Gerbrand Bakker

Echte Bäume weinen nicht

Warum wir die Natur Natur sein lassen sollten

Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann

Suhrkamp

Inhalt

Echte Bäume weinen nicht

Rasen

Aufregung

Unser eigener Garten

Kindliche Angst

Balsam bashings

Warum immer hoch zum Gipfel?

Neppgarten

Armes Gnu

Baumfäller

Der Anthropomorphismus von Peter Wohlleben

So laufen die Dinge

Ulmen

Renn um dein Leben

Wald

Flügelnussbaumwald

Zeeland

Miese Erde (Natur im Ausland)

Corvus cornix

Wege

Nasse Socken und der Baum, der alles sah

Schlangenadler

Schon sieben Tage ohne Tweet

Kaum noch Insekten

Schafskopf auf gleicher Höhe

Mauersegler als Synchronsprecher

Sorgfalt

Neuer Hund, oder doch nicht

Ängstlich und einsam

Garten voller Erinnerungen, oder doch nicht

Kleiber

Ivo und Wilma

Blumenerde

Totennatur

Entwässerungsgräben und Trockenplätze

Der letzte Gartentag

Nachbemerkung

Zitatnachweise

Echte Bäume weinen nicht

»The country: A damp sort of place
where all sorts of birds fly about uncooked.
«

Joseph Wood Krutch, The Twelve Seasons

Rasen

Am Strand von Dungeness steht ein altes Haus. Prospect Cottage. 800 Meter von einem Kernkraftwerk entfernt. Vom Cottage aus gesehen geht dahinter die Sonne unter. 1986 kaufte der britische Filmemacher Derek Jarman das Holzhaus. Strand, aber nicht, wie man ihn kennt. Kein Sand, sondern Kieselsteine. Einmal bin ich dort in der Nähe gewesen, in der Kleinstadt Rye. Doch weil ich mich damals noch nicht mit dem Gärtnern befasst habe – nicht einmal im Traum hätte ich an einen eigenen Garten gedacht –, sagte mir der Name Derek Jarman wenig. 1995 erschien Derek Jarman’s Garden, ein Fotoband über den Garten, den er über die Jahre angelegt hatte, mit Tagebucheinträgen und Gedichten. Jarman war damals schon ein Jahr tot. Er wurde 52 Jahre alt.

In meinen Augen ist sein Garten wunderschön, aber er liegt an einem Ort, bei dem schon der bloße Gedanke an einen Garten kaum möglich scheint. Wind, Salz, Kieselstrand. Und überall altes, verwittertes Holz und verrostete Metallteile. Steinkreise. Ein Garten ohne Zaun. Die schönsten Fotografien zeigen den Vordergrund gestochen scharf und das riesige Kernkraftwerk verschwommen in der Ferne. Ich kenne das Buch, weil ein Freund es mir einmal gezeigt hat, es lag in seinem Ferienhaus in Noordwijk. Auch ein Haus mit Garten, einem Garten, in dem ich ab und an mit angepackt habe. Jahre später habe ich mir das Buch selbst gekauft. Die Texte verraten, dass der Garten Jarman besonders am Ende Frieden geschenkt hat, auch wenn er nicht allzu viele Worte darüber verliert. Manchmal aber schreibt er Dinge, bei denen ich mich unwohl fühle. »Ich kann eine einzige Pflanze eine Stunde lang betrachten, das bringt mir großen Frieden. Ich stehe regungslos starrend da.« Vor den nahezu religiösen Beschreibungen eines passionierten Gärtners scheue ich immer ein wenig zurück. Aber wenn es ihm Spaß macht, warum nicht? Natürlich könnte Jarman das auch nur geschrieben und es in Wirklichkeit gar nicht getan haben. »Ich erinnere mich noch gut an den Rasenmäher, mit dem wir uns beim Grasschneiden abplagten. Ich bin heilfroh, dass es in Dungeness keinen Rasen gibt. Die schrecklichsten Rasenflächen – übrigens auch die hässlichsten Gärten – findet man entlang der Küste in Bexhill, Close und Crescent. Derartige Gärten hätten bei Gertrude Jekyll einen Herzanfall ausgelöst, mindestens aber würde sie sich im Grab umdrehen. Mir scheint ein gepflegter Rasen unnatürlich, ein öder Anblick und ziemlich schäbig – der Feind eines guten Gartens. Mit dem gleichen Aufwand wie für das Rasenmähen könnte man das ganze Jahr frisches Gemüse haben: Kletterbohnen, Blumenkohl und andere Kohlsorten, dazwischen Gartennelken und Päonien, Klatschmohn und Rittersporn; würde das nicht das Land verschönern und uns vor dem allgemein herrschenden Vorgartenterrorismus retten?«

Also wirklich, selbst wenn er es gewollt hätte, wäre dort niemals ein gepflegter Rasen gewachsen. Kann man etwas verabscheuen und ablehnen, das man selbst nie haben wird? Diese Abneigung gegen Rasenflächen ist seltsam. Das mag an seiner steifen britischen, bürgerlichen Herkunft liegen, der er gewiss entkommen wollte. Mein Rasen (»Es gibt hier keine Rasen«, sagt Nachbar Klaus streng, »nur Wiesen.«) ist eine Katastrophe, doch ich gebe nicht auf. Und sei es nur, damit Freunde sich auf ihm ausstrecken können. Die gibt es noch. Halbnackt im Gras, bei strahlendem Sonnenschein, die Körper längst nicht mehr jung und schön. Und noch etwas: Wenn man keinen Rasen hat, wo spielt man dann Badminton?

Derek Jarman zieht auch über die sogenannten National-Trust-Gärten her: »Der National Trust muß eine zentrale Gärtnerei haben, denn alle seine Gärten sehen ähnlich aus. […] Wenn ein Garten nicht verwildert aussieht, kann man ihn vergessen.« Hier unterscheiden wir uns erheblich, Jarman und ich, denn ich habe nichts gegen Rasen. Und vor allem habe ich nichts gegen die prachtvollen National-Trust-Gärten, auf die man überall in England stößt und die »so manikürt« wirken, »daß nicht eine Pflanze in der Lage zu sein scheint, ihren Nachbarn auch nur zu berühren«. Ich bin kein Garten-Nazi: Alles ist erlaubt, doch manchmal, wenn ich an einem Garten vorbeigehe, stöhne auch ich innerlich auf oder mache eine missbilligende Bemerkung. Aber nur ganz leise, warum sollte ich dem betreffenden Gärtner die Freude verderben?

Worin ich mich mit Jarman jedoch besonders verbunden fühle, ist das Machen. Das gemächliche Werden eines Gartens, in dem auch Gegenstände eine Rolle spielen. Objekte, Steine, Holzpfähle, verrostete Heugabeln und sogar ganze Bauwerke aus Ästen. In dem Buch gibt es eine Fotografie von Jarman, die ihn mit einer großen Tasche zeigt, auf der Jagd nach schönen Steinen. Das mache ich auch schon immer: spazieren gehen, aufsammeln, mit 30 Kilo auf dem Rücken nach Hause und nach der Verarbeitung des Gefundenen unendlich zufrieden sein. Die Plackerei, der Schweiß, das Selbermachen. Das Machen. Derek Jarmans Garten ist ein Kunstwerk. Mein Garten – was auch immer andere von ihm halten mögen – ist ebenfalls ein Kunstwerk: Er ist gemacht, gestaltet, dem vorrückenden Wald und dem Unkraut abgetrotzt.

Jarman hatte absichtlich keinen Zaun um seinen Garten gezogen, denn er hielt sein Kunstwerk für Natur. Tod dem Rasen! Ich finde das deutsche Wort Zaun so schön. Zaun und tuin, das niederländische Wort für Garten, gehören für mich zusammen. Wenn man mitten auf einer Weide, in einem Wald, in der Wüste oder wo auch immer einen Zaun aufstellt, einen geschlossenen Zaun, markiert man allein damit diesen Ort als Nicht-Natur. Ein Mensch tut etwas, greift ein, platziert ein Artefakt, ein Kunst-Werk. Von mir aus hätte Jarman seinen Garten gerne einzäunen können.

Jarmans Unerbittlichkeit, was das Wesen eines Gartens betrifft, was schön und gut ist und was nicht, spiegelt sich übrigens auch in seinem Charakter wider. Seine Filme sind oft visuelle, bunte Spektakel, aber nicht immer ganz einleuchtend. »Schwierige« Filme, Arthousefilme, mit Themen wie Homosexualität, Tod und Religion. Als er aufgrund seiner Aidserkrankung erblindete, drehte er Blue, einen einstündigen Film nur in Blau, mit Geräuschen, mit Stimmen, Textfetzen, Vogelgezwitscher, Gesang. Eigentlich eine filmische Wiedergabe des stundenlangen Anstarrens dieser einen Pflanze, vielleicht mit Frieden im Herzen, eine Art Halbschlaf voller Vergangenheit. Ein Auftakt des Todes. Statt einen für den Kinobesucher angenehmen, einfühlsamen und schönen Film zu machen, wollte Jarman etwas mitteilen, seine Gefühle und Gedanken offenlegen, wohl aber hauptsächlich für sich selbst. Und genau das hat er auch mit dem Garten um Prospect Cottage in Dungeness getan. Ist das immer so? Spiegelt ein Garten das Wesen des Gärtners wider? Kann man einem Garten ansehen, wie der Mensch ist, der ihn geschaffen hat?

Mein Garten ist zum Teil eingezäunt und die Einfahrt mit einem Tor verschlossen. Errichtet für meinen Hund Jasper, der nie bei mir bleiben wollte. Es ist sein Zaun, sein Tor. Gleichzeitig ist es auch mein Zaun. Ich mag die Eindeutigkeit eines Zauns. Die Sicherheit. Die Übersicht. Das sind Dinge, die ich in meinem Leben brauche. Mein Zaun soll weder Mensch noch Tier fernhalten.

Aufregung

Vor ein paar Jahren hat die Tageszeitung Trouw einige Schriftsteller gebeten, Artikel zum Thema »Lernen« zu schreiben. Im Sinne von: etwas, das man früher nicht konnte, nun aber schon. Mein Text ging ungefähr so (beim erneuten Lesen füge ich hinzu und lasse weg, es kann ja nur besser werden):

Früher bemerkte ich es nicht einmal, wenn ich mich in einem Garten befand. Ein Garten war ein Ort, wo man saß und Getränke zu sich nahm oder Fleisch verkohlen ließ; ein Übergangsgebiet zwischen Straße und Vorder- oder Hintertür. Damals achtete ich auf Zargen, Dachrandpaneele, Fensterbänke und Haustüren. In meiner Freizeit war ich Anstreicher. Immer hatten Sträucher – meistens die stacheligen – unter mir zu leiden, weil die Mistdinger der Leiter im Weg standen und ich zu der Zeit ziemlich aufbrausend war. Einmal ist mir eine rotblättrige Berberitze in die Quere gekommen. In voller Absicht rammte ich meine Leiter mitten in sie hinein, und noch einmal, und noch einmal. Später, viel später, sollte ich eine Gärtnerlehre machen. So trat der Garten in mein Leben.

»Der Garten.« Nicht mein Garten. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Die Gärten anderer Leute, vollendet, wie sie sind, wurden von mir – manchmal gemeinsam mit Gartenkumpel Han – nur gepflegt. Alles an ihnen war fertig, das Einzige, was ich tun musste oder wir tun mussten, war, die Auswüchse zu beseitigen, damit der Garten erneut fertig aussah. Muschelpfade rechen. Äste absägen. Hecken schneiden. Ordnung halten oder wiederherstellen.

Ich habe auch Gärten entworfen. Entwürfe richten sich in erster Linie nach den Wünschen der Auftraggeber. Natürlich bringt man sein eigenes Können ein, besonders beim Zeichnen, bei der Auswahl des Materials und der Entwicklung eines Bepflanzungsplans, aber es bleibt eine übernommene Arbeit. Ein Auftrag. Und es ist schon vorgekommen, dass ich, nachdem ich zum vierten Mal ein und denselben Garten entworfen hatte – das Ehepaar aus Almere konnte sich einfach nicht einigen –, den ganzen verdammten Papierkram mit einem kurzen Schreiben in einen Briefumschlag gesteckt habe: »Hier der allerletzte Entwurf, und wagen Sie es ja nicht, mich dafür zu bezahlen.« Aufbrausend will ich auch heute noch manchmal sein. Denn: Ein Gärtner ist kein Paartherapeut, schönen Dank auch. Ein Gärtner will draußen sein, er hat nämlich einfach keine Lust, eine Stunde lang in einer viel zu warmen Küche bei einem Kaffee zu sitzen und sich Dinge anzuhören, von denen er nichts wissen will. Oder im Garten immerzu von Auftraggebern mit ellenlangen Geschichten über die bevorstehende Scheidung aufgehalten zu werden.

Seit einem Jahr besitze ich ein Haus in Deutschland. Zum Haus gehören 1600 Quadratmeter Grund mit Anhöhe: Das Haus liegt mit seiner gesamten Rückseite an einem Hang. Das Erste, was ich getan habe: Ich habe keinen Entwurf gezeichnet. Sosehr ich es auch mag, mit meinen grünen Stiften in allen Farbnuancen, mit Geodreiecken oder mit dem Speziallineal, mit dem sich der Maßstab leicht ändern lässt, herumzuhantieren. Kein Entwurf. Nur bei Neubauprojekten ist ein Garten jungfräulich. Mein Garten war das nicht, auch wenn ich, als letztes Jahr im April endlich der Schnee geschmolzen war, außer einer verirrten Pfingstrose und einem uralten Rhabarber keine weiteren mehrjährigen Pflanzen entdecken konnte. Er war, und ist es teilweise immer noch, ein Urwald aus Brombeeren, Giersch und Brennnesseln. Grob gesagt, besteht mein deutscher Garten aus vier Teilen: dem Vorgarten, einem seitlichen Garten mit Terrassen (ich habe selbst zwei neue Schiefermauern gebaut und eine instand gesetzt), einem Garten hinterm Haus, praktisch in gleicher Höhe mit der Dachrinne, und einem schönen Stück Wald.

Den eigenen Garten habe ich letztes Jahr besitzen gelernt. Und jetzt, im neuen Jahr, lerne ich das immer noch. Manchmal ist es auf eine Weise entmutigend, wie ich es bei der Arbeit in den Gärten anderer nie empfunden habe. Denn: Aus so einem Garten gehe ich am Ende des Tages fort. Mein Garten aber ist immer hier. Er gehört mir. Gelegentlich bemerke ich, dass Besucher sich besonders aufmerksam umsehen. Der Garten eines Gärtners, na, da bin ich ja mal gespannt. Dann werde ich jedes Mal ganz aufgeregt. Genau aus dem Grund habe ich keinen Entwurf gezeichnet. Ich habe mir von Anfang an gesagt: »Dieser Garten soll langsam wachsen.« In diesem einen Jahr habe ich alle Tulpenzwiebeln ausgebuddelt und an anderer Stelle wieder gesteckt. Gerade erst habe ich Holunderbüsche umgesetzt (wieso gibt es die eigentlich in keinem Gartencenter zu kaufen?). Die geerbte Pfingstrose wurde schon drei Mal verpflanzt. Ich habe Dinge getan, über die ich im Nachhinein dachte: Nein, das ist wirklich viel zu kitschig, das geht nicht. Doch kurz darauf: Warum denn nicht? Immerhin ist es mein Garten, und wenn ich einen kitschigen Garten will, bitte sehr.

Übrigens, eine Beobachtung, die meine Aufregung etwas dämpft: Wie oft blättert die Farbe an den Fensterrahmen eines Malerbetriebs ab? Und auch die Dachrinne eines Dachdeckers kann undicht sein. Vielleicht gehört es einfach zum Schicksal eines Gärtners, dass sein Garten weniger schön und weniger gepflegt ist als die anderen Gärten, in denen er arbeitet.

Ich habe gelernt, Zement anzurühren. Das macht Spaß. Man schüttet ein paar Dinge zusammen (Sand, Zement, Wasser), und schon kann man bauen. Zement ist übrigens nicht das richtige Wort, ich sollte Mörtel schreiben. Mörtel ist die Kombination aus Wasser, Sand und Zement. Die Terrasse vorm Haus besteht aus Fliesenresten. Ich habe sie zum Teil mit falsch angerührtem Mörtel repariert, und so fingen die Fugen nach ein paar Monaten zu bröckeln an. Dieser Teil kommt nächsten Sommer noch mal dran. Später habe ich die Terrasse verbreitert und Natursteinverlegemörtel verwendet. Der scheint mehr zu taugen. Ich habe also gelernt, unbrauchbaren, falschen Mörtel herzustellen. Nachbar Klaus – ein Fliesenleger und mein Berater in diesen Dingen – sagt »so viele Teile Sand, so viele Teile Zement«. Aber nicht jedes Mauerwerk erfordert das gleiche Mischverhältnis. Die Schiefermauern, die neben dem Haus die nach oben ansteigenden Terrassenflächen voneinander trennen, benötigen – laut Nachbar Klaus – ein Eins-zu-eins-Verhältnis. Der Boden drückt dagegen, auf diese Mauern wirken enorme Kräfte. Doch auch hier wieder: bröckelnder Mörtel. Vielleicht muss ich länger mischen und kneten. Nachbar Klaus hat ein praktisches Elektrogerät dafür, ich mache es mit der Hand, weshalb ich immer nur kleine Mengen produziere. Und jeder Eimer Mörtel ist in seiner Zusammensetzung ein wenig anders. Vielleicht sollte ich lieber meinem eigenen Mörtelgefühl vertrauen und etwas weniger auf Nachbar Klaus hören.

Ich habe gelernt, der Besitzer eines Gartens zu sein. Ich kenne nun die Verantwortung, die das Zähmen der Natur im kleinen Maßstab mit sich bringt. Und mehr noch als in den Gärten anderer ist mir bewusst, dass man niemals wirklich etwas falsch machen kann: Ein Garten lebt, wächst, stirbt ab, kann eine Weile »blöd« sein und einen Monat später »hübsch«. Ich lerne, geduldig zu sein und einen ganzen Sommertag im Liegestuhl zu verbringen, um in den blauen Himmel zu starren. Morgen ist auch noch ein Tag, um etwas einzupflanzen oder wieder auszugraben. Und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen.

Woran mein Auge jetzt, ein paar Jahre nach dem Schreiben des Artikels, hängen bleibt, ist diese Aufregung, dieses Gefühl, einen Garten zu besitzen, der – für einen Gärtner – nicht schön genug ist, der die Erwartungen der Besucher nicht erfüllt. Das ist etwas, das zu mir gehört. Wenn sich schon Jarmans verbissene, urteilende und prüfende Art in seinem Garten widergespiegelt hat, ist dann mein Garten nicht auch ein Spiegelbild meiner Aufregung, oder besser, meiner Unsicherheit? Teilweise schon. Erst gestern habe ich das wieder einmal erlebt, als ich am Rand der Terrassenflächen seitlich vom Haus das letzte Ziergras (Carex morrowii »Variegata«) ausgebuddelt habe. Ursprünglich hatten dort sieben Büschel gestanden, umgeben von einem Zaun, den ich aus geschnitzten Zweigen geflochten hatte. Der wackelige Zaun war schon längst umgefallen. Die Terrasse, die ich vor zwei Jahren mit einem Sammelsurium aus Fliesen und Klinkern gepflastert hatte, wurde plötzlich zu einer jungfräulich unberührten Fläche. Nein halt, vielleicht ein wenig zu unberührt. Also grub ich neun Buchsbaumsträucher aus, die etwas höher am Hang standen, und setzte sie in Reih und Glied in dieses Stück Erde. Ich beendete das Ganze, indem ich sie zurechtstutzte, schön akkurat. So flattert in meinem Garten alles hin und her. Eine Folge der Weigerung, einen Entwurf zu zeichnen.

Während meiner Ausbildung zum fachkundigen Gärtner fühlte ich mich in der Gruppe wie ein Eindringling, wie jemand, der aus rätselhaften Gründen in die Lehre geht und dort eigentlich nichts zu suchen hat. Fast alle arbeiteten im Grünen, manche in den Grünanlagen einer Gemeinde, andere bei einer Gärtnerei und einer bei einem Blumenzwiebelzüchter. Ich war Schriftsteller (in jener Zeit von zwei etymologischen Wörterbüchern für Jugendliche und einem Jugendroman, Birnbäume blühen weiß), einer aus der Großstadt, einer ohne schmutzige Hände und de facto arbeitslos. Und obwohl ich den anderen während dieser drei Jahre in nichts nachgestanden habe – ich bin noch immer sehr stolz auf die Zwei plus, die ich für das Pflastern bekommen habe (aber die Vier minus im Heckenschneiden habe ich auch nicht vergessen) –, blieb dieses Gefühl bestehen. Das gehört anscheinend zu mir, ist ein wesentlicher Zug meines Charakters. Dabei glaube ich nicht, dass ich wirklich als Gärtner gearbeitet hätte, selbst wenn 2006 nicht Oben ist es still erschienen wäre – obwohl, so etwas kann man nie mit Sicherheit sagen.

Von Baumpflegern oder Gärtnern kriege ich ab und zu einen Rüffel, wenn ich in ihren Augen wieder einmal einen blödsinnigen Artikel für De Groene Amsterdammer oder später für Trouw geschrieben habe. Ich erinnere mich an den höhnischen Leserbrief einer bekannten Amsterdamer Baumpflegerin, nachdem ich mich über das Fällen der Ulmen für die Sanierung der Javastraat ausgelassen hatte. Die Ulmen sollten durch spezielle Ahornbäume ersetzt werden, die Acer rubrum »Red Sunset«, die prachtvolle Herbstfarben hat. Ich hätte von nichts eine Ahnung, schrieb die Frau in dem Leserbrief, die Ahornbäume würden dahinsiechen, viel zu wenig Licht in der Straße! Kürzlich radelte ich durch die Javastraat, die Bäume gedeihen prächtig, kein einziger siecht dahin. Ich werde im Spätherbst noch einmal durch die Javastraat radeln.

Aus dem einen oder anderen Grund habe ich mich also immer als einen ziemlich unbeholfenen Gärtner empfunden, obwohl mein Diplom in der Schublade meines Spiegelschranks in Amsterdam liegt. »Den einen oder anderen Grund« kann ich jedoch nicht genau benennen. Ist das meine Art? Liegt es vielleicht an meiner Unsicherheit, derentwegen ich hier in meinem Eifelgarten immer wieder alles verändere? Man könnte das angesichts des ständigen Umpflanzens und Umsetzens mit Ja beantworten. Andererseits: Man ist durch die Dynamik eines Gartens, durch das Wachsen und die anderen Entwicklungen einfach gezwungen, Pflanzen und Sträucher zu entfernen oder umzusetzen. Spiegelt mein Garten meine Unsicherheit wider? Können Besucher das an ihm ablesen? Nein; sie sehen ja nicht die wochen- und monatelange Arbeit, die Veränderungen – hoffentlich zum Besseren –, sie sehen nur das Resultat. Keiner wird bemerken, dass ich erst gestern die Buchsbäume an den Terrassenrand gepflanzt habe. Für sie hat es den Anschein, als hätte es hier schon immer so ausgesehen.

In einem spiegelt mein Garten sehr wohl mein Wesen wider, und das ist die Form. Die Form und der bereits erwähnte Zaun. Ich brauche Linien, ich brauche akkurat geschnittene Hecken, ich brauche Struktur. Genau wie ich in meinem Alltag das Bedürfnis nach Struktur und Klarheit habe. Einmal war ich in den Gärten der Gartenarchitektin Mien Ruys in Dedemsvaart, zusammen mit Toos und Anita, die beide in der Gartengestaltung tätig sind. Bei einer Rabatte, die von Holzschwellen begrenzt wurde, sagte ich: »Also, hier könnte alles mal ordentlich zurückgeschnitten werden.« Sie sahen mich an, als wäre ich verrückt geworden. Das ist doch gerade schön, fanden sie, diese überhängenden Pflanzen, die die strengen Linien der Holzschwellen – eine »Erfindung« von Mien Ruys – abmildern. Ich für meinen Teil hätte die beiden auch anschauen können, als wären sie verrückt geworden. Diese Schwellen lagen da ja nicht umsonst, sie markierten eine Grenze. Man vergisst manchmal, dass das englische Wort border, das bei Gartengesprächen gedankenlos als einheimisches Wort in der Bedeutung »Rabatte« in den Mund genommen wird, wörtlich »Grenze« bedeutet. Ich will diese Grenze erkennen können. Sonst erscheint alles viel zu »natürlich«. Doch um Natur zu erleben, sollte man woanders hingehen, jedenfalls nicht in die Gärten von Mien Ruys.

Die letzten drei Sätze des Trouw-Artikels sind übrigens gelogen. Ich fand und finde es noch immer fast unmöglich, einfach zum Spaß Zeit in einem Liegestuhl zu verbringen. Das gehört auch zu meinem Wesen. Oder es liegt an meiner Erziehung.