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NICI MENDE

PRAKTISCHE FUNKTIONELLE ANATOMIE

KOMPETENZ IM GESUNDHEITSSPORT

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gemacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Ausschließlich zum Zwecke der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

1. Auflage 2021

© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89, 80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Jennifer Josl

Lektorat: Gundel Mende-Kroczek

Umschlaggestaltung: Nici Mende, Julia Jund

Alle Abbildungen und Fotos: © Nici Mende

Satz: Satzwerk Huber, Germering

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-74231-960-9

ISBN Ebook (pdf) 978-3-74531-697-1

ISBN Ebook (Epub) 978-3-74531-696-4

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Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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INHALT

AUF EIN WORT

»BESSERWISSEN«

Warum?

Umsetzung

1. GRUNDLAGEN KOMPAKT

Teamwork im Bewegungssektor

Passiver Bewegungsapparat

Aktiver Bewegungsapparat

Faszien

Nerven und Rezeptoren

2. DIE HALS-NACKENMUSKULATUR

Halsmuskulatur

Oberflächliche Schicht

Mittlere Schicht

Tiefe Schicht

Tiefe Nackenmuskulatur

Faszien

Nacken-Schultermuskel – M. trapezius

3. DIE SCHULTERMUSKULATUR

Außenrotatoren der Schulter

M. supraspinatus

M. infraspinatus

M. teres minor

»Deltamuskel« und die Innenrotatoren der Schulter

M. subscapularis

M. teres major

M. deltoideus

Mediale Schulterblattmuskulatur

M. levator scapulae

M. rhomboideus minor

M. rhomboideus major

M. serratus anterior

4. DIE MUSKULATUR DER OBERARME

Armbeuger – M. biceps brachii & Co.

Armstrecker – M. triceps brachii & Co.

5. DIE BRUSTMUSKULATUR

Großer Brustmuskel – M. pectoralis major

Kleiner Brustmuskel – M. pectoralis minor

6. DIE ATEMMUSKELN

Zwerchfell – Diaphragma

Zwischenrippenmuskulatur – Interkostalmuskulatur

7. DIE RÜCKENMUSKULATUR

Rückenstrecker – M. erector spinae

Große Rückenfaszie – Fascia thoracolumbalis

Großer Rückenmuskel – M. latissimus dorsi

Hintere Sägemuskeln – Mm. serrati posteriores

8. DIE VORDERE BAUCHWANDMUSKULATUR

Äußerer schräger Bauchmuskel – M. obliquus externus abdominis

Innerer schräger Bauchmuskel – M. obliquus internus abdominis

Querverlaufender Bauchmuskel – M. transversus abdominis

Gerader Bauchmuskel – M. rectus abdominis

9. DIE HINTERE BAUCHWANDMUSKULATUR

Hüftbeuger – M. iliopsoas

Quadratischer Lendenmuskel – M. quadratus lumborum

10. DER BECKENBODEN

Exkurs Beckenraum

Beckenbodenmuskulatur – perineale Muskulatur

11. DIE GESÄSS- UND HÜFTMUSKULATUR

Großer Gesäßmuskel – M. gluteus maximus

Schenkelbindenspanner – M. tensor fasciae latae

Mittlerer und kleiner Gesäßmuskel – Mm. glutei medius und minimus

Tiefliegende Hüftrotatoren – Mm. piriformis, obturatorius externus und triceps coxae

M. piriformis

M. triceps coxae

Mm. obturatorius externus und quadratus femoris

12. DIE BEINMUSKULATUR

Vordere Oberschenkelloge – Mm. quadriceps femoris und sartorius

M. rectus femoris

M. vastus medialis

M. vastus lateralis

M. vastus intermedius

M. articularis genus

M. sartorius

Hintere Oberschenkelloge – Ischiocrurale Muskulatur

M. biceps femoris

M. semitendinosus

M. semimembranosus

Mediale Oberschenkelloge – Adduktoren

M. pectineus

Mm. adductores minimus und magnus

Mm. adductores longus und brevis

M. gracilis

Hintere Unterschenkelloge – Wadenmuskulatur

M. gastrocnemius

M. soleus

M. plantaris

M. popliteus

M. flexor digitorum longus

M. flexor hallucis longus

M. tibialis posterior

Vordere Unterschenkelloge – Schienbeinmuskulatur

M. tibialis anterior

M. extensor digitorum longus

M. extensor hallucis longus

Exkurs Ballenzeh – Hallux valgus

Mm. fibularis longus, brevis und tertius

13. DIE FUSSSTRUKTUREN

Passive Fußstrukturen

Plantarfaszie/Plantaraponeurose

14. EXKURS DEGENERATIVE ERKRANKUNGEN

Arthrose

Osteoporose

15. BEVOR IHR LOSLEGT

16. AUSGANGSPOSITIONEN

17. ÜBUNGEN FÜR DIE HALS- UND NACKENREGION

18. ÜBUNGEN FÜR DIE SCHULTER UND DEN SCHULTERGÜRTEL

19. ÜBUNGEN FÜR DIE ARME

20. ÜBUNGEN FÜR DIE BRUSTREGION

21. ÜBUNGEN FÜR DAS ZWERCHFELL

22. ÜBUNGEN FÜR DEN RÜCKEN

23. ÜBUNGEN FÜR DIE BAUCHREGION

24. ÜBUNGEN FÜR DEN BECKENBODEN

25. ÜBUNGEN FÜR DEN GESÄSS- UND HÜFTBEREICH

26 ÜBUNGEN FÜR DIE BEINE

27 ÜBUNGEN FÜR DIE FÜSSE

LITERATURVERZEICHNIS

DIE AUTORIN

AUF EIN WORT

Ich möchte ein paar Worte darauf verwenden, den Nutzen von anatomischen Kenntnissen im Trainingsbereich zu unterstreichen. Viele Trainer und Hobbysportler fragen sich, wozu es sich lohnen sollte, anatomische Grundkenntnisse zu erlernen oder diese aufzufrischen. Reicht es nicht, die Funktion eines Muskels zu kennen, die Gelenkbewegungen einfach zu probieren? Ich glaube, es reicht nicht. Schließlich gelingt es uns nur dann, zielführende Übungen anzuleiten oder sie auszuüben, wenn wir die funktionellen Zusammenhänge im Körper verstehen. Die Intensitätsgrade lassen sich mit kleinsten Veränderungen, oft fern der eigentlichen Gelenkbewegung, verändern. Wäre es nicht gut, das zu wissen? Wäre es nicht wichtig, bei auftretenden Funktionseinschränkungen eine gesundheitsförderliche Handlungsidee verfolgen zu können? Ohne ein funktionelles anatomisches Grundwissen wird das schwierig, denn »Form follows function«, die Form folgt bekanntlich der Funktion. Dies gilt für alle anatomischen Strukturen, denn biologische Systeme sind dynamisch reaktive Systeme.

Funktionelle Anatomie kennen bedeutet, die Form und Beschaffenheit einer Funktion einordnen zu können. Wir werden unserer Körperfunktion somit nur dann gerecht, wenn wir alle Teamplayer im Organismus gut betreuen und eine wirksame Teambildung fördern. So kann man dieses Buch als effektive Fortbildung zur Teamleitung aller »Individualisten« im Körper sehen. Die Fakten und Grundkenntnisse zum Thema Bewegungssystem Mensch werden logisch und leicht nachvollziehbar erläutert. Fachwörter sind sämtlich direkt übersetzt, die Beschreibungen lebhaft. Ein guter Weg für einen schnellen Lernprozess gespickt mit vielen Alltagstipps und unzähligen Übungen, bestens geeignet für die sofortige Umsetzung.

Mein Fazit: Wer sich nur kurz die Frage stellt, was im Körper zu Bewegung und Wohlbefinden beiträgt, sollte sich dieser Lektüre widmen.

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Ihr Ingo Froböse

»BESSERWISSEN«

Warum?

Wer nicht fragt, bleibt dumm. So ist es mir auch mal gegangen. Unter uns, meine erste Prüfung zum Thema Anatomie und Physiologie habe ich sprichwörtlich »in den Sand gesetzt«. Ich hatte wenig Interesse, spröde Fachbücher zu lesen, und kam mit den zahlreichen Fachbegriffen einfach nicht klar. Google war noch nicht geboren und ich beschäftigte mich lieber mit der praktischen Seite. SPORT! Die besagte Prüfung allerdings änderte einiges. Es ärgerte mich, dass ich Übungen anwies und nicht genau wusste, warum Intensitäten wechselten, wenn sich nur die Fußposition veränderte. So begann ich nachzuarbeiten, Muskeln und ihre Funktionen wie Vokabeln zu lernen. Fortan probierte ich sämtliche Wissenslücken zu schließen und setzte allen Input in Bewegung um. Und doch erschlossen sich einige Reaktionen des Körpers nicht gänzlich.

Viele wurden schlagartig klarer, als mir 2012 ein »Faszienbuch« in die Hände fiel. Faszien, ein so komplexes System! Vor allen Dingen, wenn man es in einen logischen Kontext mit Muskeln, Nerven und allen sonstigen Systemen des Körpers setzen möchte. Dieses körperliche Teamwork begeistert mich bis heute. Natürlich gibt es immer noch viele Wissenslücken, die ich schließen möchte, aber hier und jetzt darf ich Euch ein bisschen von dem vermitteln, was ich in den letzten knapp 30 Jahren gelernt habe.

Damit es Euch nicht so geht wie mir, gebe ich mir alle Mühe, einen spröden Schreibstil zu vermeiden. Ich möchte das Lesen oder Nachschlagen klar und nachvollziehbar gestalten, damit Ihr, hoffentlich hochmotiviert und interessiert, die Theorie in den praktischen Trainingsalltag umsetzen könnt.

Umsetzung

Anatomie ist die wissenschaftliche Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen.

THEORETISCHES RÜSTZEUG

1. GRUNDLAGEN KOMPAKT

Teamwork im Bewegungssektor

Nix geht über Basiswissen, richtig? So möchte ich damit beginnen, die Teamkollegen unseres Körpers kurz, wirklich kurz vorzustellen.

Viele Systeme sorgen im Körper für die funktionelle Bewegung und ein gesundes Leben. Die Frage »Wer oder was ist wichtiger?« sollte erst gar nicht gestellt werden. Die Diskussion um das Thema der wichtigsten Systeme wie z. B. der nervalen Ansteuerung vs. Muskelarbeit vs. Fasziengleitfähigkeit kann, denke ich, niemals zu einem Ergebnis kommen. Warum? Es geht im Körper immer um Teamwork. Schaut selbst …

Passiver Bewegungsapparat

Der passive Bewegungsapparat setzt sich aus sämtlichen Knochen, seinen Gelenkflächen inklusive Knorpel, den Faserscheiben (Bandscheiben, Menisken) und den Bändern zusammen. Kurzum haben wir so alles, was uns ähnlich einer Marionette zusammenhält. Die verschiedenen Gelenkarten gewährleisten eine Bewegung entsprechend der Form von Gelenkkopf und Pfanne.

Abhängig von der muskulären Führung ergeben sich verschiedene Bewegungsmöglichkeiten. Diese wiederum unterliegen teilweise einer Kombination mehrerer Gelenke. So unterscheiden sich die Übungen in ein- oder mehrgelenkige Übungen. Die Muskulatur findet ihre Kategorisierung u.a. ebenfalls ein-, zwei-, mehrgelenkig. Eine sinnvolle Einteilung, denn die funktionelle Aufgabe hängt davon ab, über wie viele Gelenke ein Muskelbauch führt. Dazu später mehr. Ihr fragt Euch, wie viele mehrgelenkige Muskeln wir haben? Bedenken wir, dass die Wirbelsäule aus 33-34 Einzelwirbelkörpern und den dazwischenliegenden Bandscheiben besteht. Dass jeweils zwei Wirbelkörper und die entsprechende Bandscheibe ein Bewegungssegment ergeben. Spätestens so wird klar, dass mehrgelenkige Muskeln im Körper keine Seltenheit sind.

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1.1. Gelenkformen

All die hier aufgezählten Gelenke gehören zur Gruppe der echten/freien Gelenke.

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1.2. Achsen und Bewegungsrichtungen des Körpers

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1.3. Ebenen des Körpers

Echte Gelenke unterbrechen, mit Bändern (Singular: Ligamentum/Lig. und Mehrzahl: Ligamenta/Ligg.) gesichert, die knöcherne Kontinuität, denn sie verfügen über einen Gelenkspalt, der ihnen differenzierte Bewegungsfreiheiten ermöglicht.

Es gibt auch unechte Gelenke, die eben diese beweglichen Eigenschaften nicht aufweisen. Der Gelenkspalt ist mit verschiedenen Gewebearten verwachsen und eine freie Bewegungsachse fehlt. Je nach Verbindungsstruktur unterscheiden sich diese unechten Gelenke in:

Für die Bewegungsführung und Sicherung der echten Gelenke sorgen sowohl die Bänder, die Gelenkkapsel, das umliegende Bindegewebe als auch natürlich die Muskulatur.

Der passive Bewegungsapparat ist also unser Stützapparat, der ohne aktive Komponente, einer Marionette gleich, am Boden liegen würde. Ohne dieses stabile Grundgerüst wäre es allerdings auch nicht anders. Wir könnten nur die Fortbewegungsart eines Kriechtieres nutzen.

Aktiver Bewegungsapparat

Damit wir uns also gegen die Schwerkraft aufrichten und bewegen können, besitzen wir einen aktiven Bewegungsapparat, der sich aus der Skelettmuskulatur und ihren nicht weniger wichtigen Partnern, den Faszien, Sehnen, Sehnenscheiden und Schleimbeuteln zusammensetzt. Die Muskulatur zieht, in verschiedenen Größen und Längen, von Knochen zu Knochen und ist auch untereinander vernetzt. Wer einen rein knöchernen Ursprung und Ansatz der Muskulatur erwartet, wird hier neue Erkenntnisse bekommen. Was bedeutet denn eigentlich Ursprung und Ansatz? Es sind die Stellen im Körper, an denen die Muskelsehnen an Knochen oder Gewebestrukturen ansetzen (inserieren), um so die Kraftübertragung auf den passiven Bewegungsapparat auszuüben. Die Ursprungsregion liegt zumeist an der körpernahen Achse, während der Ansatz achsenfern liegt. Schwer zu merken? Ich habe mir das über U = unbeweglicher Körperteil + A = aktiver Körperteil gemerkt. Grundsätzlich gilt die Frage, welcher Muskelpunkt bei Aktivität in Bewegung versetzt wird. Punctum Fixum – Punctum mobile! Auch hier hilft das »U«, denn »fixum« = Ursprung.

Ohne Kraft können wir nichts! Und wenn wir nichts tun, verlieren wir unsere Kraft! Das sind zwei harte Fakten, die leider wahr sind. Für die Kraftentwicklung benötigen wir unsere Skelettmuskulatur. Sie wird als quergestreifte Muskulatur eingeordnet, denn unter dem Mikroskop zeigen sich wiederholende Formen, die das Muster von Querstreifen haben. Schon hier kursieren unterschiedliche Aufbauerklärungen. Ich bediene mich der etwas differenzierteren Form. Hiernach baut sich der Muskel wie folgt auf.

Von außen nach innen:

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1.4. Muskelaufbau

  1. Muskelhülle, bestehend aus Muskelfaszie und lockerem Verbindungsgewebe (Epimysium)*.
  2. Muskelfaserbündel (Faszikel), ebenfalls umgeben von Verbindungsgewebe (Perimysium)*. Die Faserbündel können nochmals unterteilt werden, denn die Sekundärbündel, die wir als »Fleischfaser« mit bloßem Auge sehen, setzen sich aus vielen Primärbündeln zusammen.
  3. Muskelfaser/Muskelfaserzelle (Myozyt) beschreibt den Verbund der Kraftwerke eines Muskels. In diesem spindelähnlichen Gebilde vereinen sich die muskulären Funktionseinheiten. Der ebenfalls gängige Begriff »Muskelzelle« ist hier etwas verwirrend.
  4. Muskelfibrillen (Myofibrillen), die bereits erwähnten Funktionseinheiten, bestehen aus unzähligen, kastenförmig angeordneten Aktionseinheiten.
  5. Kleinste kontraktile Einheiten (Sarkomere) sind die kleinsten Funktionseinheiten. Hier verschieben sich Proteinfäden (Filamente) Aktin und Myosin gegeneinander und erwirken so, als Kettenreaktion, das Zusammenziehen des Muskels (Kontraktion). Bleibt noch zu erwähnen, dass sich ein drittes Protein ebenfalls in den Sarkomeren, die übrigens die Querstreifen ergeben, aufhält: das Titin. Es sorgt, einfach ausgedrückt, für eine gute Ausrichtung von Aktin und Myosin. Ähnlich einem Gummiband positioniert es die Proteine nach Dehnung zurück in die Ausgangstellung.

    * (Abb 1.4. + 1.6.) Epimysium und Perimysium werden zum besseren Verständnis voluminöser gezeichnet, als sie tatsächlich sind.

Die quergestreifte Skelettmuskulatur unterscheidet sich von glatter Organmuskulatur nicht nur im Aufbau. Sie hat gut sortierte Funktionseinheiten, die unserem Willen nach kontrahieren. Die glatte Muskulatur kontrahiert langsam, dauerhaft und ohne Kraftspitze, indem sie sich spiralförmig zusammenzieht. So ergibt sich in der Gesamtansicht ein glatt erscheinender Muskel. Diese Muskelart befindet sich vorrangig in unseren Eingeweiden und Regionen, die selbstständig (autonom) arbeiten müssen. Unser Herzmuskel gehört trotz autonomer Arbeitsleistung zur quergestreiften Muskelgruppe, nicht aber zur Skelettmuskulatur. Seine Arbeit erhält uns am Leben, und so ist er ein absolut essentieller Teamplayer im Körper.

Egal welche Art Muskelgewebe: Lange Zeit wurde nicht weiter erwähnt, dass sich jede einzelne Faser, jedes Filament, jede Zelle mit bindegewebigen Fasern umgibt. Nur so kann die kontraktile Verschiebbarkeit gewährleistet werden. Ist Euch vielleicht aufgefallen, dass ich die Muskelhülle als Kombination von Muskelfaszie und dem Epimysium genannt habe? Häufig wird die Hülle dem Epimysium gleichgesetzt, das entspricht einer vereinfachten Einteilung, die gern mal Verwirrung stiften kann. Grundsätzlich wisst Ihr jetzt, was gemeint ist und merkt Euch vielleicht noch, dass die den Muskel betreffenden Gewebefasern Myofaszien heißen.

»Myo« steht für Muskel, muskulär oder den Muskel betreffend – Bindegewebe wird als Faszie (Fascia, Fascie) bezeichnet.

Faszien

Nun wäre es aber gut zu wissen, was eigentlich Faszien sind. Sie sind das Alles oder Nichts im Körper, das unendliche Fasernetzwerk, die Herberge all unserer Körperbausteine. Würden wir alle Komponenten aus diesem Netzwerk entfernen, könnten wir den Körperbau dennoch erkennen – nur würde das Konstrukt nicht halten.

Fascia, Fascie oder Faszie, egal, welcher Begriff genutzt wird, die Übersetzung »Bandage« erklärt die Grundfunktion des Bindegewebes ganz gut. Es verbindet/durchzieht unseren gesamten Körper und ist struktur- und formgebend. Unterschiedlich dicht besiedelt mit Zellen jeglicher Couleur (Nerven-, Fett-, Mastzellen etc.) erhält das Bindegewebe, mit seiner wasserbindenden Eigenschaft, die Gleitfunktion einzelner Strukturen gegeneinander. Auch Fettzellen lagern in diesen Strukturen. In gesundem Maße sind sie die polsternden Helfer für unser Bindegewebe. Es hat Tag und Nacht viele Aufgaben zu erledigen, in der heutigen Zeit könnte man es liebevoll als »Superhost« beschreiben. Es unterstützt u.a. die körperinterne Kommunikation, die Versorgung mit Nährstoffen und die Immunabwehr. Und vor allem hilft es uns bei jeder Bewegung.

Ganz grob gesagt unterscheiden sich Faszien in »lockeres Bindegewebe« als weit im Körper verzweigtes kollagenes Netzwerk und »dichtes Bindegewebe« in parallel oder mehrschichtig verlaufenden Kollagenfasern. Lange Jahre fand vor allem das lockere Bindegewebe wenig Beachtung, dabei hat es einiges zu bieten.

Faszien sind überwiegend kollagenhaltige Faserstrukturen, die sich in unterschiedlicher Beschaffenheit in jeder Ecke unseres Körpers befinden. Sie werden als faseriges Bindegewebe bezeichnet!

Der Euch sicher bekannte »Hype« betraf anfangs vorrangig die körperumhüllenden Schichten unter unserer Haut. Die oberflächliche Faszie (Fascia superficialis) umgibt uns wie eine zweite, lockere Haut und vernetzt sich in die unendlichen Verzweigungen der tiefen Faszien (Fascia profunda).

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1.5. Körperhüllen

Bei den tiefen Faszienschichten handelt es sich um faserreiche (fibröse) Schichten, die gut organisiert mit dem Muskel interagieren. Wir werden sie, in Bezug auf die Muskulatur, häufig wiedertreffen, denn sie bilden die verschiedenen Hüllschichten des aktiven Bewegungsapparates, Organ- und Gelenkkapseln (Capsula fibrosa und articularis).

Schlussendlich gibt es auch in den Tiefen unseres Körpers lockere Faszien. Es handelt sich um Einbettungsgewebe und die Aufhängung für die Organe (viszerale Faszien).

Das Bindegewebsnetzwerk durchzieht uns gänzlich, ohne Anfang oder Ende. Es setzt sich aus drei Teilen zusammen. Den Zellen, die permanent dafür sorgen, Baustoffe (Moleküle) zur Gewebeerneuerung auszuschütten. Diese Moleküle sind vorrangig Kollagen, weniger Elastin → Fasern und Zuckereiweißverbindungen (Proteoglykane) plus deutlich mehr saure Mehrfachzucker (Glycosaminoglycane). Diese werden kurz »GAGs« genannt und sind viel bekannter unter dem Namen Hyaluronsäure (Hyaluronan = körpereigenes Hyaluron) → Grundsubstanz. Die Eigenschaft der Wasserbindung wird somit der sogenannten Grundsubstanz zugeschrieben. Sie ist ein wichtiger Teamplayer, der die Gleitfunktionen und Scherbewegungen im Körper ermöglicht.

Der Bauplan sieht demnach so aus:

Faszien bestehen aus:

  1. Zellen (Fibroblasten + Fasziozyten)
  2. Fasern (vorrangig Kollagen, Elastin)
  3. Grundsubstanz (vorrangig Hyaluronan)

Die Gewebezusammensetzung bestimmt hier den jeweiligen Gewebetyp. Das lockere Fasziengewebe kommt mit einer chaotisch wirkenden Ausrichtung eher zellarm, dafür reich an einer wasserhaltigen Grundsubstanz daher. Wir finden es vorrangig in der oberflächlichen Faszie (Fascia superficialis), dem Epimysium und den Faszien der Eingeweide (viszerale Faszien). Als zellreiches, aber lockeres Bindegewebe wäre das Fettgewebe zu nennen, denn die Fettzellen werden im faszialen Gewebe gehalten. Straffe Faszien dagegen erscheinen sortiert in spezifischer Ausrichtung, die von vielen Fasern unterschiedlicher Festigkeit gestaltet werden. Ihr könnt Euch dies als Schwamm vs. Lappen vorstellen. Der Schwamm zieht viel Wasser und wirkt locker, während der Lappen, je nach Material, eine mäßige, richtungsabhängige Mobilität zulässt und den Wasserspeicherpokal dem Schwamm überlassen muss.

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1.6. Gewebe und Rezeptoren

Lockeres Bindegewebe: Grundsubstanz überwiegt | unspezifische Ausrichtung | Hüll- + Füllgewebe | hohe Gleiteigenschaften.

Straffes Bindegewebe: Faseranteil überwiegt | spezifische Ausrichtung | formgebendes Gewebe | hohe Festigkeit.

Leichthin könnte man nahezu alles im Körper als Faszie bezeichnen. Je nach Kollagenfasertyp und Faserdichte sind Sehnen, Bänder oder auch Bandscheiben ein fasziales Produkt. Sogar Knochen sind im weitesten Sinne mit Kalk versetzte (Kalzifikation) Faszien. Ein fortlaufender Wechsel verschiedenster Dichten und Festigkeiten. So ist es zwar weitestgehend richtig, aber funktionell doch ein bisschen ungenau. Es ist wie bei Autos oder Bekleidung. Hose ist eben nicht gleich Hose und ein Kleinwagen ist kein SUV. Eine Typisierung hilft nicht nur der Orientierung, sie unterscheidet auch die Beschaffenheit und erklärt die Funktionen.

Tiefe Faszien

Insgesamt verwirrt oft schon der Begriff »Epimysium«, denn die unterschiedliche Literatur beschreibt die gesamte Muskelhülle als Epimysium oder eben nur das mit der Muskelfaszie eng verbundene lockere Bindegewebe. Belassen wir es hier bei dem vereinfachten Begriff und merken uns:

Die erwähnten tiefen Faszienschichten enthalten spezifisch ausgerichtete Fasern u.a. für die Kraftübertragung und Hyaluronan, um die gleitende Mobilität zu erhalten.

Die verschiedenen Faszienarten zeigen deutlich, wie komplex dieses System ist. Es ist wirklich wichtig und sollte dennoch niemals als Einzelsystem angesehen werden. Hierzu möchte ich ein paar Aspekte anführen, die zu diesem Kontext passen.

Die Liste könnte viel länger sein, aber für den Moment soll sie reichen, damit Ihr eine kleine Idee habt, was die Faszien sind und können. In den einzelnen Kapiteln werdet Ihr mehr über dieses intelligente Netzwerk erfahren.

Die häufige Aussage »Der Körper besitzt nur eine Faszie« ergibt sich aus der endlosen Verzweigung. Dieses System wird regional in unterschiedliche Faszien unterteilt!

Für mich waren die unterschiedlichen Benennungen anfangs wirklich verwirrend. Vielleicht helfen ein paar Erklärungen, um die Einteilungen besser zu verstehen.

  1. Faszienbenennungen richten sich meist nach der örtlichen Lage im Körper.
  2. »Lamina« beschreibt unterschiedliche Lagen einer Struktur, bei den Faszien kommt dies häufig vor.
  3. »Retinacula« sind bandhafte Verstärkungen der Faszien, quasi Halterungen zwischen Gewebeschichten.
  4. Es kann zwischen benachbarten Muskelfaszien durchaus weitere Faszien geben. Sie bedecken mehrere Muskeln ganz oder teilweise. Diese Faszien finden sich meist in Regionen, in denen mehr schützende oder besonders wichtige gleitende Funktionen nötig sind.

Damit ein strukturelles Gleiten gelingt, bedarf es spezifischer Stoffwechselprozesse, die ich hier beiseitelassen möchte. Allerdings nicht ohne den Hinweis, dass sich die bindegewebigen Strukturen, sollten sie keinem ausreichenden Stoffwechsel unterliegen, verdichten und so schmerzhafte Probleme bereiten können.

Nerven und Rezeptoren

Die Schmerzen meldet natürlich nicht die Faszie. Sie beherbergt den wahrnehmenden Rezeptor, beziehungsweise die Nervenbahn und umhüllt sie schützend. Nervenfasern leiten angepasst an ihre »Erregbarkeit« Informationen zur Leitzentrale, unserem Gehirn, genauer gesagt der Hirnrinde (Cortex). Erst hier wird die Warnung »SCHMERZ« ausgegeben. So einfach wie hier beschrieben ist es natürlich nicht. Natürlich können sowohl die Faszie als auch der Muskel Auslöser für Schmerz sein, nur wahrnehmen tut es das Nervensystem. Ändert sich also das Milieu oder wird Gewebe mechanisch verändert, reagiert der regional betroffene Rezeptor als Schmerzmelder (Nozizeption).

Das Nervensystem ist ein komplexes Thema aus der Sparte der Physiologie. Ich erwähne es hier nur randläufig und lade Euch ein, in die aktuellen neurowissenschaftlichen Sportlektüren hineinzuschnuppern. Es lohnt sich.

Es ist vielleicht spannend zu wissen, dass unser Nervensystem unterschiedlichen Einteilungen unterliegt:

Die topographische Einteilung unterscheidet das zentrale Nervensystem (ZNS) = Gehirn + Rückenmark und das periphere Nervensystem (PNS) = Nervenfaserbündel + Nervenfasern außerhalb des Rückenmarks. Praktisch die externe Verkabelung (PNS) zu einem Headoffice (ZNS).

Die funktionelle Einteilung unterscheidet ein willkürliches (somatisches) und ein unwillkürliches, autonomes (vegetatives) Nervensystem. Auch hier kann man das Headoffice als Metapher nehmen, denn eine Firma funktioniert nur gut, wenn sich alle Mitarbeiter wohl fühlen und effektiv ihre Arbeit machen. Egal, wie weit der Chef weg ist, er steht doch zur Verfügung und kann sich auf seine engagierten Mitarbeiter verlassen.

Befassen wir uns weiter mit der funktionellen Einteilung. Diese Systeme sind für unser Überleben wichtig. Beide Systeme nehmen Einfluss auf unser Bewegungssystem, die Qualität der Bewegung und die Gesundheit unserer Strukturen.

Das zentrale Nervensystem des Körpers funktioniert, einfach ausgedrückt, über äußere und innere Wahrnehmung.

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1.7. Wahrnehmung

Vegetatives Nervensystem

Das autonome Nervensystem (ANS) unterteilt sich in ein sympathisches und ein parasympathisches Nervensystem (auch das enterische NS des Darms wird hierzu gezählt). Neben sämtlichen Vitalfunktionen übernimmt das ANS die Reizaufnahme und -umsetzung aus unserer Umwelt. Der Sympathikus arbeitet meist gegensätzlich (antagonistisch) zum Parasympathikus. Sympathische Reaktionen bedeuten eine schnelle Mobilisierung des Körpers, während die Reaktion des Parasympathikus die Ruhe fördert. Sekundär haben diese Systeme großen Einfluss auf unsere Skelettmuskulatur, denn der Sympathikus sorgt für alle notwendigen Gefäßreaktionen, den körpereigenen Temperaturausgleich und seine biochemischen Prozesse während Belastungsphasen. Der Parasympathikus fühlt sich zuständig für die Wiederherstellung des physiologischen Gleichgewichts (Homöostase).

Wie bereits erwähnt, hängt auch das System der Faszien mit diesem autonomen System zusammen. Es ist also nicht nur seine Herberge. Die Faszienspannung wird unter anderem über diverse Botenstoffe (Neurotransmitter) gesteuert. Sympathikus und Parasympathikus arbeiten hier durchaus zusammen. Gemeinsam aktiv (synergistisch) fördern diese zwei Systeme unsere Fortpflanzung, unseren Sexualtrieb. Point & shoot! Der Parasympathikus sorgt für die Erektion (point), der Sympathikus für die Ejakulation (shoot).

Somatisches Nervensystem

Das willkürliche System steuert primär unsere Skelettmuskulatur. All das, was wir willentlich ansteuern, unterliegt diesem System genauso wie reflektorische Aktionen. Sie funktionieren über die Informationsleitung diverser Nervenfasern zum Gehirn (afferent), um dort, nach Informationsverarbeitung, den Auftrag über Nervenfasern zum Muskel (efferent) einzuleiten. Als Eselsbrücke dient hier der »raufkletternde Affe« = afferent und der auszulösende »Effekt« = efferent.

Afferente Information über:

Efferente Information über:

Ein gutes Team in Sachen Informationsweiterleitung. Es ist gut zu erkennen, wie wichtig eine tägliche und abwechslungsreiche Bewegung für diese lebenswichtigen Aufgaben ist.

Die für die Informationsweiterleitung nötigen Wahrnehmungszellen reagieren spezifisch auf Reizeinflüsse und werden in Aufgabenkategorien (z. B. Thermo-, Chemo-, Mechanorezeptoren) eingeteilt.

Mediziner lernen die Funktionen so: Politisch steht Merkel unter Druck. Meissner-Porzellan sollte vorsichtig berührt werden. Vater-Pacini gleicht dem Opernsänger mit stimmlichem Vibrato. Nur Ruffini »schert« das alles nicht.

So wirken viele Faktoren im somatischen System zusammen. Es ist unser motorisches System. Vernachlässigen wir es, unterliegen wir dem Prinzip »Use it or lose it«. Die Rezeptoren verlernen die Kommunikation und die Bewegungsausführung lässt in der Feinmotorik und der Widerstandskraft nach. Es gibt Autoren, die dies als »sensomotorische Amnesie« beschreiben. Diese recht logisch erscheinende Theorie ist ein wichtiger Faktor für unser gesundes Training.

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1.8. Vegetatives Nervensystem

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1.9. Sensomotorische Amnesie

Tipp

Solange der Muskel nicht genau weiß, wann er sich wie kontrahieren soll, erscheint es sinnvoll, dies in kleinen Schritten zu üben. Überfordern wir den Muskel, überfordern wir gleichzeitig auch das umliegende Bindegewebe. Wiederholende Überforderung legt den Grundstein für Bewegungsschmerzen. Es lohnt sich also, an komplexe Übungen mit leichteren Variationen heranzugehen.

Bei neuen Übungen fördern methodische Reihen die Übungsqualität!

Was fehlt?

Ihr werdet zu Recht bemerken, dass essentielle Grundlagen zum Thema körperliches Teamwork fehlen. Diese Komponenten, wie das Herz-Kreislauf-, Lymph- und Verdauungssystem, betreffen die Physiologie unseres Körpers. Wenn auch wichtig, übergehe ich diese und überlasse sie anderen Autoren, die dieses Fach bestens beherrschen. Hier und da werde ich es aber als kleinen Exkurs einfließen lassen. Ich hoffe, das ist in Eurem Sinne.

2. DIE HALS-NACKENMUSKULATUR

Halsmuskulatur

Starten wir durch und beginnen mit dem fragilen System um unsere Halswirbelsäule. Es trägt täglich eine schwere Last, unseren Kopf. Damit dieser hochgehalten werden kann und sich zudem noch beweglich zeigt, befindet sich hier ein intelligentes Muskel-Faszien-System. Leider ist es häufig mit seinen Aufgaben überfordert und wäre erfreut über etwas Unterstützung. Dazu sollten wir wissen, worum es eigentlich geht.

Anatomie

Beginnen wir mit der Differenzierung der verschiedenen Schichten des Halses. Ein vierschichtiges System unterteilt sich in oberflächliche, mittlere und zwei tiefe Schichten. Es ermöglicht ein effektives Teamwork vielschichtiger Faszien- und Muskelstrukturen. Leiten wir unseren Fokus vorerst auf die Halsmuskeln im vorderen Bereich und spenden den Mm. trapezius, levator scapulae und erector spinae, die ebenfalls im Hals-Nackenbereich ihre Wirkung leisten, später Aufmerksamkeit.

Oberflächliche Schicht

Die oberflächliche Schicht bildet sich aus dem eher mimischen, faszienlastigen Platysma und dem sehr starken Kopfwender M. sternocleidomastoideus. Ihr könnt beide Muskeln deutlich erkennen, wenn Ihr in den Spiegel schaut.

Platysma

Das Platysma zeigt sich sehnig und feingliedrig, sobald Ihr die Kiefer massiv gegeneinander verschiebt. Mit solchen Grimassen könnt Ihr den Verlauf vom Unterkiefer (Mandibula) und der ohrspeicheldrüseneinfassenden Faszie (Fascia parotidea) bis mindestens zum Schlüsselbein (Clavicula) verfolgen. Direkte knöcherne Ansätze sind maximal am Unterkiefer vorhanden. Dieser Hautmuskel zieht direkt verwoben und teilweise unter der oberflächlichen Faszie (Fascia superficialis) entlang zu den Faszien von Brust- und Deltamuskel (Mm. pectoralis major + deltoideus) sowie anderer Hautareale. Einen Eindruck der unterschiedlichen Bewegungskräfte vermitteln die Pfeile in Abbildung 2.1. Es sind nur die Hauptrichtungen verzeichnet, denn hier wirkt ein wirklich multidirektionales System!

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2.1. Oberflächliche Halsmuskulatur

Wundert Euch bitte nicht über sehr unterschiedlich beschriebene Ursprung- und Ansatzbeschreibungen. In der gängigen Literatur werden die Verläufe oft gegensätzlich erwähnt. Einig ist man sich über die zahlreichen Vernetzungen in die Gesichtsmuskulatur und Gesichtsfaszien im Kinn- und Kieferbereich. Funktionell ist diese feine muskuläre Struktur im Menschen eher degeneriert, der Maulwurf ist da besser aufgestellt. Der kleine Hügelbauer hat einen Ganzkörperhautmuskel, um sein Fell schüttelnd zu säubern. Wir Menschen können hier nicht mithalten. Das Platysma ist in uns als »Flunschmuskel« erhalten. Es zieht unsere Mundwinkel aktiv herunter. Dennoch sollten wir es nicht unterschätzen. In Kombination mit Kieferverschiebungen kann es die oberflächliche Faszie bis zum Schultergürtel und Brustbein bewegen. Eine stabilisierende Tätigkeit für den Kopf kann es jedoch nicht verrichten.

M. sternocleidomastoideus

Als Kopfstütze eignet sich der direkt unter dem Platysma ziehende Kopfwender schon eher. Der M. sternocleidomastoideus ist als fester Strang in seinem Verlauf äußerlich gut erkennbar. Seine medialen Ursprungsköpfe bilden das von außen deutlich sichtbare kuhlenförmige »V« über dem Brustbein.

Er entspringt zweiköpfig vom vorderen Brustbein (Sternum/Manubrium sterni) und dem medialen Drittel des Schlüsselbeins (Clavicula). Auch diesen Ursprung könnt Ihr als flachen Strang neben dem erhabenen Bruder ertasten oder sogar sehen. Beide Stränge vereinen sich in einem runden fleischigen Bauch und ziehen, faszial umhüllt von Abschnitten der Halsfaszie (Fascia cervicalis), zum untersten Punkt des Schläfenbeins (Os temporale). Hier angekommen, vernetzt sich der Kopfwender weiter über eine dünne Sehnenplatte (Aponeurose) entlang der unteren Schädelkante bis zur oberen Nackenlinie (Linea nuchae superior) am Hinterkopf. Die Nackenlinie (Linea nuchae) ist als Knochenleiste am Hinterkopf tastbar.

Mittlere Schicht

Die untere Zungenbeinmuskulatur (infrahyoidale Muskulatur) erwähne ich der Vollständigkeit halber. Die Mm. omohyoideus, sternohyoideus, thyrohyoideus und sternothyroideus führt es von verschiedenen Ursprüngen (Schulterblatt, Brust- und Schlüsselbein) zum Zungenbein. Eine trainingsspezifische Funktion führt zur Unterstützung der Kopfvorneigung gegen Widerstand. Zungenbewegungen sollten nicht unterschätzt werden. Die Aktivierung vom Mundboden und der Zunge haben durchaus Wirkung auf entferntere Regionen. Die Hauptaufgabe dieser Muskeln liegt jedoch im Schluckmechanismus. Den Halsfaszien dieses Bereichs fällt eine nennenswerte Rolle zu. Es sind jedoch keine stressbedingten Faszienspannungen, die uns die Luft wegbleiben lassen, wenn wir unter Stress stehen. Gemeint ist das Gefühl: »Es schnürt sich unter Dauerstress der Hals zu«. Faszien sind ein vegetativ gesteuertes System, aber ihre Spannung verändern sie nur sehr langsam.

Ausgeschüttete Botenstoffe wie Adrenalin oder Cortisol nehmen langfristigen Einfluss auf die Spannung des Bindegewebes und so liegt die Vermutung nah, dass sich unser Nacken faszial verspannt, solange wir unter Stressbelastungen leiden.

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2.2. Zungenbeinmuskulatur

Tiefe Schicht

In der Tiefe finden sich zwei weitere Gruppen. Die Skalenusmuskeln und die prävertebralen Muskeln.

Mm. scaleni

Die Treppenmuskeln (Mm. scaleni anterior, medius und posterior) ziehen absteigend, ähnlich einer Treppe, von den Querfortsätzen der Halswirbel (Procc. transversi) abwärts zur 1. und 2. Rippe (tlw. auch bis zur 3. Rippe). Die recht starken Partner des M. sternocleidomastoideus spannen sich nicht nur zum Heben der oberen Rippen, sie bilden zwei wichtige Lücken (Skalenuslücken), die den armversorgenden Gefäßen und Nervenbahnen (Plexus brachialis) Raum verschaffen.

Prävertebrale Muskulatur/Mm. Longus capitis und colli

Die prävertebralen Muskeln befinden sich direkt an der vorderen (ventralen) Halswirbelsäule. Die Mm. longus capitis und colli spannen sich aufsteigend zwischen dem 1. Halswirbel (Atlas) bis hin zum 3. Brustwirbelkörper. Eine lange Strecke, auf der sich der M. longus colli in drei Abschnitte (M. longus colli pars obliqua superior, pars recta (medialer Teil), pars obliqua inferior) unterteilen lässt. Ein krakenähnlicher Muskelbauch entspringt vom 3. Brustwirbel bis zum 5. Halswirbel, um mit kurzen und langen Fasern zu seinen Ansätzen sämtlicher vorderer Halswirbel und den Querfortsätzen am 5. und 6. Halswirbel zu ziehen. Der M. longus capitis begleitet den »Colli« im oberen Abschnitt. Er zieht von den Querfortsätzen 6-3 ebenfalls aufwärts zum Hinterhauptbein (Os occipitale). Der Ansatz des M. longus colli liegt übrigens vor der Wirbelsäule.

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2.3. Tiefe Halsmuskulatur

Tiefe Nackenmuskulatur

(Flexion, Lateralflexion und Rotation)