Für Pauline

Inhalt

Danksagung

An dieser Stelle ist es mir eine Freude, ein herzliches Dankeschön zu schreiben. Ein Projekt dieses Umfangs ist nur durch die Hilfe vieler möglich. Alle hier nicht genannten Personen und Institutionen sind selbstverständlich eingeschlossen und der geneigte Leser und die geneigte Leserin findet die gemeinten Personen und Institutionen unter den Quellenhinweisen.

Zunächst möchte ich mich herzlich bei meinem langjährigen Weggefährten Heinz-Jürgen Heidemann für die Mitwirkung an dieser Arbeit und für die vielen Jahre in herzlicher Verbundenheit im gemeinsamen Bemühen bedanken. Bedanken möchte ich mich bei dem Verein für Kultur und Geschichte von Hohenlockstedt e. V., der in der Person von Herrn Joachim Jabusch diese Arbeit umfänglich unterstützte. Mein besonderer Dank geht auch an meinen ehemaligen Kollegen Hans-Joachim Eckmann, der sich die Zeit nahm, uns in Wilster und Umgebung auf eine historische Exkursion mitzunehmen und der mich mit diversen Chroniken der Gemeinden der Wilstermarsch ausstattete. Insbesondere möchte ich mich auch bei Herrn Uwe Ibs aus Hadenfeld bedanken, der dieses Projekt mit Herz und viel Wissen begleitete. Sodann sei Herr Klaus Lange an dieser Stelle bedankt, der mit seinem enormen Wissen über die Kremper Marsch meine Recherche unterstützte. Ein großes Dankeschön auch an Ernst Otto Kölling, der mir so manche Zeitreise ermöglichte. Ich bin dem Landesarchiv Schleswig-Holstein in Person von Herrn Thorge Christian Jeß zu herzlichem Dank für seine hervorragende Unterstützung, speziell bei meinen Quellenrecherchen, verpflichtet.

Besonders zu danken habe ich der AG Horster Ortsarchiv in der VHS Horst, Frau Helma Behrens, Hohenaspe, Herrn Christian Boldt, Leiter des Detlefsen-Museums in Glückstadt, Herrn Ernst Clausen, Brokstedt, Herrn Peter Fischer, Oelixdorf, Herrn Reimer Loop, Rade, Herrn Behrend Lorenz und Herrn Otto Soyka, Münsterdorf, Herrn Ingo Lafrentz, Itzehoe, Herrn Johann Löding, Oldenborstel, Frau Mehrens-Alfer, Leiterin des Stadtarchivs Kellinghusen, Herrn Dr. Reimer Möller, Herrn Rudolf Mohrdieck, Puls, Frau Kirsten Puymann, Leiterin des gemeinsamen Archivs des Kreises Steinburg und der Stadt Itzehoe, Herrn Klaus Rave aus Lockstedt, Frau Rühmann und Frau Ellie Ruß, Wrist, Herrn Hans Siedenburg, Vaalermoor, Frau Ingrid und Herrn Hermann Schwichtenberg, Frau Vukomanovic, Rosdorf, Helmut und Karl-Heinz Schwerdtfeger, Frau Helga Wiechers, Warringholz.

Vorwort

„Wir müssen daran arbeiten, dass demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaften wachsen. Doch das reicht noch nicht aus. Wir müssen ebenso unsere verstockten Herzen öffnen. Eines scheint mir sicher: Unrecht und Gewalt gegen den anderen, gegen den Fremden, und unsere Gleichgültigkeit, mit der wir bereitwillig wegsehen, wurzeln in unserer Unfähigkeit, die dem Fremden eigene Menschlichkeit im wahrsten Sinn des Wortes wiederzuerkennen. Wir sehen wohl – und wir schätzen gewöhnlich wenig – alles Fremde im anderen, alles, was ihn von uns und unserer Arbeit unterscheidet: Hautfarbe, Sprache, Religion, Ideologie, kulturbedingte Eigenheiten. Wir nehmen diese unbequemen bis unangenehmen Merkmale zum Vorwand, das Gemeinsame zwischen uns und dem Fremden zu übersehen.

Wir müssen unbedingt lernen, im Fremden unseren Bruder oder unsere Schwester zu erkennen. Wenn wir das nicht tun, dann werden wir kaum den Mut finden, uns jenen in den Weg zu stellen, die ihnen Schaden zufügen wollen. Es wird helfen, wenn wir dabei auch sehen lernen, dass menschliche Vielfalt ein Grund zur Freude ist: Sie bereichert die Welt und unsere Erfahrung. Kaum jemand würde sich wünschen, dass es auf der Welt nur eine Art von Blumen, Vögeln oder Fischen gäbe. Die unendliche Artenvielfalt empfinden wir nicht als Bedrohung. Wir sollten versuchen, unseren Mitmenschen ebenso neugierig, tolerant und erfreut zu begegnen.

Aus dem Essay „Ein satanisches Requiem“ von Louis Begley, 1995

Kurz nach seiner Befreiung bemühte sich Fritz Bringmann, ehemaliger Häftling der Konzentrationslager Sachsenhausen und Neuengamme, im Sommer 1945 in Lübeck eine antifaschistisch-demokratische Jugendbewegung aufzubauen. Bei einem Treffen der Jugendlichen im Dezember 1945 wurde unter anderem wieder einmal über die Tätigkeit von Alt-Nazis in Behörden und Betrieben berichtet. Die Gruppe beschloss, durch eine Klebeaktion die Öffentlichkeit auf diesen Skandal aufmerksam zu machen. Sie erarbeitete den Text für ein Flugblatt mit dem Titel: „Hitler ging - die Nazis blieben - in Ämtern, Behörden und Betrieben“. In diesem Flugblatt prangerte die Jugendgruppe die mangelnde Bereitschaft zur Demokratisierung sowie die Weiterbeschäftigung von Alt-Nazis in Behörden und Betrieben an und forderte die Öffentlichkeit auf, die Befreiung des deutschen Volkes von Faschismus und Militarismus entsprechend der Beschlüsse von Jalta und Potsdam zu verlangen.

Eine Entnazifizierung fand in der Britischen Zone in nur sehr begrenztem Umfang statt, sodass sie schließlich misslang. Selbst der ehemalige Gauleiter Hinrich Lohse ging als minderbelastet und schließlich sogar entlastet aus dem Verfahren hervor. Das misslungene bürokratische Entnazifizierungsverfahren in Schleswig-Holstein führte zu einer Welle der Renazifizierung. Vielen NS-DAP-Mitgliedern und NS-Tätern in Schleswig-Holstein gelang der Neueinstieg ins Berufsleben. Als vermeintlich unbescholtene Bürger übernahmen sie wieder Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung, der Politik, der Justiz sowie innerhalb der Ärzteschaft. Der Euthanasie-Täter Werner Heyde praktizierte unter falschem Namen, bis zu seiner öffentlichen Enttarnung, als Arzt und Gutachter in Flensburg. Als SS-Sturmbannführer und Obergutachter im Rahmen der NS-Euthanasie war er für die Morde an über 80.000 Behinderten und Kranken verantwortlich. Die KZ-Ärztin Herta Oberheuser, von Häftlingen „Teufel von Ravensbrück“ genannt, wurde am 19. August 1947 vom Alliierten Militärgerichtshof I in Nürnberg zu 20 Jahren Haft verurteilt. Sie hatte im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück Versuche an Häftlingen durchgeführt und war für den Tod etlicher Häftlinge verantwortlich. Nach 5 Jahren Haft wurde sie vorzeitig entlassen und praktizierte trotz ihrer Verurteilung in Nürnberg in der kleinen Gemeinde Stocksee bei Plön ungestört weiter. Erst nach massiven internationalen Protesten, unter anderem der Britischen Ärztevereinigung, verlor Frau Oberheuser ihre Approbation.

Der Euthanasieexperte Werner Catel, der neben Karl Brandt, Helmut Unger, Ernst Wentzler und anderen Mitglied des Gremiums war, das die Kinder-Euthanasie vorbereitete, wurde in der Nachkriegszeit zum Leiter der Kieler Universitäts-Kinderklinik berufen. Professor Catel wirkte von 1939 bis 1945 als Vorsitzender des „Reichsausschuss für wissenschaftliche Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“. Dahinter verbirgt sich das Verbrechen der Euthanasie. Professor Catel ist mitverantwortlich für die Ermordung von etwa 5000 Kindern und Jugendlichen. Er war einer der drei Gutachter, von denen die Entscheidungen über Leben und Tod abhingen. Auch in der schleswig-holsteinischen Justiz verblieb das alte Personal - NS-Täter wurden wieder Richter über die Opfer. Der ehemalige Gauleiter Hinrich Lohse, der vom Kieler Entnazifizierungsausschuss als Mitläufer eingestuft worden war, versuchte sogar, vor Gericht Pensionsansprüche für sich durchzusetzen. 1962 drohte Lohse vor Gericht der Staatsanwaltschaft damit, dass es ihm möglich wäre, hinsichtlich der NS-Geschichte der Schleswig-Holsteinischen Staatsanwaltschaft auszupacken. Der in der NS-Zeit zum Wehrwirtschaftsführer ernannte Walter Bartram, ehemaliges Mitglied der NSDAP, wurde am 5. September 1950 zum Ministerpräsidenten gewählt. 1951 wurde das Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung verabschiedet. Die Regierung Bartram bestand mit Ausnahme einer Person, des CDU-Innenministers Paul Pagel, aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Verbrechen der Nazi-Barbarei wurden einfach vergessen – man leugnete sie. Berichte von Morden und Plünderungen, begangen von Polen und Sowjetrussen nach der Befreiung 1945 dagegen, hielten sich zäh in Familien und Heimatschriften. Auch die Geschichtsschreibung passte sich an und klammerte unangenehme Themen aus. Die Dokumentation begangener Verbrechen an Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*innen war das Werk einzelner oder einzelner Gruppen. Gänzlich verdrängt wurde das Schicksal der „slawischen Untermenschen“, denn Polen und Sowjetbürger standen weit unten in der Rassenhierarchie der nationalsozialistischen „Rassenwächter“.

Spät, für manchen zu spät, änderte sich die historische Bewertung. Erst ab Ende der 70-er Jahre wurden wichtige Untersuchungen veröffentlicht. Als Beispiele können dienen:

Bei meinen Recherchearbeiten und Zeitzeugengesprächen in den Gemeinden der Störmarsch äußerte ein promovierter Marschbewohner am Telefon: „Es gab hier Russen und Franzosen, und die durften alle mit bei uns am Tisch sitzen. Die Nazis waren nicht alle Verbrecher und Mörder, so wie das linke Pack, was sich hier überall rumtreibt, immer behauptet.“ Danach legte er auf und war auch nicht mehr zu erreichen. 75 Jahre nach Kriegsende wurde es höchste Zeit, sich den Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter*innnen im Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein zuzuwenden, zumal der Mehrheit der Nachkriegsgeneration, speziell der jüngeren Generation des Kreises, das Elend der flächendeckenden Versklavung von Menschen kaum bekannt ist, und das, obwohl etliche Untersuchungen zur Zwangsarbeit in Deutschland erschienen sind. Das Lagersystem im Kreis Steinburg ist das Spiegelbild der verbrecherischen Unmenschlichkeit der NS-Führung und ihrer Chargen. Im Kreis Steinburg können aber auch Beispiele „widersetzlicher“ Menschlichkeit genannt werden. Es gab sie auf manchen Bauernhöfen und an einzelnen Arbeitsplätzen.

Das komplexe Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem, die zur Norm erklärte rassistisch begründete Verachtung anderer Völker, die unbarmherzige Behandlung der Zwangsarbeiter*innen, der Familien, Jugendlichen, Schwangeren und Frauen mit Kindern, der Alten und Kranken und insbesondere der sowjetischen Kriegsgefangenen erweisen sich als Verlust jeglicher Zivilisation und Kultur im nationalsozialistischen Deutschland. Das Leugnen und Verschweigen der Zwangsarbeit, insbesondere das Leiden der Frauen und der Kinder, durch Teile der heutigen deutschen Gesellschaft, ist ebenso unerträglich wie die Gleichgültigkeit und die Erbarmungslosigkeit in etlichen anderen Bereichen unserer Wohlstandsgesellschaft.

Vorbemerkungen

Schon vor Ausbruch des Krieges waren große Teile der Partei, der Wehrmacht und der Wirtschaft an den Kriegsvorbereitungen beteiligt gewesen. Aus der boomenden Rüstungsindustrie wies man auf den bevorstehenden Mangel an Arbeitskräften hin. Deshalb wurde der Einsatz von Ausländern in der deutschen Wirtschaft zwar von den Nationalsozialisten nicht gerade begrüßt – aber als Notlösung akzeptiert. Nach Beginn des Krieges kamen billigste Arbeitskräfte für die Landwirtschaft und die Rüstungsindustrie aus allen Teilen Europas nach Deutschland, auch nach Schleswig-Holstein, denn die gewerblichen und landwirtschaftlichen Produktionen konnten nur mit Hilfe eines entsprechend dimensionierten „Ausländereinsatzes“ aufrecht erhalten werden. In den Jahren 1939 und 1940 wurden überwiegend Tschechen und Polen, nämlich Kriegsgefangene, „Freiwillige“ und Zwangsrekrutierte, nach Schleswig-Holstein gebracht, bereits wenige Wochen nach dem Überfall auf Polen hatten dort Razzien und Zwangsverschleppungen begonnen. Mitte 1940 wurden reichsweit 300000 polnische Kriegsgefangene in den Zivilarbeiterstatus überführt. Ab Mitte 1940 kamen zunehmend auch Kriegsgefangene und Zivilarbeiter*innen, teilweise freiwillig, aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. 1942 wurden auch die freiwilligen Zivilarbeiter*innen dienstverpflichtet und durften nicht in ihre Heimat zurückkehren. Seit Anfang März 1942 und mit der Ernennung Fritz Sauckels, des Gauleiters von Thüringen, zum „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ begannen umfassende systematische Verschleppungen von Arbeitskräften. Die zivilen „Ostarbeiter“ aus der Sowjetunion und mit ihnen überlebende Kriegsgefangene der „Roten Armee“ kamen in großer Zahl nach Schleswig-Holstein. Der Höhepunkt der Ausländer – und Zwangsbeschäftigung in Schleswig-Holstein wurde im Winter 1943/44 erreicht - 186363 Ausländer arbeiteten fast durchweg unter Zwang in dieser nördlichen Provinz, wovon fast jeder weite (46%) in der Landwirtschaft eingesetzt war. 69,8% der Zwangsarbeiter waren „Ostarbeiter“ und Polen. Sie waren erschwerten Lebens- und Arbeitsbedingungen unterworfen. 1 Am 13. April 1945 wurden im Kreis Steinburg 6950 Zwangsarbeiter und 2194 Kriegsgefangene gezählt.2

Ende 1944 waren auf dem Gebiet des „Großdeutschen Reiches“ knapp 8 Millionen ausländische Arbeiter und Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz tätig. „Diese als Zivilarbeiter, Zivilpolen und Ostarbeiter bezeichneten Kräfte wurden zu Millionen in den besetzten Gebieten ausgehoben und ins Deutsche Reich verfrachtet. Ihre offiziellen Bezeichnungen täuschten über den Charakter ihres Einsatzes, der durch Zwang gekennzeichnet war, hinweg. Diesen Zwangsarbeitern war jede freie Entscheidung genommen, und sie hatten lediglich das Recht zu leben, um zu arbeiten.“ 3

„Der Begriff „Zwangsarbeit“ wird benutzt, um den Kern der NS-Beschäftigungspolitik zu charakterisieren. Diese Politik setzte in verschiedenen Abstufungen Pressionen und in Millionen Fällen nackte Gewalt ein, um Arbeitskräfte aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten für die deutsche Kriegswirtschaft anzuwerben bzw. zu verpflichten. Sichtbarer Ausdruck der Zwangsarbeit war das umfangreiche Lagersystem, das für die NS-Gewaltherrschaft bezeichnend war. Insbesondere die Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion bekamen die Folgen der NS-Rassenideologie zu spüren. In Schleswig-Holstein sind Zwangsarbeiter im großen Umfang eingesetzt und ausgebeutet worden - in der Landwirtschaft, in der Industrie, in Handwerksbetrieben und in privaten Haushalten.“ 4 Zwangsarbeiter oder Fremdarbeiter wurden gemäß der Rassenlehre der Nationalsozialisten klassifiziert: Am unteren Ende der Zwangsarbeiterhierarchie standen die Ostarbeiter. Sie waren russische, weißrussische oder aus der Ukraine stammende Arbeiter, stigmatisiert durch das Abzeichen „Ost“, dadurch auch äußerlich gekennzeichnet und mussten in sehr primitiven Lagern leben, in Kellinghusen im ehemaligen Schweinestall des Bauern Gosau, das umgebende Gelände war mit Stacheldraht umzäunt. Allerdings waren auch für die Ostarbeiter die Lebensumstände von Ort zu Ort und von Lager zu Lager unterschiedlich. Die sanitären und hygienischen Bedingungen in diesen Baracken waren äußerst schlecht, wie auch die Bekleidung. So lebten besonders die Ostarbeiter in notdürftig selbstgebauten Barakken und waren häufig gezwungen, auch im Winter unzureichend beschuht zur Arbeit zu gehen. Außerdem wurden sie häufig misshandelt: „Die Leute wälzten sich oft vor Schmerzen wegen des dauernden Schlagens mit Gummiknüppeln und Ochsenziemern“. Für Zwangsarbeiter galt kein Arbeitsschutz, so dass sie am Arbeitsplatz allen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt waren. Sie durften bei Bombenalarm keine Schutzräume aufsuchen. Bei Verstößen gegen die Anordnungen und Befehle der Deutschen drohte ihnen eine Einweisung in ein „Arbeitserziehungslager“, in denen KZ-ähnliche Zustände herrschten. Es gab verschiedene Wege, Zwangsarbeiter oder Zwangsarbeiterin in Deutschland zu werden:

1. Kriegsgefangene wurden, entgegen der Bestimmungen der Genfer Konvention, zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen.

2. Ehemalige Kriegsgefangene verpflichteten sich zum Arbeitseinsatz.

3. Zivilisten wurden gegen ihren Willen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt.

4. Zivilisten wurden durch falsche Versprechungen zum Arbeitseinsatz nach Deutschland gelockt.

5. Zivilisten meldeten sich freiwillig zum Arbeitseinsatz nach Deutschland, durften aber nach Ablauf ihres Vertrages nicht in ihr Heimatland zurückkehren.


1 Uwe Danker u. a., Zwangsarbeitende im Kreis Nordfriesland 1939 – 1945, Bielefeld , 2004

2 Stadtarchiv Neumünster MA 1821

3 Schwarz, Rolf: Verschleppt nach Büdelsdorf; in: Hamer, Kurt, Karl-Werner Schunck und Rolf Schwarz (Hrsg): Vergessen und verdrängt, Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus in den Kreisen Rendsburg und Eckernförde, Eckernförde 1984, S. 227

4 Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim und Pelc, Ortwin, Schleswig-Holstein Lexikon, Wachholtz Verlag, 2000

Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter

Das Deutsche Reich der Nationalsozialisten verstieß massiv gegen die bestehenden völkerrechtlichen Normen, die Haager Landkriegsordnung von 1907 und die Genfer Konvention von 1929. Die Behandlung der verschiedenen Nationalitäten der Kriegsgefangenen richtete sich nach der Rassenlehre der NS-Ideologie. Die geltenden völkerrechtlichen Normen wurden Kriegsgefangenen, vor allem aus Polen und der Sowjetunion, sowie italienischen Militärinternierten vorenthalten. Diese wurden umfassend als Zwangsarbeiter eingesetzt, vor allem in der Landwirtschaft, der Rüstungsindustrie sowie im Bergbau.

Eingeschränkt beachtet wurde das Völkerrecht gegenüber französischen Kriegsgefangenen. Allerdings: 21.000 französische Kriegsgefangene fanden bis Ende 1944 in Deutschland den Tod oder gelten als verschollen. Das letzte Kriegsjahr ließ die Zahl der Todesopfer auf ca. 37.000 ansteigen. Viele Kriegsgefangenengruppen wurden formal in den Zivilstatus versetzt. Davon betroffen waren u. a. die polnischen und ein Teil der französischen Kriegsgefangenen. Wo das nicht möglich war, wurden die Gefangenen der Leistungsernährung unterworfen - die Lebensmittelration wurde folglich an die individuelle Arbeitsleistung gekoppelt.

Einzig gegenüber den angloamerikanischen Kriegsgefangenen wurden weitgehend die bestehenden völkerrechtlichen Bestimmungen eingehalten. Insofern ist davon auszugehen, dass Kriegsgefangene, die zur Arbeit eingesetzt wurden – außer der letztgenannten Gruppe – im völkerrechtlichen Sinne Zwangsarbeit verrichteten.

Der Kriegsgefangene Fernand Fournex erinnert sich: „ Nachdem ich um den 20. Juni 1940 herum (…) gefangen genommen worden war, wurde ich unter sehr harten Bedingungen nach Deutschland gebracht: lange Märsche, zusammengedrängt in Viehwagen, unzureichende Ernährung, Hunger, Durst, voller Flöhe. In Deutschland angekommen, wurde ich im September 1940 zu einem Bauern beim Kommando von Wilster gegeben. Dieser verhielt sich mir gegenüber sehr hart, denn er hat mich sogar geohrfeigt.5

Transport französischer Gefangener


5 Manfred Otto Niendorf, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter/innen und Angorakaninchen in Dammfleth, in: Steinburger Jahrbuch 1996, Seite 234

Zum Begriff „Fremdarbeiter“

Der von den Nazis, aber auch heute noch, benutzte Begriff „Fremdarbeiter“ ist außerordentlich problematisch und wirkt verharmlosend. Die Aussage des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Sauckel, vom 1. März 1944 - bezogen auf die gesamte Maßnahme - verdeutlicht das Ausmaß der Zwangsrekrutierung: „Von den 5 Millionen ausländischer Arbeiter, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200.000 freiwillig gekommen.“ Der Begriff der „Freiwilligkeit“ ist irreführend. Die Gründe für die „freiwillige“ Meldung standen oftmals im Zusammenhang mit der durch die Okkupation hervorgerufenen Situation der Bevölkerung. Die Entscheidung, „freiwillig“ in Deutschland zu arbeiten, basierte zum Teil auf der Hoffnung, der drastisch verschlechterten ökonomischen Lage z. B. in Polen oder der Ukraine zu entfliehen. Ein anderer Grund lag in der Chance, durch eine freiwillige Meldung den Ort des Arbeitseinsatzes möglicherweise mitbestimmen zu können, um so der Zwangsdeportation in weit vom Heimatort entfernte Gebiete zu entgehen oder bereits abtransportierten Familienangehörigen folgen zu können. In wiederum anderen Fällen war die Entscheidung politisch motiviert. So meldeten sich z.B. Mitglieder der Widerstandsbewegung freiwillig zum Arbeitseinsatz nach Deutschland, um dort konspirativ tätig zu werden. Wesentlich ist jedoch, dass es bei der Behandlung in Deutschland keine Unterschiede zwischen angeworbenen Arbeitskräften und Deportierten gab.

Zur Situation der Zwangsarbeiter

Bei Kriegsende 1945 befanden sich noch ca. sechs Millionen ausländische, zivile Zwangsarbeiter, zwei Millionen ausländische Kriegsgefangene und 750.000 KZ-Häftlinge in den deutschen Lagern. Auch in Schleswig-Holstein gab es kaum eine Stelle, wo keine Lager vorhanden waren.

Ein Konzentrationslager gab es in Schleswig-Holstein zwar nicht, dafür aber einige Außenkommandos des KZ-Neuengamme bei Hamburg, nämlich in Ladelund, Husum-Schwesing, Kaltenkirchen, Hohwacht und Mölln. Ein Arbeitserziehungslager existierte in Kiel-Russee. Kriegsgefangene mussten die gleichen Arbeiten verrichten wie die Zwangsarbeiter, wurden aber in Lagern interniert und bewacht.

Zwangsarbeiter wurden häufig demütigend behandelt, schlecht ernährt und erhielten oft keinen Lohn. Sie mussten schwerste Arbeit verrichten. Die Unterbringung erfolgte unter anderem in Zwangsarbeiterlagern, den Stammlagern (im nationalsozialistischen Sprachgebrauch als Stalag bezeichnet), häufig Barackenlager, mit Stacheldraht eingezäunt. Die sanitären und hygienischen Bedingungen in diesen Baracken waren äußerst schlecht, wie auch die Bekleidung völlig unzureichend war. So lebten besonders die Ostarbeiter in notdürftig selbstgebauten Baracken, oft ohne Ofen. Sie wurden schlechter behandelt als die italienischen und französischen Zwangsarbeiter, da sie in der NS-Rassenideologie als Untermenschen galten. Für sie galt der Ostarbeitererlass, durch den sie weitestgehend entrechtet wurden. Der Besitz von Geld, Wertsachen, Fahrrädern und Feuerzeugen und der Erwerb von Fahrkarten war für sie verboten. Verkehr mit Deutschen wurde streng bestraft, teilweise sogar mit dem Tode.

Die aus Polen nach Deutschland gebrachten Polen waren entweder Kriegsgefangene, Zwangsrekrutierte oder „Freiwillige“. Mit den so genannten Polen-Erlassen, schuf die nationalsozialistische Reichsregierung am 8. März 1940 per Polizeiverordnung ein Sonderrecht. Darin wurden polnische Zwangsarbeiter diskriminierenden Vorschriften unterworfen. Die rassistisch begründete Vorstellung von einer Minderwertigkeit der „Zivilarbeiter“ genannten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen aus Polen war ein herausstechendes Merkmal dieser Anordnungen.

Das Erlasswerk bestand aus 10 Dokumenten, die im Wesentlichen bis zum Kriegsende gültig waren. Sie dienten auch zwei Jahre später den Ostarbeitererlassen als Vorbild.

Die Behandlung der im Deutschen Reich eingesetzten zivilen Arbeiter und Arbeiterinnen polnischen Volkstums wurde per Verfügung am 4. Juli 1940 geregelt:

1. Das Verlassen des Aufenthaltsortes ist streng verboten.

2. Während des von der Polizeibehörde angeordneten Ausgehverbotes darf auch die Unterkunft nicht verlassen werden.

3. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, z.B. Eisenbahn, ist nur mit besonderer Erlaubnis der Ortspolizeibehörde gestattet.

4. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen polnischen Volkstums haben die ihnen übergebenen Abzeichen stets sichtbar auf der rechten Brustseite eines jeden Kleidungsstückes zu tragen. Das Abzeichen ist auf dem Kleidungsstück fest anzunähen.

5. Wer lässig arbeitet, die Arbeit niederlegt, andere Arbeiter aufhetzt, die Arbeitsstätte eigenmächtig verlässt usw. erhält Zwangsarbeit im Konzentrationslager. Bei Sabotagehandlungen und anderen schweren Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin erfolgt schwerste Bestrafung, mindestens eine mehrjährige Unterbringung in einem Arbeitserziehungslager.

6. Jeder gesellige Verkehr mit der deutschen Bevölkerung, insbesondere der Besuch von Theatern, Kinos, Tanzvergnügen, Gaststätten und Kirchen gemeinsam mit der deutschen Bevölkerung ist verboten. Tanzen und Alkoholgenuss ist nur in den polnischen Arbeitern besonders zugewiesenen Gaststätten gestattet.

7. Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt, oder sich ihnen sonst unsittlich nähert, wird mit dem Tode bestraft.

8. Jeder Verstoß gegen die für die Zivilarbeiter polnischen Volkstums erlassenen Anordnungen und Bestimmungen wird in Deutschland bestraft, eine Abschiebung nach Polen erfolgt nicht.

9. Jeder polnische Arbeiter und jede polnische Arbeiterin haben sich stets vor Augen zu halten, dass sie freiwillig zur Arbeit nach Deutschland gekommen sind. Wer diese Arbeit zufrieden stellend macht, erhält Brot und Lohn. Wer jedoch lässig arbeitet und die Bestimmungen nicht beachtet, wird besonders während des Kriegszustandes unnachsichtig zur Rechenschaft gezogen.

10. Über die hiermit bekannt gegebenen Bestimmungen zu sprechen oder zu schreiben, ist strengstens verboten. 6

Die Ausführungen des Reichsführers SS an alle Staatspolizeileit- und Staatspolizeistellen vom 8.3.1940 verdeutlichen, wie die Polizei unerwünschtes Verhalten der Arbeiter und Arbeiterinnen polnischen Volkstums bekämpfen sollte: „Insbesondere gilt dies für Verfehlungen auf sittlichem Gebiet. Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen polnischen Volkstums, die mit Deutschen Geschlechtsverkehr ausüben, oder sich sonstige unsittliche Handlungen zuschulden kommen lassen, sind sofort festzunehmen und dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD zur Erwirkung einer Sonderbehandlung fernschriftlich zu melden.“

Schon Ende Februar 1940 hatte Himmler ausgeführt, was er unter „Sonderbehandlung“ verstand: „Wenn ein Pole mit einer Deutschen verkehrt, ich meine jetzt also, sich geschlechtlich abgibt, dann wird der Mann gehängt, und zwar vor seinem Lager. Dann tun’s nämlich die anderen nicht. […] Die Frauen werden unnachsichtig den Gerichten vorgeführt und wo der Tatbestand nicht ausreicht - solche Grenzfälle gibt es ja immer - in Konzentrationslager überführt.“ 7

Im Mai wurde der sogenannte „GV-Erlass“ (Geschlechtsverkehr-Erlass) sogar noch erweitert. Deutsche Frauen, die mit Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegen, die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt, mussten, wenn das Gericht keine Strafe aussprach, ins Konzentrationslager gebracht werden. Das sogenannte gesunde Volksempfinden war dann verletzt, wenn frau mit Kriegsgefangenen gemeinsam feierte, zum Tanzen ausging oder geschlechtlich verkehrte.Der Kontakt von Polen mit Deutschen war strengstens verboten, selbst der gemeinsame Kirchenbesuch. Zuwiderhandlungen wurden mit einer Einweisung in ein Arbeitserziehungslager oder ohne weitere Gerichtsverhandlung mit dem Tode bestraft. Die Geheime Staatspolizei war für die Verfolgung und Bestrafung von Verstößen zuständig. Dabei wurden Kriegsgefangene entgegen der zweiten Genfer Konvention von 1929 verfolgt, in Arbeitserziehungslager eingewiesen oder sogar öffentlich von Mitarbeitern der Geheimen Staatspolizei gehängt.

Am 25. April 1940 gab der beigeordnete Kellinghusener Bürgermeister Willken eine dementsprechend formulierte Anweisung an alle Gast- und Schankwirte der Stadt Kellinghusen und an den Kinobesitzer Johann Lützen heraus:

Der §4 der vom Herrn Regierungspräsidenten in Schleswig am 27. März 1940 erlassenen Polizeiverordnung sagt folgendes: