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© Susanne Dorendorff, 2018 – 2. Ausgabe

Handschriften und Illustrationen: Susanne Dorendorff

Kinderhandschriften: Felix und Moritz F. (2018)

Cover, Design und Layout: Susanne Dorendorff

Satzschrift: Garamond und Century Gothic

Dorendorff-Alphabet und Übungsbeispiele: Gemischtantiqua, verbunden, handgeschrieben

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwendung bedarf der vorherigen schriftlichen Genehmigung durch die Urheberin. Alle Ratschläge, Erkenntnisse, Regeln und Tipps wurden gewissenhaft geprüft.

Ansprüche irgendwelcher Art lassen sich davon nicht ableiten.

Es wird keine Gewähr übernommen.

Website: www.dorendorff.eu

ISBN 978-3-7528-8992-5

Experto credite
Glaubt dem, der es erprobt hat
Vergil

Inhalt

Schreibenlernen ist ein Kinderspiel.

Ich konnte schon schreiben, als ich in die Schule kam. Deshalb weiß ich, wie einfach es ist, die lateinische Schreibschrift zu erlernen. Die Politik sieht das auch so: „Das Beibringen von Buchstaben ist wissenschaftlicher Erforschung nicht bedürftig.“ und „ Das mit den Buchstaben soll ganz woanders erledigt werden, nicht in der Lehrerausbildung1.“ Was hier ironisch klingt, fand tatsächlich statt. Der Schreibunterricht wurde aus der Grundbildung genommen, und die Ergebnisse fallen uns seitdem vor die Füße. Seit Erwachsenen in ihrer Kindheit der geistige Schöpfungsakt des Schreibens verweigert wird, türmt sich Jahr um Jahr der babelsche „Kannitverstan2“-Turm immer höher auf: Eine Studie von 20123 ergab, dass der Anteil der Analphabeten im Bildungsstandort Deutschland auf 7,5 Mio. angewachsen ist (Berufstätige! – Kinder und Jugendliche nicht mitgezählt) – Tendenz: steigend.

Schreiben ist das Ergebnis eines Denkprozesses, dem ein visuell-manuell-basiertes Darstellungsereignis nachgeordnet ist. Und: Handschrift ist eine Frage der Bildung, nicht des Designs.

So wie es aussieht, brauchte es den langjährigen Verweigerungsprozess und den Verlust des Unterrichts, um die essentielle Bedeutung des Schreibens in seiner ganzen Größe erfassen zu können. Wir erinnern: Die drei Disziplinen Lesen, Schreiben, Rechnen sind das Fundament westlicher Bildung, wobei Schreiben als primus inter pares (Erster unter Gleichen) gilt. Wer lesen kann, kann noch nicht schreiben, wer nicht schreiben kann, kann auch nicht rechnen (weil er die Zahlen nicht „bedienen“ kann). Doch kann man schreiben, beherrscht man alle drei. Es geht beim Schreibenlernen also nicht um „schön“ oder „Sauklaue“, sondern um den Erwerb einer Denktechnik, auf die wir angewiesen sind.

Seit 30 Jahren ist meine Handschrift mein Beruf (wie die Stimme der Beruf eines Opernsängers ist), darüber hinaus berate ich seit gut zehn Jahren Eltern und Lehrer/ -innen in Sachen Schulschrift und Schreibunterricht (bundesweit und an deutschen Schulen weltweit). Ich erlebe die Dimension der Grundschul-Katastrophe und den Schreibkummer der Kinder wie sonst wohl kaum jemand täglich hautnah.

Das gab den Anstoß, genau jenes „Kinderspiel“ zu entwickeln, das in Deutschland fehlt: Know-how und Spielregeln zum Schreibenlernen ... inklusive Erklärpflicht für Erwachsene. Es ist nämlich der richtigen Erklärung zu verdanken, dass ich mit fünf Jahren schreiben konnte. Kein Kind kann sich selbst alphabetisieren. Woher soll es wissen, wie die Zeichen, die es sieht, ausgesprochen und geschrieben werden?

Es war eine wunderbare Selbst-Herausforderung, ein Buchstaben-kapier-Konzept zu entwickeln, das auf der Logik des Schreibens basiert und von Kindern und Erwachsenen begeistert angenommen wird. Das war das Ziel. Hier sollten sich meine Typo- und Kalligrafiesemester bewähren. Ich hatte gelernt, Buchstaben zu „sezieren“, ich kenne ihren Aufbau. Darauf kam es nun an.

Bisher ist das lateinische Schulschreib-Alphabet nur als

Einzelbuchstaben-Übersicht bekannt.

Die Details werden nicht gezeigt. Die Art der Präsentation

zum Verstehen des Aufbaus muss logischer und

nachvollziehbar sein. Jeder Buchstabe folgt einem Ablauf:

dem Anfang, der Form hin zum Ende oder zum Übergang

in den nächsten.

Die Ausführung muss aus den Basisformen heraus

geschehen werden ... zum Beispiel c + i = a

Aus ca. 20 Grundelementen lassen sich 1.770

Buchstabenpaare bilden.

Das vorliegende Konzept wurde den aktuellen Erkenntnissen der Neurobiologie, den neuronalen Gegebenheiten der Kinder angepasst und mit dem Fokus auf Jungen entwickelt, weil sie die Hauptleidtragenden der Nachkriegs-Schulpolitik sind. Es eignet sich besonders für privaten Einzelunterricht, für Kinder ab vier Jahre, für Schüler, Jugendliche und für Erwachsene.

Denn wir können uns freuen: Der Aufschwung macht sich bemerkbar. Ein deutliches Zeichen für die Unverzichtbarkeit der Handschrift ist auch ihr gezielter Einsatz als grafisch-künstlerisches Element überall in unserer Lebenswelt. Was kann Persönlichkeit, Authentizität und Individualität besser transportieren als Handgeschriebenes? Handschrift ist auf dem Weg, wieder zu einem Statussymbol, zu einer Bildungs-Code-Schrift zu werden: Die Elite will Schreibschrift, die Schrift der Dichter und Denker. Das bestätigen auch meine Handschrift-Coachings für Erwachsene. Es sind die Männer, denen in der Kindheit das Schreibenlernen verweigert wurde. Darunter Studierende, Akademiker und Führungskräfte. Da ist es wohl verständlich und ermutigend, dass diese Eltern die Handschriften ihrer Kinder im Auge behalten. Das ist unser Fundament.

Hier oben: Eine Schreibprobe des (fast) 5-jährigen Moritz

Unten: Sein Bruder Felix, 7 Jahre alt, 3. Schuljahr (2. Klasse übersprungen) hat schon seine eigene Schreibtechnik entwickelt. Beide Jungen lernten vor der Einschulung die lateinische Schreibschrift durch ihren Vater.

Schreibanfänger lernen mit meiner Methode, Buchstaben als eigenständige Sprachelemente zu verstehen. Sie sind auf sehr leicht nachvollziehbare, logische Weise erlernbar (siehe TIETUS, ab Seite →).

Kindern vor der Einschulung die Schreibschrift zu erschließen, ist derzeit wohl der zuverlässigste Weg, das Schreibenlernen positiv zu erleben. Jedenfalls solange die Grundschule im ersten Schuljahr nur die Druckschrift (und diese dann auch noch im Selbstlernverfahren zum Schreibenlernen!) anzubieten pflegt.


1 Günther Thomé: ABC und andere Irrtümer, S. 99, Bosch (1937) zit. n. Kluge 2009, S. 27

2 Johann Peter Hebel: https://epub.uni-regensburg.de/25677/l/ubrl2863_ocr.pdf

3 Grotlüschen und Riekmann, 2011, 2012; Grotlüschen, Riekmann und Buddeberg, 2012

Es ist die natürliche Spontaneität des Schreibens, die die Leichtigkeit des Gedankenflusses vorantreibt und ihn in einen geistigen Flow4 münden lassen kann, so dass alles fließt: Gedanke, Bewegung und Tinte.

Das ist das Ziel des Schreibenlernens.

Der Begriff Flow, der einen spezifischen Glückszustand veranschaulicht, passt wunderbar zum Schreiben, wo sowieso alles fließen soll. Der Flow wurde zwar von dem Psychologen Mihály Csíkszentmihályi genauer erforscht und im psychologischen Sinne manifestiert. Doch vorher schon, in den 1950er Jahren, hatte Hans Scheuerl 5, Spieltheoretiker und Professor der Erziehungswissenschaft in Hamburg, dieses Phänomen beschrieben. In seinen berühmten Charakteristiken des Spiels akzentuierte er mit dem völligen Aufgehen in der momentanen Tätigkeit, jene Mühelosigkeit des Tuns, die während des Schreibens ebenfalls eine große Rolle spielt.

Wäre Scheuerls Domäne Handschrifterwerb gewesen, hätte er dem westlichen Schreib- und Rechtschreib-Verständnis eine positivkorrigierende Richtung geben können. Denn genau diese Mühelosigkeit des Tuns kann relativ rasch eintreten, sobald die eigenen Gedanken aufgeschrieben werden. Voraussetzung ist lediglich, dass der Buchstabenschreib-Verlauf zuvor verlässlich unterrichtet und verstanden wurde.

Sinn des Schreibenlernens ist es also, sich dieser Technik so zu bemächtigen, dass sie vollkommen beherrscht und zu einem mühelosen (unbewussten) Werkzeug des eigenen Tuns wird. Niemand lernt schreiben, nur um eine schöne Handschrift zu haben. Denn dann wären Buchstaben nichts weiter als dekorative Formen.

Eine Analogie: Wir lernen Autofahren nicht des Autos wegen. Das Auto fährt. Aber es fährt nicht mich – ich fahre es. Autos sollen uns transportieren. Sie sollen unsere Reisewünsche erfüllen, uns von A nach B bringen, Einkäufe transportieren, uns Landschaften erschließen helfen und was noch alles. Genauso ist es, in übertragenem Sinne, mit dem Schreiben. Es soll uns dienen. Zu diesem Zweck muss es erlernt werden.

Doch von einer kinderverstandgemäßen Didaktik ist die Schule bis heute weit entfernt. Dies mag einer der Hauptgründe sein, weshalb es an der Grundschule seit jeher beim Schreibenlernen so viele Tränen und Verzweiflung gibt. Bei Lehrern und Schülern gleichermaßen. Ich hatte, wie oben erwähnt, Glück und konnte schon schreiben, als ich in die Schule kam. Ich berate nicht nur bei Schreibproblemen als Handschrift-Coach Kinder und Erwachsene, ich erforsche die Handschrift und das Schreiben auch, bin Sho-dō-Künstlerin, Philographin und widme mich diesen Aufgaben, die ich als großes Glück empfinde, mit Freude und Demut. Und mit der Verpflichtung, mein Wissen und Können weiterzugeben. Dass dies ein Alleinstellungsmerkmal ist, erstaunt mich mehr und mehr.

Bisher durfte Schreiben, das als Ausdrucksform nachhaltig spontan-expressiver ist als jede andere Kunstgattung, nicht zu einer anerkannten künstlerischen Disziplin aufsteigen. Und: Schreiben hat weder eine seriös-kommerziell noch eine wissenschaftlich arbeitende Lobby.

Aber schaut man genauer hin, dann hat sich schon viel zum Positiven verändert.

Als mein beruflicher Schreib-Weg begann, ich hatte grad Die Möwe Jonathan6 schreibend illustriert, war das Wort Handschrift ein Unwort: Über Handschrift sprach man einfach nicht! Die eigene Schrift war etwas, das einem unangenehm war. Die versteckte man lieber. Genau aus diesem Grund gab ich meinem Institut, das ich 2005 gründete, die Bezeichnung Europäisches Institut für Handschrift und Philographie7. Ursprünglich sollte diese Einrichtung eine kulturelle Brücke schlagen zwischen sino-japanischer und westlicher Schreibkunst. Dass das Schreiben in Deutschland abgeschafft werden sollte, erfuhr ich kurz darauf durch Eltern, die mich auf das Martyrium der Grundschüler aufmerksam machten. Das geschah offenbar genau im richtigen Moment. Und so begann ich, mich zunächst um die Geschehnisse in der Schule zu kümmern.

Um es gleich vorauszunehmen: Es gibt wunderbare Lehrerinnen und Lehrer, die sich des Schreibenlehrens auf kluge Weise annehmen, dies im Unterricht jedoch nicht anwenden dürften. Auch für sie habe ich dieses Buch geschrieben. Lehrerinnen und Lehrer an deutschen Schulen (auch im Ausland) sind weisungsgebunden, das heißt, sie müssen das tun, was „von oben“ angeordnet wird.

Wenn es der eigenen Auffassung zuwiderläuft, kann das demütigend sein. Im Deutschunterricht ist das relativ oft der Fall. Den Humus dafür mag der Föderalismus liefern. Weil jedes Bundesland, zum Teil sogar jede Schule, selbst entscheidet, was wie unterrichtet werden muss, entsteht eine beklemmend konfuse Schulstruktur.

Mit jedem Kultusminister, jedem Schulsenator werden je nach Wahlergebnis, zumeist alle vier Jahre, die Vorgaben für Lehrerinnen und Lehrer, die Lehrinhalte und die schulischen Bedingungen, unter denen die Kinder lernen müssen, umgeworfen und „erneuert“. Im Einjahresrhythmus führt ein anderer Präses die Ständige Kultusministerkonferenz der Länder (KMK), die auch über die Rahmenpläne der Grundschulen zu entscheiden hat. Vor diesem Hintergrund muss die Frage gestattet sein, wie der schulpolitische Terminus „Schulfrieden“ zu verstehen ist, eher als euphemistisch-neutralisierendes „Blendmittel“ oder eher als „Kriegsspielzeug“? Wie soll „Schulfrieden“ bei den Kindern ankommen, wenn Politiker und beratende Wissenschaftler permanent neue Vorschriften und Ideen entwickeln, die den Lehrern und Lehrerinnen übergestülpt und in den Schulen „erprobt“ werden müssen, ohne dass verwertbare Studien erstellt werden (müssen)? „Schulfrieden“ hört sich gut an, ist aber wohl schon vom Konzept her nicht möglich. Bildung braucht Orientierung. Bekommt sie aber nicht.

Ob aus kommerziell-machtpolitischem Kalkül oder aus rein pädagogischem oder beidem, ist noch offen. Jedenfalls griffen reformpädagogische Ideologen nach der Grundschule, gründeten 1969 einen Interessenverband, der die Ausgestaltung der Curricula übernahm. Seitdem sind die meisten Grundschulen auf die Ergebnisse und Materialien dieser bildungsreduzierenden, wissenschaftsbefreiten Ideen angewiesen und unterrichten sie.

Wenn der Sprachforscher Ulrich Ammon8 feststellt: „Leider sind die Zusammenhänge von Sprache und internationalen Beziehungen nur unzureichend erforscht, weder die Sprachwissenschaftler noch die Soziologen und Politologen fühlen sich zuständig. Und so erkennt auch die Politik nicht, warum es wichtig wäre, wenn Deutsch in größerem Umfang gelernt würde“, geht das Deutschlehr-Desinteresse genannter Wissenschaftler und Politiker noch wesentlich tiefer und trifft den Erwerb der deutschen Sprache am Lebensnerv, dort, wo sie gelehrt werden soll, in der Grundschule: Ein Studium theoretisch-praktischer Alphabetisierung auf Basis der lateinischen Schreibschrift und linguistisch vertretbarer Orthografie vom ersten Wort und ersten Schultag an ist nicht vorgesehen.

Worüber nie gesprochen wird: Einen Lehrstuhl für Handschrifterwerb9SchreibunterrichtSchreib-seit 197310grafomotorischen SchädigungenSchreibschwäche