte noch im März 2004 das Gerücht vehement in einem Fernsehinterview.
Auch Ahmad zeigte früh Stolz über seine Herkunft. Er forderte seine Kameraden auf, ihn al-Zarqawi, den Zarqaer, zu nennen. Einmal belauschte er ein Gespräch von ihnen. Er bekam mit, dass sie von ihm als »Die Eidechse« sprachen.
»Warum nennt ihr mich so?«, wollte er wissen und bekam zu hören: »Du kannst am längsten von uns unbeweglich bleiben, und keiner guckt so ausdruckslos wie du.«
Er wusste nicht, ob ihn das ärgern oder stolz machen sollte. Er entschied sich für Letzteres. »Und ich kann kalt wie ein Fisch sein«, ergänzte er zur Bekräftigung.
»Ja, du hast ein totes Herz«, kam zurück.
Diesen Eindruck vermittelte Ahmad sein Leben lang.
Er hatte nichts von der besonnenen Art seines Vaters geerbt. Er setzte auf körperliche Stärke, raufte gern und wollte sich immer als Sieger beweisen. Das gelang ihm auch meistens. Verlor er einmal, so war das ein triftiger Grund, weiter zu üben. Seine Kameraden fürchteten ihn mehr, als dass sie ihn mochten. Er versuchte Menschen zu gewinnen, ohne ihnen sein Herz zu schenken.
Ahmad wurde ein mittelmäßiger Schüler und war weder fleißig noch lernbegierig, eher widerspenstig gegenüber allen Befehlen. Hausaufgaben machte er fast nie. Seine Lehrer mochten ihn nicht und ließen ihn das merken. Ahmad mutete ihnen zu viele Brüskierungen zu. Das führte zu seiner Ablehnung und war mit Strafen verbunden.
Umm Ahmad, seine Mutter, versuchte, ihn in tiefer Sohnesliebe auf den richtigen Pfad zu bringen, doch sie war schon zu schwach, ihn zu bändigen. Sie war bereits vom Tod gezeichnet, denn sie litt an Leukämie.
Vielleicht war das Beharren auf seinen Fehlern Ahmads Treue zu sich selbst. Er liebte seine Mutter zwar sehr, aber auf sie hören tat er nicht.
Der Junge schloss sich einer Straßengang an und machte als ihr Anführer die Gegend unsicher. Er hatte bald den Geruch des Bösen an sich und war dafür stadtbekannt. Er suchte besonders den Umgang mit solchen, die ihn beweihräucherten.
Wenn er Geld hatte, betrank er sich mit den anderen in üblen Spelunken und nahm Rauschgift.
Für die Bande führte er ein Erkennungszeichen ein: drei grüne Punkte in der Daumenbeuge der linken Hand.
Diese Insignien der Zusammengehörigkeit tätowierten sich die Mitglieder gegenseitig ein und bestanden mit dem Ritual eine Mutprobe. Nach Prügeleien und Messerstechereien, für die er stets ein schmales Skalpell benutzte, wurde er immer öfter von der Polizei aufgegriffen. Sein Vater, der sich auch als Heiler betätigte, versorgte dann unter Vorhaltungen seine Wunden. Es erfüllte Fadil mit Gram, wenn er Ahmad abends bei der Polizeistation abholen musste. Manchmal überließ er das voll Scham seinem Bruder.
Ahmads Vergehen häuften sich so, dass er Anfang der achtziger Jahre zu Jugendstrafen verurteilt wurde und sich Besserungskursen unterziehen musste. Doch auch diese Maßnahmen blieben ohne Erfolg. Für eine sexuelle Belästigung drohte ihm sogar Gefängnis.
Die Familie entschloss sich, härter durchzugreifen. Ahmads Mutter und seine Schwester Sadschida al-Rischawi, die beide sehr gläubig waren, schickten ihn in die Koranschule der Moschee. Sie hofften, die Geistlichen würden ihm den rechten Weg weisen.
In der Al-Hussein-Ibn-Ali-Moschee traf er auf eifrige Koranstudenten, und ihre Übungen interessierten ihn bald genauso wie die heiligen Texte. Einige der jungen Kerle waren Kriegsrückkehrer aus Afghanistan. Sie hatten dort gegen die sowjetischen Besatzungstruppen gekämpft. Ihre Heldengeschichten wurden für Ahmad bald wichtiger als die Religion und schürten in ihm die Sehnsucht, es ihnen gleichzutun. Mutter und Schwester blieben seine Träume verborgen, sie freuten sich nur, dass er so fleißig in die Moschee ging, nicht mehr trank und sich nicht mehr prügelte.
1983, mit 17 Jahren, wurde sein unsteter Charakter erneut deutlich. Er brach, trotz vorhandener Fähigkeiten, die Schule vor dem bevorstehenden Abschluss ab.
Notgedrungen trat er den zweijährigen Militärdienst an. Danach zwang ihn die Familie, einen Beruf auszuüben, anstatt herumzulungern. Die Beschäftigung als Kartenabreißer in einem Kino war für ihn jedoch nur eine Übergangsstation. Er träumte von Abenteuern und der Ferne. Eine besondere Vorliebe hatte er für die See. Als Zeichen dieser Liebe ließ er sich einen Anker auf den Arm stechen.
Mit 22 Jahren setzte er ein Zeichen wirklicher Abnabelung von der Familie. Er gründete einen eigenen Hausstand und heiratete seine entfernt verwandte Cousine Intisar. Sein Vater versuchte ihnen beim Neuanfang zu helfen und verschaffte Ahmad nochmals eine Anstellung, diesmal als Hausmeister. Er hoffte, wie der Rest der Familie, auf Sesshaftigkeit seines Sohnes, doch die Anstellung band den nur wenige Wochen.
Immer öfter dachte er an Afghanistan und die ruhmreichen Kämpfe, die dort auf ihn warteten. Ihn zog es fort, selbst seine Frau konnte ihn nicht davon abhalten. Letztlich gab sie sich geschlagen und war bereit, mit ihm zu gehen.
Ahmad gehörte zu Tausenden jungen Jordaniern, die den Weg in die Fremde nahmen. Sheikh Jarah al-Qadah, ein radikaler Salafist, rekrutierte ihn und erinnerte sich später genau an ihn: »Der Islam hat seine Moral perfektioniert«, sagte er.
Im Herbst 1989 kämpfte Ahmad kurz im Osten Afghanistans. Er war bei der Befreiung von Khost dabei. Die Russen waren schon fast geschlagen und befanden sich auf dem Rückzug. So währte sein Kriegseinsatz nur kurz.
Das Kriegshandwerk gegen die Schurawi, die sowjetischen Besatzer, fiel ihm dank seiner Militärzeit nicht schwer.
Er erhielt nun noch militärische Praxis, die ihm in seiner späteren Laufbahn helfen sollte. Er zeigte sich in den Gefechten rücksichtslos und impulsiv und erwies sich als extrem tapfer. Er agierte völlig gewissenlos und war bereit, Schahid, Märtyrer, zu werden. Der Ruf seines Löwenmutes ging ihm von nun an voraus und ließ die Schar seiner Anhänger stetig wachsen.
In Afghanistan waren es noch die Amerikaner, die die Mudschaheddin und damit auch ihn gegen den verhassten russischen Feind mit Waffen und Geld versorgten. Er fühlte ihnen gegenüber noch keinen Groll.
Im Lager lernte er Osama bin Laden kennen. Der junge saudische Millionär hatte den Traum, alle muslimischen Nationen unter seiner Führung zu einen. Er wollte das Schritt für Schritt tun und nach und nach das gesamte muslimische Gebiet von den schädlichen Einflüssen des Westens säubern. Er hielt darüber im Lager aufrüttelnde Reden.
»Mudschaheddin bezeichnet Kämpfer, die sich um die Verbreitung und Verteidigung des Islams bemühen.«
Diese Worte kamen bin Laden ständig über die Lippen und setzten sich in Ahmads Kopf fest.
Osama wetterte auch gegen Ahmads Heimatland und rechtfertigte das überzeugend: »Anfang des 20. Jahrhunderts gab es kein Land namens Jordanien. Es war Teil des islamischen Kalifats, das die gesamte Arabische Halbinsel und das alte Großsyrien umfasste. So soll es wieder werden. Der Weg zu unserem Erzfeind Israel in Palästina führt über Amman.« Der Saudi sprach solche Worte im Brustton der Überzeugung.
Ahmad hörte begierig zu. Er widersprach nie, buhlte stattdessen um Osamas Gunst. Doch schnell setzten sich in seinem Kopf härtere Parolen fest, wie sie von Hardlinern vorgetragen wurden: »Moslems, wo immer ihr seid, verbrennt den Boden unter den Füßen der Ungläubigen. Tut das sofort.« Istishadi, Selbstaufopferer und Märtyrer bezeichneten diese radikalen islamistischen Selbstmordattentäter und verherrlichten sie damit. Das gefiel Ahmad. Der Korangelehrte und jordanisch-palästinensische Kleriker Abu Muhammad al-Maqdisi wurde zu seinem Mentor. Ohne das zu erkennen zu geben, entschied Ahmad für sich: Wir brauchen das Kalifat sofort. Jede noch so grausame Tat ist gerechtfertigt, wenn sie in dieser Richtung Erfolg verspricht. Wir müssen uns sputen, um das Reich Gottes auf Erden zu errichten. Die Amerikaner als Hauptmacht des Westens können nicht länger unsere Verbündete sein, dachte er noch etwas unsicher im Hinblick auf die sprudelnden Unterstützungsgelder der USA. Richtige Männer müssen jetzt schon gegen alle Feinde stehen, entschied er für sich. Kämpfen und den Tod ersehnen anstatt am Leben zu hängen, wurde ihm wichtig. Er begann für das Ideal einer neuen Welt Anhänger zu suchen und fühlte sich für die Verwirklichung als Führer bestimmt. Er bot seinen Zuhörern Gedanken an, die nicht zum Denken zwangen, sondern einfach entflammten.
Seine Parolen sprangen wie Flöhe über und bissen.
Wenn er abends in den heiligen Texten las, sah er alles bestätigt und vorbestimmt, was er tagsüber vortrug. Der Auserwählte war er, und er hatte nur eine Wahl. Er würde mit schwarz gekleideten Männern unter schwarzen Flaggen aus dem Osten kommen. Männer mit langen Haaren und Bärten, die als Familienname die Namen ihrer Heimat trugen, würden mit ihm sein. Er war zu ihrem Kalifen ausersehen! Er stellte sein Äußeres um und trug nur noch Schwarz. Er legte sich den Namen Abū Muab al-Zarqawi, in Kurzform Zarqawi, zu. Sein Kampfname wies damit, wie in der Weissagung, auf seine Heimatstadt Zarqa hin. Der Namenszusatz Abū Mu
ab belegte seine große Verehrung von Mus
ab ibn’Umair, dem Gefährten Mohammeds.
Mit diesen Veränderungen in seinem Leben wurde er endlich zufriedener. Seine Unrast nahm ab. Meinungsverschiedenheiten mit der Familie und der Ehefrau waren vergessen. Er war nun ein Bräutigam des Todes, und darüber verspürte er Stolz. Das war ein besseres Gefühl, als er zuhause je verspürt hatte.
Die sowjetischen Truppen zogen sich aus Afghanistan zurück, und Zarqawi musste sich eine neue Beschäftigung suchen. Er arbeitete zunächst als Journalist für das islamistische Blatt al-Bunyān al-Marsūs und berichtete über die glorreichen Heldentaten der Mudschaheddin auf den Schlachtfeldern Afghanistans. Er zitierte aus dem Koran und schrieb rührselig. Er interpretierte aus dem heiligen Buch nach seinem Gusto. Wenn ein Zweifler andere Lehrmeinungen vertrat, dann sagte er trotzig: »Schneide deinen Gelehrten die Zunge ab.«
Im Lager von Khost fand Zarqawi neben dem Übervater Maqdisi einen richtigen Freund. Saleh al-Hami, ein Journalist, der bei den Kämpfen gegen die Sowjets ein Bein verloren hatte, stand ihm bald sehr nahe. Zarqawi ließ nichts unversucht, ihn an sich zu binden, und beschloss, ihn zum Ehemann einer seiner Schwestern zu machen. Es gelang ihm, die Familie davon zu überzeugen. Auch sein Freund Saleh war einverstanden. Sie reisten gemeinsam nach Peschawar. In einer Koranschule verbrachte Zarqawi die letzten zehn Tage des Fastenmonats mit Beten. Arbeit fand er bei dem Islamic Relief Committee, einer Hilfsorganisation für Islamisten. Im Januar 1991 ließ er seine Schwester einfliegen, und die Hochzeit fand statt. Ein Video von den Feierlichkeiten wurde der einzige sichtbare Beleg seiner jungen Jahre.
Als er 1993 nach Zarqa zurückkehrte, war er in seiner fundamentalistischen Weltsicht so erstarkt, dass ihn vieles in Jordanien abschreckte und wütend machte. Selbst seine fromme Mutter und seine ebenso fromme Schwester weigerten sich, den züchtigen Burka zu tragen, den er aus Afghanistan gewohnt war. Unverheiratete Paare saßen freizügig gekleidet in Straßencafés. Zuhause musste er unislamische Fernsehfilme und königstreue Nachrichten anschauen. Für das jordanische Königshaus empfand er nur noch Hass. Wie konnte der König nur die Annäherung zu Israel suchen und sogar Frieden mit dem Feind schließen?
Verbittert schloss er sich der islamistischen Gruppe Bai’at al-Imām, Treueeid dem Prediger, an. Er las Bücher über den alten Islam. Ein Prinz des 12. Jahrhunderts faszinierte ihn besonders. Nur ad-Din Zengi hatte nicht nur die christlichen Kreuzritter besiegt, sondern auch die einzelnen muslimischen Königsreiche in einem Sultanat vereint. Dies entsprach seiner Vorstellung der künftigen arabischen Machtstellung. Er wollte sich im Sinne seines Helden betätigen und suchte dazu den Rat seines Mentors Maqdisi. Zarqawi besuchte ihn in dessen Haus in Amman. Bei ihm kam er mit anderen Afghanistankämpfern zusammen. Sie beteten gemeinsam und verteilten Maqdisis Schriften unter die Leute. Dabei sollte es nicht bleiben. …
Die jordanischen Behörden kannten Zarqawi bis dahin nur als Ahmad den Gauner, einen Verbrecher, Trinker und Schläger. Nun registrierten sie, dass er als kampferprobter, radikaler Fanatiker aus Afghanistan heimgekommen war. Der Muchabarat, der berüchtigte Geheimdienst, hielt fortan ein Auge auf ihn.
Der Augenblick, gegen ihn vorzugehen, kam schneller als gedacht. Am 29. März 1994 stürmte eine schwer bewaffnete Gruppe des Muchabarat unter der Führung von Abu Haytham eine Wohnung, in der sich Zarqawi aufhalten sollte. Er galt nach geheimdienstlichen Ermittlungen als Anführer einer Gruppe, die mit geraubten Landminen und Panzerabwehrraketen an einem Grenzübergang israelische Soldaten angreifen wollte. Dies sollte eine Racheaktion darauf sein, dass ein jüdischer Extremist in einem islamischen Heiligtum in Hebron auf betende Moslems geschossen hatte.
Zarqawi wurde im Schlaf überrascht und verhaftet.
Als er sah, dass es kein Entrinnen gab, fluchte er: »Ihr seid Kafir, Ungläubige! Allah wird euch strafen.«
Er ließ sich von den Dauerverhören in der Zentrale nicht zermürben. Er blieb kämpferisch und verfiel in Monologe islamistischer Parolen. Als er und seine Kumpane schließlich vor den Militärrichter kamen, blieben sie weiterhin verbohrt. Sie zeterten herum und drohten auch dem Richter. Das erhöhte nur ihre Strafe. Sie wurden zu 15 Jahren Haft verurteilt.