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MARLENA FISCHER

DAS SURVIVAL-HANDBUCH FÜR RENTNER

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

1. Auflage 2022

© 2022 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Sebastian Brück

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Bahau, Igogosha

Satz: Carsten Klein, Torgau

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7423-1836-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1548-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1549-3

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INHALT

ENDLICH AM ZIEL!

WAS? ICH WILL DOCH WEITERARBEITEN!

WAS SOLL ICH DENN JETZT MIT ALL DER ZEIT ANFANGEN?

Das ehrenhafte Ehrenamt

Gartenfreuden

Es lebe das Handwerk

Der beste Freund des Rentners

Ab in die Berge

Ein Haus auf Rollen

Eine Kreuzfahrt, die ist lustig …

Lesen!

Ordnung muss sein

Das Buch Ihres Lebens

Glotze an!

Ein zweiter Frühling

Spitze(ln)

Eine ruhige Kugel schieben

SO JUNG, WIE MAN SICH FÜHLT

WIE FUNKTIONIERT DAS NOCH MAL?

ESSEN WIE EIN SCHAF

WILL MAN NOCH AUF SICH ACHTEN?

FREUNDSCHAFTEN IN ZEITEN DER ALTERSDEMENZ

FAMILIENFREUDEN

Verwandtschaft – Teil 1

Verwandtschaft – Teil 2

Verwandtschaft – Teil 3

HEY, BOSS, ICH BRAUCH MEHR GELD

ERBEN UND STERBEN

ENDLICH ALT GENUG …

ENDLICH AM ZIEL!

Herzlichen Glückwunsch, Sie haben das Ziel erreicht. Geben Sie Ihre Schlüssel dem Wagenmeister, der ihn parken soll, wo er will, denn den brauchen Sie sowieso nicht mehr. Sie sind nämlich angekommen. Kein Sich-Abhetzen mehr auf den Aschenbahnen des Lebens, kein Planen, kein Wetteifern, kein Abhaken von To-do-Listen mehr. Mit dem Eintritt ins Rentenalter ab 67 plus/minus X haben Sie den Pflichtteil des Lebens erfolgreich hinter sich gebracht und dürfen nun mit der Kür beginnen.

Lassen Sie die Seele baumeln, gehen Sie den typischen Rentnerhobbys nach, schwärzen Sie Ihre Nachbarn bei der Polizei an, fahren Sie nach Sri Lanka zum Ayurveda oder brennen Sie heimlich Schnaps in der Garage – denn das haben Sie sich redlich verdient nach all den Kämpfen und Schlachten, die Sie in Ihrem Leben wieder und wieder geschlagen haben.

Vorbei sind die Zeiten als Jugendlicher, als Sie zwar um Welten fitter waren und es tatsächlich geschafft haben, vier Stufen auf einmal nehmend die Wohnungstreppe hinaufzustürmen, ohne sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzuziehen – aber mit welchen Unsicherheiten hatten Sie doch damals tagtäglich zu kämpfen: Hat Anja Steffi möglicherweise lieber als mich? Werde ich vielleicht nie Bundesligastar? Wie schaffe ich es nur, von fünf Mark Taschengeld pro Woche diese endgeilen Lautsprecherboxen zu bezahlen? Werde ich jemals ein erfüllendes Sexualleben haben? Und traue ich mich mit diesen Schuhen überhaupt noch in die Schule?

Die darauffolgenden Jahre waren nicht wirklich besser. Zwar gab es in den Zwanzigern und Dreißigern endlich Sex – mal mehr, häufig weniger. Außerdem hatten Sie jetzt das Geld, sich die entsprechenden Boxen und die passenden Schuhe selbst zu kaufen, wenn Ihre Eltern so unvernünftig waren, das Geld nicht herauszurücken. Aber zu welchem Preis? Die Arbeitstretmühle hatte Sie fest im Griff, im besten Fall von nine to five – aber darf’s auch ein bisschen mehr sein? Natürlich. Muss ja. Denn wer Geld verdient, der gibt mehr aus. Manchmal auch ein bisschen mehr, als man eigentlich hat. Kann man ja wieder reinarbeiten …

Weiter ging es auf der Schnellspur bergab – hinein in die Unfreiheit. Sie haben Kinder? Herzlichen Glückwunsch! Das heißt nämlich Jahrzehnte schlechten Schlafs – weil die Kinder Sie mit ihrem Geschrei nie schlafen ließen; weil der Alkohol, den Sie abends zum Runterkommen in sich hineinschütteten, Sie wach hielt; weil die Kinder unterwegs waren und Sie besorgt auf ihre pünktliche Rückkehr warteten oder – die schlimmste Ursache der Schlaflosigkeit, weil sie noch immer fortdauert und nie ein Ende finden wird: weil die Kinder ausgezogen sind und Sie plötzlich in einem viel zu leisen Haus all das Geschrei und Getrampel und nächtliche Kühlschrank-Geklapper vermissen, schmerzlich vermissen. Nicht zu vergessen die verkackten Windeln, die Sie gewechselt, die verkackten Klos (wozu ist noch einmal eine Klobürste gut?), über die Sie geflucht haben. Und wie oft ist Ihnen wohl der Spruch »Das hier ist keine Imbissbude« über die Lippen gekommen? Ob Sie wohl genauso grau und faltig wären, wenn Sie keine Kinder gehabt hätten?

Ist es da nicht unglaublich beruhigend, zur Garage zu gehen und sicher zu wissen, dass erstens Ihr Auto auch wirklich da und es zweitens weder verkratzt noch aus irgendwelchen Gründen fahruntauglich ist?

Denn all das ist vorbei, vorbei, vorbei.

Die Kinder – aus dem Haus.

Die Schulden – abgezahlt, zumindest so gut wie.

Die Arbeitssorgen? – Winke-winke!

Hallo, Enten im Stadtpark!

Doch wie bitte? Eigentlich wollten Sie noch gar kein Rentner sein? Wie soll man denn bitte schön das verstehen?

WAS? ICH WILL DOCH WEITERARBEITEN!

DIE ARBEIT LOSLASSEN

Gehe nicht mehr über Los, ziehe keine 2000 Mark ein …

Nicht nur aus finanziellen Gründen ist das Rentenalter für Sie so ganz und gar nicht das, was Sie schon lange erträumt haben? Während um Sie herum alle aus unverständlichen Gründen dem Renteneintritt entgegengefiebert haben oder noch fiebern (diese Glücklichen!), hing das Rentenalter schon lange wie ein Damoklesschwert drohend über Ihrem Kopf und erfüllte Sie mit Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen. Und jetzt ist es herabgestürzt, hat Ihr Herz durchbohrt, Sie abgetrennt von Ihren Liebsten – nämlich Ihren Kollegen – und Ihrem Lebenszweck, der Arbeit, die selbst dem sinnlosesten Leben Sinn verleiht.

Wie werden Sie ihn vermissen, den morgendlichen Kaffee mit Ihren Kollegen und die damit verbundenen täglichen Klatschrunden! Mit so viel Lachen, so viel Wärme, so viel Liebe! Die Geburtstagsfeiern, wenn alle sich um den liebevoll selbst gebackenen Kuchen versammelten und aus vollstem Herzen »Wie schön, dass du geboren bist« schmetterten. Die Betriebsausflüge mit Klassenfahrtcharme, die Weihnachtsfeiern, ein Höhepunkt Ihres Jahres …

Oje, ich sehe schon: Da sitzt jemand einer hartnäckigen Selbsttäuschung auf. Zeit, sich einmal tief in die Augen zu blicken. Denn seien wir doch mal ehrlich:

Hingen Ihnen diese schrecklichen Kaffeerunden nicht schon längst zum Hals heraus? Das ständige Genöle, Geläster, das Gejammer über zu viel, zu wenig, zu schwere Arbeit, was zum guten Ton gehörte, aber so gut wie nie der Wahrheit entsprach? Und sind Sie sich nicht insgeheim sicher, dass die Kollegen, mit denen Sie gemeinsam über Dritte hergezogen haben, mit Dritten hinter Ihrem Rücken auch über Sie herzogen? Und der Kaffee – kann man diese Plörre überhaupt als Kaffee bezeichnen? Ihr Sodbrennen sagt Nein! Vor allem nicht, seitdem die Gesundheitsapostel unter den Kollegen Ihnen ständig unter die Nase reiben, dass Kaffee mit Milch und Zucker das reinste Gift sei. Komisch – nach Gift schmeckt es erst dann, wenn man es ohne Milch und Zucker trinkt.

Und die Geburtstagsfeiern. Na ja, Sie haben ja schon lange keine Lust mehr, daran erinnert zu werden, dass der Tod jeden Tag ein kleines Stückchen näher rückt. Deshalb können Sie auf Geburtstage sehr gut verzichten. Vor allem weil Sie mit den stinknormalen Kuchen, den die Kollegen in Ihren ersten Berufsjahren mit Begeisterung verschlungen haben, heutzutage gar nicht mehr anzukommen brauchen. Ist da Weizenmehl drin? Enthält Käsekuchen eigentlich Laktose? Da ist doch nicht etwa Zucker drin!?! Wenn man sowieso nur noch Karottendinkelvollkornkuchen mitbringen darf, dann lassen Sie es lieber gleich, oder?

Und die Betriebsausflüge mit Klassenfahrtcharme, die hatten tatsächlich etwas – nämlich wirklich Klassenfahrtcharme. Mal ehrlich: Seit wie vielen Jahren schlafen Sie in fremden Betten so richtig sch… oder einfach nur gar nicht? Aber nicht auf diese gute jugendliche »Ich habe die ganze Nacht durchgemacht«-Art, sondern eher auf die Nacken-Rücken-Kopfweh-»Ich heul gleich los«-Art.

Und wenn Sie sich die Weihnachtsfeiern genauer ansehen, dann merken Sie schnell, dass Sie da auch nicht wirklich was vermissen werden. Klar war es die ersten Jahre mega, als Sabine aus dem Vertrieb mit Klaus aus dem Marketing herumgeknutscht hat und Sie nach dem Genuss einer Wodkawassermelone noch eine Runde Strip-Poker gespielt haben – aber diese Zeiten sind auch schon lange vorbei. Stattdessen: The same procedure as every year. Häppchen, Small Talk, Musik, die Ihnen so gar nichts mehr sagt. Stattdessen Zurückhaltung beim Alkohol, denn in Ihrem Alter, da soll man ja auch Vorbild sein – und trotzdem bohrende Kopfschmerzen am nächsten Morgen. Geben Sie es doch zu, dass Sie es genossen haben, als damals coronabedingt die Weihnachtsfeier virtuell stattgefunden hat und Sie sich nach der obligatorischen Stunde ausloggen und auf die Couch knallen konnten. Wollen Sie mir wirklich erzählen, Sie werden die ganze Chose vermissen?

Und das waren nur die Highlights!

Denken Sie doch nur daran, was Ihnen vom »normalen« Arbeitsalltag alles erspart bleiben wird. Das Aufstehen zu Tageszeiten, die so gar nicht zu Ihrer inneren Uhr passen – weil Sie entweder schon um halb fünf aufwachen (Stichwort: »Senile Bettflucht«) und nicht wissen, was Sie bis zum Bürobeginn um neun Uhr machen sollen, oder weil Sie am Vorabend mal wieder vor der Glotze eingeschlafen sind, sich schließlich um zwei total verstrahlt ins Bett geschleppt haben und um sechs den Wecker am liebsten zertrümmern würden, der Sie zum Schichtbeginn ruft.

Nie mehr Arzt- und Friseurtermine zu unmöglichen Zeiten, weil Sie zu den »normalen« Uhrzeiten ja arbeiten müssen. Nie mehr dringende Mails kurz vor Feierabend mit Dingen, die »asap«1 noch erledigt werden müssen. Nie wieder bei Beförderungen übergangen werden. Nie wieder Versetzungen in Abteilungen, in die Sie nicht wollen. Nie wieder »neue Arbeitsfelder«, die nur mehr Arbeit und keinen Cent mehr Geld bedeuten. Nie wieder wochenlang über eine Gehaltserhöhung lamentieren, die nicht einmal den Inflationsverlust ausgleicht. Nie wieder dem Chef in den Arsch kriechen. Nie wieder vom Chef herunterputzt werden. Grundlos. Oder noch schlimmer: mit Grund. Vor dem ganzen Team.

Sie sind der Chef? Pardon: Sie waren der Chef? Noch schlimmer! Sie wissen schon, dass alle Sie eigentlich hassen, oder? Ein paar sind nett zu Ihnen? Vermutlich auch nur, bis die nächste Gehaltserhöhung nicht den Wünschen entspricht. Und mal ehrlich: Haben Sie sich nicht ein bisschen auch selbst gehasst?

Machen Sie sich stattdessen bewusst: Sie sind frei – schöpfen Sie diese neu gewonnenen Freiheiten nun auch aus und fahren Sie das absolute Gegenprogramm zum streng durchgetakteten Alltag eines Hamsters in der Tretmühle. Stehen Sie auf, wann es Ihnen passt. Gehen Sie im Morgengrauen Tautreten im Grünstreifen oder schlafen Sie bis zehn und lesen Sie dann noch bis zwölf im Bett. Dösen Sie um 19 Uhr bei den Nachrichten ein oder bingen Sie Serien bis weit nach Mitternacht durch.